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Zweites Kapitel   (Forts.)
Die Englische Kriegspolitik

C. Die Britische Einkreisungspolitik
seit Februar 1939

Nr. 281
Rede des Führers in Wilhelmshaven, 1. April 1939
Auszug

Wer den Verfall und den Emporstieg Deutschlands ermessen will, der muß sich die Entwicklung einer Stadt wie Wilhelmshaven ansehen. Vor kurzer Zeit noch ein toter Platz, fast ohne Existenzberechtigung, ohne Aussicht auf eine Zukunft - heute wieder erfüllt vom Dröhnen der Arbeit und des Schaffens. Es ist gut, wenn man sich diese Vergangenheit wieder ins Gedächtnis zurückruft.

[270] Als die Stadt ihren ersten Aufschwung erlebte, fiel dieser zusammen mit dem Emporstieg des Deutschen Reiches nach seinen Einigungskämpfen. Dieses Deutschland war ein Deutschland des Friedens. In derselben Zeit, in der die sogenannten friedliebenden, tugendhaften Nationen eine ganze Anzahl von Kriegen führten, hat Deutschland damals nur ein Ziel gekannt: den Frieden zu bewahren, in Frieden zu arbeiten, den Wohlstand seiner Bewohner zu heben und damit zur menschlichen Kultur und Gesittung beizutragen.

Dieses Deutschland der Friedenszeit hat mit unendlichem Fleiß, mit Genialität und mit Beharrlichkeit versucht, sich sein Leben im Inneren zu gestalten und sich nach außen durch die Teilnahme am friedlichen Wettbewerb der Völker einen gebührenden Platz an der Sonne zu sichern.

Trotzdem dieses Deutschland jahrzehntelang der sicherste Garant des Friedens war und sich selbst nur seiner friedlichen Beschäftigung hingab, hat es andere Völker und besonders deren Staatsmänner nicht davon abhalten können, diesen Emporstieg mit Neid und Haß zu verfolgen und ihn endlich mit einem Kriege zu beantworten.

Wir wissen heute aus den Akten der Geschichte, wie die damalige Einkreisungspolitik planmäßig von England aus betrieben worden war. Wir wissen aus zahlreichen Feststellungen und Publikationen, daß man in diesem Lande die Auffassung vertrat, es sei notwendig, Deutschland militärisch niederzuwerfen, weil seine Vernichtung jedem britischen Bürger ein höheres Ausmaß an Lebensgütern sichern würde.

Gewiß, Deutschland hat damals Fehler begangen. Sein schwerster Fehler war, diese Einkreisung zu sehen und sich ihrer nicht beizeiten zu erwehren. Die einzige Schuld, die wir diesem damaligen Regime vorwerfen können, ist die, daß es von dem teuflischen Plan eines Überfalls auf das Reich volle Kenntnis hatte und doch nicht die Entschlußkraft aufbrachte, diesen Überfall beizeiten abzuwehren, sondern diese Einkreisung bis zum Ausbruch der Katastrophe ausreifen ließ.

Die Folge war der Weltkrieg!

..... Wenn heute ein englischer Staatsmann meint, man könne und müsse alle Probleme durch freimütige Besprechungen und Verhandlungen lösen, dann möchte ich diesem Staatsmann nur sagen: Dazu war vor unserer Zeit 15 Jahre lang Gelegenheit!

Wenn die Welt heute sagt, daß man die Völker teilen müsse in tugendhafte Nationen und in solche, die nicht tugendhaft sind - und zu den tugendhaften Nationen gehören in erster Linie die Engländer und die Franzosen, und zu den nicht tugendhaften gehören die Deutschen und Italiener -, dann können wir nur antworten: Die Beurteilung, ob ein Volk tugendhaft oder nicht tugendhaft ist, die kann doch wohl ein Irdischer kaum aussprechen, das müßte man dem lieben Gott überlassen.

Vielleicht wird mir nun dieser selbe britische Staatsmann entgegnen: "Gott hat das Urteil schon gesprochen, denn er hat den tugendhaften Nationen ein Viertel der Welt geschenkt und den nicht tugendhaften alles genommen!" Darauf sei die Frage gestattet: "Mit welchen Mitteln haben denn die tugendhaften Nationen sich dieses Viertel der Welt erworben?" und man muß antworten: "Es sind keine tugendhaften Methoden gewesen!"

300 Jahre lang hat dieses England nur als untugendhafte Nation gehandelt, um jetzt im Alter von Tugend zu reden! So konnte es passieren, daß in dieser [271] britischen tugendlosen Zeit 46 Millionen Engländer fast ein Viertel der Welt unterworfen haben, während 80 Millionen Deutsche infolge ihrer Tugendsamkeit zu 140 auf einem Quadratkilometer leben müssen.

Ja, vor 20 Jahren, da war die Frage der Tugend für die britischen Staatsmänner immer noch nicht ganz geklärt, insofern es sich um Eigentumsbegriffe handelte. Damals hielt man es mit der Tugend noch für vereinbarlich, einem anderen Volk, das seine Kolonien nur durch Verträge oder durch Kauf erworben hatte, sie einfach wegzunehmen, weil man die Macht hatte.

Jene Macht, die jetzt allerdings als etwas Abscheuliches und Verabscheuungswürdiges gelten soll. Ich habe den Herren hier nur eines zu sagen: Ob sie das selber glauben oder nicht glauben, wissen wir nicht. Wir nehmen aber an, daß sie das nicht glauben. Denn wenn wir annehmen wollten, daß sie das wirklich selbst glauben, dann würden wir jeden Respekt vor ihnen verlieren.

15 Jahre lang hat Deutschland sein Los und sein Schicksal geduldig ertragen. Auch ich versuchte anfangs jedes Problem durch Besprechungen zu lösen. Ich habe bei jedem Problem Angebote gemacht, und sie sind jedesmal abgelehnt worden! Es kann kein Zweifel sein, daß jedes Volk heilige Interessen besitzt, einfach weil sie mit seinem Leben und seinem Lebensrecht identisch sind.

Wenn heute ein britischer Staatsmann fordert, daß jedes Problem, das inmitten der deutschen Lebensinteressen liegt, erst mit England besprochen werden müßte, dann könnte ich genau so gut verlangen, daß jedes britische Problem erst mit uns zu besprechen sei.

Gewiß, diese Engländer mögen mir zur Antwort geben: "In Palästina haben die Deutschen nichts zu suchen!" - Wir wollen auch gar nichts in Palästina suchen.

Allein, so wenig wir Deutschen in Palästina etwas zu suchen haben, so wenig hat England in unserem deutschen Lebensraum etwas zu suchen!

Und wenn man nun erklärt, daß es sich hier um allgemeine Rechts- und Gesetzesfragen handele, so könnte ich diese Meinung nur dann gelten lassen, wenn man sie als allgemein verpflichtend betrachten würde. Man sagt, wir hätten kein Recht, dieses oder jenes zu tun. Ich möchte die Gegenfrage erheben: Welches Recht - um nur ein Beispiel zu erwähnen - hat England in Palästina, Araber niederzuschießen, nur, weil sie für ihre Heimat eintreten? Wer gibt ihm das Recht?

Wir haben jedenfalls in Mitteleuropa nicht Tausende abgeschlachtet, sondern wir haben unsere Probleme in Ruhe und in Ordnung geregelt!

Allerdings, eines möchte ich hier aussprechen: Das deutsche Volk von heute, das Deutsche Reich von jetzt, sie sind nicht gewillt, Lebensinteressen preiszugeben, sie sind auch nicht gewillt, aufsteigenden Gefahren tatenlos gegenüberzutreten!

Wenn die Alliierten einst ohne Rücksicht auf Zweckmäßigkeit, auf Recht, auf Tradition oder auch nur Vernunft die Landkarte Europas änderten, so hatten wir nicht die Macht, es zu verhindern. Wenn sie aber vom heutigen Deutschland erwarten, daß es Trabantenstaaten, deren einzige Aufgabe es ist, gegen Deutschland angesetzt zu werden, geduldig gewähren läßt bis zu dem Tag, an dem dieser Einsatz sich vollziehen soll, dann verwechselt man das heutige Deutschland mit dem Deutschland der Vorkriegszeit!

[272] Wer sich schon bereit erklärt, für diese Großmächte die Kastanien aus dem Feuer zu holen, muß gewärtig sein, daß er sich dabei die Finger verbrennt.

Wir haben wirklich keinen Haß gegen das tschechische Volk, wir haben jahrelang miteinander gelebt. Das wissen die englischen Staatsmänner nicht. Sie haben keine Ahnung davon, daß der Hradschin nicht von einem Engländer, sondern von Deutschen erbaut wurde, und daß der St. Veits-Dom gleichfalls nicht von Engländern, sondern von deutscher Hand errichtet wurde.

Auch Franzosen waren dort nicht tätig. Sie wissen nicht, daß schon in einer Zeit, in der England noch sehr klein war, einem deutschen Kaiser auf diesem Berg gehuldigt wurde, daß schon 1.000 Jahre vor mir dort der erste deutsche König stand und die Huldigungen dieses Volkes entgegennahm. Das wissen die Engländer nicht, das können sie auch nicht und brauchen sie auch nicht zu wissen.

Es genügt, daß wir es wissen und daß es so ist, daß seit einem Jahrtausend dieses Gebiet im Lebensraum des deutschen Volkes liegt. Wir hätten aber trotzdem nichts gegen einen unabhängigen tschechischen Staat gehabt, wenn er 1. nicht Deutsche unterdrückt und wenn er 2. nicht das Instrument eines kommenden Angriffs gegen Deutschland hätte sein sollen.

Wenn aber ein französischer früherer Luftfahrtminister in einer Zeitung schreibt, daß es die Aufgabe dieser Tschechei auf Grund ihrer hervorragenden Lage sei, im Kriege Deutschlands Industrie durch Luftangriffe ins Herz zu treffen, dann wird man verstehen, daß das für uns nicht ohne Interesse ist und daß wir dann daraus bestimmte Konsequenzen ziehen.

Es wäre an England und Frankreich gewesen, diese Luftbasis zu verteidigen. An uns lag es jedenfalls, zu verhindern, daß ein solcher Angriff stattfinden konnte. Ich habe geglaubt, dies auf einem natürlichen und einfachen Wege zu erreichen. Erst als ich sah, daß jeder derartige Versuch zum Scheitern bestimmt war und daß die deutschfeindlichen Elemente wieder die Oberhand gewinnen würden, und als ich weiter sah, daß dieser Staat seine innere Lebensfähigkeit längst verloren hatte, ja, daß er bereits zerbrochen war, da habe ich das alte deutsche Recht wieder durchgesetzt, und ich habe wieder vereint, was durch Geschichte und geographische Lage und nach allen Regeln der Vernunft vereint werden mußte.

Nicht um das tschechische Volk zu unterdrücken! Es wird mehr Freiheit haben, als die bedrückten Völker der tugendhaften Nationen!

Ich habe, so glaube ich, damit dem Frieden einen großen Dienst erwiesen, denn ich habe ein Instrument, das bestimmt war, im Krieg wirksam zu werden gegen Deutschland, bei Zeiten wertlos gemacht.

Wenn man nun sagt, daß dieses das Signal sei dafür, daß Deutschland nun die ganze Welt angreifen wollte, so glaube ich nicht, daß man so etwas im Ernst meint; das könnte nur der Ausdruck des allerschlechtesten Gewissens sein. Vielleicht ist es der Zorn über das Mißlingen eines weit gesteckten Planes, vielleicht glaubt man damit die taktische Voraussetzung zu schaffen für die neue Einkreisungspolitik? Wie dem aber auch sei: Ich bin der Überzeugung, daß ich damit dem Frieden einen großen Dienst erwiesen habe.

Und aus dieser Überzeugung heraus habe ich mich auch vor drei Wochen entschlossen, dem kommenden Parteitag den Namen "Parteitag des Friedens" zu geben. Denn Deutschland denkt nicht daran, andere Völker anzugreifen.

[273] Worauf wir aber nicht verzichten wollen, ist der Ausbau unserer wirtschaftlichen Beziehungen. Dazu haben wir ein Recht, und ich nehme dazu von keinem europäischen oder außereuropäischen Staatsmann Vorschriften entgegen.

Das Deutsche Reich ist nicht nur ein großer Produzent, sondern auch ein ungeheurer Konsument. Wie wir als Konsument ein unersetzbarer Handelspartner werden, so sind wir als Produzent geeignet, das, was wir konsumieren, auch ehrlich und reell zu bezahlen.

Wir denken nicht daran, andere Völker zu bekriegen, allerdings unter der Voraussetzung, daß auch sie uns in Ruhe lassen. Das Deutsche Reich ist aber jedenfalls nicht bereit, eine Einschüchterung oder auch nur Einkreisungspolitik auf die Dauer hinzunehmen.

Ich habe einst ein Abkommen mit England abgeschlossen, das Flottenabkommen. Es basiert auf dem heißen Wunsch, den wir alle besitzen, nie in einen Krieg gegen England ziehen zu müssen. Dieser Wunsch kann aber nur ein beiderseitiger sein. Wenn in England dieser Wunsch nicht mehr besteht, dann ist die praktische Voraussetzung für dieses Abkommen damit beseitigt.

Deutschland würde auch das ganz gelassen hinnehmen! Wir sind deshalb so selbstsicher, weil wir stark sind, und wir sind stark, weil wir geschlossen sind und weil wir außerdem sehend sind! .....




Nr. 282
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts
an den Deutschen Botschafter in Warschau

Telegramm
Berlin, den 3. April 1939

Beistandserklärung Britischer Regierung an Polen, die Chamberlain am 31. März im Unterhaus bekanntgegeben hat,165 ist nach ihrem Wortlaut nur vorläufiger Natur. Sie soll britische Haltung während der Zwischenzeit klarstellen, die noch benötigt werde, um englische Konsultationen mit anderen Regierungen zu abschließendem Ergebnis zu führen. Da Britische Regierung sich selbst genötigt gesehen hat, Gerüchte von bevorstehendem deutschen Angriff auf Polen als ungerechtfertigt zu dementieren, ist die vorweg erfolgte Abgabe der Beistandserklärung für Polen in keiner Weise durch außenpolitische Lage gerechtfertigt gewesen, vielmehr aus dem Bedürfnis Englischer Regierung zu erklären, der Welt und ihrer eigenen schon ungeduldig gewordenen öffentlichen Meinung ein erstes Ergebnis der emsigen diplomatischen Bemühungen darzubieten, mit denen Foreign Office am 18. März begonnen hat.

Was unsererseits zu britischem Einkreisungsversuch und zu den Gefahren zu sagen ist, die die Staaten laufen, welche sich dazu hergeben, ist bereits in der Rede, die der Führer am Sonnabend in Wilhelmshaven gehalten hat, zum Ausdruck gekommen.

Weizsäcker



[274]
Nr. 283
Rede des Britischen Premierministers Chamberlain
im Unterhaus, 3. April 1939

Auszug
(Übersetzung)

..... Wenn, wie ich hoffe, das Ergebnis dieser Aussprache das ist, darzutun, daß grundsätzlich und im allgemeinen dieses Haus einmütig die Erklärung billigt, die ich am Freitag abgegeben habe,166 und daß es einig und entschlossen ist, alle Maßnahmen, die zur Wirksammachung dieser Erklärung nötig sein mögen, zu ergreifen, so kann die Aussprache einen sehr großen Nutzen haben. Die von mir am Freitag abgegebene Erklärung ist mit einem sehr geschickten und deshalb weithin übernommenen Ausdruck als Deckungszusage bezeichnet worden, die im voraus vor dem vollständigen Versicherungsschein ausgegeben worden sei. Ich selbst betonte nachdrücklich ihren vorübergehenden oder zeitweiligen Charakter, und ihre Bezeichnung als Deckungszusage ist durchaus nicht schlecht, soweit ein solcher Vergleich zutreffen kann; aber ich glaube, daß dieser Vergleich ganz und gar unvollständig in folgendem Punkte ist: Während naturgemäß die Ausgabe einer Deckungszusage in sich schließt, daß ihr etwas mehr ins einzelne gehende nachfolgt, ist es gerade die Art des vollständigen Versicherungsscheines, die eine so ungeheure Abweichung von allem darstellt, was dieses Land bisher unternommen hat.

Es bildet dies wirklich ein neues Moment - ich möchte sagen eine neue Epoche - in dem Verlaufe unserer auswärtigen Politik.

..... So weit von unseren traditionellen Ideen in dieser Hinsicht abgewichen zu sein, wie ich es im Auftrag Seiner Majestät Regierung am Freitag getan habe, bildet in der Tat einen so wichtigen Markstein in der britischen Politik, daß ich mit Sicherheit sagen zu können glaube, daß dieser Entschluß ein Kapitel für sich erhalten wird, wenn es einmal zum Schreiben der Geschichtsbücher kommt.

Das sehr ehrenwerte Mitglied hat soeben auf ein Mißverständnis des Sinnes dieser Erklärung angespielt. Ich gestehe, ich war selbst überrascht, daß es hier irgendein Mißverständnis geben könne, denn ich glaubte, daß die Erklärung klar und deutlich für alle war, die sich bemüht haben sie zu lesen. Selbstverständlich betrifft eine Erklärung von dieser Bedeutung nicht irgendeinen unbedeutenden kleinen Grenzzwischenfall; sie betrifft die großen Dinge, die sogar einem Grenzzwischenfall zugrunde liegen können. Wenn die Unabhängigkeit des polnischen Staates bedroht sein sollte - und wenn sie bedroht sein würde, so habe ich keinen Zweifel, daß das polnische Volk jedem Versuch hierzu Widerstand leisten würde - dann besagt die Erklärung, die ich abgegeben habe, daß Frankreich und wir selbst Polen unverzüglich zur Hilfe kommen würden.

.... Erst vor nicht langer Zeit habe ich meiner Ansicht dahin Ausdruck gegeben, daß man von unserem Lande nicht verlangen solle, unbegrenzte und unbestimmte Verpflichtungen einzugehen, die unter nicht vorauszusehenden Bedingungen wirksam werden würden. Diese Ansicht halte ich noch heute aufrecht; was wir hier aber im Begriff sind zu tun, ist der Eintritt in eine bestimmte Verbindlichkeit, die sich auf einen gewissen Eventualfall bezieht, nämlich auf den Fall, daß ein Versuch dahin unternommen werden sollte, die Welt [275] mit Gewalt zu beherrschen. Das sehr ehrenwerte Mitglied hat mit Recht gesagt, daß die Sache nicht so enden könne, wie sie jetzt steht. Wenn diese Politik die Politik der Deutschen Regierung wäre, so ist es ganz klar, daß Polen nicht das einzige Land wäre, das gefährdet sein würde, und der Politik, die uns veranlaßt hat, Polen diese Zusicherung zu geben, könnte natürlich nicht Genüge geschehen, noch könnte sie durchgeführt werden, wenn wir uns auf einen einzelnen Fall beschränken würden, der schließlich nicht der richtige Fall sein möchte. Die kürzlichen Ereignisse haben, mit Recht oder mit Unrecht, jeden Staat, der an Deutschland angrenzt, unglücklich, besorgt und ungewiß über Deutschlands zukünftige Absichten gemacht. Wenn dies alles ein Mißverständnis ist, wenn die Deutsche Regierung niemals solche Gedanken gehabt hat, gut, dann ist es um so besser. In diesem Fall werden alle Abmachungen, die getroffen werden mögen, um die Unabhängigkeit dieser Länder zu schützen, niemals Anwendung zu finden brauchen, und Europa könnte dann allmählich in einen Zustand der Ruhe zurückfallen, in der sogar das Vorhandensein dieser Abmachungen in Vergessenheit geraten könnte. ....




Nr. 284
Aus der Rede des Britischen Schatzkanzlers Sir John Simon
im Unterhaus, 3. April 1939
(Übersetzung)

.... Mit ein oder zwei Ausnahmen, die nur die allgemeine Einigkeit unterstreichen, dürfen wir diesen Tag, an dem diese ungeheuer wichtige Erklärung von allen Teilen des Hauses angenommen und gebilligt worden ist, als einen Markstein in unserer Geschichte bezeichnen. Ich bin nicht geneigt, die Bedeutung der Erklärung zu verkleinern. Die Erklärung verpflichtet uns ausdrücklich in einem Teil der Welt, in dem wir bisher von besonderen Verpflichtungen befreit gewesen sind, und sie läßt auch Verpflichtungen in anderen Teilen der Welt voraussehen. Sie schreibt ein Kapitel in unserer Geschichte, das uns weiter führt als die Reihe der Verpflichtungen, die mein sehr ehrenwerter Freund in einer klassischen Rede in Leamington167 aufgeführt hat. Wir stellen hier fest, daß das Land in seiner Gesamtheit, indem es diesen Standpunkt einnimmt, geeinter ist als in irgendeiner anderen politischen Frage der Gegenwart. Dies ist eine überaus gewaltige Tatsache, der wir alle uns künftig zu erinnern Gelegenheit haben werden, und ich betrachte es als unser aller Pflicht, diesen Wechsel nicht irgendwie zu verkleinern, sondern ihn in dem vollen Umfang seiner Anwendung zu würdigen und anzuerkennen. Die Erklärung verkündet einen endgültigen Kurs des Handelns, wenn Handeln notwendig sein wird, und von dieser Entscheidung kann man nicht nach rückwärts blicken.

Es ist die allerernsteste Verpflichtung, weil sie nicht etwa nur die Möglichkeit eines Krieges aus Anlaß bestimmter Ereignisse androht, sondern weil sie uns in gewissen Fällen verpflichtet, Krieg zu führen. ......



[276]
Nr. 285
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt
Bericht
London, den 4. April 1939

Die englisch-französische Zusammenarbeit auf dem Luftgebiet ist in den letzten Wochen durch Besprechungen auf technischem Gebiet sowie durch französische Generalstabsoffiziere auf militärischem Gebiet vertieft worden. Durch den jetzt laufenden Besuch des Französischen Luftministers in London dürften diese Besprechungen einen gewissen Abschluß erreichen.

Zum erstenmal verlautet, daß in einem Ernstfall der gemeinsame Oberbefehl über die vereinigten Luftflotten (ähnlich wie früher schon für Heer und Marine) festgelegt worden ist.

Aller Wahrscheinlichkeit soll die englische Luftwaffe die Führung übernehmen. Der Generalstabschef der englischen Luftwaffe wird für den Ernstfall als gemeinsamer Oberbefehlshaber genannt.

Gleichzeitig hiermit laufen offenbar eingehendere Besprechungen über die Vorbereitung und Verwendung englischer Luftstreitkräfte auf französischem Boden und die Beschleunigung und Verbreitung der französischen Luftindustrie mit dem deutlichen Ziel einer Angleichung des Materials an das englische.

Im Auftrag
von Selzam




Nr. 286
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt
Bericht
London, den 10. April 1939

Der amtliche Wortlaut der Unterhauserklärung Chamberlains vom 6. April über die Verhandlungen der Britischen Regierung mit dem Polnischen Außenminister liegt nunmehr vor. Der Premierminister erklärte auf Anfrage des Labourabgeordneten Greenwood folgendes:

"Ich bin in der Lage, dem Haus folgenden Bericht über die Besprechungen mit dem Polnischen Außenminister zu geben. Der Bericht ist von Herrn Beck im Namen der Polnischen Regierung und vom Staatssekretär des Äußern und mir im Namen Seiner Majestät Regierung gemeinsam verfaßt worden. Die Besprechungen mit Herrn Beck haben sich auf ein weites Feld bezogen und gezeigt, daß unsere beiden Regierungen sich über gewisse allgemeine Grundsätze einig sind.

Es wurde verabredet, daß unsere beiden Länder bereit sein werden, ein dauerndes und wechselseitiges Abkommen zu schließen, um die gegenwärtige zeitweilige und einseitige Zusicherung Seiner Majestät Regierung an die Polnische Regierung168 zu ersetzen. In Erwartung des Abschlusses dieses dauernden Abkommens gab Herr Beck Seiner Majestät Regierung die Zusicherung ab, daß sich die Polnische Regierung für verpflichtet halte, Seiner Majestät [277] Regierung unter den gleichen Voraussetzungen Unterstützung zu gewähren, wie sie in der zeitweiligen Zusicherung Seiner Majestät Regierung an Polen bereits enthalten sind.

Ebenso wie die zeitweilige Zusicherung würde das dauernde Abkommen nicht gegen irgendein anderes Land gerichtet, sondern dazu bestimmt sein, Großbritannien und Polen eine wechselseitige Unterstützung im Fall irgendeiner unmittelbaren oder mittelbaren Bedrohung der Unabhängigkeit des einen oder anderen Staates zu gewähren. Es wurde anerkannt, daß gewisse Punkte, einschließlich einer genaueren Umschreibung der verschiedenen Ursachen, aus denen die Notwendigkeit einer solchen Unterstützung entstehen könnte, ein gründlicheres Studium erfordern, bevor das dauernde Abkommen vervollständigt werden kann.

Wohlverstanden sollen die obenerwähnten Abkommen keine von den beiden Regierungen daran hindern, mit anderen Ländern im allgemeinen Interesse der Festigung des Friedens Abkommen abzuschließen."

Greenwood fragte den Premierminister weiterhin, ob die Britische Regierung nach Beendigung der Verhandlungen mit Oberst Beck beabsichtige, ihren gesamten Einfluß dafür einzusetzen, daß gleiche gegenseitige Vereinbarungen zwischen der Französischen und der Polnischen Regierung zustande kämen, ferner fragte Greenwood, ob der Premierminister weiterhin beabsichtige, beschleunigt auf jenes breitere Bündnissystem (basis of association) hinzuarbeiten, welches die Opposition für wesentlich und grundlegend halte. Der Premierminister antwortete auf diese Frage wie folgt:

"Was die erste Frage betrifft, so glaube ich, daß die bereits bestehenden Abmachungen zwischen Polen und Frankreich praktisch den Vereinbarungen ähnlich sind, deren Abschluß die Polnische und die Britische Regierung planen. Die zweite Zusatzfrage kann ich dahin beantworten, daß es die Absicht Seiner Majestät Regierung ist, die Konsultationen und Mitteilungen mit anderen Regierungen, die bereits begonnen worden sind, fortzusetzen."

Der Labourabgeordnete Benn fragte den Premierminister, ob bereits darüber entschieden worden wäre, was als eine Bedrohung der polnischen Unabhängigkeit anzusehen wäre. Der Premierminister verneinte die Frage. Wie er bereits in seiner oben wiedergegebenen Erklärung gesagt hatte, würde diese Frage Gegenstand weiterer Verhandlungen zwischen der Britischen und der Polnischen Regierung bilden.

Der liberale Abgeordnete Sir P. Harris fragte den Premierminister, ob er eine Versicherung dahingehend abgeben könne, daß in naher Zukunft Generalstabsbesprechungen mit Polen eingeleitet werden würden, an denen Frankreich teilnehmen könne, und ob er ferner versichern könne, daß während dieser Verhandlungen freundschaftlicher Kontakt mit Rußland gehalten werden würde. Der Premierminister beantwortete den ersten Teil der Frage dahin, daß er eine so spezifische Zusicherung nicht abgeben könne; der Fragesteller könne jedoch sicher sein, daß, wenn das englisch-polnische Abkommen geschlossen sei oder während es geschlossen werde, die Britische Regierung alle Schritte ergreifen würde, die ihr notwendig erschienen, um das Abkommen wirksam zu machen. Auf den zweiten Teil der Anfrage antwortete der Premierminister, daß Lord Halifax in enger Verbindung mit dem Sowjetrussischen Botschafter stehe (keeping in close touch).

Der konservative Abgeordnete Boothby fragte, mit welchen anderen Regierungen Besprechungen gepflogen würden. Der Premierminister antwortete, [278] daß mit einer Anzahl anderer Regierungen Besprechungen begonnen worden wären; damit sei jedoch nicht gesagt, daß die Verhandlungen sich nur auf diese Regierungen beschränken würden.

Der Labourabgeordnete Noel Baker fragte schließlich, ob der Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten während der Osterferien mit der Sowjetrussischen Regierung in Verbindung bleiben werde. Chamberlain antwortete, er wäre sicher, daß Lord Halifax in enger Verbindung mit dem Sowjetrussischen Botschafter zu bleiben beabsichtige; er wolle ihn aber nicht darauf festlegen, daß er den Sowjetrussischen Botschafter nun jeden Tag sehen werde.

Eine weitere zusätzliche Anfrage, ob die Regierung der Vereinigten Staaten über die Besprechungen voll auf dem laufenden gehalten würde, bejahte der Premierminister.

In der Oberhaussitzung vom 6. April erkundigte sich Lord Cecil im Hinblick auf die Unterhauserklärung Chamberlains vom 31. März (Garantieerklärung zugunsten Polens), ob die Frage, ob die Unabhängigkeit Polens bedroht sei, bei Polen oder bei der Britischen Regierung liege. Lord Plymouth gab daraufhin folgende Erklärung ab:

"Es ist selbstverständlich, daß, wenn Polen selbst nicht seine Unabhängigkeit als gefährdet erachtet, es nicht Sache eines anderen Landes sein kann, eine gegenteilige Ansicht zu vertreten. Da hier Entscheidungen so ernsten Charakters in Frage stehen, unterliegt es keinem Zweifel, daß die Polnische Regierung Seiner Majestät Regierung vollständig über die Entwicklung auf dem laufenden halten wird. Aber es ist unwahrscheinlich, daß irgendwelche Meinungsverschiedenheiten entstehen würden, da die Politik der beiden Regierungen - nämlich Widerstand gegen einen Herrschaftsanspruch durch Gewalt - identisch ist."

Im Auftrag
von Selzam




Nr. 287
Der Reichsminister des Auswärtigen
an verschiedene Deutsche Diplomatische Missionen in Europa

Telegramm
Berlin, den 12. April 1939

Wie dort bekannt ist, setzt die Britische Regierung im Einvernehmen mit der Französischen ihre sich gegen Deutschland und Italien richtenden Einkreisungsbestrebungen fort. Von einer Demarche in dieser Angelegenheit bitte ich abzusehen. Bei sich ergebenden Gesprächen bitte ich, sich in folgendem Sinne zu äußern:

Wir erwarteten, daß sich nicht weitere Staaten auf den englischen Bauernfang einlassen werden. Sollten sich weitere Regierungen finden, die trotzdem auf die englischen Verlockungsversuche hereinfallen, so würden wir dies im Interesse der in Frage kommenden Staaten selbst bedauern. Wir würden jede Teilnahme oder Verbindung mit derartigen Kombinationen als gegen uns gerichtet ansehen und uns dementsprechend einstellen. Sie können in diesem [279] Zusammenhang an das Wort des Führers aus seiner Wilhelmshavener Rede vom 1. April erinnern, wo es heißt: "Wer sich schon bereit erklärt, für diese Großmächte die Kastanien aus dem Feuer zu holen, muß gewärtig sein, daß er sich dabei die Finger verbrennt!"

Im übrigen bitte ich, die ganze Angelegenheit in Gesprächen mit großer Gelassenheit zu behandeln und die nervöse Geschäftigkeit, mit der die Engländer andere Staaten für ihre Zwecke einzuspannen versuchen, gebührend zu kennzeichnen.

Ribbentrop




Nr. 288
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt
Telegramm
London, den 13. April 1939

Die Garantieerklärung zugunsten Griechenlands und Rumäniens in der heutigen Unterhausrede des Premierministers hat gemäß Reuter folgenden Wortlaut:

"Seiner Majestät Regierung glaubt, daß sie eine Pflicht erfüllt und einen Dienst leisten kann, indem sie über ihre Stellung für niemanden einen Zweifel läßt. Ich benutze die Gelegenheit, im Namen Seiner Majestät Regierung zu erklären, daß Seiner Majestät Regierung den größten Wert darauf legt, jeder durch Gewalt oder durch Gewaltandrohung in bezug auf den Status quo im Mittelmeer und auf der Balkanhalbinsel bewirkten Änderung vorzubeugen. Folglich hat Seiner Majestät Regierung, unter Berücksichtigung der besonderen Unruhen, die im Zuge der Ereignisse der letzten Wochen entstanden sind, Rumänien und Griechenland die besondere Zusicherung gegeben, daß sich Seiner Majestät Regierung im Fall einer Aktion, die die Unabhängigkeit Rumäniens oder Griechenlands offensichtlich bedroht und der gegenüber es nach Auffassung der Rumänischen oder der Griechischen Regierung in deren Lebensinteresse liegt, ihr mit allen nationalen Streitkräften Widerstand zu leisten, sich für verpflichtet hält, ihr unverzüglich jede in ihrer Macht liegende Unterstützung zu gewähren.

Wir werden diese Erklärung den unmittelbar betroffenen Regierungen sowie anderen, besonders der Türkei, mitteilen, deren enge Beziehungen zur Griechischen Regierung bekannt sind. Wie ich höre, wird die Französische Regierung heute nachmittag eine ähnliche Erklärung abgeben. Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß die Regierungen der Dominions wie stets von allen Vorgängen laufend unterrichtet werden."

Kordt



[280]
Nr. 289
Der Deutsche Geschäftsträger in London an das Auswärtige Amt
Telegramm
London, den 14. April 1939

1. Chamberlain und Halifax haben mit ihren gestrigen Erklärungen verstanden, die sich im Lande breit machenden Besorgnisse zu zerstreuen, daß die Britische Regierung von ihrem neuen Kurs wieder abweichen könnte. Hierbei spielte eine wesentliche Rolle die Tatsache, daß sowohl Eden als auch Churchill sich grundsätzlich zu Chamberlain bekannten. Ausführungen der Oppositionsredner und allem sonstigen Gerede über eine akute Chamberlain-Krise wurde damit die Spitze abgebrochen. Stellung Kabinetts ist gefestigt. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Churchill und Eden in Kabinett hereingenommen werden, besonders wenn italienische Zusage Rückzugs der Freiwilligen aus Spanien nach Siegesmarsch nicht eingehalten werden sollte.

2. Kritik an Chamberlains Politik gegenüber Italien tritt neben der Forderung in den Hintergrund, Rußland stärker heranzuziehen. Hier ist besonders bemerkenswert gestrige Debatte im Oberhaus, das noch bis vor kurzem jede Annäherung an Rußland schärfstens ablehnte. Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang ferner die Ausführungen von Sir John Simon im Unterhaus, die erkennen lassen, daß man auch weiterhin bemüht bleibe, eine Lösung zu finden, um Rußland unter Berücksichtigung der bekannten polnischen und rumänischen Wünsche in irgendeiner Form in das sogenannte "System zur Sicherung des Friedens gegen Aggression" einzuschalten.

Kordt




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166Vgl. Nr. 279. ...zurück...

167Gemeint ist die Rede des damaligen Britischen Außenministers Eden in Leamington vom 20. November 1936, in der die britischen Verpflichtungen für den Kriegsfall umrissen wurden. ...zurück...

168Vgl. Nr. 279. ...zurück...


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