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Vorwort

Diese Schrift hat zuerst das Licht der Welt erblickt als Januarheft 1924 der Süddeutschen Monatshefte. Bald folgte eine zweite Auflage, dann kamen weitere bis zur sechsten. Diese siebente Auflage ist eine erweiterte Ausgabe, zu deren Bearbeitung in den früheren Auflagen noch nicht benutztes Material hinzugezogen ist. Eine Reihe von Bildern ist beigegeben, um deutsche koloniale Tätigkeit anschaulich zu machen.

Vorangestellt ist ein Auszug aus dem Vorwort des Mr. W. H. Dawson in Oxford zu der 1926 erschienenen englischen Ausgabe, welche den Titel trägt: German Colonization Past and Future. The Truth about the German Colonies. (Deutsche Kolonisation in Vergangenheit und Zukunft. Die Wahrheit über die deutschen Kolonien.) Dieser bekannte Historiker und Kolonialsachverständige war bereits früher mit hervorragenden Büchern über deutsche und koloniale Fragen hervorgetreten. Er hat das von dem britischen Auswärtigen Amt für die Information der Mitglieder der Pariser Friedenskonferenz zusammen mit anderen dem gleichen Zweck dienenden Handbüchern veröffentlichte Handbuch über "Deutsche Kolonisation" verfaßt.

Die englische Ausgabe hat in der englisch sprechenden Welt außerordentliches Aufsehen erregt. Das Buch ist in allen maßgebenden Blättern nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Kanada, Südafrika, Indien, Australien, Neuseeland und anderen Teilen des Britischen Reiches ausführlich besprochen worden und hat auch in den Vereinigten Staaten von Amerika vielfach Beachtung gefunden. Dabei hat sich ergeben, daß die koloniale Schuldlüge in dem allergrößten Teil der englischen Presse, vor allem in den maßgebenden Blättern in England selbst, angesichts des in dem Buche enthaltenen schlüssigen Beweismaterials nicht mehr aufrecht erhalten wird. Das gilt ebenso von den großen konservativen Blättern, welche sich gegen die Rückgabe deutscher Kolonien aus imperialistischen Gründen ablehnend verhalten, wie von den Blättern der liberalen und Arbeiterpartei, von denen manche die Rückgabe deutscher Kolonien offen befürworten.

Nur vereinzelte Zeitungsorgane in England und eine Anzahl solcher in den entfernteren Teilen des Britischen Reiches, sowie [6] in einigen anderen Ländern halten noch an den Vorwürfen gegen deutsche Kolonisationsmethoden fest. Schon diese Tatsache und die Erwägung, daß die Lügen der Kriegspropaganda sich in den Köpfen allzuvieler Menschen eingewurzelt haben, würden eine Fortsetzung des Kampfes um die Wahrheit erforderlich machen. Aber ihre unbedingte Notwendigkeit ergibt sich daraus, daß ungeachtet der Widerlegung des Vorwandes kolonialer Unfähigkeit und Unwürdigkeit, unter dem Deutschland seine Kolonien geraubt sind, unser Vaterland auch heute noch von der überseeischen Kolonisation ausgeschlossen ist. Der Kampf gegen die koloniale Schuldlüge muß fortgeführt werden, bis die praktische Konsequenz aus deren Beseitigung durch die Rückübertragung deutscher Kolonien an Deutschland gezogen ist. Möge dieses Buch zur Erreichung dieses Zieles beitragen!

Charlottenburg, Ende November 1926.

Heinrich Schnee.

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Auszug aus dem Vorwort
von William Harbutt Dawson

zu Dr. Heinrich Schnees "German Colonization Past and Future".1

Autorisierte Übersetzung von Oberstlt. a. D. v. Ramsay.

Thackeray, dieser tapfere Bekämpfer von Lug und Trug in jeder Gestalt, verurteilt in dem dritten Kapitel seines Buches The Four Georges lebhaft die Gewohnheit, in Zeiten von Kriegen falsches Zeugnis abzulegen. Auf den Krieg mit Frankreich unter Napoleon I. Bezug nehmend, sagt er:

      "Es gab keine Lüge, die wir nicht geglaubt hätten, keine Beschuldigung mit einem Verbrechen, welche wir in unserer zornigen Voreingenommenheit nicht für wahr gehalten hätten. Ich habe eine Zeitlang daran gedacht, alle die Lügen aufzuzeichnen, welche die Franzosen gegen uns und die wir gegen sie während des Krieges veröffentlicht haben; das würde ein seltsames Denkmal der Volksfalschheit geworden sein."

Der auf das Wohl seiner Landsleute bedachte Herr Baldwin fährt fort, ihnen nach wohlbedachten Pausen ein moralisches Anregungsmittel nach dem andern zu verabfolgen, und in dem gleichen Sinn hat er in seiner letzten bemerkenswerten Rede an die Studenten der Universität Edinburgh (am 6. November 1925) eine Äußerung getan, die in angenehmem Gegensatz stand zu einer anderen Rektoratsrede an die Jugend, die vor einem Jahr oder mehr in Schottland gehalten wurde. "Mit dem Krieg und mit den Vorbereitungen zum Krieg," sagte er, "beginnt das diplomatische Intrigenspiel, beginnt der Verfall der Moralbegriffe, beginnen Ferien für die Wahrheit und Feiertage für den Zynismus. Im Wettstreit der internationalen Gegensätze hat man die Vaterlandsliebe als die unerläßliche Tugend des Staatsmannes über die Wahrheit gesetzt."

Die alles verändernde Zeit scheint bisher weder die Neigung der Patrioten niederer Denkungsart zur Unwahrhaftigkeit noch die Leichtgläubigkeit der gedankenlosen Masse der Menschheit eingeschränkt zu haben. Die durch den Krieg verursachte Propaganda beweist das in schlagender Weise. Jede der großen kriegführenden [8] Nationen hatte vielfach unter Verleumdungen und unter der Verdrehung von Tatsachen zu leiden, und doch kann man mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten, daß sie im allgemeinen nur das ernteten, was sie gesät hatten. [Scriptorium merkt an: falsch übersetzt. Sinngemäß heißt die Stelle im Original, "...behaupten, daß sie es im allgemeinen mit gleicher Münze heimzahlten".]

Das Buch, zu welchem ich ein Vorwort für die englisch sprechenden Leser zu schreiben gebeten worden bin, behandelt eine Seite dieser Propagandatätigkeit. Obgleich heute wenig mehr als eine Erinnerung, leben ihre schädlichen Wirkungen doch noch fort, und die schlimmste Wirkung besteht darin, daß sie ein schlimmes Kolonialproblem hervorgerufen hat, wie es keinesfalls in seiner jetzigen Gestalt weiter bestehen bleiben kann. Daher ist es der Zweck der nachfolgenden Darstellung, zu zeigen, wodurch Deutschlands Ruf und Erfolg als Kolonialmacht ungerechtermaßen angezweifelt worden sind, und die Gründe anzugeben, weshalb die Rückgabe der Kolonien an Deutschland nicht nur ein Akt der Pflicht, sondern auch der Zweckmäßigkeit ist.

Die kurze in dem Buch enthaltene Biographie des Verfassers [Scriptorium merkt an: nur in der englischen Ausgabe] besagt alles, um unparteiische und gerecht denkende Leser davon zu überzeugen, daß sie es mit einem Manne zu tun haben, der als Autorität spricht und dessen Ruf als Kolonialbeamter über jeden Tadel erhaben ist. Ein Mann mit einer solchen Vergangenheit verdient nicht nur Glauben, sondern auch achtungsvolles Gehör. Überdies hat Dr. Schnee mit ebenso großer Mäßigung wie Sachkenntnis geschrieben in der ganz richtigen Erkenntnis, daß den zu behandelnden Fragen durch die Heftigkeit in der Beweisführung und in der Sprache nicht gedient wird. Bitterkeit, Leidenschaftlichkeit, Blindheit und Narrheit haben das Unheil angerichtet; unabhängige und uneigennützige Achtung vor der Wahrheit, der Gerechtigkeit und dem Recht mit der klaren Erkenntnis der Gefahren, die von der durch jenes Übel geschaffenen Lage untrennbar sind, können allein zu einer vollen internationalen Verständigung führen und dadurch wesentlich zur Erfüllung des so dringenden Bedürfnisses von Europa nach einem befriedeten und friedlichen Deutschland beitragen.

Den von mir erbetenen Dienst leiste ich mit um so größerer Bereitwilligkeit, als ich während des Krieges äußerst bemüht war, den Revanche-Geist zu bekämpfen, nicht um der Zentralmächte, sondern um unser selbst und einer Welt willen, die man geheißen hat, auf eine bessere Zukunft zu harren, und um in diesem Geiste viele unserer hochgesinnten Landsleute in der Ansicht zu bestärken, daß unsere Nation aus diesem Kampf, in den die damalige Regierung sie mit heißen Beteuerungen reiner Beweggründe und uneigennütziger Absichten hineingeführt hat, was die territoriale Frage anlangt, mit reinen, d. h. leeren Händen hervorgehen sollte. Wenn wir auch manche der Methoden der alten Diplomatie verwerfen, so hat diese doch wenigstens, und zwar seit langer Zeit, den gesunden Grundsatz [9] gehabt, im Falle internationaler Streitigkeiten und daraus sich ergebender Konferenzen auf territoriale Vorteile zu verzichten. Viele hervorragende Beispiele dieser Art hätten den alliierten Mächten als Richtlinien und als Anreiz dienen können, wenn sie sich an die Kriegsziele gehalten hätten, die sie zuerst verkündet hatten. Gesunde Politik und nationales Interesse wiesen gleichzeitig auf die Klugheit einer solchen Haltung hin, während die Annexionisten-Politik, die nur allzu rasch einflußreiche Kreise für sich gewann, dazu führen mußte, endloses Unheil hervorzurufen und neuen Bränden Nahrung zu liefern.

Unglücklicherweise wählte man im Jahre 1919 das niedrigere und unwürdigere Vorgehen. Damals waren allen alliierten Regierungen die Hände gebunden durch geheime Verträge, von denen man erst Kenntnis bekam, als es zum zielbewußten Einspruch zu spät war. "Völker und Provinzen dürfen nicht schlechthin wie willenlose Tauschobjekte oder wie Figuren in einem Spiele von einer Hand in die andere übergehen. Von jetzt ab werden Völker nur mit ihrer Einwilligung beherrscht und regiert werden!" So sprach Präsident Wilson am 2. April 1917. Und trotzdem hat es in der Geschichte noch nie einen solchen Schacher im großen mit Menschenfleisch und Menschenblut gegeben als denjenigen, der zwei Jahre später in Paris stattfand, ein Schacher, der nicht ganz, aber doch zum großen Teil ebenso sinn- wie gefühllos war.

So geschah es dann, daß alle Anstrengungen von weitsichtigen Männern und Frauen, die unbeeinflußt von Bitterkeit und Leidenschaft einen maßvollen Frieden herbeiführen wollten, umsonst gewesen sind. Um aber den blinden Führern der Blinden jener Tage gerecht zu werden, müssen wir eingestehen, daß eine Mehrheit der Nation bewußt oder aus Gleichgültigkeit es so gewollt hat. Von dem Bischof Butler erzählt man, daß er eines Abends in dem Garten hinter seinem Palast spazieren ging und, sich plötzlich nach seinem Kaplan umwendend, ihn durch die Frage in Erstaunen setzte, ob nicht öffentliche Körperschaften ebenso wie Einzelmenschen verrückt werden könnten. Denn in der Tat ließen sich die meisten historischen Ereignisse nicht anders erklären.2 Der Vertrag von Versailles und die damalige Haltung der Nationen, die er zur Zeit seiner Abfassung widerspiegelte, bilden eine vortreffliche Illustration der Theorie des Bischofs Butler.

Wenn ich aus rein technischen Gründen aufgefordert wurde, meine Verbindung mit dem Buch von Dr. Schnee zu rechtfertigen, so möchte ich zwei Tatsachen hervorheben: erstens, daß ich sehr häufig sowohl die guten als auch die schlechten Seiten der deutschen Kolonialbewegung in Büchern und anderen Schriften während der letzten [10] dreißig oder mehr Jahre besprochen habe, und zweitens, daß ich auf Wunsch das Handbuch über "Deutsche Kolonisation" geschrieben habe, das von dem britischen Auswärtigen Amt veröffentlicht worden ist als ein Teil einer großen Reihe von zur Information der Mitglieder der Pariser Friedenskonferenz dienenden Schriften.

Viele Tatsachen sprechen für die Ansichten des Verfassers, und er hat dies in geschicktester Weise ausgenutzt. Diese Rechtfertigung mußte kommen. Diejenigen, die während des letzten Krieges unsere Gegner waren und unter den falschen Vorstellungen, die sie für schimpflich und ungerecht hielten, litten, haben das gute Recht, wenn sie von uns, nachdem die Atmosphäre reiner und klarer geworden ist, verlangen, nunmehr in Ruhe und gewissenhaft die zahllosen Anklagen zu prüfen, die in der Hitze und in der Leidenschaft des Kampfes erhoben worden sind, und sie mit den wirklichen Vorgängen zu vergleichen. Und ebenso sehr ist es unsere Pflicht, wenn wir noch Wert darauf legen, daß unser alter guter Ruf als einer wahrheitsliebenden und gerechten Nation gewahrt bleibt, solchem Verlangen eine sorgfältige, geduldige und selbst nachsichtige Berücksichtigung angedeihen zu lassen.

Es mag vielleicht richtig sein, daß die meisten Menschen dieser Auseinandersetzungen über den Krieg überdrüssig sind, und nichts sehnlicher wünschen, als sie zu vergessen; die Ehrlichkeit und der Anstand aber verlangen von jedem von uns, daß wir in diesem Falle so handeln sollten, wie wir es für uns in Anspruch nehmen würden. An jeden ehrlichen Engländer, der um den guten Namen der uns überkommenen großen Überlieferung und darum besorgt ist, daß wir weiter deren taugliche Hüter sind, richte ich die Frage: "Wie würde er sich gegenüber unqualifizierbaren Angriffen verhalten, die von deutschen oder von anderen Anklägern gegen die englische Kolonialverwaltung gerichtet wurden? Würde er die falsche Darstellung stillschweigend und gleichmütig hinnehmen oder sie nach drücklich zurückweisen? und von der Einbildung zur Tatsache, vom falschen Zeugnis zu der Wahrheit seine Zuflucht nehmen? Und dieses nimmt Dr. Schnee als sein Recht und seine Pflicht in Anspruch und am Ende seines Buches zieht er die Folgerung.

Wenn ich auch eine allgemeine Verantwortung für das Buch von Dr. Schnee übernehme, weil ich es im gewissen Sinne "mit herausgegeben habe", so darf man mich doch nicht für jede Angabe und jeden Satz verantwortlich machen. Was in meine Hand gelangte, war eine englische Wiedergabe der Darstellung, die zwar auf einem vor mehreren Jahren veröffentlichten deutschen Original fußte, aber nicht in allen Punkten mit diesem übereinstimmte. Ich habe mich nicht für verpflichtet gehalten, den Wortlaut der beiden Schriften miteinander zu vergleichen, da Dr. Schnee, der ja die Verantwortung [11] für beide trägt, durchaus berechtigt war, den späteren Wortlaut nach seinem Belieben zu ändern. Aber nichtsdestoweniger habe ich sorgfältig alle Zitate und anderen Verweisungen nachgeprüft, und auf meinen Wunsch hat Dr. Schnee mir auch Beweisstücke bzw. Urschriften vorgelegt, auf denen einige seiner besonders ins Auge fallenden Behauptungen beruhen.

Zunächst möchte ich folgendes offen und ehrlich aussprechen: Wenn auch weder ich noch der Verfasser dieses Buches behaupten möchte, daß alle gegen die deutsche Kolonialverwaltung gerichteten Vorwürfe, wie sie in unserem Lande und in anderen Ländern als Teil einer ungewöhnlichen Kriegspropaganda verbreitet worden sind, völlig unbegründet sind, so behaupten wir beide doch, daß alle diese Anschuldigungen eine Mischung von Lüge und Wahrheit waren, daß sie viele bedauernswerte Verdrehungen enthielten und daß der Eindruck, den sie auf die öffentliche Meinung hervorriefen und auch hervorrufen sollten, völlig falsch war. Im besonderen stimme ich vollkommen der Ansicht des Verfassers zu, daß die Gründe, die später amtlich vertreten wurden, um die Wegnahme der deutschen Kolonien zu rechtfertigen, nicht moralisch und uneigennützig, wie es die Welt im allgemeinen zu hören bekam und möglicherweise damals auch glaubte, sondern politisch und egoistisch waren. Es gibt wohl kaum noch ein Land, abgesehen von denjenigen Ländern, die von der Annexionspolitik im Jahre 1919 ihre Vorteile gehabt haben, in dem man noch anderer Meinung wäre.

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Über Dr. Schnees Verteidigung der deutschen Kolonialtätigkeit ist nun jedoch genug gesagt worden. Bei der Abfassung dieser einleitenden Worte ist mir vor allem daran gelegen, Gründe vorzubringen, die meines Ermessens die Rückgabe der Kolonien an Deutschland unserem Vaterlande zu einem Gebote nicht nur der Ehre, sondern auch der Klugheit machen, wobei es weniger auf die Wahl der Kolonien und den Zeitpunkt der Rückgabe ankäme. Daß man einzelne von diesen Gebieten unter keinen Umständen hätte zurückgeben, und daß man Deutschland nicht hätte gestatten können, einzelne Gebiete sofort wieder unter seine Fittiche zu nehmen, das war vielleicht vorauszusehen, wenn auch Dr. Schnee hier anderer Meinung sein mag als ich. Nichtsdestoweniger glaube ich, man machte einen großen Fehler, als man Deutschland die Türe nach Afrika vor allem in so unhöflicher und geflissentlicher Weise verschloß, und ich halte dafür, es wäre klüger gewesen in Hinsicht auf die Zukunft, Deutschland die Hoffnung zu lassen, es könnte zu einem späteren Zeitpunkte seinen alten Platz in diesem geräumigen Kontinente wieder einnehmen, gegebenenfalls unter wohlerwogenen Bedingungen über Dauer und Art des Mandates, wie sie für alle Kolonialmächte hätten gelten können.

[12] Und in erster Linie war die Wegnahme der deutschen Kolonien ein unbestreitbarer Bruch des unserem Volke und der Welt bei Beginn des Krieges gegebenen Versprechens. Kurz vor Ausbruch des Krieges haben wir als Volk gemeinsam mit unseren Verbündeten erklärt, der Krieg richte sich nur gegen kriegerischen Überfall und Gewalt, und unser damaliger Premierminister hat feierlich jede Absicht und jeden Gedanken an Eroberung zurückgewiesen, wie es seine Kollegen im Kabinett später taten. In gehobenem Selbstbewußtsein nahm das Volk dieses Versprechen freudig entgegen und glaubte fest daran. Und doch hatte der Kampf erst wenige Monate gedauert, als die alliierten Regierungen bereits geheime Verträge über die Zuteilung weiter Gebiete in drei Kontinenten abschlossen.

Bei der späteren formalen Aufteilung der deutschen Kolonien hat sich Großbritannien - um einen vulgären Ausdruck anzuwenden - den "Magen vollgestopft", und zwar viel zu voll, als daß es sich danach dauernd wohl und gesund befinden könnte. Die jedoch, die da glauben, unsere Alliierten seien ebenso zufrieden wie wir mit Maßnahmen, die augenblicklich außerordentlich vorteilhaft für uns erscheinen, sollten sorgfältig über die Auslassungen nachdenken, die über diesen Gegenstand von Zeit zu Zeit in der französischen, der italienischen und selbst der amerikanischen Presse veröffentlicht werden. Wenn unsere Freunde uns bereits jetzt so freimütig bekritteln, was haben wir wohl dann zu erwarten, wenn die Erinnerung an die verflossene Waffengemeinschaft zu verblassen beginnt und neue Männer die politische Bühne betreten, für die die Bindungen und Verpflichtungen des Augenblicks keine allzugroße Bedeutung mehr haben.

Wenn fremde Kritiker von Deutschlands Kolonien reden, dann stellen sie es oft so hin, als ob Großbritannien sie alle allein genommen habe und machen derart einen Unterschied, der bezeichnend ist, uns aber weder schmeichelhaft noch billig erscheint. Die Frage, wer in erster Linie dafür verantwortlich zu machen sei, daß man von so hohem Grundsatz abwich - ob Frankreich oder wir - ist von geringer Bedeutung. Wesentlich ist nur, daß es geschah und daß man die Versprechungen und Versicherungen hinsichtlich uneigennütziger Ziele, die die anfängliche Begeisterung der Völker entfacht hatten, in den Wind schlug. Und die Tatsache, daß Deutschlands Kolonien mit einer einzigen Ausnahme niemand gehörten, ehe sie von den Deutschen besetzt wurden, macht ihre Wegnahme nur noch unvertretbarer, ja unmittelbar unanständig; auch nicht eine seiner Kolonien war die Frucht gewaltsamer Eroberung, wie sie die meisten Kolonialreiche geschaffen hat. Nirgends sind die Rechte anderer weißer Völker angetastet worden. Deutschlands Anspruch auf seine Kolonien wurde ausdrücklich durch Verträge bestätigt, meist mit England, das dafür wertvolle Gegenleistungen erhielt, aber auch mit Frankreich, Spanien [13] (hier handelte es sich um ein Geldgeschäft), Belgien, Portugal und Amerika. Am Ende eines Krieges, der mit zu dem aufs feierlichste verkündeten Zwecke geführt wurde, die Unverletzlichkeit des Völkerrechts und internationaler Verträge wiederherzustellen, wirkt es nicht sehr befriedigend, wenn man vernimmt, es sei statthaft, abgeschlossene Verträge außer acht zu lassen, die einem angemaßten internationalen Interesse im Wege stehen. Diese Lehre wurde sonst gewöhnlich nur den weniger gemäßigten Verteidigern des All-Deutschtums und deutschen Kriegsschürern der Bernhardi-Schule unterschoben.

Später mußte man die Annexionspolitik verteidigen und ihr ein Deckmäntelchen der Wohlanständigkeit umhängen, und wie man zu diesem Zwecke moralische Vorwände erfand, das wird in diesem Buche gezeigt. Es ist eine klägliche Geschichte, die eigentlich kein Engländer zu lesen imstande sein sollte, ohne sich in seinem Stolze gedemütigt zu fühlen. Die Hohlheit und Unaufrichtigkeit des Vorwandes, Deutschland habe seine Unfähigkeit und Untauglichkeit erwiesen, die Verantwortung einer Oberhoheit über Naturvölker auf sich zu nehmen, wird am besten durch die Tatsache belegt, daß niemals vorher von solcher Unfähigkeit und Untauglichkeit die Rede gewesen ist, denn die amtlichen wie die privaten Zeugnisse besagten alle das Gegenteil. Und so weit ging dies, daß unsere Regierung bei Ausbruch des Krieges über Verträge verhandelte, kraft deren neue Gebiete, darunter sogar britische, unter deutsche Oberhoheit gekommen wären.

Was mich anbetrifft, der ich ängstlich um die Wahrung unseres guten englischen Namens besorgt bin, so werde ich niemals aufhören, diese Gebietsmehrungen als in schäbiger und unehrlicher Weise zustande gekommen und ihre Besitzergreifung als die niedrigste Tat zu bezeichnen, die jemals im Namen der englischen Krone, der Regierung und des Volkes geschah. Wenn unsere Alliierten entschlossen waren, Deutschland in dem Augenblicke seines Zusammenbruches auszuplündern, dann hätten unsere Vertreter dafür sorgen sollen, daß jene dies allein taten und allein das Risiko übernahmen. Ihre erste Pflicht gegenüber England hätte darin bestanden, das gegebene Wort Englands zu wahren und Englands Hände rein zu halten. Der richtige und der gerechte Weg - der Meinung bin ich heute wie früher - wäre der gewesen, in der kolonialen Frage mit Deutschland so zu verfahren, wie wir mit Belgien verfahren sind, als die Ausschreitungen im Kongostaate die Mächte zum Eingreifen zwangen. In beiden Fällen waren die Völker als solche nicht verantwortlich für die Mißgriffe, die in ihrem Namen verübt wurden. Das Heilmittel gegen die Mißregierung im belgischen Kongo bestand darin, daß man das Gebiet unmittelbar der Verwaltung durch das Volk unterstellte. Auch Deutschland hätte man derart Gelegenheit geben müssen, unter den veränderten politischen Verhältnissen zu erweisen, daß es [14] eine gerechte Regierung führen konnte, zuerst als Mandatar, gegen die Zusage, daß es seinen alten Platz in der Welt als unabhängige Kolonialmacht wieder einnehmen solle, wenn der Versuch günstig ausfiele.

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Nichts spricht dagegen, die kolonialen Schwierigkeiten, die wir uns unklugerweise bereitet haben, auf dem Wege vernünftigen Verhandelns zu regeln, und zwar könnten daran nicht nur Großbritannien, Frankreich und Deutschland, sondern auch Belgien, Portugal und Italien teilnehmen, die ebenfalls Verwalter ausgedehnter afrikanischer Gebiete sind. Deutschland sagt, es brauche ein gefestigtes Kolonialreich, und das Gleiche gilt für uns in Südafrika und im Stillen Ozean. Die Annahme dieses Grundsatzes sollte die Grundlage für eine Regelung bilden, die jedem berechtigten Anspruche genügt. Deutschlands Erfordernisse könnten ohne Zweifel im tropischen Afrika befriedigt werden, zum wenigsten müßten die Mandatsgebiete im Osten und im Westen des Erdteils zurückgegeben werden. Unter welchen Bedingungen - durch Gebietsaustausch oder gegen eine Minderung der Entschädigung - Südwestafrika und die Inseln im pazifischen Ozean, die Deutschland entrissen wurden, dem Britischen Reiche verbleiben könnten, - es ist wünschenswert, daß das geschieht - diese Frage würde einen Teil der großen Regelung bilden; denn es ist eine unbedingte Notwendigkeit, daß der Besitz dieser Länder in aller Freundschaft geregelt wird, der jetzt nur auf dem unsicheren Grunde der Eroberung und eines aufgezwungenen Vertrages ruht, rechtlich und moralisch aber unhaltbar ist. Sollte jemand einwenden, es würde schwer halten, jetzt zum Beispiel Tanganjika an Deutschland zurückzugeben, weil viele britische Untertanen sich inzwischen dort angekauft und niedergelassen haben, so ist dem entgegenzuhalten, daß wir mit der Aneignung dieses Gebiets trotz vielfacher Warnungen ein unverzeihliches Versehen begangen haben, und daß überdies unsere Regierung keinerlei Bedenken hatte, als es aus politischen Gründen angezeigt erschien, Jubaland an Italien und anderes afrikanisches Gebiet an Belgien abzutreten, obgleich damit in beiden Fällen ebenfalls der Übergang britischer Staatsangehöriger unter eine andere Staatshoheit verbunden war. Unbeteiligte, neutrale Nationen könnten sich veranlaßt fühlen, uns daran zu erinnern, daß alle derartigen Unbequemlichkeiten, die die Rückgabe der deutschen Kolonien an Deutschland mit sich bringen würde, nicht mit den Leiden der Tausende unschuldiger Deutscher zu vergleichen wären, die erst ihres Eigentums beraubt und dann ohne weiteres aus den Ländern ausgewiesen wurden, für deren Erschließung und Zivilisation sie so viel getan hatten.

Headington, Oxford. December 1925. W. H. Dawson.




1London, George Allen & Unwin. Die vollständige deutsche Übersetzung des Vorworts von W. H. Dawson ist im Juliheft 1926 der Kolonialen Rundschau und als Sonderdruck der Deutschen Kolonialgesellschaft (Verlag Kolonialkriegerdank, Berlin) erschienen. ...zurück...

2Lord Morleys Selbstbiographie. Band I, S. 69-70. ...zurück...







Die koloniale Schuldlüge.
Dr. Heinrich Schnee
ehemaliger Gouverneur von Deutsch-Ostafrika