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Zweites Kapitel   (Forts.)
Die Englische Kriegspolitik

C. Die Britische Einkreisungspolitik
seit Februar 1939

Nr. 302
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts

Berlin, den 15. Mai 1939

Nach Übergabe einer Verbalnote betreffend das Memelgebiet leitete der Britische Botschafter heute bei mir ein Gespräch über die allgemeine politische Lage ein. Offensichtlich lag ihm daran, uns klarzumachen, daß England den Krieg nicht wünsche und ihn durch einen deutsch-polnischen Ausgleich vermeiden wolle, trotzdem aber bereit und entschlossen sei, seinem gegebenen Wort folgend den Polen beizuspringen, wenn wir eine gewaltsame Änderung des Besitzstandes von Danzig herbeiführen wollten und damit Polen zum Krieg gegen uns veranlaßten. Der Botschafter brachte dies in drei verschiedenen Einkleidungen vor. Er bestritt mir dabei nicht meine Kritik an der seltsamen britischen Politik, die ihre Entscheidungen über Krieg und Frieden in die Hand der Warschauer Regierung, ja sogar in die Hand von irgendwelchen untergeordneten polnischen Organen gelegt habe. Auch gab Henderson zu, daß dieses Verfahren geradezu eine Prämie auf polnische Unbesonnenheiten darstelle. Er sagte aber, unser plötzlicher Marsch auf Prag habe eben einen völligen Umschwung in London hervorgebracht. In dieser Stimmung habe England nun einmal sein Wort gegeben und werde es auch einlösen, nicht etwa um das deutsche Danzig den Polen zu erhalten, sondern um Polen in einem Konflikt nicht sitzenzulassen. Henderson sagte, die öffentliche Meinung in England sei leider im Laufe seiner Amtstätigkeit in Berlin immer schlechter geworden und jetzt sogar bereit, für die Polen, denen Henderson kein lobendes Attribut zuteilte, in einen europäischen Krieg einzutreten. Henderson glaubte zu wissen, daß der Polnische Außenminister Beck alles andere als Krieg wünsche, denn er verspreche sich nichts Gutes für Polen davon, obgleich er ebenso wie die Englische Regierung vom schließlichen Sieg der britisch-französisch-polnischen Waffen überzeugt wäre. Dieser Krieg, fügte Henderson an, würde von Seiten der Westmächte defensiv geführt werden. Man würde sich gegenseitig zwar etliche Bomben in die Häuser werfen, der endliche Erfolg aber läge nach britischer Überzeugung nicht bei Deutschland und Italien, da die Achsenmächte den kürzeren Atem hätten. Ich habe ihm darauf die selbstverständliche Antwort gegeben.

Weizsäcker




Nr. 303
Rede des Britischen Premierministers Chamberlain
im Unterhaus, 19. Mai 1939

Auszug
(Übersetzung)

..... Die Politik, die die Regierung Seiner Majestät gegenwärtig verfolgt, hat, wie dem Hause bekannt, seit der Vereinigung Böhmens und Mährens mit dem Deutschen Reich eine neue Entwicklung genommen. Es ist mir nicht bekannt, ob die Deutsche Regierung selbst zu der Zeit, als sie sich zu ihrem Vorgehen entschloß, sich über die gewaltigen Rückwirkungen klar war, die dieses Vorgehen in der Welt verursachen würde.

[292] ...... Es war in Wirklichkeit zwecklos für die Deutsche Regierung, ableugnen zu wollen, daß sie irgendwelche Pläne gegen die Unabhängigkeit anderer Staaten hegte, weil sie durch ihre Handlungsweise einen Verdacht erregt hatte, den sie nicht länger beschwichtigen konnte. Wir waren der Auffassung, daß, wenn nicht ein neuer stabilisierender Faktor in die europäische Politik eingeführt werden könnte, die Auflösung eines großen Teiles Europas unmittelbar bevorstehen könnte. Unter diesen Umständen hielt es die Regierung Seiner Majestät für ihre Pflicht, im Verein mit Frankreich einzuschreiten und den Versuch zu machen, diesen neuen stabilisierenden Faktor zur Verfügung zu stellen. Es erwies sich als notwendig, schnell zu handeln, weil die Furcht vor einem Angriff in bestimmten Kreisen akut war, und wir glaubten daher, daß es nicht möglich sei zu warten, während wir bemüht waren, ein System oder eine Kombination zum Widerstand gegen solche Angriffe zu schaffen. Wir entschlossen uns daher selbst zu handeln, und zwar schnell, indem wir Unterstützungszusicherungen da gaben, wo sie am dringendsten benötigt wurden; eine Politik, die, wie ich glaube, allgemein gebilligt worden ist.

Aus dem, was ich gesagt habe, wird man erkennen, daß die von uns zunächst an Polen und später an Rumänien und Griechenland gegebenen Zusicherungen nicht das Ende der Maßnahmen bedeuteten, die wir im Auge hatten. Es handelte sich dabei, wenn man so sagen will, um eine erste Hilfe, die gegeben wurde, um jede weitere Verschlechterung der Lage zu verhindern. Es ist noch erforderlich, diese Zusicherungen durch dauerhaftere Abkommen zu verstärken und zu versuchen, von allen anderen Seiten, die dazu bereit und gewillt sind, weitere Unterstützung für diese Zusicherungen zu gewinnen. Ich wünsche, keinen Zweifel darüber zu lassen, daß diese Politik nicht die Schaffung einander entgegengesetzter Mächtegruppierungen in Europa bezweckt, die von feindlichen Absichten gegeneinander beseelt sind, und nicht die Ansicht gelten läßt, daß ein Krieg unvermeidlich sei.

..... Die Abgabe dieser Zusicherungen allein genügte nicht. Es war unsere Aufgabe, den Versuch zu machen, andere, wie auch uns selbst, davon zu überzeugen, daß wir in der Lage seien, diese Zusicherungen zu erfüllen. Das war nicht nur im Interesse des Vertrauens derjenigen, denen Zusicherungen gegeben wurden, sondern auch für weitere Kreise notwendig. Wir haben im Verlaufe dieser Woche über die die militärische Ausbildung behandelnde Gesetzesvorlage debattiert. Die allgemeinen in dieser Vorlage enthaltenen Grundsätze haben, wie ich glaube, in unserem Lande allgemeine Zustimmung gefunden und sind vom Unterhaus gebilligt worden. Zweifellos hat auch in diesem Falle nicht nur der Umfang der zusätzlichen Stärke, die uns aus dieser Maßnahme erwächst, sondern auch die Tatsache, daß diese Maßnahme im Gegensatz zu allem steht, was wir bisher als von vorherrschender Bedeutung in unserer diesbezüglichen Politik gehalten haben, eine Wirkung erzielt, deren ganzer Umfang vielleicht nur schwer in diesem Hause ermessen werden kann. Es ist, um es nochmals zu sagen, nicht genug, daß wir in unserem Lande alles nur Mögliche tun, um unsere Zusicherungen genügend zu untermauern. Wir waren bestrebt, diese Staaten zu unterstützen oder für sie Unterstützung durch den Beitritt anderer Länder zu erlangen, die, wie wir selbst, am Frieden interessiert, aber dem wahrscheinlichen Sitz der Unruhe erheblich näher sind als wir selbst. Und deshalb traten wir in Besprechungen mit den Regierungen der Türkei und der Sowjetunion ein, worüber die ehrenwerten Mitglieder des Hauses in der letzten und in der vorletzten Woche so viel gelesen haben.

Im Falle der Türkei haben unsere Besprechungen sehr bald eine solche Ähnlichkeit unserer Interessen und Ansichten ergeben, daß es den beiden Regie- [293] rungen möglich war, die Erklärung vom 12. Mai174 abzugeben, eine Erklärung, die den Abschluß eines endgültigen langfristigen Gegenseitigkeitsabkommens ankündigte.

..... Gestatten Sie mir, bei dieser Gelegenheit zu bemerken, daß wir dem Gegenseitigkeitscharakter der Abkommen, die wir mit der Türkei und Polen abgeschlossen haben, große Bedeutung beimessen. Der sehr ehrenwerte Herr sprach von der Rolle, die Rußland im Jahre 1914 gespielt hat. Zu jener Zeit hatten Rußland und Deutschland eine gemeinsame Grenze, und es gab keinen polnischen Staat. Es ist aber eine Genugtuung, sich daran zu erinnern, daß, wenn wir in einen Krieg verwickelt werden sollten, jenes große mannhafte Volk an den Grenzen Deutschlands steht, das auf Grund dieses Abkommens verpflichtet ist, uns jede nur mögliche Hilfe und allen nur möglichen Beistand zu leisten. .....




Nr. 304
Der Deutsche Generalkonsul in New York an das Auswärtige Amt
Telegramm
New York, den 25. Mai 1939

Führender amerikanischer Geschäftsmann gab nach Rückkehr von Europareise vertraulich Freunden gegenüber Ansicht Ausdruck, daß eine Kriegsgefahr gegenwärtig viel mehr von England her als durch Deutschland bestehe. Die Englische Regierung sei heute endgültig entschlossen, anhaltende internationale Spannung mit Gefahrenmomenten für Sicherheit Imperiums zu beenden, und werde erste Gelegenheit, die Deutschland gebe, ergreifen, um Entscheidung zu erzwingen. Voraussetzung sei lediglich erfolgreicher Abschluß Paktes mit Sowjetrußland. Vertrauliche Mitteilung wurde mit Empfehlung verbunden, möglichst bald dieser Lage Rechnung tragende geschäftliche Dispositionen zu treffen.

Geschäftsmann soll von September als günstigem Termin für englische Aktion gesprochen haben, während andere Nachrichten aus Wallstreet etwas späteren Termin, etwa Oktober, nennen.

Kürzliche Erklärung Britischen Schatzkanzlers im Unterhaus, die englische Geschäftswelt vor Fortsetzung Kapitalanlagen in amerikanischen Wertpapieren warnt, um daraus resultierende Entblößung britischen Kapitalmarktes zu verhindern, wird in Kreisen, die Wallstreet nahestehen, als Bestätigung dieser Auffassungen angesehen.

Gleiche Kreise finden auch Artikel amerikanischen Journalisten Demaree Beß aus Paris in Saturday's Evening Post beachtlich, wonach bereits im vergangenen Winter hoher britischer Marineoffizier erklärte, gewollte Herausforderung Deutschlands sei Englands einziger Ausweg, eine Auffassung, die nach Beß' Erklärung seit Errichtung böhmischen Protektorats in London erheblich an Boden gewonnen habe.

Borchers



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Nr. 305
Rede des Führers in Kassel, 4. Juni 1939
Auszug

..... Vor zwanzig Jahren wurde eine erbärmliche Staatsführung veranlaßt, unter einem - wie sie wohl glaubte - unwiderstehlichen Zwang ihre Unterschrift unter ein Dokument zu setzen, das Deutschland die Schuld am Kriege als endgültig erwiesen aufzubürden versuchte. Wissenschaftliche historische Untersuchungen haben unterdes diese Behauptungen längst als Lüge und Fälschung erwiesen. Ich selbst habe diese wider besseres Wissen geleistete Unterschrift unter das Versailler Diktat feierlich gelöscht und damit auch rein formell der Wahrheit die Ehre gegeben.

Allein, unabhängig davon muß uns allen eines bewußt sein: Die Schuld am Kriege ist unlösbar verbunden mit der Aufstellung des Kriegszieles. Kein Volk und kein Regime werden Krieg führen bloß um des Krieges willen. Nur im Gehirn perverser jüdischer Literaten kann die Vorstellung Platz greifen, daß irgend jemand aus reiner Lust am Töten oder Blutvergießen zum Kriege schreiten kann. Es war aber nun entscheidend, daß die Deutsche Regierung nicht nur vor dem Jahre 1914 kein Kriegsziel besaß, sondern daß sie sogar im Kriege selbst zu keiner irgendwie vernünftigen oder gar präzisen Kriegszielfixierung zu kommen vermochte.

Der Friedensvertrag von Versailles hat demgegenüber aber erkennen lassen, welches die wirklichen Kriegsziele der damaligen britischen und französischen Einkreisungspolitiker gewesen waren. Der Raub der deutschen Kolonien, die Vernichtung des deutschen Handels, die Zerstörung aller deutschen Existenz- und damit Lebensgrundlagen, die Beseitigung der deutschen politischen Geltung und Machtstellung, mithin also die gleiche Zielsetzung, wie sie die britischen und französischen Einkreisungspolitiker auch heute besitzen!

Es gab damals in Deutschland leider Menschen, die den extremen Ankündigungen englischer Zeitungen und englischer Politiker über die notwendige Wegnahme der deutschen Kolonien, die Vernichtung des deutschen Handels, die bereits im Frieden bekanntgegeben worden waren, Glauben schenken zu müssen vermeinten. Der Weltkrieg und das Friedensdiktat von Versailles haben die deutsche Nation nun eines anderen belehrt.

Was früher scheinbar unverantwortliche Publizisten als Ausgeburt ihrer eigenen Phantasien oder ihres Hasses verkündet hatten, war eben doch das Ziel der britischen Politik gewesen, nämlich der Raub der deutschen Kolonien, die Vernichtung des deutschen Handels, die Zerstörung der deutschen Handelsflotte, die machtpolitische Entnervung und Zerstörung des Reiches, mithin die politische und körperliche Ausrottung des deutschen Volkes. Dies waren die Ziele der britischen Einkreisungspolitik vor dem Jahre 1914.

Und es ist gut, wenn wir uns nun daran erinnern, daß diesen durch das spätere Friedensdiktat von Versailles erhärteten Absichten und Kriegszielen unserer Gegner die damalige deutsche Staatsführung gänzlich ziellos und leider auch willenlos gegenüberstand. So konnte es geschehen, daß nicht nur keine deutsche Kriegszielsetzung vorhanden war, sondern daß auch nicht die notwendigen deutschen Kriegsvorbereitungen selbst im Sinne einer nur wirkungsvollen Abwehr getroffen worden waren. Und hier liegt vielleicht die schlimmste Schuld Deutschlands am Weltkrieg, nämlich die Schuld, durch eine sträfliche Vernachlässigung der deutschen Rüstung es einer Umwelt geradezu erleichtert zu haben, den Gedanken einer deutschen Vernichtung zu propagieren und am Ende dann ja auch zu verwirklichen.

[295] Unter für uns Nationalsozialisten heute gänzlich unverständlichen Einwänden wurde noch im Jahre 1912 an den so notwendigen Rüstungen abgestrichen, mit lächerlichen Beträgen gegeizt, dem widerstrebende aufrechte Soldaten in die Wüste geschickt und dadurch die Überzeugung der Gegner gestärkt, einen erfolgreichen Waffengang mit Deutschland vielleicht doch wagen zu können. Daß darüber hinaus auch die reine wehrmäßige Erfassung der deutschen Menschen nur in ungenügendem Ausmaß geschah und damit viele Hunderttausende tauglicher Männer einer Ausbildung verlustig gingen, was sie später in einer kritischen Stunde, als doch eingezogen, zu einem hohen Prozentsatz mit ihrem Tode büßen mußten, verstärkt nur dieses Bild einer unzulänglichen Staatsführung und damit der einzigen wahrhaften Schuld nicht nur am Beginn dieses Krieges, sondern vor allem auch am Ausgang des Kampfes.

Wenn nun trotzdem gerade der Weltkrieg für uns Deutsche zur Quelle stolzester Erinnerungen wird, dann nicht im Hinblick auf die viel zu schwache Rüstung, auf die unzulängliche Staatsführung usw., sondern ausschließlich im Hinblick auf das in ihrem inneren Werte so einzigartige Instrument der damaligen deutschen Wehrmacht, des Heeres, der Marine und der späteren Luftwaffe, die zahlenmäßig oft um ein Vielfaches vom Gegner übertroffen, wertmäßig aber niemals erreicht worden waren.

Der Rückblick und die Erinnerung an diese große Zeit muß in uns allen, meine Kameraden, aber eine Überzeugung und einen Entschluß festigen:

1. Die Überzeugung, daß das deutsche Volk nur mit größtem Stolz auf seine Vergangenheit zurückblicken kann, und insbesondere auf die Jahre des Weltkrieges. Als Führer der deutschen Nation kann ich daher als ehemaliger Kämpfer in keiner Sekunde zugeben, daß irgend jemand in den Reihen unserer westlichen Gegner das Recht haben könnte, sich als etwas Besseres zu dünken oder anzusehen, als wir Deutsche es sind! Ich leide daher auch nicht im geringsten unter irgendeinem Minderwertigkeitskomplex.

Ich sehe im Gegenteil in der Erinnerung an die vier Jahre Krieg, die ich selber dank einer gnädigen Vorsehung das Glück hatte mitmachen zu dürfen, nur einen Grund zum stolzesten Vertrauen auf mein deutsches Volk und als Soldat auch auf meine eigene Person. Diese Jahre machen mich im tiefsten Inneren ebenso friedenswillig in der Erkenntnis der furchtbaren Schrecken des Krieges, als aber auch entschlossen in der Überzeugung vom Werte des deutschen Soldaten zur Verteidigung unserer Rechte. Es imponieren mir daher Drohungen von gar keiner Seite.

2. Ich und wir alle haben aus dieser Zeit aber auch den Entschluß zu fassen, die Interessen unseres Reiches und der Nation nicht mehr so sträflich leichtsinnig zu übersehen, wie dies vor dem Jahre 1914 der Fall war.

Und das will ich Ihnen, meine alten Kameraden, nun hier versichern: Wenn schon die britische Einkreisungspolitik die gleiche geblieben ist wie vor dem Kriege, dann hat sich aber dafür die deutsche Abwehrpolitik gründlichst geändert! Sie hat sich schon geändert dadurch, daß heute an der Spitze des Reiches nicht mehr ein als Major verkleideter Zivilist die Geschäfte führt, sondern ein vielleicht manchmal auch Zivilkleider tragender Soldat! Bethmann Hollwegs gibt es in der deutschen Staatsführung heute nicht mehr.

Ich habe dafür Sorge getragen, daß alles das, was irgendwie mit der Staatsführung etwas zu tun hat, nur ein hundertprozentiger Mann und Soldat sein kann. Sollte ich aber bemerken, daß die Haltung irgendeiner Persönlichkeit [296] einer kritischen Belastung nicht stand hält, dann werde ich eine solche Erscheinung von ihrer Stellung augenblicklich entfernen, mag dies sein, wer immer.

Das Friedensdiktat von Versailles entstand nicht zufällig. Es war das Ziel jener, die seit Jahren Deutschland einzukreisen vorsuchten und die endlich ihr Ziel erreicht hatten. Wir haben nun kein Recht, daran zu zweifeln, daß die gleiche Politik heute nur zum Zweck der Erreichung des gleichen Zieles betrieben wird. Wir haben daher die Pflicht, diese Wahrheit der Nation ungeschminkt zu sagen, und sie auf das äußerste in ihrem Abwehrwillen und in ihrer Abwehrkraft zu stärken. ....




Nr. 306
Der Deutsche Botschafter in London an das Auswärtige Amt
Bericht
London, den 7. Juni 1939

Die Erklärung, die der Premierminister Chamberlain heute im Unterhause über den Stand der britisch-sowjetischen Verhandlungen abgab, hat nach Reuter folgenden Wortlaut:

"Aus Gründen, die das Haus zu würdigen wissen wird, wird es mir nicht möglich sein, täglich Auskunft über den Fortschritt der Verhandlungen zu einem Abkommen zwischen Großbritannien, Frankreich und der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken zu geben.

Inzwischen ist indessen eine Phase erreicht worden, die es mir ermöglicht, die von mir am 24. Mai abgegebene Erklärung zu ergänzen.

Nach dem letzten Meinungsaustausch mit der Sowjetregierung hat es den Anschein, als ob allgemeine Übereinstimmung über die wichtigsten der zu erreichenden Ziele besteht.

Die Britische Regierung ist, wie ich glaube, in der Lage gewesen, die Sowjetregierung davon zu überzeugen, daß die Britische Regierung tatsächlich bereit ist, ein Abkommen auf der Grundlage voller Gegenseitigkeit zu schließen, und sie hat auch keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie sofort und ohne Vorbehalt bereit ist, zusammen mit der Französischen Regierung der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken volle Unterstützung für den Fall zu leisten, daß irgendein Angriff gegen sie erfolgen sollte, der sie in Feindseligkeiten mit irgendeiner europäischen Macht verwickeln sollte.

Es ist nicht beabsichtigt, die volle militärische Unterstützung, die sich die drei Mächte gegenseitig zu leisten verpflichten, auf Fälle tatsächlicher Angriffe gegen ihr eigenes Hoheitsgebiet zu beschränken.

Man kann sich sehr wohl vorstellen, daß es verschiedene Fälle geben könnte, in denen sich irgendeine der drei Regierungen in ihrer Sicherheit durch das Vorgehen einer anderen europäischen Macht mittelbar bedroht fühlt.

Diese Fälle sind gründlich überprüft worden, und ich hoffe, daß es möglich sein wird, nunmehr eine für die drei Regierungen annehmbare Formel vorzuschlagen, eine Formel, die, unter Berücksichtigung der Interessen anderer Staaten, die Zusammenarbeit zwischen diesen Mächten bei der Zurückweisung eines Angriffes gewährleistet.

[297] Es bleiben noch ein oder zwei Schwierigkeiten zu lösen, besonders was die Stellung gewisser Staaten anbelangt, die deshalb keine Garantie zu erhalten wünschen, weil durch eine solche ihre strikte Neutralität, die sie einzuhalten wünschen, aufs Spiel gesetzt werden würde.

Es ist offensichtlich unmöglich, einem Staat, der eine Garantie nicht wünscht, eine solche aufzuzwingen. Ich hoffe aber, daß sich gewisse Mittel finden lassen werden, auf Grund deren diese Schwierigkeiten und irgendwelche anderen Punkte, die auftauchen sollten, bei dem Bestreben, dem Grundsatz gegenseitiger Hilfeleistung im Falle eines Angriffs größte Wirkung zu geben, überbrückt werden können.

Zwecks Beschleunigung der Verhandlungen ist beschlossen worden, einen Vertreter des Außenamtes nach Moskau zu entsenden, um dem Britischen Botschafter daselbst volle Auskunft über die Einstellung der Britischen Regierung zu allen offenstehenden Punkten zu geben.

Ich hoffe, daß es auf Grund dieser Methoden möglich sein wird, die Besprechungen schnell zu beendigen, die noch notwendig sind, um die Ansichten der drei Regierungen miteinander in Einklang zu bringen und somit zu einem Abkommen zu gelangen."

Im Auftrag
von Selzam




Nr. 307
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
Berlin, den 13. Juni 1939

Der Britische Botschafter brachte heute bei mir das Gespräch alsbald auf seine Sorge, wie wohl der Sommer ohne Konflikt überstanden werden könne.

Bekanntlich ist seit einigen Tagen in der Presse die Rede von einem Bericht Hendersons, der die Vertragsverhandlungen mit Moskau voranzutreiben wünsche. Ohne hierauf einzugehen, gab Henderson eine Erklärung in folgendem Sinne: Solange London mit Moskau verhandle, sei zwischen London und Berlin ein Gespräch natürlich unmöglich; wäre der Russenpakt perfekt, so ließe sich mit Berlin wohl eher reden. Henderson wollte damit wohl etwas ähnliches sagen wie die Times, nämlich Stärke und Verhandlungsbereitschaft seien durchaus miteinander vereinbar; ohne Stärke sei England vielleicht nicht einmal ein geeigneter Verhandlungspartner.

Zu dem britischen Russenpakt machte ich Henderson einige Bemerkungen über dessen kriegsfördernde Wirkung, insbesondere in Polen. Die britische Politik sei diametral entgegengesetzt Hendersons eigener These, die er schon wiederholt öffentlich ausgesprochen habe: "England wünsche die See für sich, Deutschland könnte der europäische Kontinent überlassen bleiben". Statt dessen sei es jetzt so, daß England sich immer tiefer im Kontinent engagiere und z. B. den Polen erlaube, mit dem britischen Schicksal zu spielen. Wenn überhaupt eine, so könne ich in der britischen Politik nur die Logik erkennen, daß England zu einem Präventivkrieg entschlossen sei und auf ihn hinarbeite.

[298] Auf diese Bemerkung reagierte Henderson sehr empfindlich. Von solchem Kriegswillen sei gar keine Rede. Er verteidigte zwar nicht die britisch-polnische Abrede als solche und bestritt auch nicht die polnische Unberechenbarkeit und Halsstarrigkeit. Er führte aber wie gewöhnlich den Umschwung in London auf den deutschen Einmarsch in der Rest-Tschechei zurück. Schließlich kam er wieder auf die Gefahrenperiode dieses Sommers.

In diesem Zusammenhang sprach Henderson von einer Verhandlungsbereitschaft Londons gegenüber Berlin. Halifax habe offenbar im Auge, daß man dem heutigen Spannungszustand im Wege der Aussprache ein Ende machen könne und müsse. Weder England noch Deutschland könnten und wollten die Last der Aufrüstung weiter tragen. Inhalt eines Gesprächs London-Berlin könne sein, den Rüstungswettlauf zu stoppen und den Wirtschaftsaustausch zu beleben. Auch über die Kolonialfrage könne gesprochen werden. Ich ging auf diese Ausführungen nicht näher ein und sagte nur, ähnliches sei uns auch schon auf anderem Wege aus London zur Kenntnis gekommen, ich könne mir aber unter so unsubstantiierten Bemerkungen nichts vorstellen.

Aus den gelockerten, gesprächsweisen Äußerungen Hendersons war zu entnehmen, daß ihm bei dem britischen Verhältnis zu Polen nicht wohl ist, daß er vom Russenpakt nichts hält und daß er im übrigen wegen eines etwaigen Konflikts im Sommer dieses Jahres in lebhafter Sorge ist, denn er spürt seine Verantwortung als Botschafter in Berlin stark auf sich lasten.

Weizsäcker




Nr. 308
Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts
Berlin, den 17. Juni 1939

Bei einem Privatgespräch außerhalb des Amtes gebrauchte gestern der Französische Botschafter mir gegenüber eine ähnliche Redewendung wie kürzlich Henderson. Er meinte nämlich, wenn erst einmal das französisch-englisch-russische Abkommen fertig sei, würde zwischen der Achse und den Westmächten ein diplomatisches Gespräch leichter als jetzt zustande kommen.

Ich bezweifelte dieses; mit den Russen uns zu drohen sei vergeblich; wir seien für Drohungen ein untaugliches Objekt. Das Intimidierungsverfahren erzeuge bei uns das Gegenteil des Gewollten.

Der Botschafter erläuterte dann seine ursprüngliche Bemerkung dahin, daß es sich zwischen zwei Partnern, die ihre Position bezogen hätten, doch viel besser reden lasse als bei unbekannter Ausgangsstellung.

Ich sagte dann dem Franzosen, wenn eine Gefahr für den Frieden bestehe, dann läge die eben bei den Polen, die sich gestatteten, mit ihren französischen und englischen Freunden zu spielen.

Coulondre seinerseits bezweifelte, daß die amtliche polnische Politik auf Konflikt gerichtet sei. Als das Wichtigste für die nächsten Monate bezeichnete er die Vermeidung von Zwischenfällen, die dem allseitigen amtlichen Friedenswillen über den Kopf wachsen könnten.

Weizsäcker



[299]
Nr. 309
Der Deutsche Botschafter in London an das Auswärtige Amt
Bericht
London, den 22. Juni 1939

Während eines zu Ehren von Lord Halifax im 1900-Club gegebenen Essens hielten sowohl Winston Churchill als auch Lord Halifax kurze Ansprachen, die sich mit außenpolitischen Dingen befaßten. Dem von Press Association verbreiteten Bericht zufolge sagte Churchill unter anderem:

"Wir alle haben, von verschiedenen Standpunkten ausgehend, uns die Politik zu eigen gemacht, die Sie und der Premierminister nunmehr verkündet haben. Wenn noch Meinungsunterschiede verbleiben, so beziehen sie sich lediglich auf den Nachdruck und das Verfahren, auf die Zeitwahl und auf den Stärkegrad dieser Politik.

Ich bin selbstverständlich ein Anhänger der Außenpolitik der Regierung Seiner Majestät. Vor einem Jahre glaubte ich, daß ein groß angelegtes Friedensbündnis zwischen den nach dem Frieden strebenden Staaten, im Einklang mit den Grundsätzen der Völkerbundsatzungen zum Widerstand gegen Angriffe und zu dem Zwecke überall da, wo möglich, berechtigte Beschwerden zu beseitigen, tatsächlich fast die Gewißheit des Friedens bieten würde.

Heute habe ich die gleiche Überzeugung nicht mehr.

Welches Ereignis hat uns alle vereint? Es ist die flagrante und brutale Art und Weise, in der das Münchener Abkommen von der Naziregierung Deutschlands zerrissen worden ist."

Aus der Ansprache Lord Halifaxs sind vor allem folgende Stellen hervorzuheben:

"Wir sind uns vollständig klar darüber, daß die Welt nicht im Ruhezustand verbleibt. Die Entwicklung menschlichen Lebens beruht auf dem Wechsel der Dinge. Was sich nicht ändert, ist tot. Wenn aber der Wechsel nicht ordnungsmäßig vor sich gehen kann, ist menschliches Leben unmöglich und endet durch Selbstvernichtung, und daraus folgert, daß unsere Politik, während sie stets bereit ist, die Notwendigkeit der Bereinigung einander entgegengesetzter Ansprüche in einer sich ändernden Weit anzuerkennen, darin besieht, in deutlicher Sprache unserem Widerstand gegenüber Gewaltmethoden zum Ausdruck zu bringen.

Wie allgemein bekannt, führen wir jetzt, nicht ohne uns die Kritik gewisser Kreise zuzuziehen, Verhandlungen mit der Sowjetregierung, zu dem Zweck, deren Mitarbeit in gleichem Sinne und zu dem gleichen Zweck zu erlangen. Wir glauben, daß auf diesem Gebiet die Sowjetregierung die gleichen Interessen und das gleiche Ziel wie wir selbst im Auge hat, und es ist keineswegs ungewöhnlich, daß die Suche nach der richtigen Formel Schwierigkeiten bietet.

Wir werden aber, wenn wir überzeugt sind, daß wir nach ein und derselben Sache streben, und wenn es uns gelingt, das Mißtrauen zu zerstreuen, hinsichtlich der Schließung eines Abkommens Erfolg haben.

Bei dem Bestreben, zu einem Abkommen zu gelangen, sind wir weiter gegangen, als viele für richtig gehalten haben, und ich glaube, daß wir, wenn wir bis jetzt keinen Erfolg gehabt haben, ehrlich glauben dürfen, daß wir daran nicht schuld sind."

[300] Genau so, wie es mehr als nur einen Menschen erforderte, um sich zu streiten, genau so, befürchte er, bedürfe es mehr als eines Menschen, um Freunde zu machen; wenn aber jeder Versuch zur Besserung der gegenseitigen Beziehungen als Schwäche ausgelegt und zu einem Grund für neue und scharfe Angriffe gemacht werde, so könne man sich kaum darüber wundern, wenn zahlreiche Leute zu der Schlußfolgerung gelangen, daß das einzige Argument, was diejenigen, die sich auf Gewalt zu verlassen schienen, höchstwahrscheinlich zu verstehen in der Lage seien, dahin gehe, daß andere nicht weniger als sie selbst bereit sein sollten, zwecks ihrer Selbstverteidigung zur Gewalt zu greifen. Das britische Volk habe nunmehr einen Punkt erreicht, an dem die drei unerläßlichen Elemente einer folgerichtigen Außenpolitik vorhanden wären:

Erstens, daß das Land in einem größeren Umfange als zu irgendeiner Zeit während der letzten Jahre geeint sei.

Zweitens, daß sich das Land selbst vollständig klar über das große Ziel sei, auf das diese Politik gerichtet sein müsse, und daß es

Drittens, wisse, daß es stark und immer stärker würde.

Im Auftrag
von Selzam




Nr. 310
Französisch-Türkische Erklärung über gegenseitige Hilfeleistung,
23. Juni 1939
(Übersetzung)

1. Die Französische und die Türkische Regierung sind in enge Beratung eingetreten, und die Erörterungen, die zwischen ihnen stattfanden und die noch fortgesetzt werden, haben ihre herkömmliche Meinungsübereinstimmung enthüllt.

2. Es wird vereinbart, daß die beiden Länder einen genau abgegrenzten langfristigen Vertrag wechselseitigen Charakters im Interesse ihrer nationalen Sicherheit abschließen wollen.

3. Während der Fertigstellung des endgültigen Vertrages erklären die Französische und die Türkische Regierung, daß sie im Falle einer Angriffshandlung, die zu einem Krieg im Mittelmeer führt, bereit sein würden, effektiv zusammenzuarbeiten und einander alle in ihrer Macht stehende Hilfe und jeden Beistand zu leisten.

4. Diese Erklärung ist, ebenso wie der vorgeschlagene Vertrag, nicht gegen irgendein Land gerichtet, sondern sie ist dazu bestimmt, Frankreich und der Türkei gegenseitige Hilfe und Beistand zuzusichern, falls sich die Notwendigkeit ergeben sollte.

5. Es wird von den beiden Regierungen anerkannt, daß gewisse Dinge, einschließlich der genaueren Bestimmung der verschiedenen Voraussetzungen, die die gegenseitigen Verpflichtungen zur Wirkung bringen würden, eine genauere Prüfung erfordern, ehe der endgültige Vertrag fertiggestellt werden kann. Diese Prüfung ist im Gange.

[301] 6. Die beiden Regierungen erkennen an, daß es ebenfalls notwendig ist, die Sicherheit auf dem Balkan zu verbürgen, und sie beraten zusammen mit dem Ziel, diesen Vorsatz so schnell wie möglich auszuführen.

7. Es wird vorausgesetzt, daß die eben erwähnten Übereinkommen keine Regierung hindern, mit anderen Ländern Abkommen im allgemeinen Interesse der Festigung des Friedens zu schließen.175

Paris, den 23. Juni 1939
Bonnet             Suad Davaz




Nr. 311
Der Deutsche Geschäftsträger in Paris an das Auswärtige Amt
Bericht
Paris, den 27. Juni 1939

Wie s. Z. durch Telegramm vom 24. März berichtet,176 hat damals die hiesige Presse Meldungen gebracht, wonach anläßlich des Besuchs des Französischen Staatspräsidenten in London, Chamberlain, Halifax und Bonnet ein Protokoll gezeichnet oder Aide-Mémoires ausgetauscht hätten, in denen sich England und Frankreich verpflichteten, im Falle eines Angriffs auf Holland oder die Schweiz diesen Ländern automatisch bewaffneten Beistand zu leisten und deren Grenzen zu schützen. Das so geschlossene Abkommen bestätige die Vereinbarungen, die am 29. Januar 1939 bereits mündlich in Paris zwischen Bonnet und dem hiesigen Englischen Botschafter getroffen worden seien. Eine Nachprüfung der Frage, aus welcher Quelle die Meldungen über diese Vereinbarungen stammen, hat folgendes ergeben:

In der Zeitschrift Europe Nouvelle vom 18. März wird im Rahmen der dort ständig veröffentlichten Wochenübersicht berichtet, daß am Abend des Januar der Englische Botschafter der Französischen Regierung mitgeteilt habe, England werde im Falle eines Angriffs auf Holland zum Kriege schreiten, und er bitte Frankreich um das Versprechen, das gleiche zu tun. Am Januar nachmittags habe die Französische Regierung dieser englischen Bitte stattgegeben, aber von dem Englischen Kabinett verlangt, ein ähnliches Versprechen für die Schweiz abzugeben, die, wie die Französische Regierung Grund habe, zu glauben, ebenfalls von einem überraschenden Angriff bedroht sei. Am 30. Januar sei von London eine zustimmende Antwort eingetroffen.

Die Meldungen darüber, daß diese im Januar mündlich getroffenen Vereinbarungen anläßlich des Aufenthalts von Herrn Bonnet in London schriftlich bestätigt worden seien, sind von den aus Anlaß des Präsidentenbesuchs in London anwesenden Vertretern einer Reihe hiesiger Blätter gebracht worden. Eine Havasmeldung ist hierzu, soweit festgestellt werden konnte, nicht erfolgt.

Bräuer




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