Das Jahr 1939
(Forts.)
Aus der Rede des Führers vom 1. April 1939
in Wilhelmshaven
Wir wissen heute aus den Akten der Geschichte, wie die damalige
Einkreisungspolitik planmäßig von England aus betrieben worden
war. Wir wissen aus zahlreichen Feststellungen und Publikationen, daß man
in diesem Lande die Auffassung vertrat, es sei notwendig, Deutschland
militärisch niederzuwerfen, weil seine Vernichtung jedem britischen
Bürger ein höheres Ausmaß von Lebensgütern sichern
würde. Gewiß, Deutschland hat damals Fehler begangen. Sein
schwerster Fehler war, diese Einkreisung zu sehen und sich ihrer nicht beizeiten
zu erwehren. Die einzige Schuld, die wir diesem damaligen Regime vorwerfen
können, ist die, daß es von dem teuflischen Plan eines
Überfalls auf das Reich volle Kenntnis hatte und doch nicht die
Entschlußkraft aufbrachte, diesen Überfall beizeiten abzuwehren,
sondern diese Einkreisung bis zum Anbruch der Katastrophe ausreifen ließ.
Die Folge war der Weltkrieg!...
Wenn heute ein englischer Staatsmann meint, man könne und müsse
alle Probleme durch freimütige Verhandlungen und Besprechungen
lösen, dann möchte ich diesem Staatsmann nur sagen: "Dazu war vor
unserer Zeit fünfzehn Jahre lang Gelegenheit!" Wenn die Welt heute sagt,
daß man die Völker teilen müsse in tugendhafte Nationen und
in solche, die nicht tugendhaft
sind - und zu den tugendhaften Nationen gehören in erster Linie die
Engländer und die Franzosen und zu den nicht tugendhaften gehören
die Deutschen und Italiener -, dann können wir nur antworten: "Die
Beurteilung, ob ein Volk tugend- [194] haft oder nicht tugendhaft ist, die kann doch
wohl ein Irdischer kaum aussprechen, das müßte man dem lieben
Gott überlassen!" Vielleicht wird mir nun dieser selbe britische Staatsmann
entgegnen: "Gott hat das Urteil schon gesprochen, denn er hat den tugendhaften
Nationen ein Viertel der Erde geschenkt und den nicht tugendhaften alles
genommen!" Darauf sei die Frage gestattet: "Mit welchen Mitteln haben die
tugendhaften Nationen sich dieses Viertel der Erde erworben?" und man
muß antworten: "Es sind keine tugendhaften Methoden gewesen!"
Dreihundert
Jahre lang hat dieses England nur als untugendhafte Nation
gehandelt, um jetzt im Alter von Tugend zu reden! So konnte es passieren,
daß in dieser britischen tugendlosen Zeit 46 Millionen
Engländer fast
ein Viertel der Erde unterworfen haben, während 80 Millionen Deutsche
infolge ihrer Tugendsamkeit zu 140 auf einem Quadratkilometer leben
müssen. Ja, vor zwanzig Jahren, da war die Frage der Tugend für die
britischen Staatsmänner immer noch nicht ganz geklärt, insofern es
sich um Eigentumsbegriffe handelte. Damals hielt man es mit der Tugend noch
für vereinbarlich, einem anderen Volk, das seine Kolonien nur durch
Verträge oder durch Kauf erworben hatte, sie einfach wegzunehmen, weil
man die Macht hatte... Wenn heute ein britischer Staatsmann fordert, daß
jedes Problem, das inmitten der deutschen Lebensinteressen liegt, erst mit
England besprochen werden müßte, dann könnte ich genau so
gut verlangen, daß jedes britische Problem erst mit uns zu besprechen
sei.
Gewiß, diese Engländer mögen mir zur Antwort geben: "In
Palästina haben die Deutschen nichts zu
suchen!" - Wir wollen auch gar nichts in Palästina suchen. Allein,
sowenig wir Deutschen in Palästina etwas zu suchen haben, so wenig hat
England in unserem deutschen Lebensraum etwas zu suchen!...
Ich habe einst ein Abkommen mit England abgeschlossen, das Flottenabkommen.
Es basiert auf dem heißen Wunsch, den wir alle besitzen, nie in einen Krieg
gegen England ziehen zu müssen. Dieser Wunsch kann aber nur ein
beiderseitiger sein. Wenn in England dieser Wunsch nicht mehr besteht, dann ist
die praktische Voraussetzung für dieses Abkommen damit beseitigt.
Deutschland würde auch das ganz gelassen hinnehmen! Wir sind deshalb so
selbstsicher, weil wir stark sind, und wir sind so stark, weil wir so geschlossen
sind und weil wir außerdem sehend sind!
(DNB. vom 1. April 1939.)
Aus der Reichstagsrede des Führers vom 28.
April 1939
Die Münchener Lösung konnte unter keinen Umständen als
eine endgültige gelten; denn sie hat ja selbst zugegeben, daß weitere
Probleme noch der Lösung bedürften und gelöst werden
sollten. Daß sich nun die
Betroffenen - und dies ist entscheidend - nicht an die vier
Mächte gewandt haben, sondern nur an Italien und Deutschland, kann
wirklich nicht uns vorgeworfen werden. Ebensowenig auch, daß [195] der Staat endlich als solcher von selbst
zerfallen war und damit eine
Tschecho-Slowakei nicht mehr existierte. Daß aber, nachdem das
ethnographische Prinzip schon längst außer Kraft gesetzt worden
war, nunmehr auch Deutschland seine immerhin tausendjährigen
Interessen, die nicht nur politischer, sondern auch wirtschaftlicher Art sind, in
seine Obhut nahm, ist wohl selbstverständlich.
Ob die Lösung, die Deutschland gefunden hat, richtig oder nicht richtig ist,
wird die Zukunft erweisen. Sicher aber ist das eine, daß die Lösung
nicht einer englischen Kontrolle oder englischen Kritik untersteht. Denn die
Länder Böhmen und Mähren haben als letztes Restgebiet der
ehemaligen Tschecho-Slowakei mit der Münchener Abmachung
überhaupt nichts mehr zu tun. Sowenig, als etwa englische
Maßnahmen, sagen wir in Irland, mögen sie richtig oder falsch sein,
einer deutschen Kontrolle oder Kritik unterstellt sind, so wenig ist dies bei diesen
alten deutschen Kurfürstentümern der Fall.
Wie man aber die in München zwischen Herrn Chamberlain und mir
persönlich getätigte Abmachung auf diesen Fall beziehen kann, ist
mir gänzlich unverständlich; denn dieser Fall der Tschechoslowakei
war ja in dem Münchener Protokoll der vier Mächte geregelt worden,
soweit er eben damals geregelt werden konnte. Darüber hinaus war nur
vorgesehen, daß, wenn die Beteiligten nicht zu einer Einigung kommen
würden, sie sich an die vier Mächte würden wenden
können. Und diese wollten dann nach drei Monaten zu einer weiteren
Beratung zusammentreten.
Nun haben aber diese Beteiligten sich überhaupt nicht mehr an die vier
Mächte gewandt, sondern nur an Deutschland und Italien. Wie sehr diese
dazu doch letzten Endes berechtigt waren, geht daraus hervor, daß weder
England noch Frankreich dagegen Einspruch erhoben haben, sondern den von
Deutschland und Italien gefällten Schiedsspruch ohne weiteres auch selbst
akzeptierten.
Nein, die Abmachung, die zwischen Herrn Chamberlain und mir getroffen wurde,
hat sich nicht auf dieses Problem bezogen, sondern ausschließlich auf
Fragen, die das Zusammenleben Englands und Deutschlands betreffen. Das geht
auch eindeutig hervor aus der Feststellung, daß solche Fragen im Sinne des
Münchener Abkommens und des
deutsch-englischen Flottenvertrages in Zukunft also freundschaftlich behandelt
werden sollten, und zwar auf dem Wege der Konsultierung.
Wenn sich aber dieses Abkommen auf jede künftige deutsche
Betätigung politischer Art bezogen haben würde, dann dürfte
auch England keinen Schritt mehr unternehmen, sei es zum Beispiel in
Palästina oder woanders, ohne sich mit Deutschland erst zu konsultieren.
Es ist selbstverständlich, daß wir dies nicht erwarten; ebenso aber
lehnen wir jede ähnliche Erwartung, die an uns gestellt wird, ab.
Wenn nun Herr Chamberlain daraus folgert, daß diese Münchener
Abmachung damit hinfällig sei, weil sie von uns gebrochen worden
wäre, so nehme ich nunmehr diese Auffassung zur Kenntnis und ziehe
daraus die Konsequenzen.
[196] Ich habe während meiner ganzen
politischen Tätigkeit immer den Gedanken der Herstellung einer engen
deutsch-englischen Freundschaft und Zusammenarbeit vertreten. Ich fand in
meiner Bewegung ungezählte gleichgesinnte Menschen. Vielleicht
schlossen sie sich mir auch wegen dieser meiner Einstellung an. Dieser
Wunsch nach einer deutsch-englischen Freundschaft und Zusammenarbeit deckt
sich nicht nur mit meinen Gefühlen, die sich aus der Herkunft unserer
beiden Völker ergeben, sondern auch mit meiner Einsicht in die im
Interesse der ganzen Menschheit liegende Wichtigkeit der Existenz des britischen
Weltreiches.
Ich habe niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß ich im
Bestande dieses Reiches einen unschätzbaren Wertfaktor für
die ganze menschliche Kultur und Wirtschaft sehe.
Wie immer auch Großbritannien seine kolonialen Gebiete erworben
hat - ich weiß, es geschah dies alles durch Gewalt und sehr oft durch
brutalste Gewalt -, so bin ich mir doch darüber im klaren, daß
kein anderes Reich auf anderem Wege bisher entstanden ist, und daß letzten
Endes vor der Weltgeschichte weniger die Methode als der Erfolg gewertet wird,
und zwar nicht im Sinne des Erfolges der Methode sondern des allgemeinen
Nutzens, der aus einer solchen Methode entsteht.
Das angelsächsische Volk hat nun ohne Zweifel eine unermeßliche
kolonisatorische Arbeit auf dieser Welt vollbracht. Dieser Arbeit gehört
meine aufrichtige Bewunderung. Der Gedanke an eine Zerstörung dieser
Arbeit erschien und erscheint mir von einem höheren menschlichen
Standpunkt aus nur als ein Ausfluß menschlichen Herostratentums. Allein
dieser mein aufrichtiger Respekt vor dieser Leistung bedeutet nicht einen Verzicht
auf die Sicherung des Lebens meines eigenen Volkes.
Ich halte es für unmöglich, eine dauernde Freundschaft zwischen
dem deutschen und dem angelsächsischen Volk herzustellen, wenn nicht
auch auf der anderen Seite die Erkenntnis vorhanden ist, daß es nicht nur
britische, sondern auch deutsche Interessen gibt, daß nicht nur die Erhaltung
des britischen Weltreiches für die britischen Männer Lebensinhalt
und Lebenszweck ist, sondern für die deutschen Männer die Freiheit
und Erhaltung des Deutschen Reiches!
Eine wirkliche dauernde Freundschaft zwischen diesen beiden Nationen ist nur
denkbar unter der Voraussetzung der gegenseitigen Respektierung. Das englische
Volk beherrscht ein großes Weltreich. Es hat dieses Weltreich gebildet in
einer Zeit der Erschlaffung des deutschen Volkes. Vordem war Deutschland ein
großes Weltreich. Es beherrschte einst das Abendland. In blutigen
Kämpfen und religiösen Streitigkeiten sowie aus den Gründen
einer inneren staatlichen Aufsplitterung ist dieses Reich an Macht und
Größe gefallen und endlich in tiefen Schlaf versunken.
Allein als dieses alte Reich sein Ende zu nehmen schien, da wuchs bereits der
Keim zu seiner Wiedergeburt. Aus Brandenburg und Preußen entstand ein
neues Deutschland, das Zweite Reich, und aus ihm wurde nunmehr endlich das
deutsche Volksreich. Es möchten [197] nun alle Engländer begreifen, daß
wir nicht im geringsten das Gefühl einer Inferiorität den Briten
gegenüber besitzen. Dazu ist unsere geschichtliche Vergangenheit zu
gewaltig!
England hat der Welt viele große Männer geschenkt, Deutschland
nicht weniger. Der schwere Kampf um die Lebensbehauptung unseres Volkes hat
im Laufe von drei Jahrhunderten nur in der Verteidigung des Reiches von uns
Blutopfer gefordert, die weit darüber hinaus gingen, was andere
Völker für ihre Existenz zu bringen hatten. Wenn Deutschland als
ewig angegriffener Staat dabei trotzdem seinen Besitz stand nicht zu wahren
vermochte, sondern viele Provinzen opfern mußte, dann nur infolge seiner
staatlichen Fehlentwicklung und der daraus bedingten Ohnmacht!
Dieser Zustand ist nun überwunden. Wir haben daher als Deutsche nicht im
geringsten die Empfindung, dem britischen Volk etwa unterlegen zu sein. Die
Achtung vor uns selbst ist genau so groß wie die eines Engländers
vor England. Die Geschichte unseres Volkes hat in ihrer nunmehr fast
zweitausendjährigen Dauer Anlässe und Taten genug um uns mit
einem aufrichtigen Stolz zu erfüllen.
Wenn nun England für diese unsere Einstellung kein Verständnis
aufbringt, sondern in Deutschland glaubt vielleicht einen Vasallenstaat erblicken
zu können, dann ist allerdings unsere Liebe und unsere Freundschaft an
England umsonst dargeboten worden. Wir werden deshalb nicht verzweifeln oder
verzagen, sondern wir werden dann - gestützt auf das
Bewußtsein unserer eigenen Kraft und auf die Kraft unserer
Freunde - die Wege finden, die unsere Unabhängigkeit sicherstellen
und unserer Würde keinen Abbruch tun.
Ich habe die Erklärung des britischen Premierministers vernommen, nach
der er meint, in Versicherungen Deutschlands kein Vertrauen setzen zu
können. Ich halte unter diesen Umständen es für
selbstverständlich, daß wir weder ihm noch dem englischen Volk
weiterhin eine Lage zumuten wollen, die nur unter Vertrauen denkbar ist.
Als Deutschland nationalsozialistisch wurde und damit seine Wiederauferstehung
einleitete, habe ich im Verfolg meiner unentwegten Freundschaftspolitik England
gegenüber von mir aus selbst den Vorschlag einer freiwilligen Begrenzung
der deutschen Seerüstung gemacht.
Diese Begrenzung setzte allerdings eines voraus, nämlich den Willen und
die Überzeugung, daß zwischen England und Deutschland niemals
mehr ein Krieg möglich sein würde. Diesen Willen und die
Überzeugung besitze ich auch heute noch.
Ich muß aber nunmehr feststellen, daß die Politik Englands inoffiziell
und offiziell keinen Zweifel darüber läßt, daß man in
London diese Überzeugung nicht mehr teilt, sondern im Gegenteil der
Meinung ist, daß, ganz gleich, in welchen Konflikt Deutschland einmal
verwickelt werden würde, Großbritannien stets gegen Deutschland
Stellung nehmen müßte. Man sieht also dort den Krieg gegen
Deutschland als etwas Selbstverständliches an.
[198] Ich bedaure dies tief; denn die einzige
Forderung, die ich an England stellte und immer stellen werde, ist die nach
Rückgabe unserer Kolonien. Ich ließ aber keine Unklarheit
darüber, daß dies niemals der Grund für eine kriegerische
Auseinandersetzung sein würde. Ich war immer des Glaubens, daß
England, für das diese Kolonien keinen Wert haben, einmal
Verständnis für die deutsche Lage aufbringen würde und die
deutsche Freundschaft dann höher bewerten müßte als Objekte,
die keinerlei realen Nutzen für England abwerfen, während sie
für Deutschland lebenswichtig sind.
Ich habe aber, davon abgesehen, nie eine Forderung gestellt, die irgendwie
britisches Interesse berührt haben würde, oder die dem Weltreich
hätte gefährlich werden können und mithin für England
irgendeinen Schaden bedeutet haben könnte. Ich habe mich immer nur im
Rahmen jener Forderungen bewegt, die auf das engste mit dem deutschen
Lebensraum und damit dem ewigen Besitz der deutschen Nation
zusammenhängen.
Wenn nun England heute in der Publizistik und offiziell die Auffassung vertritt,
daß man gegen Deutschland unter allen Umständen auftreten
müßte, und dies durch die uns bekannte Politik der Einkreisung
bestätigt, dann ist damit die Voraussetzung für den Flottenvertrag
beseitigt. Ich habe mich daher entschlossen, dies der britischen Regierung mit
dem heutigen Tage mitzuteilen.
Es handelt sich dabei für uns nicht um eine materielle
Angelegenheit - denn ich hoffe noch immer, daß wir ein
Wettrüsten mit England vermeiden
können -, sondern um einen Akt der Selbstachtung. Sollte die
Britische Regierung aber Wert darauf legen, mit Deutschland über dieses
Problem noch einmal in Verhandlungen einzutreten, dann würde sich
niemand glücklicher schätzen als ich, um vielleicht doch noch zu
einer klaren und eindeutigen Verständigung kommen zu können.
(Verhandlungen des Reichstags, Bd. 460, S.
30ff.)
Memorandum der Reichsregierung an die britische
Regierung vom 28. April 1939 über die Kündigung des
deutsch-englischen Flottenabkommens
Als die Deutsche Regierung im Jahre 1935 der Königlich Britischen
Regierung das
Angebot machte, durch einen Vertrag die Stärke der
deutschen Flotte in ein bestimmtes Verhältnis zu der Stärke der
Seestreitkräfte des Britischen Reiches zu bringen, tat sie dies auf Grund der
festen Überzeugung, daß für alle Zeiten die Wiederkehr eines
kriegerischen Konfliktes zwischen Deutschland und Großbritannien
ausgeschlossen sei.
Indem sie durch das Angebot des Verhältnisses 100 : 35 freiwillig den
Vorrang der britischen Seeinteressen anerkannte, glaubte sie mit diesem in der
Geschichte der Großmächte wohl einzig dastehenden
Entschlusse einen Schritt zu tun, der dazu führen würde,
für alle Zukunft ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den
beiden [199] Nationen zu
begründen. Selbstverständlich setzte dieser Schritt der Deutschen
Regierung voraus, daß die Königlich-Britische Regierung auch
ihrerseits zu einer politischen Haltung entschlossen sei, die eine freundschaftliche
Gestaltung der deutsch-englischen Beziehungen sicherstellte.
Auf dieser Grundlage und unter diesen Voraussetzungen ist das
deutsch-englische Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 zustande gekommen. Das
ist von beiden Seiten beim Abschluß des Abkommens
übereinstimmend zum Ausdruck gebracht worden. Ebenso haben noch im
vorigen Herbst, nach der Konferenz von München, der Deutsche
Reichskanzler und der Britische Ministerpräsident in der von ihnen
unterzeichneten Erklärung feierlich bestätigt, daß sie das
Abkommen als symbolisch für den Wunsch beider Völker
ansähen, niemals wieder Krieg gegeneinander zu führen.
Die Deutsche Regierung hat an diesem Wunsche stets festgehalten und ist auch
heute noch von ihm erfüllt. Sie ist sich bewußt, in ihrer Politik
dementsprechend gehandelt und in keinem Falle in die Sphäre englischer
Interessen eingegriffen oder diese Interessen sonstwie beeinträchtigt zu
haben. Dagegen muß sie zu ihrem Bedauern feststellen, daß sich die
Königlich-Britische Regierung neuerdings von der Linie einer
entsprechenden Politik gegenüber Deutschland immer weiter entfernt.
Wie die von ihr in den letzten Wochen bekanntgegebenen politischen
Entschließungen und ebenso die von ihr veranlaßte deutschfeindliche
Haltung der englischen Presse deutlich zeigen, ist für sie jetzt die
Auffassung maßgebend, daß England, gleichviel in welchem Teil
Europas Deutschland in kriegerische Konflikte verwickelt werden könnte,
stets gegen Deutschland Stellung nehmen müsse, und zwar auch dann,
wenn englische Interessen durch einen solchen Konflikt überhaupt nicht
berührt werden.
Die Königlich-Britische Regierung sieht mithin einen Krieg Englands
gegen Deutschland nicht mehr als eine Unmöglichkeit, sondern im
Gegenteil als ein Hauptproblem der englischen Außenpolitik an.
Mit dieser Einkreisungspolitik hat die
Königlich-Britische Regierung einseitig dem Flottenabkommen vom 18.
Juni 1935 die Grundlage entzogen und dadurch dieses Abkommen sowie die zu
seiner Ergänzung vereinbarte "Erklärung" vom 17. Juli 1937
außer Kraft gesetzt.
Das gleiche gilt auch für den Teil III des
deutsch-englischen Flottenabkommens vom 17. Juli 1937, in dem die
Verpflichtung zu einem zweiseitigen
deutsch-englischen Nachrichtenaustausch festgelegt worden ist. Die
Durchführung dieser Verpflichtung setzt naturgemäß voraus,
daß zwischen beiden Partnern ein offenes Vertrauensverhältnis
besteht. Da die Deutsche Regierung ein solches Verhältnis zu ihrem
Bedauern nicht mehr als gegeben ansehen kann, muß sie auch die
Bestimmungen des erwähnten Teiles III als hinfällig geworden
bezeichnen.
Von diesen der Deutschen Regierung gegen ihren Willen
auf- [200] gezwungenen
Feststellungen bleiben die qualitativen Bestimmungen des
deutsch-englischen Abkommens vom 17. Juli 1937 unberührt. Die
Deutsche Regierung wird diese Bestimmungen auch in Zukunft beachten und so
ihren Teil dazu beitragen, daß ein allgemeiner unbeschränkter
Wettlauf in den Seerüstungen der Nationen vermieden wird.
Darüber hinaus wird die Deutsche Regierung, falls die
Königlich-Britische Regierung Wert darauf legt, mit Deutschland
über die hier in Betracht kommenden Probleme erneut in Verhandlungen
einzutreten, dazu gern bereit sein. Sie würde es begrüßen,
wenn es sich dann als möglich erwiese, auf sicherer Grundlage zu einer
klaren und eindeutigen Verständigung zu gelangen.
(Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Nr.
294.)
Aus dem Memorandum der britischen Regierung
an die Reichsregierung vom 23. Juni 1939
zur Kündigung des Flottenabkommens
1. In ihrem Memorandum vom 28. April d. J. erklärt die Deutsche
Regierung, daß sie, als sie im Jahre 1935 das Angebot machte, sich auf
einen Prozentsatz der britischen Flottenstreitkräfte zu beschränken,
dies getan habe "auf Grund der festen Überzeugung, daß die
Wiederkehr eines kriegerischen Konflikts zwischen Deutschland und
Großbritannien für alle Zeiten ausgeschlossen sei".
2. Die Deutsche Regierung rechtfertigt ihre
Handlungsweise - nämlich die Lösung des
Englisch-Deutschen Flottenabkommens von
1935, der Ergänzenden
Erklärung von 1937 und des Teiles III des Flottenabkommens von
1937 - damit, daß das Verhalten der Regierung Seiner Majestät
im Vereinigten Königreich zeige, daß diese Regierung jetzt der
Ansicht sei, daß, ganz gleich in welchem Teil Europas Deutschland in einen
kriegerischen Konflikt verwickelt werden würde, Großbritannien
stets gegen Deutschland Stellung nehmen müßte, selbst in
Fällen, wo englische Interessen durch einen solchen Konflikt nicht
berührt wären.
3. Die Frage, ob die Haltung der Regierung Seiner Majestät
überhaupt in irgendeinem Fall eine Rechtfertigung dafür sein kann,
daß die Deutsche Regierung diese Verträge löst, ohne
daß mindestens vorher eine Konsultation zwischen den beiden Regierungen
stattgefunden hätte, wird weiter unten behandelt. Es trifft nicht zu,
daß, ganz gleich in welchem Teil Europas Deutschland in einen
kriegerischen Konflikt verwickelt werden würde, Großbritannien
stets gegen Deutschland Stellung nehmen müßte.
Großbritannien könnte nur dann gegen Deutschland Stellung nehmen,
wenn Deutschland eine Angriffshandlung (act of agression) gegen ein anderes
Land begehen sollte; und die politischen Entscheidungen, auf die die Deutsche
Regierung in ihrem Memorandum offenbar Bezug nimmt, und die Garantien
Großbritanniens an gewisse Länder zum Gegenstande haben,
könnten sich nur dann auswirken, wenn die betreffenden Länder von
Deutschland angegriffen werden sollten.
[201] 4. Die Deutsche Regierung nimmt in
ihrem Memorandum das Recht in Anspruch, die britische Politik als eine Politik
der Einkreisung zu bezeichnen. Diese Bezeichnung ist ohne jede Berechtigung
und offenbart ein Mißverstehen und eine Mißdeutung der britischen
Absichten, die richtiggestellt werden müssen.
5. Die Handlungsweise, mit der die Deutsche Regierung kürzlich
gewisse Gebiete dem Reiche einverleibte, hat, gleichviel was nach Ansicht der
Deutschen Regierung die Rechtfertigungsgründe dafür gewesen sein
mögen, zweifellos vielerorts zu einer stark zunehmenden
Beängstigung geführt. Die Schritte, die die Regierung des
Vereinigten Königreichs daraufhin getan hat, haben keinen anderen Zweck
als den, zur Beseitigung dieser Angst beizutragen, und zwar dadurch, daß
sie kleineren Nationen dazu verhilft, sich im Genuß ihrer
Unabhängigkeit sicher zu fühlen, wozu sie das gleiche Recht haben
wie Großbritannien oder Deutschland selbst. Die Bindungen, die
Großbritannien in dieser Absicht kürzlich eingegangen ist, sind
begrenzt, und sie können, wie bereits oben gesagt, nur dann wirksam
werden, wenn die betreffenden Länder Opfer eines Angriffs
würden.
6. Ebenso hat die Regierung Seiner Majestät auch weder die
Absicht noch den Wunsch, der Entwicklung des deutschen Handels Schranken zu
ziehen. Im Gegenteil, auf Grund des
Englisch-Deutschen Zahlungsabkommens ist Deutschland ein erheblicher Betrag
von freien Devisen zum Erwerb von Rohstoffen zur Verfügung gestellt
worden. Dieses Abkommen ist für Deutschland so günstig wie nur
irgendeins, was je abgeschlossen worden ist, und Seiner Majestät
Regierung würde gern weitere Erörterungen über
Maßnahmen zur Besserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands in
Aussicht nehmen, wenn nur die wesentliche Vorbedingung sichergestellt werden
könnte, nämlich die Herstellung gegenseitigen Vertrauens und guten
Willens, die die notwendige Voraussetzung für ruhige, vorurteilslose
Verhandlungen ist.
7. Der ständige Wunsch der Regierung Seiner Majestät war
und ist keineswegs die Betreibung eines Krieges mit Deutschland, sondern die
Herstellung englisch-deutscher Beziehungen auf der Grundlage gegenseitiger
Anerkennung der Notwendigkeiten beider Länder bei gleichzeitiger
gebührender Rücksicht auf die Rechte anderer Nationen.
8. Während aber Seiner Majestät Regierung aus diesen
Gründen nicht zugeben kann, daß in ihrer Politik oder Haltung
irgendeine Änderung eingetreten wäre, die den kürzlichen
Schritt der Deutschen Regierung rechtfertigte, muß sie hinzufügen,
daß ihrer Ansicht nach der Hauptzweck des
Englisch-Deutschen Flottenabkommens darin bestand, in die Lage zur See eine
gewisse Stabilität zu bringen und ein unnötiges Wettrüsten zu
vermeiden.
9. Aus diesem Grunde sahen die Abkommen keine einseitige
Kündigung auf Betreiben nur einer der Parteien vor, sondern nahmen eine
Lösung oder Abänderung nur durch gegenseitige Konsultation in
Aussicht - und Seiner Majestät Regierung bedauert, daß die
Deutsche Regierung sich nicht in der Lage gesehen hat, dieses Verfahren auch
[202] im vorliegenden Fall einzuschlagen. Denn in
dem Abkommen von 1935 war ausdrücklich gesagt, daß es ein
dauerndes sein sollte, und Seiner Majestät Regierung möchte die
Aufmerksamkeit der Deutschen Regierung auf den Wortlaut des Notenwechsels
vom 18. Juni 1935 hinlenken, der das
Englisch-Deutsche Flottenabkommen von jenem Jahre enthält und aus dem
sowohl der Charakter des Abkommens wie die Umstände, die für
seine Abänderung in Aussicht genommen waren, völlig klar
hervorgehen. [...]
23. Im letzten Absatz ihres Memorandums erklärt die Deutsche
Regierung, daß sie bereit ist, in Verhandlungen über
zukünftige Fragen einzutreten, wenn Seiner Majestät Regierung es
wünscht. Wie oben gesagt, ergibt sich aus der deutschen Handlungsweise
der letzten Zeit eine Lage, die in mancher Hinsicht ungewiß ist, und ein
Meinungsaustausch würde dazu beitragen, sie zu klären...
24. Wenn jedoch die Deutsche Regierung an Verhandlungen über
ein anderes Abkommen denkt, das an die Stelle der jetzt von ihr gelösten
Vereinbarungen treten soll, so würde Seiner Majestät Regierung gern
Angaben über den Umfang und Zweck haben, den die Deutsche Regierung
für ein solches Abkommen angemessen finden würde.
25. Insbesondere wünscht Seiner Majestät Regierung zu
wissen, erstens, wann nach deutscher Ansicht die Erörterungen für
den Abschluß eines solchen Abkommens stattfinden sollten. Zweitens
wünscht Seiner Majestät Regierung zu wissen, was die Deutsche
Regierung vorschlagen würde, um sicherzustellen, daß etwaige
Schritte im Sinne einer Kündigung oder Änderung des neuen
Abkommens während seiner Gültigkeitsdauer die Zustimmung
beider Parteien hätten.
(E: Cmd. 6106. No. 24. - D: DNB. vom 29. Juni
1939.)
Die britische Regierung ließ sich indessen durch die Warnung und das
gleichzeitige Entgegenkommen des Führers in der Weiterverfolgung ihrer
Einkreisungspolitik nicht beirren. Die verantwortlichen Leiter der britischen
Außenpolitik, insbesondere der Außenminister Lord Halifax,
bestritten nicht, daß England eine Mächtegruppierung zu organisieren
suche, die dazu dienen sollte, einen machtmäßigen Druck auf
Deutschland auszuüben. Dem Vorwurf der Einkreisungspolitik wußte
er nur mit dem sinnlosen und nichtssagenden Argument zu begegnen, daß
Deutschland an dieser Einkreisung selbst schuld sei.
Instruktion des britischen Außenministers
Lord Halifax
an den Botschafter Sir Nevile Henderson vom 16. Juni
1939
Der deutsche Botschafter sprach heute morgen im Auswärtigen Amt
vor, um ein technisches Abkommen ohne große Bedeutung zwischen
den beiden Regierungen zu unterzeichnen, und ich hatte danach mit ihm eine
Unterredung von wenigen Augenblicken. Diese folgte zum Teil der
gewohnten Linie, indem er seinerseits die Wirkung darlegte, die in
Deutschland durch die Einkreisung hervorgerufen [203] werde. Der Botschafter
äußerte die Ansicht, daß ebenso wie der alte Ausdruck
"The Fleet in being" einen Druck, auch ein offenes Vorgehen, andeutete,
jetzt die von uns organisierte Umgruppierung der Mächte
tatsächlich dazu bestimmt sei, einen Zwang auf Deutschland
auszuüben, und dies sei es, was man verüble. Seine Exzellenz
sagte und machte späterhin in unserm Gespräch die gleiche
Bemerkung, daß viel von dem gegenwärtigen Empfinden auf die
ganze Erörterung über unsere
Anti-Aggressions-Verhandlungen mit Rußland
zurückzuführen sei. Seines Erachtens würde es die Lage
erleichtern, wenn die Verhandlungen einmal so oder so erledigt
wären. Ich dachte, diese Bemerkung sei vielleicht nicht ohne
Bedeutung.
2. Ich erwiderte, wenn jemand Deutschland einkreise, so tue es das
selber durch die Politik, die es beharrlich verfolge. Wie immer man
über die jetzt von unserm Land betriebene Politik denken
möge, es erscheine uns ganz klar, daß der deutsche Kanzler das
Porzellan in Europa zerbrochen habe, und daß nur er es auch wieder
zusammenflicken könne. Wir hätten uns unserseits wiederholt
bemüht, den Weg für eine Entspannung und eine Besserung der
Beziehungen zu öffnen, dies habe aber bisher von Herrn Hitler
keinerlei Erwiderung ausgelöst.
3. Ich sagte Herrn von Dirksen, ich hoffte, er werde es mich wissen
lassen, wenn er mir irgendwann einmal etwas, das er für wichtig halte,
mitzuteilen wünsche, und er drückte in Erwiderung hierauf
einen ähnlichen Wunsch aus, ich möchte nicht zögern,
ihn jederzeit herzubitten.
Halifax
(E: Cmd. 6106. No. 23. - D: Eigene
Übersetzung.)
Aus dem Vortrag des britischen
Außenministers Lord Halifax
vom 29. Juni 1939 vor dem Royal
Institute of International Affairs im Chatham House
Unser erster Entschluß ist, der Aggression Einhalt zu gebieten. Ich brauche
nicht die Aggressionshandlungen wieder aufzuzählen, die stattgefunden
haben, oder die Wirkung, die sie auf das allgemeine Vertrauen ausübten,
das Nationen in Worte und feierliche Versprechen zu setzen vermögen. Aus
diesem Grund, und aus diesem Grund allein, haben wir uns mit anderen Nationen
vereinigt, um einer gemeinsamen Gefahr zu begegnen. Wir alle kennen diese
Vereinbarungen, und die Welt weiß, daß sie keinen anderen Zweck
haben als Verteidigung. Sie bedeuten das, was sie
ausdrücken - nichts mehr und nichts weniger. Aber man hat sie
gebrandmarkt, als zielten sie auf die
Isolierung - oder, wie man es nennt, die Einkreisung Deutschlands und
Italiens hin, und als seien sie darauf berechnet, zu verhindern, daß sie sich
den für ihre nationale Existenz notwendigen Lebensraum schaffen. Ich
werde mich mit diesen Anschuldigungen heute abend befassen, und ich gedenke
es mit vollendetem Freimut zu tun.
[204] Man sagt uns, unsere Beweggründe
seien, Deutschland in einem Ring feindseliger Staaten zu isolieren, seine
natürlichen Ausmündungen zu verstopfen, die ganze Existenz einer
großen Nation einzuengen und zu erdrosseln. Wie verhält es sich
damit? Die Tatsachen sind sehr einfach, und jeder kennt sie. Deutschland isoliert
sich selbst und tut es höchst erfolgreich und vollständig. Es isoliert
sich von andern Ländern wirtschaftlich durch seine Politik der
Autarkie, politisch durch eine Politik, die andern Nationen dauernd Sorge
bereitet, und kulturell durch seine Rassenpolitik. Wenn man sich
vorsätzlich durch eigene Handlungen von andern isoliert, so kann
man niemand als sich selbst die Schuld daran beimessen, und solange diese
Isolierung weitergeht, müssen sich die unausbleiblichen Folgen
verstärken und deutlicher abzeichnen. Das letzte, was wir wünschen,
ist, den einzelnen Deutschen, Mann oder Frau oder Kind, Entbehrungen leiden zu
sehen; doch wenn dies geschieht, liegt die Schuld daran nicht bei uns, und es
hängt von Deutschland, und bloß von Deutschland, ab, ob dieser
Prozeß der Isolierung weitergeht oder nicht, denn er läßt sich
jeden Tag durch eine Politik der Zusammenarbeit beenden. Es ist angebracht, dies
klar auszusprechen, damit hier oder anderwärts kein
Mißverständnis bestehe.
Ich komme jetzt zum Lebensraum. Dies Wort... bedarf einer fairen und
sorgfältigen Prüfung. Natürlich sieht sich jede entwickelte
Gemeinschaft dem vitalen Problem des Lebensraums gegenüber. Das
Problem wird indes nicht einfach dadurch gelöst, daß man mehr
Gebiet erwirbt. Ja, das wird das Problem vielleicht nur verschärfen. Es kann
bloß dadurch gelöst werden, daß man die heimischen
Angelegenheiten eines Landes weise ordnet und die Beziehungen zu andern
Ländern draußen anpaßt und verbessert. Nationen breiten
dadurch ihren Reichtum aus und heben den Lebensstandard ihres Volks, daß
sie das Vertrauen ihrer Nachbarn gewinnen und damit den Warenverkehr unter
sich erleichtern. Das genaue Gegenteil ist die wahrscheinliche Folge, wenn eine
Nation die unabhängige Existenz ihrer kleineren schwachen Nachbarn
unterdrückt. Und falls Lebensraum in diesem Sinn angewendet werden soll,
verwerfen wir ihn und müssen uns seiner Anwendung widersetzen. Es ist
bemerkenswert, daß dieser Anspruch auf Lebensraum in einem Augenblick
vorgebracht wird, da Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist, das
Arbeiter in großer Zahl aus der Tschecho-Slowakei, aus Holland und Italien
einführt, um den Bedürfnissen seiner Industrie und Landwirtschaft zu
genügen. Wie kann Deutschland da geltend machen, daß es
übervölkert sei? Belgien und Holland und in geringerem Grad unsere
eigenen Inseln haben bereits bewiesen, daß eine sogenannte
Übervölkerung durch produktive Arbeit verhütet werden kann.
Die weiten Räume und natürlichen Hilfsquellen des Britischen
Reichs und der Vereinigten Staaten von Amerika vermochten sie nicht vor
weitverbreiteter Not während des großen Niedergangs von
1929 - 1932 zu bewahren. Die Welt ist wirtschaftlich viel zu eng verflochten, als
daß ein Land hoffen könnte, auf Kosten seiner Nachbarn zu
profitieren, [205] und weniger als jedes
andre Land kann Deutschland hoffen, seine wirtschaftlichen Probleme in
Isolierung zu lösen.
Wir können ohne Zweifel gegenwärtig
nicht den Tag voraussehen, an dem der Handel überall frei sein wird. Aber
es ist, bei gegebener Gelegenheit, möglich, Abmachungen zu treffen, die
den Bereich der Freiheit stark erweitern würden. Durch
Zusammenarbeit - und wir für unser Teil sind bereit,
zusammenzuarbeiten - gibt es reichlich Spielraum, um auf alle Nationen
die Gelegenheit umfassenderen wirtschaftlichen Lebens auszudehnen mit allem,
was in dem Ausdruck "Lebensraum" inbegriffen liegt.
(E: Cmd. 6106. No. 25. - D: Eigene
Übersetzung.)
In Weiterverfolgung ihrer Einkreisungspolitik suchte die britische Regierung
in den folgenden Monaten der sich immer mehr zuspitzenden Krise den Polen den
Rücken zu stärken, wo sie nur Gelegenheit hatte. Sie identifizierte
sich mit den polnischen Übergriffen und ließ sich wider besseres
Wissen sogar zu einer Verteidigung der unhaltbaren Lage
Danzigs nach dem Versailler Diktat herbei.
Unterhauserklärung des britischen
Premierministers Chamberlain über Danzig vom 10. Juli
1939
Ich habe schon früher festgestellt, daß die Regierung Seiner
Majestät mit der polnischen und der französischen Regierung
hinsichtlich der Danziger Frage in enger Fühlungnahme steht. Ich habe den
Informationen, die dem Haus bereits über die dortige Lage gegeben worden
sind, gegenwärtig nichts hinzuzufügen. Aber es ist vielleicht von
Nutzen, wenn ich die einzelnen Teile dieser Frage, so wie sie sich der Regierung
Seiner Majestät darstellen, noch einmal bespreche.
Volksmäßig ist Danzig
fast völlig eine deutsche Stadt; aber der
Wohlstand seiner Bewohner hängt in sehr hohem Maße vom
polnischen Handel ab. Die Weichsel ist der einzige Wasserweg, der Polen mit der
Ostsee verbindet, und der
Hafen an seiner Mündung hat natürlich
für Polen eine lebenswichtige strategische und wirtschaftliche Bedeutung.
Eine andere Macht, die sich in Danzig festsetzt, könnte, wenn sie wollte,
Polens Zugang zur See sperren und auf diese Weise einen wirtschaftlichen und
militärischen Druck auf Polen ausüben. Die für die
Ausarbeitung des heutigen Status der Freien Stadt Verantwortlichen waren sich
dieser Tatsache durchaus bewußt und taten ihr Bestes, um entsprechende
Vorkehrungen zu treffen. Überdies kann von einer Bedrückung der
deutschen Bevölkerung Danzigs keine Rede sein. Die Verwaltung der
Freien Stadt liegt im Gegenteil in deutschen Händen, und die einzigen ihr
auferlegten Beschränkungen sind nicht so geartet, daß sie die Freiheit
ihrer Bürger beschneiden. Obwohl die heutige Regelung einer
Verbesserung zugänglich sein mag, kann sie doch an sich nicht als
ungerecht oder unlogisch angesehen werden. Die Aufrechterhaltung des status quo
ist in der Tat vom Deutschen Reichskanzler [206] selbst bis 1944 durch den zehnjährigen
Vertrag, den er mit Marschall Pilsudski abgeschlossen hat, garantiert worden.
Bis zum letzten März schien Deutschland der Ansicht zu sein, daß,
obschon die Stellung Danzigs letztlich vielleicht einmal revidiert werden
müsse, diese Frage weder dringend sei noch geeignet, um zu einem
ernsthaften Konflikt zu führen. Aber als dann die deutsche Regierung im
März ein Angebot in Form gewisser Wünsche machte, das von einer
Pressekampagne begleitet wurde, erkannte die polnische Regierung, daß sie
sich unter Umständen schon sehr schnell einer einseitigen Lösung
gegenübersehen könnte, der sie sich mit allen Machtmitteln zu
widersetzen haben würde. Sie hatte die Ereignisse in Österreich, in
der Tschechoslowakei und im Memelland vor Augen. Demzufolge lehnte sie es
ab, den deutschen Standpunkt anzunehmen und machte ihrerseits
Vorschläge für eine mögliche Lösung der Probleme, an
denen Deutschland interessiert war. Am 23. März ordnete Polen gewisse
Defensivmaßnahmen an, und am 26. März schickte es seine Antwort
nach Berlin. Ich bitte das Haus, sich diese Daten sorgfältig zu merken. Es
ist in Deutschland freimütig erklärt worden, daß es die
britische Garantie war, die die polnische Regierung dazu ermutigt hat, die oben
beschriebene Aktion zu unternehmen. Es muß aber festgestellt werden,
daß unsere
Garantie erst am 31. März gegeben wurde; am 26.
März war darüber der polnischen Regierung gegenüber noch
nicht einmal Erwähnung getan worden.
Kürzliche Vorfälle in Danzig haben unvermeidlicherweise
Befürchtungen aufkommen lassen, daß beabsichtigt wird, den
künftigen Status der Freien Stadt durch einseitiges Vorgehen, das durch
heimliche Methoden organisiert würde, zu regeln und so Polen und die
anderen Mächte vor ein fait accompli zu stellen. Unter diesen
Umständen würde, gibt man zu verstehen, jede Maßnahme, die
Polen zur Wiederherstellung der Sachlage ergreift, als eine von ihm
unternommene Angriffshandlung hingestellt werden, und wenn seine Aktion
durch andere Mächte unterstützt würde, dann würden
diese ihrerseits bezichtigt werden, Polen bei der Gewaltanwendung zu helfen und
Vorschub zu leisten.
Wenn sich die Ereignisse in der Tat so abspielen sollten, wie es diese Hypothese
vorsieht, werden sich die ehrenwerten Herren auf Grund dessen, was ich
früher sagte, darüber klar sein, daß der Fall nicht als rein lokale
Angelegenheit angesehen werden kann, die nur die Rechte und Freiheiten der
Danziger betrifft, die, nebenbei gesagt, in keiner Weise bedroht sind; sie
würde vielmehr sofort ernstere, die nationale Existenz und
Unabhängigkeit Polens berührende Fragen aufwerfen. Wir haben
garantiert, Polen für den Fall einer klaren Bedrohung seiner
Unabhängigkeit beizustehen, die ihm einen Widerstand mit seinen
nationalen Streitkräften lebenswichtig erscheinen ließe, und wir sind
fest entschlossen, dieses Versprechen zur Ausführung zu bringen.
Ich habe bereits gesagt, daß die heutige Regelung weder
grundsätzlich ungerecht noch unlogisch ist; sie mag Verbesserungen
zu- [207] gänglich sein. Über die
möglichen Verbesserungen könnte man vielleicht in einer klareren
Atmosphäre verhandeln. Oberst Beck hat denn auch selbst in seiner Rede
vom 5. Mai gesagt, daß alle Besprechungen möglich seien, wenn die
deutsche Regierung sich an zwei Bedingungen halte, nämlich an
friedliche Absichten und Methoden des Vorgehens. Der Deutsche Reichskanzler
hat in seiner Reichstagsrede vom 28.
April gesagt, daß, wenn die polnische
Regierung zu einer neuen vertraglichen Regelung der Beziehungen zu
Deutschland kommen wolle, er dies nur begrüßen würde. Er
fügte hinzu, daß eine solche Regelung dann auf einer ganz klaren und
beide Teile gleichmäßig bindenden Verpflichtung beruhen
müßte.
Die Regierung Seiner Majestät ist sich darüber klar, daß die
jüngsten Ereignisse in der Freien Stadt das Vertrauen gestört und es
für den Augenblick schwer gemacht haben, eine Atmosphäre zu
finden, in der vernünftige Ratschläge die Oberhand gewinnen
können. Angesichts dieser Lage ist die polnische Regierung ruhig
geblieben, und die Regierung Seiner Majestät hofft, daß die Freie
Stadt mit ihren alten Überlieferungen wieder einmal, wie schon
früher in ihrer Geschichte, beweisen wird, daß verschiedene
Nationalitäten zusammenarbeiten können, wenn ihre wirklichen
Interessen zusammenfallen. Inzwischen verlasse ich mich darauf, daß alle
Beteiligten ihre Entschlossenheit erklären und zeigen werden, keinerlei
Zwischenfälle im Zusammenhang mit Danzig einen derartigen Charakter
annehmen zu lassen, daß eine Bedrohung des Friedens von Europa daraus
erwachsen könnte.
(E: Parliamentary Debates. House of Commons. Bd.
349, Sp. 1787ff. [Scriptorium merkt an: im Original "1791."] - D:
Monatshefte für Auswärtige Politik,
1939. S. 818ff.)
Nachdem die deutsch-polnischen Beziehungen durch den Notenwechsel
zwischen Warschau und Danzig einerseits und Berlin und Warschau andererseits
in der Zeit vom 5. bis 10. August 1939 (vgl. Deutsches Weißbuch:
"Urkunden zur letzten Phase der
deutsch-polnischen Krise", Nr. 1-5) zunehmend gespannter geworden waren, war
der britische Botschafter in Berlin, Sir Nevile Henderson, am 18. August zu der
Überzeugung gekommen, daß man die Dinge nicht mehr treiben
lassen könne. In dem Telegramm an den britischen Außenminister
wiederholte er daher seine schon bei früherer Gelegenheit vorgebrachte
Anregung, daß der Premierminister ein persönliches Schreiben an den
Führer richten und durch einen besonderen Boten übermitteln solle
(vgl. britisches Weißbuch: "Germany No. 1 [1939] Final Report by The
Right Honourable Sir Nevile Henderson G.G.M.G on the circumstances leading
to the Termination of his Mission to Berlin," September 20, 1939, Cmd. 6115. Nr.
23).
Infolge dieser Anregung kam es zu dem Briefwechsel zwischen Chamberlain und
dem Führer
vom 22./23. August 1939, in dem der Führer wiederum
die jahrelangen vergeblichen deutschen Bemühungen um die englische
Freundschaft betonte.
[208]
Schreiben des britischen Premierministers an den Führer
vom 22. August 1939
Euer Exzellenz!
Euer Exzellenz werden bereits von gewissen Maßnahmen Kenntnis erhalten
haben, die von Seiner Majestät Regierung getroffen und heute abend in der
Presse und im Rundfunk bekanntgegeben wurden.
Diese Maßnahmen sind nach Ansicht Seiner Majestät Regierung
notwendig geworden durch Truppenbewegungen, über die aus Deutschland
berichtet worden ist und durch die Tatsache, daß anscheinend die
Ankündigung eines deutsch-sowjetischen Abkommens in gewissen Kreisen
in Berlin als Anzeichen dafür aufgefaßt wird, daß eine
Intervention seitens Großbritanniens zugunsten Polens nicht mehr eine
Eventualität darstellt, mit der zu rechnen notwendig ist. Kein
größerer Fehler könnte begangen werden. Welcherart auch
immer das deutsch-sowjetische Abkommen sein wird, so kann es nicht
Großbritanniens Verpflichtung gegenüber Polen ändern, wie
Seiner Majestät Regierung wiederholt öffentlich und klar dargelegt
hat und diese entschlossen ist, zu erfüllen. Es ist behauptet worden,
daß, wenn Seiner Majestät Regierung ihren Standpunkt im Jahre
1914 klarer dargelegt hätte, jene große Katastrophe vermieden
worden wäre. Unabhängig davon, ob dieser Behauptung Bedeutung
beizulegen ist oder nicht, ist Seiner Majestät Regierung entschlossen,
dafür zu sorgen, daß im vorliegenden Falle kein solch tragisches
Mißverständnis entsteht.
Nötigenfalls ist Seiner Majestät Regierung entschlossen und bereit,
alle ihr zur Verfügung stehenden Kräfte unverzüglich
einzusetzen, und es ist unmöglich, das Ende einmal begonnener
Feindseligkeiten abzusehen. Es würde eine gefährliche
Täuschung sein zu glauben, daß ein einmal begonnener Krieg
frühzeitig enden würde, selbst wenn ein Erfolg auf einer der
verschiedenen Fronten, an denen er geführt werden wird, erzielt worden
sein sollte.
Nachdem unser Standpunkt auf diese Weise vollkommen klar dargelegt ist,
möchte ich Euer Exzellenz wiederholt meine Überzeugung
dahingehend zum Ausdruck bringen, daß Krieg zwischen unseren beiden
Völkern die größte Katastrophe darstellen würde, die
überhaupt eintreten könnte. Ich bin überzeugt, daß
weder unser Volk noch das Ihrige einen Krieg wünscht, und ich kann nicht
ersehen, daß die zwischen Deutschland und Polen schwebenden Fragen
irgend etwas enthalten, das nicht ohne Gewalt gelöst werden könnte
und sollte, wenn nur ein Zustand des Vertrauens wiederhergestellt werden
könnte, der es ermöglichen würde, Verhandlungen zu einer
besseren als der heute bestehenden Atmosphäre zu führen.
Wir sind immer bereit gewesen und werden es auch stets sein, zu der Schaffung
von Bedingungen beizutragen, in denen solche Verhandlungen stattfinden
könnten, und in denen es möglich sein würde, gleichzeitig jene
größeren, zukünftige internationale Beziehungen
be- [209] rührenden Probleme zu erörtern,
einschließlich die uns und Euer Exzellenz interessierenden
Angelegenheiten.
In dem heute bestehenden Spannungszustande nehmen jedoch die
Schwierigkeiten zu, die friedlichen Verhandlungen im Wege stehen, und je
länger diese Spannung aufrechterhalten wird, desto schwerer wird sich die
Vernunft durchzusetzen vermögen. Diese Schwierigkeiten könnten
jedoch gemildert, wenn nicht beseitigt werden, wenn über einen
anfänglichen Zeitraum auf beiden
Seiten - und überhaupt auf allen Seiten - eine Pause
eingehalten werden könnte, in der Pressepolemik und jedwede Aufreizung
einzustellen sei.
Wenn eine solche Pause herbeigeführt werden könnte, dann
dürfte Grund zu der Hoffnung bestehen, daß, nach Ablauf dieses
Zeitraumes, in dem Schritte unternommen werden könnten, um die von
beiden Seiten erhobenen Beschwerden bezüglich der Behandlung von
Minderheiten zu untersuchen und in Angriff zu nehmen, geeignete Bedingungen
geschaffen sein würden für die Aufnahme von direkten
Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen über die zwischen ihnen
bestehenden Fragen (unter Mitwirkung eines neutralen Vermittlers, sollten beide
Parteien dies für zweckmäßig erachten).
Ich fühle mich jedoch verpflichtet zu sagen, daß nur eine geringe
Hoffnung bestehen würde, solche Verhandlungen zu einem erfolgreichen
Abschluß zu bringen, wenn es nicht von Anfang an feststünde,
daß ein zu erreichendes Abkommen bei seinem Abschluß von
anderen Mächten garantiert werden würde. Seiner Majestät
Regierung würde bereit sein, wenn der Wunsch dazu ausgesprochen
werden sollte, zu der wirksamen Durchführung solcher Garantien nach
ihrem Vermögen beizutragen.
In diesem Augenblick gestehe ich, daß ich keinen anderen Weg sehe, eine
Katastrophe zu vermeiden, die Europa in den Krieg führen wird.
Im Hinblick auf die schweren Folgen für die Menschheit, die aus einer
Handlung ihrer Herrscher entstehen können, vertraue ich darauf, daß
Euer Exzellenz mit tiefster Überlegung die Ihnen von mir dargelegten
Gesichtspunkte abwägen werden.
Neville Chamberlain
(E: Cmd. 6106. No. 56. D: Dokumente zur
Vorgeschichte des Krieges, Nr.
454.)
Antwortschreiben des Führers an den britischen
Premierminister vom 23. August 1939
Euer Exzellenz!
Der Königlich-Britische Botschafter hat mir soeben ein Schreiben
überreicht, in dem Eure Exzellenz namens der Britischen Regierung auf
eine Reihe von Punkten hinweisen, die Ihrer Auffassung nach von
größter Wichtigkeit seien.
Ich darf dieses Ihr Schreiben wie folgt beantworten:
[210] 1. Deutschland hat niemals Konflikte
mit England gesucht und sich nie in englische Interessen eingemischt. Es hat sich
im Gegenteil - wenn auch leider vergebens - jahrelang
bemüht, die englische Freundschaft zu erwerben. Es hat aus diesem Grunde
freiwillige Begrenzungen seiner eigenen Interessen in einem großen Gebiet
Europas vorgenommen, die ansonst nationalpolitisch nur sehr schwer tragbar
wären.
2. Das Deutsche Reich besitzt aber - wie jeder andere
Staat - bestimmte Interessen, auf die Verzicht zu leisten unmöglich
ist. Sie liegen nicht außerhalb des Rahmens der durch die frühere
deutsche Geschichte gegebenen und durch wirtschaftliche Lebensvoraussetzungen
bedingten Notwendigkeiten. Einige dieser Fragen besaßen und besitzen
zugleich eine nationalpolitisch und psychologisch für jede Deutsche
Regierung zwingende Bedeutung.
Zu ihnen gehören die deutsche Stadt Danzig und das damit im
Zusammenhang stehende Problem des Korridors. Zahlreiche Staatsmänner,
Geschichtsforscher und Literaten, auch in England, waren sich wenigstens noch
vor wenigen Jahren dessen bewußt. Hinzufügen möchte ich
noch, daß alle diese Gebiete, die in der vorher erwähnten deutschen
Interessensphäre liegen, und insbesondere die seit achtzehn Monaten zum
Reich zurückgekehrten Länder ihre kulturelle Erschließung
nicht durch Engländer, sondern ausschließlich durch Deutsche
erhalten haben, und zwar zum Teil schon in und seit einer Zeit, die über
tausend Jahre zurückliegt.
3. Deutschland war bereit, die Frage Danzig und die des Korridors durch
einen wahrhaft einmalig großzügigen Vorschlag auf dem Wege von
Verhandlungen zu lösen. Die von England ausgestreuten Behauptungen
über eine deutsche Mobilmachung gegenüber Polen, die Behauptung
von Aggressionsbestrebungen gegenüber Rumänien, Ungarn usw.
sowie die später abgegebenen sogenannten Garantieerklärungen
hatten die Geneigtheit der Polen zu Verhandlungen auf einer solchen auch
für Deutschland tragbaren Basis beseitigt.
4. Die von England Polen gegebene Generalzusicherung, ihm unter allen
Umständen beizustehen, ganz gleich, aus welchen Ursachen ein Konflikt
entstehen könnte, konnte in diesem Lande nur als eine Ermunterung
aufgefaßt werden, nunmehr - gedeckt durch einen solchen
Freibrief - eine Welle furchtbaren Terrors gegen die 1½ Millionen
zählende deutsche Bevölkerung, die in Polen lebt, anlaufen zu lassen.
Die Greuel,
die seitdem dort stattfinden, sind für die Betroffenen
entsetzlich, für das dabei zusehen sollende Deutsche Reich
unerträglich. Der Freien Stadt Danzig gegenüber hat Polen zahlreiche
Rechtsverletzungen begangen, Forderungen ultimativen Charakters geschickt und
mit der wirtschaftlichen
Abdrosselung begonnen.
5. Die Deutsche Reichsregierung hat der Polnischen Regierung nun vor
kurzem mitteilen lassen, daß sie nicht gewillt ist, diese Entwicklung
stillschweigend hinzunehmen, daß sie nicht dulden wird, daß weitere
ultimative Noten an Danzig gerichtet werden, daß sie nicht dulden wird,
daß man die Verfolgungen des deutschen Elementes fortsetzt, daß sie
ebenso nicht dulden wird, durch wirtschaftliche
Maß- [211] nahmen die Freie Stadt
Danzig umzubringen, das heißt, durch eine Art von Zollblockade der
Danziger Bevölkerung die Lebensgrundlagen zu vernichten, und daß
sie auch nicht dulden wird, daß sich sonstige weitere Provokationsakte
gegen das Reich ereignen. Unabhängig davon müssen und werden
die Fragen des Korridors und von Danzig ihre Lösung finden.
6. Sie teilen mir, Exzellenz, im Namen der Britischen Regierung mit,
daß Sie in jedem solchen Fall des Einschreitens Deutschlands gezwungen
sein werden, Polen Beistand zu leisten. Ich nehme diese Ihre Erklärung zur
Kenntnis und versichere Ihnen, daß sie keine Änderung in die
Entschlossenheit der Reichsregierung bringen kann, die Interessen des Reiches in
dem in Punkt 5 mitgeteilten Sinn wahrzunehmen. Ihre Versicherung,
daß Sie in einem solchen Fall an einen langen Krieg glauben, teile ich
ebenfalls. Deutschland ist - wenn es von England angegriffen wird -
darauf vorbereitet und dazu entschlossen. Ich habe schon öfter als einmal
vor dem Deutschen Volk und der Welt erklärt, daß es über den
Willen des neuen Deutschen Reiches keinen Zweifel geben könne, lieber
jede Not und jedes Unglück und auf jede Zeit auf sich zu nehmen, als seine
nationalen Interessen oder gar seine Ehre preiszugeben.
7. Die Deutsche Reichsregierung hat Kenntnis davon bekommen,
daß die Britische Regierung beabsichtigt, Mobilmachungsmaßnahmen
durchzuführen, deren eindeutiger Charakter als nur gegen Deutschland
gerichtet, nach den eigenen Erklärungen in Ihrem Schreiben an mich, Herr
Ministerpräsident, feststeht. Dies soll auch für Frankreich zutreffen.
Da Deutschland niemals die Absicht hatte, sei es gegen England oder gegen
Frankreich, militärische Maßnahmen außer solchen defensiver
Natur zu treffen, und - wie schon betont - nie beabsichtigte und auch
für die Zukunft nicht beabsichtigt, England oder Frankreich anzugreifen,
kann es sich in dieser Ankündigung, wie Sie sie, Herr
Ministerpräsident, in Ihrem Schreiben mir bestätigen, nur um einen
in Aussicht genommenen Akt der Bedrohung des Reiches handeln. Ich teile daher
Euer Exzellenz mit, daß ich im Falle des Eintreffens dieser
militärischen Ankündigungen die sofortige Mobilmachung der
deutschen Wehrmacht anordnen werde.
8. Die Frage der Behandlung der europäischen Probleme im
friedlichen Sinn kann nicht von Deutschland entschieden werden, sondern in
erster Linie von jenen, die sich seit dem Verbrechen des Versailler Diktates jeder
friedlichen Revision beharrlich und konsequent widersetzt haben. Erst nach der
Änderung der Gesinnung der dafür verantwortlichen Mächte
kann auch eine Änderung des Verhältnisses zwischen England und
Deutschland in einem positiven Sinne eintreten. Ich habe zeit meines Lebens
für eine deutsch-englische
Freundschaft gekämpft, bin aber durch das
Verhalten der britischen Diplomatie - wenigstens
bisher - von der Zwecklosigkeit eines solchen Versuches überzeugt
worden. Wenn sich dies in der Zukunft ändern würde, könnte
niemand glücklicher sein als ich.
Adolf Hitler
(Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Nr.
456.)
[212] Sir Nevile Henderson hat in einem Telegramm
vom 23. August an Lord Halifax bestätigt, daß auch in seinen
persönlichen Unterhaltungen mit dem Führer, die sich an diesen
Briefwechsel anschlossen, der gleiche Gesichtspunkt immer wieder
nachdrücklich in den Vordergrund gerückt wurde.
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