Einbruch in Afghanistan Zu dem indischen Komplex gehört auch Afghanistan. Über die Rolle, welche die Engländer dort spielten, schreibt Gustin McCarthy, der Geschichtsschreiber der viktorianischen Epoche: "Fehler, die übler waren als Verbrechen, und eine Handlungsweise, die zu decken für jeden Herrscher ein Verbrechen wäre, brachten es so weit, daß wir wenige Jahre nach dem Regierungsantritt der Königin Viktoria in Afghanistan Soldaten hatten, die sich fürchteten, zu fechten, und englische Beamte, die sich nicht schämten, durch erkauften Meuchelmord unsere gefürchtetsten Feinde beiseite zu schaffen. Dieses Kapitel unserer Geschichte wird uns lehren", - nur die sechs Oxforder Geschichtsprofessoren und Lord Halifax haben es nicht daraus gelernt, - "wie eitel eine Politik ist, die auf schlechten und unedlen Grundsätzen beruht." Billig zu stehen kam ihr afghanisches Verbrechen den Engländern nicht. Von den 16.000 Mann des englischen Heeres, das 1841 in Afghanistan eingefallen war, kehrte ein einziger unter die Mauern von Dschelalabad zurück. Darauf erklärte 1842 der neue Generalgouverneur für Indien, Lord Ellenborough, diese Trauben seien England zu sauer, es wolle sie gar nicht haben: "Die Regierung Indiens werde von nun an zufrieden sein mit den Grenzen, welche die Natur ihrem Reich angewiesen zu haben scheine, und einem widerstrebenden Volk weiter einen verhaßten Herrscher aufzwingen zu wollen, wäre ebenso unverträglich mit der Politik wie mit den Grundsätzen der britischen Regierung."
Persien weiß auch davon zu erzählen. Die Nation, die nach Lord Halifax überall "die Spuren der Freiheit hinterlassen hat", teilte sich mit dem zaristischen Rußland einfach das Land, das keinem von beiden gehörte, und die Londoner Zeitschrift Nation schrieb dazu: "Wir haben niemals geglaubt, daß diese Teilung Persiens in ökonomische Sphären mit der Integrität und Unabhängigkeit Persiens verträglich sei, und wir haben immer die Ansicht vertreten, daß sie zu einer politischen Teilung erweitert werden müsse... Das Wort 'politisch' ist von Sir Edward Grey eingeführt worden, um den Charakter der besonderen Interessen zu beschreiben, welche jede Macht sich in ihrer eigenen Sphäre vorbehält. Wenn dieses Wort einmal gebraucht wird, so ist die Unabhängigkeit Persiens dahin... Es ist ein Fall vom Wolf und Lamm, so flagrant und zynisch, daß man sich kaum versucht fühlt, ihn fernerer Untersuchung für wert zu halten... Eine Folge, und zwar eine der übelsten Folgen, von Sir Edward Greys europäischer Politik. Ein einfaches und elementares Prinzip hat diese Politik von Anfang an beherrscht, - die Furcht, daß die eine oder die andere Macht in das, was Sir Edward den Dunstkreis der deutschen Politik genannt hat, hineingezogen werden könnte. Jahraus, jahrein haben wir, freilich meist mit den Besitztümern anderer Leute, für die Genugtuung bezahlen müssen, gewisse Mächte davon abzuhalten, in irgendein innigeres Verhältnis zu Deutschland zu gelangen." - Muß man die Sätze nicht noch einmal lesen, um sich zu vergewissern, daß nicht von der Tschechei 1938, nicht von Polen 1939 die Rede ist, sondern von Persien 1856? Nur ein Urteil noch über Englands Vorgehen in Persien, das des Manchester Guardian aus dem Jahre 1914, der rundheraus sagt: "Kein Engländer kann (die Geschichte dieser Politik) ohne ein tiefes Gefühl von Scham und Verwunderung lesen, - von Scham über die Schmach, mit der wir jeden Grundsatz geopfert haben, und von Verwunderung über die Gründe, die einen liberalen Staatsmann (Sir Edward Grey) zum Agenten dieser Erniedrigung gemacht haben... Rußland stahl uns in Persien das Pferd, während wir uns mit Deutschland zankten, nur weil es über den Zaun herübergeblickt hatte... Schwerer wiegt aber die moralische Niederlage, die wir uns zugezogen haben, weil wir an einem so großen Unrecht teilgenommen haben. Unsere Diplomatie war ebenso erfolglos wie unmoralisch."
Ceylon, die Insel der Verwüstung Auch Ceylon gehört zu dem indischen Komplex. Über seine Verheerung durch die Engländer schreibt der gelehrte Sir W. W. Strickland, der diese Dinge genauer als irgendein zweiter kennt: "Für mich ist Ceylon die Insel der Verwüstung; wenn ich daran denke, überläuft mich die Scham, ein Engländer zu sein. Es ist ein Denkmal der unverbesserlichen Selbstsucht und der unersättlichen Gier der ohne Berechtigung in Asien eingedrungenen englischen Ansiedler und ihrer 'Gouverneure', die ihnen
Noch einige Stimmen auch aus der Nachkriegszeit, um sichtbar zu machen, daß nach dem Urteil englischer Betrachter bis heute die indischen Dinge nicht etwa besser, sondern noch immer schlimmer wurden. Der Labour Leader vom 20. März 1919 schreibt: "Die ablehnende Haltung der Mitglieder des indischen Regierungsdienstes gegenüber den Reformen hat üble Folgen durch die Vertiefung und Erweiterung der Klüfte gehabt, die sich mit den giftigen Strömen der Feindschaft erfüllt haben. Dazu ist eine Hungersnot gekommen, schlimmer als die des Jahres 1912. Die Influenza hat 5 Millionen Opfer im englischen Indien und 1 Million in den Eingeborenen-Staaten dahinraffen können, weil sie auf ungenügend ernährte Leute stieß. Die Preise sind fürchterlich hoch; Futtermittel sind knapp."
Was das Schulwesen für die Eingeborenen betrifft, das Lord Curzon preist, so sei es erlaubt, die Reihenfolge der englischen Zeugen durch die Stimme des Hindu-Schriftstellers Koomar Roy zu unterbrechen, der feststellt: "Bevor die Engländer sich zu Herren Indiens machten, hatte jedes Dorf seine Elementarschule, und Analphabeten bildeten in der Bevölkerung bei weitem eine Ausnahme. Heute haben nur die größten Dörfer mit mehr oder minder stadtartigem Charakter eine Dorfschule. Das Ergebnis ist, daß von der indischen Bevölkerung heute, nach 150 Jahren englischer Herrschaft, über 90 v. H. nicht lesen und schreiben können. Alle unteren Stände Indiens sind mit ganz geringen Ausnahmen in dumpfe Unwissenheit zurückgesunken, und das in einem Lande, das in bezug auf die allgemeine Volksbildung selbst den meisten europäischen, wenn nicht allen, jedenfalls doch auch dem englischen vor dem Beginn der britischen Herrschaft voranging." Was Wunder, wenn die Londoner Zeitschrift India im April 1919 über die soziale Lage der "freien und glücklichen" Inder feststellen muß: "Die Löhne steigen in Indien nicht wie in England. 80 v. H. der Leute sind sehr arm. Das Durchschnittseinkommen beträgt etwa 2 Pfund Sterling im Jahr, was bedeutet, daß die meisten natürlich ein geringeres Einkommen haben. Für Notstandsarbeiten wird nur in den wenigsten Fällen gesorgt. Oft muß ein Mann 30 Meilen zu Fuß zu seiner Arbeitsstätte gehen, und der Lohn kommt auf etwa 16 Pfennige für den Tag."
Opiumkrieg Wir haben über Indien die englischen Zeugen etwas ausführlich vernommen, weil Indien das Kronjuwel des Empires ist, weil dort die Engländer besonders stolz und empfindlich, besonders hochmütig und stumpfsinnig bis heute sich erwiesen haben. Rascher mögen zwei andere asiatische Schauplätze englischer politischer Moral und englischer politischer Praxis vorübergleiten. Es ist unmöglich, auch nur kurz von der englischen politischen Moraltheologie zu sprechen, nach der "im Blute des englischen Volkes die Sache des Rechts das Lebenselement" ist, ohne Chinas und des englischen Opiumkrieges gedenken, durch den man China einen Gifthandel aufgezwungen hat, gegen den es sich mit allen Mitteln wehrte, und durch den man ihm seine wichtigsten Häfen nach Straßenräuberart entriß und ihm dafür Seele und Leib seines Volkes durch das Gift des Opiums verpestete, das bis dahin durch chinesische Gesetze streng verboten war. England machte die Sache der Opiumschmuggler zu der seinen. Als China 20.000 Kisten des geschmuggelten Giftes beschlagnahmte und vernichtete, erklärte das England, dessen Vergangenheit nach Lord Halifax "nichts gemein hat mit der Unterdrückung der Freiheit und Unabhängigkeit der Völker", im Jahre 1840 den Krieg an China. Über den wahren Kriegsgrund in diesem Fall, wie in hundert anderen Fällen, schrieb der englische Historiker MacCarthy: "Das Prinzip, für das wir im Opiumkrieg kämpften, war, auf eine einfache Form gebracht, das Recht Großbritanniens, einen bestimmten Handel einem bestimmten Volke trotz Widerspruch der betreffenden Regierung und der gesamten öffentlichen Meinung aufzuzwingen." Damals, vor hundert Jahren, gab es, im Gegensatz zur Zeit vor 25 Jahren und zu heute, in England aber noch eine Menge Leute, die imstande waren, sich einer so schmutzigen Sache zu schämen. Es erschien eine Menge von Schriften, die dieser Scham und dem sittlichen Ekel über die Herbeiführung und über die Führung des Opiumkrieges Ausdruck gaben. Die Times - auch anders als heute - schrieb damals: "Was würden wir in Großbritannien sagen, wenn eine Rotte räuberischer Franzosen die Türen unseres Kanzleihofes einschlüge, wenn sie den Lordkanzler in seinen gerichtlichen Amtshandlungen störte und mißhandelte? Und das alles, weil unsere Küstenbewohner ihre Pflicht getan und den Schmuggel verhindert hätten! Es (das englische Vorgehen in und gegen China) wird jeden Europäer und Christen im Tiefsten seiner Seele beschämen." Aber die Leute der Ostindischen Company als Räuber von Beruf, die englische Regierung, ihr durch hunderterlei Verbindlichkeiten verbunden, und die englischen Parlamentarier, auf hunderterlei Weise den unsauberen Interessen der Schwerkapitalisten verpflichtet, schämten sich nicht. Die Macht des jüdischen Kapitalismus, damals in England schon mächtig emporgewachsen, seither so verhängnisvoll ausschlaggebend für englisches Schicksal geworden, wird hier sichtbar und fühlbar. Der jüdische Giftgroßhändler Sassoon taucht auf, dessen jüdische
Vielleicht würden Oxforder Professoren heute wieder imstande sein, zu beteuern, der Opiumkrieg sei notwendig gewesen, weil "britischen Kaufleuten verwehrt worden sei, ihren friedlichen Geschäften in China nachzugehen".
Verrat in Palästina Noch ein asiatischer Schauplatz, auf dem sich gerade in unseren Tagen zeigt, wie in der politischen Praxis Englands zum Ausdruck kommt, daß im englischen Blut "die Sache des Rechts das Lebenselement ist." In den Archiven des Emirs Abdallah, des Sohnes des Sherifen Hussein, in der transjordanischen Hauptstadt Amman liegt der Briefwechsel, welchen Sir Henry MacMahon, der verantwortliche Mann für die britische Politik in Ägypten, im Jahre 1915 im Einverständnis mit dem damaligen Außenminister Sir Edward Grey mit dem Sherifen Hussein führte. In diesem Briefwechsel wird dem Sherif zum Lohn für die Entfesselung eines arabischen Aufstandes gegen die mit Deutschland verbündete Türkei klipp und klar zur Gründung eines großarabischen Reiches das gesamte von den Arabern als ihre natürliche Sphäre angesprochene Gebiet zugesagt, das
Man frage die Araber, was aus dieser englischen politischen Morallehre ihnen für eine Wirklichkeit aus Blut und Qual erwachsen ist. Nein, man frage sie lieber nicht; sie sind Partei.
"... daß es besser sei, wenn England gewinne und sein Wort breche." Politische englische Moral im grellsten englischen Blitzlicht.
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