Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
[351]
Abschnitt: Der Krieg um die
Kolonien
Oberst Dr. Ernst Nigmann
1. Einführung.
Wie man sich vor Ausbruch des Weltkrieges allgemein über dessen Art und
Dauer falsche Vorstellungen gemacht hatte, so hat die Wirklichkeit auch die
Ansichten, die man früher über die Beteiligung der Kolonien am
Weltkrieg gehabt hatte, völlig zuschanden gemacht. Man glaubte ja, ein
europäischer Krieg könne unmöglich länger wie einige
Monate dauern, und hieraus mußte sich folgerichtig die in kolonialen wie in
anderen Kreisen fast zum Glaubenssatz gewordene Ansicht ergeben: das
Schicksal der deutschen Kolonien wird allein auf den Schlachtfeldern Europas
entschieden, ein kolonialer Kampf Weißer gegen Weiße, oder gar
Farbiger im Dienste Weißer gegen Weiße, sei unter allen
Umständen ausgeschlossen. Diese in Deutschland eigentlich allgemeine
Anschauung war denn auch bei Bemessung seiner kolonialen Kampfmittel
für Regierung wie gesetzgebende Körperschaft maßgebend
gewesen. Die Kampfkräfte der großen afrikanischen Kolonien waren
daher nur das, was man zur Abwehr innerkolonialer Aufstände
benötigte; man rechnete ja auch bestimmt mit Innehaltung der fast von allen
europäischen Staaten unterzeichneten
Kongo-Akte, nach der im Falle europäischer kriegerischer Verwicklungen
Mittelafrika neutralisiert bleiben sollte. So war auch eine Befestigung, sei es der
Grenze, sei es von Küstenplätzen, in den deutschen afrikanischen
Kolonien nirgends erfolgt. Allein der jüngste Besitz, Kiautschou, unter
Marineverwaltung stehend, und das etwas verhätschelte Lieblingskind unter
den Kolonien, für das die Mittel reichlicher zu fließen pflegten, war,
wenigstens nach der Seeseite hin, befestigt.
Im Brennpunkt des britischen Interesses stand die herrliche Kolonie
Deutsch-Ostafrika. Diese, in kräftigem, stetigem Aufblühen begriffen
und, wie ihr Heldenkampf
bewiesen, nach nur wenigen, seit ihrer Erwerbung
vergangenen Jahrzehnten bereits urdeutsch, schob sich als gewaltiger Keil in die
britischerseits erstrebte Verbindung:
Kap - Kairo, d. h. Südafrika mit dem Norden; sie allein
hinderte England daran, aus dem Indischen Ozean eine britische See zu machen.
So hat England ganz gewaltige, ja unverhältnismäßige
Kräfte und Mittel aufgewendet, um diese so tapfer verteidigte Kolonie zu
gewinnen. - Anders lagen die Verhältnisse in Südwest. So
befremdend es klingt; Südwest, obwohl Weißenkolonie, war schon
vor dem Kriege nicht so urdeutsch wie Ost. Mit der südafrikanischen
Union, zu der es ja geographisch engste Beziehung hatte, war es durch tausend
Fäden wirtschaftlicher und kommerzieller Art verbunden; ein [352] erheblicher Teil, mehr
wie ein Viertel der weißen Bevölkerung, gehörte dem
feindlichen Auslande an; kurz, Kenner der Verhältnisse gaben schon in
Friedenszeiten der Befürchtung Ausdruck, daß diese Kolonie nicht
für lange Deutschland erhalten bleiben
werde. - An Kamerun nahm Frankreich, das noch gelegentlich der
Marokko-Angelegenheit mit Kompensationen zur Vergrößerung dieser Kolonie
beigetragen hatte, besonderes Interesse. - Togo war eine leichte, zwischen
den beiden Nachbarn, England und Frankreich, aufzuteilende
Beute. - Für die deutschen Südseeinseln interessierten sich
Japan und Australien gleichermaßen, wenn auch letzteres mit gemischtem
Gefühl zusehen mußte, wie der Asiate auf den Leitersprossen dieser
Inseln an den australischen Kontinent immer näher
herankletterte. - Kiautschou, die wohleingerichtete Kolonie mit eisfreiem
Hafen, bot Japan für seine Durchdringung Chinas eine so ausgezeichnete
Basis auf dem [353] Festlande, daß
dessen Schicksal
mit dem Eintritt Japans in die Schar der Gegner besiegelt war;
ohne Japan hätte es einem britischen Gegner allein sicher noch
längeren und erfolgreichen Widerstand leisten können.
Welche Hoffnungen, welche Entwürfe knüpfte das deutsche Volk
auch in kolonialer Hinsicht an den so glänzend verlaufenden
Feldzugsbeginn! Bestimmt rechnete man mit Gewinn des belgischen
Kongostaates und mit einem kompakten deutschen Mittelafrika. Welch ein
erhebender Gedanke, welch reiches Arbeitsfeld für deutsche
kolonisatorische Tüchtigkeit!
Das Mutterland konnte den Kolonien während des Krieges nur wenig
geben. Die Marine vermochte die Kolonien nicht zu schützen. Das
ostasiatische Geschwader wurde zur Verwendung auf hoher See fortgezogen; die
vereinzelten Stations- oder Vermessungsfahrzeuge auf afrikanischer Station
haben, nachdem ihre Schiffe ehrenvoll zugrunde gegangen waren, mit ihren
Besatzungen in den Reihen der Schutztruppe an deren Kämpfen wacker
teilgenommen; mehr war nicht möglich. Später kamen nach
Ostafrika noch zwei Hilfsschiffe durch; eine dorthin angesetzte
großzügige Hilfsaktion mit Luftschiff kam leider nur bis
Ägypten und drehte dort um. Die
deutsch-türkische Unternehmung zu Lande gegen den
Suez-Kanal war großzügig gedacht, ihr Erfolg hätte auch
sicher die jungägyptische Bewegung entfacht, die dann nach
Deutsch-Ostafrika ihre Hand entgegengestreckt hätte; sie erwies sich aber
als undurchführbar und verlief, trotz der großen hierfür
aufgewendeten Mittel, im Sande. Die einzige Verbindung der Kolonien mit dem
Mutterlande war ein dürftiger Funkspruch.
So fielen denn die wehrlosen Kolonien, die Inseln der Südsee und Togo,
fast ohne Kampf dem Gegner zu; das sich tapfer wehrende Kiautschou vermochte
sich drei Monate lang zu halten; Südwestafrika hat fast ein Jahr lang
Widerstand geleistet. Die Kameruner Truppe hat rühmlich 1½ Jahre
lang gekämpft und ist dann in musterhafter Ordnung auf neutrales Gebiet
übergetreten. Und in Ostafrika wehte noch nach 4½ Jahren die
deutsche Fahne an der Spitze einer unbesiegten Schar weißer und farbiger
deutscher Helden, die nicht bloß jeden Fußbreit der Kolonie
verteidigt, sondern auch den Gegner in seinen eigenen Kolonien gründlich
heimgesucht hatte, und die ihre ruhmbedeckten Waffen erst senkte, als der
Waffenstillstand in der Heimat ihrem Heldenkampfe ein Ziel setzte.
2. Kiautschou.
Aus einem chinesischen Fischerdorf hatte sich Tsingtau in wenig mehr denn
einem Dutzend Jahren zu einer blühenden Handelszentrale entwickelt. Ein
glänzender Hafen war durch die Schantungbahn mit den
Kohlenschätzen im Hinterlande verbunden worden, eine weitere Bahn war
im Entstehen; neben den reichen Kohlenlagern waren vielversprechende Erzlager
gefunden, die Errichtung eines großen Eisenwerkes war in hoffnungsreicher
Unternehmung; dem chinesischen [354] Raubbau an Holz war
durch umfangreichen Waldanbau begegnet
worden - kurz, die Kolonie hatte eine auf gediegener deutscher Arbeit
beruhende, vielversprechende Zukunft.
[354]
Skizze 11: Kiautschou.
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Es war nur zu natürlich, daß diese emporblühende deutsche
Kolonie die Mißgunst anderer auf sich ziehen mußte. China selbst
war zwar nicht gefahrdrohend, selbst der sogenannte Boxeraufstand 1900/1901
war nahezu spurlos an der Kolonie vorübergegangen; die beiden ernst zu
nehmenden Rivalen waren England und Japan. Japan mußte an diesem
Stück ostasiatischen Festlandes mit einer wohleingerichteten Kolonie und
dem stets eisfreien Hafen (bei Port Arthur ist dies nicht der Fall) als Basis
für weiteres Eindringen in China außerordentlich viel gelegen sein.
So war es der englischen Diplomatie, für die allein der Angriff auf
Kiautschou immerhin ein Wagnis war, und die ja nur anzugreifen pflegt, wo es
kein Wagnis ist, nicht schwer, den japanischen Verbündeten zur Rolle des
ausführenden Werkzeugs zu bewegen. Die Beute war lockend genug.
Für einen Angriff auf Tsingtau war dessen Seefront am meisten
gefährdet. Ihre Befestigung, insbesondere der unmittelbare Schutz des
Hafens, war haupt- [355] sächlich durch
Ausbau neuer, leistungsfähiger Batterien durchgeführt; ein
vollkommener Ausbau Tsingtaus als Festung, auch nach der Landseite hin, etwa
wie Port Arthur, war jedoch ausgeschlossen. Ein Bergring umgibt die Stadt, und
höhere Höhenzüge folgen ihm in mehreren Kreisen
hintereinander terrassenartig bis zum Hochgebirge. Wegen der Tragweite der
Geschütze hätte man daher immer weiter hinausgehen müssen,
und so wäre ein Umfang entstanden, der zu der verfügbaren Truppe
in keinem Verhältnis gestanden hätte. So hatte man sich auf der
Landseite nur auf Schutz gegen gewaltsamen Angriff beschränken
können durch Anlage einer, in Gestalt einiger Werke einfachster Art und
Batterien, halbkreisförmig sich landwärts um Tsingtau
herumlegenden Gerippstellung; diese wurde während der Mobilmachung
sachgemäß durch Schützengräben, Hindernisse,
Unterstände und mit einem weitausgedehnten Minenfelde ausgebaut.
Der am 1. August in Tsingtau eingehende Mobilmachungs-Befehl ließ
außer diesen Arbeiten im Vorgelände die vollkommene Armierung
und Ausrüstung des Platzes und der Werke vornehmen; das ostasiatische
Marine-Detachement aus Peking und Tientsin wurde herangezogen. Weitere
Reservisten und Freiwillige eilten mit der gleichen Begeisterung wie in der
Heimat, allerdings meist unter Überwindung großer Schwierigkeiten,
herbei; insgesamt sind gegen 800 Reservisten und Kriegsfreiwillige nach Tsingtau
gelangt. Ihre Zahl wäre noch größer gewesen, wenn nicht die
Engländer die Schiffe, die von Manila und anderen neutralen Häfen
kamen, angehalten und die Deutschen in Hongkong eingesperrt hätten.
Das deutsche ostasiatische Kreuzergeschwader,1 das anderen
Orts mehr leisten konnte, hatte den Hafen zu einer Kreuzfahrt verlassen. Was in
der Kiautschoubucht zurückgeblieben war, war wegen geringer
Geschwindigkeit für Hochseekampfführung nicht geeignet, hat aber
hier die Verteidigung bis zuletzt wirksam unterstützt. Es waren dies:
Kanonenboot "Jaguar", Torpedoboot "S 90" und der österreichische
Kreuzer "Kaiserin Elisabeth".
Nachdem am 15. August dem deutschen Gesandten in Tokio das bekannte
maßlose japanische Ultimatum auf Räumung Kiautschous
überreicht worden war, wurde die Mehrzahl der deutschen Frauen und
Kinder aus der Stadt entfernt. Am 23. August folgte die japanische
Kriegserklärung, und bereits vier Tage darauf erklärte der japanische
Admiral Kato mit 2 Panzerkreuzern, 2 Kleinen Kreuzern, 5 Zerstörern und
einigen englischen Kriegschiffen über die Küste des Schutzgebietes
die Blockade. Unmittelbar darauf, schon in den ersten Septembertagen, begannen
die Japaner unter dem Schutz ihrer Kriegschiffe und Torpedoboote die Landung
ihrer Truppen - 40 000 Mann! - an der Nordküste von
Schantung in der Lauschanbucht nordöstlich der deutschen Grenze. Der
chinesische Einspruch ob dieser Neutralitätsverletzung wurde nicht
beachtet. Allerdings wurde zunächst der Vormarsch der Japaner durch
heftiges Unwetter und starke, anhal- [356] tende Regenfälle aufgehalten, die
Flußläufe füllten sich ungewöhnlich. Geschütze
und Mannschaften gingen zahlreich in ihnen verloren.
Am 17. September kam es zum ersten größeren Zusammenstoß
an der Schutzgebietsgrenze, wohin ein Detachement (3
Infanterie-, 1 berittene Kompagnie mit Feldartillerie) vorgeschoben worden war.
Der Übermacht weichend, ging das Detachement kämpfend
zurück, konnte aber dem Gegner, wirksam unterstützt durch die
Artillerie des "Jaguar", des "S 90" und der "Kaiserin Elisabeth", schwere
Verluste beibringen. Inzwischen waren auch englische und indische Truppen unter
General Barnardiston in Stärke von etwa 1000 Mann eingetroffen und
hatten sich dem japanischen Oberbefehl unterstellt. Sie haben eine recht
unrühmliche Rolle gespielt. Am Kampf haben sie sich so gut wie gar nicht
beteiligt; sie haben sich im allgemeinen damit begnügt, hinter der
japanischen Linie Fußball zu spielen. Verluste haben sie nur gelegentlich
eines Arbeitsdienstes, beim Holzschlagen für die Japaner, gehabt.
Die Vorpostengefechte zogen sich durch den September hindurch hin; gegen Ende
September waren die Außendetachements, Schritt für Schritt
weichend, bis in die vorbereitete Stellung zurückgegangen, die nunmehr
endgültig besetzt wurde, um in ihr die Verteidigung nachdrücklich
durchzuführen. Ihr gegenüber marschierten die Japaner auf. Der
Aufmarsch brachte ihnen schwere Verluste, da ihre Anmarschwege
sämtlich unter wirksamem Artilleriefeuer gehalten wurden. Auch die
schwere japanische Artillerie wurde mittlerweile in Stellung gebracht und
eröffnete das Feuer; der Artilleriekampf blieb von nun an mit geringen
Unterbrechungen stetig im Gange. Infolge des sehr gut geleiteten Artilleriefeuers
fiel es den Japanern außerordentlich schwer, gesicherte Stellungen für
ihre Belagerungsgeschütze einzurichten, ihre Verluste waren deshalb
ständig erheblich. Nach mehrtägigem Artilleriekampf unternahmen
die Japaner in den ersten Tagen des Oktober einen Sturm gegen die deutsche
Infanteriestellung im Norden. Er mißlang völlig; in einem Berichte
von feindlicher Seite heißt es: "Die Wirkung der deutschen Minen,
Geschütze und Maschinengewehre war vernichtend" und weiter: "Die
deutschen Verluste sollen gering sein, die Japaner warten Verstärkungen
aus Japan ab." 2500 Mann Verluste auf japanischer Seite waren der Preis dieses
verunglückten Sturmversuches gegenüber 6 Toten, 90 Verwundeten
der Tsingtauer Besatzung!
Dieser Fehlschlag und viele Erkrankungen veranlaßten die Japaner,
Verstärkungen heranzuziehen, so daß sie schließlich
schätzungsweise 60 000 bis 80 000 Mann mit gegen 250
Geschützen insgesamt eingesetzt haben dürften.
Schon früher hatte Torpedoboot "S 90" wiederholt erfolgreich gegen
japanische Kriegschiffe gekämpft. Am 17. Oktober abends gelang es ihm,
unbemerkt durch die Blockadelinie zu kommen. In der Nacht kreuzend, entdeckte
es die Umrisse eines großen Schiffes; es war der japanische Kreuzer
"Takatschio", im Frieden Torpedoschulschiff. Mit aller Kraft, die seine alte
Maschine hergab, kam [357] das Torpedoboot auf
500 m heran und feuerte hintereinander drei Torpedos ab. Der Gegner gab
Alarmsignal, aber schon erfolgten die Explosionen; die dritte von gewaltiger
Wirkung: das Schiff wurde buchstäblich in die Luft gehoben und zerrissen.
Jetzt von Übermacht verfolgt, mußte "S 90" nach Süden
ausweichen und wurde, um nicht dem Feind in die Hand zu fallen, auf Strand
gesetzt. Nachdem es seine letzte drahtlose Meldung nach Tsingtau erstattet hatte,
wurde es gesprengt; die Besatzung entkam nach Nanking, wo sie interniert
wurde.
Ende Oktober begann von den japanischen Schiffsgeschützen wie den
Belagerungsgeschützen allgemeines und bis zum Fall von Tsingtau
ununterbrochen andauerndes Feuer aus schwerstem Kaliber. Die Werft wurde
zerstört, die Petroleumtanks gingen in Flammen auf, die
Verteidigungswerke, die bisher nur wenig gelitten hatten, gingen ihrer
Zerstörung entgegen; "Jaguar", "Kaiserin Elisabeth" und die übrigen
Schiffe mußten wegen Munitionsaufbrauchs verlassen werden und wurden
am Hafeneingang versenkt.
Mehrere Sturmversuche der Japaner, die sich schon auf 50 m an die
Infanteriewerke herangegraben hatten, waren bisher abgewiesen worden, als diese
am 7. November wiederum zu einem großen Sturm
ansetzten. - Noch am 3. November hatte die Besatzung einen Ausfall
gemacht, am nächsten Tage vermochten jedoch nur noch zwei Werke das
feindliche Feuer zu erwidern, die anderen waren zum Schweigen gebracht. Bald
war auch der noch vorhandene geringe Rest der Munition verschossen. Die Reste
der Verteidigungswerke, Geschütze, Funkspruchstationen, waren, um sie
nicht in Feindeshand fallen zu lassen, bereits gesprengt. So mußte denn der
7. November das Ende des ungleichen Kampfes bringen; die Japaner
erstürmten die zusammengeschossenen, nicht mehr
verteidigungsfähigen Werke Iltis, Bismarck, Moltke.
Nach englischen Berichten hat der Sturm allein die Angreifer mehr gekostet, als
die ganze Besatzung Tsingtaus betragen hat. Namentlich der letzte Widerstand der
Besatzung wird in japanischen Berichten hervorgehoben; die Angreifer,
insbesondere die japanischen Pioniere, hatten "entsetzliche" Verluste gehabt.
Nach zweitägiger Verhandlung erfolgte am 10. November die
Übergabe, nachdem am 9. November der Gouverneur an den Kaiser
gemeldet hatte:
"Festung nach Erschöpfung
Verteidigungsmittel durch Sturm und Durchbrechung in der Mitte gefallen.
Befestigung und Stadt vorher durch ununterbrochenes neuntägiges
Bombardement von Land mit schwerstem Geschütz bis 28 cm
Steilfeuer, verbunden mit starker Beschießung von See, schwer
erschüttert, artilleristische Feuerkraft zum Schluß völlig
gebrochen; Verlust nicht genau übersehbar, aber trotz schwerstem,
anhaltendem Feuer wie durch Wunder viel geringer, als zu erwarten.
gez. Meyer-Waldeck."
Damit war der Heldenkampf der jüngsten deutschen Kolonie zu Ende. Der
Rest der Besatzung, gegen 3000 Mann, wurde in japanische Gefangenschaft
abgeführt. [358] Auf dem Grunde der
Kiautschoubucht ruhen der österreichische Kreuzer "Kaiserin Elisabeth", 5
deutsche Kanonenboote und das alte Torpedoboot "Taku", sämtlich von der
eigenen Besatzung versenkt. Fast drei Monate lang hat die etwa 5000 Mann starke
Besatzung im Verein mit diesen wenig kampfkräftigen Schiffen gegen ein
rund 60 000 Mann starkes Belagerungsheer, also vielfache
Überlegenheit, und gegen mehrere Kriegschiffe
gekämpft. - Die Besatzung verlor gegen 200 Tote und 400
Verwundete; Japan hat nach eigenem Eingeständnis über
10 000 Mann Verluste gehabt.
Verloren ist Deutschlands jüngste schöne Kolonie, doch teuer genug
ist sie verkauft worden.
3. Schutzgebiet im Stillen
Ozean.
Das deutsche Schutzgebiet im Stillen Ozean war zu einem Widerstand in sich in
keiner Weise befähigt; daß die kleinen Inseln und selbst der Teil der
großen Insel Guinea, der Deutschland gehörte, irgendwelchen
nennenswerten Widerstand leisten könnten, war von vornherein
ausgeschlossen. Um so höher ist es zu bewerten, daß der Gouverneur
von Neu-Guinea, Geheimer Regierungsrat Haber, es verstanden hat, einen kleinen
Widerstand ins Werk zu setzen. Diesen, wie die anschließenden
Verhandlungen hat Haber so geschickt zu führen verstanden, daß er
dem Hauptgegner, der australischen Regierung gegenüber, sich durchsetzte,
und daß diese ihm, im Verhältnis zu seiner lächerlich winzigen
Streitmacht, außerordentlich ehrenvolle Übergabebedingungen
zugestand.
[359]
Skizze 12: Südsee-Besitzungen.
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Der Verlauf der Ereignisse war folgender: Sofort bei Nachricht vom
Kriegsbeginn verlegte sich das Gouvernement von Rabaul ins Innere nach Toma,
wie es seit langem für den Fall kriegerischer Verwicklungen ins Auge
gefaßt war. Als der von einer Dienstreise zurückkehrende
Gouverneur in Toma eintraf, gründete er sofort die "bewaffnete Macht des
Schutzgebiets". Sie bestand aus einer weißen Wehrabteilung von rund 30
Köpfen Freiwilliger und der verstärkten farbigen Landespolizei in
Stärke von etwa 250 Köpfen. Als Aufgaben waren dieser
Heeresmacht gestellt: Zeitgewinn für Unterhandlungen, örtlicher
Schutz der Gouvernementsstation Toma und der noch im Bau befindlichen, aber
schnell notdürftig betriebsfähig gemachten Funkenstation
Bitapaka.
Nachdem schon am 12. August die australische Flotte auf der Reede von
Herbertshöhe erschienen war, traf diese, in Zahl von 14 Schiffen, am 11.
September erneut vor Rabaul ein; mit ihr ein riesiger Truppentransportdampfer
mit einer ganzen Brigade australischer Milizsoldaten an Bord,
größtenteils queensländische Buschleute. Die gelandeten
Truppen nahmen den Weg auf die Funkenstation Bitapaka zu; kleine Abteilungen
der Landespolizei traten ihnen hier kräftig entgegen, und es kam zu heftigen
Buschgefechten, ehe erst gegen Nachmittag Bitapaka vom Feind genommen
werden konnte. - Die kleine Truppe erhielt [359] nun vom Gouverneur
den Befehl, sich auf ein ernstes Gefecht nicht mehr einzulassen und beim
Herannahen stärkerer feindlicher Kräfte fechtend
zurückzugehen; Hauptsache sei, den noch vorhandenen Bestand der Truppe
zusammenzuhalten, um eben, bei sich bietender Gelegenheit, Zeit für
Verhandlungen zu gewinnen. Diese Erwägungen waren richtig; die im
September einsetzenden Verhandlungen führten zwar, wie ja nicht anders
möglich, dazu, daß am 21. September die bewaffnete Macht des
Schutzgebiets sich dem britischen Befehlshaber ergeben mußte, daß
diese Bedingungen aber so ehrenvoll waren, wie man sie in Anbetracht der
lächerlich geringen Stärke der eilig zusammengestellten Streitmacht
überhaupt nur herausdrücken konnte. Die Truppe wurde mit allen
militärischen Ehren übergeben, die Weißen wurden gegen
Leistung des Neutralitätseides freigelassen, während die
Eingeborenen in die Landespolizei wieder übernommen wurden. Der
Kapitulationsvertrag verursachte später bei den australischen
Behörden wenig Freude; er erschien ihnen, namentlich betreffs des freien
Abzugs der Weißen, viel zu entgegenkommend; ein Beweis, daß die
Taktik des Gouverneurs die richtige gewesen war.
Hauptmann Detzner war bei Kriegsausbruch mit einer Forschungsexpedition ins
Innere beauftragt, die zu einer Längsdurchquerung
Deutsch-Neuguineas er- [360] weitert wurde. Ihn
erreichte erst Ende Oktober die Nachricht vom Kriegsausbruch in eigenartiger
Weise: Eine britische Abteilung war auf zwei zum Nachbringen eines
schwerkranken Trägers bei diesem zurückgelassene eingeborene
Soldaten gestoßen, hatte diese mitgenommen und dem sterbenden
Träger einen Zettel in die Hand gegeben, der die Nachricht von der
Kriegserklärung Großbritanniens und die Aufforderung an Detzner
enthielt, sich sofort zu ergeben. - Hauptmann Detzner tat dies nicht. Er
verstand es vielmehr, sich bis zum Friedensschluß, also vier Jahre hindurch,
mit seinen wenigen eingeborenen Begleitsoldaten durch
Kreuz- und Querzüge im Innern zu halten und dem Feind zu entziehen. Mit
großer Treue hielten die Papua der Finchhafen-Halbinsel zu ihm und zum
Deutschtum. Rührend, so schildert Detzner, sei die Freude der Papua
gewesen, als sie nach Erhalt der Friedensnachricht zu Hunderten zur Küste
strömten, um dort die baldige Wiederkehr der deutschen Regierung zu
feiern! - Für die Australier und ihre Verwaltung hatten
nämlich nicht bloß die Eingeborenen, sondern auch die weißen
Pflanzer bald eine gründliche Verachtung gefaßt, die sich in einem,
selbst von den Pflanzern britischer Nationalität, im Juni 1919 eingereichten
Bittgesuch, beileibe nicht unter australische Verwaltung gestellt zu werden,
drastisch äußerte.
Zur Verteidigung des Inselgebiets waren keine Kräfte vorhanden. Das
gesamte Inselgebiet der Karolinen, Marianen und Marschallinseln wurde
kampflos von den Japanern besetzt und in Verwaltung genommen; mit Ausnahme der Phosphatinsel Nauruu, die britischerseits besetzt wurde.
Die schöne Insel
Samoa wurde gleichfalls ohne Widerstand durch
neuseeländische Streitkräfte besetzt.
4. Togo.
Für eine Verteidigung hatte die Kolonie Togo die denkbar schlechtesten
Bedingungen. Nach allen Seiten hin offen gelegen, eingekeilt zwischen zwei
feindlichen Nachbarn, war sie einem Überfall nahezu wehrlos
preisgegeben. Französische wie englische Streitkräfte konnten ohne
nennenswerte Schwierigkeiten einbrechen und dann, dank dem vortrefflich
ausgebauten Wegenetz der Kolonie, in dieser schnell vordringen. Eine
Schutztruppe war nicht vorhanden, es bestand nur eine kleine farbige
Landespolizeitruppe. Unter diesen Umständen konnte mit einer
längeren Verteidigung der Kolonie überhaupt nicht gerechnet
werden; immerhin erachtete es der Gouverneur, Geheimer Regierungsrat
v. Döring, für seine selbstverständliche Pflicht, den
Widerstand so lange und so kräftig wie möglich zu versuchen; hegte
man doch auch hier bei Kriegsbeginn die Hoffnung, daß der Krieg in
Europa binnen kurzer Zeit beendigt und daß über das Schicksal der
Kolonien dann in Europa entschieden werden würde. So wurden alle
verfügbaren wehrfähigen Deutschen aufgeboten und die farbige
Polizeitruppe durch Einstellung von Rekruten auf 400 Köpfe gebracht.
[361]
Skizze 13: Südteil von Togo.
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[361] Die Hauptstadt Lome
an der Küste war in keiner Weise verteidigungsfähig; sie wurde
daher aufgegeben. Dafür sollte aber die Großfunkenstation Kamina,
die den Verkehr von der Heimat mit den übrigen afrikanischen
Schutzgebieten vermittelte, so lange als möglich gehalten werden.
Verhandlungen mit dem Gouverneur der britischen
Goldküsten-Kolonie zwecks Neutralitätserklärung Togos
scheiterten durch Ablehnung britischerseits. So verlegte Döring am 8.
August seine kleine Truppe nach Kamina, alles rollende Material mit sich
führend. Fast gleichzeitig rückten die Engländer bereits in
Lome ein und erklärten die Stadt und alles Land bis 120 km
landeinwärts für englischen Besitz. Wenige Tage später
überschritten die Franzosen den Grenzfluß Monu im Süden der
Kolonie und fielen gleichzeitig mit eingeborenen Truppen in den völlig
wehrlosen Norden der Kolonie ein. Nun stießen Franzosen wie
Engländer schnell ins Landinnere vor. Das Bemühen, Kamina so
lange als möglich zu halten, führte zu zahlreichen
Patrouillengefechten südlich des Ortes; am 24. August vermochte die
winzige deutsche Polizeitruppe noch, ihre Stellung am Chrafluß mit
außerordentlicher Tapferkeit gegen erheblich überlegene
feind- [362] liche Kräfte zu
halten. Doch dies war die letzte Kampfhandlung; der weitere Widerstand der
Kolonie war, da inzwischen Kamina von allen Seiten umfaßt war, hiermit
besiegelt. Nach kurzen Verhandlungen erfolgte am 27. August die
Übergabe der Kolonie, die zwischen Frankreich und England aufgeteilt
wurde.
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