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Erstes Kapitel   (Forts.)
Entwicklung der Deutsch-Polnischen Beziehungen

B. Deutschlands Bemühen
um eine Verständigung mit Polen, 1933 bis 1939

Anm. d. Scriptorium:
Eine noch mehr ins Einzelne gehende Dokumentation der Lage der Volksdeutschen in Polen als die in den folgenden Kapiteln gegebene finden Sie in dem Buch Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-39.
II. Keine Besserung der Lage der Deutschen Volksgruppe durch die Deutsch-Polnische Verständigungspolitik
(November 1933 bis August 1934)

Nr. 39
Der Deutsche Konsul in Thorn
an das Auswärtige Amt

Telegramm

Thorn, den 25. November 1933

Deutsche Wahlversammlung Graudenz Montag 20. 11. wurde gestört durch angeblich bezahlte Elemente, als Generalsekretär deutscher Volksgruppe über deutsch-polnische Verständigung sprach. Dieselben Elemente sind Urheber blutigen Zwischenfalls am Donnerstag.

Donnerstag stattfand in Loge Sitzung Vertrauensmänner für deutsche Liste bei Stadtverordnetenwahlen. Gegen 21 Uhr erschienen erwähnte Elemente, die Anwesende mit Bierkrügen bewarfen und verletzten. Gegen 23 Uhr forderte die Polizei Anwesende zum Heimgehen auf. Älteste Versammlungsteilnehmer konnten unbehelligt heimkehren. Jüngere verließen Loge gegen 24 Uhr geschlossen, begleitet von etwa sechs Polizisten. Diese leiteten Versammlungsteilnehmer in dunkle Seitengasse, wo Angriff besagter Elemente erfolgte.

Mehr als zwölf Verletzte, wovon einer auf Transport gestorben, ein anderer in Lebensgefahr.

Laut Angabe Gewährsleute besteht begründeter Verdacht, daß Angreifer Schützen-Verband angehören und von Regierungspartei gedungen sind.

In Vertretung
Hoops




Nr. 40
Der Deutsche Gesandte in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 29. November 1933

Ich habe in einer Unterredung, die ich aus anderem Anlaß mit dem Außenminister hatte, Gelegenheit genommen, diesen auf die Graudenzer Ausschreitungen26 anzusprechen. Ich verwies ihn insbesondere auf die starke Erregung, die hierüber in der deutschen Öffentlichkeit entstanden sei, wodurch die erfreuliche Besserung der Atmosphäre wieder gefährdet würde.

Herr Beck erwiderte, daß er diese Vorfälle ebenfalls bedauere. Im übrigen versuchte er, die Ausschreitungen mit der bei Wahlen in allen Ländern zu konstatierenden Aufpeitschung der politischen Leidenschaften zu entschuldigen. Erst mein Hinweis auf die antideutsche Propagandawoche des Westmarkenvereins und den Kontrast, der zwischen solchen unzeitgemäßen Kundgebungen [54] und den beiderseitigen Regierungserklärungen besteht, veranlaßte den Außenminister zu der Erklärung, daß energische Maßnahmen gegen die Täter ergriffen werden würden und daß er sich mit dem Minister des Innern in Verbindung setzen wolle, um der Verhetzung entgegenzuwirken.

Ich darf bitten, die Tatsache meiner Intervention in dieser Angelegenheit nicht in der Presse zu verwerten, da es ohnehin schon große Schwierigkeiten bereitet, Minderheitsfragen hier offiziell zur Sprache zu bringen und eine Veröffentlichung noch weiter erschwerend wirken würde.

von Moltke




Nr. 41
Der Deutsche Gesandte in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 28. Dezember 1933

Der Präsident der Gemischten Kommission in Kattowitz, Präsident Calonder, hat sich kurz vor Weihnachten zwei Tage lang in Warschau aufgehalten, um nach verhältnismäßig langer Zeit wieder einmal den Kontakt mit der Polnischen Regierung aufzunehmen. Bei einem größeren Diner, das von dem Unterstaatssekretär Graf Szembek am Abend veranstaltet wurde, bin ich als einziger auswärtiger Vertreter zugezogen gewesen, eine Aufmerksamkeit, die immerhin im Rahmen der gegenwärtigen Verständigungspolitik eine gewisse Beachtung verdient. Ich hatte nach dem Essen Gelegenheit zu einer längeren Unterhaltung mit Präsident Calonder. Er erklärte, von seiner Unterredung mit Außenminister Beck sehr befriedigt zu sein, wenn er auch den Eindruck nicht los werden könne, daß diesem bei seinem starken Selbständigkeitsdrang jede internationale Kontrolle äußerst zuwider sei. Immerhin würden die Dinge in Oberschlesien wesentlich besser liegen, wenn auch dort die Beckschen Auffassungen über die Behandlung der Minderheit geteilt würden. Leider sei dies aber keineswegs der Fall und zu seinem großen Bedauern müsse er feststellen, daß auch die erfreulicherweise von Deutschland und Polen verfolgte Politik der Verständigung in dieser Hinsicht noch keinerlei Besserung gebracht habe. Er habe sogar den Eindruck, daß die Provinzialbehörden sich gegen diesen Verständigungsgedanken innerlich auflehnten und daß sie versuchten, durch scharfes Vorgehen gegen die Minderheit ein Gegengewicht gegen die Warschauer Politik zu schaffen oder aber faits accomplis herzustellen, für den Fall, daß die Verständigungspolitik wirklich Fortschritte mache.

Auf meine Frage, ob er mit der Entwicklung, die die Dinge in Deutsch-Oberschlesien genommen hätten, zufrieden sei, antwortete Präsident Calonder, daß er im Frühjahr große Sorge gehabt habe, daß aber inzwischen eine ganz wesentliche Besserung eingetreten sei, so daß er in dem deutschen Teil seines Bezirkes, abgesehen von einigen kleineren Fragen, kaum Anlaß zu irgendeiner Beanstandung habe. Im übrigen freue er sich ganz besonders darauf, Anfang Januar dem Herrn Reichskanzler, für dessen geniale Politik er aufrichtige Bewunderung habe, seinen Besuch machen zu können.

von Moltke



[55]
Nr. 42
Der Deutsche Konsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 31. März 1934

Die nach Abschluß des Zehnjahrespaktes veröffentlichte neue Namensliste zur Agrarreform 1934 ist ein deutlicher Beweis dafür, daß seit dem Abschluß des Verständigungsabkommens, abgesehen von einigen äußeren Zeichen einer Besserung der Atmosphäre, alles beim alten geblieben ist. In dieser Liste sind 11 Güter, davon 10 deutsche, aufgeführt. In Hektar ausgedrückt, entfallen von den beanspruchten 1,475 ha rund 1,032 auf deutschstämmigen Besitz. 8 von diesen 10 Gütern haben bereits auf früheren Namenslisten gestanden, 5 davon haben keine Zuschläge27 erhalten und sind infolgedessen so reduziert, daß sie nicht mehr lebensfähig erscheinen. Alle 10 Güter standen und stehen wirtschaftlich sehr gut, was von den danebenliegenden polnischen Gütern nicht gesagt werden kann. Trotzdem erhalten letztere noch Zuschläge. Das rigorose polnische Vorgehen verstößt nicht nur offen gegen den Geist des Zehnjahrespaktes, sondern entspricht auch nicht dem Wunsche des Völkerbundes, der seinerzeit in Genf die Wiedergutmachung der seitherigen polnischen Agrarmaßnahmen forderte.

von Küchler




Nr. 43
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 15. April 1934

Am 13. April 1934 fand in Antonienhütte - Ostoberschlesien - ein Protestumzug des Aufständischen-, des Schützen- und des Reservistenverbandes unter Beteiligung von etwa 500 Personen gegen die deutsche Minderheit und die deutschen Verbände statt. Zwei Polizeibeamte begleiten den Umzug. Während des Umzuges, der sich durch sämtliche Straßen in Antonienhütte bewegte, spielte die Reservistenkapelle. Es wurden polnische Lieder gesungen. In den Straßen, in denen deutsche Minderheitsangehörige wohnen, wurden von mehreren Umzugsteilnehmern, die mit Pistolen bewaffnet waren, etwa 25 bis 30 Schüsse abgegeben. Von den Sprechchören wurde folgendes ausgerufen: "Nieder mit den deutschen Minderheitsschulen und Verbänden! Es lebe die polnische Schule, nieder mit dem Verständigungspakt!". Gegen 21 Uhr löste sich der Umzug vor dem Rathaus auf. Nach dem Umzug wurden mehrere deutsche Minderheitsangehörige von den Aufständischen auf der Straße belästigt und bedroht.

In Vertretung
Quiring



[56]
Nr. 44
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 28. April 1934

Die in der Anlage des Erlasses vom 25. April enthaltenen Angaben über polnische Maßnahmen zwecks Bekämpfung der Minderheitsschule28 stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Bild mehr oder minder offenen Terrors dar, der gegenwärtig anläßlich der Schulanmeldungen gegen die deutsche Minderheitsschule in Polnisch-Oberschlesien ausgeübt wird. Ein Abflauen dieser von den verschiedensten polnischen Verbänden betriebenen Agitation gegenüber den Vorjahren ist bisher nicht festzustellen, vielmehr werden auch in diesem Jahr erneut alle Register wirtschaftlicher und moralischer Bedrückung gezogen, um die Erziehungsberechtigten von der An- bzw. Ummeldung ihrer Kinder in die Minderheitsschule abzuhalten. Eine Auswirkung der Verständigungspolitik ist hier jedenfalls noch nicht festzustellen.

In Vertretung
Quiring




Nr. 45
Der Deutsche Konsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 28. April 1934

Das Konzert des Dresdner Streichquartetts, das Freitag in Thorn stattfinden sollte, mußte abgesagt werden, da die Künstler die Einreisegenehmigung nicht erhalten haben. Die Deutsche Rundschau (Bromberg) schreibt dazu: "In Berlin ist kürzlich der polnische Tenor Jan Kiepura begeistert gefeiert worden. Der Reichskanzler und der Reichspropagandaminister empfingen den polnischen Tenor in ihren Logen. Wo bleibt die gegenseitige Verständigung?"

von Küchler




Nr. 46
Der Deutsche Konsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 28. Juni 1934

Ich hatte wiederholt Gelegenheit zu berichten, daß der Zehnjahrespakt zwischen Deutschland und Polen zwar nach außen hin eine gewisse Entspannung gebracht habe, daß aber im übrigen im Verhältnis Polens zu Deutschland, insbesondere was die Behandlung der Minderheit anlangt, in diesem Gebiet keine Änderung zu verspüren sei.

[57] Dies zeigt sich auch auf dem Gebiet der Schule. So wurde kürzlich der in Thorn an dem einzigen staatlichen Gymnasium mit deutscher Unterrichtssprache tätige Oberlehrer Paul Brien in den Ruhestand versetzt. Wie ich festgestellt habe, waren keine pädagogischen Gründe für die Entlassung maßgebend. Sie liegt vielmehr im Zuge der polnischen Bestrebungen, dieses alte deutsche Gymnasium allmählich in ein polnisches umzuwandeln. Ein deutscher Lehrer nach dem anderen ist hier durch einen polnischen ersetzt worden. Aber man hatte gehofft, daß dieser zielbewußte Umwandlungsprozeß nach dem Zehnjahrespakt eingestellt werden würde. Mit der Abberufung des Oberlehrers Brien wird das Kollegium nunmehr aus neun polnischen und drei deutschen Lehrern bestehen. Unter diesen Umständen kann das Gymnasium nicht mehr als eine deutsche Lehranstalt angesehen werden.

von Küchler




Nr. 47
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Telegramm
Kattowitz, den 1. August 1934

Auf Mitgliederversammlung des Deutschen Volksbundes hielt dessen Präsident, Prinz von Pleß, programmatische Rede, in der er sich mit gegenwärtigem deutsch-polnischen Verhältnis und seinen Auswirkungen auf die Lage der Minderheiten beschäftigte. Der Prinz erklärte, wer an deutsch-polnische Verhandlungen Hoffnungen auf sofortige Besserung der Lage geknüpft hätte, müßte enttäuscht werden, denn seit Jahren bestehende Gegensätze verschwänden nicht von heute auf morgen; aber niemand hätte damit rechnen können, daß statt Verbesserung weitere Verschärfung der Lage der deutschen Volksgruppe eintreten würde. Verschärfung läge vor allem in zunehmender Entlassung deutscher Arbeiter, die damit ihrer Lebensgrundlage beraubt würden.

Nöldeke




26Vgl. Nr. 39. ...zurück...

27Den Grundbesitzern konnten nach dem polnischen Agrargesetz bei der Parzellierung unter gewissen Voraussetzungen auch über die Normalgrenze hinausgehende Flächen belassen werden ("Zuschläge" zur Normalfläche). ...zurück...

28Die Anlage enthält Angaben über Einschüchterungsversuche und Terrormaßnahmen Eltern, die ihre Kinder für die deutsche Minderheitsschule angemeldet hatten. ...zurück...


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