Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 1: Die politischen Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Frühjahr 1915 bis zum Herbst 1916
(Forts.)
Major Adalbert v. Wallenberg
2. Das Jahr 1915.
Die Lage im Frühjahr 1915.
Als seitens der Obersten Heeresleitung über die Führung der
Operationen im Jahre 1915 ein Entschluß gefaßt werden sollte,
mußte als Vorbedingung hierzu natürlich die Frage beantwortet
werden, ob sie überhaupt die Freiheit zu einem Entschluß hatte. Die
Antwort hing ab von der zweiten Frage: Waren alle vorhandenen Truppen an den
Fronten der Mittelmächte festgelegt oder hatte der Generalstabschef
Reserven zur Verfügung, deren Schlagkraft in irgendeiner Richtung
eingesetzt werden konnte? Nur diese gaben ihm die Möglichkeit, seinerseits
die Initiative aufzunehmen.
Die Freiheit des Entschlusses war vorhanden. Bis zum Frühjahr 1915 waren
infolge der noch von ihm selbst als Kriegsminister getroffenen Anordnungen eine
Reihe deutscher Divisionen neu aufgestellt, andere hinter den Fronten
aufgefüllt, so daß eine ansehnliche Truppenmacht bereit stand, um
dort verwandt zu werden, wo es nach den politischen und militärischen
Anschauungen der führenden Männer am
zweckmäßigsten erschien.
Die Gesamtlage der Mittelmächte war um diese Zeit folgende:
Auf dem westlichen Kriegsschauplatz hatten die Alliierten im Februar in der
Champagne und bei Arras, im März in der Gegend von Lille und
südöstlich Verdun angegriffen. Der Verteidiger hatte kritische Tage
erlebt, aber im großen hatten die Schlachten doch mit einem Siege der
deutschen Abwehr geendet. Die deutsche Westfront stand fest, und es war
vorauszusehen, daß sie auch ohne wesentliche Verstärkungen noch
lange Zeit feststehen würde. Die Möglichkeit eines Übergangs
zur Offensive allerdings, auf die man seit der Herbstschlacht von Ypern verzichtet
hatte, schied aus, und es war auch keine Hoffnung, selbst mit Einsatz der
verfügbaren Heeresreserven, dem an Menschen und Material weit
überlegenen Feinde gegenüber irgend etwas Ausschlaggebendes zu
erreichen.
Auch im Osten war für die Abwehr auf dem deutschen Teile der Front
wenig zu befürchten, trotzdem die Besatzung der deutschen Linien durch
dauernde Abgaben an die Front
Österreich-Ungarns stark geschwächt war. Der
österreichisch-ungarische Frontteil war aber trotz dieser starken
Durchsetzung mit deutschen Truppen eine schwere Sorge für die deutsche
Oberste Heeresleitung. [10] Ein russischer Angriff konnte die
unangenehmsten Überraschungen, ja den völligen Zusammenbruch
bringen, und der Generalstabschef der
österreichisch-ungarischen bewaffneten Macht, General v. Conrad, in
Kenntnis der deutschen Neuaufstellungen, verlangte in dringender Weise nach
diesen, um seine Reihen zu stützen.
Das waren recht unerfreuliche Erscheinungen, deren Auswirkung sowohl aus
politischen wie aus militärischen Gründen die Entschlüsse der
Obersten Heeresleitung entscheidend beeinflussen mußte. Doch war nicht
zu verkennen, daß auch auf russischer Seite die Widerstandskraft hier und
da nachgelassen hatte. Dem Riesenreiche, das allerdings an
Menschenkräften unerschöpflich war, fehlte dafür die
Möglichkeit, seine Materialverluste zu ersetzen, und die Westmächte
hatten noch keinen sicheren Weg gefunden, den Russen das fehlende Material
zuzuführen.
Das war das Charakteristische an der Lage, daß bei beiden miteinander
ringenden Staatengruppen eine Macht abseits stand und von ihren
Bundesgenossen nur schwer unterstützt werden konnte. Auf beiden Seiten
war die getrennt stehende Macht gerade die, welche am wenigsten in der Lage
war, sich durch ihre eigene Industrie mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial zu
versorgen und welche daher am meisten der Hilfe ihrer Mitkämpfer
bedurfte. Auf seiten der Entente war dieser Staat Rußland, auf seiten der
Mittelmächte die Türkei.
Zur Türkei konnte deutsche Unterstützung, da Serbien zusammen
mit der Entente kämpfte, nur durch das neutrale Rumänien gelangen,
das aber, in seinen politischen Entschlüssen schwankend, den Verkehr auf
alle erdenkliche Weise erschwerte. Die Verbindung der Westmächte nach
Rußland war, solange die Türkei die Dardanellen beherrschte, nur
über Ostasien möglich, also auf einem Wege von
außerordentlicher Länge, oder durch das Nördliche Eismeer an
eine bahnarme Küste, an der die See noch dazu größtenteils
frühzeitig zufror. Eine Verbindung quer durch die
Balkan-Halbinsel von der Adria zum Schwarzen Meer
mußte - infolge fehlender Transportmöglichkeiten durch
Serbien und die neutralen
Staaten - völlig ausscheiden.
Für Rußland war die Belieferung mit Material aus den
Vorräten der Westmächte mit dem Jahre 1915 dringend geworden.
Darin lag die Ursache für den Entschluß, die Durchfahrt durch die
Dardanellen zu erzwingen. Seit dem 19. Februar lagen die türkischen
Befestigungen unter dem Feuer der britischen und französischen
Kriegsschiffe, und am 25. April erfolgte, als der Flottendurchbruch mit einem
schweren Mißerfolge endete, die Landung der alliierten Truppen auf der
Halbinsel Gallipoli.
Der Abwehrkampf, den die Türken hier zu führen hatten, war
ungeheuer schwer, denn es gebrach ihnen eigentlich an allem, wessen man zur
Kriegführung bedarf: an Waffen, Flugzeugen, jeder Art Gerät,
besonders aber an [11] Munition. Der einzige, der helfen konnte, war
Deutschland, und dem war, wie schon hervorgehoben, der Weg durch das
feindliche Serbien und durch das neutrale Rumänien versperrt.
Der Gedanke lag deshalb nahe, die im Frühjahr 1915 verfügbaren
deutschen Kräfte dazu zu verwenden, um Serbien niederzuringen,
gewaltsam den Weg nach Südosten zu öffnen, dem türkischen
Bundesgenossen Hilfe zu bringen und eine dauernde und sichere Verbindung mit
ihm herzustellen. Die militärische Notwendigkeit wurde hier in besonderem
Maße durch die politische Rücksicht gesteigert.
Bereits seit November 1914 hatten sich der Reichskanzler und der
Staatssekretär des Äußeren bei der Obersten Heeresleitung
dafür eingesetzt, daß die serbische Operation durchgeführt
würde. Als dann seit dem Beginn des feindlichen Durchbruchsversuchs im
Frühling 1915 mit dem Kampf um Gallipoli der Munitionsmangel bei den
türkischen Truppen verhängnisvoll zu werden drohte, drahtete der
deutsche Botschafter in Konstantinopel wiederholt, die Erzwingung des Weges
zur Türkei sei dringendste Notwendigkeit geworden, und das
Auswärtige Amt schloß sich dieser Forderung an.
Hier lag also tatsächlich einmal der Fall vor, daß die politischen
Stellen eine bestimmte Weisung für die Kriegführung auszugeben
versuchten. Aber diese Weisung berücksichtigte nur einen aus dem
Zusammenhang der Gesamtlage und ohne Berücksichtigung der
militärischen Lage auf allen Fronten gerissenen Einzelfall, ohne auf breiter
Grundlage die Pläne darzulegen, nach denen der Reichskanzler das Volk
politisch durch das Jahr 1915 zu führen gedachte.
General v. Falkenhayn
mußte den gemeinsamen Wunsch des
Kanzlers, des Staatssekretärs und des Botschafters abschlägig
bescheiden; andere politische und militärische Rücksichten waren
dringender. Er tat es mit schwerem Herzen, denn niemand hätte lieber wie
er den tatkräftigen und treuen Männern geholfen, die am Bosporus
ihre osmanische und damit auch die deutsche Sache vertraten. Aber die serbische
Operation konnte im Frühling 1915 nicht unternommen werden; sie war
für jeden, der über die nächstliegende Forderung hinaus in die
weitere Entwicklung blickte, aus politischen und militärischen
Gründen eine Unmöglichkeit.
Zunächst war die Operation, wenn sie lediglich von der ungarischen Seite
aus begonnen wurde, außerordentlich schwer. Die Lage des
Kriegsschauplatzes forderte die Mitwirkung der Bulgaren geradezu heraus; aber
die Bulgaren waren bis jetzt vom Auswärtigen Amt noch nicht für
den Anschluß gewonnen. Solange Rumänien nicht offen als Feind der
Mittelmächte auftrat, war gerade der Kampf gegen die Serben das Ziel, um
dessentwillen die bulgarische Bundesgenossenschaft wünschenswert war.
Hatten die Verbündeten die Serben unter den dann unausbleiblichen
schweren Blutopfern allein niedergerungen, so sank die Bedeutung der
bulgarischen Freundschaft für sie erheblich.
Dieser Grund war überzeugend, aber er war nicht der wichtigste.
[12] Viel ernster war die Folgerung aus der Lage an
der Ostfront bei dem
österreichisch-ungarischen Bundesgenossen. Ein Erfolg in Serbien konnte
weder die Unsicherheit beseitigen noch die Katastrophe ausgleichen, die der
drohende russische Einfall in Ungarn hervorrufen mußte. Wenn er Erfolg
hatte - und das war nach der sich zuspitzenden militärischen Lage
sehr wohl
möglich -, so würde er sich nicht auf
Österreich-Ungarn beschränkt haben; er hätte sich sofort in
politische Weiterwirkung umgesetzt und damit auch eine erhebliche
Verschärfung der militärischen Lage herbeigeführt. Italien und
Rumänien warteten nur auf eine weitere Verschlechterung der Lage der
Mittelmächte, um ihre bisherige zweifelhafte Neutralität in einen
Anschluß an die Entente umzuwandeln.
Das Entscheidende in seinen Entschlüssen konnte für General
v. Falkenhayn nur die Rücksicht auf diese beiden Mächte sein,
die in absehbarer Zeit neu in die Reihen der Gegner eintreten mußten.
Gewiß konnte man erwägen, Rumänien gleichzeitig mit
Serbien anzugreifen und dadurch die Gefahr von dieser Seite durchgreifend zu
beseitigen. Der serbische Feldzug wurde aber dadurch nicht leichter, und es war
recht mißlich, sich einen neuen Feind auf den Hals zu ziehen, dessen
Eingreifen man vielleicht noch länger hinausschieben konnte. Auch die
wirtschaftlichen Gründe, die für den Krieg gegen Rumänien
angeführt wurden, die Sicherung der Weizenernten und
Ölvorkommen in der Walachei, waren nicht schlagend. Deutschland hat
später zu seinem Leidwesen die Erfahrung gemacht, daß man aus
einem friedlichen Lande durch Verträge immer noch mehr herausholen kann
wie aus einem halbzerstörten eroberten Gebiet mit widerwilligen
Bewohnern.
Auch kam die drohendste Gefahr gar nicht von Rumänien, sondern von
Italien. Die Frage des Kriegseintritts Italiens war nach Ansicht des Generals
v. Falkenhayn so brennend, daß sie bei jeder Erwägung
für die Operationen des Jahres 1915 an erster Stelle berücksichtigt
werden mußte.
Die Hoffnung, daß Italien an der Seite seiner
Friedens-Bundesgenossen kämpfen werde, hatte spätestens an dem
Tage aufgegeben werden müssen, an dem England den Krieg
erklärte. Der Dreibund wäre nicht in der Lage gewesen, die
langgestreckten Küsten der
Apennin-Halbinsel gegen die britische und französische Flotte zu
schützen. Aber wohlwollende Neutralität hatte man auf Grund des
bisherigen Verhältnisses auch da noch von Italien erhoffen können,
Bindung französischer Truppen an der Alpengrenze, Erleichterung jeder
Art von Einfuhr zu den Mittelmächten und Gewährung der
Möglichkeit an
Österreich-Ungarn, sich die militärische Sicherung seiner
Südwestgrenze zu ersparen.
In allen diesen Erwartungen war Deutschland schnell und gründlich
enttäuscht worden; bereits in den ersten Kriegsmonaten hatte in Rom die
englische Politik einwandfrei über die deutschen Bestrebungen gesiegt. Als
im Oktober 1914 Sonnino Außenminister wurde, mußte jeder Zweifel an der sich dauernd
verstär- [13] kenden Feindseligkeit
des früheren Dreibundgenossen schwinden. Der Artikel des
Dreibundvertrages, nach dem Italien bei Gebietserwerbungen
Österreich-Ungarns auf dem Balkan Kompensationen fordern könne,
wurde von dem neuen Minister willkürlich so ausgelegt, daß diese
territorialen Kompensationen in umfassender Weise sofort zu gewähren
seien. Es war der erste Schritt einer Erpresserpolitik, deren Zweck nur der war,
zum Bruch zu treiben. Mit dem Beginn des Jahres 1915 war es klar, daß
Italien über kurz oder lang in der Reihe der Feinde stehen würde.
Der Gedanke, die im Frühjahr 1915 verfügbaren deutschen Truppen
sofort gegen diesen neuen Gegner einzusetzen, hatte etwas Bestechendes, zumal
man überzeugt war, daß das italienische Heer im Verhältnis zu
seiner zahlenmäßigen Stärke nur Minderwertiges würde
leisten können. Eine kurze Überlegung mußte aber dazu
führen, die Durchführung dieses Gedankens außer Betracht zu
stellen.
Eine Operation gegen die Italiener brachte der
österreichisch-ungarischen Ostfront noch weniger Entlastung als eine
Operation gegen die Serben und Rumänen. Auch wurde die
Kriegserklärung Italiens zwar in absehbarer Zeit erwartet, sie war aber
noch keineswegs Tatsache geworden. Die Mittelmächte hätten also
durch Losbrechen gegen die
Po-Ebene den neuen Gegner unnötig früh auf den Plan gerufen und
sich auch keine sehr günstige moralische Position für diesen Feldzug
geschaffen. Die Entente hätte die Möglichkeit gehabt, einen
angeblichen neuen Rechtsbruch der Deutschen in die Welt hinauszulügen,
und Millionen urteilsloser Menschen hätten dies ebenso geglaubt wie die
anderen Verleumdungen.
Auch brachte der Friedenszustand mit Italien Deutschland gewisse Vorteile, die
man nicht zu früh zerstören wollte: eine, wenn auch
beschränkte Möglichkeit der Einfuhr und der Verbindung zu den
Feinden. Diese Gründe veranlaßten Deutschland, den
Friedenszustand mit Italien bis zum Herbst 1916 aufrechtzuerhalten und dabei
selbst recht unnatürliche Lagen nicht zu scheuen.
Da nach Abwägung dieser Rücksichten die Offensive gegen
Frankreich, gegen
Serbien-Rumänien und gegen Italien abzulehnen war, blieb dem General
v. Falkenhayn für die Verwendung der im Frühling 1915
verfügbaren Truppen nur ein Entschluß übrig: die Gefahr an
der
österreichisch-ungarischen Ostfront mußte so schnell wie
möglich beseitigt werden, noch ehe Italien und womöglich auch
Rumänien in den Kampf eingriffen. Dieser Entschluß bedeutete die
Offensive gegen die Russen.
Es war eine sehr schwere Aufgabe für den Generalstabschef, im Angesicht
der italienischen Kriegsdrohung und der doch immerhin recht ernsten Lage im
Westen, diesen Entschluß zu fassen. Die Verantwortung dafür ruhte
allein auf seinen Schultern. Der Reichskanzler hatte andere Pläne gehabt,
die sich kaum mit den politischen, keinesfalls aber mit den militärischen
Notwendigkeiten gedeckt hatten. Er hatte sich hier wie oft nicht zu dem
Entschluß durchringen können, [14] dem Lehrsatz von Clausewitz zu entsprechen,
daß der politischen Führung eine gewisse Einsicht in das
militärische Kriegswesen nicht fehlen darf. General v. Falkenhayn
war lediglich auf sein eigenes Wollen und seine eigene Überzeugung
angewiesen, als er an die ernste Aufgabe von 1915 herantrat.
Die Gründe für die große Offensive gegen Rußland
waren also im wesentlichen negativ. Man mußte die russische Gefahr
zerschlagen, das russische Heer angriffsunfähig machen, weil man anders
nicht gerüstet sein konnte, mit freiem Rücken den neuen
italienischen Gegner zu bestehen.
Hieraus ergab sich die Folgerung, daß dieser neue Gegner, wenn
irgend möglich, so lange am Eingreifen verhindert werden mußte, bis
der Erfolg gegenüber Rußland erreicht war. Die Erfüllung
dieser Forderung wurde dadurch erleichtert, daß man über den
mangelhaften Stand der italienischen
Mobilmachungs- und Aufmarschvorbereitungen bestimmte Kunde hatte.
Im übrigen war es Sache des Leiters der äußeren Politik, die
Kriegserklärung Italiens möglichst hinauszuschieben. Hierzu
mußte in erster Linie der Einfluß des Mannes ausgenutzt werden, der
lange Zeit in Rom als Botschafter gewirkt hatte und einer der fähigsten und
entschlossensten Staatsmänner war, der Einfluß des Fürsten
Bülow.
Die Entsendung des Fürsten Bülow nach Rom wurde vom
Generalstabschef warm befürwortet; das Telegramm, das die
endgültige Ernennung des Fürsten zum Botschafter anzeigte, wurde
demgemäß von Falkenhayn, der es auf einer Reise nach dem Osten
erhielt, mit Befriedigung begrüßt.
Allerdings konnte der Generalstabschef der deutschen Botschaft in Rom manches
Mal nicht in ihren optimistischen Erwartungen folgen. Als die Mitteilung kam,
daß man nicht nur Neutralität, sondern "Waffenhilfe" fordere,
schüttelte der nüchterner denkende General den Kopf. Auch sagte er
wohl, daß die Bedeutung und die Schaffensmöglichkeit der
Gesandten in moderner Zeit doch stark zurückgetreten sei; so könne
ganz zwangsläufig der kleine Korrespondent der Frankfurter
Zeitung in Mailand manches erkennen, was dem Fürsten in der Villa
Malta verborgen bliebe.
Es war aber doch das große, auch von Falkenhayn uneingeschränkt
anerkannte Verdienst Bülows, die italienische Kriegserklärung
wenigstens bis Ende Mai verzögert zu haben, bis zu einer Zeit, da durch
den Sieg von Gorlice und seine Folgen die schwerste, von Rußland
drohende Gefahr beseitigt war.
Unterstützt wurden die Bemühungen des Fürsten dadurch,
daß
Österreich-Ungarn, allerdings unter stärkstem deutschen Druck, sich
entschloß, den erpresserischen Forderungen Italiens bis auf das
Äußerste entgegenzukommen. Die
österreichisch-ungarischen Konzessionen, die der Kanzler am 18. Mai 1915
im deutschen Reichstag mitteilte, waren: Abtretung des von Italienern bewohnten
Teils von Tirol und des Westufers des Isonzo mit der Stadt Gradisca an Italien,
Erhebung von Triest zu freier kaiserlicher Stadt mit italienischer
Selbst- [15] verwaltung und Universität, Anerkennung
der italienischen Souveränität über Valona und des
österreichisch-ungarischen désintéressements an
Albanien. Aus diesen Konzessionen ergibt sich,
daß - wenn auch unter Widerstreben - die deutsche wie
besonders die
österreichisch-ungarische Regierung außerordentlich weit ging, um
der militärischen und politischen Lage, wie sie der deutsche
Generalstabschef beurteilte, gerecht zu werden.
So hatte man sich über den negativen Zweck des russischen Feldzuges zu
allgemeiner Klarheit gefunden. Dagegen sollten über die Ausführung
der Operation sowie über die positive Seite der Unternehmung,
nämlich die Frage, was tatsächlich den Russen gegenüber
erreicht werden sollte, sehr bald die Ansichten der führenden Feldherrn
auseinandergehen.
Die Ausführung der Operation mußte sich nach dem von Falkenhayn
aufgestellten Grundsatz richten, mit möglichst geringen eigenen Opfern die
Angriffskraft der Russen für möglichst lange Zeit zu zerschlagen.
Über diesen Grundsatz waren sich der Oberbefehlshaber
Ost - Feldmarschall
v. Hindenburg und General
Ludendorff - mit dem Generalstabschef im Großen Hauptquartier
einig; aber darüber, wie dieser Grundsatz militärisch in die Tat
umzusetzen sei, entwickelte sich eine Verschiedenheit der Überzeugungen,
die bis zum Juli 1915 zu einer starken Spannung anwuchs.
Diese strategischen Anschauungsdifferenzen könnten an dieser Stelle
unerwähnt bleiben, wenn ihnen nicht eine grundlegende Auffassung
über das in Rußland positiv Erreichbare zugrunde gelegen
hätte - eine Auffassung ebensowohl militärischer wie
politischer Art. Sie war bei den beiden maßgebenden Männern, bei
Falkenhayn und Ludendorff, verschieden.
Bereits im November 1914, als die deutsche 9. Armee aus der Linie
Wreschen - Thorn nach Polen hinein vorstieß, hatte General
Ludendorff geglaubt, dieser Vorstoß würde bei Unterstützung
durch wenige, aus dem Westen herübergezogene Divisionen einen
"kriegsentscheidenden" Erfolg haben, und er hatte es dem Generalstabschef
verübelt, daß die Westdivisionen zur Verwendung bei Ypern
zurückgehalten waren. So hoffte Ludendorff, der die hohen Gedanken Schlieffenscher
Vernichtungsstrategie im Herzen trug und die Willenskraft zu
ihrer Verwirklichung besaß, nun auch 1915, er könne die Russen
durch seine überlegene Führung in kriegsentscheidender Schlacht
vernichten.
General v. Falkenhayn
war anderer Ansicht. Ihm schien die Schlieffensche
Vernichtungstheorie zunächst nur auf die Schlachtentscheidung anwendbar,
und er hielt für das moderne Kriegswesen weitere Voraussetzungen
für notwendig, um von der Schlachtentscheidung bis zu dem Punkte zu
schreiten, an dem man den Gegner zum Frieden zwingen konnte.
Diese Voraussetzungen waren, soweit sie militärischer Art waren, nach
Falkenhayns Ansicht nur im Westen vorhanden. Hier konnte man nach dem Sieg
auf dem Schlachtfelde beliebig große Teile des feindlichen Landes besetzen,
[16] eine Neubewaffnung des Volkes verhindern und
dadurch den Franzosen schließlich die Fortführung des Krieges zur
Unmöglichkeit machen.
Ganz anders lagen nach seiner Ansicht die Verhältnisse in Rußland.
Selbst die glänzendste Schlachtentscheidung brauchte in ihrer Auswirkung
die Russen nicht zum Frieden zu zwingen; die deutschen Truppen konnten ihren
Gegnern nicht bis in den Osten des gewaltigen Reiches hinein nachlaufen; wohl
aber konnten diese stets neue Menschenmassen zu den Fronten rufen, um den
Krieg fortzusetzen.
Um Rußland zu bezwingen, mußte nach Falkenhayns
Überzeugung ein ganz anderes Verfahren Platz greifen. Rußland
mußte durch dauernde Schläge materiell und moralisch
zermürbt - hier kann man fast sagen
"ermattet" - werden. Die Petersburger Regierung ebenso wie das Volk des
weiten Zarenreiches mußten erkennen, daß alle ihre Anstrengungen
unter riesenhaften Verlusten zunichte wurden, daß sie das Kriegsmaterial,
das sie in steigendem Maße verloren, nicht ergänzen konnten und
dadurch neuen, noch ungeheuerlicheren Menschenverlusten entgegengingen. So
mußte mittelbar und unmittelbar die Unzufriedenheit mit dem Feldzuge
geschürt werden und der Widerstand gegen die Fortsetzung des Krieges;
dabei mußte dauernd die Möglichkeit eines billigen Friedens in
erreichbare Nähe gebracht werden, bis der Zar oder das Volk die Waffen aus
der Hand legte.
Dieses Verfahren dauerte natürlich lange; man konnte nicht absehen, wann
es Erfolg bringen würde. Die Tatkraft der feindlichen Führer und die
Psyche des russischen Volkes konnte man nicht mathematisch berechnen, aber
man konnte nach Falkenhayns Ansicht die Stöße dort ansetzen, wo
man wollte, und zu der Zeit, da man es vermochte, und konnte sich eine gewaltige
Vernichtungsschlacht sparen, wenn sie in ihrer Ausdehnung der Gesamtlage nicht
zu entsprechen schien.
Der Gedankengang Falkenhayns gegenüber Rußland erforderte
Zusammenwirken zwischen Politik und Heerführung, ja die Aufgabe der
Politik war kaum unwichtiger wie die der Heerführung. Allerdings war das
Ziel in absehbarer Zeit nur zu erreichen, wenn man es nicht mit gleichzeitigen
Freiheitsversprechungen an die Polen und an andere Teilvölker belastete,
und wenn man diese Freiheitsversprechungen auch dann nicht hervorholte,
nachdem man vorübergehende politische Mißerfolge in Petersburg
erlitten hatte.
Die italienische Kriegserklärung.
Am 23. Mai 1915 erklärte Italien an
Österreich-Ungarn den Krieg. Um diese Zeit war die militärische
Lage der Mittelmächte folgende:
Durch die deutsche Offensive, die mit dem Durchbruch von Gorlice eingesetzt
hatte, waren die Russen zwischen Stryj (70 km südlich Lemberg) und der
Pilitza (80 km südwestlich Warschau), also in einer Frontbreite von rund
vierhundert Kilometern zum Rückzug gezwungen worden. Die
verbündeten Truppen standen [17] vor der Festung Przemysl, die westliche
Hälfte von Galizien war vom Feinde befreit. Der Erfolg war groß,
auch im Hinblick auf die Zahlen an Gefangenen und Beute, er mußte jedoch
noch erheblich ausgebaut werden, wenn man wirklich die Gefahr eines russischen
Gegenangriffs für längere Zeit abwenden wollte.
Selbstverständlich riefen die Russen um Hilfe und verlangten Entlastung
durch ihre Bundesgenossen. Die Westmächte sahen sich genötigt,
diese Entlastung zu versuchen.
Auf dem westlichen Kriegsschauplatz griffen die Engländer bei Lille, die
Franzosen bei Arras an. Die Angriffe wurden, wenn auch nicht ohne Mühe,
abgeschlagen; irgendeinen Einfluß auf die Gesamtkriegslage hatten sie
nicht.
Ernster waren die Anstrengungen der Alliierten im Osten. Die Lage auf der
Halbinsel Gallipoli wurde für die Türken von Tag zu Tag
gefährdeter und bedeutete eine schwere Nervenbelastung für die
osmanische, wie für die deutsche Oberste Heeresleitung.
Fast ebenso wichtig waren die Bemühungen des Feindbundes, den Russen
auf politischem Gebiet eine Entlastung zu bringen. Die Alliierten versuchten, die
beiden noch neutralen Balkanstaaten, Bulgarien und Rumänien, für
sich zu gewinnen, und da die Mittelmächte dieselben Ziele hatten,
mußte sich in Sofia und Bukarest ein scharfer diplomatischer Kampf
entspinnen.
In diesem Kampf stellte naturgemäß jede der beiden Parteien dem
umworbenen Staat hohen Lohn für seine Bundesgenossenschaft in
Aussicht. Der wichtigste Teil dieses Lohnes war ein Gebietszuwachs, der im
wesentlichen auf Kosten der Gegenpartei gedacht war. So versprach die deutsche
Vertretung den Bulgaren Teile des serbischen Mazedoniens und den
Rumänen das russische Bessarabien, mußten bei diesem
letztgenannten Versprechen aber wieder den schweren Nachteil in Kauf nehmen,
etwaige Friedensmöglichkeiten mit Rußland zu erschweren.
Die Position der Entente war in diesem diplomatischen Ringen weit vorteilhafter,
denn sie begnügte sich nicht damit, den Rumänen
Siebenbürgen, den Bulgaren Thrazien, also feindliches Territorium, zu
versprechen, sie stellte auch Landerwerb auf Kosten des serbischen
Verbündeten oder des neutralen Griechenland in Aussicht. Solch eine
Rücksichtslosigkeit gegenüber dem eigenen, aber schwächeren
Bundesgenossen und dem hilflosen Neutralen war für Deutschland eine
Unmöglichkeit.
Trotzdem gelangte die Entente in Sofia und Bukarest nicht zum Ziel. In Sofia
ward den Mittelmächten in dem Haß, den der Bulgare seit dem
zweiten Balkankriege gegen Serbien und Rumänien hegte, eine starke
Hilfe, und die Rumänen waren durch den Erfolg der deutschen Waffen bei
Gorlice zur Vorsicht bewogen worden.
Vergleicht man also im ganzen die Lage der Mittelmächte zur Zeit der
italienischen Kriegserklärung mit der Lage einen Monat früher, so
kann man [18] folgende Unterschiede feststellen: Die
Spannungen im Westen waren geringer, die auf Gallipoli schärfer
geworden. Die aus Rußland drohende Gefahr war gemildert, ein Eingreifen
neuer Feinde vom Balkan her
stand - unmittelbar jedenfalls - nicht bevor. Dagegen war das
Eingreifen Italiens zur Wirklichkeit geworden mit der Einschränkung,
daß die italienische Armee infolge mangelhafter Vorbereitungen nicht zu
sofortigem Angriff bereit war und wohl auch durch die an der
österreichisch-ungarischen Grenze versammelten k. u. k.
Kräfte eine Zeitlang abgewehrt werden konnte.
Auf diesen militärischen und politischen Grundlagen mußten die
verantwortlichen Führer der Mittelmächte, in erster Linie der
deutsche Generalstabschef, einen neuen Entschluß aufbauen.
Die Ansichten über das, was zu tun war, waren sehr verschieden.
Die politischen Stellen Deutschlands hielten sich in der Offenlegung ihrer
politischen Pläne, wie immer, zurück; es mußte aber
angenommen werden, daß sie an ihrem Wunsche baldiger Erzwingung einer
Verbindung zur Türkei festhielten. Mit Rücksicht auf die
militärische Lage im Osten und gegenüber Italien konnte diesem
Wunsche jedoch von dem deutschen Generalstabschef noch immer nicht
Rechnung getragen werden. Auch fehlte mit der noch immer nicht erreichten
Bundesgenossenschaft Bulgariens die politische und militärische
Voraussetzung.
Der Chef des Generalstabs der österreichisch-ungarischen bewaffneten
Macht, General v. Conrad,
stimmte, österreichische Interessen in den
Vordergrund schiebend, für Aufnahme der Offensive gegen Italien. Das
bedeutete Abbruch der Angriffe im Osten, da für beide Zwecke zu gleicher
Zeit auch nicht annähernd genügend Kräfte vorhanden
waren.
Um den Wunsch des General v. Conrad zu verstehen, muß man sich in die
seit langem tief begründete Auffassung des verbündeten Feldherrn
hineindenken.
Schon in den letzten Jahrzehnten vor dem Kriege hatte General v. Conrad mit
einer Schärfe, die vielen anderen Beurteilern gefehlt hatte, erkannt,
daß in einem zukünftigen Feldzuge auf die Italiener als
Bundesgenossen nicht zu rechnen sei. Das Verhalten der Regierung zu Rom
gelegentlich mancher Krisen der deutschen Außenpolitik hatte die
Überzeugung Conrads nicht nur befestigt, sondern auch mit der dauernd
anwachsenden Besorgnis beschwert, Italien werde als Gegner auftreten, sobald es
die Lage für günstig ansähe, diesen Schritt zu tun. Diese
Besorgnis hatte den
österreichisch-ungarischen Generalstabschef bereits mehrere Jahre vor dem
Weltkriege zu der Forderung veranlaßt, man müsse der Entwicklung
zuvorkommen, den unzuverlässigen Dreibundgenossen abschütteln
und mit militärischen Machtmitteln schwächen.
Der Weltkrieg sah die Befürchtungen Conrads bestätigt. Kein
Wunder, daß der greise General, den sein ganzes Denken zum Haß
gegen den Welschen geführt hatte, jetzt von Empörung erfüllt
war über die erpresserischen Forderungen der [19] italienische Regierung, denen trotz allen
Konzessionen der Vertragsbruch und der treulose Frontwechsel auf dem
Fuße folgte.
Es sprach hier der Zorn des geraden, soldatisch erzogenen Charakters mit, der sich
mit den stärksten politischen Begründungen nicht über die
Tatsache hinwegbringen ließ, daß das, was der Italiener tat, eine
Gemeinheit, eine Infamie war. Haben doch auch italienische hohe Offiziere ihren
Schmerz über das Vorgehen ihrer Regierung nicht zurückgehalten
und dadurch mittelbar die Berechtigung der Conradschen Auffassung
anerkannt.
Da aber General v. Conrad nicht nur ein aufrechter Soldat, sondern auch ein
Feldherr von hohem militärischen Können war, mußte es ihn
schmerzlich berühren, daß er jetzt, da die Italiener als Feinde im
Felde standen, nicht mehr über genügend eigene Kräfte
verfügte, um ihn, den man militärisch wenig achtete, zu Boden zu
schlagen. Die Offensive gegen Italien konnte nur geführt werden, wenn
deutsche Truppen teilnahmen, oder wenn
österreichisch-ungarische Truppen an der Ostfront in ganz erheblichem
Maße von deutschen Truppen abgelöst wurden. Die Entscheidung
hierüber hatte der deutsche Generalstabschef; dieser lehnte
ab - es mußte es aus klarer Erkenntnis der militärischen
Notwendigkeit. Seit jener Zeit begann eine tiefgehende Mißstimmung des
österreichisch-ungarischen Generals gegen den Chef des deutschen
Generalstabes. Solche Differenzen können heute mit sachlicher Ruhe und
vom historischen Standpunkt aus betrachtet werden; sie finden in dem Zwist
zwischen Friedrich
dem Großen und seinem Bruder Heinrich, zwischen Gneisenau und Yorck
und zwischen Feldmarschall Moltke und Blumenthal
reichlich Vorgänger in der Geschichte und sind eigentlich nur ein Beweis
dafür, daß die Männer, die sich mit denselben Problemen zu
beschäftigen hatten, besonders willenskräftig, fähig und zu
selbständigem Denken erzogen waren. Ganz übergehen lassen sich
diese Streitfälle aber deshalb nicht, weil sie die Quelle für
Schwierigkeiten wurden, unter denen alle Teile, im besonderen aber der deutsche
Generalstab, zu leiden hatten.
General v. Falkenhayn,
der den Plan Conrads ablehnte, war der Ansicht, daß
bei der Beurteilung der ganzen Frage alles Gefühlsmäßige
überhaupt auszuscheiden habe. Für ihn handelte es sich ganz einfach
darum: Ist der Zweck des russischen Feldzuges, den Russen für
längere Zeit die Möglichkeit zu einer Offensive zu nehmen, erreicht
oder nicht? Da General v. Falkenhayn trotz allen Erfolgen den Zweck als
noch nicht erreicht ansah, und da kein militärischer und politischer
Führer imstande war, die Richtigkeit dieser Auffassung zu widerlegen,
schied für ihn die Offensive gegen Italien zunächst aus, es sei denn,
daß durch sie eine unmittelbare Gefahr abgewendet werden
müßte, oder auf diesem Kriegsschauplatz ein entscheidender Erfolg
erreicht werden könnte.
Eine unmittelbare Gefahr durch Italien lag nicht vor; man hatte durchaus das
Vertrauen zu den Verbündeten, die Angriffe des ehemaligen
Dreibundgenossen auch mit schwächeren Kräften zunächst
abwehren zu können.
[20] Den Gedanken, in Italien könne ein
kriegsentscheidender Erfolg errungen werden, lehnte Falkenhayn ab. Nach seiner
Ansicht hatte selbst ein großer Sieg in der
Po-Ebene, dem starke Teile des italienischen Heeres zum Opfer fielen, auf die
Gesamthaltung dieses Landes gar keinen Einfluß. Viel zu fest war die
Regierung zu Rom in den Händen der Entente, und es standen den
Westmächten genug wirtschaftliche und militärische
Zwangsmaßnahmen zur Verfügung, um den Alliierten fest an ihrer
Seite zu halten, wenn er irgendeine Friedensneigung zu äußern wagte.
Italien konnte seine Politik eben nie so selbständig bestimmen wie etwa
Rußland, das bei einer Einigung mit den Mittelmächten
Zwangsmaßregeln der Alliierten nicht zu fürchten brauchte.
So würde es sich also nur um die Möglichkeit eines
militärischen Sieges gehandelt haben, durch den die italienische Armee
für längere Zeit verhindert wurde, ihrerseits offensiv gegen die
Mittelmächte vorzugehen. Das war dasselbe Ziel, das man zur Zeit in
Rußland verfolgte, und um dieses Zieles willen lohnte es sich nicht, von
einer siegreich begonnenen und weitere große Erfolge versprechenden
Operation abzuspringen, mit großen Mühen etwas Neues aufzubauen
und dabei das große Wagnis in Kauf zu nehmen, daß die Russen sich
unterdessen erholten und ihre gefährlichen Angriffe gegen die schwachen
Stellen der Ostfront wieder aufnahmen.
Es gab noch einen anderen Grund für die Auffassung des Generals
v. Falkenhayn, der recht stichhaltig war, auch wenn er dem Bundesgenossen
nicht ganz leicht zum Verständnis gebracht werden konnte. General v.
Conrad
wollte - und es entsprach das nicht nur seiner eigenen Psyche, sondern auch
der Gesinnung aller
Österreicher - die italienische Offensive natürlich
möglichst mit eigenen Kräften führen, die im Osten durch die
Deutschen in der Defensive abgelöst werden sollten. Bei aller Anerkennung
der Feldherrngabe
Conrads - wer übernahm die Gewähr aber dafür,
daß trotz des jetzt stark auflebenden Hasses gegen Italien das rein
österreichisch-ungarische Unternehmen glückte? Waren nicht die
bisherigen Erfahrungen mit manchen k. u. k. Truppenteilen und auch
mit recht vielen k. u. k. Kommandobehörden dazu angetan,
recht ernste Zweifel zu wecken, ob Truppe und Generalstab des
österreichisch-ungarischen Heeres zu einer so großen,
selbständigen Aufgabe fähig wären? Zog man aber aus dieser
militärischen Überlegung die Folgerung und legte man auf Grund der
bisherigen Erfahrungen einen wesentlichen Teil der Offensive gegen Italien in die
Hände deutscher Truppen und deutscher Führer, dann mußte
man auch die politische Voraussetzung erfüllen und Italien von deutscher
Seite aus den Krieg erklären. Dies schien aber dem General
v. Falkenhayn noch immer recht unerwünscht.
Denn obwohl Italien schon in seiner Neutralität alles andere eher wie
wohlwollend gegen Deutschland gewesen war, so war es immerhin ein
Einfuhrkanal, der, wenn auch wenig ergiebig, doch der bedrängten
deutschen Wirtschaft einige Vorteile sicherte. Auch gehörte es nach
Ansicht des deutschen Generalstabschefs [21] nicht völlig in das Gebiet der Phantasie,
von Berlin über Rom Beziehungen zu den Gegnern aufrechtzuerhalten und
sich dadurch über deren Absichten und etwaige
Friedensmöglichkeiten zu unterrichten.
Solche Überlegungen mögen heute abwegig erscheinen. Sie werden
verständlich, wenn man zugrunde legt, wie ernst Falkenhayn die Lage
Deutschlands beurteilte; und ihre Berechtigung wird sich um so mehr dartun, je
mehr die Karten geöffnet werden über die Friedenshoffnungen des
russischen Zaren von 1915 bis 1917. Dem Wunsche des
österreichisch-ungarischen Verbündeten, gleichfalls aus
innerpolitischen Gründen eine Teilnahme deutscher Truppen an den
Kampfhandlungen gegen Italien durchgeführt zu sehen, trug General
v. Falkenhayn Rechnung. Deutsche Truppen haben in geringer
Stärke an der Tiroler Grenze gegen Italiener gefochten, obgleich zwischen
Deutschland und Italien noch Friedenszustand war. Es kann wohl als auffallend
bezeichnet werden, daß die italienische Regierung dies stillschweigend
duldete, ohne ihrerseits mit einer Kriegserklärung zu antworten.
Jedenfalls fiel die Entscheidung in dieser Periode unter dem maßgebenden
Einfluß des Generals v. Falkenhayn für Fortsetzung der
Offensive gegen Rußland. Die verbündeten Truppen standen
unmittelbar vor der Wiedernahme von Przemysl, ihr mußte die von
Lemberg bald folgen. Die Rückgewinnung von ganz Galizien mit diesen
beiden Städten von militärischer, aber auch politischer Bedeutung
mußte den wankenden Bau der
Donau-Monarchie stützen, aber auch in Rußland tiefen Eindruck
machen. Auf die unsicheren Balkanstaaten, vor allem auf Rumänien, war
aber gerade dann erst recht heilsame Wirkung zu erwarten, wenn die Erfolge der
Mittelmächte in der Richtung auf die rumänische Grenze an
Ausdehnung gewannen.
Die Entwicklung der Lage bis zum Herbst 1915.
Bis Ende Juni 1915 waren auf dem französischen Kriegsschauplatz keine
wesentlichen Veränderungen der Lage, auch nicht in politischer Hinsicht,
eingetreten. Es tauchten aber um diese Zeit die ersten Nachrichten und Anzeichen
auf, daß die Feinde eine neue Offensive planten und diese Offensive in der
Champagne vorbereiteten.
Auf der Halbinsel Gallipoli hatte das Eingreifen deutscher
U-Boote vorübergehend den Türken etwas Entlastung gebracht.
Nachdem die Flotte der Alliierten sich gegen weitere Unterwasserangriffe
gesichert hatte, begann sich die Lage für die Türken aber wieder bis
zum Unerträglichen zu spannen.
An der italienischen Grenze war ein nicht unbedeutender, wertvoller Teil der
österreichisch-ungarische Streitmacht festgelegt. Im übrigen
bestätigte sich aber die Wahrnehmung, daß Führung und
Truppe Italiens zunächst militärisch von nur geringem Wert waren,
so daß von einer unmittelbaren Gefahr hier nicht gesprochen werden
konnte.
[22] Im Osten war Lemberg genommen, der
größte Teil Galiziens für die Mittelmächte
zurückerobert. Das militärische Ergebnis dieser Siege bestand darin,
daß die Russengefahr für Ungarn vorderhand behoben, wenn auch
nicht für längere Zeit ausgeschaltet war. Das wichtige politische
Ergebnis aber war eine fühlbare Verstärkung der Position der
Mittelmächte auf der Balkanhalbinsel. Rumänien wurde kleinlaut,
die Verhandlungen um die Bundesgenossenschaft Bulgariens erhielten festeren
Boden.
Für den deutschen Generalstabschef stand somit Folgendes fest:
Der Erfolg gegen Rußland war groß, aber aller Voraussicht nach noch
immer nicht so nachhaltig, daß man wesentliche Teile der im Osten
kämpfenden Truppen ohne schwere Sorge nach einem anderen
Kriegsschauplatz hätte befördern können. Trotzdem
mußte in absehbarer Zeit die Verbindung mit der Türkei hergestellt
werden, damit die bis zum äußersten angespannte Kampflage an den
Dardanellen nicht zur Niederlage wurde. Sie hätte zweifellos sich politisch
darin ausgewirkt, daß alle Balkanstaaten sich an die Entente angeschlossen
hätten. Und weiter mußte damit gerechnet werden, daß in
absehbarer Zeit die deutsche Westfront einer neuen, vielleicht recht starken
Belastungsprobe unterworfen werden würde und daher durch Truppen
verstärkt werden müßte.
General v. Falkenhayn faßte daraufhin den Entschluß, die
Operationen im Osten weiterzuführen, dabei aber eine Beschränkung
des hierfür noch zur Verfügung zu stellenden Zeitraums und somit
auch eine Beschränkung der Ziele ins Auge zu fassen.
Um aber die Zeit, die für diese Operationen noch blieb, wenigstens auf das
stärkste auszunützen, sollten die verfügbaren Kräfte in
Richtungen eingesetzt werden, die den größten Erfolg zu versprechen
schienen.
Diese Überlegung führte dazu, daß die Heeresgruppe
Mackensen, die seit Gorlice die Offensive führte, aus ihrer östlichen
Angriffsrichtung herausgedreht wurde und nach Norden einschwenkte. Sie erhielt
eine Richtung, die im weiteren Verlauf der Kämpfe östlich von
Warschau vorbei etwa auf
Brest-Litowsk weisen mußte, so daß die Hoffnung begründet
war, man würde einen Teil der noch vorwärts Warschau
kämpfenden russischen Kräfte abschneiden können.
Unterstützt sollte diese Hauptoperation durch einen Stoß werden, den
Feldmarschall v. Hindenburg mit zusammengezogenen Kräften aus
Ostpreußen heraus gegen und über den Narew zu führen
hatte.
Hier setzten die schon gestreiften Anschauungsdifferenzen zwischen General
v. Falkenhayn und General Ludendorff ein. Ludendorff glaubte
militärisch mehr zu erreichen, wenn er den Stoß weiter
nördlich führte, am Njemen und im nördlichen Litauen.
Falkenhayn wünschte die Operation in größerer Nähe
des Hauptkriegsschauplatzes und setzte seine Forderung durch, die Offensive
gegen den Narew vorzutreiben.
Ein Urteil über diese rein militärischen Anschauungen kann hier
unter- [23] bleiben. Für Falkenhayn war es nicht
leicht, auf seinem Willen zu bestehen, da er sich in Gegensatz zu der
verehrungswürdigen und allgemein verehrten, auch mit den
Verhältnissen im Osten besonders vertrauten Person des Feldmarschalls
v. Hindenburg stellte.
Diese Schwierigkeiten wurden dadurch weiter verstärkt, daß
Falkenhayn und Ludendorff, wie schon erwähnt, auch in ihren
grundlegenden Ansichten über die von der Gesamtoperation zu
erwartenden Erfolge auseinandergingen. Eine kriegsentscheidende Wirkung im
strategischen Sinne erwartete der Generalstabschef im Osten überhaupt
nicht. Seine Hoffnung, die Russen langsam friedensbereit zu machen, beruhte
gleichzeitig auf militärischen, politischen und wirtschaftlichen
Erwägungen.
Typisch für die Sinnesart der beiden Männer war auch ihre
verschiedene Beurteilung des Gedankens, den Krieg nach Kurland hineinzutragen.
Ludendorffs Neigung, das baltische Deutschtum von der russischen Herrschaft zu
befreien und vielleicht später dem Deutschen Reiche
zurückzugewinnen, war nicht nur begreiflich, sondern auch des
warmherzigen Mannes und großen Soldaten durchaus würdig.
Falkenhayn dachte erheblich nüchterner. Das vielleicht schwere Los der
Baltendeutschen trat in seinen Augen zurück vor dem furchtbaren Ernst der
Gesamtlage, und er besorgte, Deutschland könne sich aus
Gefühlsrücksichten mit Kriegszielen belasten, die den Weg einer
baldigen und wirklichen Verständigung mit Rußland sperren und
schließlich doch weit über die Kraft der Mittelmächte
hinausgehen mußten.
Denn die Verständigung mit Rußland, früher oder
später, war und blieb die Hoffnung des Generalstabschefs. Ihm wurde im
Sommer 1915, nach dem Siegeszug von Gorlice, die Frage brennend, ob
vielleicht jetzt schon eine leise Anfrage, ein kaum merklicher Wink in Petersburg
Erfolg haben könnte. Es handelte sich um die Feststellung, ob die
Friedensstimmung in diesen oder jenen maßgebenden russischen Kreisen
unter dem Eindruck der vergeblichen Anstrengungen und Riesenverluste schon so
weit gestärkt war, daß sie einen Abbruch des Krieges
befürwortet hätten.
Diese Frage ist heute sehr schwer nachzuprüfen. Gewiß ist, daß
die Geneigtheit zum Frieden hauptsächlich in der Person des Zaren zu
finden war, aber dieser Zeuge ist stumm geworden. Der
österreichisch-ungarische Außenminister, Graf Czernin, hielt es
bekanntlich nicht für ausgeschlossen, 1915 mit Rußland zum Frieden
zu kommen.
Tatsache ist, daß die deutsche Regierung auf Veranlassung der Obersten
Heeresleitung und auf neutralem Umwege in Petersburg sondieren ließ, und
daß diese Anfrage offenbar erfolglos war.
Was ist daraus zu schließen?
Nicht die Regierung, sondern die Oberste Heeresleitung drängte auf die
Ausführung eines Gedankens, der doch vollkommen in das Gebiet des
Politischen [24] gehörte. Warum ging die Anregung zu
einer so überaus ernsten und entscheidenden Maßnahme nicht vom
Reichskanzler aus? Nur eine Antwort ist möglich: Weil sie der
englisch-orientierten Politik des Kanzlers und des Auswärtigen Amtes
widersprach.
Es wurde schon erwähnt, daß Bethmann Hollweg von Anfang an auf
eine
deutsch-englische Verständigung hingearbeitet und die größte
Gefahr für Deutschland in der Einheit des gewaltigen russischen Reiches
erblickt hatte. Deshalb war es ihm von Anfang an darum zu tun gewesen, diese
Einheit zu zerschlagen, und seit August 1914 trug er sich mit dem Gedanken an
die Gründung eines polnischen Staates, der von Libau bis Odessa reichen
sollte.
Mit solchen Wünschen in der Brust ließ sich allerdings der Weg zum
Frieden mit Rußland schwer beschreiten. Der Schluß drängt
sich geradezu auf, daß der Friedensschritt in Petersburg von der Regierung
nicht mit der nötigen Eindringlichkeit und Klarheit geführt wurde,
daß sie nicht ohne Umschweife das anbot, was nötig war,
nämlich die Grenzen von 1914 ohne offene oder verschleierte Annexionen,
ja darüber hinaus vielleicht noch Grenzverbesserungen in Galizien
zugunsten der Russen, Verzichte, zu denen
Österreich-Ungarn bewogen werden konnte und mußte.
Die Mittel, welche der deutschen Regierung zu Gebote standen, um den
über einen neutralen Souverän geleiteten Friedensschritt zu
unterstützen, bestanden in einer Propaganda unter denjenigen
Persönlichkeiten in Petersburg, die am ehesten einem Abbruch des Krieges
geneigt waren. Hier durfte kein Geld gescheut werden, um etwas zu erreichen.
Das Wichtigste aber war, daß diese Persönlichkeiten selber kein
Mißtrauen gegen die Ehrlichkeit der deutschen Angebote haben durften und
in der Lage waren, jedes aufkeimende Mißtrauen zu zerstreuen. Es hatte
sich schon damals in der Politik eingebürgert, erst den Grundsatz des
Verzichts auf Annexion auszusprechen und ihn dann durch allerhand Klauseln
einzuschränken, durch das Verlangen nach besonders bindenden
Wirtschafts- oder Militärverträgen, nach bestimmten
Angliederungsarten angeblich unbeschadet der Selbständigkeit der
betreffenden Gebiete oder ihrer Zugehörigkeit zu anderen Staaten, nach
dem Vorbehalt der Einwirkung auf einzelne Nationalitäten und nach
anderem mehr. Von allen diesen politischen Kniffen durfte bei dem deutschen
Angebot an Rußland keine Rede sein, es durfte nicht der geringste Verdacht
aufkommen, daß Deutschland nach Sonderrechten für Polen, Litauen
oder die baltischen Provinzen schielte.
Wie weit hierin gefehlt wurde, läßt sich heute nicht entscheiden. Eins
aber ist sicher: als die ablehnende Haltung der Duma und der russischen
Regierung bekannt wurde, lenkte Bethmann Hollweg mit vollen Segeln wieder in
den Kurs ein, der ihm seit Kriegsbeginn vorgeschwebt, und den er ungern
unterbrochen hatte. Anstatt an dem Ziel eines Entgegenkommens gegen
Rußland festzuhalten und sich durch ein vorübergehendes Scheitern
nicht von ihm abbringen zu lassen, [25] sprach er in seiner Reichstagsrede vom 19.
August 1915 über das polnische Volk, das vom russischen Joch befreit
werden müsse. Damit war das Programm gegeben, die Bahn beschritten,
die ein Jahr später zu dem von Falkenhayn heftig bekämpften
deutsch-österreichisch-ungarischen Abkommen über die
Gründung eines Königsreichs Polen führte. Es bedarf keines
weiteren Beweises, daß durch diese Politik, die gegen die
Überzeugung des Generalstabschefs geführt wurde, alle weiteren
Verständigungsversuche bis zur Erfolglosigkeit erschwert wurden. Gegen
das deutsche
Polen-Programm konnten weder die an den Ministerpräsidenten
Stürmer geknüpften Hoffnungen, noch die Bemühungen von
Stinnes und Warburg, noch schließlich die letzten Anfragen des
unglücklichen Zaren
aufkommen. —
Während so seit Juli 1915 der letzte Abschnitt der großen Offensive
gegen Rußland abrollte, war eine andere Frage in den Vordergrund getreten,
militärisch und politisch gleich wichtig, aber schwer in ihrer Bedeutung zu
fassen und zu beurteilen: die Frage des
U-Boot-Krieges.
General Ludendorff hat sich später darüber geäußert,
daß die Nichtbeteiligung der Marine an dem deutschen Existenzkampf
geradezu eine Ungeheuerlichkeit war. Die mit unsäglichen Kosten, zum
Nachteil der Heeresstärken geschaffene Hochseeflotte lag tatenlos in den
Flußmündungen. Auf Grund der Hoffnungen des Reichskanzlers auf
deutsch-englische Verständigung war der Zeitpunkt des Einsatzes für
die Flotte verpaßt worden, und man hatte sich allmählich daran
gewöhnen müssen, diese stolze Waffe nur als eine Art
Verstärkung des Küstenschutzes oder Parademittel für einen
späteren Frieden anzusehen.
Es war selbstverständlich, daß sich viele Stellen der Marine mit
dieser Entwicklung nicht einverstanden erklärten und sie fast wie eine
Schande empfanden. Als daher in den ersten Kriegsmonaten die Bedeutung der
Unterwasserstreitkräfte erkennbar wurde, griff die Marine diese Aussicht
mit aller Entschiedenheit auf, denn hier schien sich eine Möglichkeit zu
bieten, entscheidend in den Krieg einzugreifen, von dem die Hochseeflotte
ferngehalten wurde. Bald wurde die Frage brennend, ob das
U-Boot eine wirklich wertvolle Hilfswaffe wäre oder vielleicht noch weit
mehr als das, ein Mittel, die Offensive, die dem Heer seit der
Marne-Schlacht aus der Hand geschlagen war, wieder aufzunehmen und mit ihr
den Feind zur Beendigung des Krieges zu zwingen.
Großadmiral v. Tirpitz
wurde der Vorkämpfer in der
Befürwortung des
U-Boot-Krieges. Am 21. Dezember 1914 bereits hatte er in einem Interview mit
Vertretern der amerikanischen United Press auf seine Bedeutung
hingewiesen. Mit dem Jahre 1915 wurden seine Wünsche entschlossener
und klarer umrissen. Am 4. Februar 1915 wurde der Unterseehandelskrieg um
Großbritannien und Irland erklärt, damit also offenbar, daß die
Schärfe dieser Waffe sich gegen die Handelsschiffahrt zu richten hatte.
Die
völkerrechtswidrige weite Blockade schien ihren Zweck, Deutschlands
Bevölkerung zum Hungertode zu bringen, wirksam einzuleiten. Die
Blockade zu [26] sprengen, war jetzt die Hochseeflotte nicht mehr
in der Lage. Das einzige Gegenmittel war, die gleiche Waffe gegen England
wirksam werden zu lassen, wenn dazu die Möglichkeit vorlag. Diese
Möglichkeit schien das
U-Boot zu bringen. Sein Einsatz sollte die Versorgung der britischen Inseln mit
Lebensmitteln und Rohstoffen erschweren oder gar verhindern. Seiner ganzen
Eigenart nach mußte sich das
U-Boot dabei ebenso gegen neutrale nach England schwimmende Güter
wenden, wie gegen Waren der Feinde
selbst - etwas anderes war nicht denkbar. Welcher Nation die Ladung
gehörte, die die Schiffe führten, oder unter welcher Flagge die
Schiffe fuhren, mußte dem angreifenden Torpedo gleichgültig sein.
Das mußte wiederum Konflikte mit den Neutralen herbeiführen, und
von diesen war der mächtigste und maßgebendste die
Nordamerikanische Union.
Erschwerend wirkte sehr bald, daß die Handelsschiffe sich zu wehren
begannen und daß das aufgetauchte
U-Boot wenig Mittel besaß, sich gegen diese Gegenwehr zu verteidigen,
wenn es die bisherigen seerechtlichen Vorschriften innehalten wollte.
Infolgedessen wurde die Torpedierung ohne Warnung zur militärischen
Notwendigkeit. Da nicht zu verhindern war, daß hierbei Menschenleben
verloren gingen, bot sich der Entente ein neues reiches Feld für Propaganda
und Verhetzung. Wäre dies nicht gewesen, sie hätte allerdings etwas
anderes gefunden, um das deutsche Volk zu verlumpen.
Die rechtliche Seite des U-Boot-Krieges ist an
anderer Stelle (Band 4) eingehend
erörtert; sie hatte für die Entschlüsse und Einwirkungen der
Obersten Heeresleitung wenig Bedeutung. England hatte im November 1914 die
ganze Nordsee als Kriegsgebiet bestimmt und am 1. März 1915
erklärt, es würde alle Schiffe anhalten und einbringen, die
Güter feindlichen Ursprungs oder feindlicher Bestimmung führten.
Damit war die
Hungerblockade erklärt; ein Kriegsmittel von so teuflischer
Grausamkeit, daß daneben die Folgen der Versenkungen, so bedauernswert
sie im einzelnen waren, völlig zurücktraten.
Der Generalstabschef, der auf die Erklärung oder Fortführung des
uneingeschränkten
U-Boot-Krieges Einfluß nehmen wollte, hatte kühl und gewissenhaft
zwei Fragen politischer Art zu prüfen, die sich dann aber über kurz
oder lang auch militärisch auswirken mußten. Die erste Frage war
die, ob trotz Führung des
U-Boot-Krieges Amerika verhindert werden konnte, in den Krieg gegen die
Mittelmächte einzutreten.
Die Frage war augenscheinlich zu verneinen.
Es war der Leitung der deutschen Politik nicht geglückt, die Amerikaner
durch Aufnahme von Anleihen oder größere Ankäufe
amerikanischer Produkte für Deutschland zu interessieren. Die
Bemühungen Dernburgs bald nach Kriegsbeginn waren ein Fehlschlag
gewesen. Ob Anfang 1915 größere Baumwolleinkäufe in der
Union möglich gewesen wären, bleibe dahingestellt. Sie wurden
nicht vorgenommen, Falkenhayn aber hatte sich nicht mit Kritik von
Hand- [27] lungen oder Unterlassungen der Vergangenheit
abzugeben, er mußte die Lage nehmen, wie sie tatsächlich war. Da
aber war kaum ein Zweifel, daß die Amerikaner bereits finanziell auf das
stärkste für die Alliierten und deren Kriegsschicksal engagiert waren,
während ihnen das Schicksal Deutschlands mehr oder weniger
gleichgültig blieb. Kam der französische oder englische Schuldner in
die Gefahr, vernichtend geschlagen und dadurch zahlungsunfähig zu
werden, so war mit dem Eingreifen Amerikas zu rechnen. Der
U-Boot-Krieg aber zielte auf die wirtschaftliche und militärische
Vernichtung.
Die Beantwortung der Unterfrage, ob Amerika auch ohne den
U-Boot-Krieg eingegriffen hätte, hatte für die Lage 1915 keine
Bedeutung. Es kam für den Generalstabschef im Hochsommer 1915 ja
nicht darauf an, dieses Problem an sich zu lösen, es kam zunächst
nur darauf an, die amerikanische Kriegsdrohung für den Zeitraum der
nächsten großen Operationen, also etwa bis zum Frühjahr 1916,
zu beurteilen.
Die Anschauung, daß die Kriegserklärung Amerikas der
Führung des
U-Boot-Krieges in nicht zu ferner Zeit folgen würde, wurde durch die
Ereignisse bekräftigt. Bereits die deutsche Erklärung des
Unterseehandelskriegs vom 4. Februar 1915 zog eine Protestnote aus Washington
nach sich. Die daraufhin geführten
deutsch-amerikanischen Verhandlungen erlitten mit der Versenkung der
"Lusitania" (7. Mai) eine ganz erhebliche Verschärfung. Nach der
Torpedierung der "Arabic" vom 19. August war nicht mehr daran zu zweifeln,
daß Amerika vor dem Abbruch der Beziehungen stand.
Es war nun für den Generalstabschef die zweite entscheidende Frage zu
beantworten, ob an dem
U-Boot-Krieg festgehalten werden müsse, auch wenn Amerika sich offen
auf die Seite der Gegner Deutschlands stellte. Augenscheinlich konnte der neue
Feind in Kauf genommen werden, wenn das
U-Boot wirklich die kriegsentscheidende Bedeutung hatte, die man ihm an den
meisten Stellen der Marine zumaß.
General v. Falkenhayn war mißtrauisch. Nicht etwa, daß er die
Bedeutung der
U-Boot-Waffe an sich unterschätzt hätte! Er hatte ja bereits Jahre vor
dem Kriege darauf hingewiesen, daß die Unterwasserstreitkräfte die
Waffe des zur See Schwächeren und demgemäß für
Deutschland sehr viel wichtiger wären als die Panzerschiffe der
Hochseeflotte. Damals hatten sich die maßgebenden Stellen der Marine in
schroffen Gegensatz zu Falkenhayn gestellt und den deutschen Etat immer wieder
mit dem Bau der großen Linienschiffe und Panzerkreuzer belastet. Die
Folge war, daß 1915 die Zahl und Leistungsfähigkeit der Deutschland
zur Verfügung stehenden
U-Boote nur ganz gering war.
Diese kleine Zahl der Boote stellte Falkenhayn der Riesenaufgabe
gegenüber, die ihnen von der Marine zugedacht war, der geradezu
ungeheuren Energie, deren sein historischer Sinn die britische Regierung und das
britische Volk für fähig hielt, dem moralischen, wirtschaftlichen,
später auch militärischen
Kräfte- [28] zuschuß, den das Eingreifen Amerikas den
Alliierten bringen mußte. Daß die Marine bei der Untätigkeit
des Kerns ihrer Streitkräfte dazu neigte, Einzelleistungen zu
übertreiben, war menschlich mehr wie begreiflich. Daß diese
Übertreibungen außerordentlich geschickt inszeniert wurden, hatte
die Propaganda für die Kreuzerfahrten gezeigt, die für die
Kriegführung ziemlich belanglos und als soldatische Leistungen zwar sehr
groß waren, aber doch nicht mit dem gemessen werden konnten, was die
Frontkämpfer täglich in Kampf und Entbehrungen auf sich nahmen.
Für den Generalstabschef, der die Begeisterung der Marine für die
neue Waffe von freierem, unbeeinflußtem Standpunkt und mit ruhigeren
Augen ansah, ergab sich die Überzeugung, daß in absehbarer Zeit
eine Kriegsentscheidung von den
U-Booten nicht zu erwarten wäre.
Damit trat für ihn aber der Nachteil des amerikanischen Eintritts in den
Krieg greifbar hervor. Die Verhandlungen in Sofia näherten sich
günstigem Abschluß, es war aber umgekehrt auch nicht der geringste
Zweifel möglich, daß Bulgarien sofort die allmählich sich
anknüpfenden Beziehungen zu den Mittelmächten abbrechen
würde, wenn es den neuen, starken Feind jenseits des Atlantik erblickte.
Damit entfiel der Feldzug gegen Serbien, der allmählich zur
dringendsten Notwendigkeit wurde. Der Fall der Dardanellen war dann nicht mehr
aufzuhalten, der türkische Bundesgenosse preisgegeben, die Verbindung
der Westmächte zu Rußland ermöglicht, das Zarenreich
dadurch in den Stand gesetzt, seine gewaltigen materiellen Verluste aus dem
Sommer 1915 wieder zu ergänzen.
Deshalb schlug der Generalstabschef der Regierung vor, den amerikanischen
Forderungen nachzugeben und auf den
U-Boot-Krieg in seiner jetzigen Gestalt zu verzichten. Der Reichskanzler setzte
diesen Vorschlag in die Tat um. Großadmiral v. Tirpitz, der seine
Wünsche abgelehnt sah, reichte seinen Abschied ein, der aber nicht
angenommen wurde. An die Stelle des Admirals Bachmann trat als
Admiralstabsschef Admiral v. Holtzendorff. Es war eine Ironie des Schicksals,
daß damit der Mann an die Spitze des Admiralstabes kam, der sich sehr
bald zum eifrigsten Vorkämpfer für die Wiederaufnahme des
U-Boot-Krieges machte und das Wort von den sechs Monaten prägte, in
denen England auf die Knie gezwungen werden könne. Aber erst Anfang
Februar 1916 drang er bei der Regierung mit seinen Bemühungen
durch.
Der Siegeszug der verbündeten Truppen im Osten seit Juli 1915 reihte sich
würdig den Großtaten vom Mai und Juni an. Am 4. August
räumte der Feind Warschau; ein politisch hochbedeutendes Ereignis
für Rußland, für die Haltung der Balkanvölker, leider
aber auch für die Bestrebungen des deutschen Reichskanzlers und starker
Parteien im Vaterlande. Am 18. August nahmen die deutschen Truppen Kowno,
am 20. August Nowo Georgiewsk, am 4. September Grodno. Ende September und
im Verlauf des Oktober erreichten die Verbündeten die Winterstellungen,
die sich von Czernowitz an der rumänischen Grenze [29] über Pinsk und die Gegend von
Dünaburg bis zur Ostseeküste westlich Riga hinzogen.
Der militärische Erfolg der gesamten Ostoffensive von 1915 war, nach der
Beute und den Gefangenenzahlen gemessen, groß. Der von Falkenhayn
bewußt eingeschränkte militärische Zweck, Rußland
für einige Zeit als Angriffsmacht auszuschalten, war erreicht. Erst im Juni
1916 nahmen die Russen die Offensive im großen wieder auf. Ob noch
mehr hätte gewonnen, ob der große Ostgegner durch andere
Maßnahmen, wie sie
Hindenburg-Ludendorff vorgeschlagen hatten, für noch längere Zeit
hätte am Angriff verhindert werden können, ist eine Frage, deren
Beantwortung auf rein militärischen Erwägungen beruht. Die
Hoffnung, dem Friedensschluß mit dem Zarenreich näher zu
kommen, war gescheitert, sie wurde von der Regierung energisch beiseite gelegt.
Die politischen Auswirkungen der Ostsiege auf dem Balkan halfen aber mit, die
Grundlage zu gewinnen, auf der der deutsche Generalstabschef seinen neuen
Entschluß für den Herbst 1915 aufbauen konnte.
Der Entschluß zum serbischen Feldzug.
Seit dem Spätsommer 1915 hatte sich die Lage auf der Halbinsel Gallipoli
in Besorgnis erregender Weise zugespitzt. Ohne Munitionsersatz, ohne
ausreichende Luftstreitkräfte, ohne Verbindung mit ihren Bundesgenossen
mußten die Verteidiger nach und nach erlahmen. Wurde von deutscher Seite
aus nicht bald eingegriffen, so war die Niederlage der Osmanen auf Gallipoli
vorauszusehen. Ihr mußten sich die Öffnung der Dardanellen, die
Einnahme von Konstantinopel, die Bezwingung der Türkei und die
Herstellung des Weges von den Westmächten nach Rußland und
damit dessen schnelles Wiederaufleben als unabwendbare Folge
anschließen.
Der deutsche Generalstabschef entschied sich daher, sobald es die Lage irgend
gestattete, die Verbindung mit der Türkei durch Niederwerfung der Serben
im Herbst 1915 zu erzwingen.
War die Öffnung des Weges von den Mittelmächten nach
Konstantinopel der Hauptgrund, so sprachen auch andere Gründe für
die Durchführung der serbischen Operation.
Mit der Besitznahme Serbiens faßte man außen um Rumänien
herum und beraubte damit auch dieses Land endgültig seines
Zusammenhanges mit den Westmächten. Ein heilsamer Einfluß auf
die Bukarester Politik konnte nicht ausbleiben, der vielleicht auch nach der
wirtschaftlichen Seite ausgewertet werden konnte. Gleichzeitig durchschnitt man
die von der Adria und dem Ägäischen Meere durch Rumänien
nach Rußland führende Verbindungen. Waren diese Verbindungen
auch von untergeordneter Bedeutung, so war doch immerhin erst mit ihrer
Beseitigung der völlige Abschluß Rußlands nach Westen
durchgeführt.
Ein letzter Grund für die Operation war, daß die Bedrohung der
öster- [30] reichisch-ungarischen Südflanke durch
die serbische Armee unbedingt verschwinden mußte. Seit den unheilvollen
Herbsttagen von 1914, da das Heer Potioreks unter schwerster Einbuße
über die Donau zurückgedrückt war, hatte sich das
militärische Selbstgefühl der Serben wesentlich gehoben, so
daß die Südgrenze Ungarns dauernd einer gewissen Gefahr ausgesetzt
war. Dieser Zustand und die Erinnerung an die traurige Niederlage Potioreks
wurde in
Österreich-Ungarn mit Recht als Schmach empfunden. Es war eine
moralische Belastung, welcher der morsche Bau der Doppelmonarchie auf die
Dauer nicht gewachsen war.
Der Feldzug gegen die Serben war also notwendig geworden. Daß er auch
möglich geworden war, verdankte die deutsche Kriegsleitung den
militärischen und politischen Folgen der vorangegangenen Offensive gegen
Rußland. Die Lähmung der russischen Angriffskraft
ermöglichte die Versammlung der notwendigen deutschen Truppen an der
ungarischen
Donau-Grenze. Durch den Eindruck der deutschen Siege in Galizien, Polen und
Litauen wurde Bulgarien zum Anschluß an die Mittelmächte
bestimmt.
Auf die Lösung der bulgarischen Frage nahm General v. Falkenhayn
maßgebenden Einfluß, und manche erfreulichen Fortschritte in den
heranreifenden Verträgen war dem Ansehen zu danken, das seine
Persönlichkeit außerhalb der Grenzen des Vaterlandes genoß.
Nur dieses Ansehen, seine persönliche Gewandtheit und die
Tüchtigkeit des deutschen Heeres waren imstande, die Mängel zu
ersetzen, die der Bulgare im Kreise der neuen Verbündeten fand und unter
denen an erster Stelle das augenscheinliche, stetig sich mehrende Versagen der
österreichisch-ungarischen Streitmacht stand.
Seit Ende August 1915 befand sich ein bulgarischer Oberst im deutschen
Großen Hauptquartier. Die Mission dieses Offiziers sollte zunächst
geheimgehalten, sein Name und Auftrag verschwiegen werden, da ungeschickte
Indiskretionen geeignet waren, der Regierung in Sofia vorzeitig Schwierigkeiten
gegenüber der Entente zu bereiten. Das deutsche Große Hauptquartier
befand sich damals in Pleß; hier wurden der Generalstabschef und seine
nächste Umgebung aus Zweckmäßigkeitsgründen aus
der Hofküche verpflegt. Die Verpflegung des bulgarischen Offiziers
stieß auf heftigen Widerstand der Küchenverwaltung, und es bedurfte
des persönlichen Eingreifens des Generalstabschefs, um die Herren vom
Hofe zu bewegen, den "Unbekannten" zu beköstigen. Der Vorgang war
charakteristisch für die kleinlichen Schikanen, gegen die sich General
v. Falkenhayn, der die Last des Weltkriegs trug, zu wehren hatte.
Die deutsch-österreichisch-ungarisch-bulgarische Militärkonvention
wurde am 6. September abgeschlossen; sie stellte das konzentrische
Zusammenwirken für die Truppenmächte der drei verbündeten
Monarchien gegen Serbien sicher. Tags darauf wurden die politischen
Verträge unterzeichnet. Deutschland versprach dem neuen Bundesgenossen
das bulgarische Mazedonien und das östliche Serbien bis zur Morawa. Die
griechischen Plätze Drama, Serres und Kavalla sollten [31] außerdem an Bulgarien fallen, falls
Griechenland aktiv am Kriege gegen die Verbündeten teilnähme.
Die größten Schwierigkeiten bereiteten die bulgarischen
Ansprüche auf den in türkischem Besitz befindlichen Gebietsstreifen
westlich der Maritza. Es gehörte die ganze Hochherzigkeit des treuesten
unter den verbündeten Staatsmännern, des osmanischen
Ministerpräsidenten Talaat Pascha, dazu, um das Interesse des Ganzen
über den Sondervorteil des eigenen Landes zu stellen und dem Verzicht
zuzustimmen.
Es kam die Zeit, in der General v. Falkenhayn alle Kräfte aufbieten
mußte, die sich immer wieder neu entgegenstellenden Hindernisse zu
überwinden. Denn nun, nachdem mühselig die Grundlage für
die ersehnte Operation errichtet war, setzten Hemmungen und Gefahren ein,
geeignet, den ganzen Bau entscheidend zu erschüttern.
Zunächst weigerte sich der österreichisch-ungarische
Generalstabschef, General v. Conrad, seine Verpflichtungen aus der
Militärkonvention zu erfüllen und die zugesicherte Zahl Divisionen
an die Donau zu schieben. Er begründete diese Weigerung mit einem
Rückschlag, den die k. u. k. Truppen in Galizien infolge eines
kurzen russischen Gegenstoßes erlitten hatten. In welche Stellung
mußte aber Falkenhayn durch diese offenbare Unzuverlässigkeit des
an sich schon schwierigen
österreichisch-ungarischen Generals kommen, nicht nur
gegenüber dem eben gewonnenen, aber doch noch unendlich
mißtrauischen bulgarischen Bundesgenossen, der dadurch seinerseits sich
seiner Verpflichtungen ledig erklären konnte, sondern auch
gegenüber der gesamten Lage! Falkenhayn blieb nur übrig, die
fechtenden
österreichisch-ungarischen Divisionen durch deutsche zu ersetzen und
vergrößerte dadurch das Wagnis gegenüber dem an der
deutschen Westfront heraufziehenden Gewitter.
Denn es ließ sich nicht mehr bezweifeln, daß die Engländer
und Franzosen hier eine Entlastungsoffensive größter Stärke
vorbereiteten. Für den deutschen Generalstabschef, der soeben den
siegreichen, aber auch für die Verbündeten verlustreichen Feldzug
gegen die Russen vollendet hatte und nun einen wichtigen und ansehnlichen Teil
seiner Truppen gegen Serbien versammelte, kamen Wochen schärfster
Spannung. Die Last der Verantwortung mußte er allein tragen; kein
Staatsmann stand ihm zur Seite, um ihm mit fester Hand zu helfen.
Am 21. und 22. September begann in Flandern, im Artois und in der Champagne
das vorbereitende Artilleriefeuer der Feinde mit einer Stärke, wie die
Truppen sie bisher noch nicht erlebt hatten. Von schlimmster Wirkung war,
daß dieses Feuer viel weiter in das Hintergelände reichte, als man aus
früheren Kampfhandlungen gewohnt war, und daß deshalb in
überraschender Weise auch rückwärtige Abteilungen,
Stäbe und der ganze Nachschub lahmgelegt wurden.
Trotzdem hatte der feindliche Infanterieangriff in Flandern und im Artois nur ganz
vorübergehenden Erfolg, dann lief er sich fest. In der Champagne [32] aber brachen die Franzosen in breiter Front
über die vordersten Linien vor, und das dortige
Armee-Oberkommando, das über keine Reserven mehr verfügte, sah
die Rettung nur noch in einer ausgedehnten Rückzugsbewegung.
Falkenhayn stand einer sehr schweren Lage gegenüber. Zuführung
irgend nennenswerter Reserven an die bedrohte Armee war nur unter Aufgabe der
serbischen Operation möglich; anderseits mußte damit gerechnet
werden, daß ein Rückzug in der Champagne für die Bulgaren
das Zeichen gewesen wäre, von dem eben geschlossenen Bündnis
zurückzutreten. Da
Österreich-Ungarn schon seine Verpflichtungen nicht einhielt, war ein
Vorwand zur Kraftloserklärung der Verträge leicht gegeben.
Um die Lage zu halten, konnte der deutsche Generalstabschef kaum etwas anderes
einsetzen als die Macht seiner Person. Er telephonierte mit dem von dem Schlage
in der Champagne betroffenen Führern einzeln, ermahnte, tröstete
und überzeugte. In diesen Tagen, besonders am 25. September, da neben
der militärischen eine ganz besonders starke politische Verantwortung auf
ihm lastete, war seine Ruhe so groß, daß sie allgemein in seinem
Stabe bewundert wurde. Der vom
Armee-Oberkommando beabsichtigte Rückzug wurde rundweg verboten,
wenige zusammengeraffte Reserven an der entscheidenden Stelle in die Front
geworfen, die Abtransporte nach Serbien aber unentwegt weitergeführt. Zu
den umsichtigen Maßnahmen, zu der allgemeinen Überzeugung von
der Notwendigkeit standzuhalten und zu der Tapferkeit der bewundernswerten
Infanterie gesellten sich Fehler der Franzosen. Der mit großem Aufwand
unternommene Angriff des Generals Joffre kam über den ersten Erfolg
nicht weit hinaus. Der zähe Widerstand der deutschen Infanterie in der
Champagne erhielt der Heimat den bulgarischen Verbündeten; er
ermöglichte weiterhin die Vernichtung des serbischen Heeres und errettete
die Türkei vor dem an den Dardanellen drohenden Zusammenbruch.
Am 6. und 7. Oktober begann der Donau-Übergang des Feldmarschalls v.
Mackensen. Am 15. Oktober setzten sich die bulgarischen Armeen von Osten her
gegen Serbien in Bewegung. In den ersten Novembertagen berührten sich
die inneren Flügel des deutschen und bulgarischen Heeres, und am 5.
November fiel die alte serbische Hauptstadt Nisch. Die Bahnverbindung von
Berlin und Budapest über Belgrad, Nisch, Sofia und Konstantinopel war
frei.
Wie groß die politische Bedeutung dieses Erfolges war, mußte sich
schnell herausstellen. Die Absperrung Rußlands nach Westen war nun
völlig durchgeführt; die Aussichtslosigkeit ihrer Kriegführung
mußte der Petersburger Regierung früher oder später zu
Bewußtsein kommen. Der serbische Gegner war einzeln geschlagen, von
seinen Alliierten im Stich gelassen. Der Weg zur Türkei war frei, jeder
notwendige Ersatz konnte den osmanischen Truppen auf Gallipoli
zugeführt werden. Für die Entente aber brach die Hoffnung
zusammen, die Durchfahrt durch die Dardanellen zu erzwingen. Zwar [33] versuchte man noch eine Reihe verlustreicher
Anstrengungen, denn man fühlte in London wohl, daß ein Aufgeben
des Unternehmens nichts anderes bedeutete als einen großen Sieg der
Türken über England. Aber die Anstrengungen blieben ohne Erfolg,
und Anfang Januar 1916 verschwanden die letzten Truppen vom Boden der
europäischen Türkei.
Die historische Bedeutung des türkischen Waffenruhms von Gallipoli wird
sich vielleicht erst später erkennen lassen, wenn über die
Entwicklung der neuen Türkei keine Zweifel mehr bestehen. Der mit
geringen Mitteln über die Großmächte Europas errungene Sieg
kann dem osmanischen Volke noch einmal seine größte Erinnerung
und sein schärfster Ansporn werden.
Die letzten Probleme von 1915.
Der deutsche Generalstabschef war schon im Oktober 1915 von der
Erwägung neuer, sehr ernster Fragen in Anspruch genommen.
Am 5. Oktober landeten die ersten Ententetruppen in der griechischen Hafenstadt
Saloniki. Das war eine Neutralitätsverletzung schlimmster Art,
durchgeführt gegen den ausdrücklichen Einspruch des griechischen
Staatsoberhauptes, ein Völkerrechtsbruch, der mindestens ebenso schwer
war wie der deutsche Einmarsch in Belgien 1914. Theoretisch hätte die
Folge dieser Aktion sein müssen, daß sich Griechenland jetzt
bewaffnet auf Deutschlands Seite stellte, oder daß dieses, wenn
Griechenland diesen Schritt nicht tat, den Griechen den Krieg erklärte.
Eine kurze Überlegung brachte jedoch den deutschen Generalstabschef zu
der Erkenntnis, daß Griechenland gar nicht in der Lage war, sich auf die
Seite der Mittelmächte zu stellen. Das Königreich war in seinem
Lebensunterhalt vollkommen auf Zufuhren von außen angewiesen, die
entweder von der Entente geliefert wurden oder aber doch wenigstens jederzeit
von der Entente gesperrt werden konnten. Blieben diese Zufuhren aus, so waren
die Mittelmächte infolge ihrer eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten
auch nicht annähernd in der Lage, das kleine Land vor dem Verhungern zu
schützen. Ebensowenig hatten die Mittelmächte die
Möglichkeit, die langen griechischen Küsten mit ihren offenen
Städten und Dörfern vor dem Geschützfeuer der englischen
Kriegsschiffe zu bewahren oder Landungsversuche abzuwehren. Denn auf die
griechische Armee konnte ein großen Vertrauen kaum gesetzt werden.
Der spätere Gewaltakt der Entente gegen König Konstantin hat die
Wehrlosigkeit der kleinen Monarchie voll erwiesen. Nie offenbarte es sich
deutlicher als hier gegenüber Griechenland, daß "Recht",
"Gerechtigkeit" und "Uneigennützigkeit" lediglich im Munde, nicht aber
in den Taten der Feinde zu finden waren, daß bei ihnen wie immer im
Völkerleben nichts anderes gilt als Macht, und daß zur Erreichung
ihrer politischen Ziele nur der eigene Nutzen und das Risiko des Unternehmens
bedacht wird. Einem fast wehrlosen Volke, den Griechen gegenüber, ist
aber das Risiko gering.
[34] Die Mittelmächte mußten sich mit
der Tatsache abfinden, daß Griechenland den Neutralitätsbruch der
Entente nicht mit einer Kriegserklärung beantwortete, und mußten
diese Tatsache auch noch verständlich finden. Es blieb deshalb nur die
Frage übrig, ob sie selbst die Feindseligkeiten gegen die Griechen
eröffnen sollten.
Welcher militärische Vorteil sollte ihnen aber daraus erwachsen? Es war
wirklich für die Mittelmächte nicht wünschenswert, sich einen
neuen Gegner zuzuziehen. Allerdings erhofften Bulgarien und die Türkei
von einer Kriegserklärung an Griechenland politische Vorteile,
nämlich Rückgewinnung heiß begehrten, in früheren
Feldzügen verlorenen Gebiets. Dem war aber gegenüberzuhalten,
daß der den Bulgaren für ihre Kriegsteilnahme versprochene
Landgewinn schon so ungeheuer war, daß sein Segen für den
späteren Frieden auf dem Balkan stark bezweifelt werden mußte. Es
konnte nicht im Sinne der Mittelmächte liegen, auch zwischen Bulgarien
und Griechenland tödliche Feindschaft zu säen.
General v. Falkenhayn lehnte es deshalb ab, der deutschen Regierung eine
Kriegserklärung vorzuschlagen, zu der sie formell berechtigt war.
Sehr viel schwerer zu beantworten aber war die Frage, ob die deutsche
Kriegsleitung nicht genau dasselbe wie die Alliierten tun, nämlich ohne
Kriegserklärung oder feindliche Kundgebung gegen die Athener Regierung
auf griechisches Gebiet übertreten, dort die Truppen der Entente angreifen
und aus Saloniki wieder hinauswerfen sollten.
Für diesen Entschluß sprachen gewichtige militärische
Gründe. Räumte man hier mit den Alliierten auf, so ersparte man
sich die mazedonische Front und gewann neue
U-Boot-Stützpunkte am Ägäischen Meere. Unternahmen etwa
die Alliierten daraufhin eine neue Landung in Athen, so konnte die Abwehrfront
wenigstens nach Thessalien vorgeschoben werden, wo sie erheblich
schmäler wurde und der Flotte
U-Boot-Stützpunkte in der Adria gegenüber der apulischen
Küste ermöglichte. (Die gefährliche Bedeutung der
mazedonischen Front hat das letzte Kriegsjahr ja vollauf erwiesen.)
Die politischen Gründe, die gegen die Durchführung der
Saloniki-Operation sprachen, waren nicht wesentlich von denen verschieden, die
gegen die Kriegserklärung an Griechenland sprachen. Bereits der
Einmarsch bulgarischer Truppen auf griechisches Gebiet mußte bei dem
bestehenden Völkerhaß zu sofortigen und zukünftigen
Gegensätzen führen, die sich in jedem Falle über kurz oder
lang zu einer tödlichen
griechisch-bulgarischen Feindschaft, also zu einem Hinüberstoßen
der Griechen zu den Gegnern entwickeln mußten.
Dazu traten Gründe, die teils politischer, teils militärischer Art
waren.
Der Feindbund konnte seine Truppen, die vom griechischen Boden verjagt
wurden, auf beliebigen anderen Kriegsschauplätzen verwenden; er konnte
durch sie sich an der Stelle, die ihm beliebte, einen Zuschuß an Macht
schaffen. Ganz anders lagen die Verhältnisse auf seiten der
Mittelmächte. Eine Verwendung [35] der frei werdenden bulgarischen Truppen, etwa
in Frankreich oder gegen die Russen, kam nach den abgeschlossenen
Verträgen überhaupt nicht in Betracht, und die bulgarische
Heeresleitung hätte es rundweg abgelehnt, ihre Divisionen auf
Kriegsschauplätze transportieren zu lassen, die in der
Militärkonvention nicht berücksichtigt waren. Daraus ergab sich,
daß durch den Wegfall der mazedonischen Front das bulgarische Heer
eigentlich keine Aufgaben mehr hatte, daß die bulgarische Regierung ihr
Interesse an der Weiterführung des Krieges voraussichtlich stark
einschränken würde. Das aber mußte vermieden werden.
Wenn General v. Falkenhayn
sich nach langem Schwanken dazu entschied, auf
die Saloniki-Operation zu verzichten, so waren wohl in der Hauptsache
militärische Gründe dafür maßgebend. Der Angriff auf
Saloniki erforderte eine außerordentlich lange und unbequeme Etappenlinie,
die erst vorbereitet und ausgebaut werden mußte. Dadurch wurde das
Unternehmen bis tief in das Jahr 1916 hinein verschoben, also in eine Zeit,
für die der Generalstabschef bereits andere Pläne erwog. Ihm kam es
aber im Rahmen seiner Grundanschauungen über die Führung des
Krieges darauf an, die mazedonische Offensive abzubrechen, sobald sie ihren
Zweck erfüllt hatte, und der Zweck schien mit der Öffnung des
Weges nach Konstantinopel, der dem serbischen Heere beigebrachten
vernichtenden Niederlage erreicht zu sein.
Ende Dezember 1915 wurde deshalb, im allgemeinen der
serbisch-griechischen Grenze folgend, die Dauerstellung eingerichtet. Der
Abbruch des mit so großem Erfolge geführten serbischen Feldzuges
wurde später viel bedauert. Auch wer ihn für fehlerhaft hält,
wird sich den ernsten Beweggründen des deutschen Generalstabschefs aber
kaum verschließen.
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