[261] Zweites Kapitel (Forts.)
Die Englische Kriegspolitik
C. Die Britische Einkreisungspolitik
Nr. 267 (Übersetzung)
Mr. A. Henderson fragt den Premierminister, ob die kürzlich abgegebene Erklärung des Französischen Außenministers, daß die Streitkräfte Großbritanniens im Kriegsfalle Frankreich zur Verfügung stehen würden, ebenso wie alle Streitkräfte Frankreichs zur Verfügung Großbritanniens stünden, mit den Ansichten der Regierung Seiner Majestät in Einklang steht? Der Premierminister: Nach den mir zugegangenen Informationen stellte Herr Bonnet in der Kammer am 26. Januar fest, daß im Fall eines Krieges, in den die beiden Länder verwickelt würden, alle Streitkräfte Großbritanniens Frankreich ebenso zur Verfügung stehen würden wie alle Streitkräfte Frankreichs zur Verfügung Großbritanniens ständen. Das steht in völligem Einklang mit den Ansichten der Regierung Seiner Majestät. Es ist unmöglich, alle die sich vielleicht ergebenden hypothetischen Fälle im einzelnen zu prüfen, aber ich fühle mich verpflichtet, klarzustellen, daß die Solidarität der Interessen, durch die Frankreich und unser Land verbunden sind, von der Art ist, daß jede Bedrohung der Lebensinteressen Frankreichs, von welcher Seite sie auch kommen mag, den sofortigen Beistand dieses Landes nach sich ziehen muß.
Nr. 268
Der Deutsche Botschafter in Paris an das Auswärtige Amt Bericht Paris, den 28. Februar 1939
Der Botschaft sind in letzter Zeit, noch vor Bekanntgabe der antideutschen Ausschreitungen in Polen,160 von durchaus zuverlässiger Seite Nachrichten zugegangen, die auf gewisse Tendenzen im Sinne einer Neubelebung der französisch-polnischen Allianz und parallel hierzu auf die Absicht einer allmählichen Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen schließen lassen. Als Hauptgrund hierfür wird von dem Vertrauensmann der starke Eindruck angeführt, den die Vertiefung der Entente Cordiale zwischen Frankreich und England sowie die verschiedenen Erklärungen Chamberlains hinsichtlich einer englischen Hilfeleistung für Frankreich auf die Polnische Regierung gemacht hätten, wozu noch eine bemerkenswerte englische Aktivität in Polen trete.
Welczeck
[262]
Nr. 269
Rede des Britischen Premierministers Chamberlain in Birmingham, 17. März 1939 Auszug (Übersetzung)
.... Am vergangenen Mittwoch fand eine Debatte im Unterhause statt. Es war derselbe Tag, an dem die deutschen Truppen in der Tschechoslowakei einmarschierten, und wir alle, ganz besonders aber die Regierung, waren im Nachteil, weil die uns zur Verfügung stehenden Nachrichten nur teilweiser, zum erheblichen Teile nichtamtlicher Art waren. Wir hatten keine Zeit, diese Nachrichten zu prüfen, noch viel weniger aber, uns darüber eine wohlerwogene Meinung zu bilden. Daraus ergab sich zwangsläufig, daß ich, im Namen der Regierung sprechend, angesichts der Verantwortung, die mit dieser Stellung verbunden ist, mich gezwungen sah, mich auf eine stark zurückhaltende und vorsichtige Darlegung dessen zu beschränken, über das ich seinerzeit, wie ich glaubte, nur geringe Erläuterungen geben konnte.161 Und vielleicht war es auch ganz natürlich, daß diese etwas kühle und sachliche Erklärung Grund zu einem Mißverständnis gab und daß einige Leute glaubten, daß meine Kollegen und ich, weil ich ruhig sprach und meinen Gefühlen nur beschränkten Ausdruck gab, uns von der Angelegenheit nicht stark beeindruckt fühlten. Ich hoffe, diesen Irrtum heute abend berichtigen zu können. .... Ich habe in Wirklichkeit keinen Grund, für meine im letzten Herbst stattgefundenen Besuche in Deutschland Entschuldigungen vorzubringen; denn welche Wahl hatten wir? Nichts von dem, was wir hätten unternehmen können, nichts von dem, was Frankreich oder Rußland hätten unternehmen können, wäre dazu angetan gewesen, die Tschecho-Slowakei vor einem Einmarsch und der Vernichtung zu bewahren. Selbst wenn wir später zum Kriege geschritten wären, um Deutschland für sein Vorgehen zu strafen, und wenn wir nach den furchtbaren Verlusten, die allen Teilnehmern an einem Kriege zugefügt worden wären, schließlich siegreich gewesen wären, würde es uns niemals möglich gewesen sein, die Tschecho-Slowakei in derselben Form wieder aufzurichten, die sie durch den Frieden von Versailles gefunden hatte. Deutschland hat unter seinem gegenwärtigen Regime der Welt eine Reihe unangenehmer Überraschungen bereitet. Das Rheinland, der österreichische Anschluß, die Abtrennung des Sudetenlandes, alle diese Vorkommnisse haben die öffentliche Meinung der ganzen Welt vor den Kopf gestoßen und beleidigt. Welche und wieviel Anstände wir aber auch an den in jedem dieser Fälle angewendeten Methoden hätten nehmen können, jedenfalls ließ sich auf Grund der Rassenzugehörigkeit oder gerechter Ansprüche, denen zu lange Widerstand geleistet worden war, etwas zugunsten der Notwendigkeit einer Änderung in der bestehenden Lage sagen. Die Ereignisse aber, die im Laufe dieser Woche...... Platz gegriffen haben, scheinen mir in eine andere Klasse zu fallen und müssen uns alle veranlassen, an uns selbst die Frage zu richten: "Ist das das Ende eines alten Abenteuers oder ist es der Anfang eines neuen?" "Ist es der letzte Angriff gegen einen kleinen Staat oder werden ihm weitere folgen? Ist dies in Wirklichkeit ein Schritt in der Richtung eines Versuchs zur Weltherrschaft durch Gewalt?" [263] Das sind schwerwiegende und ernste Fragen. Ich werde diese Fragen heute abend nicht beantworten. Ich bin aber überzeugt, daß sie die tiefernste und gewissenhafte Erwägung nicht nur durch Deutschlands Nachbarn, sondern auch durch andere Mächte, vielleicht sogar solche jenseits der Grenzen Europas, notwendig machen würden. Schon jetzt liegen Anzeichen dafür vor, daß dieser Prozeß eingesetzt hat, und es ist augenscheinlich, daß er nunmehr voraussichtlich einen schnelleren Verlauf nehmen wird. Wir selbst werden uns selbstverständlich zunächst unsern Partnern in der britischen Gemeinschaft der Nationen und Frankreich zuwenden, mit denen wir so eng verbunden sind; ich bezweifle aber nicht, daß auch andere, die wissen, daß wir nicht uninteressiert an dem sind, was in Südosteuropa vor sich geht, den Wunsch haben werden, mit uns zu konsultieren und unseren Rat einzuholen. Wir alle in unserem eigenen Lande müssen die Lage mit dem Sinn für Verantwortlichkeit überprüfen, den ihr Ernst erfordert. Von dieser Überprüfung darf nichts ausgeschlossen bleiben, was auf die nationale Sicherheit Bezug hat. Jede Phase unseres nationalen Lebens muß wieder einmal von diesem Standpunkt aus einer Prüfung unterzogen werden. ......
Nr. 270
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt Telegramm London, den 19. März 1939
1. In heutiger Morgenpresse spielen Spekulationen über angebliche deutsche Absichten gegenüber Rumänien Hauptrolle, obwohl berichtet wird, daß Bukarest, Berlin und auch hiesige Rumänische Gesandtschaft dementieren, daß Deutschland wirtschaftliches Ultimatum an Rumänien gerichtet habe. 2. Erfahre von zuverlässigem Gewährsmann hierzu folgendes: Hiesiger Rumänischer Gesandter Tilea hat am 17. März aus eigener Initiative im Foreign Office von übertriebenen deutschen Wirtschaftsforderungen gegenüber Rumänien gesprochen, weil ihm vorliegenden Nachrichten zufolge deutsch-rumänische Wirtschaftsverhandlungen zu gutem Ergebnis zu kommen schienen und hiermit seine von ihm befürworteten Pläne auf Ausbau englisch-rumänischer Wirtschaftsverhältnisse zunichte würden. Tilea hat wegen seines Schrittes von Gafencu schärfsten Verweis erhalten und ist nach längerer heftiger Telephonaussprache angewiesen worden, Dementi herauszugeben. Intrigen Tilea wurden von Halifax als bare Münze genommen, insbesondere da Nachrichten von beschleunigten deutschen Truppenbewegungen von Prag in östlicher Richtung einliefen. Nachrichten und stete Erregtheit englischer Presse erklären sich hieraus.
Kordt
[264]
Nr. 271
Aus der Rede des Britischen Staatssekretärs für Auswärtige Angelegenheiten Lord Halifax im Oberhaus, 20. März 1939 (Übersetzung)
...... Wenn und zu dem Zeitpunkt aber, an dem es den Staaten klar wird, daß es augenscheinlich keine Garantie gegen einander folgende Angriffe gibt, die der Reihe nach gegen alle diejenigen gerichtet sind, die ehrgeizigen Weltherrschaftsplänen im Wege stehen, dann schlägt die Waagschale sofort nach der anderen Richtung aus, und man wird voraussichtlich in allen betroffenen Kreisen einer weit größeren Bereitschaft begegnen, Erwägungen darüber anzustellen, ob nicht zwecks gegenseitiger Unterstützung die Übernahme ausgedehnter gegenseitiger Verpflichtungen geboten erscheint, wenn auch nur aus dem Grunde der Notwendigkeit der Selbstverteidigung. Die Regierung Seiner Majestät hat es nicht unterlassen, aus diesen Ereignissen die Lehre zu ziehen, und hat keine Zeit dabei versäumt, nicht nur mit den Dominions, sondern auch mit anderen Regierungen, die von den so plötzlich offenkundig gewordenen Fragen betroffen werden, in enge und praktische Konsultation zu treten. ...
Nr. 272
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt Telegramm London, den 20. März 1939
Erklärungen, die Chamberlain und Halifax soeben im Unterhaus abgegeben haben, bringen noch keine Klärung über die Absichten der Britischen Regierung. Lord Halifax beschränkt sich auf eine teilweise bittere Darstellung der Ereignisse der letzten Tage. Er sprach von "weiterreichenden gegenseitigen Garantien", die zweckmäßig wären. Aus Mitteilungen zuverlässiger Gewährsleute ergibt sich etwa folgendes Bild über den gegenwärtigen Stand: Britische Regierung hat Initiative für Besprechungen fest in der Hand. Sie wünscht mit der Festlegung der zu befolgenden Politik voranzugehen, um zu vermeiden, daß die anderen Staaten konditionelle Erklärungen abgeben, die nach britischer Ansicht ihren Zweck nicht erreichen würden. Gedacht ist von britischer Seite offenbar an Festlegung einer Demarkationslinie, die insbesondere Rumänien einschließt und deren Überschreitung durch einen Angreifer den Kriegsfall darstellen würde. Folgende Staaten sollen in der Garantiefrage zur Teilnahme aufgefordert worden sein: Rußland, Polen, Türkei und Jugoslawien. Es stehe einwandfrei fest, daß man sich nicht an Ungarn gewandt habe. Es sei Polen überlassen worden, mit Litauen, Estland und Lettland Fühlung aufzunehmen; dasselbe gelte für die Türkei mit Bezug auf Griechenland. Wegen Bulgarien sei man noch zweifelhaft.
Kordt
[265]
Nr. 273
Der Deutsche Gesandte in Oslo an das Auswärtige Amt Bericht Oslo, den 21. März 1939
Außenminister Koht, der von mehrtägigem Besuch in Paris, wo er an der Sorbonne Vorträge gehalten hat, am Montag zurückgekehrt war, nahm sogleich Gelegenheit, im zuerst erscheinenden Nachmittagsblatt den Hetzmeldungen der französischen Presse aufs entschiedenste entgegenzutreten, wonach die Deutsche Regierung schon vor 12 Tagen von den skandinavischen Staaten unter Drohung verlangt haben sollte, sich sowohl in wirtschaftlicher wie auch in politischer Beziehung Deutschland anzuschließen. Der Außenminister erklärte, daß ihm hiervon auch nicht das geringste bekannt sei. Im Außenministerium finde sich nicht ein Wort, nicht einmal eine Silbe darüber. Es sei dies eines der üblichen Gerüchte, die aus den verschiedensten Gründen ausgeheckt und verbreitet würden. Er könne nur, wie schon früher, sagen, daß aller Grund vorhanden sei, solchen Pressemeldungen in Zeiten wie jetzt mit allergrößter Skepsis zu begegnen. Bis zum heutigen Tage, betonte Koht nochmals, hat man von dem angeblich vor 12 Tagen erfolgten "Druck" Deutschlands im Norwegischen Außenministerium noch nichts verspürt.
Dr. Sahm
Nr. 274
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt Telegramm London, den 22. März 1939
Aus zuverlässiger Quelle erfahre ich folgendes über den Inhalt der von England in Paris, Warschau und Moskau gemachten Vorschläge: Die vorgeschlagene Deklaration sieht vor, daß im Falle einer befürchteten Aggression die Unterzeichner der Deklaration sich zu sofortiger Konsultation verpflichten, "to resist aggression". Soweit bisher abzusehen, hat Polen Bedenken gegen englischen Vorschlag. Moskau hat noch nicht geantwortet. Falls diese Deklaration durch die beteiligten Staaten angenommen wird, will England als zweiten Schritt Generalstabsbesprechungen mit dem Ziele militärischer Abmachungen in Vorschlag bringen.
Kordt
[266]
Nr. 275
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt Telegramm London, den 23. März 1939
Vorliegende Nachrichten zeigen deutlich, daß der mit Vortelegramm162 gemeldete englische Deklarationsplan praktisch in zwei Teile zerfällt: Der erste Teil bezieht sich auf eine Garantie Belgiens, Hollands und der Schweiz. Der zweite Teil bezweckt den Schutz der Oststaaten gegen eine Aggression. Dem britischen Kabinett soll von militärischer Seite mitgeteilt worden sein, daß Rumänien wegen seiner Erdölquellen unbedingt vor deutschem militärischem Zugriff geschützt werden müsse. Wie mir ein gut informierter hiesiger Diplomat bestätigte, hat Polen sich bisher nicht entschließen können, die britischen Vorschläge anzunehmen. Maßgebend für diese Haltung sei, abgesehen von dem großen Mißtrauen gegen eine Hilfeleistung durch Sowjetrußland, die Erwägung, daß das Verhältnis zu Deutschland durch eine derartige Teilnahme unhaltbar werden würde und daß England und Frankreich im Falle eines deutschen Angriffes kaum in der Lage sein würden, Polen militärisch wirksam zur Hilfe zu kommen. Unter diesen Umständen scheine im Foreign Office der Konferenzgedanke wieder in den Vordergrund zu treten: Man hoffe, auf einer Viererkonferenz Polen wirksam unter Druck setzen zu können. In englischen konservativen Kreisen besteht nach wie vor ein nicht zu unterschätzender Widerstand gegen die Hereinnahme Sowjetrußlands in das geplante System. Die soeben im Unterhaus von Chamberlain abgegebene Erklärung läßt darauf schließen, daß in den der Regierung nahestehenden Kreisen der konservativen Partei die Furcht groß ist, ein im Osten konsolidiertes Gebiet unter deutscher Vorherrschaft werde sich nach dieser Konsolidierung mit seiner ganzen Kraft auf England werfen.
Kordt
Nr. 276
Der Deutsche Geschäftsträger in Paris an das Auswärtige Amt Telegramm Paris, den 24. März 1939
Großer Teil Pariser Presse bringt im wesentlichen übereinstimmende Nachricht, daß anläßlich Besuchs Französischen Staatspräsidenten in London Chamberlain, Halifax und Bonnet Protokoll gezeichnet oder Aide-Mémoires ausgetauscht hätten, in denen sich Frankreich und England verpflichteten, im Falle eines Angriffes auf Holland oder die Schweiz diesen Ländern automatisch bewaffneten Beistand zu leisten und ihre Grenzen zu schützen. Das so geschlossene Abkommen bestätige Vereinbarung, die am 29. Januar mündlich in Paris zwischen Bonnet und dem hiesigen Englischen Botschafter getroffen [267] worden sei. Die so übernommenen Verpflichtungen seien den Belgien gegenüber bestehenden gleiche oder ähnliche. Über Januarabmachungen berichtet l'Europe nouvelle in Ausgabe vom 18. März (S. 301), daß Verpflichtungen gegenüber Holland von England, gegenüber der Schweiz von Frankreich gewünscht worden seien.
Bräuer
Nr. 277
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt Bericht London, den 29. März 1939
In der Unterhaussitzung vom 28. März richteten die der Arbeiterpartei angehörenden Abgeordneten Greenwood und Dalton Anfragen an den Premierminister, in denen sie nähere Aufklärung über den Stand der von der Britischen Regierung mit anderen Regierungen zur Zeit geführten Besprechungen erbaten. Der Abgeordnete Greenwood wollte wissen, ob die Deklaration, die gewissen Mächten vorgelegt worden sei, sich nur auf Konsultation beziehe, oder ob gegenseitiger Beistand, unter Umständen auch militärischer Art, vorgesehen sei. Der Premierminister antwortete, es sei außerordentlich schwierig und delikat, jetzt schon alle Karten auf den Tisch zu legen, doch könne aus dem, was er früher in diesem Zusammenhang gesagt habe, ohne weiteres geschlossen werden, daß das, was die Regierung im Sinne habe, sehr viel weiter gehe als Konsultation. ("It will, at any rate, be readily understood, from what I have said previously, that what the Government [has] in mind, goes a great deal further than consultation".) Der Abgeordnete Dalton wollte wissen, ob man Polen gegenüber klar gemacht habe, daß die Britische Regierung willens sei, gemeinsam mit anderen Regierungen Polen für den Fall, daß es das nächste. Opfer "deutscher Aggression" sein würde, zu Hilfe zu kommen. Der Premierminister antwortete, daß er in dieser Hinsicht noch gewisse Zurückhaltung wahren zu müssen glaube, doch sei er bereit zu sagen, daß die Britische Regierung den anderen Regierungen, mit denen sie in Konsultation stände, eindeutig klar gemacht habe, was die Britische Regierung unter bestimmten Umständen zu tun bereit sei.
Im Auftrag
von Selzam
Nr. 278
Der Deutsche Geschäftsträger in Paris an das Auswärtige Amt Bericht Paris, den 31. März 1939
Die Rundfunkansprache, die Ministerpräsident Daladier am 29. März gehalten hat und die in 5 fremden Sprachen über alle französischen Sender übertragen worden ist, hat in erster Linie eine außenpolitische Zielsetzung. Sie will durch [268] Betonung des Friedenswillens Frankreichs, seiner Stärke und im Laufe der letzten Monate erreichten Einigkeit, wie sie auch in der Gewährung der Sondervollmachten zum Ausdruck gelangt ist, Gegner und Freunde beeindrucken, um jenen ein Halt auf dem Wege ihrer vermeintlichen Expansion entgegenzusetzen und diese in die Abwehrfront gegen den Expansionsdrang der totalitären Staaten zu locken. Das Verhältnis zu England wird nur kurz mit den Worten gestreift, daß die französisch-englische Zusammenarbeit heute so vollständig sei wie nie zuvor. Deutschland gegenüber fällt der Ton einer gewissen Resignation auf. Nach Aufzählung der Versuche, die zu einer Besserung der Beziehungen in München, in der deutsch-französischen Erklärung vom 6. Dezember163 und in den Wirtschaftsverhandlungen gemacht worden sind, erklärt Daladier, daß die "Eroberung" der Tschechoslowakei und die Besetzung von Prag durch deutsche Armeen diesen geduldigen Bemühungen den härtesten Schlag versetzt hätten. Die Ausführungen Daladiers hierüber sind von bemerkenswerter Kürze. Er wendet sich im Anschluß daran an alle Mächte in Europa, jenseits des Kanals und jenseits des Atlantischen Ozeans, die wie Frankreich denken, und fordert sie zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit auf, um den Frieden zu bewahren und einem Angriff solidarisch zu widerstehen. Wenn am Tage nach der Radioansprache des Ministerpräsidenten in einer offiziösen Verlautbarung erklärt wird, daß die Rede vorher der Englischen Regierung vorgelegen habe und von ihr gebilligt worden sei, treten in dem Appell Daladiers an die Völker Europas und jenseits des Atlantischen Ozeans noch schärfer die Grundzüge der englischen Politik hervor, wie sie auch in den Äußerungen Chamberlains und den dem Besuch des Polnischen Außenministers Beck in London vorausgehenden englischen Verlautbarungen zum Ausdruck kommen.
Bräuer
Nr. 279
Erklärung des Britischen Premierministers Chamberlain im Unterhaus, 31. März 1939 (Übersetzung)
Wie ich diesen Morgen erklärte, besitzt Seiner Majestät Regierung keinerlei amtliche Bestätigung für die Gerüchte irgendeines geplanten Angriffes auf Polen. Es darf daher nicht angenommen werden, daß die Regierung diese Gerüchte für wahr hält. Ich freue mich, diese Gelegenheit zu ergreifen, um erneut die allgemeine Politik der Regierung darzulegen: Seiner Majestät Regierung hat sich ständig für den Ausgleich, und zwar auf dem Wege freier Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien, von jeder Streitigkeit eingesetzt, die sich zwischen ihnen ergeben mag. Sie hält dies für den natürlichen und angemessenen Weg dort, wo Streitigkeiten vorhanden sind. Ihrer Ansicht nach sollte es keine Frage geben, die nicht durch friedliche Mittel zu lösen wäre, und sie würde daher keinerlei Rechtfertigung dafür finden, wenn Gewalt oder Drohung mit Gewalt an die Stelle der Methoden der Verhandlung gesetzt werde. Wie dem Hause bekannt ist, finden zur Zeit gewisse Konsultationen mit anderen Regierungen statt. Um die Haltung Seiner Majestät Regierung in der [269] Zwischenzeit völlig klarzustellen, bevor diese Konsultationen abgeschlossen sind, fühle ich mich veranlaßt, dem Hause mitzuteilen, daß während dieser Zeitdauer für den Fall irgendeiner Aktion, die klarerweise die polnische Unabhängigkeit bedroht und die die Polnische Regierung daher für so lebenswichtig ansieht, daß sie ihr mit ihren nationalen Streitkräften Widerstand leistet, Seiner Majestät Regierung sich verpflichtet fühlen würde, der Polnischen Regierung alle in ihrer Macht stehende Hilfe sofort zu gewähren. Sie hat der Polnischen Regierung eine derartige Zusicherung gegeben. Ich kann hinzufügen, daß die Französische Regierung mich autorisiert hat, darzulegen, daß sie die gleiche Haltung in dieser Frage einnimmt wie Seiner Majestät Regierung.
Nr. 280
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt Telegramm Warschau, den 1. April 1939
Zur Erklärung Chamberlains164 wurde in heutiger Pressekonferenz Außenministeriums folgender Kommentar gegeben: Britische Regierung schaffe nunmehr gleiche Voraussetzungen für den Frieden im Osten und Westen und beseitige damit in Locarno begangene Fehler, auf die Polen ständig hingewiesen habe. Dieser Beschluß Englischer Regierung, die hiermit aus bisheriger Reserve heraustrete und an europäischer Solidarität aktiv teilnehme, werde in Polen mit allergrößter Zufriedenheit und Verständnis aufgenommen. Die positive Beurteilung englischen Schritts ändere jedoch nichts an den bisherigen Grundsätzen, die Polen, soweit es an ihm liege, auch in Zukunft beibehalten wolle. Nach wie vor solle eine selbständige und unabhängige Politik geführt werden, die sich auf die eigene Kraft, auf freundschaftliche Beziehungen zu den Nachbarstaaten und auf Allianzen und Freundschaften stütze. Englischer Schritt beweise, daß England in Polen einen bedeutenden Faktor für den Frieden Europas sehe. Reise Becks nach London werde eine wichtige Etappe in den englischerseits geführten Konsultationen darstellen. Ein Besuch in Frankreich, der auf französische Initiative zurückgehe, sei in Aussicht genommen, werde aber nicht bei Gelegenheit London-Reise stattfinden.
Moltke
160Vgl. Nr. 146 ff. ...zurück... 161Vgl. Nr. 259. ...zurück... 162Vgl. Nr. 274. ...zurück... 163Vgl. Nr. 329. ...zurück...
164Vgl. Nr. 279. ...zurück...
|