Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 1: Die politischen Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Frühjahr 1915 bis zum Herbst 1916
(Forts.)
Major Adalbert v. Wallenberg
3. Das Jahr 1916 bis zum Rücktritt
Falkenhayns.
Die Pläne für 1916.
Mit dem Beginn des Jahres 1916 war die Lage der Mittelmächte,
äußerlich betrachtet, nicht ungünstig.
Auf dem westlichen Kriegsschauplatz hatten die deutschen Truppen unbestritten
große Erfolge in der Abwehr erfochten und dadurch eine moralische
Überlegenheit über die
englisch-französische Übermacht erreicht, deren Wert nicht zu
unterschätzen war. Im Osten konnte die russische Gefahr noch für
beträchtliche Zeit als ausgeschaltet gelten. Rumänien war von einem
Eingreifen vorderhand abgeschreckt, der bulgarische Bundesgenosse gewonnen.
Das serbische Heer war zum größten Teil als Machtfaktor
ausgeschieden, die gefahrvolle Krisis an den Dardanellen beseitigt, die
Türkei entlastet. Reserven an Truppen für neue Aufgaben standen
zur Verfügung oder konnten geschaffen werden.
Und doch ließ sich nicht erkennen, daß man dem Ziel des Krieges,
dem [36] Frieden, auch nur um eine kleine Spanne
nähergekommen war. Das aber war sehr bedenklich.
Denn wenn man tiefer in die Einzelheiten der Lage, in die Quellen der gesamten
Kräfte, auf denen die Kriegführung ruhte, hineinblickte, so ergaben
sich viele schwere Mißstände, die zu ernster Sorge Veranlassung sein
mußten.
Der Wert der verbündeten österreichisch-ungarischen Armee sank in
erschreckendem Maße. Je größer die Abneigung der in ihr
vertretenen slawischen und rumänischen Nationalitäten gegen den
Krieg wurde, desto mehr suchten sich diese den Gefahrenmomenten des Krieges
zu entziehen, desto mehr wälzte sich die ganze Last auf die noch
zuverlässigen und tapferen Truppen der Monarchie. Die deutschen und
magyarischen Regimenter aber waren dezimiert, das Vertrauen in die mittlere und
höhere Führung so stark erschüttert, daß man mit
offenem Hohn über sie witzelte. Über das
Armee-Oberkommando, die österreichisch-ungarische Heeresleitung in
Teschen, sprach man in ungarischen Offizierskreisen nur noch mit
beißendem Spott, auch gegenüber den deutschen Kameraden.
Verächtliche Anschauungen über das höchste führende
Kommando mußten aber eine Stimmung ergeben, die für den ganzen
Geist des Heeres tödlich sein konnte.
Die wirtschaftliche Lage und damit die innerpolitische Kraft der
Doppelmonarchie ging mit starken Schritten abwärts. Der Gegensatz
zwischen dem an Lebensmitteln reichen Ungarn und den armen
österreichischen Ländern verschärfte
sich - er wurde zum Haß. Ein Ausgleich schien unmöglich.
Während man in Ungarn wie im Frieden lebte, ohne Entbehrungen zu
kennen, begann man in Wien und in Deutschböhmen zu hungern. Das
Gefüge des Gesamtstaates verlor durch diese materiellen Gegensätze
in bedenklicher Weise an Festigkeit. Der Kaiser war alt, die politischen Leiter
nach außen bedeutungslos und nach innen schwach, die militärischen
Führer verspottet. Wohin sollte das treiben?
Auch in Deutschland war die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage ernst. Die
Schwierigkeiten in der Ernährung nahmen zu, und man begann in Berlin
wie im Großen Hauptquartier mit immer größerer Sorge die
unheilvolle Wirkung der englischen Blockade zu betrachten. Aber im Gegensatz
zu Österreich ließ man doch wenigstens die Dinge nicht tatenlos
laufen; man griff ein, zum Teil sogar energisch ein und erließ
Verpflegungsbestimmungen, um deren Befolgung sich der überwiegende
Teil der Bevölkerung nicht herumdrücken konnte. So war wenigstens
für die nächste Zukunft ein katastrophenartiger Niedergang der
wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zu befürchten.
Verhängnisvoll aber war der Niedergang in der Stimmung. Mußte die
Länge des Krieges schon an sich abstumpfen, so stellte die
Kriegführung des Generals v. Falkenhayn
ganz besonders starke
Anforderungen an die Nerven. Die Masse des Volkes konnte sich kein Bild
machen, wie eigentlich die Beendigung des Ringens gedacht war. Nach so viel
Siegen, nach so viel Verlusten sah man noch immer keine positiven Resultate dem
Frieden zu. Man fragte sich, wozu [37] das alles denn nütze, und wurde stumpf
oder pessimistisch. In Teilen der Arbeiterschaft aber begann sich, seit
Kriegsbeginn zum erstenmal, gefährliche Unzufriedenheit zu regen.
In solcher Lage wäre eine straffe Zusammenfassung der politischen,
militärischen und wirtschaftlichen Kriegführung doppelt notwendig
gewesen. Durch entschlossene Führung, durch klare Bezeichnung
erreichbarer Ziele mußte das Volk aus der Unsicherheit, aus der Unklarheit
über seine eigene gefahrvolle Lage im Falle eines verlorenen Krieges
herausgerissen werden. Aber die Aufgabe war so schwer, daß sie bei der
unglücklichen Organisation den Willen und die Kräfte der deutschen
Staatsmänner überstieg. Man kann das nur als Tatsache, nicht als
Werturteil aussprechen; denn ob andere Männer das vollbracht
hätten, was Bethmann Hollweg nicht erreichte, ist zum mindesten nicht
erwiesen. Vielleicht gab es niemanden in Deutschland, der fähig gewesen
wäre, die Lage des um sein Leben ringenden Volkes zu meistern.
Reichskanzler v. Bethmann Hollweg jedenfalls verfiel immer mehr der
Passivität. Nach seiner Grundanschauung hatte er gehofft, den Krieg durch
Verständigung mit England, vielleicht auch mit Frankreich, beenden zu
können. Wie weit er noch an dieser Hoffnung festhielt, oder wie er sich
überhaupt die Erreichung des Friedens dachte, war in der Obersten
Heeresleitung nach wie vor schwer zu beurteilen, denn er hüllte sich auch
weiterhin in Schweigen. Auffallend war, daß er alle Gegenmaßregeln
ablehnte, als die schmähliche Behandlung der deutschen Gefangenen in
England und besonders in Frankreich bekannt wurde. Einst hatte er die
Engländer nicht durch Einsatz der Flotte reizen wollen, jetzt wollte er nicht
durch Repressalien reizen.
Diese Gedankengänge des obersten Staatslenkers mögen sonderbar
anmuten, aber sie beschränkten sich durchaus nicht nur auf Bethmann
Hollweg, und sie waren später in genau derselben Art, aber
naturgemäß in noch weit größerer Stärke bei der
Führung der deutschen auswärtigen Angelegenheiten vorhanden. Sie
lassen sich nur erklären durch die völlige Unfähigkeit der
deutschen Staatsmänner, den Begriff vom Wesen des Krieges als den
Ausdruck äußerster Gewalt zu erkennen und die so ganz anders
geartete Psyche der feindlichen Völker und ihrer Führer richtig
einzuschätzen. Daß man von den feindlichen Staatsmännern
annahm, sie würden ihre politischen Ziele auf Grund persönlicher
Gekränktheit ändern, konnte der deutsche Soldat nicht begreifen,
1916 nicht und später nicht. Seit Beginn 1916 wurde die Entwicklung
immer unheilvoller, denn die politischen und militärischen Führer
Deutschlands standen einander immer verständnisloser
gegenüber.
Aber auch der Entwicklung im Innern gegenüber verhielt sich der
Reichskanzler auffallend passiv. Um die Stimmung im Volke zu heben,
Unzufriedenheit und Gleichgültigkeit zu bekämpfen, geschah von
seiner Seite so gut wie nichts. Im März 1916 sonderte sich die
Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft, die späteren
Unabhängigen, von der Sozialdemokratischen Partei ab. Damit war [38] die nationale Einheitsfront des deutschen
Volkes zerschlagen, es trennten sich aus ihr die Männer, denen nicht mehr
der Sieg ihres Vaterlandes über alles ging. Damit aber waren die ersten
Vorbedingungen für die vergiftendste Propaganda, die Propaganda der
eigenen Schwäche im Angesicht des Feindes, gegeben. Reichskanzler und
Regierung wehrten ihr nicht. Der Juni 1916 sah die ersten politischen Streiks.
Nichts, aber auch gar nichts geschah, um mit der rücksichtslosen Energie
durchzugreifen, welche die ernste Lage Deutschlands erforderte, und die von der
todesmutigen, am Feinde stehenden Truppe verlangt werden konnte.
Wenn in Deutschland überhaupt noch jemand führte, so war es nur
der Generalstabschef. Der aber war in Mitteln und Möglichkeiten
beschränkt.
Falkenhayns System der Kriegführung blieb unverändert. Sein
Programm nahm er auch in das Jahr 1916 mit hinüber: den Krieg im
großen defensiv zu führen und mit den vorhandenen personellen und
materiellen Mitteln so lange hauszuhalten, bis eine Veränderung der Lage
oder eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse ein anderes Vorgehen
ermöglichte. Offensiven sollten nur geführt werden, um bestimmte
militärische, politische oder wirtschaftliche Ziele zu erreichen oder
ebensolche Gefahren abzuwenden.
Die wachsende Unzufriedenheit darüber, daß der Generalstabschef
das Volk mit dieser Kriegführung im Jahre 1915 dem Frieden offenbar
nicht näher gebracht hatte, beschränkte sich keineswegs auf Teile der
Arbeiterschaft. Gerade in gebildeten Kreisen verstärkte sich die Opposition,
und man blickte auf die im Osten führenden Männer, den Feldmarschall
v. Hindenburg und den General Ludendorff, als auf die
Persönlichkeiten, denen man eine schnellere Erringung des Sieges zutrauen
wollte. Auch auf den Reichskanzler gewannen diese Gedanken Einfluß,
aber es scheint doch, als wenn er sich in der Beurteilung der den deutschen
Führern im Osten vorschwebenden Kriegsziele und ihrer Ansicht
über das Wesen des Krieges einer schweren Täuschung hingab. Denn
mochte General Ludendorff mit der Art der Kriegführung des jetzigen
Generalstabschefs unzufrieden
sein - der Gedankengang und das Wirken des Kanzlers Bethmann Hollweg
war seiner Natur völlig fremd und zuwider. Schließlich wurde die
Mißstimmung der Heimat bis in die Oberste Heeresleitung hineingetragen,
eine Tatsache, welche die Arbeit des Generals v. Falkenhayn nicht
erleichtern konnte.
Der Generalstabschef mochte wohl fühlen, daß es dringend
nötig war, im Verlauf des Jahres 1916 dem Kriegsende näher zu
kommen. Daß diese Aufgabe im wesentlichen ihm allein oblag, daß er
sie durchführen mußte, ohne von den politischen Stellen
gestützt zu werden, darüber blieb ihm kein Zweifel.
Die militärischen Mittel, mit denen der Krieg 1916 geführt werden
mußte, waren die alten: das deutsche Heer, die verbündeten Heere
und die deutsche Flotte. Ein einheitliches Zusammengehen mußte mehr als
bisher gesichert werden.
Da die Türken an ihren eigenen Fronten festlagen, die Bulgaren
außerhalb des Balkankriegsschauplatzes nicht zu kämpfen
verpflichtet waren, kam es im [39] wesentlichen darauf an, ein gemeinsames
Handeln des deutschen und des
österreichisch-ungarischen Heeres sicherzustellen.
Dies wurde von Falkenhayn nicht erreicht. General Conrad v. Hötzendorf
hatte sich in den Gedanken einer Offensive gegen Italien festgebissen, und da der
deutsche Generalstabschef es ablehnte, für dieses Unternehmen deutsche
Truppen zur Verfügung zu stellen oder k. u. k. Truppen durch
deutsche aus der Ostfront herauszulösen, wurde der Riß zwischen den
führenden Soldaten der beiden Monarchien immer tiefer und
gefährlicher. General v. Conrad wurde gegen den Deutschen um so bitterer
und ungerechter, je mehr er den Niedergang der eigenen Wehrmacht und damit
seine Abhängigkeit von dem stärkeren Verbündeten erkannte.
In zorniger Trauer, daß der italienische Plan, der ihm seit Jahren am Herzen
lag, noch immer nicht gewürdigt wurde, vergaß er die ungeheure
Verpflichtung gegen den Bundesgenossen, ohne dessen Waffen der
österreichisch-ungarische Staat längst zusammengebrochen
wäre, und ging seine eigenen Wege. Falkenhayn aber fand nicht die Kraft,
die Offensive
Österreich-Ungarns gegen Italien zu verhindern oder seinem Willen
anzupassen, wie es hätte geschehen müssen. Er begnügte sich
mit Warnungen und verließ sich lediglich auf die Machtmittel
Deutschlands, um die von ihm für das Jahr 1916 gewünschte
Operation zu führen.
Es mag tief beklagenswert sein, daß die Gegensätze in den
Anschauungen der beiden Männer solche Folgen hatten. Aber man
muß dem gegenüberhalten, daß ein wirklich gemeinsames
Operieren von Verbündeten in diesem Kriege nur selten erreicht wurde.
Noch schlimmer sah es jetzt und in der nächsten Zeit auf Seiten der Feinde
aus, wo bis zum Umschwung von 1918 keiner von seinen Sonderinteressen
loskommen wollte und wo der amerikanische Oberkommandierende Pershing fast
bis zum Kriegsende in heftigster Opposition zum Marschall Foch stand. In einer
siegreichen Koalition werden aber solche Schwierigkeiten später in der
Erinnerung verwischt, da das Gefühl des gemeinsam errungenen Erfolges
vorwaltet. Der Besiegte dagegen hat Ursache, über die Gründe
nachzudenken, die an seinem Sturze mitwirkten.
Die Offensive gegen Italien lehnte General v. Falkenhayn aus den gleichen
Gründen ab, die seiner Überzeugung nach auch bisher schon immer
gegen ein solches Unternehmen gesprochen hatten.
Wenn es eine Nebenoperation war, so mußte vorher die Frage des Zwecks
und der Einwirkung auf die Hauptoffensive geklärt werden. Notwendig war
sie jedenfalls nicht, denn die Defensive an dieser Front hatte sich bisher gut
bewährt. Ihre Bedeutung als Ablenkung für eine auf einem anderen
Kriegsschauplatz zu führende Hauptoffensive schätzte Falkenhayn
nicht hoch ein. Deutsche Truppen mochte er nicht zur Verfügung stellen;
den isolierten Anstrengungen
Österreich-Ungarns traute er keine besonderen Ergebnisse zu. Zudem
bangte er vor der Gefahr, General v. Conrad möge um seines italienischen
Lieblingsplans willen seine Ostfront bis zur schweren Gefährdung
schwächen.
[40] Es sollte nach Ansicht des
österreichisch-ungarischen Generalstabsschefs aber auch gar keine
Nebenunternehmung sein, sondern die Hauptoffensive für das Jahr 1916,
welche die Entscheidung zu bringen hatte.
Welche Entscheidung war damit gemeint? Mußte eine italienische
Niederlage in der
Po-Ebene unbedingt wesentlichen Einfluß auf das Kriegsende haben?
Waren die Alliierten gezwungen, starke Reserven aus Frankreich nach Oberitalien
zu schieben, wenn es dort ihrem Verbündeten schlecht ging, oder konnten
sie nicht ebenso gut diesen seinem Schicksal überlassen, für den Fall,
daß sie ihre Truppen besser an anderer Stelle gebrauchen wollten? Italiens
Fesselung an die Alliierten war auch dann sicher; es mußte an ihrer Seite
aushalten, selbst dann, wenn die Deutschen in Venedig und Genua standen, weil
seine Küsten und Eisenbahnen unter den englischen Kanonen lagen, und
seine Ernährung völlig von den Alliierten abhing.
Es gab auch in höheren Stellen Männer, die daran glaubten, man
könne nach Besitznahme Oberitaliens und Abschnürung der
eigentlichen
Apennin-Halbinsel den Angriff über die Westalpen gegen die Franzosen
weiterführen. Die Aussicht, gleichzeitig von Nordosten und Südosten
gegen Frankreich zu operieren, hatte zweifellos etwas Bestechendes. Falkenhayn
aber hielt die Autostraße an der
Riviera-Küste nicht für ein geeignetes Offensivgelände,
besonders nicht, wenn eine
englisch-französisch-italienische Flotte in der Flanke stand, und er nahm
an, daß die Franzosen ihre Alpenpässe mit weit geringeren
Kräften würden halten können, als ein Angreifer nach
Abschluß der oberitalienischen Operation zum weiteren Stoß
würde ansetzen müssen.
Da die Ablehnung der italienischen Offensive durch Falkenhayn vielfach mit der
im anderen Sinne gehaltenen Entscheidung Ludendorffs 1917 in Vergleich gestellt
wird, sei auf einen Vergleich kurz eingegangen. Auch diese Offensive war keine
Hauptoperation, sondern eine ausgesprochene Nebenunternehmung. Ihr lag aber
eine absolute militärische Notwendigkeit zugrunde. Ihr Zweck war, die
k. u. k. Armee, die sich defensiv nicht mehr halten konnte, durch
einen kurzen Vorstoß zu entlasten, die Ausdehnung ihrer italienischen Front
zu verringern. Als dieser Zweck erreicht war, brach Ludendorff ab, trotz dem
großen und glänzenden Erfolg zwischen Isonzo und Piave. Einer
Weiterführung der Bewegung auf Mailand, einem Durchbruch über
Ventimiglia auf Marseille stimmte er nicht zu, da auch er der Überzeugung
war, er könne die hierfür nötigen Truppenverstärkungen
1918 besser und erfolgversprechender an anderer Stelle einsetzen.
Der Gedanke einer großen und entscheidenden Offensive gegen die Italiener
ist von vielen Offizieren erwogen worden. Der Verlauf der Landesgrenzen reizte
ja förmlich dazu. General v. Falkenhayn dachte nüchtern und
sehr logisch. Er sah nicht nur die Schwierigkeiten der
Alpenübergänge, die sich auf der Karte nicht hervorhoben, er sah
auch die politischen Zusammenhänge, die eine Operation erschweren oder
sie zwecklos erscheinen ließen.
[41] So lehnte der deutsche Generalstabschef die
Offensive gegen Italien 1916 ab. Noch weniger versprechend schien es ihm zu
sein, 1916 die Offensive gegen Rumänien oder erneut gegen Rußland
aufzunehmen.
Der Angriff auf Rußland wurde auch innerhalb der Obersten Heeresleitung
vielfach befürwortet. Nach Bezwingung der Serben hielt man den Zeitpunkt
für geeignet, sich die rumänische Gefahr ein für allemal vom
Halse zu schaffen. Man schlug vor, ein scharfes Ultimatum zu stellen, dem bei
Nichtbefolgung sofort die Kriegserklärung und militärische
Maßnahmen zu folgen hätten.
Wäre die bulgarische Regierung und Heeresleitung einverstanden gewesen,
so hätte dieser Entschluß manches für sich gehabt. Aber selbst
unter dieser Voraussetzung waren erhebliche Bedenken zu überwinden:
man vergrößerte die Zahl seiner Feinde und eroberte Land, das man
wirtschaftlich brauchte, von dem man aber wirtschaftlich viel mehr Nutzen ziehen
konnte, wenn man in friedlicher Fühlung mit ihm blieb. Vor allem aber
fehlte die Voraussetzung der bulgarischen Beteiligung, die in der alten
Militärkonvention nicht vorgesehen war.
Allerdings scheint es fast, als wenn Falkenhayn die rumänische Gefahr
unterschätzt habe. Er hielt es nach den glänzenden Erfolgen in
Serbien für möglich, daß die deutsche Politik jetzt
Rumänien zu dauernder, vielleicht sogar wohlwollender Neutralität
gegenüber den Mittelmächten bewegen könnte. Aber die
deutschen politischen Stellen verstanden es nicht, aus den überraschend
großen militärischen Siegen Vorteil zu ziehen. Ihre diplomatischen
Bemühungen in Bukarest versagten völlig; sie hatten keine Presse
unter ihrem Einfluß, man sparte Gelder bei Aufkauf und Bestechung, man
wagte keine Drohungen und lockte durch keine Versprechen. Die
Staatsmänner der Entente hatten in ähnliche Fällen anders
gearbeitet und taten es auch jetzt.
Eine Fortsetzung der Offensive gegen Rußland schien zwecklos. Nun, da
die Front in einer fast geraden Linie von Nord nach Süd führte,
waren militärische Erfolge von ausschlaggebender Bedeutung schwer zu
erringen. Man mußte zunächst in Ruhe abwarten, wie schnell
Rußland zum Frieden heranreifte. Daß die von deutschen
Parlamentariern begrüßte, vom Reichskanzler eingeleitete
Polenfreundschaft solche Entwicklung ungemein stören mußte,
muß hier noch einmal ausgesprochen werden. —
Auf Grund aller Erwägungen kam General v. Falkenhayn für das Jahr
1916 zu dem Entschluß, diesmal in engster Zusammenarbeit mit der
Marine, gegen den Hauptfeind vorzugehen: gegen England.
Das war nicht mehr eine Offensive mit beschränktem Ziel, ein Stoß,
lediglich geführt, um bestimmte Gefahren abzuwenden oder
sekundäre Ziele zu erreichen, ein Angriff, nach dessen Vollendung man
wieder in die abwartende Defensive, in die mit dem unschönen Namen
"Ermattungsstrategie" getaufte Kriegskunst zurückführen wollte. Es
war weit mehr. Im Hinblick auf die wachsende wirtschaftliche Not, den sich
ankündigenden Zerfall
Österreich-Ungarns, die Mißstände [42] in der eigenen Heimat glaubte jetzt auch
Falkenhayn, nicht länger warten zu können. Er trat aus dem Rahmen
seiner bisherigen Kriegführung heraus und rüstete eine Entscheidung
suchende Operation gegen England.
Von dieser Entscheidung glaubte er, daß sie gleichzeitig auf zwei Arten
erreicht werden müsse. Der eine Weg sollte unmittelbar zum Ziele
führen, das war der Angriff der deutschen
U-Boote. Im Gegensatz zum Sommer 1915 befürwortete und verlangte der
Generalstabschef jetzt den unbeschränkten
U-Boot-Krieg. Der Grund hierfür war die Verschlechterung der eigenen
wirtschaftlichen Lage auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber die
Erhöhung von Zahl und Leistungsfähigkeit der deutschen U-Boote
und ihrer Besatzungen sowie die bestimmten und zweifelsfrei scheinenden
Zusagen der Marineleitung. Auch wer skeptisch von diesen Zusagen erhebliche
Abstriche unternahm, mußte doch noch immer auf entscheidende Erfolge
hoffen.
Es war aber noch ein wesentlicher Grund, der den Generalstabschef gegen
Ausgang des Jahres 1915 den
U-Boot-Krieg befürworten ließ, den er noch im Sommer abgelehnt
hatte. Damals stand das Bündnis mit Bulgarien auf dem Spiel, dem die
Kriegserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika den Todesstoß
versetzt hätte. Jetzt, nachdem das bulgarische Bündnis geschlossen
und im blutigen Kampfe erhärtet war, brauchten derartige politische
Rücksichten nicht mehr genommen zu werden. Die Kriegserklärung
Nordamerikas, so ernst sie auch einzuschätzen war, mußte vor der
nach den Versicherungen der Marine berechtigten Aussicht zurücktreten,
England in absehbarer Zeit zum Frieden zwingen zu können, d. h. in
einer Zeit, bevor die erst auszubildenden Landstreitkräfte der Vereinigten
Staaten auf dem europäischen Kriegsschauplatz gefährlich werden
konnten.
Daß Falkenhayn jetzt von dem U-Boot-Krieg entscheidende Wirkung
erwartete, geht aus seinem Weihnachtsvortrag an den Kaiser 1915 einwandfrei
hervor. Er sprach von den Zusagen der Marine, daß der
U-Boot-Krieg "England zum Einlenken zwingen müsse", und von dem
"Gespenst des Hungers", das England auftauchen sehe. Kein Zweifel, er dachte an
einen entscheidenden Schlag, genau wie Ludendorff und die Marine 1917, als der
U-Boot-Krieg von neuem verlangt wurde.
Eine Einschränkung ist dabei vonnöten. Seiner ganzen Denkart nach
richtete General v. Falkenhayn seine Anstrengungen nicht darauf, "England
auf die Kniee zu zwingen" oder einen Frieden zu "diktieren". Er dachte sich die
Entscheidung vielmehr in der Weise, daß England durch die Not im eigenen
Lande zum Nachgeben veranlaßt wurde und in Verhandlungen einem
Frieden zustimmte, der, ohne Annexionsfriede zu sein, für Deutschland
günstig war. Daß aber auch dieses nach Falkenhayns Ansicht ohne
schärfsten militärischen Druck von England nicht zu erreichen war,
kann nur wiederholt
werden - die entgegengesetzte Anschauung des Reichskanzlers fand in der
Seele des Generalstabschefs keinen Widerhall.
[43] Während die Flotte unmittelbar den
Stoß gegen England führen sollte, sollte das Heer nach Falkenhayns
Plan den Hauptgegner nicht unmittelbar, sondern auf einem Umwege treffen. Zu
Lande konnten die Engländer nur auf dem westlichen Kriegsschauplatz
geschlagen werden, denn auf allen Außenposten konnten deutsche Siege
nicht an den Lebensnerv der englischen Kraft gehen. Züge nach
Indien - selbst diese wurden in Anregung gebracht - lehnte
Falkenhayn als phantastisch und unausführbar ab, und jeder, der (um nur
einen Punkt zu nennen) von den zu durchquerenden Landstrecken mehr kennt als
eine Atlaskarte, wird ihm beipflichten.
Auf dem westlichen Kriegsschauplatz aber war es gleichgültig, ob die
britischen oder die französischen Truppen angegriffen wurden, denn die
französischen Truppen waren ja auch nichts weiter als das Schwert
Englands, noch dazu sein bestes Schwert. Da also taktische und operative
Rücksichten mehr für einen Angriff gegen die französische
Front sprachen, mußte die Entscheidung dahin fallen, daß Falkenhayn
den Angriff zwar taktisch gegen die Franzosen plante und dabei doch den
militärpolitischen Angriff gegen die Briten meinte.
Die Frage, wo und wie dieser Angriff gegen die Franzosen unternommen werden
sollte, führt auf rein militärisches Gebiet. Die Anschauungen des
Generals v. Falkenhayn, daß Massenstürme keinen Erfolg
versprachen, gründeten sich auf den Erfahrungen von 1915; sie wurden
später durch die Mißerfolge der Alliierten bestätigt. (Erst die
veränderte Taktik von 1918, die das Moment der Überraschung in
den Vordergrund stellte, sollte zu einer anderen Auffassung berechtigen.)
Für 1916 lehnte der Generalstabschef einen Massendurchbruch ab, aber er
forderte statt dessen nicht etwa eine Reihe von Stößen an
verschiedenen Stellen (wie sie Foch später, in der zweiten Hälfte des
Jahres 1918, anordnete), sondern einen Angriff mit beschränkten
Kräften an einer einzigen Stelle. An dieser einen Stelle sollte der Angriff
aber zeitlich so lange durch neue Kräfte genährt werden, wie man
wollte, und das Angriffsziel sollte ein solches sein, daß der
französische Führer auch unter ungünstigsten Bedingungen
gezwungen wurde, stärkste Truppenmengen hineinzuwerfen, um dieses Ziel
zu halten. Gelang ihm das nicht, so sollte das für ihn einen
erschütternden moralischen und politischen Mißerfolg bedeuten,
einen Mißerfolg so groß, daß er ihn zum Nachgeben zwang.
Falkenhayn stellte sich also nicht auf den Boden einer klaren strategischen
Vernichtungsoperation, sondern er wünschte sein Ziel durch eine
militärische, moralische und politische Kombination zu erreichen.
Es ist nicht ganz leicht, diesen Erwägungen zu folgen. Das große
Ziel, England zur Friedensbereitschaft zu veranlassen, entspricht durchaus den
geläufigen militärischen Anschauungen, ebenso der Plan, dieses Ziel
durch eine Entscheidungsoperation zur See zu erreichen. Aber das
Begleitunternehmen zu Lande war eigentlich ein Mittelding zwischen
Entscheidungsoperation und aus [44] zuwartender Strategie geborener
Sonderoffensive zu bestimmtem Zweck. Als dann die Operation zur See, die
unmittelbar tödlich wirken sollte, ausfiel, und nur die Begleitoffensive zu
Lande als Rumpf zurückblieb, da hatte eigentlich der ganze Plan seinen
Hauptsinn verloren. Und als ferner der Angriff bei Verdun nicht gleich den
gewünschten Erfolg brachte, einen Erfolg, der zum Greifen nahe war, da trat
das Moment des Entscheidungssuchens immer mehr zurück
gegenüber einem Offensivgedanken mit beschränktem Zweck,
nämlich dem Zweck, Frankreich durch die ihm beigebrachten großen
Verluste für lange Zeit als Angriffsgegner auszuschalten.
Eines aber muß festgehalten werden: der ursprüngliche Plan
Falkenhayns, England gleichzeitig militärisch, politisch und wirtschaftlich
zu treffen, war klar und folgerichtig. Dieser Plan aber stand, da er sich gerade
gegen England richtete, in völligem Gegensatz zu der Überzeugung,
den Hoffnungen und Absichten des Reichskanzlers.
Der Kanzler hoffte noch immer auf eine Versöhnung mit England. Nun
aber drohte der
U-Boot-Krieg nicht nur diese zu verhindern, sondern sogar die zweite
angelsächsische Großmacht, die Vereinigten Staaten, mit in den Krieg
hineinzuziehen. Das war für Herrn v. Bethmann Hollweg zuviel, und als im
Februar der uneingeschränkte
U-Boot-Krieg beginnen sollte, erhob er Einspruch und forderte einige Wochen
Aufschub, um inzwischen die Amerikaner umzustimmen.
Diese ganze Maßnahme war schwer verständlich. Die Konsequenzen
des unbeschränkten
U-Boot-Krieges für die Haltung der Vereinigten Staaten mußten von
vornherein klar sein. Warum also erhob der Kanzler erst dann Einspruch, als der
sorgfältig vorbereitete Plan in die Tat umgesetzt werden sollte? Warum
nahm er nicht schon von Anfang an, schon als er die Absichten kennenlernte, im
Dezember 1915, entscheidenden Einfluß auf die für 1916 zur
Erwägung gestellten Pläne; warum erwirkte er nicht schon damals
den Verzicht auf alles das, was er für unzweckmäßig hielt, und
offenbarte, wie er sich die Fortführung des Krieges dachte?
Jetzt, als der mühevoll vorbereitete Plan zur Tat wurde, erklärte er, in
ein paar Wochen Amerika umstimmen zu wollen, also in wenigen Wochen das
erreichen zu können, was ihm in anderthalb Kriegsjahren nicht
geglückt war. Diese seine Absicht, ohne jede Unterlage für einen
Erfolg ausgesprochen, mutete so eigenartig an, daß sie fast als eine
Gebärde der Unentschlossenheit aufgefaßt werden mußte.
Man mag die Gründe, die der Reichskanzler für sein Verhalten hatte,
bewerten wie man will. Sicher ist, daß er durch seinen Einspruch dem
gesamten operativen Plan für 1916 den Todesstoß versetzte.
Statt des unbeschränkten U-Boot-Krieges wurde ein Kompromiß
zwischen Marine und Reichskanzler in die Wege geleitet und angeordnet. Dieses
Kom- [45] promiß nannte sich "verschärfter"
U-Boot-Krieg; es gestattete die warnungslose Versenkung feindlicher
Handelsschiffe nur, wenn diese bewaffnet seien.
Da mußte allerdings vorausgesetzt werden, daß die feindlichen Schiffe
ihre Kanonen deutlich präsentierten, wenn das
U-Boot auf Jagd ging. Der Befehl stellte die
U-Boot-Kommandanten vor unlösbare Aufgaben; die Regierung gab
Anordnungen, in denen sie ihre Unwissenheit über das technische Wesen
der Waffe in schärfster Form bloßstellte.
Die Einschränkung des U-Boot-Krieges gab dem Offensivgedanken
Falkenhayns den Todesstoß, ohne nach der anderen Richtung hin zu
nützen. Von einer Umstimmung Amerikas durch die deutsche Staatskunst
war trotz aller Nachgiebigkeit nichts zu merken. Im Gegenteil: die amerikanischen
Einsprüche konnten gar nicht schärfer sein, und als am 24.
März 1914 der "Sussex" torpediert wurde, schien der Bruch zu drohen. Da
gab der Kanzler völlig nach: am 4. Mai wurde der
U-Boot-Krieg auf den normalen Kreuzerkrieg reduziert. Hier kennzeichnet sich
auf das schärfste die Unwahrheit der Behauptung Bethmann Hollwegs, er
habe der Obersten Heeresleitung gegenüber seinen Willen nicht
durchhalten können. Da, wo er hemmend, vernichtend die dem Wesen des
Krieges als einer Äußerung rücksichtsloser Gewalt
entsprechenden Entschlüsse der Obersten Heeresleitung unterbinden
konnte, hat er (ebenso wie später bei
Hindenburg-Ludendorff) so auch jetzt bei Falkenhayn, seine schwächliche
Auffassung
durchgesetzt - zum Schaden des deutschen Volkes. Dieser
außerpolitische Gegensatz und seine Folge ließen Falkenhayns Plan
und in mehrfacher Wiederholung, schließlich den ganzen Krieg scheitern.
Nie helfend, nur hemmend hat sich die politische Betätigung des
Reichskanzlers zur Geltung gebracht.
Es ist das Tragische, daß die Begleitoffensive zu Lande, der Angriff auf
Verdun, zu einer Zeit eröffnet wurde, da Falkenhayn noch auf die Wirkung
der unmittelbar zu treffenden Offensive zur See hoffte. Erst über zwei
Monate nach dem Sturm der heldenmütigen Infanterie auf die Forts von
Verdun, wurde der
U-Boot-Krieg endgültig abgesagt. Wenn es ein Fehler war, daß der
Generalstabschef trotz dieser Entwicklung der Kriegführung zur See auf
seinen Offensivanstrengungen zu Lande beharrte, so erscheint
demgegenüber das Verhalten des Kanzlers überhaupt unbegreiflich.
Er brach den großen Plan für 1916 die Spitze ab. Zur Marine stand er
in schroffem Gegensatz. Zu Falkenhayn hatte er kein Vertrauen. Derartige
Verhältnisse mußten zerrüttend wirken. Anordnungen, die
seine eigenen Pläne zur Auswirkung gebracht hätten, gab er nicht;
die Absichten des Generalstabschefs durchkreuzte er im Augenblick ihres
Beginns. Denn die Verhinderung des
U-Boot-Krieges war doch nur ein negatives Ergebnis; wo aber blieben seine
eigenen politiven Pläne, Absichten und Befehle?
Wer führte den Krieg in England? Der Premierminister. Wer in Frankreich?
Der Ministerpräsident. Wer später in Amerika? Der Präsident.
Und in dem belagerten, bedrohten, um sein Leben fechtenden Deutschen Reich?
Ein [46] wenig der Generalstabschef unter dem Zwange
der Not, des Versagens des dazu Berufenen, und ein wenig die Marine. Die
politische Leitung aber begnügte sich zu verhindern, was ihr zu sehr Wagnis
erschien, im übrigen ließ sie die Dinge laufen:
Der Geist Bismarcks fehlte!
Verdun und die Krisis von 1916.
Der Angriff auf Verdun vom 22. Februar 1916 war infolge des Ausbleibens der
Offensive zur See, infolge der fehlenden Übereinstimmung mit
Österreich-Ungarn und infolge der im Angriff sich auswirkenden
ungewohnten Verquickung militärischer, politischer und moralischer
Erwartungen vielleicht nicht klar in seinen Zielen. Trotzdem aber hatte er alle
Aussicht, zu einem großen Erfolge zu führen.
Veröffentlichungen des Gegners bestätigen, daß drüben
der Fall der Festung schon unabwendbar erschien, und daß die Folgen
dieses Ereignisses für das französische Volk und Heer sehr schwer
gewesen wären. Natürlich ist es müßig, sich diese
Folgen im einzelnen auszumalen; aber allein die Einräumung ihrer
entscheidenden Bedeutung von französischer Seite beweist, daß die
Verdun-Operation trotz allen Einwänden doch auf nicht unberechtigter
Unterlage beruhte.
Der Grund für die an sich günstigen Aussichten des Angriffs lag in
den militärischen Vorbereitungen, über die an anderer Stelle
gesprochen wird, und in der Geheimhaltung des Planes.
Die Geheimhaltung schien damals und scheint vielfach noch heute recht
übertrieben. General v. Falkenhayn liebte es, seine Gedanken
für sich zu behalten, und selbst die militärischen Untergebenen von
der Kenntnisnahme auszuschließen, deren intensive und bis in das
einzelnste gehende Mitarbeit gar nicht entbehrt werden konnte. Der Reichskanzler
wurde unterrichtet; als er aber das Schweigegebot gegenüber einem
Staatssekretär übertrat, wurde der Generalstabschef recht ungehalten.
Schließlich erzählten sich Berliner Privatkreise ganz offen von der
bevorstehenden Operation, während man im Großen Hauptquartier
und in den interessierten Ämtern des Reiches noch immer an der
Bewahrung des Geheimnisses festhielt.
Diese Entwicklung schien unnatürlich. Aber sie erfüllte ihren Zweck,
und das war die Hauptsache: Die Franzosen wurden überrascht.
Aus militärischen Gründen - durch Maßnahmen oder
vielmehr Unterlassen von
Maßnahmen - kam es am 22. Februar und den folgenden Tagen nicht
zu dem in Aussicht stehenden Erfolg. Der verheißungsvoll begonnene
Angriff lief sich fest, ehe er sein Ziel erreicht hatte. Um aber auf die Dauer ihre
Stellungen bei Verdun behaupten zu können, sahen sich die Franzosen im
Frühling und Sommer genötigt, eine ihrer Divisionen nach der
anderen in das blutige, vom deutschen Angriff geschaffene Schlachtfeld
hineinzuwerfen, solange die Oberste Heeresleitung auf der Weiterführung
der Offensive beharrte. Und Falkenhayn beharrte zäh darauf.
[47] So weit war also die Absicht des
Generalstabschefs erreicht: er zwang die Franzosen, stärkste
Truppenmengen in der von ihm gewünschten Richtung zu verlustreichem
Kampfe einzusetzen. Aber hinter dieses Ergebnis mußten zwei große
Fragezeichen gesetzt werden.
Einmal: war das Verhältnis der Verluste vor Verdun für die
Deutschen so günstig, für die Franzosen so ungünstig,
daß diesen
dadurch - wie Falkenhayn es erhofft hatte - die Möglichkeit
genommen war, ihrerseits zusammen mit den Briten an der Westfront die
Offensive zu ergreifen? Denn nur dies konnte die Voraussetzung für die
Weiterführung der
Verdun-Operation sein, da man zu einer Abwehr im Westen auf deutscher Seite
weder Vorbereitungen traf noch Reserven zurückhielt.
Die zweite Frage war, ob man an den anderen Fronten, im Osten und
Südosten, so lange vor einer gegnerischen Offensive sicher war, bis vor
Verdun der Zweck, die Zermürbung des französischen Heeres
für ausreichende Zeit, erreicht war, und wieder Reserven für die
anderen Fronten bereitgestellt werden konnten.
Die erste Frage, nach der Verwehrung der
französisch-britischen Offensivmöglichkeiten an der Westfront,
konnte nur zum kleinsten Teile bejaht werden. Die
Somme-Angriffe der Alliierten, die am 24. Juni losbrachen, wurden allerdings nur
auf schmaler Front geführt, da die Franzosen durch den
Kräfteverbrauch an der Maas belastet waren. Aber sie wurden doch
schließlich geführt, und trotz ihrer Begrenzung nach der Breite mit
solcher Kraft und Entschlossenheit geführt, daß die ganze deutsche
Westfront in schwerste Gefahr kam.
Völlig verneint werden muß die zweite Frage, nach der Sicherheit an
den anderen Fronten der Mittelmächte. Durch den Beginn der
Brussilow-Offensive im Osten am 4. Juni wurden die Berechnungen des
deutschen Generalstabschefs umgestürzt.
Schuld hieran war allerdings in erster Linie die
österreichisch-ungarische Heeresleitung. Die gegen den Wunsch und die
Warnung des Generals v. Falkenhayn am 15. Mai eröffnete
Offensive der k. u. k. Armee in Oberitalien war wohl eine der
mangelhaftesten Unternehmungen des ganzen Weltkrieges. Obgleich hier der
zuverlässigste Kern des k. u. k.
Heeres eingesetzt war, lief sich die Operation nach einigen, für das Ganze
belanglosen, im Gelände nicht haltbaren Anfangserfolgen fest. Die
österreichisch-ungarische Ostfront aber, die, wie Falkenhayn es
gefürchtet hatte, für den Angriff auf Italien von zuverlässigen
Truppen entblößt worden war, brach unter den Schlägen der
Russen zusammen.
Mit dem 4. Juni 1916, dem Anfang der Brussilow-Offensive in Wolhynien,
zerflatterte auch das von der großen deutschen Ostoffensive 1915 erwartete
Ergebnis, die Ausschaltung des Russen als Angriffsgegner. Daß der
wiederauflebende russische Angriff aber einen so umfassenden Erfolg im Juni
1916 hatte, läßt keine Rückschlüsse auf den Wert der
Operation von 1915 zu. Der Zusammenbruch der angegriffenen Teile der Fronten
in Wolhynien war die [48] unvermeidliche Folge der
Vernachlässigung oder vielmehr der unverantwortlichen
Schwächung dieser Fronten durch die
österreichisch-ungarische Heeresleitung. Da überdies die slawischen
Regimenter der Doppelmonarchie in großer Zahl zum Feinde
übergingen, mußte es zu einer Katastrophe kommen.
An der militärischen Wiederherstellung der Lage an der Somme und in
Wolhynien hatte General v. Falkenhayn noch reichen Anteil. Sein Ansehen
bei des Osmanen bewog die Regierung und Heeresleitung in Konstantinopel,
türkische Truppen zur Stützung der Ostfront zu entsenden. Als aber
zu allen anderen Mißerfolgen noch die Kriegserklärung der
Rumänen kam, da erlitt die Stellung des Generalstabschefs den
entscheidenden Stoß.
Mit dieser Möglichkeit hatte Falkenhayn nicht gerechnet; ausreichende
Kräfte zu ihrer Abwehr waren nicht bereitgestellt. Auch hier hatte die
politische Leitung des Reiches keinen Erfolg zu erzielen vermocht. Ihr war es
nicht gelungen, Rumänien aus den Reihen der Gegner fernzuhalten.
Über die verderbliche Entwicklung der Dinge in Bukarest hatte sich auch
General v. Falkenhayn getäuscht. Er hatte das Losschlagen der
Rumänen Ende August 1916 noch nicht erwartet; es ist verständlich,
daß er seine militärischen Maßregeln von dieser
irrtümlichen Anschauung abhängig gemacht hatte.
Die Opposition gegen den Generalstabschef war in den letzten Monaten zu
gefährlicher Stärke angewachsen. Der überanstrengte und
enttäuschte General war zu scharfem Widerspruch nicht fähig. Er,
dessen ganzes Leben in seiner hohen Stellung an vornehmer
Bedürfnislosigkeit und bescheidener Zurückhaltung vorbildlich
gewesen war, verschmähte es, sich der Kräfte zu erwehren, die ihm
den Boden untergruben.
Träger der Opposition wurde der Reichskanzler; als äußeren
Grund, den Rücktritt des ihn weit überragenden Generalstabschefs
endgültig zu verlangen, nahm er die rumänische
Kriegserklärung, die zu verhindern seine eigene Aufgabe gewesen
wäre. Man kann es nur als eine Umkehrung der Verhältnisse
bezeichnen, daß der Kanzler wegen eines in erster Linie politischen
Mißerfolges den Rücktritt des Generalstabschefs erzwang.
General v. Falkenhayn hinterließ eine schwere militärische Krise.
Vielleicht war sie schwerer als die, welche er im Herbst 1914 vorfand, sicher aber
nicht so schwer wie im Herbst 1918. Solche Vergleiche können lehren, in
Urteilen über die führenden Soldaten zurückhaltend zu sein.
Es war viel Ernst und viel bezwingende Größe bei allen
Männern, die in der deutschen Obersten Heeresleitung die Zügel
geführt haben.
Der Reichskanzler aber beging einen tragischen Irrtum mit dem Glauben, er
werde mit den an Falkenhayns Stelle tretenden militärischen
Führern in besserer Einigkeit den Krieg weiterführen können.
Der völlige Mangel an politischer Leitung des Reiches durch ihn sollte in
der Zusammenarbeit mit diesen bald nur noch schroffer hervortreten.
[49]
Von Falkenhayn zu Hindenburg und Ludendorff.
Der große Krieg, den Deutschland um sein Leben führte, brachte ihm
in seinem Verlauf drei gewaltige
Krisen - im Herbst 1914, im Spätsommer 1916 und im Herbst 1918.
Jede dieser drei Krisen markierte sich durch den Wechsel des
Generalstabschefs.
Der Wechsel des Generalstabschefs aber brachte jedesmal auch einen Wechsel in
den politischen Anschauungen. Falkenhayn dachte anders wie Moltke, und Hindenburg-Ludendorff anders wie Falkenhayn. Während
Personaländerungen an der Spitze des Auswärtigen Amtes oder der
Reichskanzlei für die politische Kriegführung wenig bedeuteten,
waren die Gedankengänge neuernannter Generalstabschefs auch für
dieses Gebiet maßgebend.
Das stand im Widerspruch zu dem, was der Krieg in seiner äußersten
Form erforderte. Stets in der Geschichte, wenn Völker um ihre Existenz
rangen, war ihre Leitung durch den Staatsmann ausschlaggebend gewesen
für Sein oder Nichtsein. Nicht der Feldherr rettete Rom im Jahre 216 nach
der Schlacht bei Cannae, sondern der Senat, der die Führung des Staates
entschlossen in die Hand nahm, und der genial Hannibal auf der anderen Seite
konnte Karthago vor dem Untergange nicht bewahren, weil die punische
Regierung versagte. Wilhelm von Oranien, Friedrich der Große,
Washington und Lincoln übten mit festem Willen die politische Leitung
ihrer Länder aus und waren daher imstande, sie durch die schwersten
Gefahren hindurchzuführen. Die militärischen Erfolge,
Größe und Gewalt, waren das Sekundäre; das Entscheidende
waren die eigenen Gedanken, auf denen der Staatsmann das Gebäude seines
politischen Wollens errichtete.
Im Deutschland des Weltkrieges war es umgekehrt. Die politischen Leiter, von
bestem Streben erfüllt, waren in ihrer Schwäche den gewaltigen
Aufgaben dieses Krieges nicht gewachsen. Die Generale, stärker an Willen
und Charakter, griffen aus Not, aber mit unzulänglichen Mitteln ein. Eine
verworrene Gesamtorganisation der Zentralstellen beschleunigte das
Verhängnis. So wird eine spätere Geschichte wohl einen Teil des
deutschen Niedergangs erklären. Das Verhängnis Falkenhayns -
und später Ludendorffs - war, daß die
ihnen durch die Verhältnisse aufgezwungene politische Arbeit einen
großen Teil ihrer Kraft beanspruchte, und daß die Unentschlossenheit
und Schwäche des Kanzlers ihre großen Erfolge nicht zu benutzen
wußte oder sich ihren Absichten und Plänen zerstörend in den
Weg legte.
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