Zweites Kapitel (Forts.)
Die Englische Kriegspolitik
C. Die Britische Einkreisungspolitik
Nr. 290 Paris, den 15. April 1939
Havas-Spécial meldet über Chamberlain-Daladier-Erklärungen und anschließende Verhandlungen folgendes: "Wie schon gestern, legt man heute abend in zuständigen Kreisen Wert darauf, festzustellen, daß die französisch-englischen Erklärungen nicht das Endergebnis der zur Zeit im Gang befindlichen Verhandlungen darstellen. In dem allgemeinen diplomatischen Plane, der an dem auf den deutschen Gewaltstreich gegen die Tschecho-Slowakei folgenden Tages - in Hinsicht auf die Errichtung eines gegenseitigen Beistandssystems auf der Basis zweiseitiger Pakte zwischen den großen Demokratien des Westens und den befreundeten Mächten Osteuropas - ins Werk gesetzt wurde, bedeutet die Stellungnahme der Regierungen von London und Paris nur einen Schritt zur Überbrückung einer Zeit des Übergangs, in Erwartung des endgültigen Abschlusses der in Vorbereitung befindlichen diplomatischen Vertragswerke. Die Besprechungen zwischen den verschiedenen beteiligten Kanzleien dauern also an. Lebhafter Meinungsaustausch findet im Augenblick insbesondere zwischen Bukarest und Warschau statt, und man hat das Empfinden, daß die dabei vor einiger Zeit aufgetauchten Schwierigkeiten nunmehr überwunden werden können. [281] In gleich befriedigender Weise nehmen die Verhandlungen mit der UdSSR ihren Fortgang; sie bezwecken die Abgrenzung der Mitarbeit, die die Sowjetunion im Rahmen des im Aufbau befindlichen Beistandssystems zu leisten gewillt ist. Was die Türkei anbetrifft, so glaubt man zu wissen, daß die Verhandlungen in Kürze zum Abschluß kommen werden. Jedenfalls weiß man noch nicht, welche konkrete Form die Verpflichtungen zwischen der Türkei einerseits und Großbritannien und Frankreich andererseits annehmen werden. Was Bulgarien angeht, hat man den Eindruck, daß die sich im Gefolge der kürzlichen Ereignisse äußernde Unruhe sehr wohl zu einer Annäherung Sofias an die Mächte der Balkan-Entente führen könnte."
Botschaft
Nr. 291
Der Deutsche Gesandte in Bukarest an das Auswärtige Amt Telegramm Bukarest, den 15. April 1939
Erfahre zuverlässig, daß England nach rumänischer Absage, Viermächtepakt England-Frankreich-Polen-Rumänien als System Einkreisungspolitik gegen Deutschland zu schließen, versucht hat, Rumänien zu bestimmen, rumänisch-polnisches Bündnis, das gegen Sowjetrußland gerichtet ist, contra omnes auszudehnen, was Rumänien abgelehnt hat.
Fabricius
Nr. 292
Erklärung des Britischen Premierministers Chamberlain im Unterhaus, 18. April 1939 (Übersetzung)
Mr. Mander fragte den Premierminister, welche Generalstabsbesprechungen mit Ländern, denen gegenüber wir militärische Verpflichtungen eingegangen seien, vereinbart worden oder geplant seien? Der Premierminister: "Die Regierung Seiner Majestät wird in militärischen wie auch in anderen Angelegenheiten mit den in Frage kommenden Ländern jede notwendige Fühlungnahme aufrechterhalten." Mr. Mander: "Ist es nicht von größter Bedeutung, daß solche Besprechungen auch mit Polen, Rumänien und Griechenland stattfinden? Und kann der sehr ehrenwerte Herr eine Versicherung abgeben, daß solche Besprechungen tatsächlich stattfinden?" Der Premierminister: "Das ehrenwerte Mitglied muß sich mit der Versicherung, die ich ihm soeben gegeben habe, zufriedengeben".
[282]
Nr. 293
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts Berlin, den 26. April 1939
Der Britische Botschafter, der heute in das Auswärtige Amt kam, um die Dienstpflichterklärung Chamberlains anzukündigen,169 machte mir bei seinem Besuch u.a. die folgenden Ausführungen: Die Politik Chamberlains sei die des Friedens; doch glaube Chamberlain, das beste Mittel zur Friedensbewahrung liege in einer unzweifelhaften Demonstration der englischen Bereitschaft, wenn nötig, zu kämpfen und sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Die Britische Regierung sei jedoch wie immer entschlossen, alles in ihrer Macht Liegende zu tun, um den Frieden zu bewahren und unter Vermeidung des Krieges eine befriedigende Lösung der Schwierigkeiten zu suchen. Die Regierung bestreite nicht, daß Probleme vorliegen; sie sei aber überzeugt, daß diese ohne Weltkrieg gelöst werden könnten. Die Regierung habe keinerlei aggressive Absichten und wolle sich auch nicht durch andere in Angriffshandlungen hineinziehen lassen. Wenn sie sich öffentlich bereit erklärt habe, Angriffshandlungen Dritter in gewissen spezifizierten Fällen entgegenzutreten, so sei dies geschehen in der Hoffnung, Zwischenfälle zu vermeiden, die zum Krieg führen könnten, in keiner Weise aber, um etwa Italien oder Deutschland einzukreisen oder zu bedrohen. Auf diese formulierte Mitteilung Hendersons erwiderte ich ganz kurz mit der Bemerkung, daß wir die Britische Regierung nach ihren Taten und nicht nach ihren Worten beurteilten. Es hätte auch keinen Sinn, meinerseits mich in Argumenten zu ergehen, wo der Führer doch übermorgen sprechen werde - die Führerrede sei bereits im Druck -; nur einer Bemerkung könne ich mich nicht enthalten: die britische Garantie an Polen sei gewiß das geeignetste Mittel, um die polnischen untergeordneten Instanzen in ihrer Bedrückung der dortigen Deutschen zu ermutigen. Sie beuge also nicht vor, sondern provoziere geradezu Zwischenfälle in diesem Gebiet.
Weizsäcker
Nr. 294
Memorandum der Reichsregierung an die Königlich Britische Regierung, 28. April 1939 Als die Deutsche Regierung im Jahre 1935 der Königlich Britischen Regierung das Angebot machte, durch einen Vertrag die Stärke der deutschen Flotte in ein bestimmtes Verhältnis zu der Stärke der Seestreitkräfte des Britischen Reiches zu bringen, tat sie dies auf Grund der festen Überzeugung, daß für alle Zeiten die Wiederkehr eines kriegerischen Konfliktes zwischen Deutschland und Großbritannien ausgeschlossen sei. Indem sie durch das Angebot des Verhältnisses 100:35 freiwillig den Vorrang der britischen Seeinteressen anerkannte, glaubte sie mit diesem in der Geschichte der Großmächte wohl einzig dastehenden Entschlusse einen Schritt zu tun, der dazu führen würde, für alle Zukunft ein freundschaftliches Verhältnis zwischen den beiden Nationen zu begründen. Selbstverständlich setzte dieser Schritt der Deutschen Regierung voraus, daß die Königlich Britische [283] Regierung auch ihrerseits zu einer politischen Haltung entschlossen sei, die eine freundschaftliche Gestaltung der deutsch-englischen Beziehungen sicherstellte. Auf dieser Grundlage und unter diesen Voraussetzungen ist das deutsch-englische Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 zustande gekommen. Das ist von beiden Seiten beim Abschluß des Abkommens übereinstimmend zum Ausdruck gebracht worden. Ebenso haben noch im vorigen Herbst, nach der Konferenz von München, der Deutsche Reichskanzler und der Britische Ministerpräsident in der von ihnen unterzeichneten Erklärung feierlich bestätigt, daß sie das Abkommen als symbolisch für den Wunsch beider Völker ansähen, niemals wieder Krieg gegeneinander zu führen. Die Deutsche Regierung hat an diesem Wunsche stets festgehalten und ist auch heute noch von ihm erfüllt. Sie ist sich bewußt, in ihrer Politik dementsprechend gehandelt und in keinem Falle in die Sphäre englischer Interessen eingegriffen oder diese Interessen sonstwie beeinträchtigt zu haben. Dagegen muß sie zu ihrem Bedauern feststellen, daß sich die Königlich Britische Regierung neuerdings von der Linie einer entsprechenden Politik gegenüber Deutschland immer weiter entfernt. Wie die von ihr in den letzten Wochen bekanntgegebenen politischen Entschließungen und ebenso die von ihr veranlaßte deutschfeindliche Haltung der englischen Presse deutlich zeigen, ist für sie jetzt die Auffassung maßgebend, daß England, gleichviel in welchem Teil Europas Deutschland in kriegerische Konflikte verwickelt werden könnte, stets gegen Deutschland Stellung nehmen müsse, und zwar auch dann, wenn englische Interessen durch einen solchen Konflikt überhaupt nicht berührt werden. Die Königlich Britische Regierung sieht mithin einen Krieg Englands gegen Deutschland nicht mehr als eine Unmöglichkeit, sondern im Gegenteil als ein Hauptproblem der englischen Außenpolitik an. Mit dieser Einkreisungspolitik hat die Königlich Britische Regierung einseitig dem Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 die Grundlage entzogen und dadurch dieses Abkommen sowie die zu seiner Ergänzung vereinbarte "Erklärung" vom 17. Juli 1937 außer Kraft gesetzt. Das gleiche gilt auch für den Teil III des deutsch-englischen Flottenabkommens vom 17. Juli 1937, in dem die Verpflichtung zu einem zweiseitigen deutsch-englischen Nachrichtenaustausch festgelegt worden ist. Die Durchführung dieser Verpflichtung setzt naturgemäß voraus, daß zwischen beiden Partnern ein offenes Vertrauensverhältnis besteht. Da die Deutsche Regierung ein solches Verhältnis zu ihrem Bedauern nicht mehr als gegeben ansehen kann, muß sie auch die Bestimmungen des erwähnten Teiles III als hinfällig geworden bezeichnen. Von diesen der Deutschen Regierung gegen ihren Willen aufgezwungenen Feststellungen bleiben die qualitativen Bestimmungen des deutsch-englischen Abkommens vom 17. Juli unberührt. Die Deutsche Regierung wird diese Bestimmungen auch in Zukunft beachten und so ihren Teil dazu beitragen, daß ein allgemeiner unbeschränkter Wettlauf in den Seerüstungen der Nationen vermieden wird. Darüber hinaus wird die Deutsche Regierung, falls die Königlich Britische Regierung Wert darauf legt, mit Deutschland über die hier in Betracht kommenden Probleme erneut in Verhandlungen einzutreten, dazu gern bereit sein. Sie würde es begrüßen, wenn es sich dann als möglich erwiese, auf sicherer Grundlage zu einer klaren und eindeutigen Verständigung zu gelangen.
[284]
Nr. 295
Rede des Führers vor dem Deutschen Reichstag, 28. April 1939 Auszug ..... Ich habe während meiner ganzen politischen Tätigkeit immer den Gedanken der Herstellung einer engen deutsch-englischen Freundschaft und Zusammenarbeit vertreten. Ich fand in meiner Bewegung ungezählte gleichgesinnte Menschen. Vielleicht schlossen sie sich mir auch wegen dieser meiner Einstellung an. Dieser Wunsch nach einer deutsch-englischen Freundschaft und Zusammenarbeit deckt sich nicht nur mit meinen Gefühlen, die sich aus der Herkunft unserer beiden Völker ergeben, sondern auch mit meiner Einsicht in die im Interesse der ganzen Menschheit liegende Wichtigkeit der Existenz des Britischen Weltreiches. Ich habe niemals einen Zweifel darüber gelassen, daß ich im Bestande dieses Reiches einen unschätzbaren Wertfaktor für die ganze menschliche Kultur und Wirtschaft sehe. Wie immer auch Großbritannien seine kolonialen Gebiete erworben hat - ich weiß, es geschah dies alles durch Gewalt und sehr oft durch brutalste Gewalt -, so bin ich mir doch darüber im klaren, daß kein anderes Reich auf anderem Wege bisher entstanden ist und daß letzten Endes vor der Weltgeschichte weniger die Methode als der Erfolg gewertet wird, und zwar nicht im Sinne des Erfolges der Methode, sondern des allgemeinen Nutzens, der aus einer solchen Methode entsteht. Das angelsächsische Volk hat nun ohne Zweifel eine unermeßliche kolonisatorische Arbeit auf dieser Welt vollbracht. Dieser Arbeit gehört meine aufrichtige Bewunderung. Der Gedanke an eine Zerstörung dieser Arbeit erschiene und erscheint mir von einem höheren menschlichen Standpunkt aus nur als ein Ausfluß menschlichen Herostratentums. Allein dieser mein aufrichtiger Respekt vor dieser Leistung bedeutet nicht einen Verzicht auf die Sicherung des Lebens meines eigenen Volkes. Ich halte es für unmöglich, eine dauernde Freundschaft zwischen dem deutschen und dem angelsächsischen Volk herzustellen, wenn nicht auch auf der anderen Seite die Erkenntnis vorhanden ist, daß es nicht nur britische, sondern auch deutsche Interessen gibt, daß nicht nur die Erhaltung des Britischen Weltreiches für die britischen Männer Lebensinhalt und Lebenszweck ist, sondern für die deutschen Männer die Freiheit und Erhaltung des deutschen Reiches! Eine wirklich dauernde Freundschaft zwischen diesen beiden Nationen ist nur denkbar unter der Voraussetzung der gegenseitigen Respektierung. Das englische Volk beherrscht ein großes Weltreich. Es hat dieses Weltreich gebildet in einer Zeit der Erschlaffung des deutschen Volkes. Vordem war Deutschland ein großes Weltreich. Es beherrschte einst das Abendland. In blutigen Kämpfen und religiösen Streitigkeiten sowie aus den Gründen einer inneren staatlichen Aufsplitterung ist dieses Reich an Macht und Größe gefallen und endlich in tiefen Schlaf gesunken. Allein als dieses alte Reich sein Ende zu nehmen schien, da wuchs bereits der Keim zu seiner Wiedergeburt. Aus Brandenburg und Preußen entstand ein neues Deutschland, das Zweite Reich, und aus ihm wurde nunmehr endlich das deutsche Volksreich. Es möchten nun alle Engländer begreifen, daß wir nicht im geringsten das Gefühl einer Inferiorität den Briten gegenüber besitzen. Dazu ist unsere geschichtliche Vergangenheit zu gewaltig! [285] England hat der Welt viele große Männer geschenkt, Deutschland nicht weniger. Der schwere Kampf um die Lebensbehauptung unseres Volkes hat im Laufe von drei Jahrhunderten nur in der Verteidigung des Reiches von uns Blutopfer gefordert, die weit darüber hinausgingen, was andere Völker für ihre Existenz zu bringen hatten. Wenn Deutschland als ewig angegriffener Staat dabei trotzdem seinen Besitzstand nicht zu wahren vermochte, sondern viele Provinzen opfern mußte, dann nur infolge seiner staatlichen Fehlentwicklung und der daraus bedingten Ohnmacht! Dieser Zustand ist nun überwunden. Wir haben daher als Deutsche nicht im geringsten die Empfindung, dem britischen Volk etwa unterlegen zu sein. Die Achtung vor uns selbst ist genau so groß wie die eines Engländers vor England. Die Geschichte unseres Volkes hat in ihrer nunmehr fast 2.000jährigen Dauer Anlässe und Taten genug, um uns mit einem aufrichtigen Stolz zu erfüllen. Wenn nun England für diese unsere Einstellung kein Verständnis aufbringt, sondern in Deutschland glaubt, vielleicht einen Vasallenstaat erblicken zu können, dann ist allerdings unsere Liebe und unsere Freundschaft an England umsonst dargeboten worden. Wir werden deshalb nicht verzweifeln oder verzagen, sondern wir werden dann - gestützt auf das Bewußtsein unserer eigenen Kraft und auf die Kraft unserer Freunde - die Wege finden, die unsere Unabhängigkeit sicherstellen und unserer Würde keinen Abbruch tun. Ich habe die Erklärung des Britischen Premierministers vernommen, nach der er meint, in Versicherungen Deutschlands kein Vertrauen setzen zu können. Ich halte unter diesen Umständen es für selbstverständlich, daß wir weder ihm noch dem englischen Volk weiterhin eine Lage zumuten wollen, die nur unter Vertrauen denkbar ist. Als Deutschland nationalsozialistisch wurde und damit seine Wiederauferstehung einleitete, habe ich im Verfolg meiner unentwegten Freundschaftspolitik England gegenüber von mir aus selbst den Vorschlag einer freiwilligen Begrenzung der deutschen Seerüstung gemacht. Diese Begrenzung setzte allerdings eines voraus, nämlich den Willen und die Überzeugung, daß zwischen England und Deutschland niemals mehr ein Krieg möglich sein würde. Diesen Willen und die Überzeugung besitze ich auch heute noch. Ich muß aber nunmehr feststellen, daß die Politik Englands inoffiziell und offiziell keine Zweifel darüber läßt, daß man in London diese Überzeugung nicht mehr teilt, sondern im Gegenteil der Meinung ist, daß ganz gleich, in welchen Konflikt Deutschland einmal verwickelt werden würde, Großbritannien stets gegen Deutschland Stellung nehmen müßte. Man sieht also dort den Krieg gegen Deutschland als etwas Selbstverständliches an. Ich bedauere dies tief; denn die einzige Forderung, die ich an England stellte und immer stellen werde, ist die nach Rückgabe unserer Kolonien. Ich ließ aber keine Unklarheit darüber, daß dies niemals der Grund für eine kriegerische Auseinandersetzung sein würde. Ich war immer des Glaubens, daß England, für das diese Kolonien keinen Wert haben, einmal Verständnis für die deutsche Lage aufbringen würde und die deutsche Freundschaft dann höher bewerten müßte als Objekte, die keinerlei realen Nutzen für England abwerfen, während sie für Deutschland lebenswichtig sind. Ich habe aber, davon abgesehen, nie eine Forderung gestellt, die irgendwie britisches Interesse berührt haben würde oder die dem Weltreich hätte gefährlich werden können und mithin für England irgendeinen Schaden bedeutet haben könnte. Ich habe mich immer nur im Rahmen jener Forderungen bewegt, [286] die auf das engste mit dem deutschen Lebensraum und damit dem ewigen Besitz der deutschen Nation zusammenhängen. Wenn nun England heute in der Publizistik und offiziell die Auffassung vertritt, daß man gegen Deutschland unter allen Umständen auftreten müßte und dies durch die uns bekannte Politik der Einkreisung bestätigt, dann ist damit die Voraussetzung für den Flottenvertrag beseitigt. Ich habe mich daher entschlossen, dies der Britischen Regierung mit dem heutigen Tage mitzuteilen. Es handelt sich dabei für uns nicht um eine materielle Angelegenheit - denn ich hoffe noch immer, daß wir ein Wettrüsten mit England vermeiden können -, sondern um einen Akt der Selbstachtung. Sollte die Britische Regierung aber Wert darauf legen, mit Deutschland über dieses Problem noch einmal in Verhandlungen einzutreten, dann würde sich niemand glücklicher schätzen als ich, um vielleicht doch noch zu einer klaren und eindeutigen Verständigung kommen zu können. Im übrigen kenne ich mein Volk - und ich baue darauf. Wir wollen nichts, was uns nicht einst gehört hat, kein Staat wird von uns in seinem Eigentum jemals beraubt werden, allein jeder, der Deutschland glaubt angreifen zu können, wird eine Macht und einen Widerstand vorfinden, gegenüber denen die des Jahres 1914 unbedeutend waren. ......
Nr. 296
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt Telegramm London, den 29. April 1939
I. Publizität der Rede des Führers in Londoner und Provinzpresse hat ein Ausmaß, wie dies bisher noch bei keiner Äußerung fremden Staatsmannes der Fall gewesen ist. II. Kritische Einstellung, vor allem der konservativen Blätter, ist vornehmlich darin begründet, daß gesetzgeberische Maßnahmen hinsichtlich Einführung Wehrpflicht noch nicht zum Abschluß gebracht sind und mithin zuversichtliche Beurteilung diese gefährden könnte. Eindruck, den Rede in amtlichen und politischen Kreisen gemacht hat, ist jedenfalls viel positiver, als Presse erkennen läßt. Abgesehen von einer Mitteilung, daß Großbritannien sich auch bereit finden könnte, Deutschland eine Garantie gegen Angriffe zu geben, haben sich amtliche Stellen Presse gegenüber jeder Direktive für Sprachführung enthalten. Bezeichnend für tatsächlichen Eindruck ist Erklärung eines konservativen Politikers, daß Rede hervorragende staatsmännische Leistung sei, und Äußerung eines anderen, wonach jüdische Finanzkreise sehr verärgert, daß Rede nicht "kriegerischen" Charakter gehabt hätte. III. Wenn in amtlichen Kreisen auch betont wird, daß abschließende Beurteilung Führerrede erst nach eingehenderem Studium möglich, ist jetzt schon festzustellen, daß Aufkündigung deutsch-englischer Flottenvereinbarung leichter genommen wird als die deutsch-polnischen Vertrags. Andererseits ist Bekanntgabe unseres von Polen abgelehnten Angebots psychologisch besonders geeignet, britisches Volk zu beeindrucken.
Kordt
[287]
Nr. 297
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt Bericht London, den 2. Mai 1939
In der Anlage wird eine Aufzeichnung über ein Gespräch vorgelegt, das ein Botschaftsmitglied dieser Tage mit einem Gewährsmann hatte.
Im Auftrag
von Selzam
London, den 18. April 1939
Der Gewährsmann behauptete heute, daß die englische Zielsetzung bezüglich der Türkei darauf hinausginge, sicherzustellen, daß, wenn England auf Grund der bestehenden Verpflichtungen oder der eigenen Interessen im Mittelmeer zu kriegerischen Aktionen veranlaßt werde, der britischen Flotte die türkische Armee zur Seite stehe. Im Fall eines italienischen Angriffs von Lybien oder dem Dodekanes aus auf den Suezkanal würde die türkische Armee den britischen oder ägyptischen Streitkräften zu Hilfe kommen. England habe das Ziel, die Türkei zum Schutze des ganzen Mittelmeeres in ein englisch-französisch-türkisches Abkommen einzuspannen, wohingegen die Türkei nur bereit sei, sich England gegenüber hinsichtlich des östlichen Mittelmeeres zu binden.
Nr. 298
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts Berlin, den 8. Mai 1939
Der Französische Botschafter machte mir heute seinen ersten Besuch nach Rückkehr von seinem mehrwöchigen Aufenthalt in Frankreich. Wir kamen auf die etwas stürmische letzte Unterhaltung nicht zurück, die wir am 18. März nach der tschechischen Sache miteinander geführt hatten. Vielmehr versicherte Herr Coulondre, er sei zur Fortsetzung der Aufgabe in Berlin wieder eingetroffen, die er sich von vornherein gestellt habe, nämlich zur Befriedungsarbeit in den deutsch-französischen Beziehungen. Die abgerissenen Fäden freilich habe er nicht mehr in der Hand, und insbesondere Herr Daladier habe von den Märzereignissen her noch einen recht bitteren Geschmack im Munde. Er, Coulondre, aber werde bestimmt sein Bestes für das deutsch-französische Verhältnis tun. Auf Polen übergehend fragte Coulondre nach der Möglichkeit neuer deutsch-polnischer Konversationen. Ich habe versucht, dem Botschafter klarzumachen, daß die Haltung Becks doch eine sehr sterile sei. Beck habe sich in seiner Antwort an uns wie ein Pascha auf einen Stuhl gesetzt und uns freigestellt, mit ihm das Gespräch zu eröffnen, wenn wir uns nach seinen Prinzipien richten wollten. Ich sähe bei einem solchen Verhalten keinen Anknüpfungspunkt. [288] Der Führer habe seine Offerte ja auch als eine einmalige charakterisiert. Gefährlich schiene mir das Vorgehen der Halbgötter im westlichen Polen gegen unsere Volksdeutschen. Hier könnten Zwischenfälle mit ernsten Folgen vorkommen. Als Coulondre einwarf, Frankreich warne in Warschau vor solchen Dummheiten, erwiderte ich, leider schiene mir Warschau die Zügel recht lose zu führen und solchen Zwischenfällen eben nicht genügend vorzubeugen. Die Weisheit der Britischen Regierung in den letzten Wochen sei mir nicht recht klar geworden. Die britische Garantie an Polen hieße doch dem unerzogenen Kinde den Zucker reichen, ehe es Vernunft angenommen habe.
Weizsäcker
Nr. 299
Rede des Britischen Premierministers Chamberlain in der Albert-Hall, London, 11. Mai 1939 Auszug (Übersetzung)
..... Ich wünsche es ebenso klar zu machen, daß wir nicht bereit sind ruhig zuzuschauen, wie die Unabhängigkeit eines Landes nach dem anderen zerstört wird. Solche Versuche sind im Frieden stets auf unseren Widerstand gestoßen, und gerade weil es keine Ruhe, keine Sicherheit in Europa geben kann, ehe die Völker nicht davon überzeugt sind, daß kein derartiger Versuch geplant ist, haben wir diese Versicherungen an Polen,170 Rumänien und Griechenland171 gegeben, die von diesen Staaten so lebhaft begrüßt worden sind. Zu dem gleichen Zwecke der Beruhigung und Stabilisierung der Lage sind wir in Besprechungen mit anderen Ländern, besonders mit Rußland und der Türkei, eingetreten. Diese Besprechungen sind noch im Gange, und ich kann Ihnen daher heute keinen Bericht über dieselben geben. Ich möchte nur sagen, daß die Regierung Seiner Majestät ernstlich hofft und aufrichtig wünscht, daß sie bald zu einem erfolgreichen Abschluß gelangen möchten und daß auf diese Weise der Sache des Friedens noch mehr gedient wird. ..... Es muß offenkundig sein, daß diese unsere Zusagen an verschiedene europäische Länder unsere Verantwortlichkeiten in starkem Maße erhöht haben und daß es deshalb notwendig ist, daß wir uns instand setzen, diese Zusicherungen zu erfüllen. Heutzutage gehen einem Kriege nicht länger jene vorbereitenden Abschnitte voraus, welche in früheren Zeiten eine genügende Warnung für das Herannahen des Krieges darstellten. Heute ist eine sorgfältig vorbereitete Überraschung und der Blitzstrahl die erste Kriegsanzeige. Wir müssen unsere Vorbereitungen deshalb entsprechend treffen. Andere Staaten, welche Landesgrenzen haben, befestigen diese Grenzen, und ihre Befestigungen sind Tag und Nacht mit Verteidigungstruppen besetzt. Unsere Befestigungen hier in England sind unser Luftschutz, und dieser ist der Territorialarmee anvertraut. Wir könnten ihn keiner zuständigeren Truppe übertragen. Aber wir können nicht verlangen, daß die Soldaten der Territorialarmee ihre normalen Beschäftigungen aufgeben und Tag und Nacht diesen Luftschutzdienst ausüben. [289] Dies kann nur für kurze Perioden und in Zeiten eines besonderen Notstandes geschehen. Es ist deshalb notwendig, daß wir unsere gegenwärtigen Vorkehrungen ergänzen und die Dienste von Mannschaften in Anspruch nehmen, welche ziemlich lange Ausbildungsperioden durchmachen werden, damit sie die Territorialarmee dann ablösen können, wenn kein dringender Notstand besteht. Wie Sie wissen, haben wir beschlossen, einen Entwurf über pflichtmäßige militärische Ausbildung einzubringen, dessen Einzelheiten gegenwärtig im Unterhaus erörtert werden. ..... Im Verlauf der Erörterungen, die wir mit diesen europäischen Ländern geführt haben, wurde uns klar, daß Zweifel über den Ernst unserer Absichten bestanden. Im besonderen konnten unsere Freunde überall auf dem Kontinent, die selbst seit langer Zeit die allgemeine Wehrpflicht durchgeführt haben, es nicht verstehen, wie wir, wenn wir es ernst meinten, unsere Verteidigung Freiwilligen anvertrauen könnten, Männern, deren Zeit durch ihre gewöhnliche Beschäftigung in Anspruch genommen ist, und die, ehe nicht wirklich Krieg ausbricht, niemals jene gründliche Ausbildung erhalten, die allen Armeen auf dem Kontinent zuteil wird. Wir stellten fest, daß dies Gefühl so stark war, daß es tatsächlich den Erfolg unserer Politik, den Aufbau einer Friedensfront zu versuchen, gefährdete. Wir konnten uns der Überzeugung nicht verschließen, daß kein einziger Schritt unsererseits unsere Freunde so ermutigen und, wie ich mit Absicht hinzufügen möchte, alle diejenigen, die nicht unsere Freunde sein sollten, so beeindrucken würde, wie die Einführung der zwangsweisen militärischen Ausbildung in unserem Lande. Nach Ansicht vieler Leute liegt heute der Gefahrenpunkt Europas in Danzig. Wenn auch unsere Polen gegebenen Versicherungen klar und bestimmt sind, wenn wir auch glücklich wären, die Streitpunkte zwischen Polen und Deutschland freundschaftlich durch Erörterungen beseitigt zu sehen, und wenn wir auch glauben, daß sie auf diese Art bereinigt werden könnten und müßten, so steht doch fest, daß, falls ein Versuch gemacht werden sollte, die Lage durch Gewalt in einer solchen Weise zu ändern, daß dadurch die polnische Unabhängigheit bedroht würde, dies unvermeidlich zum Beginn eines allgemeinen Krieges führen müßte, in den unser Land verwickelt sein würde. .....
Nr. 300
Der Deutsche Botschafter in London an das Auswärtige Amt Bericht London, den 13. Mai 1939
Aus zuverlässiger Quelle erfahre ich folgendes über die Vorgeschichte der außenpolitischen Rede, die Chamberlain am vergangenen Donnerstag vor den konservativen Frauen in der Albert Hall172 gehalten hat: Der Ministerpräsident hatte ursprünglich die Absicht, die polnische Frage in seiner Rede nicht zu berühren. U. a. wollte er auch nichts sagen über die Einbeziehung oder Nichteinbeziehung Danzigs in das britische Garantieversprechen. Kurz vor der Rede habe jedoch die Polnische Regierung in London und in [290] Paris darauf hingewiesen, daß sich in Deutschland ein großer Optimismus bezüglich der Nichtbereitschaft Großbritanniens breitmache, in einem deutsch-polnischen Konflikt wegen Danzig ihren eingegangenen Verpflichtungen gerecht zu werden. Die Französische Regierung ist kurz darauf in gleichem Sinne bei der Britischen Regierung vorstellig geworden und hat mitgeteilt, daß Daladier in seiner außenpolitischen Rede eine feste Haltung für angebracht hielte. Auf Grund der polnischen und französischen Vorstellungen hin hat Chamberlain am Donnerstag vormittag, zusammen mit Lord Halifax und Sir Alexander Cadogan, den Passus wörtlich festgelegt, in dem er die britische Haltung in der Danziger Frage noch einmal in unmißverständlichen Worten klarlegte.
von Dirksen
Nr. 301
Erklärung des Britischen Premierministers Chamberlain im Unterhaus, 12. Mai 1939 (Übersetzung)
1. Seiner Majestät Regierung im Vereinigten Königreich und die Türkische Regierung sind in enge Beratung eingetreten, und die Erörterungen, die zwischen ihnen stattfanden und die noch fortgesetzt werden, haben ihre herkömmliche Meinungsübereinstimmung enthüllt. 2. Es wird vereinbart, daß die beiden Länder einen genau abgegrenzten langfristigen Vertrag wechselseitigen Charakters im Interesse ihrer nationalen Sicherheit abschließen wollen. 3. Während der Fertigstellung des endgültigen Vertrags erklären Seiner Majestät Regierung und die Türkische Regierung, daß sie im Falle einer Angriffshandlung, die zu einem Krieg im Mittelmeer führt, bereit sein würden, effektiv zusammenzuarbeiten und einander alle in ihrer Macht stehende Hilfe und jeden Beistand zu leisten. 4. Diese Erklärung ist, ebenso wie der vorgeschlagene Vertrag, nicht gegen irgendein Land gerichtet, sondern sie ist dazu bestimmt, Großbritannien und der Türkei gegenseitige Hilfe und Beistand zuzusichern, falls sich die Notwendigkeit ergeben sollte. 5. Es wird von den beiden Regierungen anerkannt, daß gewisse Dinge, einschließlich der genaueren Bestimmung der verschiedenen Voraussetzungen, die die gegenseitigen Verpflichtungen zur Wirkung bringen würden, eine genauere Prüfung erfordern, ehe der endgültige Vertrag fertiggestellt werden kann. Diese Prüfung ist im Gange. 6. Die beiden Regierungen erkennen an, daß es ebenfalls notwendig ist, die Sicherheit auf dem Balkan zu verbürgen, und sie beraten zusammen mit dem Ziel, diesen Vorsatz so schnell wie möglich auszuführen. 7. Es wird vorausgesetzt, daß die eben erwähnten Übereinkommen keine Regierung hindern, mit anderen Ländern Abkommen im allgemeinen Interesse der Festigung des Friedens zu schließen. 8. Eine entsprechende Erklärung wird heute abend in Ankara abgegeben.173
169Vgl. Nr. 251. ...zurück... 170Vgl. Nr. 279 und 286. ...zurück... 171Vgl. Nr. 288. ...zurück... 172Vgl. Nr. 299. ...zurück...
173In Verfolg dieser Vereinbarung
wurde am 19. Oktober 1939 in Ankara ein gegenseitiger Beistandspakt zwischen
Groß-Britannien, Frankreich und der Türkei abgeschlossen. ...zurück...
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