[193]
Erzherzog Carl und
Napoleon
Gewaltige Umwälzungen vollzogen sich in den folgenden Jahren in
Europa. Napoleon Bonaparte nahm am 18. Mai 1804 den Titel eines
Kaisers der Franzosen an, und um "diesen Zuwachs an Ranggeltung für den
Bedränger Europas und der drohenden Gefahr des Verlustes der deutschen
Kaiserkrone" auszugleichen und vorzubeugen, erklärte sich Franz II.
unter ausdrücklicher Betonung "der vollkommenen Gleichheit des Titels
und der erblichen Würde mit den vorzüglichsten europäischen
Regenten und Mächten" am 10. August als "Kaiser von Österreich".
Die ganze Hohlheit der nun nicht einmal mehr als "Phantom" anzusprechenden
deutschen Kaiserwürde trat aber in der Tatsache zutage, daß man sich
jetzt noch immer an den Titel eines deutschen Kaisers klammerte. Gewiß,
man erachtete das Festhalten an diesem Titel trotz der fehlenden
unerläßlichen inneren und äußeren Kraft zur
Verteidigung dieser Würde als eine Art ideelle Bindung an das versunkene
Reich und hoffte dadurch die Begehrlichkeit Frankreichs nach dieser
Würde hintanzuhalten. Es blieb aber doch nichts anderes als eine armselige
Posse, daß man einen Fürsten deutschen Kaiser nannte, wo es kein
Reich mehr gab.
Inmitten dieser weltbewegenden Umwälzungen und für das Reich so
traurigen Ereignisse arbeitete still, aber doch von dem unbeugsamen Willen
beseelt, die Waffe für eine spätere Bereinigung aller
Demütigungen des Reiches und Österreichs von neuem zu
schmieden, Erzherzog Carl.
Er blieb dabei weiterhin der unangenehme Mahner.
Seit dem 9. Januar 1801 war er, im Hinblick darauf, daß er der einzige
Mann gewesen war, der mit seinen Voraussagungen recht behalten hatte, vom
Kaiser zum Präsidenten des Hofkriegsrates ernannt worden. Sein Verdienst
war es nun, daß sich bei der Behandlung aller militärischen Fragen
"ein freier, frischerer Geist geltend machte, welcher den Notwendigkeiten des
Dienstes und der Erfahrung Rechnung trug, aber auch die Strömung der
Zeit, die fortschreitende geistige Bewegung nicht ignorierte, ja sie für die
Zwecke der Armee auszunützen wußte". Zur Berücksichtigung
dieser Strömung der Zeit gehörte vor allem eine grundlegende
Verordnung. Es war die Aufhebung der lebenslänglichen
Militärdienstpflicht und die Einführung einer gesetzlich festgelegten
Dienstzeit, die für die Infanterie, die Pioniere und das Fuhrwesen zehn,
für die Kavallerie zwölf und die Artillerie mit den technischen
Waffen vierzehn Dienstjahre vorschrieb. Sofort erhob sich bei allen Bewunderern
des Alten und bei allen Verfechtern eines bedingungslosen Vergeltungskrieges
mit Frankreich ein gewaltiger Sturm. Man warf dem Erzherzog die
Herauf- [194] beschwörung
eines Verfalles der Wehrmacht, deren man doch baldigst wieder bedurfte, in
unmißverständlicher Weise vor, andere sprachen von einer
Lockerung der Disziplin, und so gab es bald kein noch so bei den Haaren
herbeigezogenes Argument, dessen man sich nicht gegen diese Verordnung
bediente. Aber der Erzherzog blieb fest. Was er plante, war eine wirkliche
Erhöhung der Wehrkraft, war die Schaffung eines durch eine allgemeine
und geregelte Konskription in nicht starren, aber gesunden Formen gehaltenen
Standes, war die Umwandlung eines aus lebenslänglich zu den Waffen
gezwungenen Soldatentums in ein künftiges Volksheer. Und weil nichts
übereilt geschah, was der Erzherzog anpackte, so übersah er bei der
Durchkämpfung dieser Reformen auch nicht, daß jede Neuerung
nicht auf einmal, sondern nur nach und nach in Kraft treten konnte, wenn sie auch
wirklich ersprießlich auswirken sollte. Dazu gehörte vor allem die
Abschaffung aller Konskriptionsbefreiungen, die es trotz der Erlässe Maria
Theresias und Josefs II.
noch vielerorts gab. So bestand neben der von Zeit
zu Zeit immer noch angewandten Werbung gegen Handgeld und der
zwangsweisen Aushebung auf Lebenszeit eine weitgehende Befreiung vieler
Stände, ja sogar ganzer Provinzen vom Militärdienst. Vor allem war
es Tirol, das durch sein Sonderwehrrecht des allgemeinen Volksaufgebotes von
der zwangsweisen Aushebung befreit war. Aber auch in den Niederlanden und im
Gebiete der "Insurrektion", den Ländern der ungarischen Krone, hingen die
Genehmigungen für Aushebung vom guten Willen der Stände ab.
Und hier wußte nun Erzherzog Carl noch während der letzten
Koalitionskriege einen geschickten Ausgleich und eine gewisse Überleitung
zum späteren Plan einer allgemeinen, geregelten, aber nicht mehr
lebenszeitlichen Dienstleistung aller Staatsbürger zu schaffen. Er rief
Freikorps und freiwillige Legionen auf, die er später zu Stammtruppen der
Gegenden, aus denen sie gekommen waren, umwandelte. So schuf er vor allem
aus der böhmisch-mährisch-schlesischen Legion und aus den Wiener
Freiwilligen leichte Infanteriebataillone, die dann in länger dienende
Jägertruppen umgewandelt wurden. In den von Erzherzog Carl im Jahre
1800 befehligten Freikorps kämpften sämtliche Freiwilligen nur
mehr als Jäger.
Durch diese Überleitung, die jeden Freiwilligen aus allen Ständen
eines Tages als Soldat einer Jägertruppe erfaßte, wurde nun im
gewissen Sinne eine Gewöhnung der "bevorzugten" Stände an den
Militärdienst erreicht. Den größten Plan aber, den der
Erzherzog in der Absicht, große Reserven zu schaffen, mit dem Gedanken
an die Errichtung von Landwehren ins Auge faßte, mußte er vorerst
noch zurückstellen. Vorerst galt es, die mit kaiserlichem Patent vom 7. Mai
1802 verfügte [195] Einführung einer
gesetzlich festgesetzten Dienstzeit für alle aus den der Konskribierung
offenstehenden Provinzen ausgehobenen Soldaten der Allgemeinheit mundgerecht
zu machen. Hier wirkte sich jetzt sofort die Aussicht des Soldaten, daß er
nach Ablauf der Dienstzeit wieder aus dem Heere austreten durfte, nicht zum
Schaden für die Wehrkraft, sondern sie im Gegenteil fördernd aus.
Auch daß die freiwillig länger bei der Fahne verbleibenden ein
erhöhtes Handgeld erhielten, trug nur zur Erhöhung der
Wehrfreudigkeit bei.
Da traten, mitten in dieser Aufbauarbeit, Ereignisse ein, die die von Erzherzog
Carl so sehr bekämpfte neuerliche übereilte Zuspitzung des
Verhältnisses mit Frankreich einer gewaltsamen Auseinandersetzung
immer näher brachten. Die schrankenlose Willkür Napoleons hatte
England bereits wieder im Jahre 1803, dann aber auch Schweden und
Rußland zur offenen Abwehr der französischen
Expansionsgelüste veranlaßt. Auch Österreich trat diesem
Bündnis durch ein im November 1804 abgeschlossenes
Defensivabkommen mit Rußland bei. Die Kriegspartei in Wien trachtete
aber unentwegt nach sofortigem Kampf. Abermals widersetzte sich Erzherzog
Carl. In einer Denkschrift an den Kaiser setzte er diesem auseinander, daß
keiner der Bundesgenossen ohne selbstsüchtige Beweggründe in den
Kampf einzutreten beabsichtige. Seine militärischen Bedenken aber
begründete der Erzherzog damit, daß das Heer, entgegen der
Annahme derjenigen, die seine Reformen noch gestern als die Wehrkraft
beeinträchtigend hingestellt hatten, und die heute plötzlich von einer
neuen Schlagkraft dieses Heeres sprachen, erst im Anfange des Umbaues stecke
und daher noch immer nicht gerüstet genug sei, den glänzend
ausgerüsteten Truppen Napoleons gegenüberzutreten. Es war wieder
vergebens! Um den Einwendungen des lästigen Mahners zu entgehen,
verheimlichte man jetzt dem Präsidenten des Hofkriegsrates den
weiteren Verlauf der Verhandlungen mit den Staatskanzleien der Dritten
Koalition. Ja noch mehr! In den Tagen, da Österreich endgültig
dieser Dritten Koalition beitrat, fühlten sich die Gegner Erzherzog Carls so
stark, daß sie im März 1805
seine - Enthebung von der Stelle des Hofkriegsratspräsidenten beim
Kaiser durchsetzten. Die "alte Kriegstrommel", der Feldzeugmeister Latour,
wurde zum Präsidenten des Hofkriegsrates ernannt und
ihm - wieder als Zeichen eigener, freilich nicht selbsteingestandener
Schwäche - der Feldmarschalleutnant Fürst Karl
Schwarzenberg als Berater zur Seite gegeben. Tief gekränkt und nicht ohne
den Hinweis darauf, daß "der Krieg sicher ein unglückliches Ende
nehmen werde!", zog sich der Erzherzog zurück. Der Dank des Hauses
Habsburg hatte sich dieses Mal selbst an einem Habsburger in
schmählichster Weise "bewährt".
[196] Man
verschmähte es jedoch auch weiterhin nicht, sich der Erfahrung des
einzigen wahren Feldherrn, den Österreich damals besaß, zu
bedienen. Der Kriegsplan wurde in Wien von dem Generalquartiermeister Baron
Mack und dem russischen General Baron Wintzingerode ausgearbeitet und dem
Kaiser zur Genehmigung vorgelegt. Man bat Carl, in Zivil an einer Beratung in
Laxenburg teilzunehmen, die über den Mackschen Kriegsplan entschied.
Nach diesem Plan sollte eine österreichische Armee in
Süddeutschland eindringen, sich dort mit Bayern und anderen
süddeutschen Truppenkontingenten vereinigen, eine Verbindung mit den
Russen abwarten und dann zum Rhein vorstoßen. Die Hauptarmee der
Österreicher sollte den Angriff Napoleons in Oberitalien erwarten. Mit
geradezu leidenschaftlicher Heftigkeit wandte sich der Erzherzog gegen den Plan.
Er bezeichnete ihn als verderblich und bekämpfte Punkt um Punkt in
Gegenwart des Kaisers. Statt ihm nun beizupflichten oder wenigstens die
Richtigkeit der Begründungen des Erzherzogs einzusehen, verstieg sich der
Kaiser indessen vollständig auf die von Mack mit glänzender
Beredtsamkeit vorgebrachten Meinungen. Da gab Erzherzog Carl nach. Sollte er
sich schulmeistern lassen, wo aus ihm doch nur Verantwortungsgefühl und
die klare Erkenntnis, daß eines der Hauptargumente Macks, die Beteiligung
der süddeutschen Staaten am Kriege, eine Fehlrechnung war, sprachen? Der
einzige, der triumphierte, war Mack, dem trotz unleugbarer Fähigkeiten alle
jene Eigenschaften mangelten, die, durch eine strenge Zucht des Geistes und
Charakters gehalten, den wahren Feldherrn ausmachten. Dieser Mann
übernahm nun den Oberbefehl in Deutschland gegen einen Napoleon
Bonaparte. Weil man aber das Vertrauen und vor allem die Verehrung, die
Erzherzog Carl im ganzen Heere besaß, nicht übergehen durfte und
dies zuletzt auch nicht wollte, ernannte der Kaiser den Erzherzog in letzter Stunde
zum Oberbefehlshaber in Italien. Zum Führer einer in Tirol aufgestellten
Reservearmee bestimmte der Monarch den Erzherzog Johann.
Aber nun zeigte es sich plötzlich, daß weder Rußland noch
Österreich endgültig auf den Krieg vorbereitet waren. Die
Ausbildung der österreichischen Truppen war durchaus noch
ungenügend, und Rußland konnte nur ein Drittel der versprochenen
Truppen zur Verfügung stellen. So fiel Macks Aufmarschplan von
vornherein ins Wasser!
Den übereilten Kriegsvorbereitungen der Verbündeten unliebsam in
die Parade fahrend, griff Napoleon an! Ohne seine Kräfte zu zersplittern,
marschierte er mit 180 000 Mann gegen seinen Hauptgegner Mack, der mit
einer, seine Unfähigkeit im vollsten Maße erweisenden Sorglosigkeit
die Truppen zusammenhangslos zwischen Dietmannsried bei Ulm, Kempten und
südlich Kaufbeuren aufgestellt hatte! Sein
Haupt- [197] stützpunkt war
Ulm! Untätig blieb Mack stehen und erwartete die Ankunft der Russen! Er
ahnte nicht, daß die französische Hauptarmee unter ihrem Kaiser
unterwegs war, um ihn zu umgehen. Durch außerordentlich geschickte
Operationen zersprengte Napoleon das österreichische Heer, nahm
verschiedene Abteilungen gefangen und schloß Mack in Ulm ein! Kleineren
Heeresverbänden unter Erzherzog Ferdinand und General Kienmayer
gelang es, sich nach Böhmen und bis hinter den Inn durchzuschlagen. Am
20. Oktober kam die beschämendste Kapitulation zustande, die das in so
vielen Kriegen im Glück und Unglück bewährte kaiserliche
Heer jemals eingegangen war! Mit 23 000 Mann streckte Mack bei Ulm die
Waffen! Auf das energische Betreiben Erzherzog Carls wurde er vor ein
Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Kaiser Franz wandelte das
Todesurteil in mehrjährige Festungshaft um.
Die Katastrophe von Ulm zeigte nun ihre schwerwiegenden Folgen. Napoleon
drang unaufhaltsam im Donauraum vor, unterstützt von den
süddeutschen Staaten, die sich beim Einmarsch Napoleons sofort alliiert
hatten.
Trotzdem er 20 000 Mann abgeben mußte, gelang es in Italien Erzherzog
Carl, die österreichische Waffenehre wiederherzustellen! Bei Caldiero
schlug er den angreifenden Massena unter großen Verlusten zurück.
Zu einer Ausnützung des Sieges kam es aber nicht, da der Kaiser den
Erzherzog mit der gesamten Armee nach Norden berief, wo Napoleons
Vormarsch große Fortschritte gemacht hatte.
Endlich waren die ersten Russen unter Kutosow am Inn eingetroffen und
vereinigten sich mit den Österreichern. Die Österreicher und Russen
zählten hier schon 85 000 Mann, eine russische Reservearmee und
Erzherzog Carl marschierten ebenfalls mit beinahe 100 000 Mann heran.
Doch ehe diese Streitkräfte verfügbar waren, suchte Napoleon, der
außerdem durch Preußen sich bedroht fühlte, das Miene
machte, sich der Koalition anzuschließen, die Entscheidung. Auf
Drängen der Russen, denen sich auch die Mehrzahl der
österreichischen Offiziere anschloß, gewann die Meinung die
Oberhand, daß man Napoleon mit den verfügbaren Kräften
noch vor dem Eintreffen Erzherzog Carls besiegen könne. Die
österreichisch-russische Armee stellte sich zum Kampfe. Am 2. Dezember
1805 errang Napoleon in der berühmten Dreikaiserschlacht von Austerlitz
seinen größten Sieg. In völliger Auflösung zogen sich
Österreicher und Russen unter furchtbaren Verlusten zurück. Am 6.
Dezember wurde der Waffenstillstand geschlossen.
Am 26. Dezember 1805 mußte Österreich zu Preßburg den
demütigendsten Frieden schließen, den der Habsburgerstaat jemals
eingegangen war. Nach 500jähriger Verbundenheit mit den Geschicken des
Hauses [198] Habsburg schieden
Schwäbisch-Österreich und die Markgrafschaft Burgau
aus dem Verband des Kaiserstaates aus. Tirol wurde Baden zugesprochen, und die
italienischen Besitzungen Habsburgs, Venetien und Friaul sowie Istrien und
Dalmatien erhielt das neugegründete Königreich Italien. Dafür
wurde Österreich mit Salzburg und Berchtesgaden bedacht.
Schon am 17. Juli 1806 taten sich 16 deutsche Fürsten zum Rheinbund
unter dem Protektorat Frankreichs zusammen. Herr in Deutschland, der
er nun war, forderte der Korse den Kaiser in Wien nun zur endgültigen
Niederlegung der deutschen Kaiserkrone auf. Franz II., ein Mann, der
nichts von dem Stolz und der beschworenen Verpflichtung in sich fühlte,
die einen Leopold I., die beiden Josef, aber auch Karl VI. und Maria
Theresia zu beharrlichen Verfechtern der deutschen Kaiseridee erhoben
hatten, gab nach. Am 6. August 1806 erklärte der Habsburger
Franz II. die deutsche Kaiserwürde für erloschen. Es war nicht
nur das "Phantom eines Ideals", sondern auch das Anrecht Habsburgs auf
Mitbestimmung im deutschen Raum, das in dieser Stunde für immer
versank.
"Es war ganz natürlich", so beginnt die Geschichte der k. u. k. Armee jenen
Abschnitt, der aus dem endgültigen Zusammenbruch des Römischen
Reiches Deutscher Nation zur großen deutschen Volkserhebung
Österreichs im Jahre 1809 hinüberleitet, "daß sich, als die erste
Bestürzung über die schweren Schicksalsschläge
überwunden war, alle Blicke auf den Mann richteten, der die traurige
Genugtuung besaß, seine trüben Vorhersagungen eingetroffen zu
sehen, und dessen Wirken in der allgemeinen Zerrüttung allein
zielbewußt und erfolgreich war."
Dieser Mann war wieder einmal der "lästige Mahner", Erzherzog Carl.
Jetzt, wo auch der matteste Schein einer längst verblaßten deutschen
Kaiserwürde erloschen war, wo nackte Tatsachen alle althergebrachten,
doch nur mehr unklar gewordenen Begriffe über die deutsche Kaisergewalt,
den Reichsgedanken und Österreichs Aufgaben mit oder ohne dem Reich
durcheinanderwirbelten, berief man von neuem den Mann, der in dem Chaos aller
von den Lenkern des Habsburgerstaates für die Zukunft in Aussicht
genommenen Umstellungsabsichten nur eine einzige Realität
kannte - die Schaffung eines wieder zum Schlagen ertüchtigten
Heeres.
[189]
Erzherzog Carl,
der Reformator des österreichischen
Heereswesens und erster Bezwinger Napoleons.
Nach einem Gemälde von Einsle.
(Historia-Photo, Berlin)
|
Mit einem kaiserlichen Auftrag in den Händen, der ihn zum Generalissimus
ernannte und ihm unumschränkte Vollmachten einräumte, ging der
Erzherzog ans Werk. Er begann es, nicht ohne den Hebel dort anzusetzen, wo
nach seiner eigenen Auffassung und der Erfahrung der [199] letzten Feldzüge
eine grundlegende Erneuerung am notwendigsten war, bei der Generalität.
Nicht weniger als fünfundzwanzig höhere Generale wurden ohne
jegliche Rücksichtnahme auf Verdienste oder Herkunft abgesetzt und an
ihre Stelle jüngere und mit der modernen Kriegführung vertraute
Führer berufen. Mit Hilfe dreier bewährter Generale, die er selbst
geschult hatte, dem Feldmarschalleutnant Grafen Philipp Grünne, dem
Generalquartiermeister Mayer und seinem Generaladjutanten Freiherrn von
Wimpffen, führte der Erzherzog dann eine vollkommene Umorganisation
des Hofkriegsrates durch. Eine rasche und alle Gebiete zentral erfassende
Geschäftsführung wurde gesichert. Von nun ab erhielt die Armee
schon in Friedenszeiten eine Ordre de bataille; nach französischem
Vorbild wurde sie in Armeekorps geteilt, die in einer planmäßigen
Übung des Zusammenwirkens aller Waffengattungen unter der
Führung eines eigenen Generalstabes, eigener Artilleriechefs und der
Zuteilung aller erforderlichen Heeresanstalten und Verwaltungskommissariate
jene selbständige Manövrierfähigkeit erhielten, die für
eine moderne Kriegführung erforderlich war. Auch die
Mobilmachungsmöglichkeiten wurden durch diese Aufstellung
geschlossener großer Truppenverbände erleichtert. Besonderen Wert
legte Erzherzog Karl aber vor allem auf die Anwendung einer gänzlich
neuen, von ihm selbst verfaßten Dienst- und Exerziervorschrift.
Dieser Vorschrift fügte Erzherzog Carl eine bis in das Geringfügigste
durchgearbeitete Ausbildungsanleitung für jede Waffengattung bei. Eigene
Kommissionen, denen eine genaueste Prüfung der aus der Erfahrung der
letzten Kriege gewonnenen Verbesserungsmöglichkeiten oblag, wurden
eingesetzt und führten die erforderlichen Neuerungen ein. Bei der Infanterie
waren diese Änderungen in erster Linie von der Absicht einer allgemeinen
Vereinfachung der Griffe, der Bewegungen und der Ausbildung für das
Feuergefecht bestimmt. Eine planmäßige Übung des
Scheibenschießens, die jährlich vorgenommen wurde, erhöhte
die Treffsicherheit. Neben der Schulung der Linieninfanterieregimenter galt das
Hauptaugenmerk des Erzherzogs auch der bereits einmal geschilderten
Ausbildung leichter Fußtruppen, vor allem der Jäger. Außer
den aus den Freikorps übernommenen Formationen zog man auch aus der
Linie und aus den Grenzern besondere leichte Bataillone heraus, bei denen 20
Mann jeder einzelnen Kompanie mit leichten gezogenen Stutzen
ausgerüstet wurden. Diese "Schützenzüge" gaben dann
ebenfalls vielfach die Stammtruppe für später gegründete
Jägerbataillone ab. Im Jahre 1804 erschien dann bereits ein
Jägerregiment in der Stärke von über 2000 Mann. Die
Verwendbarkeit dieser Truppe, für welche die österreichischen
Alpenländer vorzügliches Menschenmaterial [200] boten, war Anlaß
zur Organisierung und Vermehrung, so daß 1808 schon die
Jägerbataillone Nr. 1 bis 9 entstanden. Feldmarschalleutnant Philipp
Fenner von Fenneberg errichtete, allerdings erst 1813, das Fenner
Jägerkorps, das 1815 in das Tiroler Kaiserjägerregiment
umgewandelt wurde.
Eine ebenfalls einschneidende Umänderung nicht nur in ihrer bisherigen
Exerzierordnung, sondern auch in ihrem organischen Aufbau erlebte die
Kavallerie. Zur besseren und nach Möglichkeit höchsten reiterlichen
Vollendung strebenden Ausbildung wurde in Wiener-Neustadt im Jahre 1808 ein
Zentral-Armee-Equitations-Institut geschaffen, dessen erster Inspekteur und Chef
der damalige Generalmajor
Josef Wenzel Graf Radetzky wurde. Eigene
Bezirkspferdedepots ermöglichten von nun ab eine weitgehendste
Ergänzung der erforderlichen Reit- und Zugtiere.
Bei der Umorganisation der Artillerie folgte man vielfach dem
französischen Beispiel. So wurden die der Infanterie beigegebenen
Bataillonsgeschütze aufgelassen und die gesamte Feldartillerie zu Batterien
formiert. Maßgebend für diese Umänderung war die neuere
Taktik, die sich bereits auf Massenwirkung des Geschützfeuers einzustellen
begann.
Besondere Aufmerksamkeit wandte Erzherzog Carl auch der Verbesserung der
technischen Waffen und ihrer gesteigerten Spezialausbildung zu. Als interessantes
Beispiel mag gelten, daß 1809 auch zum erstenmal der Versuch einer
Anwendung eines optischen Telegraphengerätes für Kriegszwecke
gemacht wurde. Den Fesselballon als Beobachtungsmittel hatte Erzherzog Carl in
primitivster Versuchsform bereits in der Schlacht bei Würzburg
kennengelernt. Auch der Schaffung einer kaiserlichen Kriegsflotte, die durch die
1798 erfolgte Übernahme der venetianischen Flotte für
Österreich jetzt wieder notwendig wurde, versuchte der Erzherzog als Chef
des "Departements des Krieges und der Marine" die Wege zu ebnen. Das Fehlen
der wichtigsten Voraussetzungen, Zeit und Geld, zwang ihn jedoch, diese
Pläne vorderhand noch zurückzustellen.
Die grundsätzlichste Umwälzung brachte jedoch die von Erzherzog
Carl durchgeführte Aufstellung der österreichischen Landwehr.
Restlose Erfassung, ohne den Wert dieser Truppe in ihrem späteren Einsatz
zu überschätzen - denn es war wiederum der zu frühe
Ausbruch des Krieges von 1809, der es Erzherzog Carl unmöglich machte,
die im Landwehrgedanken geplante Volksbewaffnung allerorts in die Tat
umzusetzen - hat die Errichtung der Landwehren gerade in den deutschen
Ländern des Habsburgerstaates den Weg für die spätere
Schaffung des deutschen Volksheeres der Monarchie frei gemacht.
Landwehrmann [201] wurde nach dem durch
Erzherzog Carl erwirkten kaiserlichen Erlaß jeder kriegsdiensttaugliche
Staatsbürger, mit Ausnahme der Bewohner Galiziens, der Bukowina und
Ungarns, im Alter zwischen 18 und 45 Jahren, der nicht der Armee
angehörte oder auch zeitlich befreit war.
[207]
Offiziere und Mannschaften der innerösterreichischen
Landwehr im Jahre 1809.
Nach einem Aquarell von Vinzens Kininger, Städt. Sammlungen.
(Österreichische Lichtbildstelle, Wien)
|
Als Aufgabengebiet wurde der Landwehr nur die Verteidigung des
vaterländischen Bodens zugewiesen. Man verfolgte hier ein Prinzip, das
vor allem im Heimatland der Schützen, in Tirol, den Schöpfern der
Landwehr als Vorbild diente. Gerade auf Tirol dehnte der Erzherzog, unter
Berücksichtigung althergebrachter Tirolischer Einrichtungen, die Erfassung
jedes nur irgendwie Wehrfähigen aus. Obwohl Tirol nicht mehr
habsburgisches Hoheitsgebiet war, rechnete man mit der 1802 wieder neubelebten
Wehrfreudigkeit der Länder, das im Falle eines Krieges gegen Frankreich
und Bayern das Aufgebot seiner Achtzehn- bis Fünfzigjährigen mit
dem "Zuzug" von 20 000 Mann Tiroler Landmilizen versprach.
Mit den Aufgeboten der österreichischen Erblande erhöhte sich
damit die Stärke der Landwehren auf 150 000 Mann.
Als die deutsch-österreichischen Landwehren dann 1809 in den Kampf
traten, haben sich ihre steirischen, ober- und niederösterreichischen,
deutsch-mährischen und Wiener Bataillone mit außerordentlicher
Tapferkeit geschlagen. Die Namen Kis-Megyer, Ebelsberg und vor allem Aspern
werden stets die Erinnerung an den heldenmütigen Einsatz dieses ersten, in
militärische Formen gebrachten Volksaufgebots der Ostmark
weitertragen.
So arbeitete Erzherzog Carl, überall selbst eingreifend, dabei mit dem
eigenen Beispiel vorangehend und mit harter Kritik nicht sparend, an der
Aufgabe, die ihm der Kaiser gestellt hatte. Es gab kein Gebiet des Heerwesens,
dem er nicht seine Aufmerksamkeit zuwandte. Und wie er von sich selbst den
alleräußersten Einsatz seines ohnehin kränklichen, an
epileptischen Anfällen leidenden Körpers verlangte, so stellte er auch
an das Wissen und Können des Offizierskorps außerordentliche
Anforderungen.
Als bewährter "lästiger Mahner", der als Praktiker das ganze
Ausmaß der Verantwortlichkeit eines Generalissimus kannte, war der
Erzherzog sich der Grenzen bewußt, die dem in so vielen Kriegen
ausgebluteten Staat zur Wiedererrichtung einer starken Wehrmacht gezogen
waren. Es entsprach daher seiner auch im Mahnen so sehr erprobten Praxis,
daß er sich mit neuer Entschiedenheit gegen die Anbahnung eines wiederum
für die Armee zu frühen Kriegsabenteuers wandte. Das Schicksal
Preußens, das während der Jahre des Aufbauwerkes Erzherzog Carls
seine furchtbarste Niederlage durch die
napo- [202] leonischen Waffen
erfahren hatte, wurde ein weiterer begründeter Hinweis in der
Beharrlichkeit seiner Warnungen.
Diese Niederlage Preußens mit der darauffolgenden Entwaffnung des
größten Teiles seines Heeres im Frieden von
Tilsit hatte der
französischen Willkür in ihren Absichten um die Umgestaltung
Mitteleuropas zu einer einzigen großen französischen Provinz noch
die letzten Türen und Tore geöffnet, die Bonaparte nach der
Anerkennung des französischen Vormachtrechtes in Deutschland und der
Niederlegung der deutschen Kaiserkrone durch den Habsburger in Wien noch
verschlossen geblieben waren. Das seit dem Dreißigjährigen Krieg
von jeder französischen Regierung verfolgte Ziel, Deutschland in
verschiedene mehr oder minder weit vorgeschobene Interessenzonen der
französischen Politik anzugliedern, das dann der Armee der Grande
Nation als Basis für ihren Aufmarsch zum Schutze der zwar als
europäisch bezeichneten, aber in Wirtlichkeit nur als französisch
gedachten Machtpositionen zu dienen hatte, schien restlos erreicht.
In diesem Zeitabschnitt tiefster deutscher Staats- und Fürstenerniedrigung
hat gerade das deutsche Volk den Blick für die Grenzen der bis zur
demütigendsten Selbstbesudelung vorangetriebenen Verhöhnung der
nationalen Selbstachtung bewahrt. Vor allem aber bleibt es ein ewiges Verdienst
des deutschen Volkes der Ostmark vor der Nation, daß es, völlig auf
sich allein gestellt, die Kraft fand, den allen Deutschen gemeinsamen Wunsch des
Widerstandes durch den ersten Volksaufbruch gegen die französische
Hegemonie in Europa in die Tat umzusetzen. Es waren die Deutschen
Österreichs, die Napoleon eines Tages darüber belehrten, daß
er zwar Kaiserreiche und Königreiche zu zerstören und
zerstückeln vermochte, daß er aber mit seinen
Unterdrückungen nur das während der letzten Jahrhunderte durch
eine immer starrere Staatsauffassung zurückgedrängte
Nationalbewußtsein der Deutschen von neuem zu einem gewaltigen Brande
entfachte. Die Opferung Tirols und der Tag von Aspern sollten ebenso wie der
Heldentod Schills, jener seiner Offiziere und der Zug des Herzogs von
Braunschweig zu weiterschwelenden Feuerbränden werden, die Anno
dreizehn dann Millionen deutscher Herzen entflammten.
Vorerst war es jedoch wiederum als einer der vielen Beispiele verflossener
deutscher Tragik anzusprechen, daß die Staatsführungen der beiden,
für die deutschen Patrioten jetzt erst recht Deutschland darstellenden
Staaten Preußen und Österreich zunächst nicht den Weg zu
einer politischen Einigung fanden. So blieb jene unbedingt erforderliche, gleichen
Schritt haltende Zusammenfassung der beiden Staaten innewohnenden Volkskraft
zum Zwecke des großen allgemeinen
Auf- [203] bruches gegen
Frankreich aus und brachte damit beim Losschlagen des einen Staates die
Gesamtheit des deutschen Volkes um den ersehnten Erfolg. Dies war um so
verhängnisvoller, als in beiden Staaten große, der deutschen Sache
über alle Maßen ergebene Männer am Werke waren, die alle
gemeinsam das Ziel der Wiedererhebung ihrer Länder verfolgten. In
Preußen war es der König, der sich im entscheidenden Augenblick
unter Berufung auf die noch nicht vollendeten militärischen
Rüstungen mit Erfolg gegen die ebenso wie in Österreich zum
Losschlagen drängenden Patrioten wandte. Damit blieb in Preußen,
was ein Freiherr vom Stein, Blücher, Gneisenau, Scharnhorst und Clausewitz angebahnt, was Ernst Moritz Arndt, Fichte und Jahn entstammt und
alle diese Männer gemeinsam aufgebaut hatten, vor einer vorzeitigen
Erschütterung bewahrt und vermochte sich bis zum Tage von Tauroggen zu
erhärten. In Österreich jedoch gab die Staatsführung der
Volksstimmung allzufrüh nach. Sie erntete dabei zwar den Beifall nicht nur
der deutschösterreichischen, sondern auch der preußischen und aller
deutschen Patrioten, wurde sich dabei aber doch nicht bewußt, daß sie
die deutsche Wehrkraft des Landes voreilig der allgemeinen Stimmung zum Opfer
brachte. Wie in wenigen Beispielen der Geschichte zeigte sich dieses
Hineintreibenlassen in einen nationalen Krieg als verhängnisvolle
Schwäche einer Staatsführung, die nicht den Mut aufbrachte, selbst
gegen den Vorwurf einer unverständlichen Haltung so lange abzuwarten,
bis der allein in Frage kommende militärische Partner in gleichem
Maße gerüstet war und die verantwortliche militärische
Führung die Parole zum Kampfbeginn ausgab.
Mittelpunkt jener Kräfte, die vor dem zu frühen Losschlagen warnten
und die das nationale Aufwallen des deutschen Volkes erst recht bis zum
geeigneten Zeitpunkte der Kriegserklärung mit allen Mitteln dienstbar
machen wollten, war Erzherzog Carl. In der vollen Verantwortlichkeit des
Mannes, der das zu den Waffen gerufene Volk eines Tages auf die Schlachtfelder
zu führen hatte, stemmte er sich dem patriotischen Schwung des Kanzlers
Stadion und der Kriegspartei am Hofe entgegen. So war er es, der sich vor allem
gegen den Plan wandte, daß ein Aufstand in Tirol das Signal zur
Eröffnung der Feindseligkeiten geben sollte. Als er erfuhr, daß
Stadion und sein eigener Bruder Erzherzog Johann sich die durch harte
Bedrückung von seiten der Bayern und Franzosen aufs
äußerste gereizte Volksstimmung in dem kleinen Berglande zunutze
gemacht und den Sandwirt von Passeier, Andreas Hofer, mit zuverlässigen
Tiroler Führern zu einer Besprechung des geplanten Aufstandes nach Wien
berufen hatten, sparte er nicht mit begründeten Vorstellungen. Es
widersprach durchaus seiner soldatischen [204] Auffassung, daß
sich ein kleines tapferes Volk für einen Staat in die Bresche werfen sollte,
dem es nach seiner Meinung in erster Linie zukam, die Fahne des
Befreiungskampfes für Deutschland zu entfalten. Aber er stand mit seiner
Auffassung fast gänzlich allein. Ein kaiserliches Dekret, das den Erzherzog
am 20. Februar 1809 zum Generalissimus ernannte, stellte Erzherzog Carl beinahe
schon vor vollendete Tatsachen. Und nun war er selbst zu sehr ein
deutschfühlender Mann, um in dem Augenblick, da die politische
Führung ihm die Waffe geradezu in die Hand gedrückt hatte, nicht
den Degen für Deutschland zu ziehen.
Die fortwährenden Rüstungen Österreichs hatten den Kaiser
der Franzosen zu wiederholten Vorstellungen über die Absichten, die sich
hinter den Heeresreformen verbargen, beim Wiener Hofe veranlaßt. Als die
Antworten immer ausweichender wurden und Stadion eine Erklärung
verfaßte, die einer offenen Herausforderung Frankreichs gleichkam, war der
Krieg unabwendbare Tatsache. Schon am 1. März gab Erzherzog Carl der
Armee den Eintritt des Kriegszustandes bekannt. Die Landwehren wurden
einberufen, und als sich jetzt zeigte, daß die Warnungen des Erzherzogs
gerade im Hinblick auf die reibungslose Durchführung der Aufstellung und
vollkommenen Ausrüstung dieser Landwehren begründet gewesen
waren, ersetzte der Generalissimus die verantwortlichen Generale durch
energische jüngere Männer. Schon Mitte März waren die
Rüstungen im wesentlichen beendet.
Der Erzherzog schritt nunmehr an die Ausführung des sorgsam
ausgearbeiteten Kriegsplanes. Als eigentliche Operationsbasis war Deutschland
gedacht. Hier sollte das Hauptheer den Kampf mit den französischen
Streitkräften aufnehmen. Die übrigen Heeresteile hatten erst
abzuwarten und wurden je nach den Ergebnissen des Kriegsverlaufes in
Deutschland für eine besondere Verwendung bestimmt. Auf Grund dieses
Kriegsplanes versammelte der Erzherzog zuerst annähernd 200 000
Mann in Böhmen. Als aber Napoleon jetzt seinerseits starke Kräfte,
vor allem die Rheinbundtruppen, im Raume von Ulm und Augsburg
zusammenzog, mußte Erzherzog Carl von seinem ursprünglichen
Plan, durch Franken vorzustoßen, abgehen und seine Operationsbasis mehr
nach Südwesten verschieben. Er marschierte daher nach
Oberösterreich und wandte sich von dort gegen Bayern. Zwei Korps
ließ er in Böhmen zurück. Ein innerösterreichisches
Heer unter Erzherzog Johann hatte die Alpenländer zu decken und bis nach
Tirol vorzurücken. Durch die Raschheit des französischen
Vordringens, das den Erzherzog sehr bald zur Annahme des von Napoleon
diktierten Gesetzes des Handelns zwang, blieb aber die Unterstützung
Tirols illusorisch. Erzherzog Johann mußte sich gegen Italien wenden, und
so verblieben schließlich nur 10 000 Mann [205] mit 71
Geschützen unter Chasteler, die den Marsch nach Tirol antraten.
Trotz der noch nicht vollendeten Rüstungen war das Heer, das Erzherzog
Carl in den ersten Frühjahrstagen des Jahres 1809 in den Kampf
führte, eines der besten, das der österreichische Staat jemals ins Feld
gestellt hatte. Unendliche Begeisterung um die große deutsche Sache
erfüllte Offiziere und Mannschaften. Ein Zustrom von Freiwilligen aus
allen deutschen Gauen füllte nicht nur die noch nicht völlig
ergänzten Truppenverbände allmählich vollkommen auf,
sondern zwang zur Aufstellung immer neuer Freiwilligenbataillone. Das ganze
Volk wetteiferte in der Unterstützung des Heeres. Wie wenige Jahre
später, Anno dreizehn in Preußen, erwies sich die Bevölkerung
durch Opfer und freiwillige Spenden als getreue Helferin der gegen den
Bedrücker Deutschlands ins Feld rückenden Truppen.
Ausgezeichnete Generale wie Fürst Johannes Liechtenstein, einer der
besten Reiterführer Österreichs, Graf Friedrich Bellegarde, Johann
von Hiller, die Fürsten Franz Rosenberg und Franz Hohenzollern, dann als
jüngere Führer Kienmayer, Vukassovich, Klenau, Stutterheim,
Nordmann und endlich Wenzel Graf Radetzky, der sich bereits wiederholt
ausgezeichnet hatte, befehligten unter Erzherzog Carl. In Innerösterreich
und Italien führten unter Erzherzog Johann, Frimont, Spleny, Nobili,
Gyulai, dann der rührige Oberst Nugent und vor allem der Schöpfer
der später so oft bewährten österreichischen
Jägertruppen und Gründer der Kaiserjäger, Franz Baron
Fenner, das Kommando. Am 9. April 1809 überschritt Erzherzog
Carl die bayrische Grenze. Ein Aufruf an die deutsche Nation, der nach der
Würdigung der Gründe, die Österreich zur Aufnahme des
Kampfes geführt hatten, die eindringlichen Worte enthielt: "Wir
kämpfen - um Deutschland die Unabhängigkeit und
Nationalehre wieder zu verschaffen, die ihm gebühren. Dieselben
Anmaßungen, die uns jetzt bedrohen, haben Deutschland bereits gebeugt.
Unser Widerstand ist seine letzte Stütze und Rettung. Unsere Sache ist die
Sache Deutschlands!", wandte sich an alle gutgesinnten Deutschen und sollte das
nationale Gewissen der breiten Massen entfachen.
Doch es war nur Tirol, in dem zu dieser Stunde dieser Appell an das deutsche
Volk die Flammen des allgemeinen Aufruhrs gegen die Vorherrschaft Frankreichs
in deutschen Landen entfachte. Getreu den mit Erzherzog Johann getroffenen
Abmachungen erließ der Sandwirt von Passeier, Andreas Hofer, als
Führer der mit der bayrischen Herrschaft in Tirol unzufriedenen Partei am
8. April 1809 geheime Botschaften mit den Worten "Es ist Zeit!" an die
Schützenkommandanten der Bezirke und Dörfer. Wie eine
reißende Flut brach der Aufruhr Tausender von [206] Bauern über die
bayrisch-französischen Garnisonen des Landes herein. Schon am 11. April
drangen die Tiroler, verstärkt durch die nun ebenfalls durch das Pustertal
vorgehenden Truppen Chastelers, in Innsbruck ein. In wenigen Tagen wurde ganz
Tirol vom Feinde gesäubert. Stolz und aufrüttelnd mahnten die
Namen Andreas Hofer, Speckbacher, Haspinger, Teimer, Eisenstecken,
Morandoll und Ilmer das deutsche Volk zur Erhebung und zum Beitritt in die
Reihen der Kämpfer um Deutschlands Freiheit.
Erzherzog Carl marschierte indessen bereits in Bayern und wandte sich gegen die
Isar, überschritt sie bei Landshut und drängte die Franzosen
zurück. Ein Zusammenstoß mit dem Marschall Davoust bei Thamm
hatte nicht den gewünschten Erfolg, da die österreichischen
Kräfte zu schwach waren. Inzwischen war Napoleon aus Spanien
zurückgekommen und begab sich blitzschnell nach Bayern und befahl
Davoust, die Verbindung mit der bayrischen Armee herzustellen, während
Massena nach Regensburg zu marschieren hatte. Jetzt wandte sich Napoleon
gegen den linken Flügel der Österreicher und brachte ihm in einer
Reihe von Einzelgefechten verlustreiche Schlappen bei, die eine Ursache des
plötzlichen Auseinanderbrechens der österreichischen Front wurden.
Landshut mußte daraufhin aufgegeben werden. Erzherzog Carl hatte
indessen verhängnisvollerweise noch keine Nachrichten von den letzten
Ereignissen erhalten. Er griff bei Eggmühl Davoust an, verwickelte sich in
eine Schlacht und sah sich plötzlich dem französischen Kaiser mit
der Hauptmacht gegenüber. Entschlossen brach Carl die Schlacht ab,
marschierte auf Regensburg zu und setzte über die Donau. Dank des
heldenhaften Einsatzes der Kavallerie entkam er glücklich der
französischen Umklammerung und zog sich nach Böhmen
zurück. Regensburg fiel in die Hände der Franzosen!
Der mißglückte Anfang des Feldzuges hatte alle
Befürchtungen Erzherzogs Carls bestätigt. Trotz aller Auslese des
Offizierskorps, trotz unermüdlichster Schulung der Mannschaften war die
Zeit, die zur Verfügung gestanden hatte, zu kurz gewesen, um die Fertigkeit
in der Handhabung der neuzeitlichen Kampfweise bei den Führern und der
Truppe bedingungslos zu verankern. So war der besser ausgebildete Feind in jeder
Beziehung überlegen und alle Tapferkeit und Anstrengungen waren
vergeblich.
Inzwischen errang Erzherzog Johann, der seinen ursprünglichen Plan, durch
Tirol zu marschieren, fallengelassen hatte und nach Italien abgeschwenkt war,
zwei Siege über Vizekönig Eugen von Italien und drängte den
Gegner bis Caldiero zurück. Da wurde er von Erzherzog Carl nach
Innerösterreich abgerufen. Nach einem blutigen Rückzugsgefecht bei
Canegliano marschierte er nach Tarvis und ließ zur Deckung [207-208=Illustrationen]
[209] auf dem Predilpaß eine kleine Besatzung
zurück, die den Befehl erhielt, den Gegner solange aufzuhalten, bis die
Armee im Klagenfurter Becken angelangt war. Der Kampf, der sich daraufhin
zwischen den nachdrängenden Franzosen und der kleinen Besatzung
entspann, ist würdig, als der Thermopylenkampf deutscher Soldaten
für immer in der Weltgeschichte unseres Volkes festgehalten zu werden.
Zwei Blockhäuser sperrten bei Malborghetto und am Predil den
Engpaß. Hier lagen Grenzer und Soldaten aus verschiedenen Regimentern,
die durch ein verheerendes Feuer jeden Sturm des Feindes abwiesen. Endlich
gelang es den Franzosen, an die Belagerten heranzukommen. Ein Kampf von
Mann zu Mann entspann sich. Die durch die Verluste aufgebrachten Franzosen
gaben kein Pardon. Die Besatzung verteidigt sich bis zum Äußersten.
Nur wenige Schwerverwundete werden gefangengenommen, wenigen gelingt es,
zu entkommen.
[190]
Heldenmütige Verteidigung des Blockhauses Malborghet
gegen feindliche Übermacht.
Nach einem Gemälde im Wiener Heeresmuseum.
(Österreichische Lichtbildstelle, Wien)
|
Dieser heldenhafte Einsatz der Besatzungen von Predil und Malborghetto
ermöglichten es dem Erzherzog, sich noch rechtzeitig gegen Graz
zurückzuziehen. Die Nachricht, daß Napoleon bereits auf Wien
losrückte, machte es ihm dann allerdings unmöglich, sich noch mit
verschiedenen kleineren Truppenteilen zu vereinigen, die ebenfalls den
Anschluß an sein Korps herzustellen versuchten. Der einzige, der ihn noch
rechtzeitig erreichte, war Chasteler, der aus Tirol kam. Dieser Abzug des
kaiserlichen Generals aus dem von Hofer und seinen Getreuen befreiten Lande,
hatte eine maßlose Erbitterung der Bevölkerung und vor allem der
Freiheitskämpfer zur Folge. Da griff Hofer im Vertrauen auf sein Volk zur
Selbsthilfe. Das Wort "Spöck, sie führen di' in die Schand!", das er
dem mit den Kaiserlichen abziehenden Speckbacher zurief und diesen zum
Ausharren zwang, wurde zur Parole für das ganze Land. Wieder griff alles
zu den Waffen, was irgend nur einen Dreschflegel, eine Heugabel oder eine uralte
Büchse aus Martin Sterzingers Zeiten handhaben konnte und eilte herbei. In
den Tagen, da das Gros der Truppen Chastelers im Osten Kärntner Boden
betrat, beriet Hofer bereits auf dem Brennerpaß mit Eisenstecken,
Haspinger, Peter Mayr, dem Wirt an der Mahr, und anderen den Angriff auf
Innsbruck. Dort stand Marschall Lefebre und gedachte der
"Bauernkomödie" ein rasches Ende zu machen. Doch die Bauern hatten
indessen bereits ihren Plan fertig in der Tasche. Unter dem Jubel des ganzen
Landes wurde der Sandwirt von Passeier zum "Obercommandant in Tyrol"
ausgerufen, und nun traten Tausende von Schützen und
Landstürmern ohne entscheidende militärische Hilfe zur zweiten
Schlacht am Berg Isel an und bereiteten dem französischen Marschall eine
verheerende Niederlage. Innsbruck, das die Franzosen wieder besetzt hatten,
wurde zurückerobert.
[210] Erzherzog Carl hielt
inzwischen in Budweis längere Rast, wartete Verstärkungen ab und
wollte sich mit der Armee Hiller und dem über Ungarn herankommenden
Erzherzog Johann vereinigen. Vorsichtig schob er sich an die Donau heran. Hiller
versuchte bei Linz den Übergang, mußte sich aber bei Ebelsberg nach
einem stundenlangen Kampfe, der in der Hauptsache gegen Massenas
Rheinbundtruppen - also wieder Deutsche gegen
Deutsche - geführt wurde, zurückziehen. Endlich brachte
Hiller bei Mautern 20 000 Mann über die Donau.
Das rasche Vordringen der Franzosen machte eine geplante Verteidigung Wiens,
dessen Verteidigungsanlagen auch gar nicht auf eine Belagerung eingerichtet
waren, unmöglich. Am 12. Mai 1809 zogen die Franzosen zum zweiten
Male in die alte Kaiserstadt ein. Wie eine unüberbrückbare
Grenzscheide lag jetzt die Donau zwischen Franzosen und Österreichern.
Alle Versuche der ersteren, den Fluß bei Linz, bei Krems, Melk, aber auch
in Wien zu überschreiten, scheiterten an der Wachsamkeit der Kaiserlichen.
Hiller lagerte am Fuße des Bisamberges, einzelne Abteilungen standen
unter Kolowrat, Schustek und Radetzky donauaufwärts verteilt. Am 13. Mai hatten sich die Franzosen auf einer Donauinsel bei Nußdorf eingenistet,
aber Hiller vertrieb sie und ließ die Insel befestigen. So erhielt Erzherzog
Carl Zeit, die Hauptarmee herbeizuführen, mit welcher er am 16. Mai bei
Stockerau und Korneuburg erschien. Noch verriet nichts, daß das
Schlachtenglück zum ersten Male die Siegespalme zu brechen gedachte, die
es bisher immer seinem großen Liebling, Napoleon, dargereicht hatte. Der
Tag von Aspern brach an.
|