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Englands politische Moral in Selbstzeugnissen. Friedrich 
Hussong.

Die Ruinen von Kopenhagen

Ehe wir uns weiter umsehen und feststellen, daß auch nach englischem Zeugnis alle Erdteile in Vergangenheit und Gegenwart erfüllt sind von Taten englischer Untreue und Brutalität, nur noch ein Bild aus dem europäischen Bereich. Europa wird nie den mit Grauen gemischten Ekel vergessen, den ihm vor fast anderthalb Jahrhunderten der englische Mordbrennerzug gegen Kopenhagen erregte. Nach englischem Cant erfolgte auch dieser natürlich nur, "um Dänemark zu schützen" und seine Neutralität vor einer Gefährdung durch Napoleon zu bewahren. Man sieht, "Schutz der kleinen Neutralen" war schon damals eine englische Spezialität. Vergegenwärtigt man sich die damaligen Vorgänge, so ist's als erlebte man englische Politik von heute. Jede eigene Niedertracht schiebt England den Dänen in die Schuhe: Sie hätten sich mit Rußland und Frankreich in eine Verschwörung gegen England eingelassen. Der englische Staatssekretär Canning - wem fallen dabei nicht die von England in die Welt gelogenen angeblichen deutschen Mobilmachungen gegen die Tschechei und gegen Polen ein? - erklärt mit eherner Stirn, die englische Regierung wisse authentisch, daß die Herzogtümer Schleswig und Holstein, die nie ein französischer Soldat betrat, "von französischen Truppen besetzt seien". Dennoch erklärte England in seiner Güte, es wolle nur die dänische Flotte "in Verwahrung" nehmen, um sie gegen den Zugriff Napoleons zu schützen. Zur gleichen Stunde, da dem englischen Überfall auf Kopenhagen die beruhigendsten Versicherungen des englischen Gesandten in Kopenhagen über den harmlosen Zweck der englischen Flotte in der Ostsee vorausgingen, trug derselbe Gesandte schon die Instruktionen seiner Regierung in der Tasche, in denen es hieß: "Sie werden sorgfältig beherzigen, daß die Besitznahme der dänischen Flotte der eine und unerläßliche Hauptzweck ist, ohne welchen keine Abmachung als von irgendeinem Werte betrachtet werden kann."

So wurde die barbarische Beschießung und Zerstörung Kopenhagens eingeleitet, das keinen Augenblick lang Miene machte, sich etwa zur Wehr zu setzen; so wurde der nackte Raub der dänischen Flotte tugendhaft "gerechtfertigt". Beides geschah ohne irgendeine Kriegserklärung mitten im Frieden und ohne daß Dänemark auch nur die leiseste england-feindliche Geste gezeigt hätte. "Wir sind aus der Liste der Völker gestrichen", hieß es in einem zeitgenössischen dänischen Bericht, "aber nicht von Napoleon, sondern von den Engländern; das also ist die Großmut, die Englands Söhne üben."

Immerhin gab es Engländer, die sich der Schurkentat schämten und auch in diesem Fall englisches Licht auf die so betätigte englische "politische Moral" warfen. Während der parlamentarischen Adreßdebatten, bei denen die Mehrheit natürlich die Bubentat an Dänemark als ein glorreiches Unternehmen rühmte, reichten doch sechs Lords des Oberhauses einen Protest ein, in dem es hieß, "kein Beweis feindlicher Absicht von seiten Dänemark sei beigebracht worden, um den Angriff auf Kopenhagen zu rechtfertigen, und darum gereiche die Maßregel dem Charakter der Nation zur Unehre und ihren Interessen zum Nachteil." Lord Erskine reichte einen eigenen Protest ein, in dem er voller Empörung erklärte: "Großbritannien hat seine moralische Stellung in der Welt verloren."

Die Zeitschrift Political Review schrieb: "Wenn irgend etwas den Ekel und den Schauder vermehren kann, die wir bei jeder Erwägung dieses Gegenstandes fühlen, so ist es die Sprache der Humanität und des Mitleids, die von unserem Höchstkommandierendem bei dieser Expedition geführt wurde. Diese kränkende Sprache muß noch mehr als die Feindseligkeit die Gefühle der Dänen verwunden und reizen."

William Wyndham, Baron Grenville
William Wyndham, Baron Grenville
[National Politics Web Guide]
William Wyndham, der gewesene Kriegsminister Pitts, erklärte im Unterhaus: "Die Ruinen Kopenhagens sind das Denkmal der Schande der Nation." Und in England selbst war es damals eine sprichwörtliche Redensart: "Ehrlos wie der Zug nach Kopenhagen."

In einer Flugschrift von Manthey aber wurde damals das für englische Politik und für die englische politische Moral aller Zeit Typische des Falles hervorgehoben: "Jetzt, wo der Schleier zerrissen ist, der den Fürsten und Nationen bisher Englands Selbstsucht und Ehrgeiz verbarg, jetzt erwäge man, ob so manche Krone gesunken und so manches blühende Land verheert sein würde, wenn nicht Englands Politik, Englands Gold und Englands geheime Verbrechen das große Gärungsmittel gewesen wären."




 
Indische Tragödie

Das kostbarste Kleinod, sozusagen der Kohinoor im Schatz des englischen Empires ist Indien.
James Mill
James Mill
[Spartacus Educational]
Aber wie ging und geht England mit diesem Kleinod um. Wie behandelte und behandelt es die Völker, die ihm Hüter dieses Kleinodes sein sollen. Auch hier von Anfang an bis heute blutige Schuld des Volkes, "in dessen Blut die Sache des Rechtes das Lebenselement ist". Hören wir die besten englischen Gewährsleute. Sie gestehen England nicht einmal die einfache brutale Tat der Eroberung Indiens zu. James Mill, der selbst Beamter der ostindischen Kompagnie war und die erste Geschichte Indiens schrieb, sagt: "Die beiden wichtigsten Entdeckungen, auf denen die Eroberung Indiens beruht, waren die Schwäche
John Robert Seeley
John Robert Seeley
[Dr. David Worsley, Sir John Robert Seeley and His Intellectual Legacy]
der Eingeborenenheere gegen europäische Disziplin und die Leichtigkeit, diese Disziplin Eingeborenen in europäischen Diensten beizubringen; diese beiden Entdeckungen haben die Franzosen gemacht."

Seeley fügte dem bestätigend hinzu, es sei völlig falsch, zu behaupten, daß die Engländer Indien erobert hätten. Indien sei bezwungen worden durch eine Armee, von der nur ein Fünftel aus Engländern bestand, so daß es richtiger sei, zu sagen, die Indier selbst hätten Indien - für England - erobert.

Lord Robert Clive
Lord Robert Clive
[WebIndia123]
Aber durch welche Mittel haben die Männer, die England heute als nationale Helden feiert, diesen indischen Selbstmord zustande gebracht. Der erste unter diesen Männern, Lord Clive, machte im grauen Elend nach dem Opiumrausch selbst seinem Leben ein Ende. Das Haus der Gemeinen stellte in seinem Urteil über ihn mit 155 gegen 95 Stimmen fest, daß er "während seiner ersten Verwaltung Bengalens 234.000 Pfund an sich brachte". Trotzdem stellte das Urteil auch Clives große Verdienste um das Vaterland fest. Dinge, wie der Fall Omichand, dieser Fall eines landesverräterischen Hindus, den Clive durch eine Urkundenfälschung betrog, und der infolgedessen in Wahnsinn verfiel, erschienen dem Urteil der Gemeinen keines Wortes wert; aber Clive wußte, "daß ein großer Teil seiner Landsleute einen grausamen und perfiden Tyrannen in ihm sah". Und dieser Mann selbst mußte in einem Bericht an das Londoner Direktorium der Ostindischen Kompanie feststellen: "jedes Ressort der Verwaltung ist mit Korruption besudelt. Die Prinzipien der Raubgier und der Unterdrückung sind überall im Schwang. Jeder Funke anständiger Gesinnung und jeder Sinn für öffentliches Interesse ist der schrankenlosen Gier nach unverdientem Reichtum gewichen."

Warren Hastings
Warren Hastings
[WebIndia123]
Grauenhaft unverhüllter noch verkörpert Clives Jünger, Warren Hastings, mit 39 Jahren dessen Nachfolger als Gouverneur von Bengalen und endlich als Generalgouverneur von Ostindien sein größerer Meister, das englische Verbrechen an Indien. Über sechs Jahre dauerte der Prozeß, den von 1788 bis 1795 das Haus der Gemeinen vor dem Hause der Lords gegen ihn führte. Macaulay, der den Mann, dessen Verbrechen so profitabel für England wurden, nach Möglichkeit entschuldigt, kann doch nicht umhin, festzustellen, daß "man sich lächerlich machen würde, wollte man ihn als einen Mann von fleckenloser Tugend hinstellen". Freilich betont Macaulay mit Recht, daß die gesamte zweideutige politische Moral Englands mitschuldig an den Verbrechen von Warren Hastings war, diese Moral mit doppeltem Boden. "...Regieren Sie mit Milde und schicken Sie mehr Geld! Üben Sie strenge Gerechtigkeit und Mäßigung gegen benachbarte Mächte, und schicken Sie mehr Geld! Seien Sie Vater und Verderber des Volkes! Seien Sie gerecht und ungerecht, ein milder Barbar! - Das ist die Summe aller Instruktionen, welche Hastings aus der Heimat zukamen. Die Direktoren der Ostindischen Company behandelten Indien, wie die Kirche in der guten alten Zeit die Ketzer. Die Schlachtopfer wurden dem Henker überliefert, und dieser erhielt die gemessene Weisung, mit der möglichsten Schonung zu verfahren." - Über die britischen Heldentaten in Indien urteilt Macaulay: "...Der Zweck des Krieges mit den Rohillas bestand darin, eine zahlreiche Bevölkerung, die uns nicht die geringste Beleidigung zugefügt hatte, einer guten Regierung zu berauben und wider ihren Willen einer abscheulich schlechten Herrschaft zu unterwerfen;... das herrlichste Volk Indiens wurde einem gierigen, feigen, grausamen Tyrannen unterworfen..." Auch Macaulay ist englischer Engländer genug, um Warren Hastings, "wie man auch über seine Moralität denken mag", für seine finanziellen Erfolge, also für seine blutigen Erpressungen, der "wärmsten Dankbarkeit seines Vaterlandes" wert zu finden, "wenn er nur" - muß er freilich hinzufügen - "durch redliche Mittel dazu gelangt wäre." Der brave Macaulay vergißt dabei nur, daß solche Erfolge "durch redliche Mittel" nicht möglich sind, und daß er, falls er sie dennoch so dankenswert findet, sich auch damit abfinden muß, daß Warren Hastings "Ämter verkaufte und Geschenke annahm, um Verbrecher entkommen zu lassen", daß er im Komplott mit einem bestochenen Richter Unschuldige zum Tode verurteilte, um eigene Schuld zu verhüllen und Schuldige für Geld freisprach, und daß er, zum Zweck der Erpressung, z. B. gegen die Prinzessinnen von Oudh, "ein Verfahren anwandte, von dem wir selbst in dieser Zeit nur mit Scham und Kummer reden können."

Warren Hastings, schreibt J. R. Green, "nahm das Geld, wo er es kriegen konnte. Er verkaufte für eine wüste Summe die Dienste britischer Truppen, um die freien Stämme der Rohillas zu zermalmen. Er erpreßte eine halbe Million vom Rajah von Benares. Durch Folter und Hunger entwand er mehr als eine Million aus den Händen der Prinzessinnen von Oudh. Durch Maßregeln, die kaum weniger gewissenlos waren, hatte er von Anfang an seine Macht erlangt".

Als man auch in dem durch den allgemeinen indischen Raub an seiner Seele verwüsteten England den "großen Verbrechen" der Ostindischen Company unter Hastings' Führung nicht mehr weiter zusehen konnte, ohne die eigene Mitschuld gar zu sichtbar werden zu lassen, zog man den Prozeß gegen Hastings, den größten Staatsprozeß der Geschichte, über sieben Jahre lang hin, um ihn sich totlaufen zu lassen. Endlich sprach man den überführten Verbrecher von den erwiesenen Staatsverbrechen frei, verurteilte ihn allerdings zur Tragung der ungeheuren Kosten. Man konnte die "Freisprechung" nicht besser Lügen strafen. Gegen die interessierte freisprechende Mehrheit der parlamentarischen Richter erhoben allerdings die besten Männer Englands ihre anklagenden Stimmen, und diese Stimmen sind es bis heute und heute erst recht, die ein
Edmund Burke
Edmund Burke
[Web of English History]
unverlöschliches Zeugnis ablegen gegen England und gegen die völlige Unvereinbartheit zwischen Moral und Praxis der englischen Politik. Über alle Zeiten und Verhüllungen weg wird man immer die Stimme des großen Anklägers Edmund Burke hören: "Ich klage Warren Hastings an großer Verbrechen und des gesetzlosen Verhaltens. Ich klage ihn an im Namen des Hauses der Gemeinen, dessen Vertrauen er verraten hat. Ich klage ihn an im Namen des englischen Volkes, dessen Ehre er befleckt hat. Ich klage ihn an im Namen Indiens, dessen Rechte er mit Füßen trat und dessen Land er in eine Wüste verwandelte. Zuletzt klage ich ihn an im Namen der menschlichen Natur selbst; im Namen beider Geschlechter, im Namen jedes Alters, im Namen jedes Standes klage ich den gemeinsamen Feind und Unterdrücker an."

Eine furchtbare Anklage nicht etwa nur gegen den auch von Macaulay mehr entschuldigten als angeklagten "großen Verbrecher". Es ist der Geist des ganzen englischen Systems, aus
Sir Josiah Child
Sir Josiah Child
[Fotoarchiv Scriptorium]
dem diese Verbrechen mit Notwendigkeit sich ergeben, des Systems der "besonderen Verwaltungskosten" der Ostindischen Company zu ungenannten, doch wohlbekannten Zwecken der Bestechung jeder Art und jeden Grades, von niemandem meisterhafter und schamloser gehandhabt als etwa von dem maßgebenden Mann der Company, Sir Josiah Child. "Zur Zeit der Restauration", schreibt Macaulay, "stand er in hohem Ansehen. Seine Spekulationen waren nicht immer solide... Bald waren viele der wichtigsten Stellen mit seinen Verwandten und Kreaturen besetzt..." Er bestach die Kleineren und "beschenkte" die Großen. König Karl II. nahm Geld von ihm und König Jacob II., später König Wilhelm III. und der Herzog von Leeds. Wer nicht? Jedenfalls "alle, die bei Hofe nützen oder schaden konnten, Minister, Maitressen, Priester" - das ist patriotisches englisches Zeugnis - "wurden durch Geschenke von Shawls und Seidenstoffen, Vogelnestern und Rosenöl, Diamanten und Säcken mit Guineen bei guter Laune erhalten. Von dem, was Child gab, forderten seine Amtsgenossen in der Ostindischen Company keine Rechenschaft. Seine mit kluger Freigebigkeit verteilten Bestechungen trugen reiche Zinsen. Gerade als der Hof allmächtig im Staate wurde, wurde Child allmächtig am Hofe... Der Unterschleif und die Käuflichkeit, wodurch die Beamten jener Zeit sich zu bereichern pflegten, hatten eine Stimmung in den Gemütern erzeugt, die sich früher oder später mit Notwendigkeit durch irgendeinen schrecklichen Ausbruch Luft machen mußten."

So Macaulay, bei dem doch immer wieder die echt englische Tendenz fühlbar wird, das
Henry Dundas
Henry Dundas
[Clan Dundas]
Geschehene zu entschuldigen um des Erfolges willen. Andere englische Urteiler machen bei ihrer Feststellung der englischen Schuld an Indien weniger Vorbehalt. Es war ein guter Engländer, Henry Dundas, damals Schatzmeister der Marine, später als Viscount Melville Erster Lord der Admiralität, der schon jahrelang vor dem Prozeß gegen Warren Hastings im Unterhaus mit den Schöpfern und Beherrschern des englischen Imperiums in Indien ins Gericht ging, "weil sie die Nation um Eroberungen in Kriege stürzten, weil sie eingegangene Verträge verachteten und verletzten, weil sie das Volk von Indien plünderten und unterdrückten, weil sie Verbrechen nur tadelten, wenn sie keinen Profit brachten".

Richard Price
Richard Price
[Spartacus Educational]
Es war ein guter Engländer, Richard Price, der schrieb: "Wendet eure Augen nach Indien! Dort haben Engländer, bewogen durch Lust am Plündern und den Geist der Eroberung, ganze Königreiche entvölkert und Millionen unschuldiger Menschen durch die schändlichste Unterdrückung und Raubsucht ruiniert. Die Gerechtigkeit der Nation hat geschlafen über diesen Ungeheuerlichkeiten." Die Gerechtigkeit derselben Nation, von welcher sechs Oxforder Professoren uns schwören, daß "in ihrem Blute die Sache des Rechts das Lebenselement ist". Die Gerechtigkeit des Volkes, von dessen Vergangenheit ein Lord Halifax ohne Stocken der Welt versichert, sie habe "nichts gemein mit der Unterdrückung der Freiheit und Unabhängigkeit der Völker".

William Jennings Bryan
William Jennings Bryan
[Prints and Photographs Division, Library of Congress]
Es war der amerikanische Vetter W. J. Bryan, der in seiner Geschichte der englischen Herrschaft in Indien schrieb: "Während der Engländer sich gerühmt hat, den Lebenden den Frieden zu bringen, hat er Millionen zum Frieden des Grabes geführt; er hat das Land durch legalisierte Plünderung ausgesogen. Wie lange wird es dauern, bis das Gewissen des englischen Volkes das Flehen verstehen wird, das von dem gefesselten Indien aufsteht?"

Der von Macaulay bei der Korruption der Tyrannen Indiens als unausweichlich vorausgesagte "Ausbruch" erfolgte in dem durch den stumpfsinnigen englischen Hochmut veranlaßten Sepoy-Aufstand von 1857 bis 1859. Wieder belegen englische Zeugnisse die Art, wie England mit dieser selbstverschuldeten Katastrophe in Indien "fertig wurde". Wieder die englische politische Moral in englischem Lichte.

Kaye in seiner Geschichte des Sepoy-Aufstandes schreibt: "Soldaten und Zivilisten hielten Blutgerichte ab oder erschlugen die Eingeborenen auch ohne jedes Verfahren und ohne Rücksichten auf Alter und Geschlecht. Es liegen beim Parlament in Gestalt von Berichten des Generalgouvernements Darstellungen des Geschehenen vor, wonach die Bejahrten, wonach Frauen und Kinder ebenso hingemordet wurden wie die des Aufruhrs Schuldigen. Man hängte sie nicht etwa, man verbrannte sie einfach in den Dörfern. Engländer rühmten sich ungescheut, daß sie 'niemanden geschont' hätten und daß das Lospfeffern auf die Farbigen einen sehr angenehmen Zeitvertreib gebildet habe."

Und all das wegen eines Aufstandes, über dessen Entstehung der britische Oberst Malleson bekennt: "Die Sepoys wurden dafür bestraft, daß sie sich weigerten, einen Vertrag zu erfüllen, den die Regierung gebrochen hatte... Von dem Versuch, das stumme Wachstum von Jahrtausenden außer Acht zu lassen und abendländische Ideen einem morgenländischen Volke aufzuzwingen, dabei Vorurteile außer Acht zu lassen und Verpflichtungen mit Füßen zu treten, war die Meuterei die allzu sichere Folge."

Von der Art der "Bestrafung" der aufständischen Sepoys gibt uns eine Schilderung des Historikers W. H. Fitchett einen Begriff, der erzählt: "An einigen gefangenen Sepoys ließ dann Oberst Havelock zur Abschreckung eine exemplarische Strafe vollziehen. Sie wurden vor eine Kanone gebunden und in die Luft 'geblasen'. Der dazu kommandierte Artillerieleutnant Maude beschreibt den Vorgang selbst: 'Als wir Halt machten, ließ ich zwei meiner Kanonen auf der Straße abprotzen. Ein Gefangener, ein junger Sepoy mit gutgeschnittenem Gesicht, bat mich, ihn nicht an die Kanone anzubinden, doch ich mußte ihm die Bitte abschlagen. Ich band ihn nur leicht an dem oberen Teil der Räder an, dann richtete ich die Mündung der Kanone in die Höhe seiner Brust. Wir luden die Kanone nur mit einer Kartusche. Der Mann beobachtete alles ohne irgendwelche Zeichen des Schreckens. Ich kommandierte 'Feuer!'; eine dichte Pulverwolke erhob sich; als sie sich verzogen hatte, sahen wir menschliche Gliedmaßen vor dem Geschütz liegen; nach wenigen Sekunden fiel der Kopf des Gerichteten, der bei dem Abschuß in die Höhe geschleudert war, völlig schwarz, aber nicht entstellt, aus der Luft herab.'"

Ein anderer englischer Gewährsmann, Edward Thompson, schreibt über diese Art Justiz: "Die Hinrichtungen von Eingeborenen geschahen ganz summarisch und wahllos, 42 Mann wurden längs der Straße aufgehängt. Eine Gruppe von Männern wurde hingerichtet, weil sie, als man ihnen unterwegs begegnete, das Gesicht abgewandt hatten."

Sir William Joynson Hicks
Sir William Joynson Hicks
[Spartacus Educational]
All das aus "politischer Moral", wie der englische Cant, die Oxforder Professoren und Lord Halifax sagen? Oder, wie im Jahre 1925 der englische Innenminister Sir W. Joynson Hicks im Unterhaus feststellte, aus Krämergier? "Wir haben Indien nicht um der Indier willen erobert", sagte Hicks; "ich weiß, daß auf Missionsversammlungen gesagt wird, wir hätten das Land erobert, um die Kultur der Inder zu heben. Das ist aber eine unbewußte(?) Heuchelei. Wir haben Indien erobert, um uns Absatz für unsere Waren zu sichern."

Aber vor Herrn Hicks hatte Gladstone behauptet, daß gerade und nur das, was dieser Hicks als Geschwätz für Missionsgesellschaften so lächerlich machte, das einzige Recht Englands auf Indien ausmache. "Unser Recht, in Indien zu sein", sagte er, "hat zwei Voraussetzungen; die erste, daß wir dort für die Völker Indiens von Nutzen sind; die zweite, daß wir diese Völker zu der Einsicht bringen, unsere Herrschaft sei für sie vorteilhaft."

Man lese die Protokolle über die Prozesse gegen den Mahatma Gandhi oder den Pandit Nehru, - dann wird man die Antwort auf die Frage haben, wie England diese von einem Gladstone aufgestellten sittlichen Forderungen erfüllt hat. Man wird dieselbe Antwort erhalten, wenn man die Verhandlungen des indischen Nationalkongresses verfolgt, der sich beharrlich weigert, noch einmal gegen noch so schöne englische Versprechungen Indiens Hilfsquellen an Gut und Blut für einen Krieg um die englischen Weltherrschaftsziele zur Verfügung zu stellen.

Es wäre ja nicht zum erstenmal, daß England nur verspricht, um sein Versprechen zu brechen. Als 1857 die Königin Viktoria und ihre Regierung, um aus der Krisis des Sepoy-Aufstandes sich herauszuwinden, den Indern klipp und klar das Selbstbestimmungsrecht versprochen hatten, als die Königin in feierlicher Proklamation zugesagt hatte, die Eingeborenen sollten frei und unparteiisch zu den Ämtern zugelassen werden, da erklärte der damalige Vizekönig in Indien, Lord Lytten, in einem streng vertraulichen, dennoch in die Öffentlichkeit gelangten Bericht ebenso klipp und klar: "Wir alle wissen, daß diese Versprechungen, diese Erwartungen und Ansprüche niemals erfüllt werden können oder sollen; wir hatten zu wählen, ob wir die Inder offen von den Ämtern ausschließen oder sie betrügen wollten, und wir haben diesen weniger ehrlichen Weg gewählt."

So 1857. Dennoch haben beim Ausbruch des Weltkrieges die Inder abermals sich durch dieselben englischen Versprechungen betrügen lassen. Als der Krieg aus war, der Mohr seine Schuldigkeit getan hatte, erfolgten statt der versprochenen Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes die Prozesse gegen "Jung-Indien" und das Blutbad vom Amritsar, bei dem der General Dyer, um die Stimmen der Erinnerung an die britischen Versprechungen stumm zu machen, am 11. April 1920 500 Inder erschießen und dreimal so viel niederschießen ließ, wozu der stellvertretende Gouverneur in Pundschab, Sir Michael O'Dwyer telegraphisch seinen vollen Beifall aussprach: "Ihr Vorgehen korrekt. Stellvertretender Gouverneur billigt es."

Der schießfreudige General Dyer hatte übrigens die Frage, ob es nicht möglich gewesen wäre, die Menschen in Amritsar ohne Blutvergießen auseinander zu bringen, unumwunden bejaht; aber "sie würden wieder zusammengekommen sein". - Die Zeitschrift New Statesman schrieb dazu: "Das Blutbad von Amritsar ist nur eine Folge der Art, wie England in Indien regiert. Wenn General Dyer nicht dagewesen wäre und geschossen hätte, hätte es ein anderer getan. Die Wahrheit ist, daß wir Indien mit dem Schwert niederhalten und durch Furcht beherrschen. Es gibt keinen anderen Weg, ein Volk von 350 Millionen Menschen durch eine Handvoll Fremder zu regieren. In Indien wächst die Gefahr, zur Anwendung des Säbels gezwungen zu werden, mit jedem Tag, um den der Beginn der Selbstregierung hinausgeschoben wird."

Aus welchem moralischen Milieu diese indische Schießpolitik Englands aufwucherte, darüber sagt Macaulay, der doch die Schaffung des indischen Imperiums trotz der damit verbundenen Verbrechen Englands und seiner Vertreter als Großtat englischer Geschichte pries: "Die Tätigkeit der Company-Beamten bestand einfach darin, so rasch als möglich ein paar hunderttausend Pfund Sterling aus der Eingeborenen-Bevölkerung herauszupressen, um, in die Heimat zurückgekehrt, die Tochter eines Edelmanns heiraten und Tanzbelustigungen in St. James-Square geben zu können."

Der imperialistische Historiker der "Ausdehnung Englands", sozusagen der wissenschaftliche Vollender der Legende von Empire, Seeley, muß dennoch bekennen: "Unser indisches Reich ist von Anfang bis zu Ende aus dem Geiste des Geschäfts emporgewachsen... Im Eifer unserer Habsucht brauchten wir Gewalt, ließen unsere Heere auf die Eingeborenen los, brachen ihre Zollhäuser nieder und überfluteten dagegen ihre Gebiete mit unseren Waren... In der folgenden Periode... ist es unleugbar, daß wir angestachelt waren durch nackte Raubsucht."



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