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Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917

Kapitel 1: Die politischen Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Frühjahr 1915 bis zum Herbst 1916
  (Forts.)

Major Adalbert v. Wallenberg

2. Das Jahr 1915.

Die Lage im Frühjahr 1915.

Als seitens der Obersten Heeresleitung über die Führung der Operationen im Jahre 1915 ein Entschluß gefaßt werden sollte, mußte als Vorbedingung hierzu natürlich die Frage beantwortet werden, ob sie überhaupt die Freiheit zu einem Entschluß hatte. Die Antwort hing ab von der zweiten Frage: Waren alle vorhandenen Truppen an den Fronten der Mittelmächte festgelegt oder hatte der Generalstabschef Reserven zur Verfügung, deren Schlagkraft in irgendeiner Richtung eingesetzt werden konnte? Nur diese gaben ihm die Möglichkeit, seinerseits die Initiative aufzunehmen.

Die Freiheit des Entschlusses war vorhanden. Bis zum Frühjahr 1915 waren infolge der noch von ihm selbst als Kriegsminister getroffenen Anordnungen eine Reihe deutscher Divisionen neu aufgestellt, andere hinter den Fronten aufgefüllt, so daß eine ansehnliche Truppenmacht bereit stand, um dort verwandt zu werden, wo es nach den politischen und militärischen Anschauungen der führenden Männer am zweckmäßigsten erschien.

Die Gesamtlage der Mittelmächte war um diese Zeit folgende:

Auf dem westlichen Kriegsschauplatz hatten die Alliierten im Februar in der Champagne und bei Arras, im März in der Gegend von Lille und südöstlich Verdun angegriffen. Der Verteidiger hatte kritische Tage erlebt, aber im großen hatten die Schlachten doch mit einem Siege der deutschen Abwehr geendet. Die deutsche Westfront stand fest, und es war vorauszusehen, daß sie auch ohne wesentliche Verstärkungen noch lange Zeit feststehen würde. Die Möglichkeit eines Übergangs zur Offensive allerdings, auf die man seit der Herbstschlacht von Ypern verzichtet hatte, schied aus, und es war auch keine Hoffnung, selbst mit Einsatz der verfügbaren Heeresreserven, dem an Menschen und Material weit überlegenen Feinde gegenüber irgend etwas Ausschlaggebendes zu erreichen.

Auch im Osten war für die Abwehr auf dem deutschen Teile der Front wenig zu befürchten, trotzdem die Besatzung der deutschen Linien durch dauernde Abgaben an die Front Österreich-Ungarns stark geschwächt war. Der österreichisch-ungarische Frontteil war aber trotz dieser starken Durchsetzung mit deutschen Truppen eine schwere Sorge für die deutsche Oberste Heeresleitung. [10] Ein russischer Angriff konnte die unangenehmsten Überraschungen, ja den völligen Zusammenbruch bringen, und der Generalstabschef der österreichisch-ungarischen bewaffneten Macht, General v. Conrad, in Kenntnis der deutschen Neuaufstellungen, verlangte in dringender Weise nach diesen, um seine Reihen zu stützen.

Das waren recht unerfreuliche Erscheinungen, deren Auswirkung sowohl aus politischen wie aus militärischen Gründen die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung entscheidend beeinflussen mußte. Doch war nicht zu verkennen, daß auch auf russischer Seite die Widerstandskraft hier und da nachgelassen hatte. Dem Riesenreiche, das allerdings an Menschenkräften unerschöpflich war, fehlte dafür die Möglichkeit, seine Materialverluste zu ersetzen, und die Westmächte hatten noch keinen sicheren Weg gefunden, den Russen das fehlende Material zuzuführen.

Das war das Charakteristische an der Lage, daß bei beiden miteinander ringenden Staatengruppen eine Macht abseits stand und von ihren Bundesgenossen nur schwer unterstützt werden konnte. Auf beiden Seiten war die getrennt stehende Macht gerade die, welche am wenigsten in der Lage war, sich durch ihre eigene Industrie mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial zu versorgen und welche daher am meisten der Hilfe ihrer Mitkämpfer bedurfte. Auf seiten der Entente war dieser Staat Rußland, auf seiten der Mittelmächte die Türkei.

Zur Türkei konnte deutsche Unterstützung, da Serbien zusammen mit der Entente kämpfte, nur durch das neutrale Rumänien gelangen, das aber, in seinen politischen Entschlüssen schwankend, den Verkehr auf alle erdenkliche Weise erschwerte. Die Verbindung der Westmächte nach Rußland war, solange die Türkei die Dardanellen beherrschte, nur über Ostasien möglich, also auf einem Wege von außerordentlicher Länge, oder durch das Nördliche Eismeer an eine bahnarme Küste, an der die See noch dazu größtenteils frühzeitig zufror. Eine Verbindung quer durch die Balkan-Halbinsel von der Adria zum Schwarzen Meer mußte - infolge fehlender Transportmöglichkeiten durch Serbien und die neutralen Staaten - völlig ausscheiden.

Für Rußland war die Belieferung mit Material aus den Vorräten der Westmächte mit dem Jahre 1915 dringend geworden. Darin lag die Ursache für den Entschluß, die Durchfahrt durch die Dardanellen zu erzwingen. Seit dem 19. Februar lagen die türkischen Befestigungen unter dem Feuer der britischen und französischen Kriegsschiffe, und am 25. April erfolgte, als der Flottendurchbruch mit einem schweren Mißerfolge endete, die Landung der alliierten Truppen auf der Halbinsel Gallipoli.

Der Abwehrkampf, den die Türken hier zu führen hatten, war ungeheuer schwer, denn es gebrach ihnen eigentlich an allem, wessen man zur Kriegführung bedarf: an Waffen, Flugzeugen, jeder Art Gerät, besonders aber an [11] Munition. Der einzige, der helfen konnte, war Deutschland, und dem war, wie schon hervorgehoben, der Weg durch das feindliche Serbien und durch das neutrale Rumänien versperrt.

Der Gedanke lag deshalb nahe, die im Frühjahr 1915 verfügbaren deutschen Kräfte dazu zu verwenden, um Serbien niederzuringen, gewaltsam den Weg nach Südosten zu öffnen, dem türkischen Bundesgenossen Hilfe zu bringen und eine dauernde und sichere Verbindung mit ihm herzustellen. Die militärische Notwendigkeit wurde hier in besonderem Maße durch die politische Rücksicht gesteigert.

Bereits seit November 1914 hatten sich der Reichskanzler und der Staatssekretär des Äußeren bei der Obersten Heeresleitung dafür eingesetzt, daß die serbische Operation durchgeführt würde. Als dann seit dem Beginn des feindlichen Durchbruchsversuchs im Frühling 1915 mit dem Kampf um Gallipoli der Munitionsmangel bei den türkischen Truppen verhängnisvoll zu werden drohte, drahtete der deutsche Botschafter in Konstantinopel wiederholt, die Erzwingung des Weges zur Türkei sei dringendste Notwendigkeit geworden, und das Auswärtige Amt schloß sich dieser Forderung an.

Hier lag also tatsächlich einmal der Fall vor, daß die politischen Stellen eine bestimmte Weisung für die Kriegführung auszugeben versuchten. Aber diese Weisung berücksichtigte nur einen aus dem Zusammenhang der Gesamtlage und ohne Berücksichtigung der militärischen Lage auf allen Fronten gerissenen Einzelfall, ohne auf breiter Grundlage die Pläne darzulegen, nach denen der Reichskanzler das Volk politisch durch das Jahr 1915 zu führen gedachte.

General v. Falkenhayn mußte den gemeinsamen Wunsch des Kanzlers, des Staatssekretärs und des Botschafters abschlägig bescheiden; andere politische und militärische Rücksichten waren dringender. Er tat es mit schwerem Herzen, denn niemand hätte lieber wie er den tatkräftigen und treuen Männern geholfen, die am Bosporus ihre osmanische und damit auch die deutsche Sache vertraten. Aber die serbische Operation konnte im Frühling 1915 nicht unternommen werden; sie war für jeden, der über die nächstliegende Forderung hinaus in die weitere Entwicklung blickte, aus politischen und militärischen Gründen eine Unmöglichkeit.

Zunächst war die Operation, wenn sie lediglich von der ungarischen Seite aus begonnen wurde, außerordentlich schwer. Die Lage des Kriegsschauplatzes forderte die Mitwirkung der Bulgaren geradezu heraus; aber die Bulgaren waren bis jetzt vom Auswärtigen Amt noch nicht für den Anschluß gewonnen. Solange Rumänien nicht offen als Feind der Mittelmächte auftrat, war gerade der Kampf gegen die Serben das Ziel, um dessentwillen die bulgarische Bundesgenossenschaft wünschenswert war. Hatten die Verbündeten die Serben unter den dann unausbleiblichen schweren Blutopfern allein niedergerungen, so sank die Bedeutung der bulgarischen Freundschaft für sie erheblich.

Dieser Grund war überzeugend, aber er war nicht der wichtigste.

[12] Viel ernster war die Folgerung aus der Lage an der Ostfront bei dem österreichisch-ungarischen Bundesgenossen. Ein Erfolg in Serbien konnte weder die Unsicherheit beseitigen noch die Katastrophe ausgleichen, die der drohende russische Einfall in Ungarn hervorrufen mußte. Wenn er Erfolg hatte - und das war nach der sich zuspitzenden militärischen Lage sehr wohl möglich -, so würde er sich nicht auf Österreich-Ungarn beschränkt haben; er hätte sich sofort in politische Weiterwirkung umgesetzt und damit auch eine erhebliche Verschärfung der militärischen Lage herbeigeführt. Italien und Rumänien warteten nur auf eine weitere Verschlechterung der Lage der Mittelmächte, um ihre bisherige zweifelhafte Neutralität in einen Anschluß an die Entente umzuwandeln.

Das Entscheidende in seinen Entschlüssen konnte für General v. Falkenhayn nur die Rücksicht auf diese beiden Mächte sein, die in absehbarer Zeit neu in die Reihen der Gegner eintreten mußten.

Gewiß konnte man erwägen, Rumänien gleichzeitig mit Serbien anzugreifen und dadurch die Gefahr von dieser Seite durchgreifend zu beseitigen. Der serbische Feldzug wurde aber dadurch nicht leichter, und es war recht mißlich, sich einen neuen Feind auf den Hals zu ziehen, dessen Eingreifen man vielleicht noch länger hinausschieben konnte. Auch die wirtschaftlichen Gründe, die für den Krieg gegen Rumänien angeführt wurden, die Sicherung der Weizenernten und Ölvorkommen in der Walachei, waren nicht schlagend. Deutschland hat später zu seinem Leidwesen die Erfahrung gemacht, daß man aus einem friedlichen Lande durch Verträge immer noch mehr herausholen kann wie aus einem halbzerstörten eroberten Gebiet mit widerwilligen Bewohnern.

Auch kam die drohendste Gefahr gar nicht von Rumänien, sondern von Italien. Die Frage des Kriegseintritts Italiens war nach Ansicht des Generals v. Falkenhayn so brennend, daß sie bei jeder Erwägung für die Operationen des Jahres 1915 an erster Stelle berücksichtigt werden mußte.

Die Hoffnung, daß Italien an der Seite seiner Friedens-Bundesgenossen kämpfen werde, hatte spätestens an dem Tage aufgegeben werden müssen, an dem England den Krieg erklärte. Der Dreibund wäre nicht in der Lage gewesen, die langgestreckten Küsten der Apennin-Halbinsel gegen die britische und französische Flotte zu schützen. Aber wohlwollende Neutralität hatte man auf Grund des bisherigen Verhältnisses auch da noch von Italien erhoffen können, Bindung französischer Truppen an der Alpengrenze, Erleichterung jeder Art von Einfuhr zu den Mittelmächten und Gewährung der Möglichkeit an Österreich-Ungarn, sich die militärische Sicherung seiner Südwestgrenze zu ersparen.

In allen diesen Erwartungen war Deutschland schnell und gründlich enttäuscht worden; bereits in den ersten Kriegsmonaten hatte in Rom die englische Politik einwandfrei über die deutschen Bestrebungen gesiegt. Als im Oktober 1914 Sonnino Außenminister wurde, mußte jeder Zweifel an der sich dauernd verstär- [13] kenden Feindseligkeit des früheren Dreibundgenossen schwinden. Der Artikel des Dreibundvertrages, nach dem Italien bei Gebietserwerbungen Österreich-Ungarns auf dem Balkan Kompensationen fordern könne, wurde von dem neuen Minister willkürlich so ausgelegt, daß diese territorialen Kompensationen in umfassender Weise sofort zu gewähren seien. Es war der erste Schritt einer Erpresserpolitik, deren Zweck nur der war, zum Bruch zu treiben. Mit dem Beginn des Jahres 1915 war es klar, daß Italien über kurz oder lang in der Reihe der Feinde stehen würde.

Der Gedanke, die im Frühjahr 1915 verfügbaren deutschen Truppen sofort gegen diesen neuen Gegner einzusetzen, hatte etwas Bestechendes, zumal man überzeugt war, daß das italienische Heer im Verhältnis zu seiner zahlenmäßigen Stärke nur Minderwertiges würde leisten können. Eine kurze Überlegung mußte aber dazu führen, die Durchführung dieses Gedankens außer Betracht zu stellen.

Eine Operation gegen die Italiener brachte der österreichisch-ungarischen Ostfront noch weniger Entlastung als eine Operation gegen die Serben und Rumänen. Auch wurde die Kriegserklärung Italiens zwar in absehbarer Zeit erwartet, sie war aber noch keineswegs Tatsache geworden. Die Mittelmächte hätten also durch Losbrechen gegen die Po-Ebene den neuen Gegner unnötig früh auf den Plan gerufen und sich auch keine sehr günstige moralische Position für diesen Feldzug geschaffen. Die Entente hätte die Möglichkeit gehabt, einen angeblichen neuen Rechtsbruch der Deutschen in die Welt hinauszulügen, und Millionen urteilsloser Menschen hätten dies ebenso geglaubt wie die anderen Verleumdungen.

Auch brachte der Friedenszustand mit Italien Deutschland gewisse Vorteile, die man nicht zu früh zerstören wollte: eine, wenn auch beschränkte Möglichkeit der Einfuhr und der Verbindung zu den Feinden. Diese Gründe veranlaßten Deutschland, den Friedenszustand mit Italien bis zum Herbst 1916 aufrechtzuerhalten und dabei selbst recht unnatürliche Lagen nicht zu scheuen.

Da nach Abwägung dieser Rücksichten die Offensive gegen Frankreich, gegen Serbien-Rumänien und gegen Italien abzulehnen war, blieb dem General v. Falkenhayn für die Verwendung der im Frühling 1915 verfügbaren Truppen nur ein Entschluß übrig: die Gefahr an der österreichisch-ungarischen Ostfront mußte so schnell wie möglich beseitigt werden, noch ehe Italien und womöglich auch Rumänien in den Kampf eingriffen. Dieser Entschluß bedeutete die Offensive gegen die Russen.

Es war eine sehr schwere Aufgabe für den Generalstabschef, im Angesicht der italienischen Kriegsdrohung und der doch immerhin recht ernsten Lage im Westen, diesen Entschluß zu fassen. Die Verantwortung dafür ruhte allein auf seinen Schultern. Der Reichskanzler hatte andere Pläne gehabt, die sich kaum mit den politischen, keinesfalls aber mit den militärischen Notwendigkeiten gedeckt hatten. Er hatte sich hier wie oft nicht zu dem Entschluß durchringen können, [14] dem Lehrsatz von Clausewitz zu entsprechen, daß der politischen Führung eine gewisse Einsicht in das militärische Kriegswesen nicht fehlen darf. General v. Falkenhayn war lediglich auf sein eigenes Wollen und seine eigene Überzeugung angewiesen, als er an die ernste Aufgabe von 1915 herantrat.

Die Gründe für die große Offensive gegen Rußland waren also im wesentlichen negativ. Man mußte die russische Gefahr zerschlagen, das russische Heer angriffsunfähig machen, weil man anders nicht gerüstet sein konnte, mit freiem Rücken den neuen italienischen Gegner zu bestehen.

Hieraus ergab sich die Folgerung, daß dieser neue Gegner, wenn irgend möglich, so lange am Eingreifen verhindert werden mußte, bis der Erfolg gegenüber Rußland erreicht war. Die Erfüllung dieser Forderung wurde dadurch erleichtert, daß man über den mangelhaften Stand der italienischen Mobilmachungs- und Aufmarschvorbereitungen bestimmte Kunde hatte.

Im übrigen war es Sache des Leiters der äußeren Politik, die Kriegserklärung Italiens möglichst hinauszuschieben. Hierzu mußte in erster Linie der Einfluß des Mannes ausgenutzt werden, der lange Zeit in Rom als Botschafter gewirkt hatte und einer der fähigsten und entschlossensten Staatsmänner war, der Einfluß des Fürsten Bülow.

Die Entsendung des Fürsten Bülow nach Rom wurde vom Generalstabschef warm befürwortet; das Telegramm, das die endgültige Ernennung des Fürsten zum Botschafter anzeigte, wurde demgemäß von Falkenhayn, der es auf einer Reise nach dem Osten erhielt, mit Befriedigung begrüßt.

Allerdings konnte der Generalstabschef der deutschen Botschaft in Rom manches Mal nicht in ihren optimistischen Erwartungen folgen. Als die Mitteilung kam, daß man nicht nur Neutralität, sondern "Waffenhilfe" fordere, schüttelte der nüchterner denkende General den Kopf. Auch sagte er wohl, daß die Bedeutung und die Schaffensmöglichkeit der Gesandten in moderner Zeit doch stark zurückgetreten sei; so könne ganz zwangsläufig der kleine Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Mailand manches erkennen, was dem Fürsten in der Villa Malta verborgen bliebe.

Es war aber doch das große, auch von Falkenhayn uneingeschränkt anerkannte Verdienst Bülows, die italienische Kriegserklärung wenigstens bis Ende Mai verzögert zu haben, bis zu einer Zeit, da durch den Sieg von Gorlice und seine Folgen die schwerste, von Rußland drohende Gefahr beseitigt war.

Unterstützt wurden die Bemühungen des Fürsten dadurch, daß Österreich-Ungarn, allerdings unter stärkstem deutschen Druck, sich entschloß, den erpresserischen Forderungen Italiens bis auf das Äußerste entgegenzukommen. Die österreichisch-ungarischen Konzessionen, die der Kanzler am 18. Mai 1915 im deutschen Reichstag mitteilte, waren: Abtretung des von Italienern bewohnten Teils von Tirol und des Westufers des Isonzo mit der Stadt Gradisca an Italien, Erhebung von Triest zu freier kaiserlicher Stadt mit italienischer Selbst- [15] verwaltung und Universität, Anerkennung der italienischen Souveränität über Valona und des österreichisch-ungarischen désintéressements an Albanien. Aus diesen Konzessionen ergibt sich, daß - wenn auch unter Widerstreben - die deutsche wie besonders die österreichisch-ungarische Regierung außerordentlich weit ging, um der militärischen und politischen Lage, wie sie der deutsche Generalstabschef beurteilte, gerecht zu werden.

So hatte man sich über den negativen Zweck des russischen Feldzuges zu allgemeiner Klarheit gefunden. Dagegen sollten über die Ausführung der Operation sowie über die positive Seite der Unternehmung, nämlich die Frage, was tatsächlich den Russen gegenüber erreicht werden sollte, sehr bald die Ansichten der führenden Feldherrn auseinandergehen.

Die Ausführung der Operation mußte sich nach dem von Falkenhayn aufgestellten Grundsatz richten, mit möglichst geringen eigenen Opfern die Angriffskraft der Russen für möglichst lange Zeit zu zerschlagen. Über diesen Grundsatz waren sich der Oberbefehlshaber Ost - Feldmarschall v. Hindenburg und General Ludendorff - mit dem Generalstabschef im Großen Hauptquartier einig; aber darüber, wie dieser Grundsatz militärisch in die Tat umzusetzen sei, entwickelte sich eine Verschiedenheit der Überzeugungen, die bis zum Juli 1915 zu einer starken Spannung anwuchs.

Diese strategischen Anschauungsdifferenzen könnten an dieser Stelle unerwähnt bleiben, wenn ihnen nicht eine grundlegende Auffassung über das in Rußland positiv Erreichbare zugrunde gelegen hätte - eine Auffassung ebensowohl militärischer wie politischer Art. Sie war bei den beiden maßgebenden Männern, bei Falkenhayn und Ludendorff, verschieden.

Bereits im November 1914, als die deutsche 9. Armee aus der Linie Wreschen - Thorn nach Polen hinein vorstieß, hatte General Ludendorff geglaubt, dieser Vorstoß würde bei Unterstützung durch wenige, aus dem Westen herübergezogene Divisionen einen "kriegsentscheidenden" Erfolg haben, und er hatte es dem Generalstabschef verübelt, daß die Westdivisionen zur Verwendung bei Ypern zurückgehalten waren. So hoffte Ludendorff, der die hohen Gedanken Schlieffenscher Vernichtungsstrategie im Herzen trug und die Willenskraft zu ihrer Verwirklichung besaß, nun auch 1915, er könne die Russen durch seine überlegene Führung in kriegsentscheidender Schlacht vernichten.

General v. Falkenhayn war anderer Ansicht. Ihm schien die Schlieffensche Vernichtungstheorie zunächst nur auf die Schlachtentscheidung anwendbar, und er hielt für das moderne Kriegswesen weitere Voraussetzungen für notwendig, um von der Schlachtentscheidung bis zu dem Punkte zu schreiten, an dem man den Gegner zum Frieden zwingen konnte.

Diese Voraussetzungen waren, soweit sie militärischer Art waren, nach Falkenhayns Ansicht nur im Westen vorhanden. Hier konnte man nach dem Sieg auf dem Schlachtfelde beliebig große Teile des feindlichen Landes besetzen, [16] eine Neubewaffnung des Volkes verhindern und dadurch den Franzosen schließlich die Fortführung des Krieges zur Unmöglichkeit machen.

Ganz anders lagen nach seiner Ansicht die Verhältnisse in Rußland. Selbst die glänzendste Schlachtentscheidung brauchte in ihrer Auswirkung die Russen nicht zum Frieden zu zwingen; die deutschen Truppen konnten ihren Gegnern nicht bis in den Osten des gewaltigen Reiches hinein nachlaufen; wohl aber konnten diese stets neue Menschenmassen zu den Fronten rufen, um den Krieg fortzusetzen.

Um Rußland zu bezwingen, mußte nach Falkenhayns Überzeugung ein ganz anderes Verfahren Platz greifen. Rußland mußte durch dauernde Schläge materiell und moralisch zermürbt - hier kann man fast sagen "ermattet" - werden. Die Petersburger Regierung ebenso wie das Volk des weiten Zarenreiches mußten erkennen, daß alle ihre Anstrengungen unter riesenhaften Verlusten zunichte wurden, daß sie das Kriegsmaterial, das sie in steigendem Maße verloren, nicht ergänzen konnten und dadurch neuen, noch ungeheuerlicheren Menschenverlusten entgegengingen. So mußte mittelbar und unmittelbar die Unzufriedenheit mit dem Feldzuge geschürt werden und der Widerstand gegen die Fortsetzung des Krieges; dabei mußte dauernd die Möglichkeit eines billigen Friedens in erreichbare Nähe gebracht werden, bis der Zar oder das Volk die Waffen aus der Hand legte.

Dieses Verfahren dauerte natürlich lange; man konnte nicht absehen, wann es Erfolg bringen würde. Die Tatkraft der feindlichen Führer und die Psyche des russischen Volkes konnte man nicht mathematisch berechnen, aber man konnte nach Falkenhayns Ansicht die Stöße dort ansetzen, wo man wollte, und zu der Zeit, da man es vermochte, und konnte sich eine gewaltige Vernichtungsschlacht sparen, wenn sie in ihrer Ausdehnung der Gesamtlage nicht zu entsprechen schien.

Der Gedankengang Falkenhayns gegenüber Rußland erforderte Zusammenwirken zwischen Politik und Heerführung, ja die Aufgabe der Politik war kaum unwichtiger wie die der Heerführung. Allerdings war das Ziel in absehbarer Zeit nur zu erreichen, wenn man es nicht mit gleichzeitigen Freiheitsversprechungen an die Polen und an andere Teilvölker belastete, und wenn man diese Freiheitsversprechungen auch dann nicht hervorholte, nachdem man vorübergehende politische Mißerfolge in Petersburg erlitten hatte.


Die italienische Kriegserklärung.

Am 23. Mai 1915 erklärte Italien an Österreich-Ungarn den Krieg. Um diese Zeit war die militärische Lage der Mittelmächte folgende:

Durch die deutsche Offensive, die mit dem Durchbruch von Gorlice eingesetzt hatte, waren die Russen zwischen Stryj (70 km südlich Lemberg) und der Pilitza (80 km südwestlich Warschau), also in einer Frontbreite von rund vierhundert Kilometern zum Rückzug gezwungen worden. Die verbündeten Truppen standen [17] vor der Festung Przemysl, die westliche Hälfte von Galizien war vom Feinde befreit. Der Erfolg war groß, auch im Hinblick auf die Zahlen an Gefangenen und Beute, er mußte jedoch noch erheblich ausgebaut werden, wenn man wirklich die Gefahr eines russischen Gegenangriffs für längere Zeit abwenden wollte.

Selbstverständlich riefen die Russen um Hilfe und verlangten Entlastung durch ihre Bundesgenossen. Die Westmächte sahen sich genötigt, diese Entlastung zu versuchen.

Auf dem westlichen Kriegsschauplatz griffen die Engländer bei Lille, die Franzosen bei Arras an. Die Angriffe wurden, wenn auch nicht ohne Mühe, abgeschlagen; irgendeinen Einfluß auf die Gesamtkriegslage hatten sie nicht.

Ernster waren die Anstrengungen der Alliierten im Osten. Die Lage auf der Halbinsel Gallipoli wurde für die Türken von Tag zu Tag gefährdeter und bedeutete eine schwere Nervenbelastung für die osmanische, wie für die deutsche Oberste Heeresleitung.

Fast ebenso wichtig waren die Bemühungen des Feindbundes, den Russen auf politischem Gebiet eine Entlastung zu bringen. Die Alliierten versuchten, die beiden noch neutralen Balkanstaaten, Bulgarien und Rumänien, für sich zu gewinnen, und da die Mittelmächte dieselben Ziele hatten, mußte sich in Sofia und Bukarest ein scharfer diplomatischer Kampf entspinnen.

In diesem Kampf stellte naturgemäß jede der beiden Parteien dem umworbenen Staat hohen Lohn für seine Bundesgenossenschaft in Aussicht. Der wichtigste Teil dieses Lohnes war ein Gebietszuwachs, der im wesentlichen auf Kosten der Gegenpartei gedacht war. So versprach die deutsche Vertretung den Bulgaren Teile des serbischen Mazedoniens und den Rumänen das russische Bessarabien, mußten bei diesem letztgenannten Versprechen aber wieder den schweren Nachteil in Kauf nehmen, etwaige Friedensmöglichkeiten mit Rußland zu erschweren.

Die Position der Entente war in diesem diplomatischen Ringen weit vorteilhafter, denn sie begnügte sich nicht damit, den Rumänen Siebenbürgen, den Bulgaren Thrazien, also feindliches Territorium, zu versprechen, sie stellte auch Landerwerb auf Kosten des serbischen Verbündeten oder des neutralen Griechenland in Aussicht. Solch eine Rücksichtslosigkeit gegenüber dem eigenen, aber schwächeren Bundesgenossen und dem hilflosen Neutralen war für Deutschland eine Unmöglichkeit.

Trotzdem gelangte die Entente in Sofia und Bukarest nicht zum Ziel. In Sofia ward den Mittelmächten in dem Haß, den der Bulgare seit dem zweiten Balkankriege gegen Serbien und Rumänien hegte, eine starke Hilfe, und die Rumänen waren durch den Erfolg der deutschen Waffen bei Gorlice zur Vorsicht bewogen worden.

Vergleicht man also im ganzen die Lage der Mittelmächte zur Zeit der italienischen Kriegserklärung mit der Lage einen Monat früher, so kann man [18] folgende Unterschiede feststellen: Die Spannungen im Westen waren geringer, die auf Gallipoli schärfer geworden. Die aus Rußland drohende Gefahr war gemildert, ein Eingreifen neuer Feinde vom Balkan her stand - unmittelbar jedenfalls - nicht bevor. Dagegen war das Eingreifen Italiens zur Wirklichkeit geworden mit der Einschränkung, daß die italienische Armee infolge mangelhafter Vorbereitungen nicht zu sofortigem Angriff bereit war und wohl auch durch die an der österreichisch-ungarischen Grenze versammelten k. u. k. Kräfte eine Zeitlang abgewehrt werden konnte.

Auf diesen militärischen und politischen Grundlagen mußten die verantwortlichen Führer der Mittelmächte, in erster Linie der deutsche Generalstabschef, einen neuen Entschluß aufbauen.

Die Ansichten über das, was zu tun war, waren sehr verschieden.

Die politischen Stellen Deutschlands hielten sich in der Offenlegung ihrer politischen Pläne, wie immer, zurück; es mußte aber angenommen werden, daß sie an ihrem Wunsche baldiger Erzwingung einer Verbindung zur Türkei festhielten. Mit Rücksicht auf die militärische Lage im Osten und gegenüber Italien konnte diesem Wunsche jedoch von dem deutschen Generalstabschef noch immer nicht Rechnung getragen werden. Auch fehlte mit der noch immer nicht erreichten Bundesgenossenschaft Bulgariens die politische und militärische Voraussetzung.

Der Chef des Generalstabs der österreichisch-ungarischen bewaffneten Macht, General v. Conrad, stimmte, österreichische Interessen in den Vordergrund schiebend, für Aufnahme der Offensive gegen Italien. Das bedeutete Abbruch der Angriffe im Osten, da für beide Zwecke zu gleicher Zeit auch nicht annähernd genügend Kräfte vorhanden waren.

Um den Wunsch des General v. Conrad zu verstehen, muß man sich in die seit langem tief begründete Auffassung des verbündeten Feldherrn hineindenken.

Schon in den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege hatte General v. Conrad mit einer Schärfe, die vielen anderen Beurteilern gefehlt hatte, erkannt, daß in einem zukünftigen Feldzuge auf die Italiener als Bundesgenossen nicht zu rechnen sei. Das Verhalten der Regierung zu Rom gelegentlich mancher Krisen der deutschen Außenpolitik hatte die Überzeugung Conrads nicht nur befestigt, sondern auch mit der dauernd anwachsenden Besorgnis beschwert, Italien werde als Gegner auftreten, sobald es die Lage für günstig ansähe, diesen Schritt zu tun. Diese Besorgnis hatte den österreichisch-ungarischen Generalstabschef bereits mehrere Jahre vor dem Weltkriege zu der Forderung veranlaßt, man müsse der Entwicklung zuvorkommen, den unzuverlässigen Dreibundgenossen abschütteln und mit militärischen Machtmitteln schwächen.

Der Weltkrieg sah die Befürchtungen Conrads bestätigt. Kein Wunder, daß der greise General, den sein ganzes Denken zum Haß gegen den Welschen geführt hatte, jetzt von Empörung erfüllt war über die erpresserischen Forderungen der [19] italienische Regierung, denen trotz allen Konzessionen der Vertragsbruch und der treulose Frontwechsel auf dem Fuße folgte.

Es sprach hier der Zorn des geraden, soldatisch erzogenen Charakters mit, der sich mit den stärksten politischen Begründungen nicht über die Tatsache hinwegbringen ließ, daß das, was der Italiener tat, eine Gemeinheit, eine Infamie war. Haben doch auch italienische hohe Offiziere ihren Schmerz über das Vorgehen ihrer Regierung nicht zurückgehalten und dadurch mittelbar die Berechtigung der Conradschen Auffassung anerkannt.

Da aber General v. Conrad nicht nur ein aufrechter Soldat, sondern auch ein Feldherr von hohem militärischen Können war, mußte es ihn schmerzlich berühren, daß er jetzt, da die Italiener als Feinde im Felde standen, nicht mehr über genügend eigene Kräfte verfügte, um ihn, den man militärisch wenig achtete, zu Boden zu schlagen. Die Offensive gegen Italien konnte nur geführt werden, wenn deutsche Truppen teilnahmen, oder wenn österreichisch-ungarische Truppen an der Ostfront in ganz erheblichem Maße von deutschen Truppen abgelöst wurden. Die Entscheidung hierüber hatte der deutsche Generalstabschef; dieser lehnte ab - es mußte es aus klarer Erkenntnis der militärischen Notwendigkeit. Seit jener Zeit begann eine tiefgehende Mißstimmung des österreichisch-ungarischen Generals gegen den Chef des deutschen Generalstabes. Solche Differenzen können heute mit sachlicher Ruhe und vom historischen Standpunkt aus betrachtet werden; sie finden in dem Zwist zwischen Friedrich dem Großen und seinem Bruder Heinrich, zwischen Gneisenau und Yorck und zwischen Feldmarschall Moltke und Blumenthal reichlich Vorgänger in der Geschichte und sind eigentlich nur ein Beweis dafür, daß die Männer, die sich mit denselben Problemen zu beschäftigen hatten, besonders willenskräftig, fähig und zu selbständigem Denken erzogen waren. Ganz übergehen lassen sich diese Streitfälle aber deshalb nicht, weil sie die Quelle für Schwierigkeiten wurden, unter denen alle Teile, im besonderen aber der deutsche Generalstab, zu leiden hatten.

General v. Falkenhayn, der den Plan Conrads ablehnte, war der Ansicht, daß bei der Beurteilung der ganzen Frage alles Gefühlsmäßige überhaupt auszuscheiden habe. Für ihn handelte es sich ganz einfach darum: Ist der Zweck des russischen Feldzuges, den Russen für längere Zeit die Möglichkeit zu einer Offensive zu nehmen, erreicht oder nicht? Da General v. Falkenhayn trotz allen Erfolgen den Zweck als noch nicht erreicht ansah, und da kein militärischer und politischer Führer imstande war, die Richtigkeit dieser Auffassung zu widerlegen, schied für ihn die Offensive gegen Italien zunächst aus, es sei denn, daß durch sie eine unmittelbare Gefahr abgewendet werden müßte, oder auf diesem Kriegsschauplatz ein entscheidender Erfolg erreicht werden könnte.

Eine unmittelbare Gefahr durch Italien lag nicht vor; man hatte durchaus das Vertrauen zu den Verbündeten, die Angriffe des ehemaligen Dreibundgenossen auch mit schwächeren Kräften zunächst abwehren zu können.

[20] Den Gedanken, in Italien könne ein kriegsentscheidender Erfolg errungen werden, lehnte Falkenhayn ab. Nach seiner Ansicht hatte selbst ein großer Sieg in der Po-Ebene, dem starke Teile des italienischen Heeres zum Opfer fielen, auf die Gesamthaltung dieses Landes gar keinen Einfluß. Viel zu fest war die Regierung zu Rom in den Händen der Entente, und es standen den Westmächten genug wirtschaftliche und militärische Zwangsmaßnahmen zur Verfügung, um den Alliierten fest an ihrer Seite zu halten, wenn er irgendeine Friedensneigung zu äußern wagte. Italien konnte seine Politik eben nie so selbständig bestimmen wie etwa Rußland, das bei einer Einigung mit den Mittelmächten Zwangsmaßregeln der Alliierten nicht zu fürchten brauchte.

So würde es sich also nur um die Möglichkeit eines militärischen Sieges gehandelt haben, durch den die italienische Armee für längere Zeit verhindert wurde, ihrerseits offensiv gegen die Mittelmächte vorzugehen. Das war dasselbe Ziel, das man zur Zeit in Rußland verfolgte, und um dieses Zieles willen lohnte es sich nicht, von einer siegreich begonnenen und weitere große Erfolge versprechenden Operation abzuspringen, mit großen Mühen etwas Neues aufzubauen und dabei das große Wagnis in Kauf zu nehmen, daß die Russen sich unterdessen erholten und ihre gefährlichen Angriffe gegen die schwachen Stellen der Ostfront wieder aufnahmen.

Es gab noch einen anderen Grund für die Auffassung des Generals v. Falkenhayn, der recht stichhaltig war, auch wenn er dem Bundesgenossen nicht ganz leicht zum Verständnis gebracht werden konnte. General v. Conrad wollte - und es entsprach das nicht nur seiner eigenen Psyche, sondern auch der Gesinnung aller Österreicher - die italienische Offensive natürlich möglichst mit eigenen Kräften führen, die im Osten durch die Deutschen in der Defensive abgelöst werden sollten. Bei aller Anerkennung der Feldherrngabe Conrads - wer übernahm die Gewähr aber dafür, daß trotz des jetzt stark auflebenden Hasses gegen Italien das rein österreichisch-ungarische Unternehmen glückte? Waren nicht die bisherigen Erfahrungen mit manchen k. u. k. Truppenteilen und auch mit recht vielen k. u. k. Kommandobehörden dazu angetan, recht ernste Zweifel zu wecken, ob Truppe und Generalstab des österreichisch-ungarischen Heeres zu einer so großen, selbständigen Aufgabe fähig wären? Zog man aber aus dieser militärischen Überlegung die Folgerung und legte man auf Grund der bisherigen Erfahrungen einen wesentlichen Teil der Offensive gegen Italien in die Hände deutscher Truppen und deutscher Führer, dann mußte man auch die politische Voraussetzung erfüllen und Italien von deutscher Seite aus den Krieg erklären. Dies schien aber dem General v. Falkenhayn noch immer recht unerwünscht.

Denn obwohl Italien schon in seiner Neutralität alles andere eher wie wohlwollend gegen Deutschland gewesen war, so war es immerhin ein Einfuhrkanal, der, wenn auch wenig ergiebig, doch der bedrängten deutschen Wirtschaft einige Vorteile sicherte. Auch gehörte es nach Ansicht des deutschen Generalstabschefs [21] nicht völlig in das Gebiet der Phantasie, von Berlin über Rom Beziehungen zu den Gegnern aufrechtzuerhalten und sich dadurch über deren Absichten und etwaige Friedensmöglichkeiten zu unterrichten.

Solche Überlegungen mögen heute abwegig erscheinen. Sie werden verständlich, wenn man zugrunde legt, wie ernst Falkenhayn die Lage Deutschlands beurteilte; und ihre Berechtigung wird sich um so mehr dartun, je mehr die Karten geöffnet werden über die Friedenshoffnungen des russischen Zaren von 1915 bis 1917. Dem Wunsche des österreichisch-ungarischen Verbündeten, gleichfalls aus innerpolitischen Gründen eine Teilnahme deutscher Truppen an den Kampfhandlungen gegen Italien durchgeführt zu sehen, trug General v. Falkenhayn Rechnung. Deutsche Truppen haben in geringer Stärke an der Tiroler Grenze gegen Italiener gefochten, obgleich zwischen Deutschland und Italien noch Friedenszustand war. Es kann wohl als auffallend bezeichnet werden, daß die italienische Regierung dies stillschweigend duldete, ohne ihrerseits mit einer Kriegserklärung zu antworten.

Jedenfalls fiel die Entscheidung in dieser Periode unter dem maßgebenden Einfluß des Generals v. Falkenhayn für Fortsetzung der Offensive gegen Rußland. Die verbündeten Truppen standen unmittelbar vor der Wiedernahme von Przemysl, ihr mußte die von Lemberg bald folgen. Die Rückgewinnung von ganz Galizien mit diesen beiden Städten von militärischer, aber auch politischer Bedeutung mußte den wankenden Bau der Donau-Monarchie stützen, aber auch in Rußland tiefen Eindruck machen. Auf die unsicheren Balkanstaaten, vor allem auf Rumänien, war aber gerade dann erst recht heilsame Wirkung zu erwarten, wenn die Erfolge der Mittelmächte in der Richtung auf die rumänische Grenze an Ausdehnung gewannen.


Die Entwicklung der Lage bis zum Herbst 1915.

Bis Ende Juni 1915 waren auf dem französischen Kriegsschauplatz keine wesentlichen Veränderungen der Lage, auch nicht in politischer Hinsicht, eingetreten. Es tauchten aber um diese Zeit die ersten Nachrichten und Anzeichen auf, daß die Feinde eine neue Offensive planten und diese Offensive in der Champagne vorbereiteten.

Auf der Halbinsel Gallipoli hatte das Eingreifen deutscher U-Boote vorübergehend den Türken etwas Entlastung gebracht. Nachdem die Flotte der Alliierten sich gegen weitere Unterwasserangriffe gesichert hatte, begann sich die Lage für die Türken aber wieder bis zum Unerträglichen zu spannen.

An der italienischen Grenze war ein nicht unbedeutender, wertvoller Teil der österreichisch-ungarische Streitmacht festgelegt. Im übrigen bestätigte sich aber die Wahrnehmung, daß Führung und Truppe Italiens zunächst militärisch von nur geringem Wert waren, so daß von einer unmittelbaren Gefahr hier nicht gesprochen werden konnte.

[22] Im Osten war Lemberg genommen, der größte Teil Galiziens für die Mittelmächte zurückerobert. Das militärische Ergebnis dieser Siege bestand darin, daß die Russengefahr für Ungarn vorderhand behoben, wenn auch nicht für längere Zeit ausgeschaltet war. Das wichtige politische Ergebnis aber war eine fühlbare Verstärkung der Position der Mittelmächte auf der Balkanhalbinsel. Rumänien wurde kleinlaut, die Verhandlungen um die Bundesgenossenschaft Bulgariens erhielten festeren Boden.

Für den deutschen Generalstabschef stand somit Folgendes fest:

Der Erfolg gegen Rußland war groß, aber aller Voraussicht nach noch immer nicht so nachhaltig, daß man wesentliche Teile der im Osten kämpfenden Truppen ohne schwere Sorge nach einem anderen Kriegsschauplatz hätte befördern können. Trotzdem mußte in absehbarer Zeit die Verbindung mit der Türkei hergestellt werden, damit die bis zum äußersten angespannte Kampflage an den Dardanellen nicht zur Niederlage wurde. Sie hätte zweifellos sich politisch darin ausgewirkt, daß alle Balkanstaaten sich an die Entente angeschlossen hätten. Und weiter mußte damit gerechnet werden, daß in absehbarer Zeit die deutsche Westfront einer neuen, vielleicht recht starken Belastungsprobe unterworfen werden würde und daher durch Truppen verstärkt werden müßte.

General v. Falkenhayn faßte daraufhin den Entschluß, die Operationen im Osten weiterzuführen, dabei aber eine Beschränkung des hierfür noch zur Verfügung zu stellenden Zeitraums und somit auch eine Beschränkung der Ziele ins Auge zu fassen.

Um aber die Zeit, die für diese Operationen noch blieb, wenigstens auf das stärkste auszunützen, sollten die verfügbaren Kräfte in Richtungen eingesetzt werden, die den größten Erfolg zu versprechen schienen.

Diese Überlegung führte dazu, daß die Heeresgruppe Mackensen, die seit Gorlice die Offensive führte, aus ihrer östlichen Angriffsrichtung herausgedreht wurde und nach Norden einschwenkte. Sie erhielt eine Richtung, die im weiteren Verlauf der Kämpfe östlich von Warschau vorbei etwa auf Brest-Litowsk weisen mußte, so daß die Hoffnung begründet war, man würde einen Teil der noch vorwärts Warschau kämpfenden russischen Kräfte abschneiden können. Unterstützt sollte diese Hauptoperation durch einen Stoß werden, den Feldmarschall v. Hindenburg mit zusammengezogenen Kräften aus Ostpreußen heraus gegen und über den Narew zu führen hatte.

Hier setzten die schon gestreiften Anschauungsdifferenzen zwischen General v. Falkenhayn und General Ludendorff ein. Ludendorff glaubte militärisch mehr zu erreichen, wenn er den Stoß weiter nördlich führte, am Njemen und im nördlichen Litauen. Falkenhayn wünschte die Operation in größerer Nähe des Hauptkriegsschauplatzes und setzte seine Forderung durch, die Offensive gegen den Narew vorzutreiben.

Ein Urteil über diese rein militärischen Anschauungen kann hier unter- [23] bleiben. Für Falkenhayn war es nicht leicht, auf seinem Willen zu bestehen, da er sich in Gegensatz zu der verehrungswürdigen und allgemein verehrten, auch mit den Verhältnissen im Osten besonders vertrauten Person des Feldmarschalls v. Hindenburg stellte.

Diese Schwierigkeiten wurden dadurch weiter verstärkt, daß Falkenhayn und Ludendorff, wie schon erwähnt, auch in ihren grundlegenden Ansichten über die von der Gesamtoperation zu erwartenden Erfolge auseinandergingen. Eine kriegsentscheidende Wirkung im strategischen Sinne erwartete der Generalstabschef im Osten überhaupt nicht. Seine Hoffnung, die Russen langsam friedensbereit zu machen, beruhte gleichzeitig auf militärischen, politischen und wirtschaftlichen Erwägungen.

Typisch für die Sinnesart der beiden Männer war auch ihre verschiedene Beurteilung des Gedankens, den Krieg nach Kurland hineinzutragen. Ludendorffs Neigung, das baltische Deutschtum von der russischen Herrschaft zu befreien und vielleicht später dem Deutschen Reiche zurückzugewinnen, war nicht nur begreiflich, sondern auch des warmherzigen Mannes und großen Soldaten durchaus würdig. Falkenhayn dachte erheblich nüchterner. Das vielleicht schwere Los der Baltendeutschen trat in seinen Augen zurück vor dem furchtbaren Ernst der Gesamtlage, und er besorgte, Deutschland könne sich aus Gefühlsrücksichten mit Kriegszielen belasten, die den Weg einer baldigen und wirklichen Verständigung mit Rußland sperren und schließlich doch weit über die Kraft der Mittelmächte hinausgehen mußten.

Denn die Verständigung mit Rußland, früher oder später, war und blieb die Hoffnung des Generalstabschefs. Ihm wurde im Sommer 1915, nach dem Siegeszug von Gorlice, die Frage brennend, ob vielleicht jetzt schon eine leise Anfrage, ein kaum merklicher Wink in Petersburg Erfolg haben könnte. Es handelte sich um die Feststellung, ob die Friedensstimmung in diesen oder jenen maßgebenden russischen Kreisen unter dem Eindruck der vergeblichen Anstrengungen und Riesenverluste schon so weit gestärkt war, daß sie einen Abbruch des Krieges befürwortet hätten.

Diese Frage ist heute sehr schwer nachzuprüfen. Gewiß ist, daß die Geneigtheit zum Frieden hauptsächlich in der Person des Zaren zu finden war, aber dieser Zeuge ist stumm geworden. Der österreichisch-ungarische Außenminister, Graf Czernin, hielt es bekanntlich nicht für ausgeschlossen, 1915 mit Rußland zum Frieden zu kommen.

Tatsache ist, daß die deutsche Regierung auf Veranlassung der Obersten Heeresleitung und auf neutralem Umwege in Petersburg sondieren ließ, und daß diese Anfrage offenbar erfolglos war.

Was ist daraus zu schließen?

Nicht die Regierung, sondern die Oberste Heeresleitung drängte auf die Ausführung eines Gedankens, der doch vollkommen in das Gebiet des Politischen [24] gehörte. Warum ging die Anregung zu einer so überaus ernsten und entscheidenden Maßnahme nicht vom Reichskanzler aus? Nur eine Antwort ist möglich: Weil sie der englisch-orientierten Politik des Kanzlers und des Auswärtigen Amtes widersprach.

Es wurde schon erwähnt, daß Bethmann Hollweg von Anfang an auf eine deutsch-englische Verständigung hingearbeitet und die größte Gefahr für Deutschland in der Einheit des gewaltigen russischen Reiches erblickt hatte. Deshalb war es ihm von Anfang an darum zu tun gewesen, diese Einheit zu zerschlagen, und seit August 1914 trug er sich mit dem Gedanken an die Gründung eines polnischen Staates, der von Libau bis Odessa reichen sollte.

Mit solchen Wünschen in der Brust ließ sich allerdings der Weg zum Frieden mit Rußland schwer beschreiten. Der Schluß drängt sich geradezu auf, daß der Friedensschritt in Petersburg von der Regierung nicht mit der nötigen Eindringlichkeit und Klarheit geführt wurde, daß sie nicht ohne Umschweife das anbot, was nötig war, nämlich die Grenzen von 1914 ohne offene oder verschleierte Annexionen, ja darüber hinaus vielleicht noch Grenzverbesserungen in Galizien zugunsten der Russen, Verzichte, zu denen Österreich-Ungarn bewogen werden konnte und mußte.

Die Mittel, welche der deutschen Regierung zu Gebote standen, um den über einen neutralen Souverän geleiteten Friedensschritt zu unterstützen, bestanden in einer Propaganda unter denjenigen Persönlichkeiten in Petersburg, die am ehesten einem Abbruch des Krieges geneigt waren. Hier durfte kein Geld gescheut werden, um etwas zu erreichen. Das Wichtigste aber war, daß diese Persönlichkeiten selber kein Mißtrauen gegen die Ehrlichkeit der deutschen Angebote haben durften und in der Lage waren, jedes aufkeimende Mißtrauen zu zerstreuen. Es hatte sich schon damals in der Politik eingebürgert, erst den Grundsatz des Verzichts auf Annexion auszusprechen und ihn dann durch allerhand Klauseln einzuschränken, durch das Verlangen nach besonders bindenden Wirtschafts- oder Militärverträgen, nach bestimmten Angliederungsarten angeblich unbeschadet der Selbständigkeit der betreffenden Gebiete oder ihrer Zugehörigkeit zu anderen Staaten, nach dem Vorbehalt der Einwirkung auf einzelne Nationalitäten und nach anderem mehr. Von allen diesen politischen Kniffen durfte bei dem deutschen Angebot an Rußland keine Rede sein, es durfte nicht der geringste Verdacht aufkommen, daß Deutschland nach Sonderrechten für Polen, Litauen oder die baltischen Provinzen schielte.

Wie weit hierin gefehlt wurde, läßt sich heute nicht entscheiden. Eins aber ist sicher: als die ablehnende Haltung der Duma und der russischen Regierung bekannt wurde, lenkte Bethmann Hollweg mit vollen Segeln wieder in den Kurs ein, der ihm seit Kriegsbeginn vorgeschwebt, und den er ungern unterbrochen hatte. Anstatt an dem Ziel eines Entgegenkommens gegen Rußland festzuhalten und sich durch ein vorübergehendes Scheitern nicht von ihm abbringen zu lassen, [25] sprach er in seiner Reichstagsrede vom 19. August 1915 über das polnische Volk, das vom russischen Joch befreit werden müsse. Damit war das Programm gegeben, die Bahn beschritten, die ein Jahr später zu dem von Falkenhayn heftig bekämpften deutsch-österreichisch-ungarischen Abkommen über die Gründung eines Königsreichs Polen führte. Es bedarf keines weiteren Beweises, daß durch diese Politik, die gegen die Überzeugung des Generalstabschefs geführt wurde, alle weiteren Verständigungsversuche bis zur Erfolglosigkeit erschwert wurden. Gegen das deutsche Polen-Programm konnten weder die an den Ministerpräsidenten Stürmer geknüpften Hoffnungen, noch die Bemühungen von Stinnes und Warburg, noch schließlich die letzten Anfragen des unglücklichen Zaren aufkommen. —

Während so seit Juli 1915 der letzte Abschnitt der großen Offensive gegen Rußland abrollte, war eine andere Frage in den Vordergrund getreten, militärisch und politisch gleich wichtig, aber schwer in ihrer Bedeutung zu fassen und zu beurteilen: die Frage des U-Boot-Krieges.

General Ludendorff hat sich später darüber geäußert, daß die Nichtbeteiligung der Marine an dem deutschen Existenzkampf geradezu eine Ungeheuerlichkeit war. Die mit unsäglichen Kosten, zum Nachteil der Heeresstärken geschaffene Hochseeflotte lag tatenlos in den Flußmündungen. Auf Grund der Hoffnungen des Reichskanzlers auf deutsch-englische Verständigung war der Zeitpunkt des Einsatzes für die Flotte verpaßt worden, und man hatte sich allmählich daran gewöhnen müssen, diese stolze Waffe nur als eine Art Verstärkung des Küstenschutzes oder Parademittel für einen späteren Frieden anzusehen.

Es war selbstverständlich, daß sich viele Stellen der Marine mit dieser Entwicklung nicht einverstanden erklärten und sie fast wie eine Schande empfanden. Als daher in den ersten Kriegsmonaten die Bedeutung der Unterwasserstreitkräfte erkennbar wurde, griff die Marine diese Aussicht mit aller Entschiedenheit auf, denn hier schien sich eine Möglichkeit zu bieten, entscheidend in den Krieg einzugreifen, von dem die Hochseeflotte ferngehalten wurde. Bald wurde die Frage brennend, ob das U-Boot eine wirklich wertvolle Hilfswaffe wäre oder vielleicht noch weit mehr als das, ein Mittel, die Offensive, die dem Heer seit der Marne-Schlacht aus der Hand geschlagen war, wieder aufzunehmen und mit ihr den Feind zur Beendigung des Krieges zu zwingen.

Großadmiral v. Tirpitz wurde der Vorkämpfer in der Befürwortung des U-Boot-Krieges. Am 21. Dezember 1914 bereits hatte er in einem Interview mit Vertretern der amerikanischen United Press auf seine Bedeutung hingewiesen. Mit dem Jahre 1915 wurden seine Wünsche entschlossener und klarer umrissen. Am 4. Februar 1915 wurde der Unterseehandelskrieg um Großbritannien und Irland erklärt, damit also offenbar, daß die Schärfe dieser Waffe sich gegen die Handelsschiffahrt zu richten hatte.

Die völkerrechtswidrige weite Blockade schien ihren Zweck, Deutschlands Bevölkerung zum Hungertode zu bringen, wirksam einzuleiten. Die Blockade zu [26] sprengen, war jetzt die Hochseeflotte nicht mehr in der Lage. Das einzige Gegenmittel war, die gleiche Waffe gegen England wirksam werden zu lassen, wenn dazu die Möglichkeit vorlag. Diese Möglichkeit schien das U-Boot zu bringen. Sein Einsatz sollte die Versorgung der britischen Inseln mit Lebensmitteln und Rohstoffen erschweren oder gar verhindern. Seiner ganzen Eigenart nach mußte sich das U-Boot dabei ebenso gegen neutrale nach England schwimmende Güter wenden, wie gegen Waren der Feinde selbst - etwas anderes war nicht denkbar. Welcher Nation die Ladung gehörte, die die Schiffe führten, oder unter welcher Flagge die Schiffe fuhren, mußte dem angreifenden Torpedo gleichgültig sein. Das mußte wiederum Konflikte mit den Neutralen herbeiführen, und von diesen war der mächtigste und maßgebendste die Nordamerikanische Union.

Erschwerend wirkte sehr bald, daß die Handelsschiffe sich zu wehren begannen und daß das aufgetauchte U-Boot wenig Mittel besaß, sich gegen diese Gegenwehr zu verteidigen, wenn es die bisherigen seerechtlichen Vorschriften innehalten wollte. Infolgedessen wurde die Torpedierung ohne Warnung zur militärischen Notwendigkeit. Da nicht zu verhindern war, daß hierbei Menschenleben verloren gingen, bot sich der Entente ein neues reiches Feld für Propaganda und Verhetzung. Wäre dies nicht gewesen, sie hätte allerdings etwas anderes gefunden, um das deutsche Volk zu verlumpen.

Die rechtliche Seite des U-Boot-Krieges ist an anderer Stelle (Band 4) eingehend erörtert; sie hatte für die Entschlüsse und Einwirkungen der Obersten Heeresleitung wenig Bedeutung. England hatte im November 1914 die ganze Nordsee als Kriegsgebiet bestimmt und am 1. März 1915 erklärt, es würde alle Schiffe anhalten und einbringen, die Güter feindlichen Ursprungs oder feindlicher Bestimmung führten. Damit war die Hungerblockade erklärt; ein Kriegsmittel von so teuflischer Grausamkeit, daß daneben die Folgen der Versenkungen, so bedauernswert sie im einzelnen waren, völlig zurücktraten.

Der Generalstabschef, der auf die Erklärung oder Fortführung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges Einfluß nehmen wollte, hatte kühl und gewissenhaft zwei Fragen politischer Art zu prüfen, die sich dann aber über kurz oder lang auch militärisch auswirken mußten. Die erste Frage war die, ob trotz Führung des U-Boot-Krieges Amerika verhindert werden konnte, in den Krieg gegen die Mittelmächte einzutreten.

Die Frage war augenscheinlich zu verneinen.

Es war der Leitung der deutschen Politik nicht geglückt, die Amerikaner durch Aufnahme von Anleihen oder größere Ankäufe amerikanischer Produkte für Deutschland zu interessieren. Die Bemühungen Dernburgs bald nach Kriegsbeginn waren ein Fehlschlag gewesen. Ob Anfang 1915 größere Baumwolleinkäufe in der Union möglich gewesen wären, bleibe dahingestellt. Sie wurden nicht vorgenommen, Falkenhayn aber hatte sich nicht mit Kritik von Hand- [27] lungen oder Unterlassungen der Vergangenheit abzugeben, er mußte die Lage nehmen, wie sie tatsächlich war. Da aber war kaum ein Zweifel, daß die Amerikaner bereits finanziell auf das stärkste für die Alliierten und deren Kriegsschicksal engagiert waren, während ihnen das Schicksal Deutschlands mehr oder weniger gleichgültig blieb. Kam der französische oder englische Schuldner in die Gefahr, vernichtend geschlagen und dadurch zahlungsunfähig zu werden, so war mit dem Eingreifen Amerikas zu rechnen. Der U-Boot-Krieg aber zielte auf die wirtschaftliche und militärische Vernichtung.

Die Beantwortung der Unterfrage, ob Amerika auch ohne den U-Boot-Krieg eingegriffen hätte, hatte für die Lage 1915 keine Bedeutung. Es kam für den Generalstabschef im Hochsommer 1915 ja nicht darauf an, dieses Problem an sich zu lösen, es kam zunächst nur darauf an, die amerikanische Kriegsdrohung für den Zeitraum der nächsten großen Operationen, also etwa bis zum Frühjahr 1916, zu beurteilen.

Die Anschauung, daß die Kriegserklärung Amerikas der Führung des U-Boot-Krieges in nicht zu ferner Zeit folgen würde, wurde durch die Ereignisse bekräftigt. Bereits die deutsche Erklärung des Unterseehandelskriegs vom 4. Februar 1915 zog eine Protestnote aus Washington nach sich. Die daraufhin geführten deutsch-amerikanischen Verhandlungen erlitten mit der Versenkung der "Lusitania" (7. Mai) eine ganz erhebliche Verschärfung. Nach der Torpedierung der "Arabic" vom 19. August war nicht mehr daran zu zweifeln, daß Amerika vor dem Abbruch der Beziehungen stand.

Es war nun für den Generalstabschef die zweite entscheidende Frage zu beantworten, ob an dem U-Boot-Krieg festgehalten werden müsse, auch wenn Amerika sich offen auf die Seite der Gegner Deutschlands stellte. Augenscheinlich konnte der neue Feind in Kauf genommen werden, wenn das U-Boot wirklich die kriegsentscheidende Bedeutung hatte, die man ihm an den meisten Stellen der Marine zumaß.

General v. Falkenhayn war mißtrauisch. Nicht etwa, daß er die Bedeutung der U-Boot-Waffe an sich unterschätzt hätte! Er hatte ja bereits Jahre vor dem Kriege darauf hingewiesen, daß die Unterwasserstreitkräfte die Waffe des zur See Schwächeren und demgemäß für Deutschland sehr viel wichtiger wären als die Panzerschiffe der Hochseeflotte. Damals hatten sich die maßgebenden Stellen der Marine in schroffen Gegensatz zu Falkenhayn gestellt und den deutschen Etat immer wieder mit dem Bau der großen Linienschiffe und Panzerkreuzer belastet. Die Folge war, daß 1915 die Zahl und Leistungsfähigkeit der Deutschland zur Verfügung stehenden U-Boote nur ganz gering war.

Diese kleine Zahl der Boote stellte Falkenhayn der Riesenaufgabe gegenüber, die ihnen von der Marine zugedacht war, der geradezu ungeheuren Energie, deren sein historischer Sinn die britische Regierung und das britische Volk für fähig hielt, dem moralischen, wirtschaftlichen, später auch militärischen Kräfte- [28] zuschuß, den das Eingreifen Amerikas den Alliierten bringen mußte. Daß die Marine bei der Untätigkeit des Kerns ihrer Streitkräfte dazu neigte, Einzelleistungen zu übertreiben, war menschlich mehr wie begreiflich. Daß diese Übertreibungen außerordentlich geschickt inszeniert wurden, hatte die Propaganda für die Kreuzerfahrten gezeigt, die für die Kriegführung ziemlich belanglos und als soldatische Leistungen zwar sehr groß waren, aber doch nicht mit dem gemessen werden konnten, was die Frontkämpfer täglich in Kampf und Entbehrungen auf sich nahmen. Für den Generalstabschef, der die Begeisterung der Marine für die neue Waffe von freierem, unbeeinflußtem Standpunkt und mit ruhigeren Augen ansah, ergab sich die Überzeugung, daß in absehbarer Zeit eine Kriegsentscheidung von den U-Booten nicht zu erwarten wäre.

Damit trat für ihn aber der Nachteil des amerikanischen Eintritts in den Krieg greifbar hervor. Die Verhandlungen in Sofia näherten sich günstigem Abschluß, es war aber umgekehrt auch nicht der geringste Zweifel möglich, daß Bulgarien sofort die allmählich sich anknüpfenden Beziehungen zu den Mittelmächten abbrechen würde, wenn es den neuen, starken Feind jenseits des Atlantik erblickte. Damit entfiel der Feldzug gegen Serbien, der allmählich zur dringendsten Notwendigkeit wurde. Der Fall der Dardanellen war dann nicht mehr aufzuhalten, der türkische Bundesgenosse preisgegeben, die Verbindung der Westmächte zu Rußland ermöglicht, das Zarenreich dadurch in den Stand gesetzt, seine gewaltigen materiellen Verluste aus dem Sommer 1915 wieder zu ergänzen.

Deshalb schlug der Generalstabschef der Regierung vor, den amerikanischen Forderungen nachzugeben und auf den U-Boot-Krieg in seiner jetzigen Gestalt zu verzichten. Der Reichskanzler setzte diesen Vorschlag in die Tat um. Großadmiral v. Tirpitz, der seine Wünsche abgelehnt sah, reichte seinen Abschied ein, der aber nicht angenommen wurde. An die Stelle des Admirals Bachmann trat als Admiralstabsschef Admiral v. Holtzendorff. Es war eine Ironie des Schicksals, daß damit der Mann an die Spitze des Admiralstabes kam, der sich sehr bald zum eifrigsten Vorkämpfer für die Wiederaufnahme des U-Boot-Krieges machte und das Wort von den sechs Monaten prägte, in denen England auf die Knie gezwungen werden könne. Aber erst Anfang Februar 1916 drang er bei der Regierung mit seinen Bemühungen durch.

Grodno mit der gesprengten Verkehrsbrücke über den Njemen.
Die russische Stadt Grodno mit der gesprengten Verkehrsbrücke über den Njemen.      [Vergrößern]
Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 391.
Der Siegeszug der verbündeten Truppen im Osten seit Juli 1915 reihte sich würdig den Großtaten vom Mai und Juni an. Am 4. August räumte der Feind Warschau; ein politisch hochbedeutendes Ereignis für Rußland, für die Haltung der Balkanvölker, leider aber auch für die Bestrebungen des deutschen Reichskanzlers und starker Parteien im Vaterlande. Am 18. August nahmen die deutschen Truppen Kowno, am 20. August Nowo Georgiewsk, am 4. September Grodno. Ende September und im Verlauf des Oktober erreichten die Verbündeten die Winterstellungen, die sich von Czernowitz an der rumänischen Grenze [29] über Pinsk und die Gegend von Dünaburg bis zur Ostseeküste westlich Riga hinzogen.

Der militärische Erfolg der gesamten Ostoffensive von 1915 war, nach der Beute und den Gefangenenzahlen gemessen, groß. Der von Falkenhayn bewußt eingeschränkte militärische Zweck, Rußland für einige Zeit als Angriffsmacht auszuschalten, war erreicht. Erst im Juni 1916 nahmen die Russen die Offensive im großen wieder auf. Ob noch mehr hätte gewonnen, ob der große Ostgegner durch andere Maßnahmen, wie sie Hindenburg-Ludendorff vorgeschlagen hatten, für noch längere Zeit hätte am Angriff verhindert werden können, ist eine Frage, deren Beantwortung auf rein militärischen Erwägungen beruht. Die Hoffnung, dem Friedensschluß mit dem Zarenreich näher zu kommen, war gescheitert, sie wurde von der Regierung energisch beiseite gelegt. Die politischen Auswirkungen der Ostsiege auf dem Balkan halfen aber mit, die Grundlage zu gewinnen, auf der der deutsche Generalstabschef seinen neuen Entschluß für den Herbst 1915 aufbauen konnte.


Der Entschluß zum serbischen Feldzug.

Seit dem Spätsommer 1915 hatte sich die Lage auf der Halbinsel Gallipoli in Besorgnis erregender Weise zugespitzt. Ohne Munitionsersatz, ohne ausreichende Luftstreitkräfte, ohne Verbindung mit ihren Bundesgenossen mußten die Verteidiger nach und nach erlahmen. Wurde von deutscher Seite aus nicht bald eingegriffen, so war die Niederlage der Osmanen auf Gallipoli vorauszusehen. Ihr mußten sich die Öffnung der Dardanellen, die Einnahme von Konstantinopel, die Bezwingung der Türkei und die Herstellung des Weges von den Westmächten nach Rußland und damit dessen schnelles Wiederaufleben als unabwendbare Folge anschließen.

Der deutsche Generalstabschef entschied sich daher, sobald es die Lage irgend gestattete, die Verbindung mit der Türkei durch Niederwerfung der Serben im Herbst 1915 zu erzwingen.

War die Öffnung des Weges von den Mittelmächten nach Konstantinopel der Hauptgrund, so sprachen auch andere Gründe für die Durchführung der serbischen Operation.

Mit der Besitznahme Serbiens faßte man außen um Rumänien herum und beraubte damit auch dieses Land endgültig seines Zusammenhanges mit den Westmächten. Ein heilsamer Einfluß auf die Bukarester Politik konnte nicht ausbleiben, der vielleicht auch nach der wirtschaftlichen Seite ausgewertet werden konnte. Gleichzeitig durchschnitt man die von der Adria und dem Ägäischen Meere durch Rumänien nach Rußland führende Verbindungen. Waren diese Verbindungen auch von untergeordneter Bedeutung, so war doch immerhin erst mit ihrer Beseitigung der völlige Abschluß Rußlands nach Westen durchgeführt.

Ein letzter Grund für die Operation war, daß die Bedrohung der öster- [30] reichisch-ungarischen Südflanke durch die serbische Armee unbedingt verschwinden mußte. Seit den unheilvollen Herbsttagen von 1914, da das Heer Potioreks unter schwerster Einbuße über die Donau zurückgedrückt war, hatte sich das militärische Selbstgefühl der Serben wesentlich gehoben, so daß die Südgrenze Ungarns dauernd einer gewissen Gefahr ausgesetzt war. Dieser Zustand und die Erinnerung an die traurige Niederlage Potioreks wurde in Österreich-Ungarn mit Recht als Schmach empfunden. Es war eine moralische Belastung, welcher der morsche Bau der Doppelmonarchie auf die Dauer nicht gewachsen war.

Der Feldzug gegen die Serben war also notwendig geworden. Daß er auch möglich geworden war, verdankte die deutsche Kriegsleitung den militärischen und politischen Folgen der vorangegangenen Offensive gegen Rußland. Die Lähmung der russischen Angriffskraft ermöglichte die Versammlung der notwendigen deutschen Truppen an der ungarischen Donau-Grenze. Durch den Eindruck der deutschen Siege in Galizien, Polen und Litauen wurde Bulgarien zum Anschluß an die Mittelmächte bestimmt.

Auf die Lösung der bulgarischen Frage nahm General v. Falkenhayn maßgebenden Einfluß, und manche erfreulichen Fortschritte in den heranreifenden Verträgen war dem Ansehen zu danken, das seine Persönlichkeit außerhalb der Grenzen des Vaterlandes genoß. Nur dieses Ansehen, seine persönliche Gewandtheit und die Tüchtigkeit des deutschen Heeres waren imstande, die Mängel zu ersetzen, die der Bulgare im Kreise der neuen Verbündeten fand und unter denen an erster Stelle das augenscheinliche, stetig sich mehrende Versagen der österreichisch-ungarischen Streitmacht stand.

Seit Ende August 1915 befand sich ein bulgarischer Oberst im deutschen Großen Hauptquartier. Die Mission dieses Offiziers sollte zunächst geheimgehalten, sein Name und Auftrag verschwiegen werden, da ungeschickte Indiskretionen geeignet waren, der Regierung in Sofia vorzeitig Schwierigkeiten gegenüber der Entente zu bereiten. Das deutsche Große Hauptquartier befand sich damals in Pleß; hier wurden der Generalstabschef und seine nächste Umgebung aus Zweckmäßigkeitsgründen aus der Hofküche verpflegt. Die Verpflegung des bulgarischen Offiziers stieß auf heftigen Widerstand der Küchenverwaltung, und es bedurfte des persönlichen Eingreifens des Generalstabschefs, um die Herren vom Hofe zu bewegen, den "Unbekannten" zu beköstigen. Der Vorgang war charakteristisch für die kleinlichen Schikanen, gegen die sich General v. Falkenhayn, der die Last des Weltkriegs trug, zu wehren hatte.

Die deutsch-österreichisch-ungarisch-bulgarische Militärkonvention wurde am 6. September abgeschlossen; sie stellte das konzentrische Zusammenwirken für die Truppenmächte der drei verbündeten Monarchien gegen Serbien sicher. Tags darauf wurden die politischen Verträge unterzeichnet. Deutschland versprach dem neuen Bundesgenossen das bulgarische Mazedonien und das östliche Serbien bis zur Morawa. Die griechischen Plätze Drama, Serres und Kavalla sollten [31] außerdem an Bulgarien fallen, falls Griechenland aktiv am Kriege gegen die Verbündeten teilnähme.

Die größten Schwierigkeiten bereiteten die bulgarischen Ansprüche auf den in türkischem Besitz befindlichen Gebietsstreifen westlich der Maritza. Es gehörte die ganze Hochherzigkeit des treuesten unter den verbündeten Staatsmännern, des osmanischen Ministerpräsidenten Talaat Pascha, dazu, um das Interesse des Ganzen über den Sondervorteil des eigenen Landes zu stellen und dem Verzicht zuzustimmen.

Es kam die Zeit, in der General v. Falkenhayn alle Kräfte aufbieten mußte, die sich immer wieder neu entgegenstellenden Hindernisse zu überwinden. Denn nun, nachdem mühselig die Grundlage für die ersehnte Operation errichtet war, setzten Hemmungen und Gefahren ein, geeignet, den ganzen Bau entscheidend zu erschüttern.

Zunächst weigerte sich der österreichisch-ungarische Generalstabschef, General v. Conrad, seine Verpflichtungen aus der Militärkonvention zu erfüllen und die zugesicherte Zahl Divisionen an die Donau zu schieben. Er begründete diese Weigerung mit einem Rückschlag, den die k. u. k. Truppen in Galizien infolge eines kurzen russischen Gegenstoßes erlitten hatten. In welche Stellung mußte aber Falkenhayn durch diese offenbare Unzuverlässigkeit des an sich schon schwierigen österreichisch-ungarischen Generals kommen, nicht nur gegenüber dem eben gewonnenen, aber doch noch unendlich mißtrauischen bulgarischen Bundesgenossen, der dadurch seinerseits sich seiner Verpflichtungen ledig erklären konnte, sondern auch gegenüber der gesamten Lage! Falkenhayn blieb nur übrig, die fechtenden österreichisch-ungarischen Divisionen durch deutsche zu ersetzen und vergrößerte dadurch das Wagnis gegenüber dem an der deutschen Westfront heraufziehenden Gewitter.

Denn es ließ sich nicht mehr bezweifeln, daß die Engländer und Franzosen hier eine Entlastungsoffensive größter Stärke vorbereiteten. Für den deutschen Generalstabschef, der soeben den siegreichen, aber auch für die Verbündeten verlustreichen Feldzug gegen die Russen vollendet hatte und nun einen wichtigen und ansehnlichen Teil seiner Truppen gegen Serbien versammelte, kamen Wochen schärfster Spannung. Die Last der Verantwortung mußte er allein tragen; kein Staatsmann stand ihm zur Seite, um ihm mit fester Hand zu helfen.

Am 21. und 22. September begann in Flandern, im Artois und in der Champagne das vorbereitende Artilleriefeuer der Feinde mit einer Stärke, wie die Truppen sie bisher noch nicht erlebt hatten. Von schlimmster Wirkung war, daß dieses Feuer viel weiter in das Hintergelände reichte, als man aus früheren Kampfhandlungen gewohnt war, und daß deshalb in überraschender Weise auch rückwärtige Abteilungen, Stäbe und der ganze Nachschub lahmgelegt wurden.

Trotzdem hatte der feindliche Infanterieangriff in Flandern und im Artois nur ganz vorübergehenden Erfolg, dann lief er sich fest. In der Champagne [32] aber brachen die Franzosen in breiter Front über die vordersten Linien vor, und das dortige Armee-Oberkommando, das über keine Reserven mehr verfügte, sah die Rettung nur noch in einer ausgedehnten Rückzugsbewegung.

Falkenhayn stand einer sehr schweren Lage gegenüber. Zuführung irgend nennenswerter Reserven an die bedrohte Armee war nur unter Aufgabe der serbischen Operation möglich; anderseits mußte damit gerechnet werden, daß ein Rückzug in der Champagne für die Bulgaren das Zeichen gewesen wäre, von dem eben geschlossenen Bündnis zurückzutreten. Da Österreich-Ungarn schon seine Verpflichtungen nicht einhielt, war ein Vorwand zur Kraftloserklärung der Verträge leicht gegeben.

Um die Lage zu halten, konnte der deutsche Generalstabschef kaum etwas anderes einsetzen als die Macht seiner Person. Er telephonierte mit dem von dem Schlage in der Champagne betroffenen Führern einzeln, ermahnte, tröstete und überzeugte. In diesen Tagen, besonders am 25. September, da neben der militärischen eine ganz besonders starke politische Verantwortung auf ihm lastete, war seine Ruhe so groß, daß sie allgemein in seinem Stabe bewundert wurde. Der vom Armee-Oberkommando beabsichtigte Rückzug wurde rundweg verboten, wenige zusammengeraffte Reserven an der entscheidenden Stelle in die Front geworfen, die Abtransporte nach Serbien aber unentwegt weitergeführt. Zu den umsichtigen Maßnahmen, zu der allgemeinen Überzeugung von der Notwendigkeit standzuhalten und zu der Tapferkeit der bewundernswerten Infanterie gesellten sich Fehler der Franzosen. Der mit großem Aufwand unternommene Angriff des Generals Joffre kam über den ersten Erfolg nicht weit hinaus. Der zähe Widerstand der deutschen Infanterie in der Champagne erhielt der Heimat den bulgarischen Verbündeten; er ermöglichte weiterhin die Vernichtung des serbischen Heeres und errettete die Türkei vor dem an den Dardanellen drohenden Zusammenbruch.

Am 6. und 7. Oktober begann der Donau-Übergang des Feldmarschalls v. Mackensen. Am 15. Oktober setzten sich die bulgarischen Armeen von Osten her gegen Serbien in Bewegung. In den ersten Novembertagen berührten sich die inneren Flügel des deutschen und bulgarischen Heeres, und am 5. November fiel die alte serbische Hauptstadt Nisch. Die Bahnverbindung von Berlin und Budapest über Belgrad, Nisch, Sofia und Konstantinopel war frei.

Wie groß die politische Bedeutung dieses Erfolges war, mußte sich schnell herausstellen. Die Absperrung Rußlands nach Westen war nun völlig durchgeführt; die Aussichtslosigkeit ihrer Kriegführung mußte der Petersburger Regierung früher oder später zu Bewußtsein kommen. Der serbische Gegner war einzeln geschlagen, von seinen Alliierten im Stich gelassen. Der Weg zur Türkei war frei, jeder notwendige Ersatz konnte den osmanischen Truppen auf Gallipoli zugeführt werden. Für die Entente aber brach die Hoffnung zusammen, die Durchfahrt durch die Dardanellen zu erzwingen. Zwar [33] versuchte man noch eine Reihe verlustreicher Anstrengungen, denn man fühlte in London wohl, daß ein Aufgeben des Unternehmens nichts anderes bedeutete als einen großen Sieg der Türken über England. Aber die Anstrengungen blieben ohne Erfolg, und Anfang Januar 1916 verschwanden die letzten Truppen vom Boden der europäischen Türkei.

Die historische Bedeutung des türkischen Waffenruhms von Gallipoli wird sich vielleicht erst später erkennen lassen, wenn über die Entwicklung der neuen Türkei keine Zweifel mehr bestehen. Der mit geringen Mitteln über die Großmächte Europas errungene Sieg kann dem osmanischen Volke noch einmal seine größte Erinnerung und sein schärfster Ansporn werden.


Die letzten Probleme von 1915.

Der deutsche Generalstabschef war schon im Oktober 1915 von der Erwägung neuer, sehr ernster Fragen in Anspruch genommen.

Am 5. Oktober landeten die ersten Ententetruppen in der griechischen Hafenstadt Saloniki. Das war eine Neutralitätsverletzung schlimmster Art, durchgeführt gegen den ausdrücklichen Einspruch des griechischen Staatsoberhauptes, ein Völkerrechtsbruch, der mindestens ebenso schwer war wie der deutsche Einmarsch in Belgien 1914. Theoretisch hätte die Folge dieser Aktion sein müssen, daß sich Griechenland jetzt bewaffnet auf Deutschlands Seite stellte, oder daß dieses, wenn Griechenland diesen Schritt nicht tat, den Griechen den Krieg erklärte.

Eine kurze Überlegung brachte jedoch den deutschen Generalstabschef zu der Erkenntnis, daß Griechenland gar nicht in der Lage war, sich auf die Seite der Mittelmächte zu stellen. Das Königreich war in seinem Lebensunterhalt vollkommen auf Zufuhren von außen angewiesen, die entweder von der Entente geliefert wurden oder aber doch wenigstens jederzeit von der Entente gesperrt werden konnten. Blieben diese Zufuhren aus, so waren die Mittelmächte infolge ihrer eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch nicht annähernd in der Lage, das kleine Land vor dem Verhungern zu schützen. Ebensowenig hatten die Mittelmächte die Möglichkeit, die langen griechischen Küsten mit ihren offenen Städten und Dörfern vor dem Geschützfeuer der englischen Kriegsschiffe zu bewahren oder Landungsversuche abzuwehren. Denn auf die griechische Armee konnte ein großen Vertrauen kaum gesetzt werden.

Der spätere Gewaltakt der Entente gegen König Konstantin hat die Wehrlosigkeit der kleinen Monarchie voll erwiesen. Nie offenbarte es sich deutlicher als hier gegenüber Griechenland, daß "Recht", "Gerechtigkeit" und "Uneigennützigkeit" lediglich im Munde, nicht aber in den Taten der Feinde zu finden waren, daß bei ihnen wie immer im Völkerleben nichts anderes gilt als Macht, und daß zur Erreichung ihrer politischen Ziele nur der eigene Nutzen und das Risiko des Unternehmens bedacht wird. Einem fast wehrlosen Volke, den Griechen gegenüber, ist aber das Risiko gering.

[34] Die Mittelmächte mußten sich mit der Tatsache abfinden, daß Griechenland den Neutralitätsbruch der Entente nicht mit einer Kriegserklärung beantwortete, und mußten diese Tatsache auch noch verständlich finden. Es blieb deshalb nur die Frage übrig, ob sie selbst die Feindseligkeiten gegen die Griechen eröffnen sollten.

Welcher militärische Vorteil sollte ihnen aber daraus erwachsen? Es war wirklich für die Mittelmächte nicht wünschenswert, sich einen neuen Gegner zuzuziehen. Allerdings erhofften Bulgarien und die Türkei von einer Kriegserklärung an Griechenland politische Vorteile, nämlich Rückgewinnung heiß begehrten, in früheren Feldzügen verlorenen Gebiets. Dem war aber gegenüberzuhalten, daß der den Bulgaren für ihre Kriegsteilnahme versprochene Landgewinn schon so ungeheuer war, daß sein Segen für den späteren Frieden auf dem Balkan stark bezweifelt werden mußte. Es konnte nicht im Sinne der Mittelmächte liegen, auch zwischen Bulgarien und Griechenland tödliche Feindschaft zu säen.

General v. Falkenhayn lehnte es deshalb ab, der deutschen Regierung eine Kriegserklärung vorzuschlagen, zu der sie formell berechtigt war.

Sehr viel schwerer zu beantworten aber war die Frage, ob die deutsche Kriegsleitung nicht genau dasselbe wie die Alliierten tun, nämlich ohne Kriegserklärung oder feindliche Kundgebung gegen die Athener Regierung auf griechisches Gebiet übertreten, dort die Truppen der Entente angreifen und aus Saloniki wieder hinauswerfen sollten.

Für diesen Entschluß sprachen gewichtige militärische Gründe. Räumte man hier mit den Alliierten auf, so ersparte man sich die mazedonische Front und gewann neue U-Boot-Stützpunkte am Ägäischen Meere. Unternahmen etwa die Alliierten daraufhin eine neue Landung in Athen, so konnte die Abwehrfront wenigstens nach Thessalien vorgeschoben werden, wo sie erheblich schmäler wurde und der Flotte U-Boot-Stützpunkte in der Adria gegenüber der apulischen Küste ermöglichte. (Die gefährliche Bedeutung der mazedonischen Front hat das letzte Kriegsjahr ja vollauf erwiesen.)

Die politischen Gründe, die gegen die Durchführung der Saloniki-Operation sprachen, waren nicht wesentlich von denen verschieden, die gegen die Kriegserklärung an Griechenland sprachen. Bereits der Einmarsch bulgarischer Truppen auf griechisches Gebiet mußte bei dem bestehenden Völkerhaß zu sofortigen und zukünftigen Gegensätzen führen, die sich in jedem Falle über kurz oder lang zu einer tödlichen griechisch-bulgarischen Feindschaft, also zu einem Hinüberstoßen der Griechen zu den Gegnern entwickeln mußten.

Dazu traten Gründe, die teils politischer, teils militärischer Art waren.

Der Feindbund konnte seine Truppen, die vom griechischen Boden verjagt wurden, auf beliebigen anderen Kriegsschauplätzen verwenden; er konnte durch sie sich an der Stelle, die ihm beliebte, einen Zuschuß an Macht schaffen. Ganz anders lagen die Verhältnisse auf seiten der Mittelmächte. Eine Verwendung [35] der frei werdenden bulgarischen Truppen, etwa in Frankreich oder gegen die Russen, kam nach den abgeschlossenen Verträgen überhaupt nicht in Betracht, und die bulgarische Heeresleitung hätte es rundweg abgelehnt, ihre Divisionen auf Kriegsschauplätze transportieren zu lassen, die in der Militärkonvention nicht berücksichtigt waren. Daraus ergab sich, daß durch den Wegfall der mazedonischen Front das bulgarische Heer eigentlich keine Aufgaben mehr hatte, daß die bulgarische Regierung ihr Interesse an der Weiterführung des Krieges voraussichtlich stark einschränken würde. Das aber mußte vermieden werden.

Wenn General v. Falkenhayn sich nach langem Schwanken dazu entschied, auf die Saloniki-Operation zu verzichten, so waren wohl in der Hauptsache militärische Gründe dafür maßgebend. Der Angriff auf Saloniki erforderte eine außerordentlich lange und unbequeme Etappenlinie, die erst vorbereitet und ausgebaut werden mußte. Dadurch wurde das Unternehmen bis tief in das Jahr 1916 hinein verschoben, also in eine Zeit, für die der Generalstabschef bereits andere Pläne erwog. Ihm kam es aber im Rahmen seiner Grundanschauungen über die Führung des Krieges darauf an, die mazedonische Offensive abzubrechen, sobald sie ihren Zweck erfüllt hatte, und der Zweck schien mit der Öffnung des Weges nach Konstantinopel, der dem serbischen Heere beigebrachten vernichtenden Niederlage erreicht zu sein.

Ende Dezember 1915 wurde deshalb, im allgemeinen der serbisch-griechischen Grenze folgend, die Dauerstellung eingerichtet. Der Abbruch des mit so großem Erfolge geführten serbischen Feldzuges wurde später viel bedauert. Auch wer ihn für fehlerhaft hält, wird sich den ernsten Beweggründen des deutschen Generalstabschefs aber kaum verschließen.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte