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[247]
Zweites Kapitel   (Forts.)
Die Englische Kriegspolitik

B. Die Britische Haltung zur Tschechischen Frage
(November 1938 bis April 1939)

Nr. 255
Aus der Erklärung des Britischen Premierministers Chamberlain
im Unterhaus, 1. November 1938

(Übersetzung)

...... Wie bereits der Herr Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten ausgeführt hat, erleben wir augenblicklich die Neufestsetzung von Grenzen, die der Vertrag von Versailles gezogen hatte. Ich weiß nicht, ob die Männer, die für diese Grenzen verantwortlich waren, gedacht haben, sie würden dauernd so bleiben, wie sie festgelegt worden waren. Ich zweifle stark daran. Wahrscheinlich werden sie angenommen haben, daß die Grenzen von Zeit zu Zeit neu geregelt werden müßten. Man kann sich unmöglich vorstellen, daß jene Männer solche Übermenschen gewesen sein sollten, daß sie hätten wissen können, welche Grenzen für alle Zeiten richtig sein würden. Es handelt sich nicht darum, ob jene Grenzen von Zeit zu Zeit neu geregelt werden sollten, sondern ob sie im Wege der Verhandlung und Erörterung neu geregelt werden sollten oder durch Krieg. Die Neuregelung schreitet fort, und für die ungarische Grenze ist der Schiedsspruch Deutschlands und Italiens von der Tschecho-Slowakei und von Ungarn als endgültige Festlegung der Grenze zwischen diesen beiden Ländern angenommen worden. Über die Tschecho-Slowakei habe ich wohl genug gesagt. ......




Nr. 256
Der Deutsche Botschafter in London an das Auswärtige Amt
Bericht
London, den 3. November 1938

Als die Regierung Chamberlains im Oktober d. J. (3. bis 6.) das Münchener Abkommen vor dem Unterhaus vertrat, spielte die Frage der Garantie der Rest-Tschecho-Slowakei eine wesentliche Rolle. Schon in den vorangegangenen Tagen war diese Frage, wie erinnerlich sein wird, in der Öffentlichkeit lebhaft erörtert worden. Sie erschien zu jenem Zeitpunkt besonders vordringlich. Die Garantie sollte die Tschecho-Slowakei für die territorialen Einbußen und für die sich hieraus ergebende Verschlechterung ihrer Verteidigungsmöglichkeiten gewissermaßen entschädigen.

Der Inhalt der von England und Frankreich übernommenen Garantie ergibt sich aus den englisch-französischen Vorschlägen vom 19. September und aus dem Anhang zum Münchener Abkommen vom 29. September. Es ist eine Garantie der neuen tschechischen Grenzen gegen einen unprovozierten Angriff mit dem Ziel der Sicherung der tschechischen Unabhängigkeit.

[248] Zu dem Charakter dieser zunächst provisorischen Garantie, die England und Frankreich in München übernommen haben, nahm Sir Thomas Inskip im Unterhaus am 4. Oktober Stellung. Die Britische Regierung halte sich an ihre Garantieerklärung auch bei derzeitigem Fehlen eines formellen Vertrages moralisch gebunden. Im Falle eines unprovozierten Angriffs auf die Tschechoslowakei halte sie sich für verpflichtet, alle in ihrer Macht stehenden Schritte zur Wahrung der tschechischen Integrität zu ergreifen. Mit anderen Worten, die Britische Regierung war jetzt lediglich bereit, für die Unabhängigkeit der Tschecho-Slowakei und gegen einen unprovozierten Angriff auf dieses Land einzutreten.

In der Unterhaussitzung vom 1. November wurde die Garantiefrage erneut angeschnitten. Chamberlain hat sie mit Zurückhaltung behandelt. Zu dem Inhalt der bisherigen provisorischen Garantie sagte er nochmals, daß sie sich auf einen unprovozierten Angriff beziehe. Sie bedeute aber keine "Kristallisation der Grenze". Was eine zukünftige endgültige Garantie anlange, so könne sie erst geregelt werden, wenn das Gesamtproblem der Minderheiten in der Tschecho-Slowakei geklärt sei. Das ursprüngliche, britische Angebot habe sich auf eine Beteiligung an einer internationalen Garantie bezogen. Er könne aber nicht angeben, wie die Bedingungen dieser Garantie lauten würden und wer in sie eintreten werde. Im übrigen bezog sich der Premierminister auf die obenerwähnte Erklärung Inskips vom 4. Oktober.

Es ist bemerkenswert, daß sich Chamberlain enthalten hat, irgendwelche Ideen über den Charakter einer endgültigen Garantie zu entwickeln und daß er lediglich von einem britischen "Angebot" sprach, ohne diese Garantie als ein Ziel der britischen Außenpolitik hinzustellen. Weiter ist interessant, daß er - was den derzeitigen Stand anlangt - lediglich auf den Fall des unprovozierten Angriffs hinweist, nicht aber von einer Garantie der Grenzen im Sinne einer Garantie des Staatsgebiets spricht.

von Dirksen




Nr. 257
Erklärung des Britischen Premierministers Chamberlain
im Unterhaus, 14. März 1939
(Übersetzung)

Mr. Attlee: Sind nicht offensichtlich Einflüsse am Werk, um die Slowakei von der übrigen Tschecho-Slowakei zu trennen, und ist die Regierung nicht durch ihre Garantie auf Grund des Münchener Abkommens verpflichtet, eingehendes Interesse an allem zu nehmen, was die Integrität des tschecho-slowakischen Reststaates betrifft?

Der Premierminister: Ohne genau informiert zu sein, möchte ich mich zu dem ersten Punkt, den der Herr Abgeordnete zur Sprache gebracht hat, nicht äußern. Wenn seine Annahme auf Wahrheit beruht, so würde darin kein Grund liegen, die Garantie zur Auswirkung zu bringen.

Mr. Attlee: Will der Premierminister sagen, daß die Regierung lediglich auf ein fait accompli wartet, und hat die Regierung irgendwelche Schritte [249] getan, um Konsultationen mit den Vertretern der Tschecho-Slowakischen Regierung oder mit der Französischen Regierung oder anderen Garanten aufzunehmen angesichts des Umstandes, daß Gerüchte und Andeutungen über ein mögliches Auseinanderfallen der von Großbritannien garantierten Tschechoslowakei im Umlauf sind, die man wohl kaum völlig unbeachtet lassen kann?

Der Premierminister: Ich weiß nicht recht, was der Herr Abgeordnete meint, das wir tun sollen. Ich möchte ihn daran erinnern, daß die erwähnte Garantie sich gegen unprovozierte Angriffe auf die Tschecho-Slowakei richtet. Ein solcher Angriff hat bisher nicht stattgefunden.




Nr. 258
Das Auswärtige Amt an den Deutschen Botschafter in London
Telegramm
Berlin, den 15. März 1939

Britischer Botschafter besuchte Dienstag vormittag Staatssekretär, um sich nach unserer Auffassung über Stand tschecho-slowakischer Fragen zu erkundigen. Henderson äußerte, er wolle weder Demarche machen, noch Eindruck Einmischung seiner Regierung in diese Sache erwecken. Vorwiegendes deutsches Interesse in Tschecho-Slowakei stehe fest. Auch englische Presse habe größte Zurückhaltung gezeigt. Fatal wäre dagegen, wenn bevorstehender Besuch politischen Handelsministers Stanley (der inzwischen heute abgesagt worden ist) mit gewaltsamem Vorgehen des Reichs gegen Tschechei zusammenfiele.

Staatssekretär hat dem Botschafter unsere Klagen über Vorgänge in Tschecho-Slowakei auseinandergesetzt und ihm klargemacht, daß in Slowakei Regierung Tiso einzig rechtmäßige sei. Auf Befragen zugab Staatssekretär, daß Tiso vermutlich Selbständigkeitserklärung der Slowakei plane. Deutsche Vorstellungen in Prag seien bisher nicht ergangen, doch hätten wir dringendst das Bedürfnis, Ordnung in diesem Gebiet Mitteleuropas entstehen zu sehen. Auf Frage Hendersons, ob wir Zerschlagung oder Aufrechterhaltung Tschecho-Slowakei wünschen, antwortete Staatssekretär, wir hätten nur Interesse an Ordnung. Henderson befürwortete weiter unmittelbare deutsch-tschechische Fühlungnahme, wobei Staatssekretär erwiderte, auch uns liege daran, legitime deutsche Ansprüche auf anständige Weise durchzusetzen. Auf Erwähnung Münchener Abkommens durch Henderson bemerkte Staatssekretär, Münchener Abkommen habe Aufrechterhaltung Friedens bezweckt und erreicht und liege im übrigen weit hinter uns. Henderson schloß mit Wiederholung Anerkennung vorwiegend deutschen Interesses im tschechischen Raume.

Woermann



[250]
Nr. 259
Der Deutsche Botschafter in London an das Auswärtige Amt
Bericht
London, den 16. März 1939

In der Unterhaussitzung vom 15. März gab der Premierminister zunächst einen kurzen sachlichen Überblick über die Entwicklung in der Tschecho-Slowakei seit dem 10. März d. J., wie sie sich ihm auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Berichte darstellte.

Er zitierte dann die Bemerkung Sir Thomas Inskips im Unterhaus am 4. Oktober v. J. zur Garantiefrage152 und fuhr fort:

"So lagen die Dinge bis gestern, und ich darf sagen, daß die Regierung Seiner Majestät sich in letzter Zeit bemüht hat, mit den anderen in München vertretenen Regierungen zu einer Einigung über den Umfang und die Bedingungen einer solchen Garantie zu gelangen, aber bisher ist es uns nicht möglich gewesen, eine solche Einigung zu erzielen. Unserer Ansicht nach hat sich die Lage von Grund aus geändert, seit der slowakische Landtag die Unabhängigkeit der Slowakei erklärt hat. Diese Erklärung hatte die Wirkung, daß der Staat, dessen Grenzen wir zu garantieren beabsichtigten, von innen her zerbrach und so sein Ende fand, und demgemäß hat die Sachlage, die der Herr Staatssekretär für die Dominien geschildert hat und die wir schon immer als nur vorübergehend ansahen, nun aufgehört zu bestehen, und Seiner Majestät Regierung kann sich infolgedessen nicht mehr länger an diese Verpflichtung gebunden halten.

In einer Rede, die ich am 30. Januar d. J. in Birmingham hielt, habe ich ausgeführt, daß wir unsere Ziele und unsere Haltung, d. h. unsere Entschlossenheit, uns um den Frieden zu bemühen, klar darlegen sollten. Ich fügte hinzu, daß ich es nun für an der Zeit hielte, daß auch andere ihren Beitrag zu einem Ergebnis leisteten, das auch über die unmittelbar Betroffenen hinaus für viele Menschen eine unendliche Wohltat sein würde. Es ist deshalb nur natürlich, daß ich das, was jetzt geschehen ist, tief bedauere. Aber wir wollen uns dadurch nicht von unserem Wege abbringen lassen. Wir wollen dessen eingedenk sein, daß die Wünsche aller Völker der Erde sich auch jetzt noch auf die Friedenshoffnungen und auf die Wiederkehr einer Atmosphäre der Verständigung und des guten Willens richten, die so oft gestört worden ist. Das Ziel, das unsere Regierung sich jetzt steckt, ist das gleiche wie immer, nämlich diesen Wunsch zu fördern und bei der Regelung von Streitigkeiten die Methode der Besprechungen an die Stelle der Gewalt zu setzen. Wenn wir auch vielleicht gelegentlich Rückschläge und Enttäuschungen erleben werden, so ist das Ziel, das uns vorschwebt, doch von zu großer Bedeutung für das Glück der Menschheit, als daß wir es leichthin aufgeben oder beiseiteschieben könnten."

Im Auftrag
von Selzam



[251]
Nr. 260
Der Deutsche Botschafter in London an das Auswärtige Amt
Telegramm
London, den 15. März 1939

Ich habe heute nachmittag Lord Halifax den Wortlaut des Abkommens153 übergeben und die vorgeschriebenen Bemerkungen gemacht.

Im Anschluß hieran hinwies ich auf die unhaltbaren Zustände, die sich in der Tschechei in letzter Zeit durch Deutschenverfolgungen und allgemeine Gesetzlosigkeit entwickelt hätten. Ich darlegte ferner, daß die deutsch-tschechischen Beziehungen sich in letztem Monat wegen unloyaler und widersetzlicher Haltung überwiegender Mehrzahl der tschechischen Bürokratie immer mehr zugespitzt hätten. Als daher der Konflikt Prag mit der Slowakei in vergangener Woche ausgebrochen sei, wäre Rückwirkung auf die deutsche Bevölkerung in der Tschechei selbst unvermeidlich gewesen.

Halifax gab seinem Bedauern Ausdruck, daß die Ereignisse der letzten Tage neue Unruhe und Erschütterungen verursacht und den beginnenden Prozeß einer allgemeinen Beruhigung unterbrochen hätten. Nunmehr entstehe erneut die Ungewißheit über unsere Absichten. Es sei jetzt auch vorläufig nicht möglich, den Besuch des Handelsministers Stanley in Berlin durchzuführen und zu einer Regelung allgemeinwirtschaftlicher Fragen zu kommen, die so vielversprechend in Angriff genommen worden seien. In den deutsch-englischen Beziehungen seien die Uhren erheblich zurückgestellt worden.

Ich erwiderte dem Minister des Äußeren, daß die Ereignisse der letzten Tage letzten Endes lediglich die unvermeidliche Folge der Schaffung des unmöglichen Staatengebildes der Tschechoslowakei durch die Mächte von Versailles seien. Die in München versuchte Lösung sei durch das verfassungswidrige Vorgehen der Regierung in Prag gegen die Slowakei in Frage gestellt worden. Der Verlauf des Konflikts mit der Slowakei, die Deutschenverfolgungen und die eintretenden anarchistischen Zustände in der Tschechei hätten sodann zu dem schnellen Ablauf der Ereignisse geführt. Auf Grund der Verhandlung des Führers mit dem Staatspräsidenten Hacha sei dann die der Britischen Regierung jetzt mitgeteilte vertragliche Regelung getroffen worden. [252] Jedenfalls bestehe kein Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen und den deutsch-englischen Wirtschaftsbeziehungen. Es sei merkwürdig, daß bei jeder Aktion Deutschlands ein allgemeiner Entrüstungssturm sich erhebe, während seinerzeit bei der Besetzung Frankfurts und Düsseldorfs, mitten im tiefsten Frieden, keine Stimme laut geworden sei. Halifax stellte dann noch einige allgemeine Fragen nach der weiteren Gestaltung der staatsrechtlichen Verhältnisse, die ich, soweit möglich, beantwortete.

Dirksen




Nr. 261
Der Deutsche Botschafter in London an das Auswärtige Amt
Telegramm
London, den 17. März 1939

Während die heutige Presse ihren Ton gegenüber Deutschland nicht verschärft, ist in amtlichen und parlamentarischen Kreisen eine Versteifung gegenüber gestern eingetreten. Diese bekundet sich in Beratungen über Berufung Botschafters Henderson zur Berichterstattung nach London, ferner in der Erörterung über die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und über Bildung Konzentrationskabinetts. Chamberlains Haltung, der sich bisher Zurückhaltung auferlegt hat, wird durch heutige Rede in Birmingham154 weiter geklärt werden. Seine bisherige Mäßigung wird innerhalb eigener Partei stark angegriffen, und seine Stellung scheint in den letzten Tagen gelitten zu haben. Die Meinungsverschiedenheit zwischen Chamberlain und Halifax, die schon bisher gelegentlich hervorgetreten, wird immer offenbarer, wobei letzterer für schärfere Haltung eintritt.

Dirksen




Nr. 262
Amtliche Deutsche Mitteilung, 18. März 1939

Der Englische und Französische Botschafter haben aus Anlaß der Aktion, die von Deutschland zur Herstellung von Ruhe und Ordnung in Böhmen und Mähren und damit zur Befriedung Mitteleuropas durchgeführt worden ist, eine Demarche im Auswärtigen Amt gemacht, um gegen eine angebliche Unrechtmäßigkeit des deutschen Vorgehens zu protestieren. Wie verlautet, ist den beiden Diplomaten von amtlicher Seite mitgeteilt worden, daß die Reichsregierung nicht in der Lage sei, solche Proteste entgegenzunehmen, da dies jeder politischen, rechtlichen und moralischen Grundlage entbehre.



[253]
Nr. 263
Der Deutsche Botschafter in London an das Auswärtige Amt
Bericht
London, den 18. März 1939

Die Entwicklung und der gegenwärtige Stand der politischen Krise, die sich in den deutsch-englischen Beziehungen durch den Ablauf der Ereignisse in der bisherigen Tschecho-Slowakei entwickelt hat, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Entsprechend der Haltung der Regierung schrieb auch die Presse am ersten Tage meist noch zurückhaltend und unbeteiligt; nur die traditionell antideutschen Blätter setzen mit ihrer Hetzkampagne ein.

Von Mittwoch, dem 15. März, ab versteifte sich die Stimmung zusehends. Die schärfere Richtung innerhalb des Kabinetts, insbesondere der ganz dem Einfluß des Foreign Office unterlegene Lord Halifax, setzte sich durch.

Vor allem aber wurde es den Anhängern wie den Feinden Chamberlains klar, daß die Stellung des Ministerpräsidenten selbst schwer in Mitleidenschaft gezogen war. Er galt als der Vertreter der Politik von München, als Anhänger des Ausgleichs mit Deutschland auf Grund vertrauensvoller Aussprache. Er hatte wenige Tage vorher vor der Presse optimistische Erklärungen über die Beruhigung der Weltlage und die Besserung der Wirtschaftskonjunktur abgegeben. In der Öffentlichkeit waren an den geplanten Besuch Stanley's in Berlin weitgehende Hoffnungen geknüpft worden.

Dieses Gebäude war jetzt - so meinte man - eingestürzt. Die Erklärung Chamberlains im Unterhaus155 wurde als schwächlich kritisiert. Seine Gegner erhoben ihr Haupt aufs neue. So kam die scharfe Rede von Birmingham156 zustande.

Welche praktischen Folgerungen die Englische Regierung aus den Ereignissen in der Tschechei Deutschland gegenüber ziehen wird, steht noch nicht fest. Die Erörterung darüber im Rahmen des Kabinetts und im Benehmen mit befreundeten Regierungen ist in vollem Gange. Die Gegensätze zwischen der gemäßigten und der radikalen Richtung werden deutlicher. Die Stimmung im Lande wird von den Abgeordneten durch Reisen über das Wochenende in ihre Wahlkreise erforscht. Die Meinungsbildung ist noch fließend, ohne zu festen Entschlüssen erstarrt zu sein. Folgende Tatsachen und Erwägungen mögen gewisse Anhaltspunkte über die zu erwartende Einstellung der Englischen Regierung geben:

Die Stellung Chamberlains hat sich durch seine Rede in Birmingham gefestigt, wenn auch die Eden-Churchill-Opposition, die jetzt Loyalität markiert, erheblich an Einfluß gewonnen hat.

Da man in England ein Scheitern der Methode freundschaftlicher Verhandlung feststellen zu können glaubt, wird man jetzt Deutschland durch scharfes Auftreten, Errichten von Hindernissen, Ablehnen jeden Entgegenkommens - etwa auf wirtschaftlichem Gebiet - "zur Vernunft zu bringen" versuchen.

Eine gesteigerte internationale Tätigkeit in dieser Beziehung zeigt sich schon jetzt durch die Fühlungnahme mit Frankreich, den Vereinigten Staaten, der [254] Sowjet-Union, den Balkanstaaten. Es läßt sich noch nicht übersehen, ob diese Besprechungen die Schaffung einer neuen, festen Koalition gegen Deutschland zum Ziel haben oder nur die Vereinbarung von Maßnahmen im Falle weiterer Vorstöße Deutschlands gegen andere Staaten, wie z. B. Rumänien oder Polen.

von Dirksen




Nr. 264
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt
Bericht
London, den 24. März 1939

In der Unterhaussitzung vom 23. März stellte der Abgeordnete Henderson die Anfrage an den Premierminister, welche Vorstellungen der Britische Botschafter in Berlin im Namen der Regierung Seiner Majestät bei der Deutschen Regierung erhoben habe anläßlich des Umstandes, daß die Deutsche Regierung es unterlassen habe, hinsichtlich der jüngsten Entwicklung in bezug auf die Tschechoslowakei eine Konsultation mit der Regierung Seiner Majestät vorzunehmen, wie Herr Hitler es in der am 29. September 1938 in München unterzeichneten englisch-deutschen Erklärung157 versprochen habe?

Der Parlamentarische Unterstaatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Butler, antwortete wie folgt: "Meines Wissens enthielt das erwähnte Communiqué keine derartige Erklärung. Der zweite Teil der Frage erledigt sich damit."

Im Auftrag
von Selzam




Nr. 265
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt
Telegramm
London, den 24. März 1939

Im Anschluß an Bericht vom 24. März und unter Bezugnahme auf Unterhauserklärung Butlers.158

Antwort Butlers auf Anfrage Hendersons kann nur dahingehend ausgelegt werden, daß Britische Regierung den Standpunkt einnimmt, das deutsche Vorgehen in tschechoslowakischer Frage darstelle keinen Verstoß gegen Konsultationsabrede der deutsch-englischen Erklärung vom 29. September 1938.

Kordt



[255]
Nr. 266
Rede des Führers vor dem Deutschen Reichstag, 28. April 1939
Auszug

..... Ich habe seit dem Tag, da ich mich dem politischen Leben zuwandte, keinen anderen Gedanken gelebt, als den der Wiedererringung der Freiheit der deutschen Nation, der Aufrichtung der Kraft und Stärke unseres Reiches, der Überwindung der Zersplitterung unseres Volkes im Innern, der Beseitigung der Trennung nach außen und seiner Sicherung in bezug auf die Erhaltung seines wirtschaftlich und politisch unabhängigen Lebens. Ich habe nur wiederherstellen wollen, was andere einst mit Gewalt zerbrochen hatten, wollte nur wiedergutmachen, was satanische Bosheit oder menschliche Unvernunft zerstörten oder verdarben. Ich habe daher auch keinen Schritt vollzogen, der fremde Rechte verletzte, sondern nur das vor 20 Jahren verletzte Recht wiederhergestellt.

Im Rahmen des heutigen Großdeutschen Reiches befindet sich kein Gebiet, das nicht seit ältesten Zeiten zu ihm gehört hat, mit ihm verbunden war oder seiner Souveränität unterstand. Längst, ehe ein amerikanischer Kontinent von Weißen entdeckt oder gar besiedelt wurde, hat dieses Reich bestanden nicht nur in seiner heutigen Größe, sondern um viele seitdem verlorene Gebiete und Provinzen darüber hinaus.

..... Ich habe, meine Abgeordneten, Männer des Reichstages, nie einen Zweifel darüber gelassen, daß es an sich in Europa kaum möglich ist, jemals eine allseitig befriedigende Übereinstimmung staatlicher und volklicher Grenzen zu finden. Die im Laufe der letzten Jahrhunderte allmählich zum Stillstand gekommene volkliche Wanderung einerseits und die Bildung großer Gemeinwesen andererseits schuf auf diesem Gebiete einen Zustand, der nach der einen oder anderen Seite hin von dem Betroffenen fast stets als unbefriedigend empfunden werden wird. Allein gerade die Art des allmählichen Ausklingens dieser volklichen und staatlichen Formungen ließ im vergangenen Jahrhundert für viele die Hoffnung als berechtigt erscheinen, daß am Ende zwischen der Respektierung des nationalen Eigenlebens der europäischen Völker und der Anerkennung gewordener staatlicher Gebilde ein Kompromiß gefunden werden würde, der ohne Zerstörung der staatlichen Ordnung in Europa und damit der nun einmal in ihr gegebenen wirtschaftlichen Grundlagen trotzdem die Erhaltung der Volkskörper ermöglichen würde.

Diese Hoffnungen hat der Weltkrieg beseitigt. Durch das Versailler Friedensdiktat ist weder dem einen noch dem anderen Prinzip Genüge getan worden. Es wurde weder das Selbstbestimmungsrecht der Völker beachtet, noch wurden die staatlichen oder gar wirtschaftlichen Notwendigkeiten oder Bedingungen der europäischen Entwicklung in Rechnung gestellt.

Trotzdem aber habe ich nie darüber einen Zweifel gelassen, daß, wie schon betont, auch eine Revision des Versailler Vertrags irgendwo ihre Grenze finden muß, und ich habe dies in freimütiger Weise auch immer offen ausgesprochen, und zwar nicht aus taktischen Gründen, sondern aus tiefinnerster Überzeugung. Ich habe als nationaler Führer des deutschen Volkes keinen Zweifel darüber gelassen, daß überall dort, wo die höheren Interessen des europäischen Zusammenlebens es erfordern, nationale Interessen im einzelnen, wenn notwendig, auch zurückgestellt werden müssen, und zwar, wie schon betont, nicht aus taktischen Erwägungen; denn ich habe keinen Zweifel darüber gelassen, daß es mir mit dieser Auffassung heiliger Ernst ist.

[256] Ich habe aus diesem Grunde für eine ganze Anzahl von vielleicht strittigen Gebieten endgültige Entscheidungen getroffen und sie nicht nur nach außen, sondern auch nach innen bekanntgegeben und ihre Respektierung durchgesetzt.

.... Die demokratischen Friedensmacher von Versailles können für sich das Verdienst in Anspruch nehmen, diesem tschechischen Volk die besondere Rolle eines gegen Deutschland ansetzbaren Trabanten zugedacht zu haben.

Sie haben zu diesem Zweck dem in seiner tschechischen Volkssubstanz überhaupt nicht lebensfähigen Staat willkürlich fremdes Volksgut zugesprochen, d. h. also andere Nationalitäten vergewaltigt, um auf solche Weise eine latente Bedrohung der deutschen Nation in Mitteleuropa staatlich sicherstellen zu können. Denn dieser Staat, dessen sogenanntes Staatsvolk in der Minorität war, konnte nur durch eine brutale Vergewaltigung der volklichen Majoritäten erhalten werden. Diese Vergewaltigung aber war wieder nur denkbar unter der Zubilligung eines Schutzes und einer Hilfe von Seiten der europäischen Demokratien. Diese Hilfe aber war selbstverständlich nur dann zu erwarten, wenn dieser Staat die ihm anläßlich seiner Geburt zugedachte Rolle getreu zu übernehmen und zu spielen bereit war.

Diese Rolle aber hieß nichts anderes, als die Konsolidierung Mitteleuropas zu verhindern, eine Brücke bolschewistischer Aggressivität nach Europa darzustellen und vor allem Landsknecht der europäischen Demokratien gegen Deutschland zu sein. Alles weitere ergab sich dann von selbst.

Je mehr dieser Staat dieser seiner Aufgabe entsprechen wollte, um so größer wurde der Widerstand der sich dem widersetzenden nationalen Minoritäten. Je größer sich aber dieser Widerstand auswuchs, um so stärker mußte die Unterdrückung einsetzen. Diese zwangsläufige Versteifung der inneren Gegensätze führte wieder zu einer um so größeren Abhängigkeit von den demokratischen europäischen Staatsbegründern und Wohltätern. Denn sie allein waren ja in der Lage, auf die Dauer die unnatürliche künstliche Existenz dieses Gebildes wirtschaftlich aufrechtzuerhalten.

Primär hatte nun Deutschland im wesentlichen nur ein Interesse: nämlich diese fast 4 Millionen Deutschen in diesem Land aus ihrer unerträglichen Situation zu befreien und ihre Rückkehr in ihre Heimat und damit zum tausendjährigen Reich zu ermöglichen.

Daß dieses Problem sofort das gesamte übrige Nationalitätenproblem aufrollte, war selbstverständlich. Ebenso aber auch die Tatsache, daß das Abziehen aller Nationalitäten den Reststaat um jede Lebensmöglichkeit bringen mußte, etwas, was den Versailler Staatsgründern ja auch klar war; denn weil sie dieses wußten, haben sie ja die Vergewaltigung der anderen Minoritäten beschlossen und diese gegen ihren Willen in diese dilettantische Staatskonstruktion hineingezwungen.

.... Daß sich Westeuropa für den in seinem Interesse geschaffenen künstlichen Staat interessierte, war ja wohl begreiflich. Daß aber die um diesen Staat liegenden Nationalitäten dieses Interesse als für sie maßgeblich ansehen würden, war ein vielleicht für manche bedauerlicher Trugschluß. Insoweit dieses Interesse nun auf die finanzielle Fundierung dieses Staatswesens gerichtet war, wäre von deutscher Seite nichts einzuwenden gewesen, wenn nicht dieses finanzielle Interesse letzten Endes ebenfalls ausschließlich den machtpolitischen Zielen der Demokratien unterstellt gewesen wäre.

[257] Auch die finanzielle Förderung dieses Staates verfolgte nur einen leitenden Gedanken: einen militärisch höchstgerüsteten Staat zu schaffen mit der Aufgabe, eine in das Reich hineinreichende Bastion zu bilden, die - sei es als Ausgangspunkt militärischer Unternehmungen in Verbindung mit westlichen Einbrüchen in des Reich oder auch nur als Flugzeugstützpunkt - einen unzweifelhaften Wert versprach. Was man von diesem Staat erwartet hatte, geht am eindeutigsten aus der Feststellung des Französischen Luftfahrtministers Pierre Cot hervor, der es ruhig aussprach, daß es die Aufgabe dieses Staates wäre, in jedem Konfliktfall Bombenlande- und Bombenabflugplatz zu sein, von dem aus man die wichtigsten deutschen Industriezentren in wenigen Stunden würde vernichten können. Es ist daher verständlich, wenn die deutsche Staatsführung ihrerseits ebenfalls den Entschluß faßte, diesen Bombenabflugplatz zu vernichten. Sie hat diesen Entschluß nicht gefaßt etwa aus Haß gegen das tschechische Volk. Eher im Gegenteil. Denn im Laufe eines tausendjährigen Zusammenlebens hat es zwischen dem deutschen und tschechischen Volk oft jahrhundertelange Perioden engster Zusammenarbeit gegeben und dazwischen allerdings nur kurze Perioden von Spannungen.

.... Die Münchener Entscheidung führte zu folgendem Ergebnis:

1. Rückkehr der wesentlichsten Teile der deutschen Randbesiedelung in Böhmen und Mähren zum Reich.

2. Offenhaltung der Lösung der übrigen Probleme dieses Staates, das heißt der Rückkehr bzw. des Ausscheidens der noch vorhandenen ungarischen und slowakischen Minoritäten.

3. Blieb noch offen die Frage der Garantie. Die Garantie dieses Staates war, soweit es sich um Deutschland und Italien handelte, von vornherein abhängig gemacht worden von der Zustimmung aller an diesen Staat angrenzenden Interessenten und damit von der tatsächlichen Lösung der diese Interessenten berührenden und noch offengebliebenen Fragen.

Folgende Fragen aber waren offen geblieben:

1. Rückkehr der magyarischen Teile zu Ungarn,

2. Rückkehr der polnischen Teile zu Polen,

3. Lösung der slowakischen Frage und

4. Lösung der ukrainischen Frage.

Wie ihnen bekannt ist, haben nun, nachdem kaum die Verhandlungen zwischen Ungarn und der Tschecho-Slowakei begonnen hatten, sowohl die tschecho-slowakischen als auch die ungarischen Unterhändler an Deutschland und an das an unserer Seite stehende Italien die Bitte gerichtet, als Schiedsrichter die neue Grenzziehung zwischen der Slowakei, der Karpatho-Ukraine und Ungarn vorzunehmen. Damit haben die Betroffenen selbst von der Möglichkeit, an die vier Mächte zu appellieren, keinen Gebrauch gemacht, sondern ausdrücklich Verzicht geleistet, das heißt, sie abgelehnt.

Und dies war verständlich. Alle die in diesem Lebensraum Wohnenden wollten Ruhe und Frieden erhalten. Italien und Deutschland waren bereit, diesem Ruf zu folgen. Ein Einspruch gegen diese, an sich ja schon die Münchener Abmachung formell verlassende Abmachung wurde weder von England noch von Frankreich erhoben und konnte nicht erhoben werden; denn es wäre ja wahnsinnig gewesen, etwa von Paris oder London aus zu protestieren gegen eine Handlung Deutschlands oder Italiens, die allein auf Grund des Ansuchens der Betroffenen selbst stattfand.

[258] Der Schiedsspruch von Italien und Deutschland hat, wie in solchen Fällen stets, keine Seite restlos befriedigt. Er krankte von vornherein daran, daß er von beiden Seiten freiwillig anerkannt werden mußte. Als daher dieser Schiedsspruch zur Verwirklichung kam, erhoben sich sofort in kurzer Zeit nach der Annahme von zwei Staaten heftige Einsprüche. Ungarn forderte aus allgemeinen und besonderen Interessen die Karpatho-Ukraine, Polen forderte desgleichen eine direkte Verbindung mit Ungarn. Es war klar, daß unter solchen Umständen auch der Reststaat dieser einstigen Versailler Geburt zum Tode bestimmt war.

Tatsache war, daß an der Aufrechterhaltung des bisherigen Status vielleicht überhaupt nur ein einziger Staat interessiert war, nämlich Rumänien, das durch seinen berufensten Mund mir persönlich zum Ausdruck brachte, wie erwünscht es wäre, über die Ukraine und Slowakei vielleicht einen direkten Weg nach Deutschland erhalten zu können. Ich erwähne dies als eine Illustration für das Gefühl der Bedrohung durch Deutschland, unter der die Rumänische Regierung nach den Auffassungen amerikanischer Hellseher gelitten haben soll. Es war aber nun klar, daß es nicht die Aufgabe Deutschlands sein konnte, sich auf die Dauer einer Entwicklung zu widersetzen oder gar für einen Zustand zu kämpfen, für den wir niemals eine Verantwortung hätten übernehmen können.

Es kam daher jener Augenblick, in dem ich mich namens der Reichsregierung entschloß, zu erklären, daß wir nicht daran dächten, uns länger mit dem Odium zu belasten, um etwa eine deutsche Vormarschstraße nach Rumänien offen zu halten, dem gemeinsamen Grenzwunsch der Polen und Ungarn zu widersprechen. Da außerdem die Tschechische Regierung zu ihren alten Methoden zurückkehrte und auch die Slowakei ihre Selbständigkeitswünsche offenbarte, war von einer weiteren Erhaltung des Staates keine Rede mehr. Die Versailler Konstruktion der Tschecho-Slowakei hat sich selbst überlebt. Sie verfiel der Auflösung, nicht weil Deutschland dies wollte, sondern weil man am Konferenztisch auf die Dauer nicht künstlich lebensunfähige Staaten konstruieren und aufrechterhalten kann.

Deutschland hat daher auch auf eine wenige Tage vor der Auflösung dieses Staates von England und Frankreich eingegangene Anfrage über eine Garantie diese abgelehnt; denn es fehlten ja alle seinerzeit in München dafür vorgesehenen Voraussetzungen. Im Gegenteil. Als sich endlich die Deutsche Reichsregierung - nachdem das ganze Gebilde in Auflösung begriffen war und sich auch schon praktisch aufgelöst hatte - entschloß, nunmehr ihrerseits ebenfalls einzugreifen, geschah dies nur im Vollzug einer selbstverständlichen Pflicht; denn folgendes ist noch zu bemerken:

Die Deutsche Reichsregierung hat bereits beim ersten Antrittsbesuch des Tschechischen Außenministers Chvalkovský in München ihre Auffassung über die Zukunft der Tschecho-Slowakei klar zum Ausdruck gebracht. Ich selbst habe damals dem Herrn Minister Chvalkovský versichert, daß wir unter der Voraussetzung einer loyalen Behandlung der in der Tschechei verbliebenen großen deutschen Minderheiten und in der Voraussetzung einer Beruhigung des ganzen Staates eine loyale Haltung Deutschlands sicherstellen würden und von uns aus diesem Staat keinerlei Hindernisse bereiten wollten.

Ich habe aber auch keinen Zweifel darüber gelassen, daß, wenn die Tschechei irgendwelche Schritte unternehmen würde im Sinne der politischen Tendenzen des abgetretenen Herrn Dr. Benesch, Deutschland eine Entwicklung in dieser Richtung nicht hinnehmen, sondern schon im Keime auslöschen würde. Ich [259] wies damals auch darauf hin, daß die Aufrechterhaltung eines so gewaltigen militärischen Arsenals in Mitteleuropa ohne Sinn und Zweck nur als Gefahrenherd angesehen werden müßte.

Wie richtig diese meine Warnung war, wurde durch die spätere Entwicklung erwiesen. Durch eine fortgesetzt sich steigernde Flüsterpropaganda sowohl als durch ein allmähliches Abgleiten tschechischer Zeitungen in die frühere Schreibart mußte auch dem Einfältigsten klar werden, daß in kurzer Zeit die alten Zustände wieder vorhanden sein würden.

Die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung war um so größer dann, als ja immer damit gerechnet werden mußte, daß sich irgendwelche Wahnsinnigen der aufgestapelten ungeheuren Kriegsmaterialien bemächtigen konnten. Dies barg in sich die Gefahr von Explosionen unabsehbaren Umfanges.

.... Ich glaube, es ist ein Glück für Millionen und Abermillionen von Menschen, daß es mir gelungen ist, dank der in letzter Minute wirksam werdenden Einsicht verantwortlicher Männer auf der anderen Seite eine solche Explosion verhindert und eine Lösung gefunden zu haben, die meiner Überzeugung nach dieses Problem als einen mitteleuropäischen Gefahrenherd endgültig aus der Welt schafft. Die Behauptung, daß nun diese Lösung im Gegensatz zur Abmachung von München159 stünde, kann durch gar nichts begründet oder erhärtet werden.

Die Münchener Lösung konnte unter keinen Umständen als eine endgültige gelten; denn sie hat ja selbst zugegeben, daß weitere Probleme noch der Lösung bedürften und gelöst werden sollten. Daß sich nun die Betroffenen, und dies ist entscheidend, nicht an die vier Mächte gewandt haben, sondern nur an Italien und Deutschland, kann wirklich nicht uns vorgeworfen werden. Ebensowenig auch, daß der Staat endlich als solcher von selbst zerfallen war und damit eine Tschecho-Slowakei nicht mehr existierte. Daß aber, nachdem das ethnographische Prinzip schon längst außer Kraft gesetzt worden war, nunmehr auch Deutschland seine immerhin tausendjährigen Interessen, die nicht nur politischer, sondern auch wirtschaftlicher Art sind, in seine Obhut nahm, ist wohl selbstverständlich. Ob die Lösung, die Deutschland gefunden hat, richtig oder nicht richtig ist, wird die Zukunft erweisen. Sicher aber ist das eine, daß die Lösung nicht einer englischen Kontrolle oder englischen Kritik untersteht. Denn die Länder Böhmen und Mähren haben als letztes Restgebiet der ehemaligen Tschecho-Slowakei mit der Münchener Abmachung überhaupt nichts mehr zu tun. So wenig, als etwa englische Maßnahmen, sagen wir in Irland, mögen sie richtig oder falsch sein, einer deutschen Kontrolle oder Kritik unterstellt sind, so wenig ist dies bei diesen alten deutschen Kurfürstentümern der Fall.

Wie man aber die in München zwischen Herrn Chamberlain und mir persönlich getätigte Abmachung auf diesen Fall beziehen kann, ist mir gänzlich unverständlich; denn dieser Fall der Tschecho-Slowakei war ja in dem Münchener Protokoll der vier Mächte geregelt worden, soweit er eben damals geregelt werden konnte. Darüber hinaus war nur vorgesehen, daß, wenn die Beteiligten nicht zu einer Einigung kommen würden, sie sich an die vier Mächte würden wenden können. Und diese wollten dann nach drei Monaten zu einer weiteren Beratung zusammentreten.

Nun haben aber diese Beteiligten sich überhaupt nicht mehr an die vier Mächte gewandt, sondern nur an Deutschland und Italien. Wie sehr diese [260] dazu doch letzten Endes berechtigt waren, geht daraus hervor, daß weder England noch Frankreich dagegen Einspruch erhoben haben, sondern den von Deutschland und Italien gefällten Schiedsspruch ohne weiteres auch selbst akzeptierten.

Nein, die Abmachung, die zwischen Herrn Chamberlain und mir getroffen wurde, hat sich nicht auf dieses Problem bezogen, sondern ausschließlich auf Fragen, die das Zusammenleben Englands und Deutschlands betreffen.

Das geht auch eindeutig hervor aus der Feststellung, daß solche Fragen im Sinne des Münchener Abkommens und des deutsch-englischen Flottenvertrages in Zukunft also freundschaftlich behandelt werden sollten, und zwar auf dem Wege der Konsultierung. Wenn sich aber dieses Abkommen auf jede künftige deutsche Betätigung politischer Art bezogen haben würde, dann dürfte auch England keinen Schritt mehr unternehmen, sei es zum Beispiel in Palästina oder woanders, ohne sich mit Deutschland erst zu konsultieren. Es ist selbstverständlich, daß wir dies nicht erwarten, ebenso aber lehnen wir jede ähnliche Erwartung, die an uns gestellt wird, ab.

Wenn nun Herr Chamberlain daraus folgert, daß diese Münchener Abmachung damit hinfällig sei, weil sie von uns gebrochen worden wäre, so nehme ich nunmehr diese Auffassung zur Kenntnis und ziehe daraus die Konsequenzen. ....




152Vgl. Nr. 256. ...zurück...

153Das deutsch-tschechische Abkommen hat folgenden Wortlaut:
      Der Führer hat heute in Gegenwart des Reichsministers des Auswärtigen von Ribbentrop den Tschecho-Slowakischen Staatspräsidenten Dr. Hacha und den Tschecho-Slowakischen Außenminister Dr. Chvalkovský auf deren Wunsch in Berlin empfangen. Bei der Zusammenkunft ist die durch die Vorgänge der letzten Wochen auf dem bisherigen tschecho-slowakischen Staatsgebiet entstandene ernste Lage in voller Offenheit einer Prüfung unterzogen worden. Auf beiden Seiten ist übereinstimmend die Überzeugung zum Ausdruck gebracht worden, daß das Ziel aller Bemühungen die Sicherung von Ruhe, Ordnung und Frieden in diesem Teile Mitteleuropas sein müsse. Der Tschecho-Slowakische Staatspräsident hat erklärt, daß er, um diesem Ziele zu dienen und um eine endgültige Befriedung zu erreichen, das Schicksal des tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches legt. Der Führer hat diese Erklärung angenommen und seinem Entschluß Ausdruck gegeben, daß er das tschechische Volk unter den Schutz des Deutschen Reiches nehmen und ihm eine seiner Eigenart gemäße autonome Entwicklung seines völkischen Lebens gewährleisten wird.
      Berlin, den 15. März 1939

Adolf Hitler             Dr. Hacha
    von Ribbentrop       Dr. Chvalkovský
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154Vgl. Nr. 269. ...zurück...

155Vgl. Nr. 259. ...zurück...

156Vgl. Nr. 269. ...zurück...

157Vgl. Nr. 217. ...zurück...

158Vgl. Nr. 264. ...zurück...

159Vgl. Nr. 217. ...zurück...


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