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Erzherzog Carl und Napoleon

Gewaltige Umwälzungen vollzogen sich in den folgenden Jahren in Europa. Napoleon Bonaparte nahm am 18. Mai 1804 den Titel eines Kaisers der Franzosen an, und um "diesen Zuwachs an Ranggeltung für den Bedränger Europas und der drohenden Gefahr des Verlustes der deutschen Kaiserkrone" auszugleichen und vorzubeugen, erklärte sich Franz II. unter ausdrücklicher Betonung "der vollkommenen Gleichheit des Titels und der erblichen Würde mit den vorzüglichsten europäischen Regenten und Mächten" am 10. August als "Kaiser von Österreich". Die ganze Hohlheit der nun nicht einmal mehr als "Phantom" anzusprechenden deutschen Kaiserwürde trat aber in der Tatsache zutage, daß man sich jetzt noch immer an den Titel eines deutschen Kaisers klammerte. Gewiß, man erachtete das Festhalten an diesem Titel trotz der fehlenden unerläßlichen inneren und äußeren Kraft zur Verteidigung dieser Würde als eine Art ideelle Bindung an das versunkene Reich und hoffte dadurch die Begehrlichkeit Frankreichs nach dieser Würde hintanzuhalten. Es blieb aber doch nichts anderes als eine armselige Posse, daß man einen Fürsten deutschen Kaiser nannte, wo es kein Reich mehr gab.

Inmitten dieser weltbewegenden Umwälzungen und für das Reich so traurigen Ereignisse arbeitete still, aber doch von dem unbeugsamen Willen beseelt, die Waffe für eine spätere Bereinigung aller Demütigungen des Reiches und Österreichs von neuem zu schmieden, Erzherzog Carl. Er blieb dabei weiterhin der unangenehme Mahner. Seit dem 9. Januar 1801 war er, im Hinblick darauf, daß er der einzige Mann gewesen war, der mit seinen Voraussagungen recht behalten hatte, vom Kaiser zum Präsidenten des Hofkriegsrates ernannt worden. Sein Verdienst war es nun, daß sich bei der Behandlung aller militärischen Fragen "ein freier, frischerer Geist geltend machte, welcher den Notwendigkeiten des Dienstes und der Erfahrung Rechnung trug, aber auch die Strömung der Zeit, die fortschreitende geistige Bewegung nicht ignorierte, ja sie für die Zwecke der Armee auszunützen wußte". Zur Berücksichtigung dieser Strömung der Zeit gehörte vor allem eine grundlegende Verordnung. Es war die Aufhebung der lebenslänglichen Militärdienstpflicht und die Einführung einer gesetzlich festgelegten Dienstzeit, die für die Infanterie, die Pioniere und das Fuhrwesen zehn, für die Kavallerie zwölf und die Artillerie mit den technischen Waffen vierzehn Dienstjahre vorschrieb. Sofort erhob sich bei allen Bewunderern des Alten und bei allen Verfechtern eines bedingungslosen Vergeltungskrieges mit Frankreich ein gewaltiger Sturm. Man warf dem Erzherzog die Herauf- [194] beschwörung eines Verfalles der Wehrmacht, deren man doch baldigst wieder bedurfte, in unmißverständlicher Weise vor, andere sprachen von einer Lockerung der Disziplin, und so gab es bald kein noch so bei den Haaren herbeigezogenes Argument, dessen man sich nicht gegen diese Verordnung bediente. Aber der Erzherzog blieb fest. Was er plante, war eine wirkliche Erhöhung der Wehrkraft, war die Schaffung eines durch eine allgemeine und geregelte Konskription in nicht starren, aber gesunden Formen gehaltenen Standes, war die Umwandlung eines aus lebenslänglich zu den Waffen gezwungenen Soldatentums in ein künftiges Volksheer. Und weil nichts übereilt geschah, was der Erzherzog anpackte, so übersah er bei der Durchkämpfung dieser Reformen auch nicht, daß jede Neuerung nicht auf einmal, sondern nur nach und nach in Kraft treten konnte, wenn sie auch wirklich ersprießlich auswirken sollte. Dazu gehörte vor allem die Abschaffung aller Konskriptionsbefreiungen, die es trotz der Erlässe Maria Theresias und Josefs II. noch vielerorts gab. So bestand neben der von Zeit zu Zeit immer noch angewandten Werbung gegen Handgeld und der zwangsweisen Aushebung auf Lebenszeit eine weitgehende Befreiung vieler Stände, ja sogar ganzer Provinzen vom Militärdienst. Vor allem war es Tirol, das durch sein Sonderwehrrecht des allgemeinen Volksaufgebotes von der zwangsweisen Aushebung befreit war. Aber auch in den Niederlanden und im Gebiete der "Insurrektion", den Ländern der ungarischen Krone, hingen die Genehmigungen für Aushebung vom guten Willen der Stände ab. Und hier wußte nun Erzherzog Carl noch während der letzten Koalitionskriege einen geschickten Ausgleich und eine gewisse Überleitung zum späteren Plan einer allgemeinen, geregelten, aber nicht mehr lebenszeitlichen Dienstleistung aller Staatsbürger zu schaffen. Er rief Freikorps und freiwillige Legionen auf, die er später zu Stammtruppen der Gegenden, aus denen sie gekommen waren, umwandelte. So schuf er vor allem aus der böhmisch-mährisch-schlesischen Legion und aus den Wiener Freiwilligen leichte Infanteriebataillone, die dann in länger dienende Jägertruppen umgewandelt wurden. In den von Erzherzog Carl im Jahre 1800 befehligten Freikorps kämpften sämtliche Freiwilligen nur mehr als Jäger.

Durch diese Überleitung, die jeden Freiwilligen aus allen Ständen eines Tages als Soldat einer Jägertruppe erfaßte, wurde nun im gewissen Sinne eine Gewöhnung der "bevorzugten" Stände an den Militärdienst erreicht. Den größten Plan aber, den der Erzherzog in der Absicht, große Reserven zu schaffen, mit dem Gedanken an die Errichtung von Landwehren ins Auge faßte, mußte er vorerst noch zurückstellen. Vorerst galt es, die mit kaiserlichem Patent vom 7. Mai 1802 verfügte [195] Einführung einer gesetzlich festgesetzten Dienstzeit für alle aus den der Konskribierung offenstehenden Provinzen ausgehobenen Soldaten der Allgemeinheit mundgerecht zu machen. Hier wirkte sich jetzt sofort die Aussicht des Soldaten, daß er nach Ablauf der Dienstzeit wieder aus dem Heere austreten durfte, nicht zum Schaden für die Wehrkraft, sondern sie im Gegenteil fördernd aus. Auch daß die freiwillig länger bei der Fahne verbleibenden ein erhöhtes Handgeld erhielten, trug nur zur Erhöhung der Wehrfreudigkeit bei.

Da traten, mitten in dieser Aufbauarbeit, Ereignisse ein, die die von Erzherzog Carl so sehr bekämpfte neuerliche übereilte Zuspitzung des Verhältnisses mit Frankreich einer gewaltsamen Auseinandersetzung immer näher brachten. Die schrankenlose Willkür Napoleons hatte England bereits wieder im Jahre 1803, dann aber auch Schweden und Rußland zur offenen Abwehr der französischen Expansionsgelüste veranlaßt. Auch Österreich trat diesem Bündnis durch ein im November 1804 abgeschlossenes Defensivabkommen mit Rußland bei. Die Kriegspartei in Wien trachtete aber unentwegt nach sofortigem Kampf. Abermals widersetzte sich Erzherzog Carl. In einer Denkschrift an den Kaiser setzte er diesem auseinander, daß keiner der Bundesgenossen ohne selbstsüchtige Beweggründe in den Kampf einzutreten beabsichtige. Seine militärischen Bedenken aber begründete der Erzherzog damit, daß das Heer, entgegen der Annahme derjenigen, die seine Reformen noch gestern als die Wehrkraft beeinträchtigend hingestellt hatten, und die heute plötzlich von einer neuen Schlagkraft dieses Heeres sprachen, erst im Anfange des Umbaues stecke und daher noch immer nicht gerüstet genug sei, den glänzend ausgerüsteten Truppen Napoleons gegenüberzutreten. Es war wieder vergebens! Um den Einwendungen des lästigen Mahners zu entgehen, verheimlichte man jetzt dem Präsidenten des Hofkriegsrates den weiteren Verlauf der Verhandlungen mit den Staatskanzleien der Dritten Koalition. Ja noch mehr! In den Tagen, da Österreich endgültig dieser Dritten Koalition beitrat, fühlten sich die Gegner Erzherzog Carls so stark, daß sie im März 1805 seine - Enthebung von der Stelle des Hofkriegsratspräsidenten beim Kaiser durchsetzten. Die "alte Kriegstrommel", der Feldzeugmeister Latour, wurde zum Präsidenten des Hofkriegsrates ernannt und ihm - wieder als Zeichen eigener, freilich nicht selbsteingestandener Schwäche - der Feldmarschalleutnant Fürst Karl Schwarzenberg als Berater zur Seite gegeben. Tief gekränkt und nicht ohne den Hinweis darauf, daß "der Krieg sicher ein unglückliches Ende nehmen werde!", zog sich der Erzherzog zurück. Der Dank des Hauses Habsburg hatte sich dieses Mal selbst an einem Habsburger in schmählichster Weise "bewährt".

[196] Man verschmähte es jedoch auch weiterhin nicht, sich der Erfahrung des einzigen wahren Feldherrn, den Österreich damals besaß, zu bedienen. Der Kriegsplan wurde in Wien von dem Generalquartiermeister Baron Mack und dem russischen General Baron Wintzingerode ausgearbeitet und dem Kaiser zur Genehmigung vorgelegt. Man bat Carl, in Zivil an einer Beratung in Laxenburg teilzunehmen, die über den Mackschen Kriegsplan entschied. Nach diesem Plan sollte eine österreichische Armee in Süddeutschland eindringen, sich dort mit Bayern und anderen süddeutschen Truppenkontingenten vereinigen, eine Verbindung mit den Russen abwarten und dann zum Rhein vorstoßen. Die Hauptarmee der Österreicher sollte den Angriff Napoleons in Oberitalien erwarten. Mit geradezu leidenschaftlicher Heftigkeit wandte sich der Erzherzog gegen den Plan. Er bezeichnete ihn als verderblich und bekämpfte Punkt um Punkt in Gegenwart des Kaisers. Statt ihm nun beizupflichten oder wenigstens die Richtigkeit der Begründungen des Erzherzogs einzusehen, verstieg sich der Kaiser indessen vollständig auf die von Mack mit glänzender Beredtsamkeit vorgebrachten Meinungen. Da gab Erzherzog Carl nach. Sollte er sich schulmeistern lassen, wo aus ihm doch nur Verantwortungsgefühl und die klare Erkenntnis, daß eines der Hauptargumente Macks, die Beteiligung der süddeutschen Staaten am Kriege, eine Fehlrechnung war, sprachen? Der einzige, der triumphierte, war Mack, dem trotz unleugbarer Fähigkeiten alle jene Eigenschaften mangelten, die, durch eine strenge Zucht des Geistes und Charakters gehalten, den wahren Feldherrn ausmachten. Dieser Mann übernahm nun den Oberbefehl in Deutschland gegen einen Napoleon Bonaparte. Weil man aber das Vertrauen und vor allem die Verehrung, die Erzherzog Carl im ganzen Heere besaß, nicht übergehen durfte und dies zuletzt auch nicht wollte, ernannte der Kaiser den Erzherzog in letzter Stunde zum Oberbefehlshaber in Italien. Zum Führer einer in Tirol aufgestellten Reservearmee bestimmte der Monarch den Erzherzog Johann.

Aber nun zeigte es sich plötzlich, daß weder Rußland noch Österreich endgültig auf den Krieg vorbereitet waren. Die Ausbildung der österreichischen Truppen war durchaus noch ungenügend, und Rußland konnte nur ein Drittel der versprochenen Truppen zur Verfügung stellen. So fiel Macks Aufmarschplan von vornherein ins Wasser!

Den übereilten Kriegsvorbereitungen der Verbündeten unliebsam in die Parade fahrend, griff Napoleon an! Ohne seine Kräfte zu zersplittern, marschierte er mit 180 000 Mann gegen seinen Hauptgegner Mack, der mit einer, seine Unfähigkeit im vollsten Maße erweisenden Sorglosigkeit die Truppen zusammenhangslos zwischen Dietmannsried bei Ulm, Kempten und südlich Kaufbeuren aufgestellt hatte! Sein Haupt- [197] stützpunkt war Ulm! Untätig blieb Mack stehen und erwartete die Ankunft der Russen! Er ahnte nicht, daß die französische Hauptarmee unter ihrem Kaiser unterwegs war, um ihn zu umgehen. Durch außerordentlich geschickte Operationen zersprengte Napoleon das österreichische Heer, nahm verschiedene Abteilungen gefangen und schloß Mack in Ulm ein! Kleineren Heeresverbänden unter Erzherzog Ferdinand und General Kienmayer gelang es, sich nach Böhmen und bis hinter den Inn durchzuschlagen. Am 20. Oktober kam die beschämendste Kapitulation zustande, die das in so vielen Kriegen im Glück und Unglück bewährte kaiserliche Heer jemals eingegangen war! Mit 23 000 Mann streckte Mack bei Ulm die Waffen! Auf das energische Betreiben Erzherzog Carls wurde er vor ein Kriegsgericht gestellt und zum Tode verurteilt. Kaiser Franz wandelte das Todesurteil in mehrjährige Festungshaft um.

Die Katastrophe von Ulm zeigte nun ihre schwerwiegenden Folgen. Napoleon drang unaufhaltsam im Donauraum vor, unterstützt von den süddeutschen Staaten, die sich beim Einmarsch Napoleons sofort alliiert hatten.

Trotzdem er 20 000 Mann abgeben mußte, gelang es in Italien Erzherzog Carl, die österreichische Waffenehre wiederherzustellen! Bei Caldiero schlug er den angreifenden Massena unter großen Verlusten zurück. Zu einer Ausnützung des Sieges kam es aber nicht, da der Kaiser den Erzherzog mit der gesamten Armee nach Norden berief, wo Napoleons Vormarsch große Fortschritte gemacht hatte.

Endlich waren die ersten Russen unter Kutosow am Inn eingetroffen und vereinigten sich mit den Österreichern. Die Österreicher und Russen zählten hier schon 85 000 Mann, eine russische Reservearmee und Erzherzog Carl marschierten ebenfalls mit beinahe 100 000 Mann heran. Doch ehe diese Streitkräfte verfügbar waren, suchte Napoleon, der außerdem durch Preußen sich bedroht fühlte, das Miene machte, sich der Koalition anzuschließen, die Entscheidung. Auf Drängen der Russen, denen sich auch die Mehrzahl der österreichischen Offiziere anschloß, gewann die Meinung die Oberhand, daß man Napoleon mit den verfügbaren Kräften noch vor dem Eintreffen Erzherzog Carls besiegen könne. Die österreichisch-russische Armee stellte sich zum Kampfe. Am 2. Dezember 1805 errang Napoleon in der berühmten Dreikaiserschlacht von Austerlitz seinen größten Sieg. In völliger Auflösung zogen sich Österreicher und Russen unter furchtbaren Verlusten zurück. Am 6. Dezember wurde der Waffenstillstand geschlossen.

Am 26. Dezember 1805 mußte Österreich zu Preßburg den demütigendsten Frieden schließen, den der Habsburgerstaat jemals eingegangen war. Nach 500jähriger Verbundenheit mit den Geschicken des Hauses [198] Habsburg schieden Schwäbisch-Österreich und die Markgrafschaft Burgau aus dem Verband des Kaiserstaates aus. Tirol wurde Baden zugesprochen, und die italienischen Besitzungen Habsburgs, Venetien und Friaul sowie Istrien und Dalmatien erhielt das neugegründete Königreich Italien. Dafür wurde Österreich mit Salzburg und Berchtesgaden bedacht. Schon am 17. Juli 1806 taten sich 16 deutsche Fürsten zum Rheinbund unter dem Protektorat Frankreichs zusammen. Herr in Deutschland, der er nun war, forderte der Korse den Kaiser in Wien nun zur endgültigen Niederlegung der deutschen Kaiserkrone auf. Franz II., ein Mann, der nichts von dem Stolz und der beschworenen Verpflichtung in sich fühlte, die einen Leopold I., die beiden Josef, aber auch Karl VI. und Maria Theresia zu beharrlichen Verfechtern der deutschen Kaiseridee erhoben hatten, gab nach. Am 6. August 1806 erklärte der Habsburger Franz II. die deutsche Kaiserwürde für erloschen. Es war nicht nur das "Phantom eines Ideals", sondern auch das Anrecht Habsburgs auf Mitbestimmung im deutschen Raum, das in dieser Stunde für immer versank.

"Es war ganz natürlich", so beginnt die Geschichte der k. u. k. Armee jenen Abschnitt, der aus dem endgültigen Zusammenbruch des Römischen Reiches Deutscher Nation zur großen deutschen Volkserhebung Österreichs im Jahre 1809 hinüberleitet, "daß sich, als die erste Bestürzung über die schweren Schicksalsschläge überwunden war, alle Blicke auf den Mann richteten, der die traurige Genugtuung besaß, seine trüben Vorhersagungen eingetroffen zu sehen, und dessen Wirken in der allgemeinen Zerrüttung allein zielbewußt und erfolgreich war."

Dieser Mann war wieder einmal der "lästige Mahner", Erzherzog Carl. Jetzt, wo auch der matteste Schein einer längst verblaßten deutschen Kaiserwürde erloschen war, wo nackte Tatsachen alle althergebrachten, doch nur mehr unklar gewordenen Begriffe über die deutsche Kaisergewalt, den Reichsgedanken und Österreichs Aufgaben mit oder ohne dem Reich durcheinanderwirbelten, berief man von neuem den Mann, der in dem Chaos aller von den Lenkern des Habsburgerstaates für die Zukunft in Aussicht genommenen Umstellungsabsichten nur eine einzige Realität kannte - die Schaffung eines wieder zum Schlagen ertüchtigten Heeres.

Erzherzog Carl, der Reformator des österreichischen
Heereswesens und erster Bezwinger Napoleons.
[189]      Erzherzog Carl, der Reformator des österreichischen Heereswesens und erster Bezwinger Napoleons.
Nach einem Gemälde von Einsle. (Historia-Photo, Berlin)
Mit einem kaiserlichen Auftrag in den Händen, der ihn zum Generalissimus ernannte und ihm unumschränkte Vollmachten einräumte, ging der Erzherzog ans Werk. Er begann es, nicht ohne den Hebel dort anzusetzen, wo nach seiner eigenen Auffassung und der Erfahrung der [199] letzten Feldzüge eine grundlegende Erneuerung am notwendigsten war, bei der Generalität. Nicht weniger als fünfundzwanzig höhere Generale wurden ohne jegliche Rücksichtnahme auf Verdienste oder Herkunft abgesetzt und an ihre Stelle jüngere und mit der modernen Kriegführung vertraute Führer berufen. Mit Hilfe dreier bewährter Generale, die er selbst geschult hatte, dem Feldmarschalleutnant Grafen Philipp Grünne, dem Generalquartiermeister Mayer und seinem Generaladjutanten Freiherrn von Wimpffen, führte der Erzherzog dann eine vollkommene Umorganisation des Hofkriegsrates durch. Eine rasche und alle Gebiete zentral erfassende Geschäftsführung wurde gesichert. Von nun ab erhielt die Armee schon in Friedenszeiten eine Ordre de bataille; nach französischem Vorbild wurde sie in Armeekorps geteilt, die in einer planmäßigen Übung des Zusammenwirkens aller Waffengattungen unter der Führung eines eigenen Generalstabes, eigener Artilleriechefs und der Zuteilung aller erforderlichen Heeresanstalten und Verwaltungskommissariate jene selbständige Manövrierfähigkeit erhielten, die für eine moderne Kriegführung erforderlich war. Auch die Mobilmachungsmöglichkeiten wurden durch diese Aufstellung geschlossener großer Truppenverbände erleichtert. Besonderen Wert legte Erzherzog Karl aber vor allem auf die Anwendung einer gänzlich neuen, von ihm selbst verfaßten Dienst- und Exerziervorschrift.

Dieser Vorschrift fügte Erzherzog Carl eine bis in das Geringfügigste durchgearbeitete Ausbildungsanleitung für jede Waffengattung bei. Eigene Kommissionen, denen eine genaueste Prüfung der aus der Erfahrung der letzten Kriege gewonnenen Verbesserungsmöglichkeiten oblag, wurden eingesetzt und führten die erforderlichen Neuerungen ein. Bei der Infanterie waren diese Änderungen in erster Linie von der Absicht einer allgemeinen Vereinfachung der Griffe, der Bewegungen und der Ausbildung für das Feuergefecht bestimmt. Eine planmäßige Übung des Scheibenschießens, die jährlich vorgenommen wurde, erhöhte die Treffsicherheit. Neben der Schulung der Linieninfanterieregimenter galt das Hauptaugenmerk des Erzherzogs auch der bereits einmal geschilderten Ausbildung leichter Fußtruppen, vor allem der Jäger. Außer den aus den Freikorps übernommenen Formationen zog man auch aus der Linie und aus den Grenzern besondere leichte Bataillone heraus, bei denen 20 Mann jeder einzelnen Kompanie mit leichten gezogenen Stutzen ausgerüstet wurden. Diese "Schützenzüge" gaben dann ebenfalls vielfach die Stammtruppe für später gegründete Jägerbataillone ab. Im Jahre 1804 erschien dann bereits ein Jägerregiment in der Stärke von über 2000 Mann. Die Verwendbarkeit dieser Truppe, für welche die österreichischen Alpenländer vorzügliches Menschenmaterial [200] boten, war Anlaß zur Organisierung und Vermehrung, so daß 1808 schon die Jägerbataillone Nr. 1 bis 9 entstanden. Feldmarschalleutnant Philipp Fenner von Fenneberg errichtete, allerdings erst 1813, das Fenner Jägerkorps, das 1815 in das Tiroler Kaiserjägerregiment umgewandelt wurde.

Eine ebenfalls einschneidende Umänderung nicht nur in ihrer bisherigen Exerzierordnung, sondern auch in ihrem organischen Aufbau erlebte die Kavallerie. Zur besseren und nach Möglichkeit höchsten reiterlichen Vollendung strebenden Ausbildung wurde in Wiener-Neustadt im Jahre 1808 ein Zentral-Armee-Equitations-Institut geschaffen, dessen erster Inspekteur und Chef der damalige Generalmajor Josef Wenzel Graf Radetzky wurde. Eigene Bezirkspferdedepots ermöglichten von nun ab eine weitgehendste Ergänzung der erforderlichen Reit- und Zugtiere.

Bei der Umorganisation der Artillerie folgte man vielfach dem französischen Beispiel. So wurden die der Infanterie beigegebenen Bataillonsgeschütze aufgelassen und die gesamte Feldartillerie zu Batterien formiert. Maßgebend für diese Umänderung war die neuere Taktik, die sich bereits auf Massenwirkung des Geschützfeuers einzustellen begann.

Besondere Aufmerksamkeit wandte Erzherzog Carl auch der Verbesserung der technischen Waffen und ihrer gesteigerten Spezialausbildung zu. Als interessantes Beispiel mag gelten, daß 1809 auch zum erstenmal der Versuch einer Anwendung eines optischen Telegraphengerätes für Kriegszwecke gemacht wurde. Den Fesselballon als Beobachtungsmittel hatte Erzherzog Carl in primitivster Versuchsform bereits in der Schlacht bei Würzburg kennengelernt. Auch der Schaffung einer kaiserlichen Kriegsflotte, die durch die 1798 erfolgte Übernahme der venetianischen Flotte für Österreich jetzt wieder notwendig wurde, versuchte der Erzherzog als Chef des "Departements des Krieges und der Marine" die Wege zu ebnen. Das Fehlen der wichtigsten Voraussetzungen, Zeit und Geld, zwang ihn jedoch, diese Pläne vorderhand noch zurückzustellen.

Die grundsätzlichste Umwälzung brachte jedoch die von Erzherzog Carl durchgeführte Aufstellung der österreichischen Landwehr. Restlose Erfassung, ohne den Wert dieser Truppe in ihrem späteren Einsatz zu überschätzen - denn es war wiederum der zu frühe Ausbruch des Krieges von 1809, der es Erzherzog Carl unmöglich machte, die im Landwehrgedanken geplante Volksbewaffnung allerorts in die Tat umzusetzen - hat die Errichtung der Landwehren gerade in den deutschen Ländern des Habsburgerstaates den Weg für die spätere Schaffung des deutschen Volksheeres der Monarchie frei gemacht. Landwehrmann [201] wurde nach dem durch Erzherzog Carl erwirkten kaiserlichen Erlaß jeder kriegsdiensttaugliche Staatsbürger, mit Ausnahme der Bewohner Galiziens, der Bukowina und Ungarns, im Alter zwischen 18 und 45 Jahren, der nicht der Armee angehörte oder auch zeitlich befreit war.

Offiziere und Mannschaften der innerösterreichischen
Landwehr im Jahre 1809.
[207]      Offiziere und Mannschaften der innerösterreichischen Landwehr im Jahre 1809.
Nach einem Aquarell von Vinzens Kininger, Städt. Sammlungen. (Österreichische Lichtbildstelle, Wien)

Als Aufgabengebiet wurde der Landwehr nur die Verteidigung des vaterländischen Bodens zugewiesen. Man verfolgte hier ein Prinzip, das vor allem im Heimatland der Schützen, in Tirol, den Schöpfern der Landwehr als Vorbild diente. Gerade auf Tirol dehnte der Erzherzog, unter Berücksichtigung althergebrachter Tirolischer Einrichtungen, die Erfassung jedes nur irgendwie Wehrfähigen aus. Obwohl Tirol nicht mehr habsburgisches Hoheitsgebiet war, rechnete man mit der 1802 wieder neubelebten Wehrfreudigkeit der Länder, das im Falle eines Krieges gegen Frankreich und Bayern das Aufgebot seiner Achtzehn- bis Fünfzigjährigen mit dem "Zuzug" von 20 000 Mann Tiroler Landmilizen versprach.

Mit den Aufgeboten der österreichischen Erblande erhöhte sich damit die Stärke der Landwehren auf 150 000 Mann.

Als die deutsch-österreichischen Landwehren dann 1809 in den Kampf traten, haben sich ihre steirischen, ober- und niederösterreichischen, deutsch-mährischen und Wiener Bataillone mit außerordentlicher Tapferkeit geschlagen. Die Namen Kis-Megyer, Ebelsberg und vor allem Aspern werden stets die Erinnerung an den heldenmütigen Einsatz dieses ersten, in militärische Formen gebrachten Volksaufgebots der Ostmark weitertragen.

So arbeitete Erzherzog Carl, überall selbst eingreifend, dabei mit dem eigenen Beispiel vorangehend und mit harter Kritik nicht sparend, an der Aufgabe, die ihm der Kaiser gestellt hatte. Es gab kein Gebiet des Heerwesens, dem er nicht seine Aufmerksamkeit zuwandte. Und wie er von sich selbst den alleräußersten Einsatz seines ohnehin kränklichen, an epileptischen Anfällen leidenden Körpers verlangte, so stellte er auch an das Wissen und Können des Offizierskorps außerordentliche Anforderungen.

Als bewährter "lästiger Mahner", der als Praktiker das ganze Ausmaß der Verantwortlichkeit eines Generalissimus kannte, war der Erzherzog sich der Grenzen bewußt, die dem in so vielen Kriegen ausgebluteten Staat zur Wiedererrichtung einer starken Wehrmacht gezogen waren. Es entsprach daher seiner auch im Mahnen so sehr erprobten Praxis, daß er sich mit neuer Entschiedenheit gegen die Anbahnung eines wiederum für die Armee zu frühen Kriegsabenteuers wandte. Das Schicksal Preußens, das während der Jahre des Aufbauwerkes Erzherzog Carls seine furchtbarste Niederlage durch die napo- [202] leonischen Waffen erfahren hatte, wurde ein weiterer begründeter Hinweis in der Beharrlichkeit seiner Warnungen.

Diese Niederlage Preußens mit der darauffolgenden Entwaffnung des größten Teiles seines Heeres im Frieden von Tilsit hatte der französischen Willkür in ihren Absichten um die Umgestaltung Mitteleuropas zu einer einzigen großen französischen Provinz noch die letzten Türen und Tore geöffnet, die Bonaparte nach der Anerkennung des französischen Vormachtrechtes in Deutschland und der Niederlegung der deutschen Kaiserkrone durch den Habsburger in Wien noch verschlossen geblieben waren. Das seit dem Dreißigjährigen Krieg von jeder französischen Regierung verfolgte Ziel, Deutschland in verschiedene mehr oder minder weit vorgeschobene Interessenzonen der französischen Politik anzugliedern, das dann der Armee der Grande Nation als Basis für ihren Aufmarsch zum Schutze der zwar als europäisch bezeichneten, aber in Wirtlichkeit nur als französisch gedachten Machtpositionen zu dienen hatte, schien restlos erreicht.

In diesem Zeitabschnitt tiefster deutscher Staats- und Fürstenerniedrigung hat gerade das deutsche Volk den Blick für die Grenzen der bis zur demütigendsten Selbstbesudelung vorangetriebenen Verhöhnung der nationalen Selbstachtung bewahrt. Vor allem aber bleibt es ein ewiges Verdienst des deutschen Volkes der Ostmark vor der Nation, daß es, völlig auf sich allein gestellt, die Kraft fand, den allen Deutschen gemeinsamen Wunsch des Widerstandes durch den ersten Volksaufbruch gegen die französische Hegemonie in Europa in die Tat umzusetzen. Es waren die Deutschen Österreichs, die Napoleon eines Tages darüber belehrten, daß er zwar Kaiserreiche und Königreiche zu zerstören und zerstückeln vermochte, daß er aber mit seinen Unterdrückungen nur das während der letzten Jahrhunderte durch eine immer starrere Staatsauffassung zurückgedrängte Nationalbewußtsein der Deutschen von neuem zu einem gewaltigen Brande entfachte. Die Opferung Tirols und der Tag von Aspern sollten ebenso wie der Heldentod Schills, jener seiner Offiziere und der Zug des Herzogs von Braunschweig zu weiterschwelenden Feuerbränden werden, die Anno dreizehn dann Millionen deutscher Herzen entflammten.

Vorerst war es jedoch wiederum als einer der vielen Beispiele verflossener deutscher Tragik anzusprechen, daß die Staatsführungen der beiden, für die deutschen Patrioten jetzt erst recht Deutschland darstellenden Staaten Preußen und Österreich zunächst nicht den Weg zu einer politischen Einigung fanden. So blieb jene unbedingt erforderliche, gleichen Schritt haltende Zusammenfassung der beiden Staaten innewohnenden Volkskraft zum Zwecke des großen allgemeinen Auf- [203] bruches gegen Frankreich aus und brachte damit beim Losschlagen des einen Staates die Gesamtheit des deutschen Volkes um den ersehnten Erfolg. Dies war um so verhängnisvoller, als in beiden Staaten große, der deutschen Sache über alle Maßen ergebene Männer am Werke waren, die alle gemeinsam das Ziel der Wiedererhebung ihrer Länder verfolgten. In Preußen war es der König, der sich im entscheidenden Augenblick unter Berufung auf die noch nicht vollendeten militärischen Rüstungen mit Erfolg gegen die ebenso wie in Österreich zum Losschlagen drängenden Patrioten wandte. Damit blieb in Preußen, was ein Freiherr vom Stein, Blücher, Gneisenau, Scharnhorst und Clausewitz angebahnt, was Ernst Moritz Arndt, Fichte und Jahn entstammt und alle diese Männer gemeinsam aufgebaut hatten, vor einer vorzeitigen Erschütterung bewahrt und vermochte sich bis zum Tage von Tauroggen zu erhärten. In Österreich jedoch gab die Staatsführung der Volksstimmung allzufrüh nach. Sie erntete dabei zwar den Beifall nicht nur der deutschösterreichischen, sondern auch der preußischen und aller deutschen Patrioten, wurde sich dabei aber doch nicht bewußt, daß sie die deutsche Wehrkraft des Landes voreilig der allgemeinen Stimmung zum Opfer brachte. Wie in wenigen Beispielen der Geschichte zeigte sich dieses Hineintreibenlassen in einen nationalen Krieg als verhängnisvolle Schwäche einer Staatsführung, die nicht den Mut aufbrachte, selbst gegen den Vorwurf einer unverständlichen Haltung so lange abzuwarten, bis der allein in Frage kommende militärische Partner in gleichem Maße gerüstet war und die verantwortliche militärische Führung die Parole zum Kampfbeginn ausgab.

Mittelpunkt jener Kräfte, die vor dem zu frühen Losschlagen warnten und die das nationale Aufwallen des deutschen Volkes erst recht bis zum geeigneten Zeitpunkte der Kriegserklärung mit allen Mitteln dienstbar machen wollten, war Erzherzog Carl. In der vollen Verantwortlichkeit des Mannes, der das zu den Waffen gerufene Volk eines Tages auf die Schlachtfelder zu führen hatte, stemmte er sich dem patriotischen Schwung des Kanzlers Stadion und der Kriegspartei am Hofe entgegen. So war er es, der sich vor allem gegen den Plan wandte, daß ein Aufstand in Tirol das Signal zur Eröffnung der Feindseligkeiten geben sollte. Als er erfuhr, daß Stadion und sein eigener Bruder Erzherzog Johann sich die durch harte Bedrückung von seiten der Bayern und Franzosen aufs äußerste gereizte Volksstimmung in dem kleinen Berglande zunutze gemacht und den Sandwirt von Passeier, Andreas Hofer, mit zuverlässigen Tiroler Führern zu einer Besprechung des geplanten Aufstandes nach Wien berufen hatten, sparte er nicht mit begründeten Vorstellungen. Es widersprach durchaus seiner soldatischen [204] Auffassung, daß sich ein kleines tapferes Volk für einen Staat in die Bresche werfen sollte, dem es nach seiner Meinung in erster Linie zukam, die Fahne des Befreiungskampfes für Deutschland zu entfalten. Aber er stand mit seiner Auffassung fast gänzlich allein. Ein kaiserliches Dekret, das den Erzherzog am 20. Februar 1809 zum Generalissimus ernannte, stellte Erzherzog Carl beinahe schon vor vollendete Tatsachen. Und nun war er selbst zu sehr ein deutschfühlender Mann, um in dem Augenblick, da die politische Führung ihm die Waffe geradezu in die Hand gedrückt hatte, nicht den Degen für Deutschland zu ziehen.

Die fortwährenden Rüstungen Österreichs hatten den Kaiser der Franzosen zu wiederholten Vorstellungen über die Absichten, die sich hinter den Heeresreformen verbargen, beim Wiener Hofe veranlaßt. Als die Antworten immer ausweichender wurden und Stadion eine Erklärung verfaßte, die einer offenen Herausforderung Frankreichs gleichkam, war der Krieg unabwendbare Tatsache. Schon am 1. März gab Erzherzog Carl der Armee den Eintritt des Kriegszustandes bekannt. Die Landwehren wurden einberufen, und als sich jetzt zeigte, daß die Warnungen des Erzherzogs gerade im Hinblick auf die reibungslose Durchführung der Aufstellung und vollkommenen Ausrüstung dieser Landwehren begründet gewesen waren, ersetzte der Generalissimus die verantwortlichen Generale durch energische jüngere Männer. Schon Mitte März waren die Rüstungen im wesentlichen beendet.

Der Erzherzog schritt nunmehr an die Ausführung des sorgsam ausgearbeiteten Kriegsplanes. Als eigentliche Operationsbasis war Deutschland gedacht. Hier sollte das Hauptheer den Kampf mit den französischen Streitkräften aufnehmen. Die übrigen Heeresteile hatten erst abzuwarten und wurden je nach den Ergebnissen des Kriegsverlaufes in Deutschland für eine besondere Verwendung bestimmt. Auf Grund dieses Kriegsplanes versammelte der Erzherzog zuerst annähernd 200 000 Mann in Böhmen. Als aber Napoleon jetzt seinerseits starke Kräfte, vor allem die Rheinbundtruppen, im Raume von Ulm und Augsburg zusammenzog, mußte Erzherzog Carl von seinem ursprünglichen Plan, durch Franken vorzustoßen, abgehen und seine Operationsbasis mehr nach Südwesten verschieben. Er marschierte daher nach Oberösterreich und wandte sich von dort gegen Bayern. Zwei Korps ließ er in Böhmen zurück. Ein innerösterreichisches Heer unter Erzherzog Johann hatte die Alpenländer zu decken und bis nach Tirol vorzurücken. Durch die Raschheit des französischen Vordringens, das den Erzherzog sehr bald zur Annahme des von Napoleon diktierten Gesetzes des Handelns zwang, blieb aber die Unterstützung Tirols illusorisch. Erzherzog Johann mußte sich gegen Italien wenden, und so verblieben schließlich nur 10 000 Mann [205] mit 71 Geschützen unter Chasteler, die den Marsch nach Tirol antraten.

Trotz der noch nicht vollendeten Rüstungen war das Heer, das Erzherzog Carl in den ersten Frühjahrstagen des Jahres 1809 in den Kampf führte, eines der besten, das der österreichische Staat jemals ins Feld gestellt hatte. Unendliche Begeisterung um die große deutsche Sache erfüllte Offiziere und Mannschaften. Ein Zustrom von Freiwilligen aus allen deutschen Gauen füllte nicht nur die noch nicht völlig ergänzten Truppenverbände allmählich vollkommen auf, sondern zwang zur Aufstellung immer neuer Freiwilligenbataillone. Das ganze Volk wetteiferte in der Unterstützung des Heeres. Wie wenige Jahre später, Anno dreizehn in Preußen, erwies sich die Bevölkerung durch Opfer und freiwillige Spenden als getreue Helferin der gegen den Bedrücker Deutschlands ins Feld rückenden Truppen. Ausgezeichnete Generale wie Fürst Johannes Liechtenstein, einer der besten Reiterführer Österreichs, Graf Friedrich Bellegarde, Johann von Hiller, die Fürsten Franz Rosenberg und Franz Hohenzollern, dann als jüngere Führer Kienmayer, Vukassovich, Klenau, Stutterheim, Nordmann und endlich Wenzel Graf Radetzky, der sich bereits wiederholt ausgezeichnet hatte, befehligten unter Erzherzog Carl. In Innerösterreich und Italien führten unter Erzherzog Johann, Frimont, Spleny, Nobili, Gyulai, dann der rührige Oberst Nugent und vor allem der Schöpfer der später so oft bewährten österreichischen Jägertruppen und Gründer der Kaiserjäger, Franz Baron Fenner, das Kommando. Am 9. April 1809 überschritt Erzherzog Carl die bayrische Grenze. Ein Aufruf an die deutsche Nation, der nach der Würdigung der Gründe, die Österreich zur Aufnahme des Kampfes geführt hatten, die eindringlichen Worte enthielt: "Wir kämpfen - um Deutschland die Unabhängigkeit und Nationalehre wieder zu verschaffen, die ihm gebühren. Dieselben Anmaßungen, die uns jetzt bedrohen, haben Deutschland bereits gebeugt. Unser Widerstand ist seine letzte Stütze und Rettung. Unsere Sache ist die Sache Deutschlands!", wandte sich an alle gutgesinnten Deutschen und sollte das nationale Gewissen der breiten Massen entfachen.

Doch es war nur Tirol, in dem zu dieser Stunde dieser Appell an das deutsche Volk die Flammen des allgemeinen Aufruhrs gegen die Vorherrschaft Frankreichs in deutschen Landen entfachte. Getreu den mit Erzherzog Johann getroffenen Abmachungen erließ der Sandwirt von Passeier, Andreas Hofer, als Führer der mit der bayrischen Herrschaft in Tirol unzufriedenen Partei am 8. April 1809 geheime Botschaften mit den Worten "Es ist Zeit!" an die Schützenkommandanten der Bezirke und Dörfer. Wie eine reißende Flut brach der Aufruhr Tausender von [206] Bauern über die bayrisch-französischen Garnisonen des Landes herein. Schon am 11. April drangen die Tiroler, verstärkt durch die nun ebenfalls durch das Pustertal vorgehenden Truppen Chastelers, in Innsbruck ein. In wenigen Tagen wurde ganz Tirol vom Feinde gesäubert. Stolz und aufrüttelnd mahnten die Namen Andreas Hofer, Speckbacher, Haspinger, Teimer, Eisenstecken, Morandoll und Ilmer das deutsche Volk zur Erhebung und zum Beitritt in die Reihen der Kämpfer um Deutschlands Freiheit.

Erzherzog Carl marschierte indessen bereits in Bayern und wandte sich gegen die Isar, überschritt sie bei Landshut und drängte die Franzosen zurück. Ein Zusammenstoß mit dem Marschall Davoust bei Thamm hatte nicht den gewünschten Erfolg, da die österreichischen Kräfte zu schwach waren. Inzwischen war Napoleon aus Spanien zurückgekommen und begab sich blitzschnell nach Bayern und befahl Davoust, die Verbindung mit der bayrischen Armee herzustellen, während Massena nach Regensburg zu marschieren hatte. Jetzt wandte sich Napoleon gegen den linken Flügel der Österreicher und brachte ihm in einer Reihe von Einzelgefechten verlustreiche Schlappen bei, die eine Ursache des plötzlichen Auseinanderbrechens der österreichischen Front wurden. Landshut mußte daraufhin aufgegeben werden. Erzherzog Carl hatte indessen verhängnisvollerweise noch keine Nachrichten von den letzten Ereignissen erhalten. Er griff bei Eggmühl Davoust an, verwickelte sich in eine Schlacht und sah sich plötzlich dem französischen Kaiser mit der Hauptmacht gegenüber. Entschlossen brach Carl die Schlacht ab, marschierte auf Regensburg zu und setzte über die Donau. Dank des heldenhaften Einsatzes der Kavallerie entkam er glücklich der französischen Umklammerung und zog sich nach Böhmen zurück. Regensburg fiel in die Hände der Franzosen!

Der mißglückte Anfang des Feldzuges hatte alle Befürchtungen Erzherzogs Carls bestätigt. Trotz aller Auslese des Offizierskorps, trotz unermüdlichster Schulung der Mannschaften war die Zeit, die zur Verfügung gestanden hatte, zu kurz gewesen, um die Fertigkeit in der Handhabung der neuzeitlichen Kampfweise bei den Führern und der Truppe bedingungslos zu verankern. So war der besser ausgebildete Feind in jeder Beziehung überlegen und alle Tapferkeit und Anstrengungen waren vergeblich.

Inzwischen errang Erzherzog Johann, der seinen ursprünglichen Plan, durch Tirol zu marschieren, fallengelassen hatte und nach Italien abgeschwenkt war, zwei Siege über Vizekönig Eugen von Italien und drängte den Gegner bis Caldiero zurück. Da wurde er von Erzherzog Carl nach Innerösterreich abgerufen. Nach einem blutigen Rückzugsgefecht bei Canegliano marschierte er nach Tarvis und ließ zur Deckung [207-208=Illustrationen] [209] auf dem Predilpaß eine kleine Besatzung zurück, die den Befehl erhielt, den Gegner solange aufzuhalten, bis die Armee im Klagenfurter Becken angelangt war. Der Kampf, der sich daraufhin zwischen den nachdrängenden Franzosen und der kleinen Besatzung entspann, ist würdig, als der Thermopylenkampf deutscher Soldaten für immer in der Weltgeschichte unseres Volkes festgehalten zu werden. Zwei Blockhäuser sperrten bei Malborghetto und am Predil den Engpaß. Hier lagen Grenzer und Soldaten aus verschiedenen Regimentern, die durch ein verheerendes Feuer jeden Sturm des Feindes abwiesen. Endlich gelang es den Franzosen, an die Belagerten heranzukommen. Ein Kampf von Mann zu Mann entspann sich. Die durch die Verluste aufgebrachten Franzosen gaben kein Pardon. Die Besatzung verteidigt sich bis zum Äußersten. Nur wenige Schwerverwundete werden gefangengenommen, wenigen gelingt es, zu entkommen.

Heldenmütige Verteidigung des Blockhauses Malborghet gegen
feindliche Übermacht.
[190]      Heldenmütige Verteidigung des Blockhauses Malborghet gegen feindliche Übermacht.
Nach einem Gemälde im Wiener Heeresmuseum. (Österreichische Lichtbildstelle, Wien)

Dieser heldenhafte Einsatz der Besatzungen von Predil und Malborghetto ermöglichten es dem Erzherzog, sich noch rechtzeitig gegen Graz zurückzuziehen. Die Nachricht, daß Napoleon bereits auf Wien losrückte, machte es ihm dann allerdings unmöglich, sich noch mit verschiedenen kleineren Truppenteilen zu vereinigen, die ebenfalls den Anschluß an sein Korps herzustellen versuchten. Der einzige, der ihn noch rechtzeitig erreichte, war Chasteler, der aus Tirol kam. Dieser Abzug des kaiserlichen Generals aus dem von Hofer und seinen Getreuen befreiten Lande, hatte eine maßlose Erbitterung der Bevölkerung und vor allem der Freiheitskämpfer zur Folge. Da griff Hofer im Vertrauen auf sein Volk zur Selbsthilfe. Das Wort "Spöck, sie führen di' in die Schand!", das er dem mit den Kaiserlichen abziehenden Speckbacher zurief und diesen zum Ausharren zwang, wurde zur Parole für das ganze Land. Wieder griff alles zu den Waffen, was irgend nur einen Dreschflegel, eine Heugabel oder eine uralte Büchse aus Martin Sterzingers Zeiten handhaben konnte und eilte herbei. In den Tagen, da das Gros der Truppen Chastelers im Osten Kärntner Boden betrat, beriet Hofer bereits auf dem Brennerpaß mit Eisenstecken, Haspinger, Peter Mayr, dem Wirt an der Mahr, und anderen den Angriff auf Innsbruck. Dort stand Marschall Lefebre und gedachte der "Bauernkomödie" ein rasches Ende zu machen. Doch die Bauern hatten indessen bereits ihren Plan fertig in der Tasche. Unter dem Jubel des ganzen Landes wurde der Sandwirt von Passeier zum "Obercommandant in Tyrol" ausgerufen, und nun traten Tausende von Schützen und Landstürmern ohne entscheidende militärische Hilfe zur zweiten Schlacht am Berg Isel an und bereiteten dem französischen Marschall eine verheerende Niederlage. Innsbruck, das die Franzosen wieder besetzt hatten, wurde zurückerobert.

[210] Erzherzog Carl hielt inzwischen in Budweis längere Rast, wartete Verstärkungen ab und wollte sich mit der Armee Hiller und dem über Ungarn herankommenden Erzherzog Johann vereinigen. Vorsichtig schob er sich an die Donau heran. Hiller versuchte bei Linz den Übergang, mußte sich aber bei Ebelsberg nach einem stundenlangen Kampfe, der in der Hauptsache gegen Massenas Rheinbundtruppen - also wieder Deutsche gegen Deutsche - geführt wurde, zurückziehen. Endlich brachte Hiller bei Mautern 20 000 Mann über die Donau.

Das rasche Vordringen der Franzosen machte eine geplante Verteidigung Wiens, dessen Verteidigungsanlagen auch gar nicht auf eine Belagerung eingerichtet waren, unmöglich. Am 12. Mai 1809 zogen die Franzosen zum zweiten Male in die alte Kaiserstadt ein. Wie eine unüberbrückbare Grenzscheide lag jetzt die Donau zwischen Franzosen und Österreichern. Alle Versuche der ersteren, den Fluß bei Linz, bei Krems, Melk, aber auch in Wien zu überschreiten, scheiterten an der Wachsamkeit der Kaiserlichen. Hiller lagerte am Fuße des Bisamberges, einzelne Abteilungen standen unter Kolowrat, Schustek und Radetzky donauaufwärts verteilt. Am 13. Mai hatten sich die Franzosen auf einer Donauinsel bei Nußdorf eingenistet, aber Hiller vertrieb sie und ließ die Insel befestigen. So erhielt Erzherzog Carl Zeit, die Hauptarmee herbeizuführen, mit welcher er am 16. Mai bei Stockerau und Korneuburg erschien. Noch verriet nichts, daß das Schlachtenglück zum ersten Male die Siegespalme zu brechen gedachte, die es bisher immer seinem großen Liebling, Napoleon, dargereicht hatte. Der Tag von Aspern brach an.

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Österreichs Blutweg
Ein Vierteljahrtausend Kampf um Großdeutschland
Anton Graf Bossi Fedrigotti