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[170-172=Trennblätter] [173]
Das Jahr 1939

Das Jahr 1939 begann wiederum mit unerfreulichen diplomatischen Auseinandersetzungen über empörende Entgleisungen der britischen Presse.


 75. 
Bericht des deutschen Botschafters in London vom 5. Januar 1939

Ich habe den angeordneten Schritt erst heute ausgeführt, um den bisher auf Weihnachtsurlaub abwesenden Lord Halifax persönlich sprechen zu können. Ich habe schärfste Verwahrung gegen die in dem Aufsatz von Wells im News Chronicle ausgesprochenen schweren Beleidigungen des Führers und leitender Staatsmänner Deutschlands eingelegt und darauf hingewiesen, daß die Botschaft in den letzten Monaten leider in immer größerem Umfange derartige Beschwerden wegen Verunglimpfungen des Führers hätte vorbringen müssen; ich führte Lord Halifax diese Beschwerden und ihren Anlaß vor Augen, indem ich die einzelnen Fälle zitierte. Die schwerste Beschimpfung aber enthalte der Neujahrsaufsatz von Wells im News Chronicle, der weniger von der Absicht einer Kritik auszugehen schiene, die Beleidigungen nicht scheue, als lediglich zu dem Zweck geschrieben schiene, eine Häufung von schweren Kränkungen auf den Führer und Reichskanzler und auf dessen nächste Mitarbeiter auszusprechen.

Es sei mir bekannt, daß die Englische Regierung die Möglichkeiten einer unmittelbaren Einflußnahme auf die Presse als nicht gegeben ablehne und daß sie auch auf den Mangel an gesetzlichen Handhaben hinweise. Ich hätte auch gesehen, daß die beiden Aufsätze von Wells nicht einmal vor einer herabsetzenden Kritik des englischen Königspaares haltmachten und daß sie Chamberlain schwer beleidigten.

Diese Tatsachen aber könnten nichts an der Feststellung ändern, daß die zahlreichen Schmähungen des deutschen Staatsoberhauptes und die Unmöglichkeit einer entsprechenden Genugtuung das deutsche Volksempfinden schwer verletzten und nachteilige Folgen auf die englisch-deutschen Beziehungen haben müßten. Ich wollte daher erneut die Frage zur Erörterung stellen, ob nicht wenigstens für die Zukunft in irgendeiner Form Abhilfe geschaffen werden könnte.

Lord Halifax erwiderte, daß er nicht anstehe, den genannten Artikel, der ihm bekannt sei, als die empörendste Schmähung des Führers zu kennzeichnen, die er bisher in der Presse gelesen habe. Er [174] wolle mir daher auch sein uneingeschränktes Bedauern über diese Beleidigung des Führers aussprechen und bäte mich, dieses Bedauern der Deutschen Regierung zum Ausdruck zu bringen. Es sei höchst bedauerlich, daß in den letzten Monaten wieder zahlreiche Entgleisungen zu verzeichnen gewesen seien; eine Erklärung, wenn auch keine Entschuldigung dafür, sei in der Tatsache zu suchen, daß derartige Schmähartikel, wie z. B. auch der vorliegende, vorwiegend aus innerpolitischen Gründen geschrieben seien, um die Englische Regierung zu treffen. Auch die allgemeinpolitische gereizte Stimmung, die jetzt vorherrsche, sei in Betracht zu ziehen.

Ich erwiderte Lord Halifax, daß der bisherige Zustand nicht so fortdauern könne. Ich müsse ernstlich ersuchen, auf irgendeine Weise eine Besserung herbeizuführen, um unerfreuliche politische Folgerungen zu vermeiden.

Lord Halifax stellte in Aussicht, daß er sein möglichstes im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Einflußmöglichkeiten tun wolle, um in Zukunft solche Beschimpfungen des Führers zu unterbinden.

Dirksen
(Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Nr. 233.)

Am 18. Januar 1939 machte die Reichsregierung der britischen Regierung die Mitteilung, daß Deutschland seine U-Boot-Tonnage bis zur Parität mit der der Mitglieder des britischen Reiches ausbauen sowie die Bestückung der beiden im Bau befindlichen 10 000-t-Kreuzer ändern und damit von der Gleitklausel Gebrauch machen werde. Diese Mitteilung hielt sich vollkommen im Rahmen der Deutschland durch die Flottenverträge gewährten Rechte. Die Reichstagsrede des Führers vom 30. Januar 1939 enthielt wiederum - wie in fast allen Jahren - in ausdrücklichen Worten den Wunsch, zu freundschaftlichen Beziehungen mit England zu gelangen.


 76. 
Aus der Reichstagsrede des Führers vom 30. Januar 1939

Deutschland hat gegen England und Frankreich keine territorialen Forderungen außer der nach Wiedergabe unserer Kolonien. So sehr eine Lösung dieser Frage zur Beruhigung der Welt beitragen würde, so wenig handelt es sich dabei um Probleme, die allein eine kriegerische Auseinandersetzung bedingen könnten.

Wenn überhaupt heute in Europa Spannungen bestehen, so ist dies in erster Linie dem unverantwortlichen Treiben einer gewissenlosen Presse zuzuschreiben, die kaum einen Tag vergehen läßt, ohne durch ebenso dumme wie verlogene Alarmnachrichten die Menschheit in Unruhe zu versetzen.

Was sich hier verschiedene Organe an Weltbrunnenvergiftung erlauben, kann nur als kriminelles Verbrechen gewertet werden. In letzter Zeit wird versucht, auch den Rundfunk in den Dienst dieser internationalen Hetze zu stellen.

[175] Ich möchte hier eine Warnung aussprechen: Wenn die Rundfunksendungen aus gewissen Ländern nach Deutschland nicht aufhören, werden wir sie demnächst beantworten.

Hoffentlich kommen dann nicht die Staatsmänner in kurzer Zeit mit dem dringenden Wunsch, zum normalen Zustand wieder zurückzukehren. Denn ich glaube nach wie vor, daß unsere Aufklärung wirksamer sein wird als die Lügenkampagne dieser jüdischen Völkerverhetzer.

Auch die Ankündigung amerikanischer Filmgesellschaften, antinazistische, das heißt antideutsche Filme zu drehen, kann uns höchstens bewegen, in unserer deutschen Produktion in Zukunft antisemitische Filme herstellen zu lassen. Auch hier soll man sich nicht über die Wirkung täuschen. Es wird sehr viele Staaten und Völker geben, die für eine so zusätzliche Belehrung auf einem so wichtigen Gebiet großes Verständnis besitzen werden!

Wir glauben, daß, wenn es gelänge, der jüdisch-internationalen Presse- und Propagandahetze Einhalt zu gebieten, die Verständigung unter den Völkern sehr schnell hergestellt sein würde.

Nur diese Elemente hoffen unentwegt auf einen Krieg. Ich aber glaube an einen langen Frieden!

Denn welche Interessengegensätze bestehen z. B. zwischen England und Deutschland? Ich habe mehr als oft genug erklärt, daß es keinen Deutschen und vor allem keinen Nationalsozialisten gibt, der auch nur in Gedanken die Absicht besäße, dem englischen Weltreich Schwierigkeiten bereiten zu wollen.

Und wir vernehmen auch aus England Stimmen vernünftig und ruhig denkender Menschen, die die gleiche Einstellung Deutschland gegenüber zum Ausdruck bringen. Es würde ein Glück sein für die ganze Welt, wenn die beiden Völker zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gelangen könnten.

(Verhandlungen des Reichstags, Bd. 460, S. 19.)

Am 3. Februar gab der britische Außenminister Lord Halifax dem Wunsche nach einer Vertiefung der Handelsbeziehungen zum Deutschen Reich Ausdruck. Der Handelsminister Oliver Stanley gab am 7. Februar im Unterhaus Mitteilung von Verhandlungen zwischen deutschen und englischen Industriegruppen. Am 18. Februar weilte Reichsorganisationsleiter Dr. Ley anläßlich der Arbeitstagung des "internationalen Beratungsausschusses" und des internationalen Zentralverbandes "Freude und Arbeit" in London und wurde von Premierminister Chamberlain empfangen.

Zwischen den Vertretern der deutschen und englischen Kohlenindustrie wurden am 21. Februar die Verhandlungen mit positivem Ergebnis abgeschlossen. Am gleichen Tage äußerte sich Premierminister Chamberlain im Unterhaus über die Aussichten einer Friedenskonferenz und fand dabei bemerkenswerte Worte über das in England herrschende übertriebene Mißtrauen und die Leichtgläubigkeit im Hinblick auf die Angriffsabsichten anderer.


[176]
 77. 
Aus der Unterhauserklärung des britischen Premierministers Chamberlain vom 21. Februar 1939

Der Premierminister: Wenn ich glauben könnte, daß eine solche Friedenskonferenz gegenwärtig ein positives Ergebnis zeitigen könnte, würde ich nicht zögern, sie einzuberufen. Aber eine gescheiterte Konferenz wäre schlechter als gar keine. Ich glaube, wir müssen, bevor wir mit dem Erfolg einer solchen Konferenz rechnen können, sicher sein, daß die Teilnehmer einen guten Willen und die Entschlossenheit mitbringen, zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen. Ich glaube nicht, daß bisher genügend Vertrauen geherrscht hat, um die Konferenz schon heute als einen praktischen Vorschlag erscheinen zu lassen.

Mr. Maxton: Der Premierminister sagte, daß sich die Einberufung einer Konferenz nicht lohnt, wenn unter den Teilnehmern nicht ein Geist des guten Willens herrsche. Aber waren diese Vorbedingungen denn gegeben, als der Premierminister nach Berchtesgaden, Godesberg und München fuhr?

Der Premierminister: Ja, ich glaube, daß die Teilnehmer der Konferenz von München mit der Absicht dorthin gingen, die Konferenz zu einem Erfolg zu führen. Doch das war ein Einzelfall. Wenn ich genau so vertrauensvoll in bezug auf den befriedigenden Abschluß einer Abrüstungskonferenz sein könnte, würde ich der erste sein, der sie befürwortet. Aber ich glaube, wir müssen, bevor die Zeit für eine solche Konferenz gekommen ist, in bezug auf das Vertrauen noch etwas größere Fortschritte machen.

Vielleicht würde es gar nicht so schlecht sein, wenn wir selbst etwas mehr Vertrauen zeigen und nicht jede Nachricht glauben würden, die uns über die Angriffsabsichten anderer erreicht. Ich bin nicht sicher, ob die ehrenwerten Mitglieder sich darüber klar sind, wie diese Haltung des Mißtrauens anderswo ihre Parallele findet.

(E: Parliamentary Debates. House of Commons. Bd. 344, Sp. 233f. - D: Monatshefte für Auswärtige Politik, 1939, S. 283.)

Alle diese bescheidenen Ansätze einer deutsch-englischen Zusammenarbeit, die sich trotz der Rüstungsdebatten der letzten Monate angebahnt hatten, fanden jedoch mit den Ereignissen des März 1939 radikal ein Ende. Ein Mitglied der tschechischen Gesandtschaft in London hatte noch am 12. März 1939 über die Politik Chamberlains Worte gefunden, die im Hinblick auf die folgenden Ereignisse und auf die Reaktion Englands auf die Eingliederung des Protektorats besondere Beachtung verdienen.


 78. 
Aus dem Bericht des tschechischen Vertrauensmannes in London, Prof. F. Dvornik, vom 12. März 1939

Wir haben schon früher auf die Taktik Chamberlains aufmerksam gemacht, Hitler ständig irgendwelche Knüppel unter die Füße zu werfen, über welche er auf seinem Wege zu seinen Zielen stolpern würde, [177] ihn nervös zu machen und ihn abzurackern durch unaufhörliche Schwierigkeiten und Komplikationen. Nur daß sich dieses Interesse Englands und Chamberlains - leider - nicht völlig mit dem unsern deckt. Es ist nämlich möglich, daß Hitler den Knüppel, über welchen er stolperte, im Zorn völlig zerhackte, so daß niemals mehr jemand mit ihm ein solches Spiel aufführen könnte.

Die Engländer würden keinen Fuß rühren, daß dieser Knüppel, der eine Weile in der englischen Politik eine untergeordnete Rolle gespielt hat, aus Hitlers Händen gerissen und vor dem Zerhacken bewahrt würde. Ich denke, daß der Sinn dieses "Gleichnisses" klar ist und keiner langen Erläuterung bedarf.

(Aus den Akten des tschechoslowakischen Außenministeriums.)

Die letzte Phase der deutsch-englischen Beziehungen steht im Zeichen der völlig unvernünftigen und unbegründeten Reaktion Englands auf die deutschen Schritte, die zur Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren führten. Auf dem Hintergrunde einer hemmungslosen Agitation und einer wilden und verantwortungslosen Aufpeitschung der öffentlichen Meinung in England ließ sich die britische Regierung zu jenem verhängnisvollen Schritte hinreißen, der dann den Ablauf der Ereignisse zwangsläufig bis zum bitteren Ende vorherbestimmte: zu der Erteilung eines Beistandsversprechens, das von der polnischen Regierung als eine Blankovollmacht aufgefaßt werden mußte und aufgefaßt wurde.


 79. 
Bericht des deutschen Botschafters in London vom 18. März 1939

Bei meinem heutigen Protest gegen Beschimpfung des Führers durch den Abgeordneten Duff Cooper habe ich Lord Halifax gegenüber folgendes ausgeführt:

Ich hätte wiederholt über schwere Verunglimpfungen des Führers Klage führen müssen; diese Beleidigungen seien in der Presse ausgesprochen gewesen, und man habe mir daraufhin geantwortet, daß die Britische Regierung diese Ausfälle zwar bedauert und in Aussicht gestellt habe, ihren Einfluß auf die Presse geltend machen zu wollen; da dieser Einfluß aber beschränkt sei und die gesetzlichen Handhaben zum Vorgehen gegen die Presseorgane fehlten, sei eine wirksame Abstellung nicht möglich. Ich wolle daher auf verschiedene schwere Beleidigungen des Führers, die in den letzten Tagen in der Presse wiedergegeben seien, nur hinweisen.

Bei Duff Cooper aber liege dieser Fall anders. Hier habe ein englischer Abgeordneter in einer Sitzung des Unterhauses den Führer in gemeinster Weise beschimpft, ohne daß der Speaker eingeschritten sei und ohne daß ein Mitglied der Regierung diese Sprache zurückgewiesen hätte. Es sei mir bekannt, daß das Unterhaus keine Geschäftsordnung wie andere Parlamente habe, sondern nach Gewohnheitsrecht geleitet werde. Ich müsse aber darauf hinweisen, daß laut einer Zei- [178] tungsnotiz das bekannte staatsrechtliche Werk von Erskine May es als üblich bezeichne, daß abfällige Bemerkungen über fremde Staatsoberhäupter nicht ausgesprochen werden sollten.

Lord Halifax erwiderte hierauf, was den Abgeordneten Cooper angehe, so sei dieser vom Führer ebenfalls angegriffen und als Kriegstreiber bezeichnet worden. Es sei daher wohl verständlich, daß eine Reaktion seitens des Angegriffenen erfolge. Für die Mitglieder der Regierung sei es nach den geltenden Gepflogenheiten nicht möglich gewesen, einzugreifen und derartige Angriffe zurückzuweisen; der Speaker sei autonom in seinen Befugnissen und könne keine Weisungen hinsichtlich seiner Geschäftsführung erhalten.

Ich fragte hierauf Halifax, ob die Britische Regierung jetzt auf dem Standpunkt stehe, daß fremde Staatsoberhäupter gewissermaßen vogelfrei seien.

Der Außenminister erwiderte, das habe er damit nicht sagen wollen.

Ich wies Lord Halifax darauf hin, daß eine Gleichstellung des Führers mit Duff Cooper wegen ihrer durchaus verschiedenen Stellungen nicht möglich sei. Außerdem habe der Führer Duff Cooper niemals beschimpft, sondern ihm nur den zutreffenden Vorwurf gemacht, daß die von Cooper befolgte Politik zum Kriege führen müsse. Da Cooper das Kabinett mit der Begründung verlassen habe, daß er die friedenserhaltende Politik Chamberlains nicht mitmachen könne, so hätten die Angriffe des Führers nur eine Darstellung eines vorhandenen Tatbestandes enthalten.

Ich gab meinem Befremden darüber Ausdruck, daß Lord Halifax nicht in der Lage sei, mir eine befriedigende Erklärung abzugeben; gerade England könne sich über unsere Haltung gegenüber der Hereinziehung des Staatsoberhauptes in die Tagespresse nicht beklagen. Dies ergebe sich aus der Diskretion unserer Presse während der Abdankung des früheren Königs. Nicht einmal die leitenden Staatsmänner der jetzigen oder einer vorherigen Regierung seien von amtlichen Persönlichkeiten angegriffen oder gar beschimpft worden.

Lord Halifax mußte dies zugeben. Er erklärte, daß er dem Premierminister Bericht erstatten werde.

Ich erwiderte, daß ich meiner Regierung ebenfalls einen Bericht über den Verlauf der Unterredung erstatten würde.

von Dirksen
(Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Nr. 247.)


 80. 
Rede des britischen Premierministers Chamberlain
in Birmingham vom 17. März 1939

Eines ist gewiß. Die öffentliche Meinung der Welt hat einen stärkeren Schock erfahren, als ihr bis jetzt, selbst durch das gegenwärtige Regime in Deutschland, jemals zugefügt worden ist. Welches die endgültigen Auswirkungen dieser tiefgehenden Beunruhigung auf [179] die Gemüter der Menschen sein werden, ist noch nicht abzusehen; eines aber ist sicher, daß nämlich diese Beunruhigung weitreichende Folgen für die Zukunft haben wird. Am vergangenen Mittwoch fand darüber eine Debatte im Unterhause statt, und zwar an dem gleichen Tage, an dem die deutschen Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten, und wir alle, ganz besonders aber die Regierung, waren im Nachteil, weil die uns zur Verfügung stehenden Nachrichten nur teilweiser und zum erheblichen Teil nichtamtlicher Art waren. Wir hatten keine Zeit, diese Nachrichten zu prüfen, noch viel weniger aber, uns darüber eine wohlerwogene Meinung zu bilden. Daraus ergab sich zwangsläufig, daß ich, im Namen der Regierung sprechend, angesichts der Verantwortung, die mit dieser Stellung verbunden ist, mich gezwungen sah, mich auf eine stark zurückhaltende und vorsichtige Darlegung dessen zu beschränken, über das ich seinerzeit, wie ich glaubte, nur geringe Erläuterungen abgeben konnte; und vielleicht war es auch ganz natürlich, daß diese etwas kühle und sachliche Erklärung Grund zu einem Mißverständnis gab, und daß einige Leute glaubten, daß meine Kollegen und ich, weil ich ruhig sprach und meinen Gefühlen nur beschränkten Ausdruck gab, uns von der Angelegenheit nicht stark beeindruckt fühlen. Ich hoffe, diesen Irrtum heute abend berichtigen zu können.

Zunächst möchte ich aber etwas zu dem Argument sagen, das sich aus diesen Ereignissen heraus entwickelt hat, in dieser Debatte benutzt wurde und seither in verschiedenen Organen der Presse erschienen ist. Es ist behauptet worden, daß diese Besetzung der Tschechoslowakei die unmittelbare Folge des Besuches gewesen sei, den ich im vergangenen Herbst Deutschland abstattete, und daß, da die Ergebnisse dieser Ereignisse in der Zerreißung der in München erreichten Verständigung bestanden hätten, damit bewiesen sei, daß die ganzen Umstände, unter denen diese Besuche erfolgt seien, irrig gewesen seien. Es wird behauptet, daß, weil es sich um eine persönliche Politik des Premierministers gehandelt habe, ihn die Schuld an dem Schicksal der Tschechoslowakei treffen müsse. Das ist eine gänzlich unvertretbare Schlußfolgerung. Die Tatsachen, wie sie sich heute darstellen, können an dem Zustand der Tatsachen, wie er im vergangenen September bestand, nichts ändern. Wenn ich damals recht hatte, so habe ich heute auch noch recht. Dann gibt es einige Leute, die erklären: "Wir waren der Ansicht, daß Sie im September unrecht hatten, und nunmehr ist festgestellt, daß wir recht hatten."

Lassen Sie mich das einmal überprüfen. Als ich mich entschloß, mich nach Deutschland zu begeben, erwartete ich niemals, der Kritik zu entgehen. Ich ging bestimmt nicht nach Deutschland, um Popularität zu erhaschen. Ich begab mich in erster Linie und vornehmlich aus dem Grunde nach Deutschland, weil mir dieser Schritt, angesichts der fast verzweifelten Lage, als die einzige Möglichkeit erschien, einen europäischen Krieg zu vermeiden. Und ich darf Sie daran erinnern, daß sich, als zum ersten Male angekündigt wurde, daß ich im Begriff stünde, abzureisen, nicht eine einzige Stimme der Kritik erhob. Alle [180] zollten diesem Bestreben Beifall. Erst später, als es sich herausstellte, daß die Ergebnisse der endgültigen Verständigung hinter den Erwartungen einiger Leute, die die Tatsachen nicht voll würdigten, zurückblieben, erst dann begannen die Angriffe, und selbst dann war es nicht der Besuch, sondern waren es die Verständigungsbedingungen, die gemißbilligt wurden.

Nun, ich habe niemals bestritten, daß die Bedingungen, die ich in München zu erreichen in der Lage war, nicht denjenigen entsprachen, die mir selbst willkommen gewesen sein würden. Aber ich hatte mich, wie ich damals erklärte, mit keinem neuen Problem zu befassen. Es handelte sich um etwas, was seit dem Frieden von Versailles immer bestanden hatte, um ein Problem, das schon längst hätte gelöst werden müssen, wenn nur die Staatsmänner der letzten zwanzig Jahre eine großzügigere und aufgeklärtere Auffassung von ihrer Pflicht gehabt hätten. Dieses Problem hatte sich wie eine lange vernachlässigte Krankheit entwickelt, und ein operativer Eingriff erwies sich als notwendig, um das Leben des Patienten zu retten.

Jedenfalls wurde der erste und unmittelbarste Zweck meines Besuches erreicht. Der Frieden Europas war gerettet; und wenn diese Besuche nicht stattgefunden hätten, so würden heute Hunderttausende von Familien um die Blüte der besten jungen Männer Europas trauern. Ich möchte noch einmal meinen tiefempfundenen Dank allen jenen Berichterstattern abstatten, die aus allen Teilen der Welt an mich geschrieben haben, um ihrer Dankbarkeit und ihrer Anerkennung für das, was ich damals tat und was ich seither versucht habe zu tun, Ausdruck zu geben.

Ich habe wirklich keinen Grund, für meine im vergangenen Herbst Deutschland abgestatteten Besuche Entschuldigungen vorzubringen. Denn welche Wahl hatten wir? Nichts von dem, was wir hätten unternehmen können, nichts von dem, was Frankreich oder Rußland hätten unternehmen können, wäre dazu angetan gewesen, die Tschechoslowakei vor einem Einmarsch und vor der Vernichtung zu bewahren. Selbst wenn wir später zum Kriege geschritten wären, um Deutschland für sein Vorgehen zu strafen, und wenn wir nach den furchtbaren Verlusten, die allen Teilnehmern an einem Kriege zugefügt worden wären, schließlich siegreich geblieben wären, würde es uns niemals möglich gewesen sein, die Tschechoslowakei in derselben Form wiederaufzurichten, die sie durch den Frieden von Versailles gefunden hatte.

Mit meiner Reise nach München verband ich aber noch einen weiteren Zweck, und zwar die Förderung der Politik, die ich von dem Augenblick an, da ich meinen jetzigen Posten übernahm, verfolgt habe, eine Politik, die zuweilen als die Politik der europäischen Beruhigung bezeichnet wird, obgleich ich selbst nicht der Ansicht bin, daß es sich dabei um eine sehr glückliche Bezeichnung oder um eine solche handelt, die den Zweck dieser Politik genau umschreibt. Wenn diese Politik erfolgreich sein sollte, so war es von wesentlicher Bedeutung, daß keine Macht den Versuch unternehmen sollte, die allgemeine Vorherrschaft in Europa zu erlangen, sondern daß jede einzelne Macht [181] damit zufrieden sein sollte, vernunftmäßige Möglichkeiten zur Entwicklung ihrer eigenen Hilfsquellen zu erlangen, sich ihren eigenen Anteil am internationalen Handel zu sichern und die Lebensbedingungen ihres eigenen Volkes zu verbessern. Ich glaubte, obgleich das vielleicht ein Aufeinanderprallen der Interessen verschiedener Staaten bedeuten konnte, daß es trotzdem durch die Übung gegenseitigen guten Willens und auf Grund eines Verständnisses für den Umfang der Wünsche anderer möglich sein sollte, alle Meinungsverschiedenheiten durch Erörterung und ohne einen bewaffneten Konflikt zu lösen. Indem ich mich nach München begab, hoffte ich, durch persönliche Fühlungnahme festzustellen, welche Gedanken Herrn Hitler bewegten und ob eine Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, daß er bereit sein werde, bei einem Programm dieser Art mit uns zusammenzuarbeiten. Nun, die Atmosphäre, in der unsere Erörterungen stattfanden, war keine sehr günstige, weil wir uns inmitten einer akuten Krise befanden. In den Pausen zwischen mehreren offiziellen Besprechungen hatte ich aber trotzdem gewisse Gelegenheiten, mich mit ihm zu unterhalten und seine Ansichten zu erfahren, und ich glaubte, daß die Ergebnisse nicht gänzlich unbefriedigend seien.

Nach Rückkehr von meinem zweiten Besuch berichtete ich dem Unterhause über meine meinerseits mit Herrn Hitler stattgehabte Besprechung, von der ich erklärte, daß Hitler, mit tiefem Ernst sprechend, wiederholt habe, was er bereits in Berchtesgaden erklärt hatte, daß es sich nämlich um die letzte seiner territorialen Bestrebungen in Europa handle und daß er nicht den Wunsch habe, in das Reich Völker, die einer anderen Rasse als der deutschen angehörten, einzuverleiben. Herr Hitler selbst bestätigte diesen Bericht über die Besprechung in der Rede, die er im Sportpalast in Berlin hielt, indem er erklärte "...dies ist der letzte territoriale Anspruch, den ich in Europa zu stellen habe." Und ein wenig später erklärte er in der gleichen Rede: "...Ich habe Herrn Chamberlain versichert, und ich betone das hiermit, daß es für Deutschland nach Lösung dieses Problems keine weiteren territorialen Probleme in Europa gibt." Und er fügte hinzu: "Ich werde an dem tschechischen Staate kein weiteres Interesse haben und dafür kann ich garantieren. Wir wollen nicht noch mehr Tschechen haben."

Und dann findet sich auch im Münchener Abkommen selbst, das die Unterschrift des Herrn Hitler trägt, die folgende Bestimmung: "Die endgültige Grenzfestsetzung wird durch eine internationale Kommission erfolgen" - die endgültige Festsetzung. Und schließlich brachten wir in der Erklärung, die er und ich gemeinsam in München unterzeichneten, zum Ausdruck, daß jede weitere Frage, die unsere beiden Länder betreffen würde, nach dem Konsultationsverfahren behandelt werden solle.

Nun, angesichts dieser wiederholten, mir freiwillig gegebenen Versicherungen hielt ich mich für berechtigt, darauf meine Hoffnung zu stützen, daß es, wenn erst einmal diese tschechoslowakische Frage geregelt sein würde, wie es in München den Anschein hatte, möglich sein würde, die Politik der Beruhigung, die ich beschrieben habe, [182] weiter fortzuführen. Dennoch aber war ich zur gleichen Zeit nicht bereit, in meiner Vorsicht nachzulassen, bis ich davon überzeugt sein würde, daß diese Politik eingeleitet worden sei und daß auch andere sich diese Politik zu eigen gemacht hätten, und deshalb wurde nach München unser Verteidigungsprogramm tatsächlich beschleunigt und genügend erweitert, um gewisse Schwächen zu beseitigen, die während der Krise zutage getreten waren. Ich bin überzeugt, daß die große Mehrheit des britischen Volkes nach München meine Hoffnung teilte und den tiefen Wunsch hegte, daß diese Politik weitergeführt werden möge. Heute aber teile ich Ihre Enttäuschung, Ihren Unwillen darüber, daß diese Hoffnungen so mutwillig zerstört worden sind.

Wie ist es möglich, die Ereignisse dieser Woche mit den Versicherungen, die ich Ihnen vorgelesen habe, in Einklang zu bringen? Als einer der Signatare des Münchener Abkommens hatte ich zweifellos, wenn Herr Hitler glaubte, daß dieses Abkommen aufgehoben werden sollte, Anspruch auf die Konsultation, die in der Münchener Erklärung vorgesehen ist. Statt dessen hat er das Gesetz in seine eigene Hand genommen. Noch vor dem Empfang des tschechischen Präsidenten, der sich Forderungen gegenübersah, denen zu widerstehen er keine Macht besaß, waren die deutschen Truppen schon auf dem Marsch und innerhalb weniger Stunden in der tschechischen Hauptstadt.

Auf der gestern in Prag zur Verlesung gekommenen Proklamation sind Böhmen und Mähren in das Deutsche Reich eingegliedert worden. Die nichtdeutschen Einwohner, zu denen selbstverständlich auch die Tschechen zählen, werden dem deutschen Protektor im deutschen Protektorat unterstellt. Sie unterliegen den politischen, militärischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten des Reiches. Sie werden als sich selbstregierende Staaten bezeichnet, dem Reich unterstehen aber ihre Außenpolitik, ihre Zollverwaltung und die Verwaltung der indirekten Steuern, ihre Bankreserven und die Ausrüstung der entwaffneten tschechischen Streitkräfte. Am bedenklichsten ist es vielleicht, daß wir von dem Auftreten der Gestapo, der geheimen Polizei, hören, verbunden mit den üblichen Gerüchten über Massenverhaftungen prominenter Persönlichkeiten, die Folgen einschließen, mit denen wir alle vertraut sind.

Jeder Mann und jede Frau in unserem Lande, die sich des Schicksals der Juden und der politischen Gefangenen in Österreich entsinnen, müssen heute von Kummer und Sorge erfüllt sein. Wessen Herz ist wohl nicht voll Mitgefühls für das stolze und tapfere Volk, das so plötzlich ein Opfer dieses Einmarsches wurde, dessen Freiheiten beschränkt sind und dessen nationale Unabhängigkeit der Vergangenheit angehört. Was ist aus der Erklärung "keine weiteren territorialen Bestrebungen", was aus der Versicherung "wir wollen keine Tschechen im Reich haben" geworden? Welche Achtung ist dem Grundsatz der Selbstbestimmung zuteil geworden, über den sich Herr Hitler so leidenschaftlich mit mir in Berchtesgaden stritt, als er die Abtrennung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei und seine Einverleibung in das Deutsche Reich forderte?

[183] Jetzt erklärt man uns, daß diese Gebietsergreifung infolge von Unruhen in der Tschechoslowakei erforderlich wurde. Man erzählt uns, daß die Verkündung dieses neuen deutschen Protektorats gegen den Willen seiner Einwohner durch Unruhen unvermeidlich gemacht worden sei, die den Frieden und die Sicherheit seines mächtigen Nachbarn bedroht hätten. Wenn es zu Unruhen gekommen ist, wurden sie dann nicht von außen her geschürt? Und kann irgend jemand außerhalb Deutschlands ernsthaft der Ansicht sein, daß solche Unruhen eine Gefahr für jenes große Land hätten bedeuten können und daß sie eine Berechtigung für das, was sich ereignet hat, abgeben? Wird da in unsern Köpfen nicht unvermeidlich die Frage aufgeworfen, welcher Verlaß auf irgendwelche andern Versicherungen aus der gleichen Quelle ist, wenn es so leicht ist, gute Gründe zur Außerachtlassung von Versicherungen zu finden, die so feierlich und so oft gegeben wurden?

Es gibt noch eine Reihe weiterer Fragen, die unvermeidlich in unsern und in den Gedanken anderer, vielleicht sogar in Deutschland selbst, auftauchen. Deutschland hat unter seinem gegenwärtigen Regime der Welt eine Reihe unangenehmer Überraschungen bereitet. Das Rheinland, der österreichische Anschluß, die Abtrennung des Sudetenlandes - all diese Vorkommnisse haben die öffentliche Meinung der ganzen Welt verletzt und beleidigt. Welche und wie viele Anstände wir aber auch an den in jedem dieser Fälle angewendeten Methoden hätten nehmen können, jedenfalls ließ sich auf Grund der Rassenzugehörigkeit oder gerechter Ansprüche, denen zu lange Widerstand geleistet worden war, etwas zugunsten der Notwendigkeit einer Änderung der bestehenden Lage sagen.

Die Ereignisse aber, die im Laufe dieser Woche unter völliger Mißachtung der durch die deutsche Regierung selbst niedergelegten Grundsätze Platz gegriffen haben, scheinen mir in eine andere Klasse zu fallen und müssen uns alle veranlassen, uns die Frage vorzulegen: "Ist dies das Ende eines alten Abenteuers oder der Anfang eines neuen?"

"Ist es der letzte Angriff auf einen kleinen Staat oder werden ihm weitere folgen? Ist dies tatsächlich ein Schritt in der Richtung eines Versuchs zur Weltherrschaft durch Gewalt?"

Das sind schwerwiegende und ernste Fragen. Ich werde diese Fragen heute abend nicht beantworten. Ich bin aber überzeugt, daß sie eine tiefernste und gewissenhafte Erwägung nicht nur durch Deutschlands Nachbarn, sondern auch durch andere Mächte, vielleicht sogar solche jenseits der Grenzen Europas, notwendig machen werden. Schon jetzt liegen Anzeichen dafür vor, daß dieser Prozeß eingesetzt hat, und es ist offensichtlich, daß er nunmehr voraussichtlich einen schnelleren Verlauf nehmen wird.

Wir selbst werden uns selbstverständlich zunächst an unsere Partner in der britischen Gemeinschaft der Nationen und an Frankreich wenden, mit denen wir so eng verbunden sind; und ich bezweifle nicht, daß auch andere, die wissen, daß wir nicht uninteressiert an [184] dem sind, was in Südosteuropa vor sich geht, den Wunsch haben werden, mit uns zu konsultieren und unseren Rat einzuholen.

Wir alle in unserem eigenen Lande müssen die Lage mit dem Sinn für Verantwortlichkeit überprüfen, den ihr Ernst erfordert. Von dieser Überprüfung darf nichts ausgeschlossen bleiben, was auf die nationale Sicherheit Bezug hat. Jede Phase unseres nationalen Lebens muß wieder einmal von diesem Standpunkt aus einer Prüfung unterzogen werden. Die Regierung muß, wie stets, die Hauptverantwortung tragen; ich weiß aber, daß jeder einzelne den Wunsch haben wird, auch seine eigene Einstellung einer Prüfung zu unterziehen, um noch einmal festzustellen, ob er alles getan hat, um seine Dienste dem Staate zur Verfügung zu stellen.

Ich glaube nicht, daß es irgend jemanden gibt, der bereit ist, meine Aufrichtigkeit anzuzweifeln, wenn ich erkläre, daß es kaum irgend etwas gibt, was ich nicht dem Frieden opfern würde. In bezug auf eine Sache muß ich aber eine Ausnahme machen, und das ist die Freiheit, die wir seit Hunderten von Jahren genossen haben, und auf die wir niemals verzichten werden. Ich bedauere, daß von allen Menschen ausgerechnet ich dazu berufen bin, eine solche Erklärung abzugeben - das heißt also, über das Ausmaß, in dem die Ereignisse das Vertrauen erschüttert haben, das sich gerade zu zeigen begann und das, wenn man ihm gestattet hätte, sich in zunehmendem Maße zu entwickeln, dieses Jahr zu einem denkwürdigen in bezug auf die Wiedereinkehr gesunder Zustände und der Stabilität in ganz Europa hätte machen können.

Vor erst sechs Wochen sprach ich in dieser Stadt und wies auf Gerüchte und Verdächtigungen hin, von denen ich erklärte, daß sie hinweggefegt werden müßten. Ich wies darauf hin, daß jedes Verlangen nach Vorherrschaft durch Gewalt in der Welt ein Verlangen sei, dem sich die Demokratien entgegenstemmen müßten, und ich fügte hinzu, daß ich nicht glauben könne, daß eine solche Herausforderung beabsichtigt sei, weil keine Regierung, die die Interessen des eigenen Volkes am Herzen habe, solche Interessen zugunsten eines solchen Anspruchs den Schrecken eines Weltkrieges aussetzen könne.

Und in der Tat, angesichts der Lehren der Geschichte, die alle lesen können, erscheint es unglaublich, daß uns eine solche Herausforderung zuteil werden sollte. Ich fühle mich verpflichtet, zu erklären, daß, obgleich ich nicht darauf vorbereitet bin, unser Land durch neue, nicht klar umschriebene Verpflichtungen zu verpflichten, die sich unter Bedingungen auswirken könnten, die jetzt nicht vorauszusehen sind, kein größerer Irrtum begangen werden könnte, als anzunehmen, daß unser Volk, weil es den Krieg für eine sinnlose und grausame Angelegenheit hält, derart viel von seinem Selbstbewußtsein eingebüßt habe, um nicht alles in seiner Kraft Stehende zu tun, um eine solche Herausforderung, sollte sie jemals erfolgen, zurückzuweisen. Für diese Erklärung finde ich, wie ich überzeugt bin, nicht nur die Unterstützung, die volle Zustimmung und das Vertrauen meiner Landsleute, sondern werde ich auch die Zustimmung des ganzen britischen [185] Imperiums und aller anderen Staaten finden, die wohl den Frieden, die Freiheit aber noch mehr zu schätzen wissen.

(E: The Times vom 18. März 1939. - D: Eigene Übersetzung.)


 81. 
Aus der Rede des britischen Außenministers Lord Halifax
im Oberhaus vom 20. März 1939

Ich möchte gern einiges über die Gründe sagen, mit denen die deutsche Regierung die von ihr ergriffenen Maßnahmen zu rechtfertigen sucht. Die direkte Ursache der gegenwärtigen Krise in Mitteleuropa hatte in der Slowakei ihren Ursprung, und es wird geltend gemacht, daß die deutsche Regierung bei Erhalt der Bitte um Unterstützung des zurückgetretenen slowakischen Ministerpräsidenten zum Eingreifen berechtigt war. In der Slowakei hat es immer eine Partei gegeben, die für eine Autonomie eintrat. Diese Autonomie ist nach München tatsächlich zustande gekommen, und zwar durch Übereinkommen zwischen den verschiedenen slowakischen Parteien und der Zentralregierung in Prag.

Die radikalen Elemente in der Slowakei waren jedoch mit diesen Abmachungen nicht zufrieden, aber nach allen mir zur Verfügung stehenden Unterlagen kann ich mir nicht vorstellen, daß der plötzliche Entschluß gewisser slowakischer Führer, sich von Prag zu lösen, dem die Bitte um Schutz an das Deutsche Reich sofort auf dem Fuße folgte, unabhängig von äußeren Einflüssen gefaßt wurde. Es heißt, das deutsche Eingreifen in der Tschechoslowakei sei durch die Unterdrückung der deutschen Minderheiten durch die Tschechen gerechtfertigt gewesen. Jedoch, und auch das ist Tatsache, setzte die deutsche Presse erst kurz vor Hitlers Ultimatum an den tschechischen Präsidenten mit ihrer Kampagne vom letzten Sommer über die angeblichen tschechischen Brutalitäten gegen deutsche Staatsangehörige wieder ein.

Im Augenblick scheint die Lage der deutschen Minderheit mit ihren ungefähr 250 000 Seelen seit dem Münchener Abkommen so zu sein, daß man sie als Ausnahme-Vorzugsstellung bezeichnen könnte. Trotz des gemäß Art. 7 des Abkommens eingeräumten Optionsrechtes wurden die Angehörigen der deutschen Minderheit angehalten, in der Tschechoslowakei zu bleiben, um nützliche Zentren der deutschen Tätigkeit und Propaganda zu bilden, auch wurden der deutschen Minderheit von ihrem Führer diesbezügliche Weisungen erteilt. Auf Grund des deutsch-tschechoslowakischen Abkommens über den gegenseitigen Schutz der Minderheiten erhielt die deutsche Regierung die gesetzliche Berechtigung, sich unmittelbar für die Belange ihrer Minderheiten in der Tschechoslowakei einzusetzen; auch erhielt die Minderheit sofort das Recht, selbständige Organisationen ins Leben zu rufen; im Anschluß daran gab die tschechoslowakische Regierung ihr Einverständnis dazu, daß die NSDAP. in der Tschechoslowakei in [186] vollem Umfange das Recht zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit in Böhmen und Mähren erhielt.

Die Schlußfolgerung, daß weitaus die Mehrzahl der Zwischenfälle vor der deutschen Invasion mit Vorbedacht provoziert, und daß ihre Wirkung stark übertrieben wurde, ist schwerlich von der Hand zu weisen. Hier ist meines Erachtens ganz unparteiisch hinzuzufügen, daß die tschechoslowakischen Behörden angewiesen wurden, sich gegenüber diesen Provokationen die größte Zurückhaltung aufzuerlegen, wie es auch tatsächlich geschah. Ich glaube, es ist nicht notwendig, über die Behauptung, der tschechoslowakische Präsident habe der Unterjochung seines Volkes tatsächlich zugestimmt, viel Worte zu verlieren. In Anbetracht der Umstände, unter denen er nach Berlin kam, sowie der bereits erfolgten Besetzung tschechischen Gebietes glaube ich, daß jeder einsichtige Mensch zu dem Schluß kommen muß, daß es sich hier kaum um Verhandlungen handelte, und daß es viel wahrscheinlicher ist, daß die tschechischen Vertreter einem Ultimatum gegenübergestellt wurden, unter Androhung von Gewalt, und daß sie klein beigaben, um ihr Volk vor dem Schrecken einer raschen und vernichtenden Beschießung aus der Luft zu bewahren.

Schließlich heißt es, Deutschland sei irgendwie durch die Tschechoslowakei gefährdet gewesen. Doch dürfte die deutsche Regierung selbst sicherlich kaum erwartet haben, daß diese Behauptung von irgendeiner Seite ernsthaft aufgenommen würde. In der Tat, wenn ich meine eigene Ansicht über diese verschiedenen Untersuchungen zusammenfassen darf, so möchte ich nur wünschen, daß an Stelle der veröffentlichten Mitteilungen und Erklärungen, die wenig überzeugend wirken, die überlegene Stärke Deutschlands offen als die entscheidende Instanz anerkannt worden wäre, die sie in der Tat gewesen ist.

Unter diesen Umständen hielt es die britische Regierung für angezeigt, unverzüglich bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Sie brach den Berliner Besuch des Handelsministers und des Sekretärs der Abteilung für Überseehandel sofort ab, von dem man erhofft hatte, daß er der Regierung ein unmittelbares Eingreifen in jene inoffizielle, gerade damals erfolgende Fühlungnahme der Industrievertreter ermöglichen würde. Wir waren der Ansicht - und sind es auch noch - daß unter den inzwischen eingetretenen Umständen jede Weiterverfolgung unserer Bemühungen in dieser Richtung ganz offenbar undenkbar war und daß dieses und manche anderen Dinge auf unbestimmte Zeit verschoben werden mußten und es auch noch bleiben müssen. Die britische Regierung hat den britischen Botschafter in Berlin zur Berichterstattung zurückgerufen; er ist gestern hier eingetroffen.

Außer diesen beiden Schritten haben wir bei der deutschen Regierung formell Protest erhoben, indem wir ihr mitteilten, daß wir nicht umhin konnten, die Ereignisse der letzten paar Tage als einen klaren Bruch des Münchener Abkommens und eine Verleugnung des Geistes anzusehen, in dem die Unterhändler sich damals selbst zur Zusammenarbeit für eine friedliche Regelung verpflichtet hatten. Auch nahmen wir Veranlassung, gegen die durch die deutschen Militärmaß- [187] nahmen in der Tschechoslowakei erfolgten Änderungen zu protestieren, und haben zum Ausdruck gebracht, daß unserer Ansicht nach diese Änderungen jeder rechtlichen Grundlage entbehrten.

Ich glaube daher, daß wir den Anspruch erheben dürfen, die deutsche Regierung über die Haltung der britischen Regierung nicht im unklaren gelassen zu haben und, wenn ich mich auch über die Wirkung von Protesten keinen übertriebenen Hoffnungen hingebe, so glaube ich doch, daß Sie, meine Herren, es durchaus für richtig halten, daß solche Proteste zu Protokoll genommen werden.

Von Zeit zu Zeit habe ich die Verfechter des deutschen Standpunktes bemüht gesehen, die Handlungsweise ihrer Regierung durch Heranziehung der Geschichte des britischen Imperiums zu rechtfertigen. Es ist wohl nicht erforderlich, Sie daran zu erinnern, daß der Grundsatz, nach dem das britische Imperium geführt wird, Erziehung zur Selbstverwaltung ist. Wo in der Welt wir auch immer waren, überall haben wir eine Spur der Freiheit und Selbstverwaltung hinterlassen, und unsere geschichtliche Vergangenheit hat nichts gemein mit der Unterdrückung von Freiheit und Unabhängigkeit von Menschen, die durch ihre politische Entwicklung bereits in den Genuß der Vorzüge eines Eigenlebens gelangt waren.

Auch wurde der Einwand erhoben, daß die Ereignisse in der Tschechoslowakei uns weder interessieren noch etwas angehen. Ganz richtig, wir haben stets anerkannt, daß, wenn aus keinem anderen, so doch aus geographischen Gründen Deutschland von einigen Gesichtspunkten aus in der Tschechoslowakei oder in Südosteuropa mehr interessiert sein muß als wir selbst. Es war das naturgegebene Feld für die Ausdehnung des deutschen Handels.

Aber abgesehen davon, daß Änderungen in irgendeinem Teil von Europa nachhaltige Wirkungen an anderer Stelle zeitigen, so ist die Lage doch eine völlig andere, wenn wir vor die Tatsache der willkürlichen Beseitigung eines unabhängigen, souveränen Staates durch Waffengewalt und unter Verletzung dessen, was ich als die elementarsten Grundregeln internationalen Verhaltens betrachte, gestellt werden. Es ist durchaus verständlich, daß im Lichte dieser Ereignisse der Regierung gesagt wird, daß die Münchener Politik ein tragischer Fehler war. Ich kann natürlich nicht beanspruchen, Lord Snell Vorschriften über den Ausdruck einer aufrichtig von ihm vertretenen Ansicht zu machen, wohl aber glaube ich, eine einzelne ihm entfahrene Bemerkung richtigstellen zu können. Er bezeichnete die vom Premierminister betriebene Politik als eine persönliche Politik. Falls der ehrenwerte Lord damit sagen will, daß das eine Politik war, für die der Premierminister sein Letztes an Energie, Einbildungs- und Entschlußkraft hergegeben hat, so gehe ich mit ihm durchaus einig - sollte er aber unterstellen, daß es eine Politik ohne vollständige Zusammenarbeit mit mir, als Außenminister, sowie mit jedem einzelnen Regierungsmitglied war, so müßte ich mir die Freiheit nehmen, seinen Ausführungen auf das schärfste zu widersprechen.

Bei Annahme des vom Oberhaus wie auch von anderer Seite gebillig- [188] ten Münchener Abkommens hatte die Regierung Sr. Majestät zwei voneinander ganz verschiedene Ziele im Auge. Der erste Zweck bestand darin, zu der unter den durch die Zeit bedingten, äußerst schwierigen Umständen bestmöglichen Lösung eines Problems zu gelangen, das tatsächlich ein solches war und dessen Lösung dringend geboten war, wenn der Frieden Europas gewahrt bleiben sollte. Und hierzu möchte ich sagen - was ich bereits an dieser Stelle gesagt habe -: ich hege nicht den mindesten Zweifel, daß die Regierung nach allen ihr zur Verfügung stehenden Informationen zu dem von ihr eingeschlagenen Kurs berechtigt war.

Der zweite Zweck von München war die Schaffung einer größeren europäischen Sicherheit auf der Grundlage von freiwillig angenommenen Beratungen als dem Mittel, durch das alle künftigen Schwierigkeiten beigelegt werden könnten. Dieser auf lange Sicht gefaßte Plan wurde, wie wir alle feststellen mußten, durch die Ereignisse in unheilvoller Weise Lügen gestraft. Man wirft uns vor, wir hätten den von Hitler abgegebenen Versicherungen, er würde nach München keine territorialen Ansprüche mehr hegen und keine Eingliederung von nichtdeutschen Elementen ins Reich mehr wünschen, allzu schnell Glauben geschenkt.

Das ehrenwerte Oberhausmitglied (Lord Snell) sprach von einem mehr als einfältigen Premierminister. Ich darf Ihnen, meine Herren, die Versicherung abgeben, daß weder der Premierminister, noch ich selbst, noch irgendein Regierungsmitglied zu irgendeinem Zeitpunkt es verabsäumt haben, sich des Unterschiedes zwischen Glauben und Hoffen in aller Schärfe bewußt zu bleiben. Es war bestimmt berechtigt und richtig, Hoffnungen zu hegen; doch haben wir stets - und ich möchte es jedem von Ihnen, meine Herren, anheimstellen, das Gegenteil zu beweisen - in voller Erkenntnis dessen gehandelt, daß Hoffnungen lediglich mit der Zeit zu wirklichen Überzeugungen werden können.

Es ist zweifellos der Fall, daß vorhergegangene Zusicherungen gebrochen worden sind, welche Rechtfertigung Hitler vom Standpunkt seiner Mission auch immer vorbringen mag, die er darin sieht, ehemals deutsches Gebiet und vorwiegend deutschen Raum in das Deutsche Reich einzugliedern. Für die Maßnahmen Hitlers bis nach München kann immerhin geltend gemacht werden, daß er seinen eigenen Grundsätzen treu geblieben ist, das heißt dem Zusammenschluß der Deutschen im und Ausschluß der Nichtdeutschen aus dem Reich. Diese Grundsätze hat er jetzt umgestoßen. Mit der Stellung von 8 000 000 Tschechen unter deutsche Herrschaft ist er seiner eigenen Lebensanschauung bestimmt untreu geworden. Die Welt wird nicht vergessen, daß im September vorigen Jahres Hitler an den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechtes für 2 000 000 Sudetendeutsche appellierte. Das ist ein Grundsatz, auf dem das britische Reich selbst aufgebaut wurde und dem wir infolgedessen bei der Behandlung von Hitlers Forderungen Rechnung zu tragen uns verpflichtet fühlten. Dieser Grundsatz ist nun in krasser Form durch eine Reihe von Maßnahmen Lügen gestraft worden, die gerade das Recht verleugnen, auf dem die deutsche Haltung [189] vor sechs Monaten fußte. Welches auch immer die Wahrheit über die Behandlung der 250 000 Deutschen sein mag, ich kann unmöglich glauben, daß das nur durch die Unterwerfung von 8 000 000 Tschechen wiedergutgemacht werden kann.

Welche Schlußfolgerung sollen wir nun aus dieser Eroberung der Tschechoslowakei ziehen? Sollen wir annehmen, daß die deutsche Politik damit in eine neue Phase eingetreten ist? Wird sich die deutsche Politik weiterhin auf die Festigung der vorwiegend von einer deutschstämmigen Bevölkerung bewohnten Gebiete beschränken? Oder wird sich die deutsche Politik nunmehr auch auf die Beherrschung von nichtdeutschen Völkern richten? Das sind sehr schwerwiegende Fragen, die heute in allen Teilen der Welt aufgeworfen werden.

Das deutsche Vorgehen in der Tschechoslowakei ist nach neuen Methoden erfolgt. Die Welt hat in der letzten Zeit mehr als eine neue Wendung auf dem Gebiet der Technik des internationalen Umgangs erlebt - Krieg ohne Kriegserklärung, Ausübung eines Druckes unter Androhung sofortiger Gewaltmaßnahmen, Eingreifen bei internen Schwierigkeiten anderer Staaten; Länder sehen sich vor die Tatsache der Förderung des Separatismus gestellt, und zwar nicht etwa im Interesse der Separatisten oder Minderheiten, sondern im imperialen Interesse Deutschlands. Die schlechte Behandlung der deutschen Minderheiten in anderen Ländern, auf die man sich beruft und die in manchen oder auch in vielen Fällen wirklich aus natürlichen Gründen entspringen mag, die aber auch Gegenstand und Ergebnis einer Provokation von außen her sein kann, wird als Vorwand zum Eingreifen benutzt.

Diese Methoden sind einfach und mit zunehmender Erfahrung ganz unverkennbar. Haben wir irgendwelche Sicherheiten, daß sie nicht auch anderweitig Anwendung finden? Jedes Deutschland benachbarte Land lebt jetzt in der Ungewißheit, was der nächste Tag bringen wird, und jedes Land, das auf seine nationale Identität und Souveränität Wert legt, fühlt sich von einer inneren, von außen her geschürten Gefahr bedroht. Während der letzten Tage ging das Gerücht um, die deutsche Regierung habe bei ihren Wirtschaftsverhandlungen mit der rumänischen Regierung eine scharfe Haltung angenommen. Ich kann erfreulicherweise mitteilen, daß ein Bericht, in dem sogar von einem Ultimatum die Rede war, von der rumänischen Regierung selbst dementiert worden ist; aber selbst wenn Rumänien heute nicht bedroht ist, bzw. wenn bis heute diese Bedrohung noch keine konkrete Form angenommen hat, und sich in diesem Sinne auch nicht auszuwirken braucht, so ist es doch nicht überraschend, wenn die Bukarester Regierung - ebenso wie andere Regierungen - den Ereignissen der letzten Tage mit den größten Besorgnissen gegenübersteht...

Ich möchte noch folgendes sagen: Seit Jahren hat das britische Volk stets den Wunsch gehegt, mit dem deutschen Volk in gutem Einvernehmen zu leben. In unserem Volk ist kein nationales Empfinden so stark ausgeprägt wie die Neigung, nach einem Kampf dem Gegner die Hand zu reichen und die Angelegenheit beizulegen.

[190] Unser Volk war nicht so rückständig, um nicht einige änderungsbedürftige Fehler im Versailler Vertrag einzugestehen, aber jedesmal, wenn sich im Lauf der letzten Jahre die Möglichkeit einer besserem Verständigung zu bieten schien, hat die deutsche Regierung etwas unternommen, das ein Weiterkommen unmöglich machte; ganz besonders war das in den letzten Monaten der Fall. Sehr bald nach München wurden von der deutschen Regierung Maßnahmen ergriffen, die der Weltmeinung einen heftigen Stoß versetzten. Vor kurzem noch durfte man hoffen - wenn auch viele Wolken am und hinter dem Horizont aufzogen -, daß wir einer engeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit entgegensehen könnten; und es bestand sogar Hoffnung, daß sich diese wirtschaftliche Zusammenarbeit noch weiter ausgestalten würde, als wir bei den von mir bereits erwähnten Besuchen beschlossen hatten. Diese ganze Initiative wurde durch die Maßnahmen der deutschen Regierung in der letzten Woche wieder zunichte gemacht, und es ist schwer, sich vorzustellen, wann sie wiederaufgenommen werden kann...

Es ist noch nicht möglich, die Folgen der deutschen Maßnahmen völlig abzusehen. Die Geschichte kennt manche Versuche, Europa eine Herrschaft aufzuzwingen. Aber alle diese Versuche haben früher oder später denen, die sie unternommen haben, Unheil gebracht. Noch nie hat es sich auf die Dauer als möglich erwiesen, den Geist der freien Völker auszurotten. Wenn man der Geschichte glauben darf, wird das deutsche Volk die in seinem Namen gegen das tschechoslowakische Volk ergriffenen Maßnahmen noch bedauern.

Vor zwanzig Jahren gelangte das tschechoslowakische Volk mit Hilfe und Förderung des größten Teiles der Welt wieder in den Besitz seiner Freiheiten. Jetzt wurden sie ihm mit Gewalt wieder entrissen. Im Lauf seiner langen Geschichte wird es nicht das erstemal sein, daß dieses zähe, tapfere und arbeitsame Volk seine Unabhängigkeit verloren hat. Aber es hat niemals das verloren, was die Grundlage für Unabhängigkeit ist: die Freiheitsliebe.

Inzwischen wird die Welt, genau wie sie nach dem letzten Krieg dem Aufstieg der tschechischen Nation zusah, heute ihre Bemühungen verfolgen, sich ihr kulturelles Eigenleben und, was noch wichtiger ist, ihre geistige Freiheit unter dem letzten und grausamsten Schlag, dessen Opfer sie geworden ist, zu erhalten.

(E: Parliamentary Debates. House of Lords. Bd. 112, Sp. 310 ff. - D: Eigene Übersetzung.)


 82. 
Unterhauserklärung des britischen Premierministers Chamberlain vom 31. März 1939

Wie ich diesen Morgen erklärte, besitzt die britische Regierung keinerlei amtliche Bestätigung für die Gerüchte irgendeines geplanten Angriffes auf Polen. Es darf daher nicht angenommen werden, daß die Regierung diese Gerüchte für wahr hält. Ich freue mich, diese Gelegenheit zu ergreifen, um erneut die allgemeine Politik der Regierung zu [191] erklären: Die britische Regierung hat sich ständig für Berichtigungen eingesetzt, und zwar auf dem Wege freier Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien, für jede Streitigkeit, die sich zwischen ihnen ergeben mag. Sie hält dies für den natürlichen und angemessenen Weg dort, wo Streitigkeiten vorhanden sind. Ihrer Ansicht nach sollte es keine Frage geben, die nicht durch friedliche Mittel zu lösen wäre, und sie würde daher keinerlei Rechtfertigung dafür finden, daß Gewalt oder Drohung mit Gewalt an die Stelle der Methoden der Verhandlung gesetzt werde.

Wie dem Hause bekannt ist, finden zur Zeit gewisse Konsultationen mit anderen Regierungen statt. Um die Haltung der britischen Regierung in der Zwischenzeit völlig klarzustellen, bevor diese Konsultationen abgeschlossen sind, fühle ich mich veranlaßt, dem Hause mitzuteilen, daß während dieser Zeitdauer für den Fall irgendeiner Aktion, die klarerweise die polnische Unabhängigkeit bedroht und die die polnische Regierung daher für so lebenswichtig ansieht, daß sie ihr mit ihren nationalen Streitkräften Widerstand leistet, die britische Regierung sich verpflichtet fühlen würde, der polnischen Regierung alle in ihrer Macht stehende Hilfe sofort zu gewähren.

Sie hat der polnischen Regierung eine derartige Zusicherung gegeben.

Ich kann hinzufügen, daß die französische Regierung mich autorisiert hat, darzulegen, daß sie die gleiche Haltung in dieser Frage einnimmt wie die britische Regierung.

(E: Parliamentary Debates. House of Commons. Bd. 345, Sp. 2415. [Scriptorium merkt an: im Original "2421."] - D: Monatshefte für Auswärtige Politik, 1939, S. 456f.)

Die Hemmungslosigkeit, mit der sich auch die verantwortlichen Männer der Londoner Regierung einer künstlich aufgepeitschten und gänzlich unberechtigten Kriegspsychose hingaben, wird am besten durch den peinlichen Zwischenfall gekennzeichnet, den der damalige Erste Lord der Admiralität, Earl Stanhope, am 4. April 1939 durch unbegreiflich unbedachtsame Äußerungen verursachte.


 83. 
Bericht des deutschen Geschäftsträgers in London
vom 6. April 1939

Anläßlich einer Filmvorführung an Bord des britischen Flugzeugmutterschiffes "Ark Royal" am Abend des 4. April d. J. sagte der Erste Lord der Admiralität, Earl Stanhope, auf eine Reihe leerer Sitze hinweisend: "Kurz bevor ich die Admiralität verließ, war es nötig, Befehle zu geben, die Luftabwehrgeschütze der Kriegsmarine zu bemannen, und dies erklärt die leeren Sitze." Späterhin erklärte Lord Stanhope einem Berichterstatter, daß die Flotte alle Vorkehrungen treffe und stets bereit sei.

Auf Veranlassung der Admiralität wurde eine sogenannte "D"- [192] Notiz ausgegeben, die besagte, daß es nicht im internationalen Interesse wäre, wenn die Rede Lord Stanhopes veröffentlicht würde. Die Rede Lord Stanhopes wurde dann nur von einem Teil der Morgenpresse in sensationeller Aufmachung gebracht. Times und Daily Telegraph enthielten sich jeder Bezugnahme.

Die Bemerkungen des Ersten Lords der Admiralität haben sowohl im Unterhaus als auch in den Redaktionen starkes Aufsehen hervorgerufen. Lord Stanhope soll angeblich dem Premierminister seinen Rücktritt angeboten haben, der jedoch nicht angenommen worden sei.

In der Unterhaussitzung vom 5. d. M. fragte daraufhin der Stellvertretende Führer der Opposition, Abgeordneter Greenwood, den Premierminister, oh er eine Erklärung zu dem offiziellen Ersuchen der Regierung abgeben könne, die Presse möge die von Lord Stanhope in seiner Rede erwähnten Anweisungen der Admiralität nicht veröffentlichen.

Der Premierminister wies darauf hin, daß die Rede anläßlich einer Zusammenkunft wegen der Organisation von Filmvorführungen auf Kriegsschiffen gehalten worden sei. Lord Stanhope habe unvorbereitet (unpremeditated) gesprochen. Er habe darauf hingewiesen, daß die Teilnehmer an der Veranstaltung nicht vollzählig wären, da eine Reihe von ihnen an Bord ihrer eigenen Schiffe zurückgehalten worden seien. Sie lägen in Bereitschaft, die Geschütze zu bemannen, was in Spannungszeiten eine Normalmaßnahme sei. Die Admiralität habe keine anderen Befehle ausgegeben, als daß diese Übung auch selbst bei einer so besonderen Gelegenheit nicht geändert werden solle.

Der Premierminister fügte hinzu, daß er die Presse haben bitten lassen, die Rede des Ersten Lords der Admiralität nicht zu veröffentlichen oder, wenn es geschehe, ihr keine besondere Bedeutung zuzuschreiben. Seine Bemühungen, dem Publikum eine unnütze Aufregung zu ersparen, seien erfolglos gewesen. Doch habe der Vorfall die stete Bereitschaft der Flotte bewiesen. Lord Stanhope habe ihm gegenüber sein Bedauern zum Ausdruck gebracht, daß seine Worte, die sicherlich nicht glücklich gewählt worden wären, so stark kommentiert worden seien. Er, der Premierminister, glaube nicht, daß ein Vorfall dieser Art die Eignung Lord Stanhopes als Leiter der Admiralität berühre.

Mit dieser Erklärung hat der Zwischenfall zunächst seine Erledigung gefunden.

Die Verordnung der Admiralität läßt sich nur mit der Unmenge der hier kürzlich kursierenden Gerüchte und Sensationsmeldungen und der hierdurch ausgelösten Übernervosität erklären. Erstaunlich ist jedoch, daß solche Bemerkungen aus dem Munde des Ersten Lords der Admiralität fallen können, fraglos eine "Gaffe" erster Güte. Es ist nicht zum erstenmal, daß Stanhope durch Unbedachtsamkeit eine unbequeme Sensation heraufbeschwört.

Die Linkspresse hat den Zwischenfall aufgegriffen, vor allem, um gegen die Institution der sogenannten "D"-Notizen vorzugehen. Nach vorherrschender Auffassung kann ein Schriftleiter, der eine solche "D"-Notiz unbeachtet läßt, unter Umständen nach dem "Official [193] Secrets Act" belangt werden. Nachdem nunmehr die Admiralität eine eigene Rede ihres Chefs, die dieser selber freigegeben hatte, unterdrückt hat, wird in der Presse gefordert, daß "D"-Notizen nicht mehr als offizielle Verbote angesehen werden sollen.

Im Auftrag
von Selzam
(Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Nr. 249.)

In zwei großen Reden antwortete der Führer auf den englischen Stimmungsumschwung. Diese Reden sind ein deutlicher Beweis der Tatsache, daß er auch jetzt die Hoffnung auf eine endgültige deutsch-englische Verständigung noch nicht aufgegeben hatte. Obgleich Deutschland durch die politische Haltung Englands seit den März-Ereignissen genötigt war, das deutsch-englische Flottenabkommen zu kündigen, weil seine Voraussetzung - daß nämlich Deutschland und England nie wieder Krieg miteinander führen würden - erschüttert war, fand er gleichwohl Worte, die von einem tiefen Verständnis der britischen Lebensnotwendigkeiten zeugten und die noch immer versuchten, den historischen Leistungen des britischen Imperiums und der Richtung der britischen Politik einen positiven Sinn abzugewinnen.

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Deutschland-England 1933-1939
Die Dokumente des deutschen Friedenswillens
Hg. von Prof. Dr. Friedrich Berber