Deutschland östlich
der Elbe - Max
Wocke
Schlesien
(Sudeten, Oberschlesien, Breslau, Nordschlesien)
Oberschlesien |
"Jeder Kirchturm, der zum Himmel zeigt,
Jeder Funke, der dem Schlot entsteigt,
Jedes Feuer, das am Herde glüht,
Jede Scholle, die der Pflug durchzieht,
Singt von deutschem Geist und deutscher Kraft,
Die lebendig bleibt und weiter schafft."
Elisabeth Grabowski. |
Oberschlesien ist eine 200 bis 300 Meter hohe Platte, die sich an die Sudeten und
die Beskiden anlehnt und in der alten "Drei-Kaiser-Ecke" den kontinentalsten Teil
des Reiches umschließt. Kommt man in Berlin oder Köln,
München oder Karlsruhe auf Oberschlesien zu sprechen, so fällt fast
immer nur das Wort "Steinkohle". Aber Oberschlesien hat nicht nur
Fördertürme, Schächte und Schlote! Es hat auch weite
Sandflächen und dünnbesiedeltes Waldland: östlich der Oder.
Es hat am Fuße des Gebirges, das hier fast unmerklich in das Flachland
hinüberleitet, fruchtbares Ackerland mit reichen Dörfern und
schmucken Städtchen: westlich der Oder. Und erst im
äußersten Südosten hat es die reichsten Kohlenvorkommen
Europas: dicht besiedeltes Industrieland mit der Hälfte seiner gesamten
Bevölkerung auf nur 500 Quadratkilometer
zusammengedrängt!
Oberschlesien ist "heiliges Land"! Von ihm gilt in besonderem Sinne das, was der
Führer einmal in der Breslauer Jahrhunderthalle von dem ganzen
Südosten gesagt hat: "Über dieser Provinz steht in
unauslöschlichen Lettern das Wort »Ehre«, das Wort
»Selbstbewußtsein«, das Wort »Freiheit«."
Denn Oberschlesien ist nicht nur ein Stück deutscher Landschaft, nicht nur
ein wichtiges Wirtschaftsgebiet des Reiches, es ist auch ein Stück deutscher
Geschichte, geschrieben mit Arbeit und Blut.
Als Friedrich
der Große das Schlesische Land erwarb, umfaßte es
folgende Gebiete: Als größten Block das Herzogtum Oppeln und die
oberschlesischen Anteile des Bistums Neiße; ferner einige zersplitterte
Reste des alten Herzogtums Ratibor, die Herrschaft Pleß, Beuthen, das Amt
Imielin mit Chelm und Koßtow. Außer diesem oberschlesischen
Kernland erhielt Friedrich noch das sogenannte Oppaland, das ursprünglich
ganz zu Mähren gehört hatte. [339] Gar nicht zu
Oberschlesien gehörten damals zwei Gebiete, die erst später dem
Regierungsbezirk Oppeln zugewiesen wurden: das bischöfliche
Fürstentum Neiße und der Kreis Kreuzburg.
Der geringe Gegensatz zwischen Berg und Tal erklärt sich in Oberschlesien
aus der Erdgeschichte des Landes: die Sandsteine und Kalke des Mittelalters der
Erde ruhen im Norden in flacher, ungestörter Lagerung. Das Fundament der
Steinkohlenschichten im Süden ist zwar von Faltungen und Brüchen
durchzogen, aber das nordische Eis und seine lockeren Aufschüttungen
haben die Unebenheiten geschlichtet und mit den vielen Kiesen und Sanden auch
die Grundlage für die weite Waldbedeckung geschaffen, die rechts der Oder
auf über 50 vom Hundert der Fläche ansteigt.
Mit dieser weiten Waldbedeckung hängt eine andere wichtige Erscheinung
zusammen: die Entstehung und Erhaltung eines sehr ausgedehnten
Großgrundbesitzes, der allein über die Hälfte der gesamten
Bodenfläche bewirtschaftet. Von diesen 57 Prozent des gesamten
Bodens der Provinz waren vor dem Kriege allein 45 Prozent in der Hand
von nur 54 Besitzern, von denen jeder mehr als 8000 Morgen
besaß! Über ein Viertel des Kernes von Oberschlesien lag damals in
der Hand von nur sieben Besitzern!
Auch heute noch haben die Betriebe über 2000 Morgen über ein
Drittel der gesamten Fläche inne. Während der Reichsdurchschnitt
der Besitzungen über 800 Morgen 15 Prozent beträgt,
steht er für Oberschlesien auf der Zahl von 45 Prozent! Diese
Tatsachen sind von ganz entscheidender Bedeutung für das
Landschaftsbild, für das wirtschaftliche Leben und auch für das
Kulturbild des Landes geworden.
Diese großen Ländereien sind meist Reste des alten landesherrlichen
Besitzes, der - hart an der Landesgrenze und auch klimatisch oft nicht
gerade günstig gelegen - mit seinen unfruchtbaren Sandböden
nicht so leicht durch Verleihungen an die Kirche und Ansiedlungen von
Kolonisten geschmälert wurde. Auch die Einziehung der
Klostergüter durch den Staat wirkte sich hier überwiegend als
Stärkung des Großgrundbesitzes aus, denn was nicht Domäne
wurde, konnte nur der Magnat erwerben. Schließlich tat der Staat selbst
noch ein Übriges für die Festigung und die Mehrung dieser
Riesenbesitztümer durch Begründung zahlreicher Fideikommisse.
Die von diesen aus wiederum eifrig betriebene "Abrundung" des Besitzes
führte allein bis zum Jahre 1838 zur Abtretung von insgesamt
100 000 Morgen Bauernland an den Großgrundbesitz. So entstand
unmittelbar neben den Latifundien mit ihren stolzen Schlössern ein im
Schatten dieses Reichtums kümmerlich um sein Dasein ringendes
Landvolk, das zum Teil gar keinen oder nur wenig Boden besaß. Wer die
Mißstände Deutschlands vor der Bauernbefreiung anschaulich
schildern wollte, holte sich stets die Beispiele aus dem äußersten
Südosten des Reiches! Auch nach der Steinschen
Bauernbefreiung gab es in
Oberschlesien noch ungefähr 30 000 "handdienstpflichtige" Stellen,
und nur 43 000 Höfe waren zu freiem Eigentum gemacht worden. So
wurde auch zu dieser Zeit der Großgrundbesitz nicht getroffen. Im
Gegenteil! Er konnte damals seine Macht noch vergrößern, und zwar
durch seinen Eintritt [340] in Bergbau und
Industrie. Auch hier half der Staat wieder: der Magnat erhielt bald im Streit, bald
durch Gnade bedeutende Bergbauvorrechte! So wirkten die durch die Erfindung
der Dampfmaschine in diesem Jahrhundert lebendig gewordenen Kräfte mit
Hilfe des Staates weiter in Richtung der Stärkung der Macht des
Großgrundbesitzes.
Das ist heute nicht mehr so! Grenzland ist Kampfland! - Nachdem die durch
das
Diktat von Versailles geschlagenen Wunden ein wenig geheilt sind, hat das Dritte
Reich in diesem Gebiete der 100 000 Zwergbetriebe von unter fünf
Hektar Größe die Neuansiedlung von Bauern tatkräftig in
Angriff genommen. Bei der Sanierung durch Landabgabe sind bereits über
40 000 Morgen in bäuerliche Hände übergeführt
worden. Weitere 40 000 Morgen stehen in dem Boden der 27
Staatsdomänen Oberschlesiens zur Verfügung. Auch Privatbesitz
wird weitgehend zur Schaffung neuen Bauernlandes herangezogen werden. Denn
bodenständige Bauern schützen das Land besser als
Schützengräben und Maschinengewehre! Freilich setzt der karge
Sandboden und das nicht immer vorteilhafte Klima einer dichten Besiedlung
stellenweise gewisse Grenzen.
Aber nicht nur in Form der Bergwerke und Industrien schufen die
oberschlesischen Magnaten Werte, die über ihre Heimat hinaus bekannt
wurden. Auch die aus den Restbeständen von Altholz durch die Hand des
Hegers und Gärtners umgewandelten großen Parkanlagen sind
Sehenswürdigkeiten. Zum Teil liegen sie sogar unmittelbar in
nächster Nähe des Industriereviers. Berühmt sind der Park von
Miechowitz, der Kamienitzer Park im Dramatale an der Straße
Gleiwitz - Tarnowitz, der Schloßpark von Rudzinitz und der
von Laband, der des Fürsten Hohenlohe in Slawentzitz, der älteste
der oberschlesischen Gartenanlagen, und der schönste von allen, der von
Neudeck im Kreise Tarnowitz, der heute in Polen liegt.
Auf einem der vielen oberschlesischen Güter - auf Lubowitz bei
Ratibor - wurde im Jahre 1788 Joseph Freiherr von Eichendorff
geboren, den man - er starb erst 1857 in
Neiße - den "letzten Ritter der Romantik" genannt hat. Im ersten
Viertel des 17. Jahrhunderts kamen die Vorfahren unseres Dichters aus dem
Ostfälischen nach Schlesien. Heirat und Erbschaft begründeten ihren
Landbesitz, der aber noch vor des Dichters Tode wieder zerfiel und verkauft
wurde. Denn dieser Eichendorff war kein Latifundienjäger und wurde auch
nicht Bergwerksbesitzer wie so viele seines Standes. Sein Blick galt allerdings
auch nicht dem Leben der Bauern, der Gärtner, der Tagelöhner seines
Landes! Er lebte nur in den tiefen Wäldern seiner Heimat, er hörte
ihre Bäche rauschen, ihre Mühlen klappern. Auf hoher Gestalt trug er
einen Kopf, der einen Geistlichen hätte zieren können. Er war ein
Stiller im Lande, der den Lärm des Tages floh und sich nur in den Frieden
des Morgengrauens und den Zauber der Mondnacht mit Liebe versenkte. "Ich
warf mich in das tiefste Gras und sah stundenlang zu, wie die Wolken über
die schwüle Gegend wegzogen. Die Gräser und Blumen schwankten
leise hin und her über mir, als wollten sie seltsame Träume
weben"......
[341] In Oberschlesien ist
Eichendorff geboren - in Oberschlesien ist er auch gestorben: in
Neiße, dem schlesischen "Nürnberg", das ihm auch ein
Museum geweiht hat. Das ist mehr als eine Formsache, das ist weit mehr: In
Neiße ist der Dichter noch fast ebenso lebendig wie in ganz Deutschland
sein Werk. Es gäbe keine Stadt in ganz Schlesien, die besser geeignet
wäre, die letzte Ruhestätte für unsern großen
Romantiker zu sein als gerade diese Stadt: alter Bischofsitz und starke Festung
Friedrichs
des Großen. Am Ring die giebelreichen
Bürgerhäuser aus der Renaissance, die er so liebte. Über den
Dächern gotische Türme, ein Brunnen, der durchaus an
Nürnberg erinnert, und nicht zuletzt das Bischofspalais, ein ewiges
Denkmal des schlesischen Barock. Hier fand die Begegnung zwischen Friedrich
dem Großen und Joseph dem Zweiten, dem Sohne Maria Theresias, statt,
die Menzel
mit Meisterhand gestaltet hat: Der alternde König, der
spannkräftig und frisch seinem jugendlichen Bewunderer auf der Treppe
entgegeneilt. Mit Seherblick ahnte damals Friedrich voraus, daß einmal die
Zeit kommen würde, da ganz Europa zusammenstehen müsse, um
sich der russischen Gefahr zu erwehren. Aber diese weltpolitisch so bedeutsamen
Worte waren lange verklungen, als "im Abendrot eine mächtige Stadt
funkelte" und dem Herrn Rat - so nannte man Eichendorff in
Neiße - "von den Türmen ein Chor" klang und er im Jahre
1857 hier starb.
Neiße ist auch die Stadt der "Lichtelzieher", die zu der uralten Zunft der
Seifensieder gehören. Dieses alte Handwerk hat sich nur in katholischen
Gebieten in wenigen Betrieben erhalten, die in der Nähe von
Wallfahrtsorten die Opferkerzen für die Adventszeit, das Christfest und die
Karwoche herstellen: Über zwei große Trommeln, zwischen denen
ein Bottich steht, wird der hundert Meter lange Docht buchstäblich durch
das flüssige Wachs "gezogen".
Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges war Neiße mit 7500
Bürgern nicht nur die größte Stadt Oberschlesiens, sondern
eine der größten des deutschen Ostens überhaupt. Auch am
Ende des achtzehnten Jahrhunderts ist es noch die volkreichste Siedlung, denn
von den 500 000 Einwohnern ganz Oberschlesiens wohnen noch
über zwei Drittel im Ackerbaugebiet um Neiße, Neustadt und
Leobschütz. Auch der Bau des Klodnitzkanals um die Wende des 18.
Jahrhunderts kann die Verteilung der Bevölkerung noch immer nicht
entscheidend umgestalten. Das bringt erst die Eisenbahn fertig! Als sie
Oberschlesien erreicht hat, wird das Bild mit einem Schlage anders. Um 1910
wohnen von den zwei Millionen schon über die Hälfte im
Kohlengebiet, fast eine ganze Million allein im Industriedreieck
Beuthen - Gleiwitz - Kattowitz. Hindenburg, das große
Dorf, das 1840 noch 10 000 Einwohner hatte, ist schon eine
Großstadt von über 100 000 Einwohnern. Neiße aber
blieb auf 10 000! Während sich die Bevölkerung Breslaus in
den letzten 130 Jahren nur verzwölffacht hat, ist sie im Industriegebiet in
derselben Zeit siebzigmal so groß geworden!
Welches sind die Grundlagen für diese stürmische Entwicklung? Der
oberschlesische Bergbau hat eine lange Geschichte:
Nach dem vorübergehenden Eindringen der Slaven im deutschen Osten
setzte auch in Oberschlesien das Rückfluten germanischer Völker
ein. Die natürliche [342] Grenze des Landes
gegen Westen war damals ein Grenzhag, der allgemein unter dem Namen
"preseka" - das ist
»Grenzwald« - bekannt war. Er zog sich von dem
ansehnlichen Rodungsdorf Schönwalde unter Silberberg im Eulengebirge
über Kamenz am Neißeufer entlang bis zur Oder, von dort weiter am
Stober bis in die Gegend von Namslau und Pitschen. Zahlreiche Waldreste und
viele Ortsnamen sind noch heute Wegzeichen seines Verlaufes. Unter den
Axthieben deutscher Kolonisten fielen große Teile dieses Waldes, und weite
Ackerflächen entstanden. Eisenpflug und Körnerbau, die
regelmäßigen Grundrisse der Städte, reiche Dörfer und
Gehöfte im fränkischen Stil sind die Wahrzeichen dieser
Kulturarbeit, die damals von Mittelschlesien, Mähren und Böhmen
aus einsetzte. Das war im Gebiet links der Oder.
[282]
St. Annaberg (Oberschlesien).
|
Östlich der Oder bestimmt heute noch der Wald weitgehend das Landschaftsbild.
Zwischen Malapane und Stober dehnen sich auf sandigen Böden die
Nadelteppiche der Kiefern und Fichten aus - alles Reste der alten
"Preseka". Weiter im Süden breitet sich zwischen Klodnitz und
Birawka auf ähnlich großer Fläche ebenfalls Wald aus.
Dazwischen aber liegt eine offene Ackerfläche mit Feldern und
Dörfern und dem freundlichen Grün der Laubbäume: der
Muschelkalkrücken des "Chelm", das ist
»Höhe«. An seinem einen Ende ragt der basaltische, von
einem Kloster gekrönte Annaberg auf, das nationale und
religiöse Heiligtum des "Landes unterm Kreuz", auf dem deutsche Jugend
in Oberschlesiens schlimmsten Tagen für die Freiheit des Landes ihr Leben
ließ. - Von dem anderen Ende des "Chelm" sagte im Jahre 1861
Freiligrath: "Ich habe eine neue Welt kennengelernt, das neue Kalifornien, das
zwar kein Gold, aber Eisen, Zink und Kohle in Menge gibt!"
In diesem fast nur mit Wald und wenig Acker bestandenen Winkel des Landes
setzte der erste Bergbau schon im 13. und 16. Jahrhundert ein. Als notwendige
Kraftstoffe standen Wasser und Holz in Hülle und Fülle zur
Verfügung. Unter der Regierung Friedrichs II., der das Eisen
für seine Kriege notwendig brauchte, stieg die Zahl der Hochöfen
von 14 auf 44, und im Jahre 1788 wurde in Tarnowitz die erste Dampfmaschine
des Festlandes aufgestellt! Die eigentliche Grubenindustrie setzte erst wesentlich
später ein, als man die Steinkohlenzone gefunden und den Wert dieser
"aufgespeicherten Sonnenwärme" als Kraftstoff erkannt hatte. In Gleiwitz
wurde 1796 der erste Kokshochofen angeblasen. Mit diesem Standort war
für die Eisenindustrie die Verlagerung ins Kohlengebiet in die Wege
geleitet. In den Freiheitskriegen hatte sie ihre Feuerprobe zu bestehen: in der
Gleiwitzer Hütte wurden Kanonen und eiserne Kreuze gegossen. Aber noch
um 1850 gab es mehr Holzkohlenöfen.
Der eigentliche Aufschwung des Gebietes kam erst durch die Eisenbahn, die das
Land an den Weltmarkt anschloß, andere Industriezweige heranzog und
selbst sehr viel Kohle verbrauchte. Nach dem Kriege von 1870/71 entstanden die
gewaltigen Unternehmungen in ihrer heutigen Gestalt. Diese Eisenwerke
verarbeiten heute schon lange nicht mehr den heimischen Raseneisenstein, dessen
Lager erschöpft sind und der sich in seiner Zusammensetzung nicht
für eine moderne Verarbeitung (Verhüttung) eignet. Heute werden
viel mehr ausländische Erze [343] - vor allem
schwedische - die als billige Bergfracht auf der Oder von Stettin
kommen, bis zu einer Menge von 80 Prozent der Gesamtverhüttung
verwandt.
Im Gegensatz zu den Eisenerzlagern ging der Abbau und die Verhüttung
von heimischem Blei- und Zinkerz immer weiter, das sich besonders in den
Kreisen Beuthen, Kattowitz und Tarnowitz fand. Ihr Vorhandensein verdanken
wir besonders dem Muschelkalk, der die Eigentümlichkeit hat, die aus der
Tiefe aufquellenden Erze wie ein Schwamm aufzusaugen, d. h. in
chemischen Prozessen festzuhalten.
Der eigentümliche Reichtum des Landes sind aber nicht seine Erze, nicht
seine Wälder, nicht sein Ackerboden, sondern seine gewaltigen
Steinkohlenlager, die denen des Ruhrgebietes, selbst denen ganz Englands
mengenmäßig kaum nachstehen. Riesige Küstensümpfe
eines Meeres schufen im Altertum der Erde hier das große
Steinkohlenbecken, das das Gebiet zwischen
Mährisch-Ostrau - Bielitz - Biala -
Krakau - Tarnowitz - Hultschin einnimmt. Einige Flöze sind
bis zu 13 Metern stark, und das tiefste Bohrloch der Welt bei Czuchow unweit
Rybnik durchstößt mit seinen
2240 Metern - diese Teufe ist zehnmal tiefer als der Kölner
Dom hoch ist! - nicht weniger als 163 Flöze mit einer
Gesamtmächtigkeit von 118 Metern, erreicht eine Wärme von
84 Grad, aber noch nicht den Boden dieses Lagers!
Diese Steinkohlenmassen sind entscheidend wichtig für die Entwicklung
des ganzen Gebietes geworden, denn sie geben für alle anderen Betriebe die
bodenständige Grundlage: den Brennstoff für die Roherzeugung von
Eisen und Stahl, den Kraftstoff für die Weiterverarbeitung in der
Maschinenindustrie, für die Gießereien,
Sprengstoff-Fabriken und zahlreiche andere Nebenbetriebe, wie Gaswerke und
Kraftwerke.
So ist mitten im Waldgebiet am Südostende des "Chelm" eine Oase der
Arbeit entstanden, die - ähnlich dem
Ruhrgebiet - fast den Eindruck einer einzigen, nur an wenigen Stellen
aufgelockerten Siedlung macht. Fördertürme,
Schornsteinwälder, Zechen und Hochöfen, Halden und
Ödländer, zuweilen noch einige Schrebergärten und etwas
Ackerland, alles zusammengehalten durch ein Netzwerk von Drähten in der
Luft, durch Schienenstränge auf dem Erdboden, Wasserleitungen und
Kabel in der Erde und die unsichtbaren Fäden der Verwaltung der
zahlreichen Werke und der großen Städte: Beuthen, Gleiwitz,
Kattowitz, Königshütte und Hindenburg. Das Ganze: ein fein
aufeinander abgestimmtes Räderwerk, in dem ein Teil ohne den anderen
nicht leben kann.
Das oberschlesische Land liefert seinem "Herzen" das, was es außer Kohle
notwendig zu seinem Leben braucht: die Stämme des Waldes steifen die
Stollen in den Gruben ab. Die Sande müssen als "Spülversatz"
dienen, die am Rande des "Chelm" auftretenden Kalke und Dolomite liefern den
"Zuschlag" für die Hochöfen, die großen Zementwerke ihre
Erzeugnisse für die großen Bauten, und das fruchtbare
Lößland links der Oder hilft das schlesische "Kalifornien" mit Milch
und Brot versorgen.
[282]
Oberschlesisches Industriewerk.
|
Das oberschlesische Industriegebiet hatte vor dem Kriege eine wichtige Aufgabe
innerhalb des deutschen Wirtschaftsraumes: es versah den ganzen Osten [344] mit Brennstoffen und
Hüttenerzeugnissen. Die großen Metallwerke Berlins und die
vielseitige Veredelungsindustrie Sachsens erhielten von dort Halbfertigwaren und
einfache Maschinen. So konnten der deutsche Osten und große Teile
Mitteldeutschlands nicht ohne Oberschlesien bestehen, und Oberschlesien nicht
ohne diese Absatzländer. Alles aber war ein Werk deutschen Geistes und
deutscher Tüchtigkeit, erkämpft gegen eine ausgesprochene Ungunst
der Lage durch deutsche Menschen, deutsche Tatkraft, deutsches Kapital.
Und dieses Oberschlesien ist durch das Diktat von Versailles in Fetzen zerrissen
worden! "Man trennte das Arbeiterheer von der nächsten reichen Stelle der
Ernährung, dem Leobschützer Lößland jenseits der
Oder, und der fruchtbaren mittelschlesischen Ebene, von der Zufuhr der
schwedischen Erze auf dem Oderstrom, von den die Menge von Grubenholz
sendenden Ländern der nördlichen Nachbarschaft, von dem
Schiffahrtsweg für das Abschwimmen der Kohlenfrachten, der
Nebenprodukte der Kokereien und der Zinkblechrollen" (Partsch).
Dieser "Schnitt durch den Maschinensaal" hat das Antlitz Oberschlesiens von
Grund auf verändert. Trotzdem 60 Prozent der gesamten
Bevölkerung für den Verbleib bei Deutschland gestimmt hatten,
verloren wir die wertvollsten Stücke gerade des Industriebezirks: Von 67
Steinkohlengruben verloren wir 53, von 16
Zink- und Bleierzgruben gingen 11 in polnischen Besitz über. Es gingen
ferner verloren: sämtliche Eisenerzlagerstätten, 15 von 25 Gießereien, 9 von 14 Walzwerken, 22 von 37 Hochöfen,
sämtliche 22 Zinkhütten. So hatte das Land mit einem Schlage ein
ganz anderes wirtschaftliches Gesicht bekommen: aus dem Industrieland war zum
Teil wieder ein Wald- und Ackerland geworden. Und neben den Verlusten noch
die vielen Verstümmelungen! Die oberschlesischen Kraftwerke wurden
zerrissen. Ebenso das Netz der Wasserversorgung. Manche Unternehmungen
verloren ganze Teile des Betriebes, die nun jenseits der Grenze liegen. Das
Mundloch zu einem Stollen liegt auf deutscher Seite, der Stollen selbst ist
polnisch, an anderer Stelle ist es umgekehrt. Hier gehört ein Grubenhof
nach Deutschland, die Wohnung der Arbeiter aber liegt in Polen.
Auch ein wertvolles Landwirtschaftsgebiet ging uns verloren: das fast 300
Quadratkilometer mit ungefähr 50 000 Einwohnern besiedelte
"Hultschiner Ländchen", die lößbedeckte Fortsetzung
des Leobschützer Landes. Ohne Volksabstimmung mußte dieses
Gebiet, das nie rein slavisch gewesen ist, an die Tschechoslowakei abgetreten
werden. Die Sprache der Hultschiner ist zwar ein eigenartiges Gemisch von
mittelalterlichem Mährisch und Deutsch: "Ti maz feini anzug, feini
vorhemetlu, a feini schlips", sagt der Hultschiner. Diese Mischmundart sprachen
1910 nicht weniger als 80 Prozent der Bewohner, aber bei den
Gemeindewahlen im Jahre 1924 stimmten nicht weniger als 70 Prozent für
die deutsche Liste!
Ähnliche Verhältnisse liegen in dem polnisch gewordenen Teile von
Oberschlesien vor: hier ist der kulturelle Schnitt auch mindestens ebenso hart wie
der wirtschaftliche. Dieses Volk, das in der Abstimmung zu einem so
großen Teile seine Treue zum Reich unter Beweis gestellt hat, zerfiel
sprachlich, völkisch und [345]
bekenntnismäßig schon immer in zwei Teile. Aber diese
Trennungslinien fielen eben nie zusammen! Der Muttersprache nach gab es im
Kreise Rosenberg im Jahre 1910 nicht weniger als 81 Prozent "Polen", in
Cosel 75 Prozent. Aber im Abstimmungsjahre 1921 standen im Kreise
Rosenberg 68 Prozent für ein deutsches Oberschlesien und in Cosel
sogar volle 75 Prozent. Genau so wie man aus dem Bekenntnis nicht auf
die politische Zugehörigkeit schließen kann, ebensowenig weist in
Oberschlesien die Mutter- oder besser Umgangssprache auf die Staatsgesinnung
hin. So haben allein in den Kreisen Kreuzberg und Leobschütz mehr als
90 Prozent der polnisch sprechenden Bevölkerung für
Deutschland gestimmt!
Die Sprache der Oberschlesier ist auch gar kein Polnisch, sondern eine
Mischmundart, die zum Unterschied vom eigentlichen Polnisch, dem
"Hochpolnisch", hier "Wasserpolnisch" genannt wird, eine Sprache, die
zahlreiche Wörter aus dem Deutschen entlehnt
und - ähnlich der Hultschiner
Mundart - nur mit slavischen Endungen versehen hat.
Aber nicht nur Sprache und Gesinnung sondern auch die rassischen Merkmale
zeigen deutlich, daß der Oberschlesier nicht nach dem Osten
gehört. In den letzten Jahren sind 400 Gemeinden mit über
25 000 Einwohnern rassekundlich genau untersucht worden: Über
die Hälfte weisen nordische Rassemerkmale
auf - ein neuer Beweis, daß Oberschlesien nie Slavenland gewesen
sein kann. Im Westen und Norden ist diese nordische Grundlage besonders stark,
was wohl auf die mittelalterliche Kolonisation zurückzuführen ist.
Im Süden dagegen tritt ein dinarischer Erbstrom deutlicher hervor,
während im östlichen Winkel des Landes sich ostische
Einflüsse stärker geltend machen. Aber selbst hier ist der nordische
heute noch der tragende und überwiegende.
Auch das Brauchtum des Landes spricht dieselbe Sprache: Inmitten der tiefen
stillen Wälder des Gebietes liegen die Dörfer wie versteckte
Vogelnester, die Häuser um die alte Schrotholzkirche wie Kücken
um ihre Henne. Heidebauern, Tagelöhner und Waldarbeiter verdienen unter
schweren Bedingungen ihr täglich Brot. Hier gibt es noch einige
Trachteninseln, an denen Schlesien sonst nicht gerade reich ist. Es scheint so, als
ob die Bewohner durch ihre bunte Tracht, die sie sogar bis in die Schreibstuben
und Geschäftszimmer tragen, die trübe Stimmung der weiten
Sandflächen und der einsamen Kiefernwälder bannen wollen.
Besonders viel werden die Trachten in Schönwald getragen, das seit 700
Jahren stets kerndeutsch gewesen ist. Aber auch im offenen Ackerlande, auf dem
Chelm, wo wasserpolnisch gesprochen wird, werden die bunten Kleider getragen.
Beide Trachteninseln - verschieden in Umwelt und
Sprache - sagen noch einmal deutlich genug: der Oberschlesier ist ein
Deutscher, wo er auch lebt, wie er auch spricht, in welche Kirche er geht!
Aber trotz allem nahm das Schicksal unerbittlich seinen Lauf: Oberschlesien
wurde zerrissen, und zu dem Nachteil der Wirtschaftsferne, der kontinentalen
Lage und dem Mangel einer großen brauchbaren Wasserstraße
für die Beförderung seiner
Massengüter - im Reich vollziehen sich 20 Prozent des
Güterversandes auf dem Wasser, in Oberschlesien nur
7 Prozent - traten nun noch die [346] Schäden durch
die Zerstörung der gerade hier zu großen Einheiten
zusammengeschlossenen und aufeinander angewiesenen Betriebe. Das
Schlimmste aber war der Verlust großer Absatzgebiete im Osten durch die
Landabtretungen von Memel im äußersten Norden bis herunter nach
Hultschin im Süden und die Abschnürung von den neu geschaffenen
Staaten durch hohe Zollmauern. So war es kein Wunder, daß die
oberschlesische Wirtschaft, die ohnehin schon immer gegenüber den
anderen Gebieten des Reiches durch ihre Lage benachteiligt war, sich in der Zeit
der unsicheren Staatsführung immer mehr einem Zusammenbruch
näherte. Während im Jahre 1913 das Gebiet einen Gesamtverkehr
von über 60 Millionen Tonnen zu verzeichnen hatte, so war dieser
im Jahre 1930 auf 28 Millionen zusammengeschmolzen. Die Zahlen des
Verkehrs mit dem Auslande weisen noch deutlicher den Niedergang auf: statt
14 000 000 waren es nur noch 2 000 000 Tonnen! Und
das ist der neuen Lage des Landes nach durchaus verständlich:
Schlägt man um Gleiwitz einen Kreis mit dem Radius von
300 Kilometern, so fallen nunmehr über 90 Prozent der
umschriebenen Fläche auf das Ausland. Infolge der hohen Zollmauern
nimmt aber dieses große Gebiet nur 7 Prozent des gesamten
Güterversandes des Landes auf! Die Fracht für Kohle kostet ja von
Ostoberschlesien aus den nunmehr polnischen Gruben bis nach Danzig dank der
Vorzugstarife auf der polnischen Staatsbahn nur 3,39 Mark für die
Tonne, während der sonst billigere Wasserweg die deutsche Kohle nur
für 4,80 Mark nach Stettin bringen kann. So hat die deutsche Kohle
in den Ostseeländern schwer um Absatz zu kämpfen!
Noch deutlicher wird die Lage, wenn man sich die Lebensverhältnisse
seiner Bewohner ansieht. Die völlige Einseitigkeit der Wirtschaft dieses
Bergbaugebietes - 60 Prozent der Industriebevölkerung sind
Arbeiter - hat dazu geführt, daß nur eine sehr geringe
Möglichkeit für die Berufsarbeit von Frauen besteht. Während
im Reiche 35 Prozent aller Frauen berufstätig sein können,
sind es hier nur 15 bis 20 Prozent. So kommen angesichts der
verhältnismäßig hohen Kinderzahl in dem Gebiet viel zu viel
Esser auf einen Verdiener! Nur 37 Prozent der Bevölkerung sind hier
erwerbstätig. Im Reiche sind es weit mehr. Entsprechend niedrig ist auch
die Steuerkraft dieses Landes: Während in Breslau auf den Kopf des
Einwohners im Durchschnitt 75 Mark an Steuern jährlich
einkommen, sind es in Gleiwitz nur 44, in Beuthen 34, in Hindenburg sogar nur
26 Mark! Kein Wunder, daß diese drei Städte auch die bei
weitem ungünstigsten Wohnverhältnisse des ganzen Reiches
aufweisen, zumal man mit einer jährlichen Zuwanderung von
5000 Menschen in diesem hart an der Grenze gelegenen Gebiet rechnen
muß. In Beuthen wohnen 45 Prozent der Bevölkerung in
"überfüllten Wohnungen", in Hindenburg 43, in Gleiwitz 38,
während der Reichsdurchschnitt nur 9 Prozent beträgt. Das
sind Zahlen, die wirklich anschaulich machen, was das so viel gebrauchte Wort
"Ostnot" alles in sich schließt.
Der neue Staat sah sich nach den Jahren der planlosen Wirtschaft und der ins
Ungeheure gestiegenen Arbeitslosigkeit, die sich hier noch drohender als in
anderen Gebieten entwickelt hatte, zur Wiederherstellung der deutschen
Raum- und [347] Menschenordnung in
Oberschlesien vor ganz besonders schwere und umfassende Aufgaben gestellt, die
nur durch einschneidende Maßnahmen gelöst werden konnten. Denn
auf dem "Lande unterm Kreuz" lastete Absatznot und Arbeitsnot,
Land- und Wohnungsnot und nicht zuletzt Verkehrsnot. In den letzten vier Jahren
seit der Machtergreifung sind auf diesen Gebieten bereits erhebliche Fortschritte
erzielt worden: Die Zahl der Arbeitslosen ist seit 1933 um 80 Prozent
gefallen, die der Feierschichten ist nur noch sehr gering. Die Löhne sind
gestiegen, die Erzeugungsziffern für Steinkohle und Koks haben sich
gehoben, auch der Auslandsabsatz deutscher oberschlesischer Steinkohle hat sich
gebessert. Ebenso zeigen die Erzeugungsziffern der Eisenhüttenwerke eine
erfreuliche Aufwärtsbewegung. Um die vielen verfügbaren
Arbeitskräfte des Landes dauernd nutzbar zu machen, ist die Heranziehung
von "Ergänzungsindustrien" geplant. Der Bestand an Wohnräumen
hat sich in der kinderreichsten Provinz des Reiches inzwischen auch erhöht,
vor allem durch einige Tausend Kleinsiedlungen. Neuerdings wird ein
Siedlungswerk geplant, das innerhalb von zehn Jahren 75 000 Menschen
aus dem engeren Industriegebiet innerhalb der "Einstundenzone" ansiedeln
soll - ein Millionenprojekt, das 15 000 Morgen Land beanspruchen
und das Bild des ganzen Reviers entscheidend umgestalten wird.
Aber noch von einer anderen Seite her wird die Lage des mit seinem Absatz fast
nur auf den innerdeutschen Markt angewiesenen Gebietes tatkräftig
gebessert: Um seiner Marktferne wirksam zu begegnen, muß das Land
näher an seine Absatzgebiete herangebracht werden. Zwei Aufgaben sind in
dieser Richtung bereits in Angriff genommen: die Umgestaltung der Oder zu einer
Großschiffahrtsstraße und der Ausbau einer leistungsfähigen
Verbindung zwischen den Bergwerken und der Oder.
Zur Verbesserung der durchaus unzulänglichen Wasserführung der
Oder ist das Staubecken unweit Neiße bei Ottmachau errichtet und im Jahre
1933 bereits in Betrieb genommen worden, das die großen Wassermengen
des niederschlagsreichen Einzugsgebietes der Glatzer Neiße in einem
herrlich gelegenen See vor den Mauern des "schlesischen Rothenburg"
auffängt und für die Oder im Sommer 95 Millionen
Kubikmeter Zuschußwasser - knapp ein Viertel des
Bedarfs! - liefert. Auf diese Weise wird verhindert, daß wieder
einmal wie in den schlimmen Sommern 1928 und 1930 ungefähr 1000
Kähne mit über 300 000 Tonnen Frachtgut aus Oberschlesien
auf der Oder "versommern", d. h. wochenlang auf dem Flusse liegen
müssen, um auf größere Tauchtiefe zu warten. Bei Turawa
werden die Wasser der Malapane durch einen 6 Kilometer langen Damm in
einer Talsperre aufgestaut, dem der Fläche nach größten
Stausee Deutschlands, der im Jahre 1938 zum ersten Male durch
Zuschußwasser der Oderschiffahrt neuen Antrieb verschaffen wird. Von
weiten Wäldern umgeben wirkt er nicht wie ein Werk der Technik, sondern
wie ein großer verträumter Waldsee. Ebenso wird das Wasser der
Ruda bei Ratiborhammer, das der Klodnitz bei Sersno und das der Weistritz
(Eulengebirge) bei Domanze in Seen, die auch schon im Bau sind, angestaut, um
auf diese Weise eine Tauchtiefe der Oder von ungefähr 1,70 Meter
zu erreichen, die Schiffahrt um zwei [348] Monate zu
verlängern und die Ladung erheblich zu steigern. So muß sich der
Schlesier künstlich große Wasserspeicher errichten, die dem Rheine
in Gestalt der Gletscher der Alpen in natürlicher Form für den
Sommer zur Verfügung stehen. Aber auf diese Weise entstehen in
Schlesien, das ziemlich arm an großen Wasserflächen ist, eine Reihe
von Seen und Erholungsstätten, die das Land noch schöner machen,
als es die Natur schon ausgestattet hat.
Schon vor dem Kriege - zuerst 1879 - hatte der oberschlesische Bergbau eine
leistungsfähige Wasserstraße von den Gruben zur Oder gefordert.
Aber erst im Jahre 1933 wurden die Mittel für einen 43 Kilometer
langen Kanal von Gleiwitz nach Cosel an der Oder genehmigt. Dieser
"Adolf-Hitler-Kanal" wird für Oberschlesien das sein, was der
Mittellandkanal - beide werden in Kürze
eröffnet - für das Ruhrgebiet ist: der billige Wasserweg
für die Kohle nach der Reichshauptstadt. - Der 125 Jahre alte
Klodnitz-Kanal mit seinen 18 Schleusen konnte nur Kähne mit
einer Ladefähigkeit von 135 Tonnen tragen. Der neue wird den
Höhenunterschied zwischen der grünen Oderniederung bei Cosel und
der welligen Hochfläche des dicht besiedelten Industriegebietes bei
Gleiwitz in sechs einschiffigen Zwillingsschleusen überwinden. Die
Wasserspeisung ist durch das Staubecken der Klodnitz bei Sersno sichergestellt.
An die Stelle des gemütlichen pferdebespannten Treidelkarrens wird der
schwer keuchende Schlepper treten, und Kähne bis zu 1000 Tonnen
Tragkraft werden die "schwarzen Diamanten" Oberschlesiens zur Oder bringen.
Der Kopf des Kanals wird bei dem großen Verschiebebahnhof Gleiwitz
liegen: Die Stadt erhält zwei Hafenbecken von je 600 Meter
Länge und 75 Meter Breite und einen 2500 Meter langen
Hafenbahnhof, der die vielen Kohlenzüge aufnehmen soll. Das alte Bett der
Klodnitz wird zu einer Autostraße ausgebaut, die das Stadtinnere von
Gleiwitz, das sicher bald zum größten Ort des Industriegebietes
werden wird, im Durchgangsverkehr entlasten soll.
Aber nicht nur im äußersten Südosten regt sich wieder neues
Leben, sondern auch in mancher anderen Stadt. Da ist Ratibor, die alte
Kolonialstadt mit den vielen Fabrikvororten, das durch die neue Grenzziehung am
Ausgange des sogenannten "Ratiborer Entenschnabels" liegt und durch die
Abtretung des Hultschiner Ländchens sein ganzes Hinterland für
seine Schokoladen- und Zigarrenfabriken und seine Brauereien verloren hat und
sich nun auch wieder - wenn auch nur sehr
langsam - erholt. - In hochwassergeschützter Lage auf Kreidekalken
liegt die Stadt Oppeln, als Kolonialstadt gegenüber einer alten
slawischen Burg erbaut. Im Mittelalter war sie 400 Jahre der Sitz
schlesischer Herzöge, und nach der Eröffnung der Eisenbahn
entstanden vor ihren Toren - gegründet auf die Nähe der
Kohle und den guten Kalk - die großen
Zement- und Kaliwerke von Groschowitz. Ihr Wahrzeichen: die aus weiter Ferne
sichtbaren weiß dampfenden Schornsteine. Ähnliche Werke sind
auch an dem der Oder zugewandten Fuße des Chelm entstanden: in
Leschnitz und Gogolin, und auch auf dem Chelm selbst schicken hohe Essen in
Groß-Strehlitz und Schimischow ihre eigentümlichen hellen Fahnen
weit in die Luft.
[349] Nicht weit von diesen
Stätten des Staubes und der rastlosen Arbeit ragen andere Wahrzeichen in
den Himmel: die Türme der alten Burgruine Tost, für deren
Wiederherstellung die Arbeiten in vollem Gange sind. Neben der alten
Bischofsburg von Ottmachau ist sie eine der wenigen Zeugen romantischer
Ritterherrlichkeit in Oberschlesien, nachdem andere abgetreten werden
mußten. Hier hat Eichendorff
einen Teil seiner Jugend verlebt, "wo die
Elfen tanzen auf Waldesrasen, wo die Rehe unten dort im Mondschein
grasen".
Im Herbst 1936 ist das kleine abgelegene Dörfchen Mühlbach bei
Oppeln über Nacht zu einem berühmten Ort geworden: Eine
Regierungskommission entdeckte hier in einer alten Backsteinkapelle eine
wunderschöne holzgeschnitzte Mariengruppe, die in einem Winkel
herrenlos und verstaubt dastand. Einige Kenner bestimmten sie als ein Werk des
berühmten Nürnberger Holzschnitzers Veit Stoß, der im Jahre
1476 als Pionier deutscher Kunst nach Krakau ging und um diese Zeit die
"Mühlenbacher Mariengruppe" in Linde, seinem liebsten
Werkstoff, geschnitzt haben muß. Seit 1912 ist nichts von diesem Meister
mehr gefunden worden, und nun schenkt uns das kunstgeschichtlich so wenig
beachtete Schlesien sogar ein Jugendwerk dieses großen Meisters! Hinter
den wuchtigen Mauern des ehemaligen Jesuitenklosters in Oppeln steht jetzt das
Werk, um das Schlesien von vielen Kennern beneidet werden kann.
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Beuthen (Oberschlesien). Schrotholzkirche.
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Nördlich des großen Waldgebietes zwischen Stober und Malapane
liegt das Kreuzburger Land. Es ist bekannt durch seine vielen
Schrotholzkirchen, deren es in ganz Oberschlesien über 150 gibt. Sie sind
in ihrer Bauweise ein unverfälschter Ausdruck des Holzreichtums, der
klimatischen Verhältnisse des Landes und der Frömmigkeit seiner
Bewohner. Unter hohen Bäumen versteckt trägt jedes Holzkirchlein
sein eigenes Gesicht. Kostbare Altarschreine aus dem schnitzfreudigen
15. Jahrhundert haben hier mit ihren wertvollen Holzplastiken die
Wirrnisse der Jahrhunderte überstanden. Berühmt sind die
Klappaltäre von Golkowitz, Kostau und Rosen.
Durch das Kreuzburger Land führte die alte Handelsstraße
Breslau - Krakau. Hier entstand schon früh die Stadt der Hefe
und des Flachses: Konstadt. Wenn man in Breslau Hefekuchen ißt, so kann
man 1 zu 10 wetten, daß er mit Konstadter Hefe gebacken ist. Aber noch
wichtiger ist uns heute die Flachsfabrik mit der größten
Flachsröste aus ganz Deutschland, die aus den umliegenden
oberschlesischen Kreisen, wo der Flachs recht gut gedeiht, den Rohstoff
bezieht.
Weit stiller ist Kreuzburg selbst, das dem Lande den Namen gegeben
hat, die Geburtsstadt des großen Schlesiers Gustav Freytag, der
den deutschen Kaufmannsroman Soll und Haben schrieb. So
vielfältig wie das Gesicht seiner schlesischen
Heimat - so mannigfaltig ist auch sein Werk. Er war Schriftsteller, Dichter
und nicht zuletzt Politiker, dessen Feder mit leidenschaftlicher Hingabe gegen das
verwelschte Österreich gefochten hat, der immer wieder als Kämpfer
für ein einiges Reich in Preußen das einzige Heil sah. Zu seiner Zeit
wurde er freilich nicht recht anerkannt, sondern sogar verfolgt, aber würdig
steht er neben allen Schlesiern, die zu allen Zeiten Blut und Arbeit für ihre
Heimat eingesetzt haben für "Ehre", "Selbstbewußtsein", "Freiheit"
dieses reichen und schönen Landes.
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