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Sie alle bauten Deutschland.
Ein Geschichtsbuch für die Volksschule.


Napoleon und der Zusammenbruch
Deutschlands und Preußens (Teil 3)

Preußens Wiedergeburt

Freiherr vom Stein

Der Freiherr vom Stein stammte aus einer alten hessen-nassauischen Adelsfamilie. Doch noch mehr als seine enge Heimat liebte der Freiherr das ganze deutsche Vaterland, und um ihm mit seinen Kräften dienen und helfen zu können, trat er 1804 in preußische Dienste, weil dieses Land der mächtigste und
Freiherr vom Stein
geachtetste Staat in Deutschland war. Bald aber bemerkte er, daß in diesem großen Lande mancherlei Übelstände herrschten.

Mitten im heißen Juli war er von einem adligen Herrn, der ein riesengroßes Rittergut in Pommern besaß, eingeladen worden. Stein fuhr gern hin; er wollte das preußische Land gründlich kennenlernen.

Der Graf ritt mit seinem Gast über die Felder. Es war früh am Morgen, aber schon drückend heiß. Die Luft zitterte flimmernd über der harten Erde. Sie kamen an niedrigen Bauernhäusern vorbei, die oft so elend und ärmlich aussahen, daß der Freiherr staunte. Mit Verwunderung bemerkte er auch, daß in all diesen Häusern kaum ein Mensch zu sehen war, nur ab und zu humpelte eine alte Frau über einen Hof, oder kleine Kinder balgten sich im Staube. Lebten hier keine Menschen?

Der Gutsherr hatte auf seinen Feldern vor allem Roggen angebaut, und die Ernte war in vollem Gange. Hier wimmelte es von Menschen. Sensen blitzten, hochbeladene Wagen schwankten heran, viele, viele Männer und Frauen banden Garben und stellten sie auf. Als die beiden Reiter nahten, rissen die Männer die Mützen vom Kopf, und die Frauen knixten tief. Ein Verwalter rannte eiligst herbei. - "Alle angetreten, Meier?" fragte der Gutsherr. "Jawohl, gnädiger Herr! Nur..." Der Mann zögerte ein wenig. - "Was gibt's?" - "Der alte Häusler Franke möchte zwei Tage daheim bleiben, seine Frau..." - "Dummes Zeug," unterbrach ihn der Gutsherr, "nur Drückebergerei. Wenn seine Frau krank ist, wird sich schon jemand finden, der sie pflegt. Der Mann bleibt hier." Dienstfertig verbeugte sich der Verwalter.

Woher bekommen Sie die vielen Arbeitskräfte, Herr Graf?" fragte nach einer Weile der Freiherr vom Stein. - "Das sind alles meine Hörigen", war die Antwort. "Hörige?" Stein kannte den Ausdruck nicht. Der Graf blickte den Gast erstaunt an. - "Hörige sind fast alle Bewohner, alle Bauern meines Dorfes. Sie sind mir gutsuntertänig. Der Acker, den sie bebauen, gehört mir. Dafür müssen sie mir Frondienste leisten. Sie müssen Gespanne liefern, meinen Gutsacker bestellen, die Ernte einbringen, kurz, überall, wo und wann ich sie brauche, für mich arbeiten." - "Und ihr eigenes Ackerland?" - "Das können sie ja bestellen, wenn sie dann noch Zeit haben", meinte recht hochfahrend und geringschätzig der Gutsherr. - Stein schwieg. Nun wunderte er sich auch nicht mehr, daß fast alle Häuser so jämmerlich aussahen, daß manche Felder so dürftig bebaut waren.

"Haben Sie sonst noch Rechte über die Dorfleute, Herr Graf?" - erkundigte er sich nach einem Weilchen. "O ja, eine ganze Menge. Ohne meine Erlaubnis darf keiner aus dem Dorfe fortziehen. Zu jeder Verheiratung muß meine Genehmigung erbeten werden. Wenn ich es nicht gestatte, darf keiner ein Handwerk erlernen; - nun, und tüchtig verprügeln oder ins Gefängnis werfen darf ich sie auch. Da kann mir keiner dreinreden."

Mit immer größerem Erstaunen hatte Stein zugehört. Nun brach es aus ihm heraus. "Aber, Herr Graf, das ist ja Leibeigenschaft, das ist ja menschenunwürdig!" - Der Graf maß den Entrüsteten mit einem kühlen Blick. "Ist es bei Ihnen in Westdeutschland anders?" - "Gott sei Dank, ja!" rief Stein. - "Nun, bei uns in Brandenburg und Pommern, in Schlesien und Ostpreußen besteht die Erbuntertänigkeit, und wir Adligen sind ganz gut dabei gefahren. - Warum soll es anders werden?" - "Weil bei solchen Zuständen in den Bauern keine Liebe zum Vaterlande aufkommen kann, weil ihnen alles gleichgültig sein muß." - "Darum kümmere ich mich nicht", bemerkte der Gutsherr, und Stein fühlte, daß ihm das Gespräch lästig war.

Nach wenigen Tagen schon reiste Stein wieder ab. Er hatte genug gesehen. Die schwere Postkutsche rumpelte der Stadt Berlin zu. In einer Ecke des Wagens saß der Freiherr vom Stein. Er schaute kaum zum Fenster hinaus. Seine Gedanken weilten bei den Bauern. Was er auf dem Gut gesehen hatte, ergrimmte ihn tief. Das also war aus den Nachkommen jener freien Bauerngeschlechter geworden, die einst im Mittelalter vertrauensvoll ihre fränkische, norddeutsche oder thüringische Heimat verlassen hatten, um im Osten zu siedeln, um das Deutschtum in slawisches Land zu bringen? - Das Schicksal der unterjochten Bauern mußte anders werden! Ohne einen freien, tüchtigen, stolzen Bauernstand konnte Deutschland nicht blühen und gedeihen, das sah er klar. In seinem Geist entstanden Pläne zur Befreiung der Bauern. In einer großen Denkschrift legte er sie nieder.

Bald merkte er bei seiner Arbeit auch, daß auch die Bürger in den kleinen und größeren Städten dem Geschick des Vaterlandes teilnahmslos gegenüberstanden. Er fand bald die Ursache: die Bürger wurden von allen Dingen, die ihre Stadt angingen, fern gehalten, sie hatten nur zu gehorchen, durften bei keiner noch so kleinen Angelegenheit einmal ihre eigenen Wünsche und Pläne äußern. - Man muß ihr Interesse an dem Wohl ihrer Stadt erwecken, indem man ihnen die freie Bestimmung über ihre eigenen städtischen Angelegenheiten gewährt, dann werden sie sich allmählich auch für das Wohl des ganzen Volkes interessieren. Zu dieser Überzeugung war er nach langem Nachsinnen gekommen.

Doch ehe der Freiherr seine Pläne, die jeden Preußen zur Anteilnahme am Wohl des ganzen Staates erziehen sollten, dem König vorlegen konnte, überfiel Kaiser Napoleon das preußische Gebiet und stürzte es im Unglückskrieg 1806-07 in tiefes Elend.

Nach dem Frieden von Tilsit aber fanden sich tüchtige Männer zusammen, um dem Lande zu helfen. König Friedrich Wilhelm III. hatte zwar zu Beginn des Jahres 1807 den Freiherrn vom Stein aus seinen Diensten entlassen, weil er ihm zu eigenwillig war. Nun aber berief er ihn auf Bitten der Königin Luise wieder zu sich, und Stein legte ihm die ausgearbeiteten Pläne zur Bauernbefreiung und Selbstverwaltung der Städte vor.

Der König war damit einverstanden, und schon am 9. Oktober 1807 erschien ein Erlaß, der die Gutsuntertänigkeit der Bauern aufhob und sie zu freien Menschen machte. - Zuerst gab es zwar manche Schwierigkeit zu überwinden, aber im Laufe der Zeit entstand in Preußen wieder ein gesundes Bauerntum, 1813 eilten die Bauern freiwillig und begeistert zu den Waffen, denn jetzt verteidigten sie die eigene Scholle.

Die Selbstverwaltung der Städte brachte ein Gesetz im Jahre 1808. Jede Stadt mußte jetzt von sich aus Straßen, Schulen und Krankenhäuser bauen und eine Feuerwehr sowie andere Einrichtungen schaffen.

Auch die Verwaltung des preußischen Staates wurde geändert. Das alte Generaldirektorium, das seit König Friedrich Wilhelm I. bestand, wurde beseitigt. An seine Stelle traten verantwortliche Fachminister. Das letzte Ziel des Freiherrn vom Stein war aber nicht die Schaffung eines starken Preußen. Er wollte die Grundlagen für ein Reich, in dem alle Deutschen zusammengeschlossen waren.

Der Freiherr vom Stein, der sein deutsches Vaterland so liebte, war ein erbitterter Feind Napoleons. In vielen Briefen an seine Freunde riet er zu Empörung gegen den Gewaltherrscher. Einer dieser Briefe fiel Napoleon in die Hände. Da mußte Stein fliehen, denn der Franzosenkaiser wollte ihn gefangen nehmen lassen. Später kehrte er wieder nach Deutschland zurück und hatte wesentlichen Anteil an der Vorbereitung und Durchführung des Befreiungskampfes.

 
Scharnhorst

Die Königin Luise von Preußen hüllte sich fester in den Wollschal. Sie fröstelte. Seit der Flucht nach Ostpreußen und den schrecklichen Tagen in Tilsit, in denen sie den hochmütigen Eroberer Napoleon vergeblich um einen milden Frieden gebeten hatte, war ihre Gesundheit erschüttert. Das Unglück Preußens hatte ihre Kraft gebrochen.

Sie richtete die klaren, blauen Augen auf ihren Gatten, den König Friedrich Wilhelm III., der ihr gegenüber an einem schlichten Schreibtisch saß und sichtlich nervös bald mit einem Federkiel spielte, bald hastig in den Akten blätterte. Er erwartete seinen Kriegsminister Gerhard von Scharnhorst zum Vortrag.

"Warum zögerst du noch, Lieber, die Pläne des Herrn von Scharnhorst anzunehmen? Du hast mir so oft gesagt, er wäre der tüchtigste und beste Offizier deines Heeres. In der Schlacht bei Preußisch-Eylau hat im vergangenen Jahre nur seine Kühnheit unsere Verbündeten, die Russen, vor der Vernichtung bewahrt. Selbst der alte Feuerkopf, der Haudegen Blücher, hat sein Lob in den höchsten Tönen gesungen. - Soviel ich weiß, Friedrich, hat er schon vor dem Kriege geklagt, daß unsere Armee veraltet sei. Nun will er unser Heer umgestalten. Vielleicht wäre es besser gewesen, wir hätten schon damals seinen Rat befolgt."

Der König hob den Kopf. "Gewiß, Luise, ich schätze den General von Scharnhorst ungemein. Sein Rat ist mir unersetzlich, nur...!" Er stockte. Die Königin sah ihren Gemahl fragend an. "Luise, seine Pläne sind mir zu umstürzlerisch, zu gewagt. Sie verändern mein Heer vollständig. Solche kühne Umstellungen liegen mir nicht. Unser großer Ahn, Friedrich II...!" Luise unterbrach ihn sanft: "Mein königlicher Gemahl, wir sind auf den Lorbeeren Friedrichs des Großen eingeschlafen." Der König schwieg. Man hörte nur das leise Ticken der Uhr.

Schritte erklangen. Der König wandte fragend den Kopf. "Der Kriegsminister von Scharnhorst", meldete der Kammerdiener. "Lasse ihn hier eintreten," bat die Königin, "ich möchte gerne hören, wie sich Scharnhorst die Umgestaltung des preußischen Heeres denkt." Friedrich Wilhelm atmete erregt. Schließlich nickte er.

Durch die geöffnete Tür trat kurz darauf der Kriegsminister. Er verneigte sich ehrerbietig, und die Blicke der Königin ruhten voll
Scharnhorst
Herzlichkeit auf dem schlanken Mann, der eher einem Gelehrten glich, und dessen dunkle Haare ein wenig in die Stirn fielen. Aber in den schönen Augen glühte das Feuer der Begeisterung. Die Königin von Preußen wußte, daß Scharnhorst seinen Offizieren ein Vorbild war an Fleiß, Treue und Ehrlichkeit.

"Majestät," begann der General auf ein Zeichen des Königs, "ich habe die endgültigen Pläne für die Heeresreform mitgebracht. Ich möchte hier in kurzen Worten noch einmal die Grundgedanken erläutern. - Wir wollen abgehen von dem alten Brauch, in anderen Ländern Soldaten zu werben. Das neue preußische Heer, Majestät, wird ein Volksheer, in dem nur ihre eigenen Landeskinder dienen. Jeder gesunde deutsche Mann muß nach meinem Plan Soldat werden. Das ist keine Härte, mein Fürst, nein, es ist höchste Pflicht, höchste Ehre! Es gibt kein größeres Glück, als mit der Waffe in der Hand sein Volk und seine Heimat verteidigen zu dürfen. So hielten es in Vorväterzeiten unsere Ahnen; so soll es wieder werden. Heeresdienst ist Ehrenpflicht für jeden Preußen! Unter unseren ruhmreichen Fahnen, Majestät, dienen von jetzt ab die Söhne aller Stände: Bauern, Handwerker, Arbeiter, Fischer, Gelehrte, Schulmeisterskinder und Kaufleute. Im Heer lernen sie sich alle kennen und verstehen. Unser preußisches Volk wird einiger durch die Dienstpflicht. Ich hoffe, daß ihm diese Einigkeit in Notzeiten Kraft gibt.

Doch wenn wir erreichen wollen, Majestät, daß diese jungen Menschen gern ihren Dienst erfüllen, dann muß in erster Linie die Behandlung der Soldaten besser werden. Sie wissen, daß ich ein einfacher Bauernsohn bin; aber ich ließ meinen väterlichen Hof im Hannoverschen im Stich, weil ich den Soldatenrock mehr liebte als Stall und Weide. Doch die Behandlung der Soldaten fand ich vom ersten Tage an entwürdigend. Im künftigen preußischen Heere gibt es kein Spießrutenlaufen mehr. Von unseren Soldaten dürfen nur noch die geschlagen werden, die in die zweite Soldatenklasse versetzt sind. Bei den anderen werden Arreststrafen genügen. Denn" - seine Augen leuchteten strahlend - "neben seinem Volke ist die Ehre des Soldaten höchstes Gut. Wir dürfen die Verteidiger des Vaterlandes nicht durch schimpfliche Strafen entehren."

Die Königin wandte kein Auge von dem schlichten Manne, der mit tiefer Begeisterung weitersprach: "Auch die Uniformen werden bequemer. Fort mit Zopf und Puder; fort mit den Gamaschen! Zum zweiten müssen Eure Majestät das Offizierkorps ändern. Auch hier muß ein anderer Geist einziehen. Alle die feigen und untüchtigen Offiziere, die 1806/07 so jämmerlich vor dem Feinde versagten, habe ich schon aus dem Heere entfernt. Mut, Entschlossenheit, Verantwortungsgefühl und Gehorsam, das sind die Eigenschaften, die jeder preußische Offizier besitzen muß, oder wir können ihn nicht gebrauchen. Deshalb aber," - seine Stimme wurde eisern - "bitte ich, daß auch jeder Bürgerliche, der dazu taugt, Offizier werden darf. Nicht mehr die Geburt darf entscheidend sein. Ich bin mir darüber klar, daß der Adel über diese Neuerung empört sein wird; denn ich habe es ja selbst zur Genüge erlebt, wie herablassend der Bürgerliche von ihm behandelt worden ist. Aber es hilft nichts. Nur dann wird unser Heer ein rechtes Volksheer. Majestät," Scharnhorsts Stimme klang beschwörend, "unterzeichnen Sie den Plan. Das Schicksal hat unseren preußischen Staat zu höheren Aufgaben bestimmt. Mit einem solchen Volksheer werden wir sie lösen. Glauben Sie mir, unsere Bürger und Bauern, jeder Mensch wartet darauf, den verhaßten Napoleon, dessen Soldaten unser Preußen aussaugen, aus dem Lande zu jagen. Ist es einmal so weit, treiben wir die Franzosen zu Paaren wie die Hasen."

"Mit 42.000 Soldaten? Mehr dürfen wir ja nicht haben. Diese Zahl schrieb uns Napoleon vor." Der König zuckte hoffnungslos mit den Achseln.

Scharnhorst schwieg einige Augenblicke. Die Königin fühlte, daß er überlegte, ob er seine letzten, kühnen Pläne verraten sollte. Als der Kriegsminister in ihre erwartungsvollen Augen blickte, gab er sich einen Ruck.

"Der Plan, den ich Eurer Majestät noch unterbreiten möchte, ist verwegen."

"Noch einen Plan?" - "Ich schaffe Ihnen mehr als 42.000 Soldaten; aber Napoleon wird nichts davon merken." Der König starrte den Sprecher verständnislos an. "Aus jedem Regiment des Heeres schicke ich nach kurzer Ausbildungszeit einige Leute wieder heim und stelle dafür neue ein. So haben wir immer nur 42.000 Mann unter den Waffen; aber im Lande wächst uns ein Reserveheer."

Der König sprang auf. "Nein! Unmöglich!" rief er laut und durchmaß erregt den Raum mit großen Schritten. Die Gedanken durchjagten seine Seele. Ja: die Faust Napoleons lag schwer auf seinem Preußen!

Die Königin und Scharnhorst folgten ihm gespannt mit den Blicken. Wie würde er entscheiden? Da blieb er stehen und faßte die Hand seiner treuen Gemahlin: "Was meinst du, Luise?" Die blonde Frau entgegnete leise: "Der Franzosenkaiser hat keine Gnade gekannt."

Sie stand langsam auf und streckte Gerhard von Scharnhorst beide Hände entgegen: "Ich danke Ihnen, Scharnhorst; nun kann ich ruhiger sterben, denn Sie schaffen ein Heer, das Preußens Ruhm wieder erstrahlen lassen wird, auch wenn ich es nicht mehr erlebe." Dann ging sie aus dem Zimmer. Einige Tage später unterzeichnete der König die Urkunde.

Von diesem Tage an arbeitete der Kriegsminister von Scharnhorst rastlos an dem Aufbau des Heeres. Die Festungen wurden wieder hergestellt, Kanonen gegossen und fieberhaft auf den Exerzierplätzen geübt. Trotz aller französischer Spionage gelang es ihm, die Umbildung des Heeres geheimzuhalten, und seine Soldaten, denen er Vaterlandsliebe und Mut neu ins Herz gepflanzt hatte, warteten ungeduldig auf den Freiheitskampf.

Den deutschen Freiheitskampf erlebte der große, treue Feldherr jedoch nicht mehr. Zwar fühlte er in den Märztagen 1813, als sich alles zu den Waffen drängte, die Freiheitsstunde nahen. Doch schon im Mai traf ihn bei einem Gefecht die tödliche Kugel.

Das preußische Volksheer, dessen Schöpfer Gerhard von Scharnhorst war, aber heftete in den Befreiungskriegen unauslöschlichen Ruhm an seine Fahnen.

 
Hardenberg verfälscht Steins Werk

Der Nachfolger Steins in Preußen wurde der Freiherr v. Hardenberg. Die Bauern waren durch Stein zwar persönlich frei geworden, aber der Grund und Boden war noch nicht ihr Eigentum, auch die Frondienste waren noch nicht abgeschafft. Hardenberg hob die Dienste auf. Die größeren Bauern mußten ein Drittel bis die Hälfte ihres Landes an den Grundherrn abtreten. Der übrige Teil wurde ihr Eigentum. Die kleinen Bauern behielten nichts und waren brotlos. Viele Tausende von ihnen verließen ihre alte Heimat und gingen in die Stadt, in die neu entstandenen Fabriken. Sie wurden Arbeiter. Zahlreiche andere wanderten aus und fanden besonders in Amerika eine neue Heimat.

Hardenberg gab den Juden die Staatsbürgerrechte und stellte sie den Preußen gleich. Sie durften Grund und Boden erwerben und Beamte werden. Der Unterschied zwischen Juden und Deutschen bestand nach Hardenbergs Ansicht nur in der Religion, nicht in der Rasse. Darum waren auch Ehen zwischen ihnen erlaubt. Die Juden mißbrauchten ihre Gleichberechtigung in den folgenden Jahrzehnten. Sie bereicherten sich auf Kosten des deutschen Volkes und gewannen auf sein ganzes Leben einen unheilvollen Einfluß. Erst Adolf Hitler hat durch die Judengesetze von 1935 ihre Macht gebrochen.

 
Napoleons Feldzug gegen Rußland

Bei seinem Kampf um die Herrschaft über Europa stieß Napoleon überall auf den Widerstand Englands. Mit Waffengewalt konnte er dieses nicht besiegen. Darum versuchte er, es wirtschaftlich zu schädigen und so langsam auf die Knie zu zwingen. Er verbot allen Völkern des Festlandes den Handel mit dem Inselreich. (Festlandssperre.) Rußland weigerte sich, diese Festlandssperre mitzumachen. Um es zu zwingen, zog Napoleon 1812 gegen Rußland. Eine halbe Million Soldaten, hauptsächlich Truppen der unterworfenen Völker, darunter sehr viele Deutsche, folgten ihm. Preußen mußte 20.000, Österreich 30.000 Mann stellen.

Napoleon besiegte die Russen, eroberte das Land und zog in Moskau ein. Die Russen zerstörten in ihren geräumten Landesteilen alle Siedlungen und steckten sogar die eigene Hauptstadt in Brand. Infolgedessen sah sich Napoleon gezwungen, im strengen Winter den Rückzug anzutreten. Fast die ganze Armee wurde durch Frost, Hunger und Verfolgung durch die Russen vernichtet. Napoleon floh nach Frankreich. ("Mit Mann und Roß und Wagen hat sie der Herr geschlagen.")

 
Die Freiheitskriege

Der Sturm bricht los

Yorck spricht vor den ostpreußischen Ständen
Yorck spricht
vor den ostpreußischen Ständen.
Nach der großen Niederlage Napoleons war die Stunde der Befreiung für Deutschland gekommen. Yorck, der Führer des preußischen Korps im Russenfeldzug, schloß auf eigene Verantwortung am 30. Dezember 1812 ein Bündnis mit den Russen (Tauroggen). Die Franzosen räumten Ostpreußen. Yorck stellte dort die erste Landwehr auf und marschierte zusammen mit den Russen nach Westen. Der König von Preußen erließ von Breslau aus im März 1913 ein Aufruf "An mein Volk!". Es bildeten sich Freikorps (Lützow); fast alle Turner wurden Soldaten; die Bevölkerung opferte ihre letzten Schätze ("Gold gab ich für Eisen").

Anfangs kämpften nur Preußen und Russen gegen Napoleon. Nach einem kurzen Waffenstillstand traten auch Österreich und Schweden dem Bunde bei. Als Napoleon Schlesien erobern wollte, schlug ihn Marschall Blücher an der Katzbach.

 
Die Schlacht an der Katzbach

Seit Tagen regnet es. Schwer und grau liegt der Himmel über dem Land an der Katzbach, deren reißende Fluten an den steilen Ufern nagen. Der Fluß trennt die beiden feindlichen Heere, aber hüben und drüben bereitet sich jede Truppe auf einen Angriff vor.

Blücher
General Blücher, der Führer der Schlesischen Armee, ruht nicht eine Minute. Im weiten Mantel, die Feldmütze auf dem eisgrauen Haupte, so reitet er an den marschierenden Kolonnen entlang und kümmert sich wenig darum, daß er bis auf die Haut naß wird. Wo er auftaucht, erhellen sich die Gesichter der todmüden Soldaten, die sich mit Mühe durch den morastigen Boden schleppen. "Nicht schlapp machen, Kinder", ruft er ihnen ermunternd zu. "Nein, Vater Blücher!" schallt es ihm entgegen, und lächelnd trabt er weiter.

Unaufhörlich rieselt der Regen. Bald aber tobt der Kampf zwischen beiden Heeren.

Der Feind ist an mehreren Stellen über die Katzbach gekommen. So paßt es in Blüchers Kriegsplan. "Laßt nur genug herüber," befiehlt er, "wir jagen sie bald zurück."

Wirklich, als es am preußischen Ufer schon von Rothosen wimmelt, brechen schlesische Fußsoldaten mit gefälltem Bajonett hervor. Die Franzosen sind überrascht und wollen auf die Heranstürmenden feuern; aber - o Schreck - ihre Gewehre versagen bei dem anhaltenden Regen, denn die Feinde verwenden noch loses Pulver. Da brausen auch schon von der Seite Reiter heran; General Blücher, den Degen in der Faust, führt sie selbst an. Da gibt es kein Halten mehr. Entsetzt wendet der Feind; aber hinter ihm lauert die Katzbach. Doch es gibt keinen anderen Rettungsweg vor den preußischen Gewehrkolben und den Reitern, vor General Blücher. Die Feinde stürzen die steilen Hänge hinab in kopfloser Verwirrung, aber die lehmigen Wogen reißen alles mit sich: Pferde, Menschen, Waffen. Tausende von Franzosen ertrinken.

Der Sieg an der Katzbach ist gewaltig; aber er muß ausgenutzt werden. Deshalb zieht Blücher mit seinen Tapferen über die Brücken dem Feinde nach. Kaum vermögen die Grenadiere ihre müden Glieder noch zu schleppen; aber der zähe Graukopf kann ihnen keine Ruhe gönnen. "Vorwärts, Soldaten, vorwärts!" Immer wieder ruft er es ihnen zu: "Vorwärts, vorwärts!"

Und es gelingt: viele Feinde werden noch gefangengenommen. Da endlich gibt es Raststunden. Müde sinken die Soldaten ins Stroh, todmüde, aber glücklich. Sie wissen, sie haben gesiegt.

Da erklingt von fern lautes Jubelrufen. Die Müden raffen sich wieder auf und eilen hinaus. Ihr General reitet durch das Lager, um nach seinen Treuen zu sehen. Viele, viele Hände winken ihm zu. Rauhe Soldatenkehlen grüßen ihn. "Marschall Vorwärts, Marschall Vorwärts!" schallt es ihm entgegen, und unbegrenzte Liebe und Hochachtung liegt darin.

Im Herzen des alten Generals aber steigt tiefe Freude auf. "Marschall Vorwärts!" Dieser Soldatengruß gilt ihm mehr als der höchste Orden.

 
Die Völkerschlacht bei Leipzig und Deutschlands Befreiung

Ein zur Eroberung Berlins vorgeschicktes französisches Heer wurde von Bülow bei Groß-Beeren geschlagen.

Die Entscheidung fiel in der Völkerschlacht bei Leipzig am 16., 18. und 19. Oktober 1813. Hier hatte Napoleon seine gesamte Armee von 160.000 Mann zusammengezogen. Am 16. Oktober wandte er sich mit seiner Hauptmacht gegen die Österreicher im Süden; der Kampf blieb unentschieden. Dagegen gelang es Teilen der Blücherschen Armee unter General v. Yorck, die Franzosen nördlich von Leipzig bei Möckern zu schlagen und auf die Stadt zurückzuwerfen. Der 17. Oktober war ein Sonntag; die Waffen ruhten. Am 18. entbrannte die Schlacht von neuem. Die
Blüchers Rheinübergang bei Kaub
Blüchers Rheinübergang bei Kaub am 1. Januar 1814.
Verbündeten waren überall siegreich und erstürmten am 19. Leipzig. Die Franzosen mußten sich in wilder Flucht zurückziehen; nur 80.000 Mann vermochten sich nach Westen durchzuschlagen. Die Rheinbundtruppen gingen zu ihren deutschen Brüdern über. Deutschland war bis zum Rhein frei.

Der habsburgische Minister Fürst Metternich fürchtete, daß Preußen und Rußland zu mächtig werden könnten und bot Napoleon einen günstigen Frieden an. Zum Glück für Deutschland lehnte dieser die Bedingungen ab. Nun wurde Marschall Blücher der Führer der deutschen Freiheitskämpfer. Er überschritt in der Neujahrsnacht von 1813-1814 bei Kaub den Rhein und eroberte nach mehreren Schlachten Paris. Napoleon mußte abdanken und wurde nach der Insel Elba verbannt.

 
Napoleons Rückkehr und Sturz

Die Vertreter der siegreichen Mächte kamen zum Wiener Kongreß zusammen, um über die Neugestaltung Deutschlands und Europas zu beraten. Bei den Verhandlungen dachte jeder Staat nur an sich selbst und versuchte, möglichst viel Land zu erhalten. Daher kam es bald zu bedenklichen Gegensätzen zwischen ihnen. Napoleon erfuhr davon und hoffte, sie trennen zu können. Er kehrte heimlich nach Frankreich zurück, wurde von seinen alten Soldaten begeistert begrüßt und stellte sofort eine neue Armee auf. Der Krieg begann von neuem. Nun trat auch England auf die Seite der Verbündeten. Blücher und Gneisenau stellten sich zusammen mit den Engländern Napoleon entgegen und besiegten ihn bei Belle-Alliance 1815. [Scriptorium merkt an: Waterloo!] Die deutschen Truppen zogen zum zweitenmal in Paris ein. Napoleon wurde abgesetzt und nach der Insel St. Helena im Atlantischen Ozean verbannt. Dort starb er 1821.

Im zweiten Pariser Frieden mußte Frankreich das eroberte Land zurückgeben. Elsaß-Lothringen aber wurde ihm gelassen.

 
Der Wiener Kongreß

Nach dem Siege über Napoleon kamen die Vertreter aller europäischen Staaten - auch Frankreichs - wieder in Wien zusammen. Hier wurde über die Neugestaltung Deutschlands folgendes beschlossen:

1. Österreich erhielt weite Gebiete im Donauraum und in Italien; es wurde ein Völkerstaat, kein vorwiegend deutscher Staat.

2. Preußen bekam den Rest von Vorpommern mit der Insel Rügen, Teile von Sachsen, die Rheinprovinz, Westfalen und als Gebiet mit Teilen eines fremden Volkes nur Posen. Es wurde ein rein deutscher Staat.

3. Der Deutsche Bund. Die deutschen Freiheitskämpfer erhofften ein einiges großdeutsches Reich. Das Ausland, besonders England und Frankreich, wollten aber im Herzen Europas kein starkes Deutschland entstehen lassen. Der Eigennutz Habsburgs unter seinem Minister Fürst Metternich und die Selbstsucht der deutschen Fürsten kamen den Absichten des Auslandes entgegen. So entstand ein deutscher Bund aus 39 Staaten. Seine Vertretung war der Bundestag in Frankfurt am Main unter dem Vorsitz Österreichs. Der Deutsche Bund war politisch und wirtschaftlich uneinig und militärisch ohnmächtig wie das 1806 aufgelöste Reich. Die Hoffnungen der Freiheitskämpfer wurden bitter enttäuscht.



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