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[12-14=Trennblätter] [15]
Das Jahr 1933

Bereits die erste Begegnung des Führers mit der britischen Politik führte zu Erfahrungen, wie sie Deutschland seit 1933 immer wieder machen mußte. Die erste Auseinandersetzung des nationalsozialistischen Deutschland mit Großbritannien knüpfte sich an die Abrüstungsfrage, bei der die Außenpolitik des Führers nach Lage der Umstände Anfang 1933 einsetzen mußte. Durch die von Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland abgegebene Erklärung vom 11. Dezember 1932 war Deutschland grundsätzlich die Gleichberechtigung "in einem System, das allen Nationen Sicherheit bietet", zugestanden worden. Statt dieses feierliche Versprechen einzuhalten, suchten die Westmächte nach der Machtergreifung die grundsätzlich zugestandene Gleichberechtigung durch endlose Diskussionen in Genf zu zerreden und gegenstandslos zu machen. Am 16. März 1933 endlich legte der britische Ministerpräsident MacDonald einen neuen Abrüstungsplan vor. Die Stärke der Heeres-, Flotten- und Luftstreitkräfte, die Dauer der Dienstzeit der Landstreitkräfte wurden festgelegt und eine qualitative Abrüstung erwogen. Die Bestimmungen des Abschnitts V des Versailler Vertrages sollten durch diese Bestimmungen ersetzt werden. Der MacDonald-Plan bedeutete zwar eine beschränkte Rüstungsangleichung, stellte aber nicht im entferntesten die Deutschland bereits zugesicherte Rüstungsgleichheit mit den hochgerüsteten Westmächten her, die sich bislang stets ihrem Abrüstungsversprechen entzogen hatten. Er genügte auch keinesfalls den Erfordernissen der deutschen Sicherheit; wurde doch Deutschland z. B. kein einziges Flugzeug zugestanden. Obwohl also der MacDonald-Plan für Deutschland alles andere als befriedigend war und weit hinter den bereits gegebenen Versprechungen zurückblieb, hat sich der Führer gleich in seiner ersten programmatischen Reichstagsrede, die er als Kanzler hielt, positiv zu dieser englischen Anregung geäußert. Der Wille zur deutsch-englischen Zusammenarbeit steht also am Anfang der nationalsozialistischen Außenpolitik.


 1. 
Aus der Reichstagsrede des Führers vom 23. März 1933

Das deutsche Volk will mit der Welt in Frieden leben. Die Regierung wird aber gerade deshalb mit allen Mitteln für die endgültige Beseitigung einer Scheidung der Völker der Erde in zwei Kategorien eintreten. Die Begriffe von Siegernationen und von Besiegten können [16] nicht als eine dauernde Basis freundschaftlicher Beziehungen der Völker untereinander gelten. Die ewige Offenhaltung dieser Wunde führt den einen zum Mißtrauen, den anderen zum Haß und damit zu einer allgemeinen Unsicherheit.

Die nationale Regierung ist bereit, jedem Volke die Hand zu einer aufrichtigen Verständigung zu reichen, das gewillt ist, die traurige Vergangenheit endlich einmal grundsätzlich abzuschließen. Die Not der Welt kann nur vergehen, wenn innerhalb der Völker und untereinander durch stabile Verhältnisse wieder Vertrauen geschaffen wird. Denn folgende Voraussetzungen sieht die nationale Regierung für die Behebung der allgemeinen Wirtschaftskatastrophe als notwendig an: erstens eine unbedingte Autorität der politischen Führung im Innern zur Herstellung des Vertrauens in die Stabilität der Verhältnisse; zweitens eine Sicherstellung des Friedens durch die wirklich großen Nationen auf lange Sicht zur Wiederherstellung des Vertrauens der Völker untereinander; drittens den endlichen Sieg der Grundsätze der Vernunft in der Organisation und Führung der Wirtschaft sowie eine allgemeine und internationale Entlastung von Reparationen und unmöglichen Schuld- und Zinsverpflichtungen.

Leider stehen wir vor der Tatsache, daß die Genfer Konferenz trotz langer Verhandlungen bisher kein praktisches Ergebnis erzielt hat. Die Entscheidung über die Herbeiführung wirklicher Abrüstungsmaßnahmen ist immer wieder durch das Aufwerfen technischer Einzelfragen und das Hereinziehen von Problemen, die mit Abrüstung nichts zu tun haben, verzögert worden. Dieses Verfahren ist untauglich. Der rechtswidrige Zustand einer einseitigen Abrüstung und der daraus resultierenden nationalen Unsicherheit Deutschlands kann nicht länger dauern. Als ein Zeichen des Gefühls der Verantwortung und des guten Willens erkennen wir es an, daß die britische Regierung in ihren letzten Vorschlägen in Genf den Versuch gemacht hat, die Konferenz endlich zu schnellen Entscheidungen zu bringen. Die Reichsregierung wird jede Bemühung unterstützen, die darauf gerichtet ist, einer allgemeinen Abrüstung wirksam zu dienen und dabei den schon längst fälligen Anspruch Deutschlands auf Gleichberechtigung sicherzustellen.

Allein seit vierzehn Jahren sind wir abgerüstet, und seit vierzehn Monaten warten wir auf ein Ergebnis der Abrüstungsverhandlungen.

Umfassender noch ist der Plan des Chefs der italienischen Regierung, der großzügig und weitblickend versucht, der gesamteuropäischen Politik eine ruhige und folgerichtige Entwicklung zu sichern. Wir messen diesem Plan die ernsteste Bedeutung bei. Wir sind bereit, auf dieser Grundlage in voller Aufrichtigkeit mitzuarbeiten an dem Versuch, die vier Mächte Deutschland, Italien, England und Frankreich zu einer friedlichen politischen Zusammenarbeit zusammenzuschließen, die mutig und entschlossen an die Aufgaben herangeht, von denen das Schicksal Europas abhängt.

Aus diesem Anlaß empfinden wir besonders dankbar die verständnisvolle Herzlichkeit, mit der die nationale Erhebung Deutschlands in Italien begrüßt worden ist. Wir wünschen und hoffen, daß die [17] Gleichheit der geistigen Ideale die Grundlage für eine stetige Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern sein wird.

Ebenso legt die Reichsregierung, die im Christentum die unerschütterlichen Fundamente des sittlichen und moralischen Lebens unseres Volkes sieht, den größten Wert darauf, die freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhle weiter zu pflegen und auszugestalten.

Gegenüber unserem Brudervolk in Österreich empfinden wir alle das Gefühl der innersten Anteilnahme an seinen Sorgen und Nöten. Die Reichsregierung ist sich in ihrem Handeln der Verbundenheit des Schicksals aller deutschen Stämme bewußt.

Die Einstellung zu den übrigen einzelnen fremden Mächten ergibt sich aus dem bereits Erwähnten. Aber auch da, wo die gegenwärtigen Beziehungen heute noch mit Schwierigkeiten belastet sind, wollen wir uns ehrlich bemühen, einen Ausgleich zu finden. Allerdings kann die Grundlage einer Verständigung niemals die Aufrechterhaltung der Unterscheidung in Sieger und Besiegte sein.

Wir sind denn auch der Überzeugung, daß ein solcher Ausgleich in unserem Verhältnis zu Frankreich möglich ist, wenn die Regierungen die sie betreffenden Probleme beiderseits wirklich weitschauend in Angriff nehmen.

Gegenüber der Sowjetunion ist die Reichsregierung gewillt, freundschaftliche, für beide Teile nutzbringende Beziehungen zu pflegen. Gerade die Regierung der nationalen Revolution sieht sich zu einer solchen positiven Politik gegenüber Sowjetrußland in der Lage. Der Kampf gegen den Kommunismus in Deutschland ist unsere innere Angelegenheit, in den wir Einmischungen von außen niemals dulden werden.

Die staatspolitischen Beziehungen zu anderen Mächten, mit denen uns gemeinsame Interessen verbinden, werden davon nicht berührt.

Das Verhältnis zu den übrigen Ländern verdient auch in der Zukunft unsere ernsteste Aufmerksamkeit, insbesondere zu den großen überseeischen Staaten, mit denen Deutschland seit langem durch Freundschaft und wichtigste wirtschaftliche Interessen verbunden ist.

Das Schicksal der Deutschen außerhalb der Grenzen des Reiches, die als besondere Volksgruppen innerhalb fremder Völker um die Wahrung ihrer Sprache, Kultur, Sitte und Religion kämpfen, wird uns stets bewegen, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln für die den deutschen Minderheiten garantierten internationalen Rechte einzutreten.

(Verhandlungen des Reichstages, Bd. 457, S. 30f.)

Dieses Zeichen des Gefühls der Verantwortung und des guten Willens Deutschlands war über die Sache hinaus ein deutlicher Wink an die englische Adresse. Er begegnete hier zunächst keiner Bereitschaft zur Verständigung mit dem neuen Deutschland. Die Machtübernahme durch den Nationalsozialismus hatte in England Panik, Feindseligkeit, Kreuzzugsstimmung und die Geneigtheit ausgelöst, sich schulmeisterlich in die [18] inneren deutschen Verhältnisse einzumischen. Dadurch ist die erste Etappe charakterisiert.

Widersinnige Putschgerüchte und Gerede von Kriegsgefahr veranlaßten bereits am 2. März 1933 die erste der nun in langer Reihe folgenden Deutschland-Debatten im Unterhaus. Der deutschen Botschaft in London gingen Hunderte von Protestresolutionen gegen angebliche Vorkommnisse in Deutschland zu. Jüdische Firmen in England drohten mit dem Boykott deutscher Waren. Die Presse tat das ihre zur Förderung dieser feindseligen Stimmung. Fast alle englischen Korrespondenten in Deutschland waren ohne jedes Verständnis für den Umbruch. Sie hatten vor 1933 nur mit der Linken verkehrt. Neue unvoreingenommene Männer wären erforderlich gewesen. Am 30. März 1933 beschäftigten sich Unter- und Oberhaus zum erstenmal in anklägerischem Tone mit der Lage der Juden in Deutschland. Hier haben diese Debatten über interne deutsche Angelegenheiten natürlicherweise ernstliche Verstimmungen ausgelöst. In einer leidenschaftlichen antideutschen Aussprache im Unterhaus am 13. April, gegen die deutscherseits amtlich Beschwerde erhoben wurde, hielt Winston Churchill eine Rede, in der er die Gerechtigkeit des Versailler Vertrages verteidigte. Er erklärte sich gegen die deutsche Gleichberechtigung in der Rüstung und malte das Schreckgespenst eines nahen Krieges an die Wand. Auch der Premierminister MacDonald sprach sich am 16. Mai unfreundlich gegen Deutschland aus.

Der Führer ließ sich durch diese Verdächtigungen nicht irre machen. Er ging zielbewußt seinen Weg, Deutschland die Gleichberechtigung zu gewinnen, weiter. In seiner Reichstagsrede vom 17. Mai brachte er die Kriegsgerüchte zum Schweigen und gab einen unmißverständlichen Beweis seines Friedenswillens. Er legte die Berechtigung der deutschen Forderungen dar, bekannte sich erneut zum Gedanken der Abrüstung auf der Grundlage des MacDonald-Plans und zeigte Wege zu ihrer praktischen Verwirklichung.


 
 2. 
Aus der Reichstagsrede des Führers vom 17. Mai 1933

Deutschland wäre auch ohne weiteres bereit, seine gesamte militärische Einrichtung überhaupt aufzulösen und den kleinen Rest der ihm verbliebenen Waffen zu zerstören, wenn die anliegenden Nationen ebenso restlos das gleiche tun. Wenn aber die anderen Staaten nicht gewillt sind, die im Friedensvertrag von Versailles auch sie verpflichtende Abrüstung durchzuführen, dann muß Deutschland zumindest auf der Forderung seiner Gleichberechtigung bestehen.

Die deutsche Regierung sieht in dem englischen Plan eine mögliche Grundlage für die Lösung dieser Frage. Sie muß aber verlangen, daß ihr nicht die Zerstörung einer vorhandenen Wehreinrichtung aufgezwungen wird ohne die Zubilligung einer zumindest qualitativen Gleichberechtigung. Sie muß weiter fordern, daß eine Umwandlung der heutigen von Deutschland nicht gewünschten, sondern uns einst vom Auslande auferlegten Heereseinrichtung Zug um Zug erfolgt, im [19] Maße der tatsächlichen Abrüstung der anderen Staaten. Dabei erklärt sich Deutschland im wesentlichen damit einverstanden, eine Übergangsperiode von fünf Jahren für die Herstellung seiner nationalen Sicherheit anzunehmen, in der Erwartung, daß nach dieser Zeit die wirkliche Gleichstellung Deutschlands mit den anderen Staaten erfolgt.

Deutschland ist ferner ohne weiteres bereit, auf die Zuteilung von Angriffswaffen dann überhaupt Verzicht zu leisten, wenn innerhalb eines bestimmten Zeitraumes die Rüstungsnationen ihrerseits diese Angriffswaffen ebenfalls vernichten und durch eine internationale Konvention die weitere Anwendung verboten wird.

Deutschland hat nur den einzigen Wunsch, seine Unabhängigkeit bewahren und seine Grenzen schützen zu können. Nach dem Ausspruch des französischen Kriegsministers im Februar 1932 werden die zum großen Teil farbigen Überseestreitkräfte sofort in Frankreich selbst verwendet. Er rechnet sie deshalb ausdrücklich zu den Heimatstreitkräften. Es entspricht daher nur der Gerechtigkeit, diese Streitkräfte bei der Lösung dieser Frage zu berücksichtigen. Es widerspricht der Gerechtigkeit, militärisch völlig ausgebildete Reservisten während ihres Urlaubs nicht in Anrechnung zu bringen, aber Polizeikräfte, die nur für Polizeizwecke bewaffnet und ausgebildet sind, für Deutschland der Heeresstärke zuzuzählen. Gänzlich aber unmöglich ist es, Verbände, die allein politischen oder volkserzieherischen oder sportlichen Zwecken dienen, überhaupt keine militärische Ausbildung genießen und keine militärische Ausrüstung besitzen, in Deutschland auf die Heeresstärke anzurechnen, in anderen Ländern aber überhaupt nicht zu sehen!

Demgegenüber würde sich Deutschland jederzeit bereit erklären, im Falle einer gegenseitigen internationalen Kontrolle der Rüstungen bei gleicher Bereitwilligkeit der anderen Staaten die angeführten Verbände dieser Kontrolle mit zu unterstellen, um ihren vollständig unmilitärischen Charakter eindeutig vor aller Welt zu beweisen. Dabei wird die deutsche Regierung kein Waffenverbot als zu einschneidend ablehnen, wenn es auf alle Mächte Anwendung findet. Soweit indes Waffen anderen Mächten gestattet bleiben, können die Waffen der Verteidigung Deutschland allein nicht für alle Zukunft verboten werden. Wir sind dabei bereit, von dieser unserer Gleichberechtigung nur in einem durch Verhandlungen festzustellenden Umfange Gebrauch zu machen.

Alle diese Forderungen beinhalten nicht eine Aufrüstung, sondern ausschließlich nur ein Verlangen nach Abrüstung der anderen Staaten.

Ich begrüße dabei noch einmal namens der deutschen Regierung den weitausschauenden und richtigen Plan des italienischen Staatschefs, durch einen besonderen Pakt ein engeres Vertrauens- und Arbeitsverhältnis der vier europäischen Großmächte: England, Frankreich, Italien und Deutschland, herzustellen. Der Auffassung Mussolinis, daß damit die Brücke zu einer leichteren dauernden Verständigung geschlagen werden könnte, stimmt die deutsche Regierung aus innerster Überzeugung zu. Sie wird das äußerste Entgegenkommen zeigen, so- [20] fern auch die anderen Nationen zu einer wirklichen Überwindung etwa entgegenstehender Schwierigkeiten geneigt sind.

Der Vorschlag des amerikanischen Präsidenten Roosevelt, von dem ich heute nacht Kenntnis erhielt, verpflichtet desgleichen die deutsche Regierung zu warmem Danke. Sie ist bereit, dieser Methode zur Behebung der internationalen Krise zuzustimmen, denn auch sie ist der Auffassung, daß ohne die Lösung der Abrüstungsfrage auf die Dauer kein wirtschaftlicher Wiederaufbau denkbar ist. Sie ist bereit, sich an diesem Werk der Inordnungbringung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Welt uneigennützig zu beteiligen. Sie ist, wie ich schon eingangs betonte, ebenso überzeugt, daß es heute nur eine große Aufgabe geben kann, den Frieden der Welt zu sichern.

Sie erkennt auch ohne weiteres an die Richtigkeit der für die heutigen Rüstungen unter anderem verantwortlichen Gründe. Allein ich fühle mich doch verpflichtet, festzustellen, daß der Grund für die heutigen Rüstungen Frankreichs oder Polens unter keinen Umständen die Furcht dieser Nationen vor einer deutschen Invasion sein kann; denn diese Furcht hätte ihre Berechtigung ja nur im Vorhandensein jener modernen Angriffswaffen auf der anderen Seite, die erheblich stärker sind als die Mittel der modernen Verteidigung. Gerade diese modernen Angriffswaffen aber besitzt ja Deutschland überhaupt nicht - weder schwere Artillerie noch Tanks, noch Bombenflugzeuge, noch Giftgase! Die einzige Nation, die mit Recht unter der Furcht vor einer Invasion leiden könnte, ist die deutsche, der man nicht nur die Angriffswaffen verbot, sondern sogar das Recht auf Verteidigungswaffen beschnitt, ja selbst die Anlage von Grenzbefestigungen untersagte.

Deutschland ist nun jederzeit bereit, auf Angriffswaffen zu verzichten, wenn auch die übrige Welt ihrer entsagt. Deutschland ist bereit, jedem feierlichen Nichtangriffspakt beizutreten; denn Deutschland denkt nicht an einen Angriff, sondern an seine Sicherheit!

Deutschland würde in der Verwirklichung des großherzigen Vorschlages des amerikanischen Präsidenten, die mächtigen Vereinigten Staaten als Friedensgaranten in Europa einzuschieben, eine große Beruhigung für alle die erblicken, die sich aufrichtig zum Frieden bekennen.

Wir haben aber keinen sehnlicheren Wunsch als den, beizutragen, daß die Wunden des Krieges und des Versailler Vertrages endgültig geheilt werden, und Deutschland will dabei keinen anderen Weg gehen als den, der durch die Verträge selbst als berechtigt anerkannt wird. Die deutsche Regierung wünscht, sich über alle schwierigen Fragen politischer und wirtschaftlicher Natur mit den anderen Nationen friedlich und vertraglich auseinanderzusetzen. Sie weiß, daß jeder militärische Akt in Europa auch im Falle seines vollständigen Gelingens, gemessen an seinen Opfern, in keinem Verhältnis steht zum möglichen endgültigen Gewinn.

Die deutsche Regierung und das deutsche Volk werden sich aber unter keinen Umständen zu irgendeiner Unterschrift nötigen lassen, [21] die eine Verewigung der Disqualifizierung Deutschlands bedeuten würde.

Der Versuch, dabei durch Drohungen auf Regierung und Volk einzuwirken, wird keinen Eindruck zu machen vermögen.

Es ist denkbar, daß man Deutschland gegen jedes Recht und gegen jede Moral vergewaltigt; aber es ist undenkbar und ausgeschlossen, daß ein solcher Akt von uns selbst durch eine Unterschrift Rechtsgültigkeit erhalten könnte.

(Verhandlungen des Reichstags, Bd. 457, S. 52f.)

Die Rede vom 17. Mai 1933 hat die internationale Lage erheblich entspannt. Der Hauptausschuß der Abrüstungskonferenz, die bereits sechzehn Monate tagte, nahm seine zeitweilig unterbrochenen Beratungen wieder auf. Aber nur langsam und schleppend wurde die erste Lesung des englischen Planes beendet. Die Sicherheitsfrage (europäische Gewaltverzichtserklärung und europäischer Hilfeleistungspakt) schob sich wieder dazwischen. In den Unterausschüssen führte der Widerstand Frankreichs und seiner Verbündeten zu langwierigen und scharfen Auseinandersetzungen. Englands Haltung war zwiespältig. Seine Vertreter haben sich ohne Nachdruck für den Plan ihres Premiers eingesetzt. Es beginnt bereits die Linie, die dann zu seiner Preisgabe durch die englische Regierung führen sollte. Statt sofort die zweite entscheidende Lesung folgen zu lassen, hat sich der Hauptausschuß am 29. Juni bis zum 16. Oktober vertagt, angeblich um die festgefahrene Konferenz durch direkte Verhandlungen zwischen den Regierungen wieder flottzumachen. Der deutsche Vertreter hatte sich der Vertagung verständlicherweise widersetzt. Der französische Vertreter hatte sich bereits für die Durchführung der zu beschließenden Abrüstungsmaßnahmen eine "notwendige Probezeit" vorbehalten. Davon war im MacDonald-Plan nichts enthalten gewesen. Frankreich wollte ihn zu seinen Gunsten umgestalten, wollte Deutschland erneut einer diskriminierenden Sonderkontrolle unterwerfen und dadurch Deutschlands Gleichberechtigung hintertreiben. Die Verhandlungspause gab Frankreich den Spielraum dazu. Ebenso hatte Frankreich damals den von Mussolini vorgeschlagenen Viererpakt entwertet. England hat das alles schließlich hingenommen und mitgemacht.

Die allgemeine Stimmung des Mißtrauens und der Feindseligkeit hatte sich in England seit Beginn des Jahres kaum gewandelt, ja war eher noch gewachsen. Am 26. Mai hatte der Außenminister Simon wieder mit Hinblick auf das Reich von der Krankheit der Mächtebeziehungen orakelt. Die Lage in Europa müsse sich bessern, Zusammenarbeit an die Stelle des Argwohns treten. Am 5. Juli verbreitete er sich im Unterhaus über die deutsche Innenpolitik. Deutscherseits wurde dazu amtlich durch WTB. energisch Stellung genommen. England glaubte sich berechtigt, hiergegen durch seinen Geschäftsträger in Berlin offiziell Protest zu erheben. Im Auswärtigen Amt wurde dieser aber als unbegründet abgelehnt. Der Vorfall ist symptomatisch für die damaligen Beziehungen.


[22]
 3. 
Aufzeichnung des Leiters der England-Abteilung im Auswärtigen Amt, Ministerialdirektor Dieckhoff, vom 10. Juli 1933

Der englische Geschäftsträger suchte mich heute auf und teilte mit, er sei von Sir John Simon beauftragt, dem Herrn Reichsminister eine Mitteilung zu überbringen, deren Wortlaut er mir vorlas.

Ich habe Mr. Newton geantwortet, daß ich selbstverständlich die message von Sir John Simon dem Herrn Reichsminister unterbreiten würde, ich glaubte, ihm aber schon jetzt die Antwort des Herrn Reichsministers mitteilen zu können, da der Herr Reichsminister, dem die bevorstehende Beschwerde bereits am Freitag von unserer Botschaft in London angekündigt worden sei, mich noch vor seiner Abreise mit Weisung versehen habe. Unser Standpunkt sei folgender: So sehr wir verstünden, daß bei einer Debatte über den auswärtigen Etat im Unterhaus auch deutsche Fragen diskutiert würden, so nähmen wir doch an der Art und Weise, wie dies in der Sitzung vom 5. Juli durch die meisten Abgeordneten geschehen sei, Anstoß und erblickten hierin eine Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten. Sir John Simon habe sich in seiner die Debatte zusammenfassenden Rede (deren wörtliche Vorlesung ich Herrn Newton nicht ersparte) mit dem Inhalt der Reden der Abgeordneten identifiziert, und wir müßten daher auch in seiner Rede eine Einmischung in unsere internen Dinge erblicken. Trotzdem hätten wir in dem Bestreben, die durch die immer wieder, übrigens ganz einseitig aus England nach Deutschland herüberklingenden unfreundlichen Töne verschlechterten deutsch-englischen Beziehungen nicht noch mehr verschlechtern zu lassen, die deutsche Presse gebeten, in ihren Kommentaren zur Debatte und zur Rede von Sir John Simon möglichst zurückhaltend zu sein. So sei die Anmerkung des WTB. entstanden, die, wie Mr. Newton sicher zugeben werde, in durchaus ruhigem Tone abgefaßt sei und nichts enthalte was "inflammatory" wirken könnte.

Was den Passus über die halb verhungerten Menschen anlange, so sei in dem Kommentar des WTB. nicht behauptet, daß Sir John Simon diese Bemerkung getan habe; Sir John Simon habe aber, als Herr Lansbury die Anfrage wegen der hungernden Frauen und Kinder in Deutschland (vgl. S. 349 des Hansard) an ihn richtete und im späteren Verlauf der Debatte in einer zweiten Ansprache von den vielen Menschen sprach, die in Deutschland halb verhungert leben (vgl. S. 453 des Hansard), die Anfrage nicht abgelehnt, sondern habe sich durch die Wendung "I appreciate the importance of the suggestion" gewissermaßen mit ihr identifiziert.

Das von beiden Seiten in freundschaftlichem Ton geführte Gespräch endete damit, daß ich Mr. Newton sagte, hier würde es - wie schon mehrfach besprochen - sehr begrüßt werden, wenn nicht nur die Parlamentsdebatten, sondern auch die sich immer wiederholenden Protestversammlungen, die vielen kritischen Reden und Zeitungsartikel über die inneren deutschen Dinge in England allmählich auf- [23] hörten und wenn die englische Öffentlichkeit sich diesen Fragen gegenüber dieselbe Reserve auferlegen würde, die sie z. B. bei den Vorgängen in den Vereinigten Staaten, auch wenn sie ihnen innerlich noch so kritisch gegenübersteht, zu beobachten pflege. Gerade die englische öffentliche Meinung verstehe es, in solchen Fragen eine bemerkenswerte Disziplin zu üben, wenn sie nur wolle.

Zum Schluß sagte ich Herrn Newton, daß von uns aus über seine Demarche nichts veröffentlicht werden würde. Sollte sich aber die Presse oder das Unterhaus mit diesem Protestschritt beschäftigen, so würden wir gezwungen sein, zu erklären, daß wir den Protest als unbegründet abgelehnt hätten.

Dieckhoff
(Aus den Akten des Auswärtigen Amtes.)

Nach der Vertagung der Abrüstungskonferenz trat deren Präsidium zum erstenmal am 9. Oktober wieder zusammen. Inzwischen hatten sich die beiden Westmächte auf eine neue Verhandlungsgrundlage geeinigt, die einer Sabotage des MacDonald-Plans gleichkam. Während des Sommers war von Paris und London gegen das nationalsozialistische Deutschland ein heftiger Pressefeldzug geführt worden. Die These von dem Unruhestifter und Friedensstörer Deutschland gab den Westmächten den Vorwand, jede unmittelbare Abrüstungsmaßnahme zu verweigern. Durch vierjährige Rüstungskontrolle, die formell als "allgemein" bezeichnet wurde, praktisch jedoch als einseitige Kontrolle Deutschlands verstanden war, sollte das nötige Vertrauen hergestellt und erst nach dieser Bewährungsfrist mit der tatsächlichen Abrüstung der hochgerüsteten Staaten begonnen werden. Das war für Deutschland unannehmbar. Der Reichsminister des Auswärtigen, Freiherr von Neurath, brachte in einer Rede vom 15. und in einem Interview vom 21. September 1933 den deutschen Standpunkt klar zum Ausdruck. Auf der Völkerbundversammlung, die am 25. September begann, äußerte sich die wachsende Deutschfeindlichkeit. Am 6. Oktober notifizierte die Reichsregierung der englischen und italienischen Regierung noch einmal, daß sie am MacDonald-Plan festhalte und bereit sei, die Reichswehr in ein kurzdienendes 200 000-Mann-Heer umzuwandeln. Aber England hatte seine Schwenkung zum französischen Standpunkt bereits vollzogen. Am 14. Oktober ersetzte der englische Außenminister Simon den alten Plan durch einen eigenen neuen. Wieder verwies er auf die "gegenwärtige ungeklärte Lage Europas" und auf "das neuerdings so heftig erschütterte Vertrauen". Außerdem eignete er sich den französischen Vorschlag an. Deutschland wurde die Gleichberechtigung verweigert. Es sollte einer neuen demütigenden Kontrolle unterworfen und die Abrüstung sollte um vier Jahre vertagt werden. England trifft somit die historische Schuld, die Abrüstung zunichte gemacht zu haben. Durch Englands Schachzug wurde den Verhandlungen zwischen dem abgerüsteten Deutschland und seinen hochgerüsteten Weltkriegsgegnern jede tragfähige Grundlage entzogen. Mochte die britische Regierung dann auch noch mehrere Monate lang sich den Anschein geben, als sei ihr ehrlich an Abrüstungsverhandlungen gelegen, so hatte sie durch diese Preisgabe des MacDonald-Planes offen dokumentiert, daß sie im Grunde eine Ab- [24] rüstung nicht wollte. Daraufhin schied Deutschland aus der Abrüstungskonferenz aus und kündigte seine Mitgliedschaft beim Völkerbund. Die Reichsregierung wandte sich mit einem Aufruf an das deutsche Volk und legte ihm die Gründe dar.


 4. 
Aufruf der Reichsregierung vom 14. Oktober 1933 zum Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund   (Vgl. auch hier.)

Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind sich einig in dem Willen, eine Politik des Friedens, der Versöhnung und Verständigung zu betreiben als Grundlage aller Entschlüsse und jeden Handelns.

Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk lehnen daher die Gewalt als ein untaugliches Mittel zur Behebung bestehender Differenzen innerhalb der europäischen Staatengemeinschaft ab.

Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk erneuern das Bekenntnis, jeder tatsächlichen Abrüstung der Welt freudig zuzustimmen mit der Versicherung der Bereitwilligkeit, auch das letzte deutsche Maschinengewehr zu zerstören und den letzten Mann aus dem Heere zu entlassen, insofern sich die anderen Völker zum gleichen entschließen.

Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk verbinden sich in dem aufrichtigen Wunsch, mit den anderen Nationen einschließlich aller unserer früheren Gegner im Sinne der Überwindung der Kriegspsychose und zur endlichen Wiederherstellung eines aufrichtigen Verhältnisses untereinander alle vorliegenden Fragen leidenschaftslos auf dem Wege von Verhandlungen prüfen und lösen zu wollen.

Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk erklären sich daher auch jederzeit bereit, durch den Abschluß kontinentaler Nichtangriffspakte auf längste Sicht den Frieden Europas sicherzustellen, seiner wirtschaftlichen Wohlfahrt zu dienen und am allgemeinen kulturellen Neuaufbau teilzunehmen.

Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind erfüllt von der gleichen Ehrauffassung, daß die Zubilligung der Gleichberechtigung Deutschlands die unumgängliche moralische und sachliche Voraussetzung für jede Teilnahme unseres Volkes und seiner Regierung an internationalen Einrichtungen und Verträgen ist.

Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind daher eins in dem Beschlusse, die Abrüstungskonferenz zu verlassen und aus dem Völkerbund auszuscheiden, bis diese wirkliche Gleichberechtigung unserem Volke nicht mehr vorenthalten wird.

Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind entschlossen, lieber jede Not, jede Verfolgung und jegliche Drangsal auf sich zu nehmen, als künftighin Verträge zu unterzeichnen, die für jeden Ehrenmann und für jedes ehrliebende Volk unannehmbar sein müssen, [25] in ihren Folgen aber nur zu einer Verewigung der Not und des Elends des Versailler Vertragszustandes und damit zum Zusammenbruch der zivilisierten Staatengemeinschaft führen würden. Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk haben nicht den Willen, an irgendeinem Rüstungswettlauf anderer Nationen teilzunehmen; sie fordern nur jenes Maß an Sicherheit, das der Nation die Ruhe und Freiheit der friedlichen Arbeit garantiert. Die Deutsche Reichsregierung und das deutsche Volk sind gewillt, diese berechtigten Forderungen der deutschen Nation auf dem Wege von Verhandlungen und durch Verträge sicherzustellen.

(WTB. vom 14. Oktober 1933.)

Der deutsche Schritt vom 14. Oktober 1933 rief in der internationalen Presse einen Sturm der Entrüstung hervor: Deutschland, nicht, wie es in Wahrheit der Fall war, England, habe die Abrüstungskonferenz, ja die ganze Abrüstung sabotiert, um ungehindert aufrüsten zu können und um sich zu einem neuen Kriege vorzubereiten. Dem sind der Führer selbst und Reichsaußenminister von Neurath noch mehrfach im Wahlkampf zur Volksabstimmung und Reichstagswahl vom November 1933 entgegengetreten: Deutschland kämpfe nicht um Eroberungen, sondern um sein Lebensrecht, um Sicherheit und Gleichberechtigung.

Wie stellte sich England zur neuen Lage? Außenminister Simon erläuterte am 17. Oktober in einer Rundfunkansprache und am 7. November während der außenpolitischen Debatte des Unterhauses den Standpunkt der Regierung. Er zeigte dabei ein gewisses formelles Entgegenkommen und eine Distanzierung von Frankreich. "Wir Engländer verstehen Deutschlands Gefühle gut." Dennoch blieb Deutschland für England der einzige Schuldige.


 5. 
Aus der Unterhausrede des britischen Außenministers
Sir John Simon vom 7. November 1933

Warum verstimmten Deutschland diese Vorgänge? Wir müssen uns in die deutschen Gefühle hineindenken, was immer sie auch getan haben. Wir müssen begreifen, warum Deutschland diese Erbitterung zur Schau getragen hat. Dieser ganze Zeitaufwand, der zu keinem Ergebnis führte, war nicht nur schmerzlich, sondern er mußte auch Deutschland immer ungeduldiger machen. Wir alle besitzen genügend gesunden Menschenverstand und Einsicht dafür, daß man sich nicht darüber zu wundern braucht...

Heute handelt es sich nur noch um die politische Frage, wie Deutschlands Forderung nach Gleichberechtigung und Frankreichs Wunsch nach Sicherheit miteinander in Einklang gebracht werden können. Dies ist ein schwieriges Problem. Auf der einen Seite steht die Erinnerung an eine frühere Invasion und die daraus entstandene [26] Furcht, auf der anderen Seite die Erinnerung an die Niederlage und die Erbitterung über die dadurch erlittene Demütigung. Keines dieser beiden Gefühle kann unnatürlich genannt werden. Deshalb ist die Politik Großbritanniens darauf gerichtet gewesen, keines der beiden Argumente zu leugnen oder zu verkleinern, sondern sich um eine Versöhnung zwischen ihnen zu bemühen...

So bedauerlich auch Deutschlands jüngster Schritt ist und so ungerechtfertigt er auch erscheint, ist dies doch kein Grund dafür, die Tür, die Deutschland ins Schloß geworfen hat, als abgeriegelt und versperrt zu betrachten.

Großbritannien wird jede vorhandene Möglichkeit benützen, um mit Deutschland ebenso wie mit den anderen Mächten in Fühlung zu bleiben.

(E: Parliamentary Debates. House of Commons. Bd. 281, Sp. 46f., 58, 62f. - D: Der Völkerbund, Nr. 83/84, S. 9f.)

Die Reichstagswahl vom 12. November 1933 erbrachte ein einmütiges Bekenntnis des deutschen Volkes zur Außenpolitik der Reichsregierung. Bereits Ende Oktober hatte Adolf Hitler neue diplomatische Verhandlungen zur Durchsetzung des deutschen Standpunktes in der Rüstungsfrage begonnen. Bei ihm lag die Initiative. Er wollte kein uferloses Wettrüsten, sondern durch Verhandlungen eine maßvolle Begrenzung. Wieder wandte er sich mit seinem Angebot zunächst an England und Italien. Bei England konnte angenommen werden, daß es zwischen Deutschland und Frankreich vermitteln würde. Die Besprechungen dienten der Erklärung der deutschen Forderungen und Ziele. Sie wurden zusammengefaßt in der Denkschrift der Reichsregierung vom 18. Dezember. Nach der Jahreswende gingen die Rüstungsbesprechungen weiter.


 6. 
Denkschrift der Reichsregierung vom 18. Dezember 1933
über die Rüstungs- und Gleichberechtigungsfrage

I.

Die Deutsche Regierung vermag angesichts der Haltung, die die hochgerüsteten Staaten, insbesondere Frankreich, in den Genfer Abrüstungsverhandlungen eingenommen haben, leider nicht den Glauben zu teilen, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt mit einer ernsthaften Durchführung der allgemeinen Abrüstung gerechnet werden kann. Sie ist überzeugt, daß die Wiederaufnahme von neuen Bemühungen in dieser Richtung ebenso ergebnislos bleiben würde, wie die seitherigen jahrelangen Verhandlungen. Sollte diese Befürchtung nicht zutreffen, so würde dies niemand mehr begrüßen als die Deutsche Regierung.

Ohne die vielen Gründe im einzelnen zu untersuchen, die für die Auffassung der Deutschen Regierung sprechen, wird man an zwei wesentlichen Tatsachen nicht vorbeigehen können: [27]

  1. Eine Herabsetzung der Rüstungen der anderen europäischen Staaten ist praktisch nur denkbar, wenn sie von allen Nationen der ganzen Welt übernommen wird. An die Möglichkeit einer solchen allgemeinen internationalen Abrüstung glaubt aber heute niemand mehr.
  2. Die Ereignisse der letzten Monate lassen die Wahrscheinlichkeit, in einigen Ländern eine selbst von den Regierungen ernstlich beabsichtigte Abrüstung den Parlamenten dieser Staaten mit Erfolg zur Ratifikation vorlegen zu können, mehr als zweifelhaft erscheinen.

Aus diesem Grunde glaubt die Deutsche Regierung nicht mehr länger einer Illusion nachhängen zu können, die geeignet ist, die Beziehungen der Völker untereinander eher noch mehr zu verwirren als zu verbessern. Sie glaubt daher unter Berücksichtigung der konkreten Wirklichkeit folgendes feststellen zu müssen:

  1. Deutschland hat als einziger Staat die im Friedensvertrag von Versailles festgelegte Abrüstungsverpflichtung tatsächlich durchgeführt.
  2. Die hochgerüsteten Staaten gedenken nicht abzurüsten oder fühlen sich hierzu nicht in der Lage.
  3. Deutschland hat ein Recht, auf irgendeine Weise seine Gleichberechtigung auch in bezug auf seine Sicherheit zu erlangen.

Von diesen Feststellungen ging die Deutsche Regierung aus, als sie ihren letzten Vorschlag zur Regelung des Problems machte. Der Hinweis darauf, daß Frankreich in Genf einem präzisen Abrüstungsprogramm zugestimmt habe, ändert an diesen Feststellungen nichts. Denn das Programm, an das hierbei offenbar gedacht ist, enthielt Bedingungen, die Deutschland unmöglich annehmen konnte, und die die Deutsche Regierung deshalb gezwungen haben, die Genfer Abrüstungskonferenz zu verlassen.

Falls entgegen der Überzeugung der Deutschen Regierung die anderen Nationen trotzdem zu einer vollständigen Abrüstung sich entschließen sollten, so gibt die Deutsche Regierung von vornherein ihre Bereitwilligkeit kund, einer solchen Konvention beizutreten und ebenfalls abzurüsten, wenn nötig bis zur letzten Kanone und bis zum letzten Maschinengewehr.

Sollte insbesondere Frankreich bereit sein, nach einem präzisen Abrüstungsprogramm abzurüsten, so bittet die Deutsche Regierung um zahlenmäßige Angabe der Abrüstungsmaßnahmen, die Frankreich vornehmen will (Personal, Material, Dauer der Durchführung und Zeitpunkt des Beginns, zahlenmäßige Kontrolle der Durchführung).

Die Deutsche Regierung vermag nicht einzusehen, wie die Anpassung der deutschen Rüstungen an die deutschen Sicherheitsbedürfnisse und ihre teilweise Angleichung an den Rüstungsstand der Nachbarstaaten zu einer allgemeinen Rüstungsvermehrung und zum Beginn eines Wettrüstens führen sollte. Die deutschen Vorschläge beziehen sich ausschließlich auf defensive Rüstungen. Sie sind so gemäßigt, [28] daß die Überlegenheit der französischen Rüstungen weiter bestehen bleibt. Sie schließen im übrigen deshalb jedes Wettrüsten aus, weil danach die hochgerüsteten Staaten verpflichtet werden sollen, ihre Rüstungen nicht weiter zu erhöhen.

Der Vorschlag der Deutschen Regierung geht dahin:

  1. Deutschland erhält die volle Gleichberechtigung.
  2. Die hochgerüsteten Staaten verpflichten sich untereinander, eine weitere Erhöhung ihres derzeitigen Rüstungsstandes nicht mehr vorzunehmen.
  3. Deutschland tritt dieser Konvention bei mit der Verpflichtung, aus freiem Willen von der ihm gegebenen Gleichberechtigung nur einen so maßvollen tatsächlichen Gebrauch zu machen, daß darin keine offensive Gefährdung irgendeiner anderen europäischen Macht zu sehen ist.
  4. Alle Staaten anerkennen gewisse Verpflichtungen einer humanen Kriegsführung bzw. einer Vermeidung gewisser Kriegswaffen in ihrer Anwendung gegen die zivile Bevölkerung.
  5. Alle Staaten übernehmen eine gleichmäßige allgemeine Kontrolle, die die Einhaltung dieser Verpflichtungen prüfen und gewährleisten soll.
  6. Die europäischen Nationen garantieren sich die unbedingte Aufrechterhaltung des Friedens durch den Abschluß von Nichtangriffspakten, die nach Ablauf von 10 Jahren erneuert werden sollen.
II.

Nach Vorausschickung dieser grundsätzlichen Ausführungen will die Deutsche Regierung zu einzelnen Fragen des Herrn Französischen Botschafters folgendes bemerken:

  1. Die Zahl von 300 000 Mann entspricht der Heeresstärke, die Deutschland angesichts der Länge seiner Landesgrenzen und angesichts der Heeresstärke seiner Nachbarn benötigt.
  2. Die Umwandlung der Reichswehr in ein 300 000-Mann-Heer mit kurzer Dienstzeit wird naturgemäß mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Für die Dauer der Umwandlungsperiode ist auch die finanzielle Seite von maßgebender Bedeutung.
  3. Die Zahl der Defensivwaffen, die Deutschland beansprucht, müßte der Normalbewaffnung einer modernen Verteidigungsarmee entsprechen.
  4. Das Tempo der Durchführung der Bewaffnung müßte Hand in Hand mit dem Tempo der unter Ziffer 2 behandelten Umwandlung der Reichswehr gehen.
  5. Die Deutsche Regierung ist bereit, einer internationalen, periodisch und automatisch funktionierenden allgemeinen und gleichen Kontrolle zuzustimmen.
  6. Zu welchem Zeitpunkt diese Kontrolle einzusetzen hätte, ist eine Einzelfrage, die erst entschieden werden kann, wenn eine Einigung über die Grundfragen erzielt ist. [29]
  7. Art und Charakter der SA. und SS. werden von der Umwandlung der Reichswehr in ein 300 000-Mann-Heer mit kurzer Dienstzeit nicht berührt.

Die SA. und SS. sind keine militärischen Organisationen und werden dies auch in Zukunft nicht sein. Sie sind ein unzertrennlicher Bestandteil des politischen Systems der nationalsozialistischen Revolution und damit des nationalsozialistischen Staates. Sie umfassen rund 2½ Millionen Männer vom 18. Lebensjahr bis in das höchste Alter hinein. Ihre einzige Aufgabe ist, durch diese Organisation der politischen Massen unseres Volkes eine Wiederkehr der kommunistischen Gefahr für immer zu verhindern. Ob von diesem System einmal weggegangen werden kann oder wird, hängt ab von dem Bleiben oder der Beseitigung dieser bolschewistisch-kommunistischen Gefahr. Mit militärischen Dingen haben diese dem früheren marxistischen Reichsbanner und dem kommunistischen Rotfrontbund gegenüberstehenden nationalsozialistischen Organisationen überhaupt nichts zu tun. Der Versuch, die SA. und die SS. mit dem Reichsheer in eine militärische Verbindung zu bringen, sie als militärische Ersatzformation anzusprechen, geht von jenen politischen Kreisen aus, die in der Beseitigung dieser Schutzeinrichtung des nationalsozialistischen Staates die Möglichkeit einer neuen Zersetzung des Deutschen Volkes und damit eine neue Förderung kommunistischer Bestrebungen erblicken.

Um die Eigenart der SA. und SS. als politische Organisationen einer allgemeinen geistigen und körperlichen Immunisierung gegenüber den Gefahren einer kommunistischen Zersetzung zu belegen, lehnt es die Deutsche Regierung nicht ab, bei den Kontrollen über die Durchführung der Konvention den Nachweis für die genaue Einhaltung dieser Erklärungen zu erbringen.

  1. Die Deutsche Regierung ist bereit, dem Gedanken einer Festlegung allgemeiner Bestimmungen über politische Verbände und vor- oder nachmilitärische Organisationen in den einzelnen Ländern näherzutreten.
  2. Die Beantwortung der Frage der Kontrolle dieser Organisationen in den verschiedenen Ländern ergibt sich aus dem, was am Schluß von Ziffer 7 hinsichtlich der SA. und SS. ausgeführt ist.
  3. Der Inhalt der Nichtangriffspakte, zu deren Abschluß die Deutsche Regierung mit allen Deutschland umgebenden Staaten bereit ist, ergibt sich aus der Praxis der Nachkriegszeit.
  4. Ob und inwieweit dabei im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich der im Jahre 1925 abgeschlossene Locarno-Rheinpakt zu besonderen Überlegungen Anlaß gibt, ist eine juristisch-technische Frage, die der späteren Einzelverhandlung vorbehalten bleiben kann.
  5. Die Deutsche Regierung ist jederzeit bereit, die zwischen Deutschland und Frankreich auftauchenden Streitfragen auf den hierfür am besten geeigneten Wegen gütlich zu bereinigen.
[30]
III.

Der Gedanke einer abstimmungslosen Rückgliederung des Saargebietes wurde lediglich zu dem Zwecke zur Erwägung gestellt, um, wenn möglich, die mit der Abstimmung unvermeidlich verbundene Erhitzung der öffentlichen Meinung in Deutschland und Frankreich zu umgehen und der Bevölkerung des Saargebietes die Erschütterungen durch einen Wahlkampf zu ersparen, dessen Ausgang nicht zweifelhaft sein kann. Wenn die Französische Regierung den Standpunkt einnimmt, einer abstimmungslosen Rückgliederung nicht zustimmen zu können, so betrachtet die Deutsche Regierung diese Frage damit als erledigt.

IV.

Nachdem die Deutsche Regierung nunmehr wiederholt ihre Auffassung über die Regelung der Abrüstungsfrage in aller Offenheit dargelegt hat, kann sie sich von einer Fortführung der Besprechungen nur dann einen Erfolg versprechen, wenn jetzt auch die anderen Regierungen sich unzweideutig darüber äußern, welche Stellung sie zu dem Standpunkt der Deutschen Regierung einnehmen und wie sie sich ihrerseits die Behandlung des Problems in seinen konkreten Einzelheiten denken.

(Schwendemann: Abrüstung und Sicherheit. Bd. II, S. 518ff.)

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Deutschland-England 1933-1939
Die Dokumente des deutschen Friedenswillens
Hg. von Prof. Dr. Friedrich Berber