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Der Preßburger Friede (1805)

In seinen Diktaten auf St. Helena hat Napoleon die Anklage unersättlicher Eroberungslust zurückgewiesen: "Ich wollte der Welt den Frieden geben; aber sie haben mich zum Dämon des Krieges gemacht." Die Geschichtsforscher sind darüber immer geteilter Ansicht gewesen. Das Geschlecht der Freiheitskriege betrachtete Napoleon als den machtgierigen, unersättlichen Tyrannen. Die Metternichsche Reaktionszeit hielt den Kaiser nicht mehr in gleich hohem Maße persönlich für schuld an den Kriegen, aber doch für den Vollstrecker revolutionärer Umsturzideen und damit sachlich für einen gefährlichen Friedensstörer. In Frankreich wurde die Frage ein politischer Parteistreit. Die antinapoleonische Richtung ließ nicht gelten, daß der Kaiser nur widerwillig aus einem [61] Krieg in den andern gestürzt sei. Umgekehrt förderte der Napoleonskultus die Ehrfurcht vor den eigenen Zeugnissen des Helden, besonders als das zweite Kaiserreich systematisch die persönlichen Dokumente veröffentlichte und das von Bonaparte selbst gewünschte Bild enthüllte. Den kleindeutschen Geschichtsschreibern, voran Sybel, Treitschke, Häusser, erschien wieder Napoleon als Unterdrücker deutscher Freiheit wie der französischen Lebensinteressen. Namentlich erklärte Treitschke: "Napoleon konnte seit 1801 den Frieden in Ehren wahren und seinen Staat auf einer nie zuvor erreichten Höhe der Macht und des Ruhmes erhalten. Sein Wille allein, sein Eroberermut trieb ihn weiter von Sieg zu Sieg, sein Soldatensinn hieß ihn ohne Not den Gang der bürgerlichen Ordnung durch militärische Standgerichte unterbrechen und das kaum aufsprießende, freie, volkswirtschaftliche Leben durch endlose Kriege ersticken." Aber für Ranke waren die englisch-französischen Beziehungen ein alter Interessengegensatz, der Kampf gegen Napoleons Vorherrschaft nur eine neue Auflage der englischen Politik gegen die verwandte Stellung Ludwigs XIV. Napoleons gesamte Laufbahn sei durch seine Lebensaufgabe bestimmt gewesen, den Engländern die Wage zu halten, ihnen keinen selbständigen Stützpunkt zu gönnen, zu diesem Zwecke jeden anderen Willen als den seinigen auf dem Kontinente auszuschließen. Mit dem herannahenden Weltkriege hat Rankes Auffassung in Deutschland starkes Echo gefunden. Eine Verwandtschaft zwischen der deutschen Kriegsabneigung und der angenommenen napoleonischen wurde herausgefühlt. Durch die Empfindung, daß der sachliche englisch-deutsche Gegensatz trotz allen deutschen Sträubens sich verschärfte, gelangte das kaiserliche Selbstbildnis zu neuem Ansehen. Napoleon wurde aus dem rücksichtslosen Angreifer der Verteidiger festländischer Lebensinteressen gegen englische See- und Handelspolitik.

Solche Meinungsverschiedenheiten über Napoleons Beweggründe dürfen jedoch nicht überschätzt werden. Gewiß ist biographisch wichtig, ob Napoleon nur aus persönlichem Ehrgeiz, trotz der abweichenden französischen Volksinteressen, immer neue Kriege anzettelte oder ob er innerlich dem Frieden zustrebte und nur durch die hartnäckige Feindschaft Englands auf der blutigen Bahn festgehalten wurde. Auch einzelne [62] Maßregeln, Verhandlungen und Begebenheiten werden je nach der Auffassung von Napoleons persönlichen Beweggründen verschieden beurteilt werden. Doch den Kern treffen solche Erörterungen nicht. Entscheidend war, daß Napoleon jederzeit die deutschen, italienischen, holländischen, schweizerischen Hilfskräfte brauchte und deshalb nirgends ein selbständiges politisches und nationales Leben dulden konnte. Sein Maßstab war deshalb, ob und wie lange ihm der Friede in diesen Ländern die nötige Fülle an Gewalt und Ansehen sicherte. Mochte darum Napoleon als Mensch sich nach Ruhe oder neuen Lorbeeren sehnen, täglich konnte er erfahren, daß er das Seil straffer anspannen und den europäischen Kontinent seinem Herrscherwillen noch stärker unterwerfen mußte. Umgekehrt war nicht zu erwarten, daß alle Fürsten und Völker sich gutwillig beugten und höhere Lasten beliebig ohne Widerstandslust ertrugen.

Schon im Jahre des Reichsdeputationshauptschlusses trafen in Deutschland beide Motive zusammen. Der Krieg mit England brach wieder aus und Napoleon wandte sich gegen den hannoverschen Hausbesitz König Georgs III., um zugleich durch die Beherrschung von Weser und Elbe den englisch-norddeutschen Handel lahmzulegen. Damit erweiterte er die französischen Eroberungsabsichten erheblich. Bisher hatten die Franzosen im wesentlichen nur in Süddeutschland mittel- oder unmittelbare Sicherungen ihres Einflusses angestrebt. Jetzt entstand die Aufgabe, Preußens Machtstellung hinter die Elbe zurückzudrängen, ähnlich wie die Bourbonen seit dem Dreißigjährigen Kriege die Österreicher südlich des Mains lahmzulegen gesucht hatten.

Bezeichnenderweise machten weder Preußen noch Österreich aus der Besetzung Hannovers einen Kriegsfall. Der Berliner Hof wollte warten, bis Napoleon das preußische Staatsgebiet verletzte; der Wiener wagte nach den schweren Opfern des letzten Jahrzehnts keinen neuen Waffengang. Allein sobald der nötige Zündstoff angehäuft wird, verhindern auch die scheinbar sichersten Friedensgründe erfahrungsgemäß die Entladung auf die Dauer nicht.

Zur Besetzung Hannovers kamen noch größere Willkürakte Napoleons in Italien. Die Österreicher begannen zu fürchten, daß eines Tages ihre eigenen Grenzen nicht mehr [63] von den Franzosen beachtet würden. Sie trafen einige Vorsichtsmaßregeln und liehen russischen Bündnisgedanken williger ihr Ohr. Zar Alexander meinte damals, vielleicht durch englische Einflüsterungen bestärkt, daß nur ein gemeinsames Vorgehen Österreichs, Rußlands und Preußens Europa vor einer napoleonischen Alleinherrschaft schützen könnte. Er bediente sich außerdem der Unzufriedenheit Österreichs mit seiner damaligen Machtstellung. Während Preußen für seinen linksrheinischen Besitz vielfach entschädigt worden war, hatte Österreich die Verluste von Belgien und in Italien nur unvollkommen wettgemacht; die ihm zugefallenen neuen Bezirke waren schon vorher in seinen tatsächlichen Machtbereich gefallen. Darum vereinbarten Rußland und Österreich einen namhaften Habsburgischen Gebietszuwachs im Falle eines siegreichen Krieges: Salzburg, Berchtesgaden, Passau, das Land zwischen Etsch und Adda. Außerdem wollten die Verbündeten Napoleon aus Norddeutschland vertreiben, Piemont, Holland, Modena und die Schweiz wieder selbständig machen, den Großherzog von Toskana nach Italien zurückführen. Österreich hätte nur den Breisgau endgültig verloren, welchen der Zar dem verwandten Karlsruher Hofe vorbehielt. Von national-deutschen Gewinnen, besonders auf dem linken Rheinufer, redete das russisch-österreichische Bündnis vom 6. November 1804 nicht. Wie so häufig wären auch diesmal die deutschen Reichsbedürfnisse hinter Österreichs Sonderwünsche zurückgetreten und nur dessen italienische wie deutsche Machtstellung neu befestigt worden.

Doch nicht die Aussicht auf so wertvolle Errungenschaften schleppte die Österreicher auf den Kampfplatz zurück, sondern die Furcht, von Napoleon überrannt zu werden, und das Verlangen, die russische Bundesgenossenschaft zu nützen. Napoleon seinerseits wünschte einer drohenden Erneuerung des Festlandkrieges zuvorzukommen und verwendete zum raschen Dreinfahren diejenigen Truppenmassen, die er eigentlich gegen England gerüstet hatte. Das wechselseitige Mißtrauen führte gegen den ursprünglichen Plan beider Parteien den Krieg ungewollt herbei.

Während die französische Flotte bei Trafalgar vernichtet und die britische Seeherrschaft auf mehr als ein Jahrhundert besiegelt wurde, blieb Napoleon auch den vereinigten Russen [64] und Österreichern gewachsen. Letztere gerieten durch den Preßburger Frieden, "den schädlichsten und schimpflichsten, den österreichische Staatsmänner je geschlossen" (26. Dez. 1805), in eine viel schlimmere Lage wie vor 4 Jahren. Die 1797 und 1801 gewonnenen venezianischen Besitzungen mußte Kaiser Franz dem Königreich Italien überlassen, einem napoleonischen Nebenstaate, der schon durch seinen Namen den Anspruch erhob, künftig als Hauptgebiet der ganzen Halbinsel zu gelten. In Süddeutschland herrschten fortan im wesentlichen nur noch die napoleonischen Vasallenfürsten von Bayern, Württemberg und Baden, und zwar als Souveräne, d. h. unabhängig vom Reiche. Österreich verlor den Breisgau, die Ortenau, Vorarlberg, Tirol mit Trient und die vielen kleinen schwäbischen Besitzungen, die gleich einem Haufen Inseln vom Schwarzwald bis zum Bodensee und Allgäu sich lagerten. Wie ein versprengtes Eiland ragte das einstweilen noch dem Erzherzog Ferdinand gelassene Bistum Würzburg aus dem süddeutschen Machtbereich Napoleons heraus. Abermals hatte Kaiser Franz, ohne den Reichstag zu fragen, in alle deutsche Umwälzungen auf eigene Faust willigen müssen. Das hatte jedoch 1805 eine ganz andere Tragweite als in Lunéville. Denn unmöglich konnte Preußen an die Reichsverfassung gebunden bleiben, wenn Bayern, Württemberg und Baden selbständig wurden.

Napoleon schritt denn auch jetzt zur Auflösung des Reichs. Die drei Südstaaten, die er militärisch ohnedies in der Hand hatte, kettete er noch fester durch Familienverbindungen mit den Fürstenhäusern und durch deren neuen Gebietszuwachs auf Kosten der kleinen deutschen Zwergherrschaften. Auf dieser Grundlage schloß er den Rheinbund ab, dessen Glieder ihn als Protektor anerkannten, ihm mit Geld und Volk unterwürfig wurden und aus dem Reiche austraten. Die Ziele Ludwigs XIV. waren in Süd- und Westdeutschland vollendet; das Reich hatte zu bestehen aufgehört.






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf