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Polnische Thesen und deutsche Antworten

 
B. Politische Polenthesen zur Verteidigung des Korridorbesitzes

Vorbemerkung zu den politischen Polenthesen

Polens politische Thesen erklären sich folgendermaßen:

  1. Als ein abnormes, widersinniges und unhaltbares Gebilde steht der Korridor der Welt vor Augen;
          darum leugnen die Polen das Korridorproblem (21. - 23. These).

  2. Die Welt erkennt in dem Korridor immer mehr Europas größten Gefahrenherd; wenn aber Deutschland dessen friedliche Beseitigung fordert,
          dann reden die Polen von deutschen imperialistischen und kriegerischen Absichten (24. und 26. These).

  3. Die Welt überzeugt sich immer mehr davon, daß der Korridor verschwinden muß;
          darum drohen die Polen für den Fall der Revision mit Chaos und Krieg (27. und 28. These).

    [57]
  4. Deutschland beweist, daß die Rückgabe des Korridors Ruhe, Sicherheit, wirtschaftlichen Wohlstand und kulturellen Wiederaufstieg bringen wird, also dem europäischen Wiederaufbau dient;
          darum preist Polen sich selbst als europäisches Bollwerk an, dessen Haltbarkeit von dem Korridorbesitz abhänge (29. bis 31. These).


21. Polenthese:
Die Leugnung des Korridors

Die Polen sagen: Es gebe keinen "Korridor";1 was die Deutschen so bezeichneten, sei die polnische Provinz Pomorze.

Antwort: Warum hat sich der Name "Korridor" unabänderlich eingebürgert? Weil Polen das Gebiet als Zugang zum Meere gefordert und ohne Rücksicht auf den Willen der Bewohner erhalten hat. Um Polens Wunsch zu erfüllen, ist das große Deutsche Reich in zwei Teile zerrissen worden.

a) Das Wort "Korridor", das auf ein Durchgangsgebiet ohne eigenes Lebensrecht deutet, ist keine deutsche Erfindung, sondern stammt von Dmowski, dem polnischen Wortführer während der Friedensverhandlungen. Der polnische Ministerialerlaß, der dieses Wort in Polen verbietet, wird es nicht aus der Welt schaffen.

b) Pomorze und Korridor decken sich nicht. Die heutige polnische Provinz Pomorze ("Pomerellen", von den Polen auch als Polnisch-Pommern bezeichnet) entspricht etwa dem abgetretenen Teil von Westpreußen. Wir Deutschen rechnen zum eigentlichen Korridor außerdem noch den nördlichen Teil Posens, insbesondere den Netzegau mit Bromberg ("Korridor im engeren Sinne", Näheres s. S. 12 und S. 88).

c) Hat das Gebiet Korridorcharakter? Geschichte (S. 69 ff.) und Bevölkerung (S. 80 ff.) geben den Polen kein Anrecht auf den Korridor. Wirtschaftlich ist er für Polen ein Durchgangsland (namentlich für oberschlesische Erzeugnisse), hat aber keinen bedeutenden Güteraustausch mit dem eigentlichen Polen (S. 44, 47, 48).


22. Polenthese:
Die Leugnung des Problems "Korridor"

Die Polen sagen: Für Polen gebe es kein Korridorproblem.

Antwort: Für Deutschland und die übrige Welt ist das Korridorproblem vorhanden und wird immer ernster genommen. Damit existiert es auch für Polen.

[58] Die Existenz dieses Problems gibt Polen selbst durch seine Handlungen zu. Polen leugnet das Korridorproblem mit Worten, aber seine Taten beweisen das Gegenteil. Es macht wegen des Korridors die größten propagandistischen, wirtschaftlichen und militärischen Anstrengungen.

a) Die Leugnung des Korridorproblems geschieht planmäßig. Es heißt z. B. in der Anweisung für polnische Auslandsreisende:2 "Welche Antwort muß bei der geringsten Andeutung über die Korridorfrage gegeben werden? (Antwort:) Diese Frage existiert nicht."

b) Polens propagandistische Anstrengungen: Näheres siehe S. 21 ff.

c) Polens wirtschaftliche Anstrengungen: Polen rühmt sich immer wieder, daß es den deutschen Revisionsansprüchen die Investitionen und Erfolge seiner Seepolitik entgegensetzt (Bau des Hafens Gdingen und der Bahn Gdingen - Oberschlesien, planmäßige und kostspielige Lenkung des Verkehrs durch den Korridor). Vgl. S. 43.

d) Polens militärische Korridoranstrengungen: Korridor verhältnismäßig dicht mit Militär belegt; dort und an der ostpreußischen Grenze stehen mehrere "Armeekorps, mit allen modernen Waffen, Tanks und Gasgerät ausgerüstet. Dazu kommt das militärisch organisierte sogenannte Grenzwachkorps, die gleichfalls militarisierte Zollwehr und Staatspolizei, schließlich der 'zivile Grenzschutz' der militärisch organisierten Eisenbahn- und Postbeamten und der militärischen Vereine und Verbände, so daß der Korridor einem ungeheuren Kriegslager gleicht".3 Im März 1933 Verstärkung der Korridorgarnisonen.

e) Fehlleitung der polnischen Kräfte durch Korridorpolitik und Annexionismus. Vgl. S. 20, 48, 67, 69.


23. Polenthese:
Die 34 angeblichen Parallelfälle

Die Polen sagen: Der "Korridor" sei kein Unikum. "Es gebe auf der Welt mindestens 14 Gegenstücke zu der Insellage Ostpreußens, und außerdem gebe es noch auf unserem Erdball mindestens 20 Korridore",4 zusammen also mindestens 34 Parallelfälle.

Antwort: Kein Unbefangener wird in irgendeinem Atlas ein Gegenstück zu dem polnischen Korridor finden. Durch den polnischen Korridor ist ein eng zusammengewachsenes, hochentwickeltes Staats- und Wirtschaftsgebiet in zwei räumlich voneinander getrennte Teile zerschnitten worden; der abgetrennte Teil (Ostpreußen) hat über [59] 2 Millionen Einwohner und ist etwa so groß wie Holland oder die Schweiz. Das gibt es nur einmal in der Welt.

Unter den 34 angeblichen Parallelfällen, die die polnischen Forscher gefunden haben, sind keine mit dem zerrissenen deutschen Osten vergleichbar. Von Interesse sind höchstens die beiden folgenden:

a) Die Kanalzone von Panama besteht aus einem Streifen von je 8 km zu beiden Seiten des Kanals (1400 qkm mit zur Zeit 40 000 Einwohnern). Die Republik Panama (470 000 meist farbige Einwohner) trat dieses Gebiet 1904 an die U.S.A. gegen eine Zahlung von 10 Millionen Dollar und jährlich 250 000 Dollar ab. Die Amerikaner, die dieses tropische Fiebergebiet erst saniert haben, beanspruchen in den beiden Städten Colon und Panama nur die Regelung des Gesundheitswesens und der Quarantäne.

b) Alaska, ein menschenleeres Gebiet von 1,5 Millionen qkm mit zur Zeit 60 000 Einwohnern, haben die U.S.A. 1867 von Rußland gekauft. Schon damals lag der westliche Teil Kanadas zwischen den U.S.A. und Alaska.

c) Unter den sonstigen 32 Beispielen sind erstens 10 bloße Enklaven, ja Liliputenklaven, nämlich das belgische Baer-le-Duc in Holland, das italienische Zara in Jugoslavien, das deutsche Büsingen und das italienische Campione in der Schweiz, das spanische Llivia in Frankreich, das portugiesische Cabinda unweit der Kongomündung, das spanische Ifni im französischen Marokko, das japanische Dairen in der Mandschurei, das portugiesische Tulang-ikan auf Timor, das bolivianische Capabanca in Peru; ferner 2 Sonderfälle: das südliche holländische Seeland, abgetrennt nicht durch fremdes Gebiet, sondern durch einen Scheldearm, und - als letztes "Ostpreußen" - der argentinische Teil der Hauptinsel des Feuerlands.
      Die weiteren 20 polnischen Beispiele sind vollends sinnlos; sie betreffen Stellen, an denen eine Eisenbahn eine Strecke über fremdes Gebiet führt, ohne daß etwa dort ein Staat in zwei Teile zerschnitten wird.

d) Es gibt kein Gegenstück zum Korridor, wohl aber mehr als ein Dutzend Staaten, die ohne einen territorialen Zugang zum Meere auskommen (vgl. S. 40).


24. Polenthese:
Der Vorwurf des Imperialismus

Die Polen sagen: Der "Korridor" sei ein Hindernis für Deutschlands aus der Geschichte bekannten "Drang nach dem Osten" und mache die Verwirklichung seines Traums von dem deutschen Mitteleuropa unmöglich: das sei der wahre Grund der deutschen Korridorbeschwerden. Deutschland wolle den "Korridor" wiedergewinnen, um Polen seine politische Selbständigkeit zu nehmen und sich eine unmittelbare Verbindung mit Rußland zu schaffen.

[60] Antwort: Das Verlangen nach einem einheitlichen geschlossenen Staatsgebiet gehört zu den ersten und natürlichsten Trieben jedes selbstbewußten Volkes. Darum ist es Zynismus, wenn jemand diesem Wunsch andere Beweggründe unterschiebt. Es ist doppelter Zynismus, wenn das gerade die Polen tun, durch deren Korridor ja das deutsche Gebiet zerrissen wird.

Die deutsche Forderung versteht jeder nationalbewußte Ausländer. Würde man den Franzosen, Engländern, Italienern oder Amerikanern ihr Gebiet durch einen Korridor in zwei Teile zerschneiden, so würden sie nicht eher ruhen, als bis sie sich wieder ein geschlossenes Staatsgebiet geschaffen hätten (vgl. Karten S. 8, 11).

a) Deutschlands angeblicher Imperialismus: Das abgerüstete und mit tausend Problemen ringende Deutschland hat andere Sorgen als die Annexion fremder Gebiete und die Unterjochung anderer Völker. Das Streben, die Geschlossenheit seines Staatsgebiets wiederherzustellen und mit dem Korridorgebiet ein altes deutsches Kulturland wiederzugewinnen, ist kein Imperialismus. Vgl. Hitlers Erklärung auf S. 14.

b) Deutschlands "Drang nach dem Osten": Eine territoriale deutsche Expansion nach dem Osten hat seit dem Mittelalter nicht mehr stattgefunden, wenn man von dem Habsburgischen Reich und dem Zwischenfall der polnischen Teilungen absieht, die sich aus der inneren Zersetzung des alten polnischen Staatswesens ergaben(vgl. S. 76 und S. 141 f.).
      Anders Polen. Das alte Polen hat sich bis in die Nähe Petersburgs und Moskaus und an die Ufer des Schwarzen Meeres ausgedehnt, und das neue Polen hat sich wie überall, so ganz besonders im Osten große Gebiete mit nichtpolnischer Bevölkerung einverleibt. Und es gefährdet gleichzeitig den Frieden durch seinen "Drang nach dem Westen", über den im 2. Teil Einzelheiten gebracht wurden (S. 21 ff.).

c) Polens politische Selbständigkeit würde durch den Verlust des Korridors nicht gefährdet. (Vgl. S. 44 und 68 ff.).


25. Polenthese:
Beteuerung friedlicher Absichten

Die Polen sagen in der Auslandspropaganda: Polen wünsche nur eine Politik des Friedens. Die ostpreußische Frage könne durch eine Zollunion Ostpreußens mit Polen gelöst werden;5 die Danziger würden schließlich selbst erkennen, daß ihr Wohlergehen von einer engen Verbindung mit Polen abhänge.

Antwort: Nur mit militärischer Gewalt könnte Polen Danzig und Ostpreußen annektieren. Daß es mit anderen Mitteln nicht möglich ist, wird bewiesen durch die Geschichte des Versailler Friedens [61] und der ganzen Nachkriegszeit. Polen ist heute von der Erreichung seiner Ziele weiter entfernt als je. Wenn trotzdem die innerpolitische Annexionspropaganda weitergeht, so deutet das nicht auf friedliche Ziele, ebensowenig wie die weltbekannten Zwischenfälle der Jahre 1932 und 1933. (S. 24.)

a) Selbst in Versailles, in einer Atmosphäre, in der noch die Kriegspsychose nachwirkte, haben die Großmächte es abgelehnt, den Polen Danzig und Ostpreußen zu geben und damit weitere Millionen Deutscher der polnischen Willkür auszuliefern. (Vgl. S. 21 und S. 81.) Sie haben seitdem ihren Standpunkt nicht geändert. Dagegen überzeugt sich das Ausland immer mehr von der Notwendigkeit, den Korridor zu beseitigen (vgl. S. 9).

Ein polnischer Aufteilungsplan.
[61]      Abb. 9: Ein polnischer Aufteilungsplan.
(Ostpreußens Zukunft nach der polnischen Denkschrift von "Consulibus".)
b) Die polnische amtlich begünstigte Annexionspropaganda: Näheres siehe S. 23 ff. und S. 110. Vgl. auch die Äußerungen z. B. von Srokowski, [62] St. Grabski, Consulibus, Lalicki u. a. auf S. 24, 110, 123, 128. Vgl. auch die polnischen aggressiven Thesen betreffend Danzig (S. 110), Ostpreußen (S. 123) und Hinterpommern nebst Grenzmark (S. 132). Polen hat den Abstimmungsergebnissen von 1920 in Masuren und dem Bezirk Marienwerder seine Anerkennung verweigert (vgl. S. 88 unter b.)

c) Die Unterminierung Danzigs und Ostpreußens. Anstatt der abgetrennten Provinz Ostpreußen und dem Freistaat Danzig die Folgen der Versailler Regelung durch entsprechende wirtschaftliche Maßnahmen zu erleichtern und unfühlbar zu machen, hat Polen den Gesamtapparat seiner Wirtschafts-, Bahntarif- und Zollpolitik gegen Danzig und Ostpreußen gerichtet. Die systematischen Bemühungen, die polnischen Rechte gegenüber Danzig zu erweitern und die Danziger Bevölkerung durch Schmälerung der wirtschaftlichen Existenz zur Unterwerfung reif zu machen (bis nach einem polnischen Wort "auf den Straßen Danzigs das Gras wächst"), haben zu unaufhörlichen Streitfällen vor dem Völkerbund geführt (vgl. S. 97). Erschwerung der Verbindung Ostpreußens mit dem Reich siehe S. 49. Schädigung Ostpreußens durch Bahntarife u. a. siehe S. 117 f. Aber durch polnische Schikanen wird sich die Bevölkerung Ostpreußens und Danzigs niemals zum Anschluß an Polen pressen lassen.


26. Polenthese:
Revision und Krieg

Die Polen sagen: "Wer von der Rückgabe Pomerellens an Deutschland spreche, trachte bewußt danach, kriegerische Konflikte hervorzurufen". Deutschland gefährde durch seine Revisionsabsichten den Frieden.

Antwort: Die Ausländer - Engländer, Amerikaner, Italiener, ja sogar Franzosen -, die sich nach dem Studium der Tatsachen für die Rückgabe des Korridorgebiets einsetzen, sind über den Verdacht kriegerischer Absichten erhaben.

Und die Deutschen? Sie sind die Leidtragenden der abnormen und unerträglichen Korridorregelung; ihnen verübelt es niemand außer den Polen, daß sie nach einer Änderung streben. Die Deutschen wollen die friedliche Revision, die sogar im Versailler Vertrag selbst vorgesehen ist, und zwar in Artikel 19 der Völkerbundssatzung, die den I. Teil des Vertrages bildet. Die geschichtliche Entwicklung schreitet nach dem Kriege sehr rasch fort. Sie hat bereits die Reparationen bis auf einen kleinen Teil aus der Welt geschafft. Sie wird auch den Korridor als so gefährlich und schädlich für alle Völker dartun, daß er beseitigt werden wird. Die deutsche Generation, die den Weltkrieg erlebt hat, wünscht jedenfalls keinen neuen Krieg.

Nicht die Anhänger der Revision schaffen Kriegsgefahr, sondern die Versailler Korridorregelung selbst gefährdet den Frieden, denn sie erhöht den Appetit der Polen nach weiterem deutschen Land.

[63] Es ist typisch, daß Polen die friedliche Revision nicht nur ablehnt, sondern sie sogar unter Kriegsdrohung stellt. Sollte Polen kriegerische Gewalt anwenden, so wird das ganze deutsche Volk sich bis zum Äußersten wehren.

a) Der Korridor als Verführung zur Maßlosigkeit für Polen siehe S. 21 f.

b) Geschichtliche Präzedenzfälle:

  1. Die Revision ohne Krieg ist die unserer Zeit angemessene Form der Grenzänderung. Aber auch früher sind durchaus nicht alle Gebietsveränderungen auf kriegerischem Wege durchgesetzt worden. Beispiele: Schon 1772 hat Polen das Korridorgebiet ohne Schwertstreich an Preußen zurückgegeben; England hat am Anfang des 19. Jahrhunderts Java an Holland abgetreten; Rußland verkaufte 1867 Alaska an die U.S.A.; Japan trat 1922 das mit japanischem Blute eroberte Kiautschou an China ab. Verschiedentlich sind auf Konferenzen von Großmächten territoriale Fragen anderer Völker geregelt worden: der Berliner Kongreß von 1878 z. B. revidierte in einschneidender Weise den russisch-türkischen Frieden von St. Stefano.
  2. Politische Merkwürdigkeiten sind im Laufe der Geschichte korrigiert worden: die Habsburger verloren die Niederlande, Holland verlor Belgien, Schweden verlor Pommern und Finnland. Große Reiche sind zerfallen, wenn sie falsch dimensioniert, zusammengesetzt oder aufgebaut waren: z. B. das alte riesige Polenreich, die Union Schweden-Norwegen, das türkische Reich.

c) Die Wiedererlangung des Korridors (näheres siehe im 2 . Teil auf S. 31 ff.). Polen wird nach menschlicher Voraussicht eines Tages gezwungen werden, den Korridor zurückzugeben. Die Zeit arbeitet in verschiedener Hinsicht für Deutschland.

  1. Die abnorme Machtverteilung von 1919 wird sich immer mehr ausgleichen. Damit wird Polen schwächer, während die an der Revision der polnischen Grenzen interessierten Staaten stärker werden.
  2. Die übrige Welt überzeugt sich immer mehr davon, daß ohne Rückgabe des Korridors an Deutschland der Friede nicht gesichert, die Wohlfahrt des Gebiets zwischen Oder und Memel nicht wiederhergestellt und das deutsche Volk nicht ausgesöhnt und als vollwertiger Mitarbeiter am Aufbau und Neubau Europas gewonnen werden kann.
  3. Ein polnischer Gewaltstreich könnte die Rückgabe des Korridors auf die Dauer nicht verhindern, er würde sie wahrscheinlich sogar beschleunigen.
  4. Auch eine russisch-französische Verständigung würde kein Hindernis der Korridorrevision sein, im Gegenteil, sie würde Frankreichs Interesse an dem polnischen Verbündeten vermindern.

d) 40% Rüstungsausgaben: Polens Rüstungshaushalt betrug 1929 814, 1932 840 Millionen Zloty = 31% bzw. 34% der gesamten Staatsausgaben. Rechnet man hinzu das Grenzschutzkorps, die Grenzwacht, die militarisierte Staatspolizei und die militärische Jugendausbildung (soweit sie vom Staat und nicht von den Provinzen und Gemeinden getragen wird), so kommt auf 1929 1017 und 1932 1129 Millionen Zloty [64] = 38% bzw. 42% der gesamten Staatsausgaben. Bei den Zlotybeträgen sind die hohe innere Kaufkraft der polnischen Währung und die kulturellen Verhältnisse zu berücksichtigen. (Nach K. L. v. Oertzen, Rüstung und Abrüstung, Berlin 1933.)

e) Das heutige Verhältnis der Rüstungen. Polen hat im Kriegsfalle mehr als 3½ Millionen Soldaten, 700 schwere Geschütze, 300 Tanks, 1000 Flugzeuge. Deutschland hat nach den Versailler Bestimmungen 100 000 Soldaten und keine schweren Geschütze, Tanks oder Militärflugzeuge.


27. Polenthese:
Bringt Revision Chaos?

Die Polen sagen, daß ein Chaos die Folge sein würde, wenn man den deutschen Revisionswünschen nachgeben und die Versailler Ordnung umstoßen wollte; denn dann könnte ja jeder Staat seine Vorkriegsgrenzen beanspruchen, jeder unzufriedene Volksteil seine Wünsche geltend machen.

Antwort: Das Chaos in Europa wird eher kommen, wenn die Korridorfrage nicht rechtzeitig gelöst wird; es besteht die Gefahr, daß zusammen mit dem größten europäischen Brandherd, dem Korridor, verschiedene andere Brandherde in Europa aufflammen.

Der Korridor ist ein Sonderfall; die Korridorfrage ist ungleich wichtiger und dringender als andere Revisionsprobleme. Denn der Korridor ist der schlimmste Gefahrenpunkt Europas, und er ist das entscheidende Hindernis für die Aussöhnung des deutschen Volkes, ohne dessen gutwillige Mitarbeit eine Gesundung Europas nicht möglich ist.

a) Die Revision von Versailles vgl. S. 63, 71. Das auf geschichtlichen Leistungen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten beruhende Lebensrecht der Völker ist wichtiger als Verträge, die in Kriegspsychose entworfen und unter Zwang unterschrieben wurden. Je eher notwendige Operationen vorgenommen werden, desto mehr Aussicht besteht auf die Gesundung Europas.

b) Die besondere Dringlichkeit der Korridorrevision: Der Korridor ist "das Pulverfaß Europas" (Lord d'Abernon), die "Wurzel des nächsten Krieges" (Foch), der "Wegbereiter des Krieges und des Bolschewismus" (Coudenhove-Kalergi). Weitere Zitate siehe S. 9. Er sei in einem Raum mit einer Bombe gewesen, ohne allerdings den Zeitpunkt zu wissen, auf den der Zünder gestellt sei: so berichtet der englische Abgeordnete Crossley 1932 über eine Korridorreise.7 Der Pariser [65] Slawist René Martel schreibt: "Man kann die Zeit wirken lassen, man kann die Ereignisse handeln lassen; das ist die bequemste Lösung, diejenige, die am wenigsten Anstrengungen erfordert; aber es ist auch die gefährlichste, denn sie führt auf kürzere oder längere Sicht zu einer neuen europäischen Feuersbrunst."8

c) Andere Brandherde, die mit dem Korridor zusammen aufflammen, sind nicht allein durch die Not deutscher Minderheiten und durch die unglückliche Lage der Deutschen Österreichs gegeben, sondern auch z. B. durch die ukrainische, die weißrussische, die kroatische, die ungarische Frage. Der große geschichtliche Augenblick von 1919, in dem gesunde, dauerhafte Zustände geschaffen werden konnten, ist zu unhaltbaren, vom Kriegsgeist diktierten Experimenten mißbraucht worden. Ein krankes, balkanisiertes Europa wurde geschaffen. Soll sich nicht die Neuordnung auf revolutionärem Wege vollziehen, so muß eine europäische Sanierungsaktion den schlimmsten Krankheitsherd des kranken Europas, den Korridor, ausräumen.

d) Die Grundsätze der europäischen Neuordnung sind einmal dadurch gegeben, daß Deutschland ein vertragliches Recht auf einen Frieden nach dem Wilson-Programm hat (vgl. S. 71) und zweitens dadurch, daß unter möglichster Berücksichtigung des Willens der Bevölkerungen dauerhafte Zustände geschaffen werden müssen.

e) Die isolierte Lösung der Korridorfrage würde die europäische Atmosphäre so weit entgiften, daß dann die weitere Neuordnung Europas wesentlich leichter wäre.

f) Die deutsche Wunde im Osten: Näheres siehe S. 51 f., 119 f.


28. Polenthese:
Kriegsdrohung gegen Revision

Die Polen sagen: Polen sei eine Großmacht, und "einer Großmacht könne man nicht diktieren". Das polnische Volk würde lieber Krieg führen als den Korridor aufgeben; die Grenzänderung sei unmöglich, "weil das polnische Volk sich ihr einmütig mit einer durch nichts zu bändigenden Männlichkeit und Energie widersetzen würde".10

Antwort: Polen stellt also der friedlichen Revision (etwa auf Grund der Völkerbundssatzung) die Drohung mit Krieg entgegen. Aber Polen ist höchstens eine künstliche Großmacht; es wird sich fügen müssen, wenn einmal die wirklichen Großmächte die Rückgabe des Korridors teils durchsetzen wollen, teils begünstigen. Polen wird es dann gar nicht auf einen Krieg ankommen lassen können - ebensowenig wie 1772, als es das Korridorgebiet an Preußen zurückgab. Polen ist schon heute nicht so stark wie es aussieht, und wird es künftig erst recht nicht sein.

[66] Momente der Schwäche Polens sind z. B.: das Drittel Fremdvölker unter den 32 Millionen polnischer Staatsangehöriger, das Heer von Analphabeten, die 1400 km11 lange russische Grenze mit wenig natürlichem Schutz, die Randlage des oberschlesischen Industriegebiets, die Abhängigkeit des heutigen Rüstungsstandes von französischer Finanzhilfe, überhaupt das unzulängliche potentiel de guerre.

a) Polens Kriegsdrohung gegenüber der Revision. Die folgende, von Smogorzewski am Schluß seines für das Ausland bestimmten Korridorbuchs gewählte Form ist diplomatisch, verglichen mit der vulgären polnischen Propaganda. Wir zitieren: S. 391: "Si la Pologne était, um jour, acculée à reconcer à sa souveraineté sur Pomorze; si elle se voyait mise en demeure de choisir entre cet acte de la plus haute gravité pour son avenir et la guerre avec son voisin occidental, si, en ce moment historique, des 'conseils de sagesse', qui seraient des conseils d'abandon lui venaient de n'importe quel coté, la Nation polonaise, sans aucun doute, choisirait la guerre."
      Ferner S. 390: "Toutefois, la Pologne, malgré son ardent désir d'entente, malgré sa volonté de paix, ne se soumettra jamais à l'hégémonie allemande et c'est ce que revendiquerait l'Allemagne si elle réclamait en vertu de l'article 19 du pacte une revision du statuquo territorial polonais."

b) Großmachtcharakter und Kulturleistung. Man bewertet heute eine Großmacht nicht mehr allein nach ihrem Besitz an Tanks und Flugzeugen, sondern auch nach der von ihr ausgehenden geistigen Ausstrahlung und ihrer kulturellen Beitragskraft. Hier müssen die Polen erst zeigen, was sie können. Vorläufig werden allerdings ihre Kräfte überwiegend vom Chauvinismus absorbiert.

c) Zum polnischen Minderheitenproblem. Polen ist ein im Namen des Nationalprinzips errichteter Nationalitätenstaat. Die Polen besitzen nicht die Reife und innere Sicherheit, um in ihrem Staat eine ähnliche Rolle zu spielen wie das deutschsprachige Mehrheitsvolk sie in der Schweiz durchführt. Sie unterdrücken vielmehr das Eigenleben der fremden Volksgruppen, um ihren Staat mit Gewalt einem Nationalstaat anzunähern. Die Ukrainer in Polen sind heute Todfeinde der Polen, erbittert durch die polnischen Greuel von 1930; 1932 neue lange Unruhen. Näheres im 5. Teil.

d) Ungefestigte innere Zustände vgl. 29. These.


29. Polenthese:
Polen, Europas Bollwerk?

Die Polen sagen: Polen müsse möglichst stark sein, denn es sei stets Europas Bollwerk gegen Asien gewesen und sei heute Europas Schutzwall gegen den Bolschewismus.

Antwort: Das heutige Polen ist belastet mit dem Gegensatz zu Deutschland, den Kosten der Korridorwirtschaft, dem Minderheiten- [67] problem und den anderen - durch asiatische Regierungsmethoden verschärften - innerpolitischen Spannungen. Es ist heute kein starkes Bollwerk gegen, sondern eher ein Sprungbrett für den Bolschewismus. Erst ein mit Deutschland ausgesöhntes Polen könnte als Bollwerk gegen den Osten wirken.

a) Militärische Schwäche gegenüber Rußland siehe Antwort auf die vorige These.

b) Innere Schwäche gegenüber dem Bolschewismus und asiatische Regierungsmethoden: Kommunismus in Ostoberschlesien, scharfe politische Gegensätze, Unzufriedenheit mit dem Pilsudski-Regime, das es vor den Wahlen 1930 für nötig hielt, etwa 100 Abgeordnete und Senatoren der Oppositionsparteien und Dutzende von Politikern ins Gefängnis zu setzen (Brest-Litowsker Mißhandlungen vgl. 5. Teil), revolutionierende Auswirkungen der Minderheitenfragen und der Wirtschaftskrise, revolutionierende Wirkungen der polnischen Enteignungspolitik gegen deutsche Optanten und gegen die Minderheiten; diese Enteignungspolitik hat Ähnlichkeit mit bolschewistischen Methoden, da keine oder nur eine geringfügige Entschädigung gezahlt worden ist. Lengyel (S. 245): "Polens Minderheitenpolitik hat dem Bolschewismus über die Grenze geholfen." Die Bauernbevölkerung, verelendet und weit über ein verkehrsarmes Land verstreut, könnte eine bolschewistische Staatsumwälzung nicht hindern, selbst wenn sie wollte.

c) Stärkung Polens durch Aussöhnung mit Deutschland nach der Grenzrevision. Der durch die Verteidigung des Korridors absorbierte Teil der militärischen Kräfte würde frei; finanzielle Ersparnisse durch Aufgabe der kostspieligen Korridorpolitik (vgl. S. 39); dann für Polen eher Möglichkeit, durch kulturelle Leistungen die inneren Gegensätze zu mildern und die innere Kulturgrenze in Polen abzubauen, die zwischen ehemals deutschen, österreichischen und russischen Gebieten besteht. Aussöhnung ist nach der Grenzziehung möglich, da keine Erbfeindschaft und seit dem Mittelalter fast keine Kriege zwischen beiden Völkern.

d) Polens angebliche historische Rolle als Bollwerk. Die Polen berufen sich fälschlich auf die Abwehr des Mongolensturms 1241 (vgl. S. 136); sie betonen ferner mit starker Übertreibung ihre Mitwirkung an der Rettung Wiens vor den Türken(vgl. S. 142).

e) Das "Wunder an der Weichsel" 1920 siehe folgende These.

f) Polen ist am Fortbestand des bolschewistischen Regimes insofern interessiert, als eine mehr bürgerliche russische Regierung rascher als die bolschewistische dazu übergehen würde, die Änderung der polnischen Ostgrenze zu betreiben und sich insbesondere für die Befreiung der Ukrainer und Weißrussen von der polnischen Herrschaft einzusetzen.


30. Polenthese:
Die "Rettung Europas" 1920

Die Polen sagen: Polen habe im russisch-polnischen Kriege von 1920 Europa vor der russischen Invasion und der Überflutung durch den Bolschewismus gerettet.

[68] Antwort: Europa war damals nicht gefährdet; wohl aber hat Polen sich selbst durch seinen Angriff in Lebensgefahr gebracht.

a) Schwäche Rußlands. Rußland hatte Mühe, sich der "Weißen Armeen" zu erwehren; für eine Invasion in Westeuropa war es viel zu schwach.

b) Polen als Angreifer. Polen griff Rußland an, weil dieses die Wiederherstellung der Grenzen von 1772 nicht bewilligen wollte. Kiew wurde von den Polen besetzt.

c) Das "Wunder an der Weichsel". Durch Vormarsch nach Südosten entfernt sich polnische Hauptmacht weit von der Basis. Daher russischer Gegenstoß möglich. Im Juli 1920 standen die Russen vor Warschau. Die Lage konnte aber allein durch das Eintreffen des französischen Generals Weygand und seines Stabes (ohne fremde Hilfstruppen) gerettet werden. Auf seinen Rat wurde ein kühner polnischer Vorstoß gemacht, der zu einer vernichtenden Niederlage der Russen führte. Schon das zeigt die Schwäche der damaligen russischen Position.


31. Polenthese:
Polens Selbständigkeit   (vgl. S. 44.)

Die Polen sagen, daß Polen, vom Meere abgeschnitten, seine staatliche Selbständigkeit nicht aufrechterhalten könnte, daß es ohne den Korridor ein Vasallenstaat Deutschlands sein würde.

Antwort: Polen ist heute, weil es den Korridor hat, ein Vasallenstaat Frankreichs. Weil es, um den Korridor zu behalten, eine deutsch-französische Verständigung verhindern muß, muß es sich trotz zeitweiliger Selbständigkeitsbestrebungen doch immer wieder Frankreich unterordnen. Nach einer Verständigung mit Deutschland dagegen könnte Polen eine viel selbständigere Außenpolitik betreiben. Ein gutes Verhältnis zu Deutschland ist eher eine Lebensfrage für Polen als der Korridorbesitz.

a) Territorialer Seezugang und polnische Selbständigkeit haben wenig miteinander zu tun. Polen würde auch ohne eigene Küste Seehandel treiben können, ohne darum ein deutscher Vasallenstaat zu werden - besonders wenn Polens Hafen- und Durchfuhrrechte noch durch Garantien des Völkerbunds oder der Großmächte besonders gesichert würden, gemäß Wilsons Plan und den Vorschlägen der deutschen Friedensdelegation. Ausführliche Beweisführung siehe S. 39 ff.
      Polens Abhängigkeit von Deutschland im Güterabsatz und -bezug beruht im wesentlichen auf den Bedürfnissen der ehemals deutschen Gebiete, darunter auch des Korridorgebiets; vgl. S. 39 und 47 ff.

b) Frankreich und Polen. Bekannt ist Wilsons Wort vom April 1919: "Das einzig wahre Interesse Frankreichs an Polen besteht in der [69] Schwächung Deutschlands, indem Polen Gebiete zugesprochen werden, auf die es kein Anrecht hat".12 Das ist der Sinn der Versailler Konstruktion: Polen muß, um die von Deutschland genommenen Gebiete zu behalten, französische Politik machen. Polen ist also der schwächere Teil in der französisch-polnischen Ehe. Die Polen klagen nicht selten über französische Übervorteilung, z. B. darüber, daß sie hoch verzinsliche, durch schwer erträgliche französische Überwachungs- und Besitzrechte erkaufte Anleihen dazu verwenden müssen, in Frankreich Bestellungen zu machen, die ein schlechtes Geschäft sind.
      Polen muß sich den französischen Wünschen anpassen, um Frankreich bei der Stange zu halten, denn wenn die Franzosen einmal einsehen, daß Frankreich seine Sicherheit billiger und dauerhafter durch eine Verständigung mit Deutschland gewährleisten kann als durch die Übernahme der außerordentlichen polnischen Risiken militärischer, politischer und finanzieller Natur, dann kann Polen den heutigen Kurs nicht mehr fortsetzen. Dabei kann das saturierte, den modernen Problemen fremde Frankreich den Polen weniger bieten als es Deutschland könnte; denn Deutschland ringt um zeitgemäße Lösungen in vielen Problemen, die auch die Probleme der jungen Staaten des Ostens und Südostens sind. Außerdem würden die Polen, befreit von der französischen Rüstungshypothek und der Kampfstellung zwischen zwei Fronten, große militärische und kulturelle Kräfte freibekommen.

Weitere politische Polenthesen:

Bedeutung des Versailler Vertrages S. 71.
Wilson-Programm und Volksabstimmung S. 81.
Der Korridor nichts Neues S. 79.

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1Smog., S. VII. ...zurück...

2Vgl. S. 26 dieses Buches. ...zurück...

3Budding, S. 29 f. ...zurück...

4Smog., S. X.; Näheres auf S. 176 - 196. ...zurück...

5Smog., S. 384 und viele andere Quellen. ...zurück...

[Anm. 6 fehlt.]

7A. Crossley, Artikel "The Powder Magazine of Europe" in The Evening Standard, London, 26. Oktober 1932. Er nennt den Korridor "the Gangway of Mars". ...zurück...

8Schlußfolgerungen (S. 168 der deutschen Ausgabe). ...zurück...

[Anm. 9 fehlt.]

10Smog., Schlußfolgerungen (S. 391). ...zurück...

111412 km bei Smog., S. 246. ...zurück...

12Baker, Woodrow Wilson and World Settlement. ...zurück...

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100 Korridorthesen:
Eine Auseinandersetzung mit Polen

Dr. Arnold Zelle