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[Bd. 5 S. 128]
Erzherzog Carl, 1771-1847, von Friedrich von Rabenau

Erzherzog Carl.
Erzherzog Carl.
Gemälde von Jean-Baptiste Isabey, 1814.
[Nach wikipedia.org.]
Das Leben des Erzherzogs Carl wäre tragisch, wenn es genügend dramatische Spannung mit ausgesprochener Krisis und Peripetie hätte. So aber war es ein wenig erzherzoglich. Irgendwo brach es ab, ohne erst eigentlich dramatisch geworden zu sein. Als 1813 Deutschland siegte, war er nicht dabei, der für Österreich so viel geleistet und doch die Niederlagen der Habsburgischen Hausmacht nicht abzuwehren vermocht hatte. Das Schicksal schob ihn zu früh in die Kulisse, nachdem es ihn vielleicht auch zu früh auf die weltgeschichtliche Bühne gestellt hatte. Als man ihn 1796 zum Reichsfeldmarschall berief, war er ganze fünfundzwanzig Jahre alt. Es wurde Leistung verlangt eigentlich vor der Reife. Das Bild, das sich Kaiser Franz vom Bruder Carl machte, mußte aber doch wohl so sein, daß er in ihm Möglichkeiten sah, das Ruhende zu bewegen. Möglichkeiten, nicht mehr.

In seiner Jugend, die Carl in Florenz bei den Eltern, Großherzog Leopold und der spanischen Königstochter Maria Ludovica verlebt, ist er bildhübsch, vielleicht nicht groß genug, um körperlich zu imponieren, aber kräftig. Die der Familie eigentümliche Unterlippe wirkt bei ihm nicht einmal unschön. Er ist wohl etwas behindert durch ein körperliches Leiden, sagen wir einmal eine Neigung zu Ohnmächten. Dem geistig ungemein regsamen jungen Prinzen gibt diese Hemmung einen Zusatz von gelegentlicher Unstetigkeit in der Arbeit. An der Größe der Aufgabe hat sich das später gewandelt. Zur Stunde seiner ersten Berufung mag aber dem Kaiser allzu große Energie nicht einmal nützlich erschienen sein. Zu scharfen revolutionären Neuerungen war die Zeit nicht bereit. Auch Scharnhorst hat seine Reformen behutsam begonnen.

Ein klarer, tatenfroher, ein feiner, reiner Charakter ist Erzherzog Carl, ein furchtloser, oft lebensprühender Mensch; manchmal, unvermittelt weltvergessen träumerisch. Geliebt vor allem von der Tante Marie-Christine von Sachsen-Teschen. Sie, die als eine zweite Mutter die tiefe Sehnsucht des Knaben nach Liebe erfüllte, schrieb einst, das Glück leuchte von Carls reizendem Gesicht und aus seinen etwas schmachtenden Augen. Sie prophezeite schlecht. Das Glück hat Carl nicht verwöhnt.

Soldat war er von Natur. Angeborene Neigung wurde durch den Erzieher Manfredini gefördert und, wie er mit siebzehn Jahren selbst schreibt, "zu einer ordentlichen Leidenschaft für das militärische Metier" gesteigert. In Wien war dann weiter Gelegenheit, zu lernen: in Sitzungen des Hofkriegsrates, worüber [129] diese Institution später keine Freude haben wird; auf Reisen, von den er nach Ansicht der Tante etwas Tadelsucht und revolutionäres Ungestüm mitbringt; in Staatsverhandlungen mit Preußen und England, wo die Prinzen zuhören durften; in Sitzungen der böhmischen und ungarischen Kriegskanzlei. Recht interessant wurden diese Verhandlungen 1791, als die Flucht Ludwigs XVI. mißlungen war. Europa schien dazu Stellung nehmen zu müssen.

Carl verlebt trotzdem 1791/92 einen glücklichen Winter bei der Tante Christine in Belgien. Keine schlechte Schule: Frankreich ist nahe, und ein klarer Blick erkennt, was an Althergebrachtem Vernichtung verdient und was nicht. Belgien ist in voller Verfassungsgärung. Da meint Carl, "der beste parti sei, den eigenen Weg beständig zu gehen" – eine vortreffliche Ansicht, zumal mit zwanzig Jahren.

Der 1. März 1792 änderte die ganze Lage. Leopold II. starb, Erzherzog Carls Bruder Franz folgte auf dem Thron, genau an dem Tage, an dem der Gesetzgebenden Versammlung in Paris eine Note überreicht wurde, daß Preußen und Österreich französische Truppen auf deutschem Gebiet als Kriegserklärung ansehen wollten. Der belgische Verfassungsstreit läßt Carl als Boten nach Wien reisen. Er vermerkt "geringes Fassungsvermögen" leitender Männer und "krasse Ignoranz in der Staatskanzlei"; dazu der greise "Fürst Kaunitz, der nicht immer liest, was er unterschreibt", und das in Tagen, in denen die Gironde mit seltener politischer Naivität der Welt den Krieg erklärte. Freilich, daß da drüben in Frankreich echte Revolution war, erkannte dies Europa kaum. Man wird einen Erziehungsspaziergang nach Paris machen, und alles wird gut sein. Preußen und Österreich sind also von vornherein nur mit halbem Herzen dabei. Der Vormarsch geht bis Valmy. Dort weicht der berühmte Feldherr, der Herzog von Braunschweig, der Entscheidungsschlacht aus. Was hätte Goethe erst gesagt, wenn hier ein entscheidender antirevolutionärer Sieg, der mit Händen zu greifen war, nicht vertan worden wäre. Bei Valmy nimmt die Feldherrnkunst des achtzehnten Jahrhunderts Abschied von der Geschichte wie ein alter Mann, der Jugend vortäuscht.

Erzherzog Carl ist zunächst beim Onkel, kommt zum erstenmal ins Gefecht, sieht viel, führt aber nicht. Er sieht auch den elenden Zustand österreichischer Truppen. Den großen Krieg lernt er nicht kennen. Was er lernt, ist die Erkenntnis, wie man es nicht machen soll. Es geht ihm wie Kronprinz Friedrich 1734 am Rhein unter dem alt gewordenen Prinzen Eugen.

Die Republik Frankreich beginnt, den Königstraum Ludwigs XIV., den Traum vom Rhein, wahrzumachen. Ende 1792 ist Belgien verloren. Der in die Niederlande zurückgekehrte Erzherzog Carl erlebt das mit; erlebt, daß eine Katastrophe nur durch die Fehler vermieden wird, die Dumouriez macht. Alsdann geht man in die rettenden Winterquartiere. Der Erzherzog geht noch etwas weiter. Er amüsiert sich in Münster. Der Onkel und die Tante billigen das nicht. Carl entschuldigt sich, man hätte ihn gegen seinen Willen von der Armee fortgeschickt. Aber [130] das ist eben das Merkwürdige, daß er sich fortschicken läßt. Das Jahr 1793 fängt weniger amüsant an. In Frankreich richtet man den König hin, und kurz darauf tritt England einer Koalition bei, welche die russische Autokratin aus Anhalt-Zerbst nur als Tarnung für ihre West-Absichten ansieht und der der König von Preußen infolge seiner Ost-Absichten nur höchst ungern angehört.

Im März 1793 wagen die Verbündeten den Angriff. Was man so Angriff nennt. Carl darf beim Prinzen von Koburg die Vorhut führen, holt sich mit persönlicher Bravour und taktischem Geschick bei Aldenhoven und Neerwinden die ersten verdienten Lorbeeren. Alsdann bemächtigt sich die Politik des jungen Prinzen. Onkel und Tante, die etwas zu hastig aus Brüssel abgereist waren, konnten nicht gut dorthin zurückgehen. Daß man Brüssel überhaupt wieder hatte, war zum Teil das Verdienst Carls. Dies und ein alter Wunsch Marie-Christines genügte, ihn zum Generalgouverneur der Niederlande zu machen. Solche Aufgabe ging über das hinaus, was Carl an Erfahrungen besitzen konnte. Seine Ernennung war nichts viel anderes als eine Verlegenheitsaushilfe, die nicht zur Folge haben sollte, ihm auch die militärische Verteidigung Belgiens zu übertragen. Aber er darf ein Korps führen. Das geht bei Landrecies gut, bei Tourcoing durch einen Schwächeanfall Carls nicht so gut. Der imposante Vernichtungsplan Macks geht aber ohnedies über das Vermögen der Truppe. Als schlimmstes Ergebnis dieses Jahres bucht Carl die Auflösung des inneren Wertes der Armee. Das wollte schon etwas heißen, denn dieser innere Wert, der soldatische Geist, die Bravour, ist im österreichischen Heere niemals schlecht gewesen.

Das Jahr 1794 endet mit dem Verlust der Niederlande. Da er endgültig ist, ist es auch mit dem Statthaltertraum aus, und leider auch für Österreich aus mit den finanziellen Hilfen dieser reichen Provinzen. Vom Bisherigen einigermaßen enttäuscht, bringt Carl das Jahr 1795 in Wien mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit und seiner eigenen Finanzen zu. Es ist, als ob das Schicksal ihm eine Atempause gegönnt hat, bevor es plötzlich Ernst, bonapartischer Ernst wird. Man hat für 1796 einen schönen Kriegsplan, von Thuguts und Hofkriegsrats Gnaden: Festungen belagern, statt Heere zu schlagen; nie das Schlimmste, immer das Günstigste voraussetzen. Napoleon, cet homme du destin, als Gegner wird allerdings für keine Armee günstig sein. Leider hat man selbst keinen Feldherrn. Clerfayt ist mit den Vorereignissen belastet. Wurmser ist gewiß nicht ohne Größe, aber ohne Glück, auch nicht mehr jung und recht schwerhörig, genug, man will ihn nicht, und der Feldmarschall Lacy, klug, geschult, aber alt, zudem ein ewiger Kunktator, will wohl selbst nicht mehr.

Der Kaiser ernennt also den Erzherzog Carl zum Befehlshaber der Hauptarmee und zum Reichsfeldmarschall. Vor Jahresfrist wäre das nicht gegangen, "on trouvait qu'il critique trop les arrangements". Was jetzt für ihn ausschlaggebend spricht, bleibt unklar. Aber es spricht auch niemand gegen ihn, nicht einmal Thugut. Das genügt in dieser seltsamen Zeit: Carl wird mit fünfundzwanzig [131] Jahren Marschall. Dieser Erzherzog muß entweder von unbegrenztem Ehrgeiz besessen oder ein unerhörtes Genie sein und hat doch das eine nicht bewiesen und das andere noch gar nicht beweisen können.

Allerdings, ein genialer Funke war da. Den abwegigen Feldzugsplan wollte er ändern mit dem Blick des geborenen Führers. Das war unerwünscht. Den Bruder des Kaisers wollte man im Kommando dulden, aber nicht einen selbständigen Feldherrn. Bisher sagte man dem kleinen Erzherzog "modestie" bis zur "fausseté" nach. So bescheiden war dieser nun aber keineswegs. Dann wird man ihn in bestimmte Bahnen zwingen. Ein Feldmarschall kann in solcher Lage mit Rücktritt drohen, der Bruder des Kaisers nicht. Das Recht der letzten persönlichen Konsequenz besitzt ein Erzherzog zunächst nicht. Freilich, später hat er sich dies Recht kraft eigener Leistung genommen. Als er im April 1796 zur Niederrhein-Armee abgeht, hat er die unsinnige Instruktion mit, "die feindlichen Armeen eine nach der anderen zu schlagen und dann Landau zu belagern". Ein sonderbares Kriegsziel, diese Belagerung. Carl will das vernünftige Grundprinzip wenigstens retten: Offensive, bevor der Feind seine Kräfte beisammen hat.

Die Armee ist mindestens nicht mehr gut. Dabei sind Erfolge dringend nötig. Denn in Italien siegt General Bonaparte. Es wird klar, daß durch die Wucht der einen Persönlichkeit Italien zum Hauptkriegsschauplatz geworden ist, wodurch der bedeutendste österreichische General unvermutet an der falschen Stelle steht. Der Kampf um den Rhein wird am Po und an der Etsch entschieden. Carl muß Kräfte abgeben und kann nur noch den Gegner aufhalten. Das geschieht nach geschickten Vorkämpfen Mitte Juni durch erfolgreichen Angriff. Obwohl man dann weiter zurück muß, hat der Sieg bei Wetzlar besondere Bedeutung. Der tollkühne Erzherzog gewinnt fast fanatische Bewunderung. Eine merkwürdige Welt, die in einem taktischen Sieger den "Messias" sieht; ein noch merkwürdigerer Mensch, der solchen Eindruck machen kann.

Mit der von Wien her befohlenen Kräfteverzettelung, mit Bedenken, Erwägungen, Rücksichten kommt man an die Donau zurück. Müde Hoffnungslosigkeit erfaßt Fürsten und Generäle, selbst die engere Umgebung Carls. Da wächst dieser zum ersten Male weit über seine Jahre und Erfahrung hinaus mit der Kraft der eigenen Seele in echte Feldherrngröße hinein. Wo alle verzagen und viele hineinreden, holt er in fast aussichtsloser Lage, Außerordentliches wagend, Kräfte zusammenreißend, den Gegner täuschend, im September zum Vernichtungsschlage bei Würzburg aus. Der Entschluß zeigt nahezu friderizianische Merkmale. Es ist immer gewagt, einen Gegner zu schlagen, wenn man nur unzureichende Kräfte gegen den anderen belassen kann. Deutschland wird wieder bis zum Rhein frei. Entschieden ist damit freilich nichts. Trotzdem ist Carl "der Retter Germaniens", der Abgott aller, der Stolz Tante Christines. Sogar die Börsenpapiere ziehen um fünfzehn Prozent an. Mehr freilich nicht, denn da unten in Italien hat Bonaparte Mantua eingeschlossen.

[132] Nachdem Alvintzy geschlagen und Wurmser in das italienische Mißgeschick hineingerissen war, stand man vor der Entscheidung, durch Offensive über den Rhein Bonaparte zurückzuholen oder ihm in Italien selbst entgegenzutreten. Paris erwartete sehr berechtigt das erste, die Wiener Politik entschied sich zum zweiten. Für die schwere Aufgabe kommt nur der Erzherzog Carl in Betracht. Anfang Januar 1797 machte sich der Heros Deutschlands auf, einem Genie entgegenzutreten, dessen Größe man nicht kannte, aber ahnte.

Napoleon triumphiert: "Bisher habe ich Armeen ohne Feldherren besiegt, nun eile ich, einen Feldherrn ohne Armee zu bekämpfen." Hohes Lob, von diesem Manne Feldherr genannt zu werden. Aber die Mittel sind unzulänglicher denn je. Der Hofkriegsrat arbeitet nicht einmal schlecht, nur zu langsam. Bonaparte läßt ihm nichts zur Reife kommen. Mit den Trümmern der Armee in Italien kann auch Carl die Bedrohung Wiens nicht hindern. Der Friede von Campoformio 1797 ist der Abschluß. Thugut und der Kaiser erwarteten allerdings vom Erzherzog ein Wunder und grollen ihm, als das Wunder nicht geschieht. Carl macht für sich die Erfahrung, daß Unglückliche auch immer unrecht haben. Der eben wie Prinz Eugen Gefeierte wird zum Gouverneur von Böhmen ernannt. Das ist nichts als eine verschleierte Enthebung vom Kommando. Der Kaiser ist ungnädig, Tante Christine traurig, und die Wiener lieben ihn.

Für 1799 hat man als Koalition eine numerische Überlegenheit beisammen. Grund genug zum Kriege. Die Tradition verlangt den Schwerpunkt am Rhein. Fast wie selbstverständlich erhält der eben erst einigermaßen in Ungnade gefallene Erzherzog den Oberbefehl über die Hauptarmee. Warum, ist nicht festzustellen. Weshalb nicht? – dürfte der Hauptgrund lauten.

Dieser junge Heerführer macht nun wiederum Vorschläge, um eine Entscheidung herbeizuführen, wie das sein natürliches Recht ist. Nach Wiener Auffassung ist ein Armee-Kommandant ein Mann, der die Weisungen einer hochmögenden Zentralstelle in Befehle umzusetzen hat, weiter nichts. Das ist selbst Carl zu viel.

Bei drohendem Kriege reicht er sein Entlassungsgesuch ein. Auch das nützt nichts. Das Entlassungsgesuch wird ganz einfach mit heftigem Tadel abgelehnt. Der "Untertan-Bruder" siegt über den Feldherrn, und derart beginnt der neue Krieg.

Freilich, zwei glückliche Umstände sind diesmal dabei. Die Republik ist auch nicht kriegsfertig, und der General Bonaparte ist in Ägypten. So wird denn in Deutschland allerlei erreicht, aber wieder nichts Entscheidendes. Man siegt, ohne den Sieg zu nützen. Man könnte dem Erzherzog den Vorwurf machen, nicht scharf genug vorwärtsgedrängt zu haben. Kaiser Franz jedoch schreibt kühl, er begriffe nicht, was der Bruder mit fernerem Erfolg so weit vorne machen könne. Die Spannung zwischen den Brüdern wächst. Der innere Zwiespalt wird bei Carl äußerlich erkennbar: ein etwas müder Ausdruck um die [133] Augen, etwas hängende Schultern, was bislang nicht da war, und das mit achtundzwanzig Jahren.

Schließlich reißt sich Carl aus eigenem Entschluß empor, die Entscheidung zu suchen. Der geborene Feldherr in ihm wacht auf. Es kommt zu dem Erfolge über Masséna bei Zürich, der leider wieder kein entscheidender Sieg ist. Diesmal will Carl den Erfolg aber nutzen. Da hemmt man von Wien aus. Carl muß die Schweiz räumen. Mit der inneren Selbständigkeit Carls ist es also schon wieder aus. Es sind untätige Wochen wechselnder Gesundheit und wachsender Einsamkeit. Ende September schlägt Masséna seinerseits bei günstiger Gelegenheit zu und bereitet den Russen eine schwere Niederlage.

Es ist so gekommen, wie Carl warnend vorausgesagt hatte. Das hindert nicht, daß man ihm von Wien wie immer Vorwürfe macht, die um so unberechtigter sind, als alle Erfolge außerhalb Italiens eigentlich allein dem Erzherzog Carl zu verdanken waren. Diese Kränkung ist seelisch und körperlich zuviel. Der Erzherzog erbittet nun doch Ende 1799 unter Betonung des Gekränktseins seine Enthebung vom Kommando. Erst im März 1800 kann er die Heimreise antreten, nicht nach Wien, sondern aufs Land nach Bečwar, nicht um die Gegner in Wien niederzuzwingen, sondern um, wie er selbst meint, als Einsiedler zu leben. Solche freiwillige Verbannung kann menschlich groß sein, eine Herrschernatur zeigt sie nicht. Nach dem Urteil eines Franzosen verließen in Carls Person fünfzigtausend Mann die Armee.

Inzwischen war Bonaparte zurückgekehrt. Sein Einfluß seit dem 19. Brumaire von 1799 an der Spitze der Republik war unverkennbar. In Wien beachtete man das nicht. Der Operationsplan blieb für 1800 der gleiche wie bisher: groß angelegte Offensive aus Deutschland und, wenn es ging, durch Savoyen. Carl kritisierte den an sich operativ großartig erdachten Plan aus seiner Einsamkeit heraus in Briefen und behielt leider recht. Bonaparte siegte bei Marengo. Es war ein vom Schicksal so gewollter Sieg, fast eine Niederlage, und der wirkliche Sieger Desaix war unter den Toten. Der Erzherzog konnte es sich nicht anders vorstellen, als daß man jetzt sofort zu einem erträglichen Frieden zu kommen suchte. Thugut war erheblich anderer Ansicht. Dann freilich hätte man wohl den Feldmarschall-Erzherzog ins Kommando zurückberufen müssen. Zweierlei brachte er sicher mit: die jubelnde Verehrung weiter Volksschichten und Ansehen beim Gegner. Aber zwischen Carl und Thugut gab es keine Brücke. Nominell führte der Erzherzog Johann, fast noch ein Kind. Ihm beigegeben war Lauer, ein überaus ehrgeiziger Mann, der Leichtsinn mit Kühnheit verwechselte. Das war etwas viel gewagt, wenn auf der Gegenseite ein Napoleon steht. Erzherzog Carl sah und hörte wenig, aber er war inzwischen wieder gesünder geworden. Einmal kam es wohl im Oktober 1800 zu einer Art unklaren Vorschlages an Carl, ins Kommando zurückzukehren. Allein die Sache zerschlug sich, hatte aber immerhin zur Folge, daß Carl auf Wunsch [134] des Bruders ohne bestimmten Auftrag ins Hauptquartier kam. Im Augenblick ein unbedeutender Vorgang, und doch sehr viel mehr. Drei Jahrzehnte der Entfaltung sind vorbei. Zum Reifen war zwar nie die rechte Ruhe. Jetzt aber will das Schicksal höchste Leistung.


Der Sieg Moreaus am 3. Dezember bei Hohenlinden unweit München ist mehr als eine österreichische Niederlage, ist die Bestätigung des ohnehin bestehenden Zusammenbruches. Wenn man jetzt den Erzherzog Carl ins Oberkommando zurückruft, kann es nur eine Aufgabe geben: die Situation zu liquidieren, Frieden zu machen und dann von neuem aufzubauen. Die Lage ist nicht nur schwierig, sie ist nicht nur gefährlich, sie ist einfach trostlos. Carl schreibt ganz offen, daß es ein Opfer ist, jetzt in die Bresche zu springen. Kaiser Franz wird das zwar später einmal vergessen, sieht es aber im Augenblick ein. Jetzt handelt es sich nicht darum, nur die Armee zu reorganisieren, jetzt muß dieser ganze Staat mit seiner lahmen Regierungsmaschine, mit seinem ersterbenden Vertrauen zur eigenen Kraft von Grund auf neu geformt werden. Die Erkenntnis dieser bis an die Wurzeln des Staates greifenden Notwendigkeit hat der Erzherzog. Es muß sich nun erweisen, ob er auch die Kraft hat, Erkenntnis zur Tat werden zu lassen. Sein Eingreifen beginnt nicht ungünstig. Schon allein sein Erscheinen bei der Armee mäßigt den Gegner. Der Friede von Lunéville im Februar 1801 wird so noch einigermaßen erträglich.

Der Erzherzog wird am 9. Januar Präsident des Hofkriegsrates, tritt an die Spitze des als Zentralgewalt neugeschaffenen Staats-Ministeriums und ist damit sozusagen allmächtig. Jedoch, leider, der Jubel der Bevölkerung gegenüber dem Erzherzog Carl doit affecter le souverain.

Carl dringt zunächst auf ein neues Wehrgesetz, das nichts anderes will als die allgemeine Wehrpflicht. Diese Absicht allein reiht ihn den großen Soldaten ein. Der lebenslängliche Dienstzwang der Geworbenen war unerträglich, andererseits war die militärische Notwendigkeit einer sehr langen Dienstzeit damals allgemein anerkannt. Auch Scharnhorst mußte hierbei Widerstand überwinden. Jedoch Carl setzte sich durch. Es war sein einziger ganzer Erfolg. Am 24. Oktober 1801 wurde die lebenslängliche Dienstzeit aufgehoben und eine Mindestdienstzeit von sechs Jahren eingeführt. Damit wurde auch die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Österreichs auf eine neue Grundlage gestellt.

Hiernach ging Carl an die Reformen im einzelnen. Die intellektuelle Regeneration der Armee und des Generalstabes war nach neun Kriegsjahren ein ganz natürliches Erfordernis. Dadurch daß er sich dieser Aufgabe hingab, ist Erzherzog Carl zum eigentlichen Begründer des österreichischen Generalstabes geworden. Dann versuchte er, die taktische Ausbildung der drei Hauptwaffen insbesondere durch Lösung aus der theresianisch-linearen Enge zu fördern. Ferner war er [135] bedacht, den Nachschub, das Sanitätswesen, die Ausrüstung, die militärische Erziehung, das Bildungswesen, die Seelsorge und die militärische Justiz zu ändern. Sehr ernstlich bemühte er sich, den Einfluß der Truppenkommandeure zu stärken. Kurz, er hauchte einem schon fast abgestorbenen Körper neues Leben ein.

Bald setzte aus Gewohnheit, Vorurteil und Mißtrauen die Abwehr ein. Mack verfaßte "Freimüthige Betrachtungen über den alten und neuen Hofkriegsrath". Hierin stellte er dem alten Hofkriegsrat das merkwürdige Zeugnis aus, daß durch seine Tätigkeit bedeutendes Unheil niemals entstanden sei. Darin mag Mack vielleicht sogar recht gehabt haben. Das Mißtrauen des Kaisers Franz gegen seinen Bruder wächst von neuem. Carl überschreite die Kompetenzen seines Wirkungsbereiches, raunt man am Hofe. Carl hat das tatsächlich getan, leider viel zu wenig. Eine Armee kann man nicht reorganisieren durch eine losgelöste Tätigkeit von der übrigen Entwicklung des Volkes. Da ihm sonst nicht ein einziger half, hat er sich hier und da durch Beeinflussung anderer Ressorts zu helfen gesucht. Selbstverständlich wird er nun getadelt, die einen sagen, er habe seinen Wirkungskreis zu eng, die anderen, er habe ihn zu weit gezogen. Was in jenen trüben Tagen Gutes erdacht und erstrebt wurde für Staat und Heer, stammt von Carl. Es war auch nicht Mangel an Energie, wenn er sich nicht durchsetzte. Das hätte nur ein gewalttätiger, revolutionärer Geist gekonnt, und der war Carl nicht. Mißlich war ja auch immerhin die allzu leicht sich wiederholende Krankheit.

Es kommt im Herbst 1804 zum Vertrage mit Rußland. Carl sieht ein, daß dies der erste Schritt zum Kriege ist. Er warnt bei dem starken Mißverhältnis der Kräfte. Aber das ganze Ministerium wünscht den Krieg und eigentlich nur deshalb, weil es keinen anderen Ausweg mehr weiß. Natürlich stärkt diese Differenz die Stellung Carls nicht gerade. Es ist ein leichtes, dem Kaiser klarzumachen, daß der Erzherzog nicht nur den Krieg nicht will, daß er vielmehr auch die Vorbereitungen zu einem immerhin möglichen Kriege nicht betreibe. Schon empfängt man den General Freiherrn von Mack hinter dem Rücken des Erzherzogs. Das Ergebnis ist eine Wiederherstellung des alten Hofkriegsrates mit Personalveränderungen, die in ihrer Wirkung Carl aus der Macht entfernen. Erzherzog Carl gibt nach wie so oft. Nach einem wenig erfreulichen Hin und Her wird Mack im April des Jahres 1805 zum Generalquartiermeister und damit eigentlich zum Oberbefehlshaber ernannt. Er ist im Aufsteigen, und wenn er ganz ans Ziel gelangen will, dann ist dies allerdings nur möglich im Kriege. Erzherzog Carl erhält die Führung in Italien.

Mack war gewiß nicht ohne Gaben, aber ein Phantast und in Theorien befangen. 1790/91 soll er Carls Lehrer gewesen sein. 1793 ist dieser jedenfalls begeistert von ihm. Wann Mack in einen inneren Gegensatz zu ihm getreten ist, läßt sich schwer feststellen. 1805 reißt ihn der Ehrgeiz zu schärfster Opposition gegen Erzherzog Carl hin. Seine phantastischen Pläne führen zu Organisations- [136] veränderungen, die in dieser Lage der Armee nur Halbheiten und Verwirrung bringen können. Es ist so leicht, dem Besonnenen den Vorwurf der Rückständigkeit zu machen. So wird nicht einmal die Armeestärke erreicht, die bei behutsamem Vorgehen hätte erreicht werden können.

Ein Grund zum Kriege ist die Annahme, die Situation sei günstig. Napoleon sammele bei Boulogne seine Armeen ja nur gegen England. Erzherzog Carl meint, Napoleon tue nur so, er werde vor den Russen in Österreich sein. Er sollte recht behalten. Napoleon geht konzentrisch gegen Mack vor. Zweihunderttausend erdrücken sechzigtausend. Man sagt, das ist leicht – aber es ist ein operatives Meisterstück, diese Zweihunderttausend zu einem Schlage zu führen. Daß Mack von einem Napoleon geschlagen wird, ist keine Schande. Daß er dann aber bei Ulm kapituliert, ohne auch nur den Versuch zu machen, sich durchzuschlagen, das beweist, daß Mack nicht nur kein Feldherr, sondern daß er nicht einmal ein guter General war. Für den Erzherzog Carl war dieser Ausgang ein schmerzlicher Triumph. Man hat Mack vor ein Kriegsgericht gestellt. Daß er sich zu rechtfertigen suchte, ist verständlich. Daß er aber wirklich davon überzeugt war, richtig gehandelt zu haben, und durchaus verlangte, weiter eine ausschlaggebende Rolle zu spielen, ist nicht zu verstehen.

In Italien sind die österreichischen Bataillone unter halber Stärke, in Lumpen, haben nichts zu essen. Von diesen elenden Truppen muß noch an Mack abgegeben werden. Als die Nachricht vom Unglück bei Ulm eintrifft, bleibt Carl nichts übrig als Rückmarsch. Dies geschieht mit geschickten Gegenschlägen und Erfolgen wie bei Caldiero gegen Masséna. Es ist ein ruhmvoller Herbst 1805 für den Erzherzog, leider nicht an entscheidender Stelle. Vergebens dringt er darauf, die Kräfte im ganzen zusammenzuraffen, wenn schon nicht örtlich, so doch zu einheitlicher Wirkung. Man kann allerdings den Feldzug nicht mehr gewinnen, nur noch um einen ehrenvollen Abschluß kämpfen.

Kutusow scheint anderer, kühnerer Ansicht. Er greift am 2. Dezember an. Das Ergebnis ist Austerlitz. Napoleon beweist, daß er auch mit Zahlenunterlegenheit zu siegen vermag. Mit Bitterkeit nimmt Carl die Nachricht hin. Er meint, "Napoleons Disposition sei klug und schön gewesen, die österreichische überstudiert. Wenn man sich doch endlich überzeugen wollte, daß das Einfachste das Beste ist". Der Friede von Preßburg ist die nicht mehr abzuwendende Folge dieses überstudierten Systems.

Erzherzog Carl hat buchstäblich noch in letzter Stunde, am Tage der Unterzeichnung, Unheil abzuwenden versucht. Er durfte das, denn er hatte an dieser Niederlage keinen Anteil. Am 27. Dezember 1805 stehen sich Carl und Napoleon gegenüber. Die Unterredung, von der wir nicht viel wissen, ist ebenso erfolglos wie später der Versuch der Königin Luise in gleicher Lage. Bedeutsam ist, daß Napoleon den Erzherzog im Zorn entließ. Carl muß selbst in dieser Lage noch den Mut zum Widerspruch gefunden haben.

[137] Napoleon ist nicht der einzige Kaiser, der den Mut des Erzherzogs zu spüren bekommt. Anfang 1806 schreibt er an den Bruder in einer langen Denkschrift: "Herr! Auf diesem Wege sind wir verloren." Er fordert jetzt selbst, Generalissimus zu werden. Als der Kaiser noch zögert, bleibt Carl diesmal hart. Er schreibt dem brüderlichen Kaiser Deutlichkeiten, die im Erzhause nicht üblich sind. Doch dieser Ton wirkt. Im Februar hat er die militärische Zentralgewalt, wenngleich nur für Friedenszeiten, in Händen. Für einen, der Mitte der Dreißig steht und nun Erfahrungen hat, keine allzu schwere Last mehr. Jetzt im Unglück wächst Erzherzog Carl mehr und mehr zur Größe.

Man könnte da anfangen, wo Mack 1804 unterbrochen hat. Das geht aber kaum noch. Man muß wohl neu aufbauen. Das ist in der fürchterlichen Finanzlage schwer. Wie immer bei finanziellem Elend taucht sofort der Milizgedanke auf. Carl lehnt ihn an sich ab, läßt aber wie Scharnhorst als Notbehelf die Landwehr zu. Der Neuaufbau wird wohl gehemmt, aber das Widerstreben ist erheblich geringer als früher. Die Not war zu groß gewesen, und Carl ist in die Autorität hineingewachsen. Nur eins muß er entbehren: Verständnis für seine Pläne hat niemand, Kaiser Franz schon gar nicht.

Als 1806 neuer Krieg droht, erklärt Carl, daß Österreich dazu nicht in der Lage sei: entweder eine große europäische Koalition zur Vernichtung Napoleons oder, so schwer das sein mag, ehrliche Annäherung an Frankreich. Graf Stadion, der von der unbesiegbaren Armee Preußens kein Jena erwartet, ist anderer Ansicht: Nachgeben rettet zunächst den Frieden. Auch die Niederlegung der deutschen Kaiserkrone im August 1806 ist eine, freilich wohl unvermeidliche Friedensgeste gegenüber der Rheinbundgründung. Carl hat dazu geraten. Beliebt macht der Rat nicht. Man war über solchen Entschluß immerhin geteilter Meinung. Der 1914 ermordete Erzherzog-Thronfolger soll diesen Kronverzicht stets bedauert haben.

Da zieht 1808 das Gewitter in Spanien herauf. Carl und Stadion sind sich darüber einig, daß man die Anspannung aller Kräfte vorbereiten müsse, um auf alles vorbereitet zu sein. Mehr gemeinsame Ansichten haben diese beiden jedoch nicht. Sobald aber Krieg in Sicht ist, lebt die Selbständigkeit des Hofkriegsrates wieder auf. Carl soll eben nicht die Armee im Ernstfall führen. "Wenn es nicht Mack ist, wird sich ein anderer Narr finden, die Szenen von 1805 zu wiederholen", schreibt Carl in einem mehrfach bis zur ironischen Schärfe herben, langen Brief. Carl bietet bei drohender Kriegsgefahr wieder seinen Rücktritt an. Franz muß grollend nachgeben. So wie 1799 und 1804 läßt sich Feldmarschall Carl nicht mehr behandeln.

England drängt, patriotische Leute in allen Ländern drängen, am Hofe drängt man. Stadion weiß, die Armee ist so gut wie seit langem nicht. Er übersieht, daß gerade in einem Heer selbst die beste Saat denn doch mehr als drei oder vier Jahre zur Reife braucht. Insbesondere die Durchschulung der Unterführer [138] genügt noch keineswegs. Was aber der Erzherzog inzwischen geleistet hat, reicht gerade aus, Stadion zum Kriegsentschluß zu verleiten. Widerspruchsvolle Verkettung verschieden gearteten Handelns und Denkens! Man erzählt, Erzherzog Carl, der an sich den Krieg nicht wollte, habe zum Schluß selbst für den Krieg gestimmt und damit die Entscheidung gebracht. Das ist möglich. Carl wußte zu genau, was Napoleon wollte: Alles! Damit war der Krieg unvermeidlich.

Alsdann war rasche Offensive in Süddeutschland gegen die noch unfertigen Franzosen das Beste. Die Lage war aber so ganz anders als sonst. Franzosen standen in Polen, Preußen und Süddeutschland. Wenn Preußen mitmachte, war der Vorstoß aus Böhmen heraus ein guter Entschluß. Aber es machte nicht mit. Rasch handeln konnte man auch nicht. Die Armee war dazu nicht imstande. Napoleons Armee war nicht viel besser, aber ein unbedingter Wille lenkte sie. Nun hatte angeblich "selten ein Monarch derart weitgehende Befugnisse in die Hände eines Feldherrn gelegt" wie Franz in die seines Bruders. Schade, daß es nicht stimmte. Die Abhängigkeit von allerlei Einflüssen ist schwer festzustellen, aber sie ist leider da. Carl ist nicht brutal genug, unsichtbare Fesseln zu zerreißen. Drüben ein durch nichts gehemmtes Wollen, hier tausend Hemmungen – da ist schwer siegen.

Selten ununterrichtet müssen beide Feldherren gegeneinander disponieren. Aber der eine reißt mit verblüffender Energie die Kräfte zusammen; nutzt Fehler Berthiers, von denen noch nicht einmal feststeht, ob es nicht eigene Fehler sind, aus; korrigiert unerhört geschickt Irrtümer und handelt, handelt. Carl hat den Glauben an sein Heer nicht. Er hält es "für zu wenig tüchtig zu rücksichtslosem Gebrauch". Die Krankheit kommt auch gelegentlich wieder. Mit Zweifel an der eigenen Kraft sollte man nicht Krieg führen. Erst recht nicht, wenn drüben die vollendete "Rücksichtslosigkeit" führt. Allein für Carl war dieser Krieg ja auch kein freier Entschluß, sondern eine Verzweiflungstat.

Nach Anfangserfolgen kommt die Niederlage bei Eggmühl. Kaiser Franz verlangt die Rettung Wiens. Carl erwägt kühnste Operationen weit in Napoleons Rücken, Offensive mit verwandter Front, Ausnutzung der immerhin für Napoleon recht schwierig gewordenen Lage. Aber Carl erwägt das nur. Große und gewagte Operationen liegen ihm meist nicht.

Nun war die Lage allerdings so, daß mit Sicherheit vorausgesagt werden durfte, Napoleon werde weiter angreifen. Dieser Mann tat das immer, mußte es jetzt aber schon mit Rücksicht auf die Vorgänge in Spanien. Also war es für den Erzherzog möglich, sich in günstiger Position angreifen zu lassen; keine geniale, aber eine gute Lösung, insbesondere, wenn man derweilen den Erzherzog Johann aus Italien heranholen könnte. Es kommt etwas anderes. Am 20. Mai geht Napoleon bei Aspern und Eßling über die Donau. Da wächst Carl erneut weit über jedes Mittelmaß hinaus. Ihm nützt ein billiger Sieg nichts. Er will eine Entscheidung. Der Gegner soll herüber, dann erst will er ihn schlagen. [139] Beide Führer greifen an. Napoleon will den Durchbruch. Dazu war die österreichische Truppe dank der Friedensarbeit Carls nicht mehr schlecht, die französische Infanterie in so schwieriger Lage nicht mehr gut genug. Der Erzherzog zeichnet sich an beiden Tagen wiederholt durch höchste persönliche Tapferkeit aus. Der 22. Mai, Pfingstmontag, bringt eine klare Niederlage der Franzosen. Carl hat seine Armee nach einer Niederlage zum Siege geführt. Das ist das Schwerste. Ein Meister der Taktik hat den Meister der Operation besiegt.

Bei Preußisch-Eylau hatte Scharnhorst zum ersten Male gezeigt, daß auch Napoleon nicht unbesiegbar sei. Man übersah das und gab den schon erfochtenen Sieg aus der Hand. Erzherzog Carl ist der erste, der den Unbesiegbaren so schlug, daß es die Mitwelt spürte. Gewiß, es war wieder nicht das geworden, was Carl gewollt hatte, kein entscheidender Sieg. Aber über alle Widerstände im eigenen Lande hinweg einen Napoleon besiegt zu haben, das ist wohl Ruhm genug. Vier Monate später reichte es allerdings nicht dazu, österreichischer Generalissimus zu bleiben.

Man hat oft kritisiert, daß Carl den Sieg nicht nutzte. Der Gegner war geworfen, nicht geschlagen. Ein Angriff über die angeschwollene Donau war aussichtslos. Napoleon hatte einen Sieg verfehlt, weiter nichts. Gewonnen hatte der Erzherzog Zeit und Vertrauen. Wenn jetzt alle Kräfte zusammengezogen wurden, mochte es gut gehen. Beide Gegner bereiten bewußt den letzten entscheidenden Schlag vor. Darin ist aber Napoleon überlegen. Er ist der Herr, der Erzherzog nicht. Die Ungarn gehorchen nicht. Der allzu jugendliche Johann treibt auf dem südlichen Kriegsschauplatz allerlei, nur nicht das, was Carl will. Der junge Friedrich der Große schrieb einst dem viel erfahrenen Dessauer: "Und wenn Sie noch habiler werden als bisher und meinen Befehlen nicht strikt nachleben, so hilft mir das alles nichts." Ein Erzherzog kann so nicht schreiben.

Als es bei Wagram Anfang Juli erneut zum Kampf kommt, ist Ort und Augenblick für Carl nicht so günstig. Wenn jetzt Erzherzog Johann da wäre. BlücherGneisenau wären vielleicht dagewesen. Wagram wird trotzdem kaum eine Niederlage, mehr ein Ausweichen nach nicht geglücktem Angriff. Selbst Napoleon wagt keine Verfolgung, er merkt erst am Ausweichen Carls, daß er gesiegt hat. Zäh und verbissen leistet Carl in der Rückwärtsbewegung Widerstand, sich bei Znaim sogar noch offensiv verteidigend.

Inzwischen hat Carl vom Kaiser einen höchst ungnädigen Brief erhalten. Carl antwortet korrekt in einem zu langen Dienstschreiben, kurz und grob in einem Privatbrief. Er stellt sein Kommando zur Verfügung, in dreizehn Kommandojahren zum vierten und nun letzten Male. Die Antwort des Kaisers ist verletzend. Am 23. Juli geht das Abschiedsgesuch ab, am 29. ist es brüsk genehmigt. Die Brüder versuchen nicht einmal eine Aussprache.


[140] Das ist ein Absturz der Lebensbahn fast ohnegleichen. Nicht der Erzherzog Carl, der 1800 in die Einsamkeit von Bečwar ging, der Sieger von Aspern reist zum Onkel nach Teschen. Mit der Last des verlorenen Krieges kehrt der "Überwinder des Unüberwindlichen" heim. In die Armee kommt Verwirrung und Mißstimmung. So bleibt nichts übrig, als Frieden zu schließen.

Im September kommt ein unangenehmer Zwischenfall. Napoleon trägt dem Erzherzog die österreichische Krone an. Der Gedanke lag auch diesem und jenem in Österreich nicht gar so fern. Ironie des Schicksals unmittelbar nach dem Sturz ist dieses Anbieten der Krone. Ja, wenn er sie und ihre Machtfülle vor Wagram gehabt hätte! Mag sein, daß Carl hier die größte Stunde seines Lebens und der Zukunft Österreichs, vielleicht der deutschen Nation, verpaßt hat. Kein Zweifel, er konnte Kaiser werden. Er will es nicht, und er kann es auch nicht. Es kostet ihn keinen inneren Kampf, daß er es nicht tut. In aller Loyalität teilt er Vorgang und Ablehnung dem Kaiser mit. Der antwortet höflich und ist für immer dem Bruder verfeindet. Es gelingt ihm, zu vergessen, daß es ohne Aspern eine Dynastie nicht mehr gegeben hätte.

Als sich 1812 niemand finden will, mit Frankreich gegen Rußland zu ziehen, da holt man Carl noch einmal. Er lehnt kühl ab. Ein persönlicher Zusammenstoß härtester Art mit dem Kaiser ist die Folge. In tiefer Wehmut kehrt er heim. Als man 1809 seinen Stolz verletzte, konnte er das in Größe und Gleichmut ertragen. 1812 tat weh. Fürst Schwarzenberg, ein guter Reiterführer und noch besserer Diplomat, führt das österreichische Hilfskorps.

Je mehr die Dinge vorwärtstreiben, desto mehr wünscht Carl nun allerdings, verwendet zu werden. Die Armee wünscht es. Anfang August 1813 fragt er beim Kaiser an. Kurze Zeit schwankt dieser, dann zwingt er Schwarzenberg das Oberkommando auf. Nach dem Mißerfolg bei Dresden nennt man erneut Carls Namen. Vergeblich. Das ist zuviel. Tiefe Schwermut erfaßt ihn, der sein Bestes gab und nun ausgeschlossen ist. Vergessen ist der Mann, ohne dessen Handeln schwerlich ein Leipzig möglich geworden wäre. Er vergräbt sich in die Arbeit. Dem innerlich Einsamen fehlt der natürliche Ausgleich, den die Ehe geboten hätte.

Als Napoleon von Elba zurückkehrt, hält es diesmal den Erzherzog nicht in Wien. Er weiß, daß er doch kein Kommando erhält. Da bittet er um das Gouvernement von Mainz. Der Sieger von Aspern bittet um eine Aufgabe in der zweiten Linie, um überhaupt mitzutun. Das ist viel, das ist zu viel Resignation. Absolutes Pflichtgefühl siegt über die Persönlichkeit.

1815 ist die Tätigkeit Carls im öffentlichen Leben für immer beendet. Ein Vierundvierzigjähriger, dessen Lebenskraft unverbraucht ist, geht zum dritten Male und endgültig in die Stille. Der Einschnitt ist so scharf, daß man fast von zwei Leben nacheinander sprechen könnte. Das eine, das Leben des Soldaten und Politikers, ist zu Ende; das Leben des Mannes im Bannkreis der eigenen Familie beginnt jetzt erst.

Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg.
Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg
mit ihrem ältesten Sohn Erzherzog Albrecht.
Gemälde von Johann Ender, ca. 1830.
[Nach wikipedia.org.]
[141] Die Frauen haben im Leben des Erzherzogs Carl keine wesentliche Rolle gespielt, wie ihm ja auch als Feldherr etwas Kühles anhaftet. Nach mehreren höfischen Projekten fällt seine späte Wahl auf die Prinzessin Henriette von Nassau-Weilburg. Sie muß ein Menschenkind von ganz ungewöhnlichem, zartem Liebreiz gewesen sein. Annähernd sechsundzwanzig Lebensjahre und ein verschiedenes Glaubensbekenntnis trennten die beiden. Dennoch ist diese Ehe von Liebe und Zärtlichkeit durchsonnt gewesen.

Nachdem er die Enthebung von seinem Mainzer Amt durchgesetzt hatte, zog Carl im Dezember 1815 in Wien ein. Der vielgeprüfte, von tiefer Religiosität erfüllte Mann, der sonst scheu und ängstlich jede Empfindung in seinem Innern verschloß, verjüngt sich förmlich im Kreise dieser entzückenden Frau und der heranwachsenden Kinder. Der so viel Ältere mußte glauben, daß die strahlende Jugend seiner Frau ihn lange überdauern würde. In den Weihnachtstagen 1829 erlag Henriette einer Scharlachansteckung.

Erzherzog Carl hat im Laufe seines Lebens eine große Zahl, an die achtzig, militärischer und historischer Schriften verfaßt. Anfangs schreibt er wie jeder begabte junge Offizier, dann folgen bis 1809 fast durchweg Zweckschriften. Schließlich kommt der Niederschlag der eigenen Erfahrungen. Die Hauptstücke sind die Grundsätze der höheren Kriegskunst für die Generäle und die Grundsätze der Strategie. In den Grundsätzen der höheren Kriegskunst steht er natürlich noch im Banne der Zeit. Es drängt aber doch auch sehr viel Neues hervor, mit dem er weit über seiner Zeit steht, um dann allerdings wieder in Altes zurückzufallen. Dieses mathematische und methodische Verhältnis von Taktik und Strategie, von strategischen Punkten, Linien und Basen wird in den Grundsätzen der Strategie schlimmer statt besser. Man merkt, daß Carl im Grunde ein größerer Taktiker als Stratege ist. Lebendige Menschen sind außerdem nicht ohne Widersprüche. Carl lehrt die Entscheidung und ist ihr fast immer ausgewichen. Clausewitz hat ihm sogar vorgeworfen, er habe den Vernichtungsgedanken zwar gekannt, aber nicht genügend erkannt. Carl lehrt, daß die Zersplitterung ein Fehler sei, und hat sie zugelassen. Diese Widersprüche finden aber eine einfache Erklärung. Neue Ideen verlangen ein neues Kriegsmittel. Dieses zu bilden, hatte man ihm verwehrt. Mit dem alten, schwerfälligen Kriegsinstrument konnte man die alte Kampfweise nicht einfach aufgeben. Es bleibt aber im geistigen Streben Carls eine wegweisende Kraft zu Neuem hin, die noch ein Jahrhundert später im österreichischen Heere zu spüren ist.

Erzherzog Carl von Österreich.
[144a]      Erzherzog Carl von Österreich.
Lithographie von Joseph Kriehuber, 1834.
Durch die Julirevolution nähern sich die Schatten des Weltgeschehens nochmals dem Erzherzog. Es sind belgische, bald darauf polnische Königspläne. Er lehnt ab. Jedoch das Schicksal will es so, daß er fast doch noch an die erste Stelle der Monarchie rückt. Anfang 1835 stirbt Kaiser Franz. Sein Nachfolger Ferdinand ist schwersten Krankheitserscheinungen unterworfen. Die Monarchie steht in einer schweren Krise. Das Ansehen Carls ist noch immer so groß, daß [142] er, wenn er will, an die Stelle des Fürsten Metternich treten, ja daß er nach der Krone greifen kann. Der sie 1809 nicht nahm, wird sie auch jetzt nicht nehmen. Unbelehrt durch sein ganzes Leben, bietet er sich jedoch als Höchstkommandierender der Armee an und erfährt dabei nun auch diese letzte Ablehnung. Die Öffentlichkeit hat es nie verstanden, daß er sich nun von allem zurückzog, und so muß er es hinnehmen, daß Tadel und Mißbilligung ihn auch hierin zu Unrecht treffen. Ein einziges Mal ist er noch hervorgetreten, als man 1843 mit besonderer Feierlichkeit den Tag begeht, an dem Carl vor fünfzig Jahren den Maria-Theresien-Orden erhielt. Als wenn ihm nie Bitteres angetan wäre, reitet der mehr als siebzig Jahre Alte an der Seite des Kaisers Ferdinand. Ein rührendes Beispiel ewiger Versöhnungsbereitschaft und dynastischer Treue.

Am Anfang 1846 befällt ihn Krankheit, der Beginn nahenden Endes. Am 30. April 1847 führt eine Rippenfellentzündung den Tod herbei. In einer Wiener Vorstadt stand ein stilles Haus. Dort lag der kranke Lenau. Man bringt ihm die Nachricht: Erzherzog Carl ist gestorben! Hell und klar antwortet Lenau: "Erzherzog Carl stirbt nicht." Tatsächlich hat er als Unsterbliches die Wehrkraft seines Volkes erhalten in einer Zeit, die kein Verständnis dafür hatte. Diese Zeit hat nicht erkannt, daß er nicht Erfüllung einer Epoche, sondern Überbrückung einer Kluft zwischen zwei Entwicklungsabschnitten war. Er selbst trug schwer genug an den Fesseln der Zeit. Titanische Leidenschaft, sie zu zerreißen, besaß er nicht. Napoleon hat trotzdem von ihm gesagt: "Erzherzog Carl würde ohne Zweifel der erste Feldherr seines Zeitalters gewesen sein, wenn ihm sein Geschick nicht Hindernisse in den Weg gelegt hätte, die er mit allen seinen Talenten nicht überwinden konnte." Allerdings gab es da Hindernisse um ihn und in ihm. Vielleicht ist es so, daß diesem Leben jede Eigensucht, aber auch jedes eigene Ziel fehlte. Das ist Größe und Schwäche zugleich. Erzherzog Carl war ein Großer als Soldat und Mensch, aber es fehlte ein Letztes. Freilich zu diesem Letzten gehörte ein Genie auf dem Thron oder ein Rebell gegen die Dynastie.

Ein seltsames Leben: Mit fünfundzwanzig Jahren Marschall, drei Jahre danach in der Einsamkeit; mit dreißig an der Macht; abermals drei Jahre später machtlos; dann wenige Jahre ungeheuren, mächtigen Schaffens; Sieger von Aspern; mit achtunddreißig am Ende, genau auf der Mitte der Lebensbahn; wechselvoll und unvollendet, im ganzen rätselhaft. Um das Antlitz des Toten spielte am rechten Mundwinkel ein ganz leichtes ironisches Lächeln. Er, der nach Lenau in "seiner Seele die Welt umschlossen hielt", hat sterbend über sie gelächelt und so zum letztenmal gesiegt.

Österreichs Blutweg: Ein Vierteljahrtausend Kampf um Großdeutschland,
besonders die Kapitel Erzherzog Carl und Napoleon und Aspern.




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Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz