[15] Vorbemerkung Durch das Versailler Diktat ist Deutschland gezwungen worden, auf seine Kolonien zu verzichten. Die Mächte, deren Truppen im Kriege jene Gebiete besetzt hatten, haben sie untereinander verteilt. Jede Macht übt in dem ihr zugefallenen Teil der deutschen Kolonien die Mandatherrschaft im Namen des Völkerbundes in Gemäßheit der einen Bestandteil des Versailler "Friedens" bildenden Völkerbundssatzung aus. Die Wegnahme der deutschen Kolonien ist der Welt gegenüber damit begründet worden, daß Deutschland sich als unfähig und unwürdig zum Kolonisieren gezeigt habe. Es sind schwere Beschuldigungen gegen die deutsche koloniale Tätigkeit erhoben worden, vor allem in bezug auf die angebliche Militarisierung der deutschen Kolonien zwecks Bedrohung anderer Nationen und in bezug auf die Behandlung der Eingeborenen. Es ist eine koloniale Schuld Deutschlands konstruiert worden, welche es den Alliierten unmöglich gemacht habe, uns noch einmal die Geschicke von Kolonien und von Eingeborenenbevölkerungen anzuvertrauen. Diese Beschuldigungen entsprechen nicht der Wahrheit. Es ist ebenso notwendig, der kolonialen Schuldlüge entgegenzutreten wie der Kriegsschuldlüge. Wir sind es uns selbst und unsern Kindern schuldig, unserer Stellung im Kreise der Nationen, daß diese unseren Charakter herabsetzende Lüge als solche der Welt kenntlich gemacht wird. Wir sind es aber auch der Zukunft unseres Volkes schuldig, durch die Widerlegung der kolonialen Schuldlüge den Boden zu ebnen für den Wiedereintritt Deutschlands in die überseeische Kolonisation, ohne welche unser Vaterland sich niemals wieder zu voller wirtschaftlicher Selbständigkeit und Blüte entfalten kann. Wie der Versailler "Friede" auf der Meinung der Völker von der Schuld Deutschlands beruht, so die Ausschließung Deutschlands vom Kolonialbesitz auf der Ansicht von unserm Versagen in der Kolonisation. Diese Auffassung muß weggeräumt werden. Es gilt in dem Kampf gegen die Lüge nicht zu ermatten und der Wahrheit auch auf kolonialem Gebiet zum Siege zu verhelfen.
In der Note des amerikanischen Staatssekretärs Lansing vom 5. November 1918 war Deutschland der Rechtsfrieden auf der Grundlage der 14 Punkte Wilsons zugesichert worden, wie sie in der Kongreß- [16] rede des amerikanischen Präsidenten vom 8. Januar 1918 festgelegt waren. Es lag ein Vertrag zwischen den Alliierten einerseits und dem Deutschen Reiche anderseits über die Friedensgrundlage vor. Was die deutschen Kolonien anbetrifft, so hatten sich die Alliierten durch jenen Vertrag zur Innehaltung des Punktes 5 des Präsidenten Wilson verpflichtet, welcher lautet:
"Eine freie, weitherzige und unbedingt unparteiische Schlichtung aller kolonialen Ansprüche, die auf einer genauen Beobachtung des Grundsatzes fußt, daß bei der Entscheidung aller derartiger Souveränitätsfragen die Interessen der betroffenen Bevölkerung ein ebensolches Gewicht haben müssen wie die berechtigten Forderungen der Regierung, deren Rechtsanspruch bestimmt werden soll." Welche Verpflichtungen der Alliierten schließt dieser Punkt 5 in sich? Zunächst jedenfalls die Verpflichtung zur Anhörung Deutschlands vor der Bestimmung über das Schicksal der Kolonien. Die Grundvoraussetzung jeder unparteiischen Entscheidung ist doch, daß beide Seiten gehört und ihre Ansprüche geprüft werden. Die Alliierten waren ferner verpflichtet zur Erforschung der Verhältnisse und Wünsche der Eingeborenen, welche jene Kolonien bewohnen. Wie kann den Interessen der Eingeborenen Gewicht beigelegt werden, wenn nicht vorher festgestellt wird, welches diese Interessen sind? Weiter hätte die in Punkt 5 zugesicherte Freiheit und Weitherzigkeit der Entscheidung zur Voraussetzung gehabt, daß die entscheidenden Personen sich nicht an frühere zwischen einzelnen Alliierten abgeschlossene Verträge über Verteilung deutschen Kolonialbesitzes gehalten, sondern aus sachlichen Gründen entschieden hätten. Wie ist in Wirklichkeit die Entscheidung erfolgt? Wir haben es lange nicht gewußt. Erst neuerdings hat die Veröffentlichung der Dokumente des Präsidenten Wilson, darunter Auszüge aus den Protokollen des jeweils entscheidenden Rats der Staatshäupter, die Vorgänge enthüllt. Danach hat sich die Festlegung des Verzichts Deutschlands auf seine Kolonien wie folgt abgespielt:1 Am 13. Januar 1919 hatte der Rat der Zehn sich mit einer von dem Präsidenten Wilson aufgestellten Liste der zu erörternden Gegenstände einverstanden erklärt, worin der Völkerbund an erster Stelle stand, gefolgt von den Reparations- und territorialen Fragen, mit den Kolonien als letztem Punkt. Trotzdem schlug Lloyd George am 23. Januar 1919 vor, daß die kolonialen Angelegenheiten [17] zusammen mit der Orientfrage vorweg erörtert würden. Clemenceau für Frankreich und Sonnino für Italien stimmten zu; Wilson widersprach, indem er die Lösung der europäischen Fragen für dringender erklärte. Darauf wurde im Rat der Zehn entschieden, daß der Generalsekretär alle Delegationen der in Frage kommenden Mächte auffordern sollte, innerhalb von 10 Tagen Aufstellungen über ihre territorialen Ansprüche einzureichen. Wilson glaubte die Erörterung der kolonialen Angelegenheiten verschoben zu haben. Doch schon am folgenden Tage, am 24. Januar, brachte Lloyd George in überraschender Weise die Sache wieder zur Verhandlung. Es erschienen plötzlich die vier Premierminister der britischen Dominions im französischen Auswärtigen Amt, in welchem der Rat der Zehn tagte, Smuts für Südafrika, Hughes für Australien, Massey für Neu-Seeland, Borden für Kanada. Sie wurden in den Beratungsraum eingelassen und von Clemenceau bewillkommnet. Sie waren gekommen, um ihre Ansprüche auf die deutschen Kolonien geltend zu machen, welche, wie Lloyd George auseinandersetzte, von den Truppen der Dominions erobert seien. Lloyd George gab eine kurze Erklärung ab, worin er darlegte, daß die deutsche Kolonialpolitik schlecht gewesen sei, "in Südwestafrika hätten sie absichtlich eine Ausrottungspolitik verfolgt". Das Geheimprotokoll des Rats der Zehn enthält über das, was folgte, den nachstehenden Wortlaut:2
"Alles was er (Lloyd George) im Namen des Britischen Reichs als Gesamtheit sagen möchte, sei, daß er im höchsten Maße dagegen wäre, Deutschland irgendeine seiner Kolonien zurückzugeben. Damit war kurzerhand die Wegnahme der deutschen Kolonien aus deutschem Besitz entschieden! So sah die freie, weitherzige und unbedingt unparteiische Schlichtung aus, welche in Punkt 5 Wilsons vorgesehen war! In dieser Weise wurde die in der Lansing-Note dem Deutschen Reich vertragsmäßig gegebene Zusicherung der Zugrundelegung jenes Punktes 5 erfüllt! Doch die Wegnahme der deutschen Kolonien war nur die eine Seite der Sache. Es handelte sich auch um die Verteilung unter die [18] Mächte, die sie im Kriege erobert hatten. Lloyd George schlug besonders im Interesse der britischen Dominions Annexion der deutschen Kolonien vor. "Er würde es gerne sehen", sagte er, "daß die Konferenz die Gebiete als Teile der Dominions behandeln würde, welche sie genommen hätten." Es störte ihn nicht, daß er selbst am 25. Januar 1918 den Trade Unions, den englischen Gewerkschaften, welche für das Prinzip "keine Annexionen" eintraten, gesagt hatte: "Was die deutschen Kolonien anbetrifft, so habe ich wiederholt erklärt, daß sie zur Verfügung einer Konferenz stehen, deren Entscheidung in erster Linie Rücksicht nehmen muß auf die Wünsche und Interessen der eingeborenen Bewohner jener Kolonien." Wilson bezeichnete die von Lloyd George vorgeschlagene Lösung als eine "bloße Verteilung der Beute". Die Minister der britischen Dominions stellten ihre Forderungen auf. Hughes verlangte Deutsch-Neu-Guinea und die deutschen Südsee-Inseln für Australien, Massey Samoa für Neu-Seeland, Smuts Deutsch-Südwestafrika für die Südafrikanische Union; sie alle forderten die unmittelbare Annexion. Sie begründeten ihre Ansprüche mit den Kosten und Verlusten der Dominions im Kriege und der Tatsache, daß ihre Truppen die betreffenden Kolonien besetzt hätten, ferner mit strategischen und militärischen Notwendigkeiten der Dominions. Die Interessen der Eingeborenen würden im Falle der Annexion sicher sein, da die Dominions Demokratien seien und ihr Bestes für die Zivilisation täten. Am 27. Januar erschien der japanische Vertreter, Baron Makino, im Rat der Zehn, verlangte die bedingungslose Abtretung Kiautschous und der sonstigen Rechte und Privilegien Deutschlands in Schantung sowie der deutschen Südsee-Inseln nördlich des Äquators an Japan. Diese Ansprüche gründeten sich auf einen im März 1917 zwischen Japan einerseits und England anderseits geschlossenen Geheimvertrag. Die Entente hatte zu jener Zeit um Japans Hilfe gegen die deutschen und österreichischen U-Boote im Mittelmeer gebeten. Die Japaner machten die Gewährung dieser Bitte abhängig von der vertragsmäßigen Zusicherung der Übertragung jener deutschen Kolonien auf Japan. Lloyd George erklärte später bei Erörterung dieser Angelegenheit im Rat der Vier, daß zu jener Zeit der U-Bootkrieg furchtbar gewesen wäre; die meisten Zerstörer waren in der Nordsee, und es bestand ein Mangel an solchen im Mittelmeer; japanische Hilfe war dringend erforderlich. Japan verlangte dafür die deutschen Südsee-Inseln nördlich des Äquators und Schantung. In dieser Lage hätte die Entente zugestimmt.3 [19] England hatte sich seinerseits von Japan die Unterstützung seiner Ansprüche auf die deutschen Südsee-Inseln südlich des Äquators zusichern lassen. Das englisch-japanische Abkommen ist in der englischen Note vom 16. Februar 19174 festgelegt worden. Nachdem dies geschehen war, hatte Japan auch die Zustimmung Frankreichs und Rußlands nachgesucht. Frankreich stimmte am 1. März zu, forderte aber seinerseits als Gegenleistung Japans, daß China mit zur Teilnahme am Kriege gegen Deutschland veranlaßt würde, d. h. daß Japan seinen bisher dagegen geleisteten Widerstand fallen lasse. Rußland erteilte noch unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Zarenreiches seine Einwilligung. Am 28. Januar 1919 forderte der französische Kolonialminister Simon die Annexion von Togo und Kamerun, wobei er seinen Anspruch zum Teil auf das Bestehen gewisser Geheimverträge zwischen England und Frankreich gründete; er forderte eine "annexion pure et simple". Er schlug vor, "zwei zwischen Herrn Cambon (dem französischen Botschafter in London) und Sir Edward Grey während des Krieges ausgetauschte Briefe vorzulesen, welche die vorläufige Teilung von Kamerun und Togo betreffen", wurde aber sofort durch Lloyd George daran gehindert, welcher "nicht glaubte, daß es irgendwelchen Nutzen haben würde, diese Dokumente im gegenwärtigen Moment zu verlesen".5 Der hier erwähnte Notenwechsel hatte am 24. März und 11. Mai 1916 stattgefunden. Es war darin für den Fall, daß die Alliierten bei Kriegsende die Verfügungsgewalt über Kamerun und Togo erlangen sollten, in Aussicht genommen, die für die Zwecke der Besetzung im Kriege vereinbarte vorläufige Teilung zwischen England und Frankreich in eine endgültige umzuwandeln.6 Auch Belgien trat mit Ansprüchen an einen Teil von Deutsch-Ostafrika hervor. Schließlich erhob Italien koloniale Forderungen auf Grund des von ihm mit der Entente geschlossenen Geheimvertrages von London vom 26. April 1915, in dem der Preis für seine Teilnahme am Kriege gegen die Mittelmächte vereinbart war. Es war ihm darin ein Gebietszuwachs in Afrika versprochen für den Fall, daß Frankreich und Großbritannien "ihre kolonialen Besitzungen in Afrika auf Kosten Deutschlands erweitern würden".7 Es liegt auf der Hand, daß diese von verschiedenen Alliierten erhobenen Ansprüche auf Grund von Geheimverträgen vollständig Wilsons Punkt 5 widersprachen. Jene Alliierten gingen, wie der amerikanische Präsident richtig erkannte und aussprach, auf die [20] Verteilung der deutschen Kriegsbeute aus, nicht auf die Anwendung seiner Grundsätze, welche doch die vereinbarte Friedensgrundlage bildeten. Trotzdem gab Wilson nach. Er ließ es zu, daß die deutschen Kolonien gemäß jenen Geheimverträgen verteilt wurden und daß im übrigen diejenigen Mächte sie behielten, welche sie im Kriege mit ihren Truppen besetzt hatten. Er begnügte sich damit, daß mit Hilfe des Mandatssystems der äußere Anschein erweckt wurde, als ob dadurch seine in Punkt 5 niedergelegten Grundsätze in die Wirklichkeit übergeführt würden. Es ist indessen offenbar, daß Wilson sich mit diesem seinem Vertrauensbruch niemals innerlich abgefunden hat. Er war, soweit sich erkennen läßt, in die Erörterung der Frage eingetreten in der Absicht, seinen Punkt 5 zur Durchführung zu bringen. Noch am 2. Mai1919 stellte das amerikanische Pressebüro fest, daß, obwohl Deutschland vorübergehend seiner sämtlichen kolonialen Besitzungen beraubt wurde, doch die Angelegenheit noch nicht endgültig geregelt war. "Wilson hatte vorgeschlagen, daß Deutschland ausreichendes Kolonialland zurückerhalten sollte, um es von anderen Ländern in bezug auf tropische Rohstoffe unabhängig zu machen und um ein Gebiet für Auswanderung zur Verfügung zu stellen. Deutschland würde sich indessen zu verpflichten haben, daß es keine militärischen oder politischen Ziele in diesen Kolonien verfolgen würde." Was indessen im Januar geschehen war, blieb. Die Politik der Annexion, welche durch die Wortführer Großbritanniens beim Beginn des Krieges formell und später durch Wilson noch energischer zurückgewiesen war, drang durch. Selbst eine französische Zeitung Le peuple (vom 13. Mai 1919) verurteilte die Regelung als eine solche, unter welcher die Gebiete mit ihren Bevölkerungen "von einer Hand in die andere gehen sollten, gerade wie früher Sklaven mit dem anderen Eigentum ihres Herrn verkauft wurden, wenn diese bankerott wurden." Erfinder des Mandatssystems war übrigens nicht Wilson, sondern der südafrikanische Ministerpräsident Smuts. Dieser hatte allerdings nur die türkischen Besitzungen, welche von dem Ottomanischen Reiche abgetrennt wurden, unter Mandatsverwaltung stellen wollen. Er beantragte selbst für Südafrika die Annexion von Deutsch-Südwestafrika. Wilson aber nahm das Mandatssystem auch für die deutschen Kolonien in Anspruch, um sie auf diese Weise in den Bereich seiner Völkerbundspläne bringen zu können. Die Alliierten gingen, obwohl sie an ihren Forderungen der Verteilung auf Grund der Geheimverträge und der kriegerischen Inbesitznahme festhielten, auf die Mandatsideen ein. Sie wurden dabei, wie einer der Hauptteilnehmer bei den Verhandlungen in Versailles, der amerikanische Staatssekretär Lansing, dargelegt hat, keineswegs von den Gedankengängen des Präsidenten Wilson, sondern von sehr prosaischen Beweg- [21] gründen geleitet. Wären die deutschen Kolonien zwischen den siegreichen Mächten unter Übertragung der vollen Souveränitätsrechte verteilt worden, so wäre eine Anrechnung auf die Tributforderungen jener Mächte nicht wohl zu umgehen gewesen. Unter dem Mandatssystem erhielten die feindlichen Mächte Deutschlands koloniale Besitzungen, ohne irgendeinen ihrer Entschädigungsansprüche aufzugeben. "In der tatsächlichen Durchführung wirkte der anscheinende Altruismus des Mandatssystems zugunsten der selbstsüchtigen und materiellen Interessen der Mächte, welche die Mandate übernahmen. Es konnte daher nicht überraschen, daß der Präsident wenig Opposition seitens der europäischen Staatsmänner fand gegen die Annahme seiner Theorie, oder, um genauer zu sein, Smuts Theorie".8 So kam es, daß trotz der Annahme des Mandatssystems die Verteilung der deutschen Kolonien genau so erfolgte, wie es die einzelnen Mächte auf Grund der früheren Geheimverträge oder späterer Abmachungen untereinander vereinbarten. England und Frankreich teilten die westafrikanischen Kolonien untereinander, England und Belgien Deutsch-Ostafrika, Japan und England die deutschen Südsee-Inseln, von den britischen Dominions behielt eine jede die Kolonie, welche sie erobert hatte. Das Mandatssystem bildete nur die äußere Form, die Umhüllung. Lansing meint darüber:9
"Wenn die Advokaten des Systems durch seine Annahme den Anschein zu vermeiden trachteten, als nähmen sie feindliches Gebiet als Kriegsbeute, so war dies ein Unterschlupf (subterfuge), der niemand täuschte".10 Dies mag auf die Teilnehmer an der Verhandlung zutreffen, aber ein beträchtlicher Teil der Außenwelt, dem die Vorgänge nicht so genau bekannt waren, ist tatsächlich getäuscht worden. Viele haben das geglaubt, was über die Einrichtung und die Ziele der Mandatsverwaltung verkündet wurde: daß die Übertragung der Vormundschaft über die die deutschen Kolonien bewohnenden eingeborenen Völker an die dafür geeignetsten, fortgeschrittensten Nationen der beste Weg sei, um das Wohlergehen und die Entwicklung jener Völker als eine "heilige Aufgabe der Zivilisation" zu fördern, und daß diese Nationen die Vormundschaft als Mandatare des Völkerbundes und in seinem Namen zu führen hätten; ferner, daß die [22] militärische Ausbildung der Eingeborenen verboten würde, soweit sie nicht lediglich polizeilichen oder Landesverteidigungszwecken diente. Einen jeden, der sich auch nur oberflächlich mit den Kolonien beschäftigt hat, hätte es zwar stutzig machen müssen, daß gerade die Belgier und Franzosen mit zur Durchführung solcher Aufgaben als Mandatare ausgesucht werden sollten, denn die Erinnerung an die belgischen Kongogreuel, welche die Welt schaudern machten, und an die ihrem Vorbild folgenden französischen Kongo-Greuel ist noch keineswegs erloschen. Auch ist es eine allgemein bekannte Tatsache, daß gerade Frankreich diejenige Macht ist, welche die in ihrem Machtbereich stehenden eingeborenen Völker in großem Maßstabe militärisch ausbildet. Aber die große Masse ist in allen Ländern zu wenig über koloniale Dinge unterrichtet, um nicht der Täuschung durch solche Darstellungen zu unterliegen, die von den leitenden Staatsmännern der Alliierten und von einem großen Teil ihrer Presse in beständiger Wiederholung und unter Betonung der idealen Beweggründe dieser Maßnahmen in die Welt gesetzt wurden. Gerade vom moralischen Standpunkt aus gewährt jedoch das beobachtete Verfahren ein äußerst unerfreuliches Bild. Die Siegermächte haben die deutschen Kolonien untereinander verteilt, zum Teil durch Geheimverträge, im übrigen nach Verhältnis der Beteiligung der einzelnen Mächte und Dominions am Kriege, lediglich nach machtpolitischen Gesichtspunkten. Nach außen hin haben sie den Anschein zu erregen gesucht, als ob ihr Tun nur von idealen Gesichtspunkten geleitet sei, als handle es sich um das Wohlergehen der Eingeborenen und nicht um ihr eigenes. So stellt das Vorgehen der Alliierten in bezug auf die deutschen Kolonien einen dreifachen Betrug dar. Betrogen ist einmal das deutsche Volk. Die Alliierten hatten durch die Vorspiegelung eines Friedens auf Grund der 14 Punkte des Präsidenten Wilson in ihm den Irrtum erregt, daß eine unparteiische Schlichtung der kolonialen Ansprüche unter Berücksichtigung der Interessen der Eingeborenen erfolgen werde; an Stelle dessen ist die Wegnahme und Verteilung der deutschen Kolonien lediglich nach machtpolitischen Gesichtspunkten erfolgt, zum Teil selbst auf Grund von Geheimverträgen, welche zur Zeit der Schaffung dieser Vertragsgrundlage durch die Lansing-Note bereits vorlagen. Betrogen sind ferner die Eingeborenenbevölkerungen der deutschen Kolonien. Die Allierten hatten im Krieg das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf ihre Fahnen geschrieben; Lloyd George hatte wiederholt öffentlich versprochen, daß, bevor irgendein Mandat über die bisherigen deutschen Kolonien einer Nation übertragen werden würde, die Eingeborenen-Häuptlinge und Stämme befragt [23] werden sollten. Auch dies hat sich als eine bloße Vorspiegelung erwiesen. Tatsächlich ist die Verteilung erfolgt, ohne daß die Wünsche der Eingeborenen irgendwie dabei berücksichtigt wären. Auch sind deren Interessen dabei keineswegs zu Rate gezogen, sondern im Gegenteil verschiedentlich schwer geschädigt worden. Endlich ist die Öffentlichkeit getäuscht worden. Es wurde der Irrtum erregt, als ob bei der Entscheidung über die deutschen Kolonien moralische Gründe maßgebend gewesen seien. Während die Geheimverträge über die Verteilung des deutschen Kolonialbesitzes längst in Kraft waren, wurde nach außen hin der Anschein erweckt, als wolle man lediglich eine bessere Fürsorge für die Eingeborenen schaffen, als ihnen unter deutscher Herrschaft zuteil geworden sei. Während die Alliierten untereinander Gebiete verteilten und Grenzen zogen, ohne Rücksicht auf die dadurch zerschnittenen Völkereinheiten, erhielten sie nach außen die Fiktion vom Selbstbestimmungsrecht der Völker aufrecht. Während Macht- und Wirtschaftsinteressen der beteiligten Staaten ausschließlich für die Aneignung deutschen Kolonialbesitzes maßgebend waren, erklärten sie der Welt gegenüber, eine heilige Aufgabe der Zivilisation erfüllen zu wollen.
2Baker a. a. O. Bd. I, Seite 225. (D. A., Seite 208). ...zurück... 3Geheimprotokoll des Rats der Vier vom 22. April 1919, bei Baker, Bd. I. S. 60 (D. A., S. 58/59.) ...zurück... 4Im Wortlaut abgedruckt bei Baker, Band I, Seite 61. ...zurück... 5Geheimprotokoll des Rats der Zehn v. 28. Januar 1919, bei Baker, Band I, S. 268. (D. A., S. 218.) ...zurück... 6Temps vom 30. Januar 1919. ...zurück... 7Baker, Band I, Seite 54. ...zurück... 8Rob. Lansing, The peace negociations, 1921, Seite 140. ...zurück... 9a. a. O. Seite 139. ...zurück...
10Der Engländer E. D. Morel,
der sich vor dem Kriege als Kolonialkenner einen Namen gemacht hat, sagt,
daß die Summen, die aus den ehem. deutschen Kolonien gezogen werden
können, die Gesamtkriegskosten bedeutend übersteigen. Er
schätzt den potentiellen Wert der
an England gekommenen deutschen
Kolonien auf viele tausend Millionen Pfund Sterling. ...zurück...
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