[5] I. Die Volksgruppe 1. Siedlungsgebiete, Zahl, konfessionelle und wirtschaftliche Gliederung a. Siedlungsgebiet Wenn wir als erstes die natürlichen Gegebenheiten der Volksgruppe klären wollen, müssen wir davon ausgehen, daß das Deutschtum in dem durch den Versailler Friedensvertrag begründeten polnischen Staat kein einheitliches Gebilde darstellte. Die Verschiedenheiten der einzelnen Teile ergaben sich vor allem aus der voneinander sehr abweichenden neueren Geschichte dieser Teile. An sich handelt es sich bei dem in Frage kommenden Raum um alten germanischen Volks- und Kulturboden, der allerdings im Zuge der Völkerwanderung von den Germanen entblößt und danach von Slawen - um Warthe und Weichsel von den Polen - besiedelt worden war. In das alte polnische Reich waren im Laufe der Zeit, angefangen vom 13. Jahrhundert, deutsche Bürger und Bauern in friedlicher Kolonisation eingewandert, gerufen von polnischen Königen, weltlichen oder geistlichen Fürsten bzw. Würdenträgern, die ihr Land wirtschaftlich erschließen und kulturell fördern wollten. Waren auch die auf die mittelalterliche Einwanderung zurückgehenden deutschen Siedlungen allmählich im Polentum aufgegangen - bis auf wenige Ausnahmen, [6] wie z. B. die Sprachinsel Bielitz, einzelne Dörfer im Südwestzipfel des Posener Landes - so hinterließen doch die Einwanderungswellen des 16. und 17. Jahrhunderts, vor allem aber des 18. Jahrhunderts nicht nur in West-, sondern auch in Mittelpolen bleibende Spuren. Durch die drei Teilungen Polens in den Jahren 1772, 1793 und 1795 wurde das damalige national verschieden geartete polnische Staatsgebiet unter Russland, Österreich sowie Preußen aufgeteilt und erst durch den Versailler Vertrag - zum größten Teil - wieder zusammengefügt, ohne daß dem zum obersten Grundsatz der Friedensstifter erhobenen Selbstbestimmungsrecht der Völker dabei Rechnung getragen worden wäre. In den rund 123 bis 150 Jahren der Trennung hatte das Deutschtum dieses Raumes verschiedene Entwicklungen durchgemacht, die durch das Verhalten der jeweiligen Teilungsmacht dem Polentum gegenüber sowie durch die sich daraus für das Deutschtum ergebenen Folgen bestimmt wurden und die sein Antlitz prägten. Da darüber hinaus keine Teilungsmacht ihren seinerzeit polnischen Gebietsteil einheitlich verwaltete, sondern aus den verschiedensten Gründen staatsrechtliche Unterschiede einführte bzw. bestehen ließ, bestand das Deutschtum im Versailler Polen aus sechs verschiedenen Siedlungsgruppen. Die geschichtlichen Besonderheiten dieser Untergruppen seien hier nur angedeutet, die strukturellen Unterschiede werden im Laufe der Darstellung zu Tage treten. Im preußischen Teilgebiet hatte sich das Deutschtum zeitweise einer weitgehenden Förderung durch den Staat erfreut. Jedoch waren Posen und Westpreußen (Pommerellen) erst durch die Teilung an Preußen gefallen, wogegen Schlesien, das seit 1163 unter deutschem Einfluss stand und auf das Polen im Jahre 1335 bzw. 1343 "endgültig" zugunsten Böhmens verzichtet hatte, bereits 1526 an das Haus Habsburg gekommen war und seit 1742 zu Preußen gehörte. [7] In Posen-Westpreußen hatte die preußische Regierung die ganze Zeit über mit dem Polentum, das ursprünglich - nach 1815 - noch gewisse, wenn auch geringfügige Sonderrechte besaß ("Großherzogtum Posen"), rechnen müssen. In Oberschlesien, das in nationaler Hinsicht vielfach keine klaren Grenzen kannte, wurden sich die deutschen Stellen der Notwendigkeit einer Stellungnahme zur polnischen Frage überhaupt erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts bewusst, als der Zuzug polnischer Arbeitskräfte aus dem benachbarten Kongresspolen immer mehr überhand nahm und die Propaganda der Posener Polen sich auch an die bis dahin national indifferenten Oberschlesier zu richten begann. So ließ sich die Regierung eine Förderung des Deutschtums in Oberschlesien erst seit der Jahrhundertwende angelegen sein. Auch die beiden Siedlungsgruppen des ehemals österreichischen Teilgebietes wichen voneinander ab. Das Deutschtum des Teschener Schlesiens konnte sich als integrierender Bestandteil Österreichs trotz der z. T. fremdvölkischen, aber in keiner nationalen Kampfhaltung verharrenden Umgebung auch ohne staatliche Förderung ungestört frei entfalten. In Galizien (Kleinpolen) dagegen, das bis auf das erst 1846 einverleibte Krakau bereits 1772 an Österreich gefallen war, hatte zwar Joseph II. die deutsche Einwanderung gefördert. Nachdem aber nach dem Ausscheiden Österreichs aus dem Deutschen Bund u. a. auch das Kronland Galizien im Jahre 1867 eine weitgehende Autonomie erhalten hatte, genossen die dortigen Deutschen keine staatliche Fürsorge mehr. Im Gegenteil, sie waren bereits damals den Assimilierungstendenzen der Lemberger polnischen Behörden ausgesetzt, was aber u. a. eine Verselbständigung und eine frühzeitige Organisierung des Deutschtums zur Folge hatte. Im russischen Teilgebiet hatte Mittelpolen als "Kongresspolen" von 1815 bis 1863/64 eine ursprünglich weitgehende [8] Selbstverwaltung genossen, wogegen der östliche Teil, Wolhynien, Polesien und das Wilnaer Gebiet, bereits 1793/95 dem russischen Reich einverleibt worden war. In diesem Teilgebiet erfuhr das Deutschtum naturgemäß keine staatliche Förderung. Es war weitgehend auf sich selbst gestellt, die kulturellen Bande zum Mutterland waren dort am schwächsten. Einem deutschen Staatswesen hatten diese deutschen Siedler bzw. ihre Nachfahren seit ihrer Auswanderung im 17., 18. oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts nie mehr angehört. Trotzdem hatten sie weitgehend ihr Volkstum bewahrt, war Deutsch ihre Muttersprache geblieben, dachten und fühlten sie deutsch, brachten sie immer wieder für die Erhaltung ihres Volkstums Opfer und wurden sie von ihrer Umwelt als Deutsche angesehen.
Die Deutschen dieser sechs verschiedenen gearteten Siedlungsgebiete:
Posen-Westpreußen, Ostoberschlesien und das Teschener Schlesien,
Galizien, Mittelpolen und Wolhynien mit den Nordostwojewodschaften waren
nun in den neuen polnischen Staat hineingestellt worden und hatten ein
gemeinsames Schicksal zu tragen. Das Deutschtum des Olsalandes, das im
Verfolg des Münchener Abkommens Anfang Oktober 1938 an Polen
gekommen war und das an 25000 Köpfe zählte, soll hier wegen der
kurzen Gastrolle, die es im polnischen Staatsverband gegeben hat, nicht
eingehend dargestellt werden, wenngleich über die Behandlung, die es in
Polen genossen hat, in Teil
III berichtet wird. Die obigen sechs Siedlungsgruppen
hatten sich schon von Anfang an gut ergänzt. Den kulturell und
wirtschaftlich besser gestellten, sich durch ein mannigfaltiges Organisationsleben
auszeichnenden, aber bisher vom Staate geführten und betreuten, daher
nach der Abtrennung unter der Abwanderung leidenden Grenzlanddeutschen
Posen-Westpreußens, Ostoberschlesiens und des Teschener Schlesiens
standen nämlich die kulturell zwar nicht so reich ausgestatteten, aber auf
[9] Selbsthilfe eingestellten und über
unmittelbare Erfahrungen im Volkstumskampf verfügenden, in ihrer
Heimat stark verwurzelten und von einem ausgeprägten Lebenswillen
beseelten Sprachinseldeutschen Galiziens, Mittelpolens und Wolhyniens
gegenüber. Trotzdem schienen diese sechs Gruppen zuerst willens zu sein,
ihren eigenen Weg für sich zu gehen. Aber der dem gesamten Deutschtum
von den Polen aufgezwungene Behauptungskampf, der Kampf um die deutsche
Sprache und Kultur, um Schule und Kirche, um Boden und Arbeitsplatz, der
Kampf um Wahrung der ihnen, sei es in Minderheitenschutzvertrag, sei es in der
polnischen Verfassung von 1921, zugesicherten Rechte führte die
Deutschen der verschiedenen Gebiete zuerst auf parlamentarischem Boden und
im politischen Kampf, dann aber in der Berichtszeit auch auf organisatorischem
Gebiet und in der Volkstumsarbeit immer mehr zusammen, so daß
schließlich doch von einer deutschen Volksgruppe im Versailler Polen
gesprochen werden konnte.
b) Zahl und konfessionelle Gliederung
Die eingangs erwähnte Zahl von 2 Millionen Deutschen im neuen
Staatswesen war infolge der vor allem in
Westpreußen-Posen zielbewusst geführten
Verdrängungspolitik der polnischen Behörden, auf die wir an dieser
Stelle nicht näher eingehen können, schon in den ersten Jahren
wesentlich zurückgegangen. War die aus diesem Druck sich ergebende
Massenabwanderung ins Reich bis 1926 im wesentlichen abgeschlossen, so hatte
eine wenn auch zahlenmäßig nicht bedeutende stille Abwanderung
aus den Westgebieten nie ganz aufgehört und bildete somit eine
ständige Gefahr für das Deutschtum Westpolens und Oberschlesiens.
Die Zahlen, die die polnischen Volkszählungen in den Jahren 1921 und
1931 hinsichtlich der deutschen Volksgruppe ermittelten, geben kein richtiges
Bild von der tatsächlichen Stärke des Deutschtums in Polen. Wenn
die Zählung vom 9. 12. 1931 [10] nur 741000 Deutsche ergeben hat, so erfahren
wir dadurch nicht, wie viel Deutsche es damals in Polen gegeben hat, sondern
nur, wie viele sich bei dieser Zählung zur deutschen Muttersprache bekannt
haben. Daß es ein wesentlicher Prozentsatz aus verschiedenen
Gründen nicht hat tun können, bzw. geglaubt hat, es nicht tun zu
können, ist deutscherseits oft nachgewiesen worden.2 Daher wurden von deutscher Seite
schon frühzeitig in verschiedenen Gebieten genaue Zählungen
durchgeführt und Berechnungen auf Grund von Wahlergebnissen,
kirchlichen Unterlagen und organisatorischen Erhebungen angestellt. Das
Ergebnis dieser sich auf gesicherte
Angaben - auf Mindestzahlen - stützenden Arbeiten, ist
für den 1. 1. 1939 folgendes:
Das Deutschtum in Polen zählte demnach in der Berichtszeit mindestens rund 1 Million Köpfe und machte bei einer Gesamtbevölkerung Polens von 35 Millionen (nach dem Stande vom 1. 1. 1939) 2,9% aus. Daß unsere Zahlen, die von polnischer Seite oft bestritten, aber niemals widerlegt worden sind, gesicherte Mindestzahlen darstellen, ist auch daraus ersichtlich, daß bei der im Winter 1939/40 vom Reich durchgeführten Umsiedlungsaktion aus Ostgalizien allein 54095, aus Wolhynien 66515 Volksdeutsche umgesiedelt wurden.4 [11] Die konfessionelle Gliederung des Deutschtums geht, auf Tausende abgerundet, aus nachstehender Tabelle hervor.
Die Protestanten gehörten verschiedenen Kirchen an, was z. B. auf die Besonderheiten der Siedlungsgebiete zurückzuführen ist. Die evangelischen Deutschen Posen-Westpreußens waren fast alle uniert, Sitz ihrer Kirchenleitung war Posen. Daneben bestand noch die kleine "Evangelisch-lutherische Kirche in Westpolen" (die sogen. "Altlutheraner"). Die evangelisch-unierte Kirche Polnisch-Oberschlesiens war seit 1923 selbständig und hatte ihren Sitz in Kattowitz. Die Evangelischen des Teschener Schlesiens waren der "Evangelisch-augsburgischen Kirche in Polen" mit dem Sitz in Warschau angeschlossen, die vor allem die Evangelischen Mittelpolens sowie Wolhyniens umfasste. In Mittelpolen hatte sich außerdem [12] nach 1923 noch eine zahlenmäßig unbedeutende "Evangelisch-lutherische Freikirche" mit dem Sitz in Lodz gebildet. In Galizien bestand eine "Evangelische Kirche augsburgischen und helvetischen Bekenntnisses", Sitz der Kirchenleitung war Stanislau. Katholische Deutsche gab es bis auf Wolhynien in jedem Siedlungsgebiet, wenn auch in verschiedener Stärke. Sie gehörten durchweg der römisch-katholischen Kirche an. In Ostpolen gab es neben der griechisch-orthodoxen noch die griechisch-unierte (griechisch-katholische) Kirche, in Mittelpolen die katholische Sekte der Mariaviten und im Westen einige deutsche Altkatholiken. Die deutschen Katholiken waren nicht in besonderen deutschen Gemeinden zusammengefasst und hatten auch keinen sie besonders betreuenden deutschen Bischof. Außer den Protestanten und den Katholiken gab es unter den Deutschen in Polen noch Angehörige der seinerzeit aus der evangelischen Kirche hervorgegangenen Sekten, - oder wie sie sich selber nannten - "Freikirchen". Es waren vor allem Baptisten, dann "Pfingstler" oder "Evangeliumschristen", ferner Mennoniten, Adventisten, "Fußwascher" u. a. Sie spielten aber zahlenmäßig so gut wie keine Rolle. c) Wirtschaftliche Gliederung Die wirtschaftliche und berufliche Struktur des Deutschtums in Polen war in erster Linie schon durch die Siedlungsgebiete bestimmt. 1. Das Deutschtum in Posen-Westpreußen war wirtschaftlich am besten und gesündesten gegliedert. Auf die Landbevölkerung entfielen 79,7%, auf die Stadtbevölkerung 20,3%; von 1000 Berufstätigen waren 681 in der Landwirtschaft, 144 im Handwerk und in der Industrie, 37 im Handel und Verkehr beschäftigt. 138 übten weitere Berufe aus bzw. lebten als Rentner oder Witwen. Der Großgrundbesitz war [13] verhältnismäßig stark, doch zwei Drittel der deutschen landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als der Hälfte des deutschen Bodenbesitzes (53,8%) waren rein bäuerliche Wirtschaften (5 bis 50 ha). Nur etwa ein Viertel der Betriebe mit 3,2% der Landfläche war in Händen von Kleinbauern. Sogar von den in den Städten wohnhaften Berufstätigen waren an 20% in der Landwirtschaft tätig, die sich allgemein durch eine hochentwickelte Betriebstechnik auszeichnete. Die ländlichen und städtischen Berufe ergänzten sich im großen und ganzen glücklich. Die freien Berufe waren in diesem Siedlungsgebiet am stärksten vertreten. 2. Das Deutschtum des Industriegebietes Ostoberschlesien zeigte naturgemäß ein ganz anderes Bild. Von der Gesamtbevölkerung der Wojewodschaft Schlesien (Ostoberschlesien und Teschener Schlesien) waren 54,6% im Bergbau und in der Industrie, aber nur 12,2% in der Landwirtschaft tätig. Die Deutschen waren ursprünglich viel stärker als die übrige Bevölkerung im Bergbau (Steinkohle), im Hüttenwesen (Eisen, Zink und Blei) sowie in der verarbeitenden Industrie beschäftigt. Sie stellten 1922 noch 60% der Industriearbeiterschaft und 90 bis 95% der Angestellten, doch änderte sich dieses Verhältnis zu polnischer Zeit sehr wesentlich, wovon im Laufe dieser Darstellung ausführlich die Rede sein wird. Daneben waren die Deutschen im Handel, Handwerk und Gewerbe zahlreich vertreten, weniger unter den freien Berufen. Deutsche Bauern gab es in Ostoberschlesien nicht viel, doch war der Großgrundbesitz noch zu Beginn der Berichtszeit zum großen Teil in deutschen Händen. 3. Die Wirtschaftsstruktur des Teschener Schlesiens wurde vor allem durch die Textilindustrie und die Maschinenfabrikation von Bielitz und dessen bereits auf galizischer Seite gelegenen Schwesterstadt Biala bestimmt, die beide von einem Kranz deutscher Dörfer mit gesundem Bauerntum umgeben [14] waren. Hier gab es ein aufs höchste gesteigertes wirtschaftliches Zusammenwirken von Stadt und Land, da nur der kleinere Teil der Dorfbewohner von der in modernen Formen betriebenen Landwirtschaft lebten und der größere Teil in der städtischen Industrie arbeiteten. Bielitz selber war mit 62% deutscher Bevölkerung die deutscheste Stadt Polens. 48% ihrer Einwohnerschaft waren im Gewerbe, 29 im Handel, Verkehr und öffentlichen Dienste tätig. 4. Das Deutschtum in Galizien, dem am dichtesten besiedelten landwirtschaftlichen Gebiet Polens, war mit Ausnahme der eben erwähnten westlichen Randstadt Biala von der Landwirtschaft her bestimmt und wies etwa 200 ländliche Siedlungen auf. Zwei Drittel der Berufstätigen waren Landwirte, 8% Landarbeiter, z. T. besaßen die deutschen Bauern (besonders diejenigen Pfälzer Herkunft) mittelgroße Bauernhöfe, z. T. waren sie, besonders Siedler aus dem Egerland und dem Böhmerwald, von Anfang an in Zwergbauern- und Waldarbeitersiedlungen des Südostens angesetzt worden, so daß in vielen Dörfern infolge der Erbteilung die Gefahr der Proletarisierung drohte. Jedoch war der Handwerkerstand in Stadt und Land verhältnismäßig stark vertreten (16% aller Berufstätigen). Rund 20% der Deutschen wohnten in Städten, auch war eine kulturelle Führerschicht vorhanden. 5. In Mittelpolen (Kongresspolen), in dem 70% der Deutschen auf dem Lande und 30% in Städten wohnten, hoben sich zwei ganz verschiedene Wirtschaftsbereiche voneinander ab, das Lodzer Industriegebiet und das ländliche Deutschtum des flachen Landes. Eine Sonderstellung nahm die Landeshauptstadt Warschau ein. a) Zu dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert (seit 1816) von deutschen Industriepionieren begründeten Lodzer Industriegebiet gehörten neben Lodz selbst eine ganze Reihen benachbarter Städte, wie z. B. Pabianitz, Zgierz, Tomaschow [15] und Zdunska Wola. Einen Ausläufer dieses Gebietes stellte noch Zyrardow in der Wojewodschaft Warschau dar. Für die berufliche Tätigkeit der Deutschen dieses Gebietes war vor allem die Textilindustrie maßgebend. Im Jahre 1921 waren die Lodzer Deutschen zu 70% in der Industrie tätig. Davon entfielen 72,4% auf Arbeiter, selbständig waren 13,3.%. Von allen in der Industrie beschäftigten Deutschen arbeiteten damals 73% in der Textilindustrie, doch veränderte sich dieser Beschäftigungsgrad zu polnischer Zeit wesentlich. In einigen der benachbarten kleineren Industriestädte herrschte die Industrie, besondere die Weberei, noch ausschließlicher als in Lodz, das als Mittelpunkt des Gebietes im Handel und Verkehr, im öffentlichen Dienst und in freien Berufen 15% der Deutschen Lebensmöglichkeiten bot. Übrigens stellte Lodz bei weitem die größte Zusammenballung Deutscher an einem Ort in ganz Polen dar, da diese 600000 Einwohner zählende Stadt rund 5000 Deutsche aufwies. Das Lodzer Gebiet besaß ein kleines Gegenstück im Bialystoker Textilbezirk (Narewgebiet), in dem 1921 65% der deutschen Stadtbevölkerung in der Tuchindustrie tätig waren. b) Das ländliche Deutschtum Mittelpolens erstreckte sich über verschiedene, räumlich nicht zusammenhängende Landschaften, die manche Unterschiede aufwiesen. So siedelten Deutsche im Kalischer Land meistens als Kleinbauern, z. T. sogar schon als Zwergbauern auf sandigem Boden, so daß sie als Saisonarbeiter ins Deutsche Reich ("Sachsengänger") gingen, so oft sich ihnen eine Gelegenheit dazu bot. In anderen Gebieten, wie z. B. in der Weichselniederung sowie im Dobriner Land saßen die Deutschen hingegen auf gutem Boden und hatten meist Bauernhöfe mittlerer Größe, z. T. waren sie Großbauern. Trotzdem stellte das ländliche Deutschtum Mittelpolens mit den Kleinstädten einen Wirtschaftskörper dar, in dem an 90% von der Landwirtschaft lebten, die hier [16] allerdings nicht so hoch entwickelt war wie bei den Deutschen in Posen-Westpreußen. Zwei Drittel der Gewerbetreibenden wohnten auf dem Lande, freie Berufe fehlten fast völlig. c) In dem zu Mittelpolen gehörenden Lubliner und Cholmer Land waren sogar 93% der Berufstätigen Landwirte, und zwar durchweg Kleinbauern (8 bis 9 ha). Der deutsche Landbesitz ganz Mittelpolens war auf rund 250000 ha zu veranschlagen, die sich auf etwa 33.000 Gehöfte verteilten. 6. Die rund 400 deutschen Siedlungen in Wolhynien (davon 143 mit einem deutschen Anteil von 80 bis 100% und 109 mit einem solchen von 50 bis 79%) waren fast alle erst nach 1860 zum weitaus größten Teil von deutschen Einwanderern aus dem damaligen Kongresspolen sowie zum kleineren Teil aus dem Posenschen begründet worden und wiesen dieselbe wirtschaftliche Struktur auf wie das eben gekennzeichnete Lubliner und Cholmer Land, dessen deutsche Dörfer zu gleichen Zeit entstanden waren. 7. Die wenigen Deutschen in den Großstädten außerhalb von Posen-Westpreußen und von Lodz, also in Warschau, Krakau, Lemberg, Wilna und Lublin, waren in den verschiedensten Berufen tätig, angefangen vom Dienstmädchen und Arbeiter, bis zum Bankdirektor und Großkaufmann bzw. Industriellen. Die stärkste Gruppe dürften die Angestellten (etwa 30%) ausgemacht haben, der Anteil der Selbständigen wurde auf 15% veranschlagt.
Zusammenfassend sei festgestellt, daß das Gesamtdeutschtum in Polen
weitgehend auf die Landwirtschaft angewiesen war, da 72% der Deutschen auf
dem Lande und nur 28% in der Stadt wohnten. Doch bestanden neben dem
landwirtschaftlich bestimmten Deutschtum
Posen-Westpreußens, Galiziens und Wolhyniens sowie dem
ländlichen Deutschtum Mittelpolens deutsche gewerbliche
Wirtschaftskörper von beachtlicher Größe in den
Industriegebieten von Ostoberschlesien
und Bielitz-Biala sowie im Lodzer Bezirk.
2Mückler, Andreas: Das
Deutschtum Kongresspolens. Eine
statistisch-kritische Studie. Wien/Leipzig 1927; 3siehe Anmerkung 1, S. 372. ...zurück...
4Der Osten des Warthelandes.
S. 291; Litzmannstadt o. J. (1941); |