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Die deutschen Industrieschöpfungen

Die leitenden Männer
im "neuen Polen"
nach dem Wiener Kongreß
für Industriegründungen
Auf Betreiben der am Wiener Kongreß teilnehmenden polnischen Diplomaten wurde für das geteilte Polen wenigstens ein zollpolitischer Zusammenhang hergestellt und zwischen Polen und Rußland eine Zollgrenze errichtet. Polens leitende Männer, denen Alexander I. viel Freiheit in Entschlüssen und Ausführungen gewährte, bemühten sich, dort wieder zu beginnen, wo ihre Vorgänger in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts aufgehört hatten. Im Gegensatz zu der preußischen Verwaltung legten sie das Schwergewicht auf die Errichtung von Industriestädten. Es ist nicht ohne Reiz, dem emsigen und vielverzweigten Schaffen des damaligen Kanzlers Drucki-Lubecki und seiner Gehilfen nachzugehen. Er hatte sich in den Gedanken, Polen zum Industriestaat zu machen, so verstrickt, daß er bereit war, einen Teil von Polens Selbständigkeit preiszugeben und in Petersburg die Aufhebung der Zollgrenze zwischen Polen und Rußland zu beantragen, um der von ihm gepflegten Industrie den Wettbewerb gegen die Moskauer Erzeugnisse leichter zu machen. Verständige Förderung fand die Aufgabe der Warschauer Männer durch Alexander I., der ihre Leitsätze billigte und sich damit einverstanden erklärte, daß den Einwanderern weitgehende Vergünstigungen gewährt wurden. Technische Kräfte, und wenn möglich auch fremdes Kapital, sollten herangezogen, für die Anlagen von Fabriken weitgehendste Kredite gewährt, das Straßenwesen verbessert und die Zollverhältnisse erleichtert werden. Neben den Bemühungen der Regierungskreise um Heranziehung deutscher Tuchmacher ging die Gründungstätigkeit verschiedener Großgrundbesitzer und Städteverwaltungen, die Tuchmacherstädte anlegten oder die Industrieeinwanderer in schon bestehende Städte ansiedelten.

Ozorkow,
die erste deutsche
Tuchmacherstadt
Als erste deutsche Stadtansiedlung des 19. Jahrhunderts kann Ozorkow gelten. Die Bürger der kleinen deutschen Städte im Großherzogtum Polen erlitten bei den vielen französischen Truppendurchmärschen manche Unbill und verarmten ganz. Den ohne Erwerbsmöglichkeiten gebliebenen Handwerkern kam deshalb der Ruf aus Polen sehr erwünscht. Starzenski, [79] der polnische Grundherr, tat alles, um den zuerst gewonnenen deutschen Handwerkern das Fortkommen zu erleichtern. Auf sein Betreiben wurde die Ansiedlung schon 1816 zur Stadt erhoben. In den nächsten Jahren war sie Durchgangsort für die aus Posen und Schlesien gekommenen Tuchmacher und Baumwollweber. Zgierz, Konstantinow und zuletzt auch Lodz sind die Ziele der Nachgekommenen. Ozorkow aber kann in gewissem Sinne als Mutterkolonie der Tuchmacheransiedlungen des Lodzer Industriebezirks gelten.

Den glänzendsten Aufschwung erlebte Ozorkow in den nächsten Jahrzehnten. Der aus Aachen eingewanderte Heinrich Schlösser legt eine Baumwollspinnerei und Weberei an, die sich rasch erweitert. Karl Scheibler wird nach Schlössers Tode der technische Leiter des großgewordenen Unternehmens. Scheiblers erfolgreiches Wirken lenkt die Aufmerksamkeit des Lodzer Stadtpräsidenten Träger auf den fähigen Mann. Er veranlaßt ihn, sich in Lodz selbständig zu machen. Ozorkow darf als Ursprungsstätte der weltbedeutenden deutschen Baumwollindustrie in Polen angesprochen werden. - Ein anderer deutscher Fabrikant, Christian Wilhelm Werner, legt noch vor der Schlösserschen Gründung eine Schönfärberei in Ozorkow an. Auch sein Unternehmen dehnt sich in kurzer Zeit aus; seine Erzeugnisse werden zu gesuchten Artikeln. Alte Ozorkower erzählen noch von dem Leben und Treiben in den bahnlosen Zeiten, als lange Wagenzüge der russischen "Tjelegen" nach Ozorkow kamen und wochenlang auf Ausfertigung der Waren warten mußten. Das Geschäft bewegte sich damals in sicheren Bahnen; geliefert wurden die Waren nur gegen vorherige oder sofortige Barzahlung.

Später haben die Lodzer geschäftseifrigeren Fabrikanten Ozorkow überholt. Schlössers Erben haben die Leitung des Geschäfts anderen Händen anvertraut und Werners Nachkommen gaben die Warenerzeugung ganz auf. Die Abkömmlinge der tonangebenden deutschen Familien sind ins Polentum hinübergeglitten. Stark war auch der Zuzug jüdischer Gewerbetreibender, die mit den von ihnen anhängigen Glaubensgenossen die Hälfte der Einwohnerschaft ausmachen. Der deutsche Einfluß ist sehr zurückgedrängt worden.

Weitere Privatgründungen:
Zgierz, Pabianice,
Alexandrow, Konstantinow,
Tomaschow, Zdunska-Wola,
Gostynin, Zyrardow
In dem alten polnischen Städtchen Zgierz ist die Tuchindustrie fast gleichzeitig mit der Niederlassung der ersten Tuchmacher im benachbarten Ozorkow heimisch geworden. Um 1821 war die deutsche Einwohnerschaft schon so stark, daß eine evangelische Gemeinde gegründet werden konnte. Die Zgierzer Tuchindustrie gewann bald an Bedeutung; ihre Erzeugnisse waren sehr gesucht im russischen Reiche. Einzelne Betriebe ruhen noch heute in den Händen von Nachkommen der ersten deutschen Industriepioniere. Andere sind in ihrem Umfang zurückgegangen. Daneben ist eine starke jüdische Industrie entstanden, die der deutschen den ersten Platz mit Erfolg streitig macht.

Auch Pabianice ist eine ältere polnische Stadt, die erst zur Zeit der preußischen Verwaltung zu Ansehen kam. In den großen Wäldern um Pabianice wurden eine Anzahl deutscher Kolonien angelegt. Um 1803 wurde die Zahl der Evangelischen in Pabianice und Umgegend auf über 1000 geschätzt und die Gründung einer selbständigen Gemeinde in Aussicht [80] genommen. In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts ließen sich deutsche Fabrikunternehmer nieder. Unter ihnen war der aus Reichenau stammende Gottlieb Krusche. Über Turek, wo es ihm nicht gefiel, war er nach Pabianice gekommen. Sein Sinn stand nach Lodz, dem gelobten Lande. Aber der Oberkommissar für Industrieangelegenheiten in Warschau hatte ihm den Vorschlag gemacht, sich in Pabianice niederzulassen. In einem Briefe aus dem Jahre 1826 spricht er sich über die Anfänge seines Unternehmens und die ihm zugestandenen Begünstigungen wie folgt aus:

"Da nun die Gantze Lage der Natur nebst guten Wasser noch weit besser ist, wie in Lodz, so schloß ich mit dem Herrn Comisarius nach einem 14dägigen Aufenthalt in Warschau einen Contrakt ab, von welchen ich das Wichtigste anführen will, als nämlich 1) Habe ich erhalten einen platz, 100 Schritte breit, und 450 Schritte Lang mit gutem Grund, auf welchen ich zwei Häuser bauen will, nebst 300 Stämme Holtz aus dem Walde ohne Entgelt, die Ziegeln werde ich mir auf dem Bauplatz vermutlich selbst brennen, weil ich einen schönen Leimen Grund habe. 2) Habe ich erhalten 3 Große Gärten, welche 15 Scheffel Land betragen. 3) Bekomme ich zu einen Hausse 500 Gulden Vorschuß auf 2 Jahre ohne Interesse, und wenn ich es nötig habe so kann ich es in 10 Terminen wieder zurück zahlen, also jedes Jahr 50 Gulden. 4) Ist mir auf jeden Stuhl, welche ich binnen 2 Jahre aufstellen kan, 3 Centner Wolle gegen 2/5 Zoll versprochen, frey herein zu bringen, in welchen ich vorjetzt 9 Stühle in und auswärts stehen habe. 5) Übrigens ist mir zugesichert worden, 15 Centner von meiner verfertigten Ware gegen 2/5 Zoll herein zu holen. - Und wenn dieses alles zu stande kommen kan, so werde ich diesen Sommer mir mit Gottes Hülfe ein Hauß erbauen, welches in die Länge 34 Ellen, und breit 18 Ell. nebst einen Erker von 12 El. ins Gevierte werden solln, u. wenn mir mit Gottes Hülfe dieser letzte Satz glücklich von statten geht, so kan mich mein Bau keinen polnischen Groschen kosten, welches aber nicht einen jeden theil werden kan, es hat mich auch großen Kampf, schwere Reisen und schöne Rubeln gekostet. Nun, lieber Schade, beurtheile unpartheiisch, welche Lage vor mich die beste ist, die in Reichenau oder die in Pabianice, in Reichenau mußte ich mit meiner Familie den gänzlichen Untergange entgegen sehen, hier ist vor mich, u. die ich bey mir habe, wenn sie es nicht Mißbrauchen wollen, - auch der, der noch zu Hause ist, wenn er es annehmen will - so weit gesorgt, daß sie alle gut leben können, wenn sie auch das ihrege tun, aber der Herr, der Alles zu lenken weis, hat mir ihn helfen besiegen, dort war ich im gäntzlichen Drucke und Verachtung, hier bey der gantzen Stadt, wie auch bei der Kalischen Regierung in Guter Aufnahme, eines Schmertzt mich zwar, daß ich mich in Reichenau noch von so vielen Lieblosen Splitter-Richtern muß beurteilen lassen, so viel Neid und Mißgunst, als ich dort hatte, desto mehr eröffnet sich hier mit jeder Woche neuer Anwachs in meinen Fabricate, ich habe um weiter nichts mehr zu bitten: als das mit Gott Leben und Gesundheit schenken wolle, den was mir jetzt zu teil geworden ist, davor kann ich Gott nicht genug danken, in Reichenau mußte ich mich lassen von vielen untergraben, hier werde ich von vielen geschätzt. - Was nun Uebriges die Sache Pohlen betrifft, so darf keiner, wenn er Rechtlich zu Werke geht, verderben, wie woh das Vieler ihr theil seyn wird, sie sind aber selbst Schuldner, wer sich hier [81] ins Fabrikat schicken lernt, und es gut betreibt, der hat keinen schlechten Verdienst. Es fehlt nur jetzt noch an guten und fleissigen Arbeitern, um welche ich in diesem Schreiben bitten wollte, das solche, welche Wünschen, ein Besseres Vorwärtskommen zu erlangen, sich nach Pohlen begeben möchten, aber solche, welche denken, Sie dürfen nur den Sack aufhalten, das es ihnen Brod und Geld vom Himmel hinein Regnen sollte, der bleibe lieber wo er ist."

Das von Gottlieb Krusche so bescheiden begonnene Werk hat sich im Laufe der Zeit zu einem der bekanntesten Riesenunternehmen erweitert, das vor dem Kriege 5000 Arbeiter beschäftigte. Auch andere größere Fabriken in Pabianice, so die von Rudolf Kindler, Robert Saenger und die große chemische Fabrik verdanken ihre Entwicklung zu weltbekannten Firmen dem deutschen Fleiß ihrer Gründer.

Rafael v. Bratuszewski, der Besitzer größerer bei Lodz gelegener Güter, hatte um die Jahrhundertwende durch deutsche Ansiedler in seinen weiten Wäldern "Räumungen" schaffen lassen, so daß blühende Dörfer entstanden. Dem Zuge der Zeit folgend, lud er deutsche Weber ein, sich in dem von ihm gegründeten Ort Alexandrow niederzulassen. Er förderte sie im Sinne der Industriepolitik der Regierung und verhalf ihnen zu Barvorschüssen. Auf seinen Antrag erhielt Alexandrow 1823 Stadtrechte. Die Industrieniederlassung ist bis zuletzt Weberstädtchen geblieben. In den Jahren vor dem Kriege führten einige deutsche Unternehmer die Strumpffabrikation ein. Alexandrow ging gleich zu Beginn der Novemberoffensive 1914 in den Besitz der deutschen Truppen über. Von der im Nachbarstädtchen Konstantinow befindlichen russischen Artillerie wurde es während der dreiwöchigen Kämpfe unter Feuer genommen.

Der Grundherr von Konstantinow, Nikolaus v. Okolowicz, bewog 1816 eine Anzahl der in Ozorkow ansässig gewordenen deutschen Tuchmacher nach der neuen Ansiedlung Konstantinow zu kommen. In den nächsten Jahren folgten ihnen Tuchmacher aus Schlesien. Mit ihnen kam Gottfried Wende, der während seines langen Lebens zu größerer Bedeutung für das Konstantinower Deutschtum gelangte. Später wanderten zahlreiche Baumwollweber aus Deutschböhmen ein. Durch die neue Einwanderung verlor die Tuchmacherei an Boden, so daß die 1818 gegründete Tuchmacherinnung eingehen mußte. Die einheimischen Weber arbeiteten für Lodzer Fabrikbesitzer; die große Zeit der Lodzer Industrie ging fast spurlos an Konstantinow vorüber. Erst in den letzten Jahrzehnten sind einige größere Betriebe von auswärtigen Unternehmern eingerichtet worden. Während der Kampftage im November 1914 ist das von den Russen verteidigte Konstantinow stark beschossen worden, so daß seine Straßen zu Trümmerhaufen wurden.

Auch Graf Anton Ostrowski, der Besitzer des Städtchens Ujasd und der in der Nachbarschaft gelegenen Güter, gedachte eine Tuchmacherstadt zu gründen. Er reiste nach dem schlesischen Tuchmacherort Grünberg, aus dem bereits viele Familien nach Polen ausgewandert waren, und betraute einen Einheimischen, den Unternehmer Mannigel, mit der Ausführung der Übersiedlung. So entstand 1821 das deutsche Tomaschow, das zur Zeit seiner Gründung aus dem gräflichen Wohnhaus, einem Hochofen, und mehreren Häusern bestand. Im Gegensatz zu Lodz ist Tomaschow [82] bis zuletzt Tuchmacherstadt geblieben. Freilich haben die fleißigen und allzu vertrauensseligen deutschen Tuchmacher wiederholt große Verluste infolge der Unredlichkeit ihrer Großabnehmer in Rußland erlitten. Aber nicht nur die geschäftlichen Verluste, auch die "deutsche Gemütlichkeit" hat bei der Entwicklung der deutschen Betriebe zur Großindustrie hemmend gewirkt. Jüdische Fabrikbesitzer brachten es in kurzer Zeit von kleinen Anfängen zu großen Tuchfabriken. Günstige Wasserverhältnisse ermöglichten in und bei Tomaschow die Anlage von großen Appretur- und Färbereibetrieben für die in Lodz und Umgegend hergestellten Waren. Dieser Industriezweig war vor dem Kriege noch in deutscher Hand. Zur Zeit des langen Stellungskrieges lief die deutsch-österreichische Front an der unweit gelegenen Pilica entlang. Tomaschow und seine deutschen Einwohner haben Schweres durchmachen müssen.

Auch Zdunska Wola verdankt sein Entstehen der Absicht eines polnischen Grundherrn, auf seinem Besitztum eine deutsche Industriestadt zu gründen. Graf Zlotnicki und der von ihm berufene deutsche Ingenieur Bergemann legten die Stadt an. Eigenhändig umzog der Besitzer mit dem Pfluge die Linien der künftigen Stadt. In den Jahren 1817 und 1818 strömten deutsche Weber aus Posen, Schlesien und Böhmen in die deutsche Siedlung. Nicht als selbständige Erzeuger, sondern nur als Lohnweber für Lodzer deutsche und jüdische Unternehmer betätigten sich Jahrzehnte hindurch die Zdunska Wolaer Deutschen. Erst in späteren Jahren rafften sich einige von ihnen - vor allem Karl Strauß - zu selbständigem Handeln auf und gründeten eigene Fabriken. Einen Glanzpunkt in der Geschichte der Stadt bietet der Besuch des Kaisers Alexander I. im Jahre 1825. Graf Zlotnicki empfing ihn in einem Prunkzelte. Der Kaiser ließ sich die Erzeugnisse der einheimischen Weber zeigen und unterhielt sich leutselig mit ihnen. Vom Gesehenen und Gehörten war er so befriedigt, daß er der jungen Ansiedlung 10 000 Rubel für gemeinnützige Zwecke schenkte und von sich aus alle den deutschen Einwanderern gewährten Vergünstigungen, darunter auch die Gründung einer Schützengilde, bestätigte. Während des wiederholten Frontwechsels der kämpfenden Parteien zu Beginn des Krieges ist Zdunska Wola weniger in Mitleidenschaft gezogen worden. Erst am 21. November 1914, als die Russen zurückwichen, haben die Einwohner unter den Nachwirkungen der Straßenkämpfe stark zu leiden gehabt. - Die allzugroße wirtschaftliche Abhängigkeit der deutschen Weber von ihren meist jüdischen Arbeitgebern hat sich auch bei anderen Gelegenheiten hemmend erwiesen. - Ohne besonderen Zwang, nur aus Gleichgültigkeit für das von ihren Eltern Überkommene, haben sich zahlreiche alte Familien ganz oder halb polonisiert.

In allen Industriestädten des Lodzer Bezirks gab es einen Augenblick - den "psychologischen Moment" - wo ihre deutschen Schöpfer versagten, wo die deutschen Einwohner dem starken Anprall des nationalen Willens der anderssprachigen Miteinwohner nicht standhielten. Die Deutschen - im einzelnen so tüchtig und die anderen Stadtbewohner moralisch und intellektuell überragend - unterlagen in ihrer ungeschlossenen Gesamtheit dem fremden Wollen.

Außer im Lodzer Bezirk entstanden deutsche Tuchmacheransiedlungen [83] noch in Gostynin an der Weichsel und in anderen Städten und Ansiedlungen Polens. Sie sind dort aber nie so gut vorwärtsgekommen, wie die Industriestätten bei Lodz. Als die Handarbeit dem Maschinenbetrieb weichen mußte, ging die Tuchmacherei jener Ortschaften ganz ein. Die deutschen Tuchmacher suchten in Tomaschow und Bialystok Stellung in den Tuchfabriken.

Ähnlich erging es den deutschen Tuchmachern, die in Kalisch (bei Repphan) und im benachbarten Opatowek (bei Fiedler) beschäftigt waren. Als die alten Fabriken den mechanischen Betrieb einführten, wurden polnische Arbeiter angelernt, während die ausgebildeten und erfahrenen deutschen Tuchmacher nach innerrussischen Tuchmacheransiedlungen auswanderten.

Wollte man alle Industriestätten Polens verzeichnen, die von Deutschen angelegt wurden, so müßte man ein Adreßbuch der polnischen Industrie herausgeben. An der Warschau-Wiener Bahn entlang reiht sich eine Industrieansiedlung an die andere. Vor den Toren Warschaus befinden sich die, eine Stadt für sich bildenden Fabriken der Firma Hielle und Dittrich in Zyrardow, die nicht nur mit ihren Erzeugnissen, sondern auch mit ihren Wohlfahrtseinrichtungen vorbildlich wirkten. Am Endpunkt der Bahn auf polnischem Boden, in und um Sosnowice, sind die großen Zweigunternehmungen sächsischer Kammgarnspinnereien (Dietel, Schön) und Baumwollspinnereien (Birkner in Zawiercie und Schmelzer in Myschkow). Ihnen schließen sich die gigantischen Werke der Eisen- und Bergindustrie an. Es ist schwer, nur die wichtigsten der zwischen Warschau und Sosnowice und auch in anderen Teilen Polens gelegenen Fabriken zu nennen, deren Gründung, Leitung oder Erweiterung deutscher Tatfreudigkeit zu verdanken ist.

Während rings um Lodz eine deutsche Tuchmacheransiedlung nach der anderen entstand, blieb Lodz selbst, das alte, wahrscheinlich schon im 14. Jahrhundert gegründete Städtchen, ohne deutsche Einwanderer. Im Vergleich zu seinen Nachbarstädten Zgierz und Pabianice war es zurück und vom Geist der neuen Zeit verschont geblieben. Es war derart vernachlässigt, daß die preußische Verwaltung zu Petrikau im Jahre 1794 ernstlich den Gedanken erwog, es zum Wohle seiner Einwohner in ein Dorf zurückzuverwandeln. - Am 18. September 1820 kam ein Erlaß des Stadthalters Zajonczek heraus, der die Ansiedlung der ins Land gerufenen Handwerker regelte, die ihnen einzuräumenden Gerechtsame aufzählte und die Städte nannte, in die in Zukunft der Auswanderungsstrom zu leiten sei; unter ihnen befand sich auch Lodz. Auf höheren Befehl wurde schon im nächsten Jahr eine Stadtregulierung vorgenommen und die Neustadt - zunächst auf dem Papier - mit über 200 Bauplätzen und dem Neuen Ring eingerichtet.

Der "Zgierzer Vertrag"
Der eigentliche Aufschwung der neuen Fabrikstadt beginnt aber erst mit dem 30. März 1821. An diesem Tage wurde der "Zgierzer Vertrag" geschlossen. Regierungsbeamte vereinbarten mit den Vertretern der deutschen Tuchmacher die Niederlassungsbedingungen für Zgierz, Lodz, Dombie, Przedecz und Gostynin. Seitdem galt auch Lodz als günstiger Ansiedlungsort für deutsche Einwanderer. Rasch entwickelte es sich zum [84] Mittelpunkt der deutschen Ansiedlung; nicht nur aus der alten Heimat, den Städten Posens, Schlesiens, Sachsens und Böhmens, sondern auch aus den schon früher besiedelten Nachbarstädten ließen sich Tuchmacher und andere deutsche Handwerker in Lodz nieder.

Lodz:
Die Anfänge
der Lodzer Industrie
Am Ende des Jahres 1823 bestanden schon eine Anzahl Webereien und auch eine Färberei. Im nächsten Jahr kamen zahlreiche sächsische und böhmische Baumwollweber, die die Weberkolonie und Spinnerkolonie anlegten. Die Warschauer Behörden nahmen regen Anteil am Wachstum der Stadt. Fürst Drucki Lubecki, der polnische Kanzler, wollte Polen zum Industriestaat machen. Er sandte den Vorsitzenden der neuen Industrieabteilung Tykel nach Preußen und Böhmen, um sich mit den dortigen Industrieverhältnissen bekanntzumachen und noch mehr Fabrikanten und Handwerker als Ansiedler zu gewinnen. Seinen Anregungen folgend, kamen einige kapitalkräftigere sächsische Fabrikanten nach Lodz.
Lodz:
Umleitung in
den Großbetrieb
So u. a. aus Zittau Louis Geyer, der sich anfänglich in Konstantinow ankaufen wollte, dann aber vorzog, nach Lodz zu kommen. Er legte eine größere Baumwollspinnerei an und wurde in der Folgezeit der erste Lodzer Fabrikant, der vom Hand- zum mechanischen Betrieb überging und durch den Bezug des ersten Dampfkessels aus England die Umwälzung der Lodzer Industrie zum Großbetrieb in die Wege leitete.

Um 1825 machten sich viele schlesische Tuchmacher auf den Weg nach Lodz. Die junge deutsche Industriestadt entwickelte sich dank dem starken Zuzug rasch und kräftig. Schon 1826 konnte die evangelische Trinitatiskirche an bevorzugter Stelle des neuangelegten Marktplatzes erbaut werden. Ihr gegenüber, an der anderen Seite der Mündung der Hauptstraße in den Marktplatz, erstand 1827 das Rathaus. Die Einwohnerzahl war in acht Jahren von 799 (1821) auf 4273 (1829) gewachsen.

Die Revolution von 1830 hatte der deutschen Stadt und ihrer Industrie keine nennenswerte Schädigung zugefügt. Bald hatte sich der Ruf der Lodzer Waren überallhin verbreitet; die fertigen Erzeugnisse fanden gutzahlende Abnehmer. Fabrikwesen und Handel blühten, so daß Lodz 1840 bereits eine Einwohnerzahl von 20 150 hatte. Damit rückte es in den Rang der zweitgrößten Stadt des Landes ein und wurde zur Gouvernementsstadt erhoben. Der schnelle Aufschwung der Lodzer Industrie war dem Schutzzollsystem der Regierung zu danken. Als nach 1840 das Schmuggelunwesen um sich griff und der Schleichhandel blühte, traten harte Rückschläge ein, so daß 1849 die Zahl der Einwohner auf 15 560 zurückgegangen war.

Heimische Sitten und Gebräuche wurden von den Lodzer Deutschen gepflegt. Auch das deutsche Innungswesen hatte einen starken Ableger nach Lodz verpflanzt. Die erste und auch heute noch bedeutende Innung war die der Webermeister, die 1825 von achtzig Meistern gegründet worden war. Am 15. Oktober 1825 zogen sie "mit musikalischem Schall und wehender Fahne" in die erste Herberge. Bereits 1839 hatte sie einen Bestand von 760 Meistern, 451 Gesellen und 250 Lehrlingen. Sie konnte damals ihr neues Meisterhaus beziehen. Der erste Pastor der Trinitatisgemeinde, Friedrich Metzner, widmete ihr aus diesem Anlaß einen "Weihegesang", in dem sich folgende Verse finden: "Denkt, Brüder, der Vergangenheit, [85] gedenkt des Ew'gen Walten, Er hat in sturmbewegter Zeit die Treuen fest erhalten. Die Gegenwart macht offenbar: Er will die Seinen nimmerdar verlassen noch versäumen! - Gedenkt der Zeit, wo Waldesnacht, wo Öde nur gegrauet, hier, wo der deutsche Fleiß jetzt wacht und seine Stätten bauet. Wohl Höh'res schafft das Heimatland, doch regt nur fort die fleiß'ge Hand, kühn könnt ihr bald ihm gleichen. - Gemeingeist wohne in dem Haus, das feierlich wir weihen, nie zieh' des Friedens Engel aus, laßt sammeln uns, nie streuen! Kein Glaubenshaß, kein stolzer Wahn mög' auf der neubetret'nen Bahn die Bruderherzen trennen. - Die Kränze, die das Haus umwehn, o, laßt sie ernst Euch sagen: wir müssen bald wie sie vergehn, nach kurzen Prüfungstagen! Doch, darum mutig aufgeschaut: wer nicht fromm für die Nachwelt baut, fühlt keine Menschenwürde."

Andere Handwerke folgten erst später mit ähnlichen Gründungen. Die Innungen unterhielten freundschaftlichen Verkehr mit den Zünften in der alten Heimat. In den Archiven mancher von ihnen, deren Führung inzwischen in polnische Hände übergegangen ist, werden noch Bruderschaftsbriefe der Innungen preußischer Städte aufbewahrt.

Noch vor Gründung der Webmeisterinnung hatten sich zu Ostern 1824 eine Anzahl Handwerksmeister zu einem Bürgerschutzverein zusammengeschlossen, der am dritten Pfingsttage desselben Jahres "reihweise unter dem Klange zweier blasender Instrumente, den Gebrüdern Obst aus Grünberg gehörend", auszog. Theaterfreudige junge Leute fanden sich zu Liebhaberaufführungen zusammen. Das Lodzer Leben unterschied sich kaum von dem Treiben in deutschen Provinzstädten aus der Zeit vor 1848.

Dem deutschen Antlitz der Stadt trug auch die Regierung in Warschau Rechnung. Zur Führung der städtischen Verwaltung sandte sie Beamte deutscher Abstammung, die in gutem Einvernehmen mit der Bevölkerung lebten. Einem von ihnen, dem Stadtpräsidenten Träger, gelang es 1853 den Rheinländer Karl Scheibler zur Ansiedlung in Lodz zu bewegen. Das Scheibler gemachte Angebot war so günstig, daß er nicht absagen konnte. Mit der Übersiedlung des nachmaligen "Baumwollkönigs" bricht abermals eine neue Zeit für Lodz an. Ihn zeichneten bedeutende Fähigkeiten und geschäftlicher Weitblick vor vielen anderen aus. Seine technischen Erfahrungen hatte er sich in England und Belgien erworben. Er war von Hause aus vermögend; als er sich in Lodz niederließ, verfügte er über 180 000 Rubel. Aus eigener Kraft konnte er die erste mechanische Weberei in Polen mit hundert Webstühlen und achtzehntausend Spindeln einrichten. Seine rastlose Arbeit brachte das Unternehmen rasch vorwärts; bei seinem Tode (1881) hatte es schon eine riesenhafte Ausdehnung. Vor dem gegenwärtigen Kriege wurden in den Scheiblerschen Fabriken über 7500 Arbeiter beschäftigt. Seinem Unternehmungsgeist hat die Stadt und die Lodzer Industrie manche Einrichtungen zu verdanken, die ihren Aufschwung zur heutigen Industriestadt erst ermöglichten. Seit seiner Ankunft in Lodz bis zu seinem Tode ist im Lodzer Industriebezirk nichts unternommen worden, das nicht auf Scheibler als Urheber oder Mitwirker zurückging.

[86] Das Aufbäumen der deutschen Webmeister gegen die Mechanisierung der Arbeit, das zu Unruhen und Zerstörung der Scheiblerschen Weberei führte, konnte die Entwicklung der Industrie zum Dampfbetrieb nicht aufhalten. Das alte gemütliche Lodz starb allmählich dahin, das neue mit seinem "Zeit-ist-Geld"-Grundsatz trat in die Erscheinung. Der Erfolg der Scheiblerschen Unternehmungen ließ auch andere Unternehmer nicht ruhen. Tüchtigkeit und glückliche Zufälle brachten manchen Weber hoch und machten ihn zum Besitzer von Millionenvermögen. Die Industrie dehnte sich aus, so daß die einheimischen deutschen Arbeiter den Bedarf der Fabriken nicht mehr decken konnten. Mit dem Zuzug polnischer Bauern, die als Arbeiter Beschäftigung in den Fabriken fanden, sehen wir die Anfänge einer Polonisierung der Stadt.

Auch das Lodzer Schulwesen war deutsch. Bis 1861 waren in Lodz nur zwei Schulen; eine in der Altstadt, die 1819 noch vor der deutschen Einwanderung entstand, und eine zweite, die 1831 in dem Industrievorort Wolka gegründet wurde. Von der letzteren ist uns bekannt, daß sie deutsche Lehrkräfte hatte und von deutschen Kindern besucht wurde. Erst in den Jahren 1861 - 1866 entstanden drei neue evangelische und zwei katholische Schulen. Seitdem ging die Gründung neuer Volksschulen in kurzen Zwischenräumen vor sich. Dem Wachstum der Bevölkerung entsprach aber die Zahl der Schulen nie. - Die erste Lodzer Mittelschule wurde 1843 als vierklassige deutsch-russische Realschule gegründet; sie wurde 1851 in eine russisch-deutsche Kreisschule umgewandelt. Im Jahre 1866 machte sie einem siebenklassigen deutschen Realgymnasium Platz. Letzteres hatte die Aufgabe, Schüler für das Lodzer Polytechnikum vorzubereiten, dessen Gründung beabsichtigt war. Aufgabe des Polytechnikums sollte sein, die für den Betrieb der Fabriken nötigen höheren technischen Beamten heranzuziehen. Im Jahre 1868 besuchte der russische Unterrichtsminister Graf Tolstoi Lodz. Das deutsche Realgymnasium und der von dem Statthalter Graf v. Berg geförderte Plan, ein deutsches Polytechnikum in Lodz erstehen zu lassen, waren ihm allzu deutsche Unternehmungen. Er gab den Auftrag, die Umwandlung des deutschen Realgymnasiums in eine "höhere Gewerbeschule" mit russischer Unterrichtssprache vorzubereiten. Die reichen Kollektionen für den Unterricht in Physik, Mechanik und Naturwissenschaft, die bereits für das Polytechnikum eingetroffen waren, wurden dem neuen Forstinstitut in Nowo-Alexandria überwiesen. Damit wurden große Hoffnungen auf Schaffung eines einheimischen deutschen Technikerstandes zu Grabe getragen.

Einer Anregung des Militärchefs Baron v. Broemsen verdankt die erste deutsche Zeitung, die Lodzer Zeitung, ihr Dasein. Während der Dauer des Kriegszustandes (z. Z. der Revolution von 1863, unter der Lodz nicht sehr litt, obwohl in der Nähe Kämpfe stattgefunden haben), wollte er ein Blatt zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen in polnischer und deutscher Sprache haben. Deshalb machte er dem Lithographen Petersilge den Vorschlag, ein Wochenblatt herauszugeben. Die Lodzer Zeitung, die zunächst als Amtsblatt gedacht war, erschien seit 1863; zuerst zweimal wöchentlich als Anzeigenblatt, später mit einer textlichen Erweiterung, seit 1865 dreimal wöchentlich und seit 1881 täglich und nur [87] in deutscher Sprache. Wie schwach bis vor wenigen Jahrzehnten die polnische Intelligenz in Lodz vertreten war, erhellt der Umstand, daß eine polnische Zeitung erst 1881 durch den Verleger der deutschen Lodzer Zeitung ins Leben gerufen werden konnte.

Lodz:
Wohlwollendes Verhältnis
der russischen Regierung
zu den Lodzer Deutschen
Im November 1865 konnte die Eröffnung der Lodzer Fabrikbahn, die die Stadt mit dem russischen Eisenbahnnetz verband, gefeiert werden. Scheibler hatte im Verein mit jüdischen Bankhäusern in Warschau eine Gesellschaft gegründet, die die Bahn baute. Von Lodz aus ging eine Bürgerdeputation nach Warschau, die den Statthalter zur Teilnahme an der Einweihung einlud. In der Kreisschule war eine Gewerbeausstellung eingerichtet, die erste in Lodz, die eine Übersicht über die Lodzer Erzeugnisse bot. Scheibler hielt eine deutsche Ansprache, in der er ausführte:

      "Gestatten Eure Exzellenz im Namen der Bewohner der Stadt Lodz für das uns so vielfach erwiesene Wohlwollen den innigsten Dank ergebenst auszusprechen. Lodz in seiner Eigenschaft als Fabrikstadt hat sich trotz vielfacher Krisen durch die von unserer hohen Regierung dem Handel und Industrie gewährte Protektion im Verlauf von vierzig Jahren aus einzelnen wenigen Häusern zu einer Stadt von 40 000 Einwohnern emporgeschwungen. Wie sich aber alles mit der Zeit anders gestaltet, so ging es auch mit uns. Der Holzreichtum der Gegend, auf welchem die Stadt und unsere Fabriken zum großen Teil gegründet wurden, ist erschöpft. Das uns so nötige Brennmaterial mußte in den letzten Jahren aus weiter Ferne zur Achse zu stets erhöhten Preisen herangeschafft werden und somit trat, um auch ferner der Konkurrenz des Auslandes begegnen zu können, das Bedürfnis einer Eisenbahn desto fühlbarer heran. Dieser Kalamität ist durch Eure Exzellenz hohe Verwendung in kürzester Zeit abgeholfen worden. Der Schienenstrang, dessen Vollendung wir heute feiern, wird uns nebst den übrigen Rohmaterialien und Lebensmitteln auch die so nötigen Kohlen billiger zuführen. Eine andere Eisenbahn, nicht weniger wichtig für das Gedeihen unseres Handels und der Industrie, nach dem Innern des Reichs und den uns fern gelegenen Absatzmärkten ist in der Ausführung begriffen. Telegraphenverbindungen sind in letzter Zeit nach allen Richtungen hergestellt worden. Der Eröffnung einer Polytechnischen Schule, einer Diskontobank und Einführung der Gasbeleuchtung sehen wir in nächster Zeit entgegen. Alle diese für das fernere Emporblühen der Stadt und der Umgegend so höchst wichtigen Faktoren verdanken wir zunächst Euer Exzellenz väterlichen Fürsprache bei Seiner Majestät unserem allergnädigsten Kaiser und König und sie sind, eingedenk der schwierigen Verhältnisse, unter welchen dieselben ins Leben gerufen wurden, mit um so größerem Dank von uns aufgenommen worden."

Graf v. Berg antwortete:

      "Die Stadt Lodz bildet eine interessante Erscheinung im polnischen Lande. Sie verdankt ihren Wohlstand der deutschen Industrie, dem Unternehmungsgeist der Deutschen und dem deutschen Fleiße. Nächst Warschau ist Lodz die volkreichste Stadt des Königreichs Polen. Sie zählt über 40 000 Einwohner, darunter zwei Drittel Deutsche. Lodz ist die Metropole von über 100 000 deutscher industrieller Bewohner, welche sich in zahlreichen Städten angesiedelt haben. Ich glaube diesen Bewohnern einen guten Rat zu geben, wenn ich sie zur treuen [88] Nachahmung der Tugenden ihrer Väter und zum beständigen Festhalten am deutschen Charakter aufmuntere, der sie unterscheiden soll und der stets wohltätig auf ihre Lage rückwirken wird. Einer jeden Nationalität im Königreich Polen das zu geben, was ihr gehört, ist der Wille unseres allergnädigsten Monarchen. In seiner väterlichen Sorgfalt um die deutschen Bewohner hat Seine Majestät uns anempfohlen, hier in Lodz deutsche Schulen mit deutschem Unterrichte zu eröffnen. Erkennet meine Herren, die tiefe Bedeutung dieser weisen Bestimmung! Stärket eure industrielle Tätigkeit zum Besten des Staats, in welchem ihr eine zweite Heimat gefunden habt!"

Deutscher Tatkraft war es zu danken, daß sich im damaligen Lodz eine geschäftliche Gründung an die andere reihte. Im Jahre 1869 wurde die neue Gasanstalt in Betrieb gesetzt. Von außerordentlicher Bedeutung war die Gründung der "Lodzer Handelsbank", die 1872 ihre Tätigkeit aufnahm. Bis dahin waren die Lodzer Unternehmungen auf Warschauer und ausländische Bankverbindungen angewiesen gewesen. Die 1828 vom Fürsten Drucki Lubecki gegründete "Polnische Bank" bekam die Aufgabe, den neuen Industriezweigen in Polen durch Gewährung langfristiger Kredite Handreichung zu tun. Bis 1879, als sie diesen Zweig ihrer Tätigkeit einstellte, hatte sie langfristige Darlehen im Gesamtbetrage von 7 500 000 Rubel gegeben; auf die Textilindustrie entfielen aber nur 850 000 Rubel. Nutzen von der Kreditpolitik der russisch-polnischen Regierung und der Tätigkeit der "Polnischen Bank" hatten fast ausschließlich kapitalschwache Unternehmungen in der Provinz. Gegenüber den Bemühungen polnischer Schriftsteller, die Verdienste der Lodzer Deutschen um die Industrie in Polen zu schmälern und sie lediglich als Verwalter des Kapitals der früheren polnischen Regierung hinzustellen, wie es der deutschschreibende polnische Zivilingenieur L. K. Fiedler (u. a. in den Heften 34 und 36 der Polnischen Blätter, 1916) tut, muß darauf hingewiesen werden, daß die Lodzer Industrie nicht nur ihre Anfänge, sondern auch ihr Hinübergleiten in den Großbetrieb eigener Umsicht und Tüchtigkeit verdankt. Die Lodzer Abteilung der "Polnischen Bank" arbeitete in sehr bescheidenem Rahmen. Deshalb fand der Plan zweier Warschauer Bankiers, in Lodz ein großes Bankunternehmen zu gründen, die Billigung der einheimischen Großindustriellen. Die Gründer der "Lodzer Handelsbank", die mit einem Gründungskapital von 2 Mill. Rubel ins geschäftliche Leben trat, waren die Firmen Scheibler, Grohmann, Schlösser, Zachert, Hille und Dittrich u. a. Die späteren Umsätze der Bank überstiegen die kühnsten Erwartungen; im Jahre 1910 erzielte sie einen Umsatz von 2019 Mill. Rubel.

Dem Wohnhäuserbau in Lodz wurde 1873 durch Gründung einer Hypothekenbank, des "Lodzer Kredit-Vereins", ein frischer Impuls gegeben. Ihre Gründer waren dieselben unermüdlichen Pioniere: Scheibler, Grohmann, Peters u. a. Wesentliche Verdienste an der Gründung hatte der frühere Stadtpräsident Rosicki. Ihm wurde die Leitung des neuen Unternehmens überlassen. Durch ihn bekam die Einrichtung gleich am Anfang polnischen Charakter.

Auch die Freiwillige Feuerwehr wurde 1875 von Deutschen ins Leben [89] gerufen. Allen Anfeindungen Warschauer Zeitungsschreiber zum Trotz, hat sie sich ihre deutsche Überlieferung bewahren können. Ebenso entsprang der "Christliche Wohltätigkeits-Verein" dem Willen der deutschen Bürgerschaft. Da es keine städtische Armenpflege gab, so hat sich die Fürsorgearbeit des Christlichen Wohltätigkeits-Vereins zu einem großen Netz von Anstalten und Unternehmungen erweitert.

Lodz:
Kampf zwischen
Moskau und Lodz
In den siebziger und achtziger Jahren entsprach das rasche Wachstum des "polnischen Manchester" und seiner Industrie amerikanischen Verhältnissen. Lodzer Warensorten wurden in ganz Rußland begehrt; sie traten in erfolgreichen Wettbewerb zu den Erzeugnissen des Moskauer Industriebezirks. Die Moskauer Fabrikanten waren beunruhigt; sie riefen den russischen Nationalismus zu Hilfe, der gegen die "fremdländische" Industrie im Grenzgebiet losziehen mußte. Da konnte auch die Regierung sich nicht mehr dem Drängen der Moskauer nach Maßnahmen gegen das "fremde Kapital" entziehen; sie veranlaßte Gelehrte und Kommissionen, Erhebungen über den Einfluß des "ausländischen Kapitals" auf die russische Industrie anzustellen. Ein Parteigänger der Moskauer Fabrikanten, Scharapow, hielt 1885 in Moskau und im Industriebezirk von Iwanowo Wosnjessensk Vorträge über die Frage: "Warum Lodz und Sosnowice Moskau besiegen!" Er sprach von der "parasitischen" Natur der Lodzer Industrie und der Notwendigkeit, eine Zollgrenze zwischen Polen und Rußland zu schaffen, damit der russische Markt nicht mit den Lodzer Artikeln überschwemmt werde. Der Regierung wurden germanisatorische Absichten unterstellt, weil sie angeblich die deutsche Industrie in Polen zuungunsten der echtrussischen im Moskauer Bezirk begünstige. Rosa Luxemburg bezeichnete treffend Scharapows Tun mit den Worten: "Scharapow hat die ganze Kampagne des Moskauer Kattuns gegen den Lodzer Barchent zu einem historischen Zweikampf der slawischen Rasse mit der germanischen aufgebauscht."

Scharapows Agitation hatte die Wirkung, daß sich eine Abordnung der Moskauer Fabrikanten nach Petersburg begab und bei der Regierung wegen Wiedereinrichtung der Zollgrenze zwischen Polen und Rußland vorstellig wurde. In ganz Rußland interessierte man sich für den Fall und nahm für die Moskauer Partei. Unter dem Zwang der öffentlichen Meinung sah sich die Regierung genötigt, eine Kommission zur Ermittlung der Produktionsbedingungen der Lodzer Industrie nach Polen zu senden. In der Kommission wurden Vor- und Nachteile der örtlichen Bedingungen beider Industriemittelpunkte erörtert, mit dem Ergebnis, daß sie sich am Ende gegen die Schaffung einer Zollgrenze aussprach. Doch die Moskauer wollten den Kampf gegen Lodz noch nicht verlorengeben. Bei der Eröffnung der Messe in Nishni Nowgorod 1887 traten sie an den Finanzminister, legten noch einmal ihre Gründe dar und ersuchten um Erhöhung des Zolles für die nach Polen eingeführte Rohbaumwolle. In der Folge blieben die Bemühungen der Moskauer Industrieherren nicht ohne Ergebnis. Das neue Fremdengesetz von 1887 beschnitt die Rechte der deutschen Einwanderer und leitete die deutschfeindliche Politik der russischen Regierung ein. Das deutsche Vereinsleben in Lodz erlitt allerlei Hemmungen und den reichsdeutschen, der Landessprachen nicht mächtigen Fabrikmeistern [90] wurde die Tätigkeit erschwert, so daß ein Teil von ihnen, in der Befürchtung, ausgewiesen zu werden, zur griechisch-katholischen Kirche übertrat. Reichsdeutsche durften nicht mehr außerhalb der Städte Besitzer unbeweglichen Eigentums werden. Die Maßnahmen der Regierung gegen die "inneren Deutschen" entsprachen ihrer damaligen deutschfeindlichen Richtung in der großen Politik.

Aber auch die Lodzer Deutschen waren nicht untätig geblieben. Sie reichten eine Denkschrift ein, in welcher bewiesen wurde, daß sie sich in ungünstigeren Verhältnissen als die Moskauer Fabrikbesitzer befanden. Nun berief die Regierung eine neue Kommission, die sich zuungunsten der Lodzer Industrie aussprach. So ging es noch einige Male im Wechsel der politischen Stimmungen hin und her. Geheimrat Brandt, der sich im Auftrage des Finanzministeriums mit der Ermittlung des Einflusses des ausländischen Kapitals auf die wirtschaftliche Entwicklung des russischen Reiches befaßte und das Ergebnis seiner Arbeiten in einem dreibändigen Werke niederlegte, wurde zum Fürsprecher der Lodzer Industrie. Er faßte sein Urteil in die Worte zusammen: "Wenn die russische Textilindustrie eine so hohe Entwicklung gewonnen hat, wenn sie in der Herstellung billiger Manufakturwaren für den Massenkonsum hinter keinem europäischen Staat zurücksteht, so dankt sie das in hervorragendem Maße der Konkurrenz der polnischen Industriegebiete, wobei die letzteren sich nicht in Klagen über Klagen ergehen, sondern ihre Produktion zu verbilligen suchen durch technische Verbesserungen und durch Verzicht auf große Reingewinne."

Lodz:
Regierungsbeamte
über die Vorzüge des
Lodzer Arbeitgebers
Bis dahin hatten die Lodzer Deutschen mit ihren Erzeugnissen einen stillen Siegeslauf durch ganz Rußland unternommen. Nun standen sie auf einmal im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Zeitungsartikel und Broschüren beschäftigten sich mit ihnen; je nach dem Standpunkt des Verfassers war das Urteil über sie ein günstiges oder ungünstiges. Alle, die die wirklichen Verhältnisse kennen lernten, fanden anerkennende Worte für die Lodzer Deutschen. So äußerten sich zwei Mitglieder der ersten Regierungskommission Iljin und Longowoj (Berichte der Mitglieder der Kommission zur Untersuchung der Fabrikindustrie im Königreich Polen, Petersburg 1888): "Der Lodzer Fabrikant ist nicht nur Inhaber der Fabrik, sondern eine Person, die praktisch bis zu den geringsten Kleinigkeiten mit ihrem Geschäft vertraut ist. Er wohnt in Fabriknähe, beaufsichtigt den gesamten Herstellungsgang und ist überall eingeweiht, sogar dann, wenn bei großer Ausdehnung der Unternehmung ein Fabrikdirektor vorhanden ist. Er verfolgt genau die Ergebnisse seines Produktionszweiges im Auslande, bestellt, sobald er von neueren, besser und ausgiebiger arbeitenden Maschinen erfährt, ohne Bedenken solche, wenn auch seine bisherigen Maschinen noch in gutem Zustande sind. Die Mehrzahl der Lodzer Fabrikanten verdankt ihre gegenwärtige Lage der persönlichen Betätigung. Nicht wenige von ihnen haben ihre Laufbahn vom einfachen Arbeiter begonnen, als solche in fremden Fabriken gearbeitet, mit Eifer bei der Arbeit und unter Einschränkung der persönlichen Bedürfnisse bis aufs äußerste, haben sie sich bei andauernder Verfolgung des einmal gesetzten Zieles zur Stellung eines Fabrikanten emporgeschwungen. Das Interessanteste dabei ist, daß sie heute (1886) noch, trotz der großen, von ihnen erworbenen Kapitalien, [91] bei ihren alten Gewohnheiten verbleiben und sich der Fabrikarbeit während derselben zwölf Stunden im Tage widmen, indem sie als erste die Fabrik betreten und sie als letzte wieder verlassen. Dem Äußeren nach ist es manchmal schwer, sie von gewöhnlichen Arbeitern zu unterscheiden."

Lodz:
Lodz im Urteil
der russischen und
polnischen Presse
Ein anderer Gelehrter, Bjelow, der ebenfalls die Lodzer Fabrikanten aus eigener Anschauung kennen lernte, schrieb in seiner Broschüre Lodz und Sosnowice. Lodz und Moskau (St. Petersburg, 1892):

      "Vor allem ist der Lodzer Fabrikant Spezialist seines Faches, das er vorzüglich kennt. Alle größeren Fabrikanten, mit Ausnahme von Scheibler und wenig anderen, haben sich aus dem Arbeiterstande emporgearbeitet... Jetzt sind sie alle Millionäre, die ihre Millionen im Verlaufe von 25 - 30 Jahren zusammenbrachten... Alle gingen durch eine schwere Schule. Sie begannen von der Pike auf und ereiferten sich in dreizehnstündiger Tagesarbeit. Sie alle stehen jetzt an der Spitze ihrer Geschäfte, in der gleichen Schule ununterbrochener Arbeit und bilden sich in ihren Kindern würdige Nachfolger heran. Um sechs Uhr früh sind sie schon in ihrer Fabrik und um acht Uhr in ihrem Kontor. Die Fabrik, das Kontor, die Familie, - das ist ihre Welt, hinter deren Grenzen für sie nichts mehr existiert. Einmal im Jahre reisen sie ins Ausland. Das ist ihre Erholung. Aber auch hier immer dieselbe Sorge um die Fabrik. Sie sehen hier genau alles neue an, erfassen richtig daraus das, was ihnen nützen kann und kehren mit neuen technischen Verbesserungen ausgerüstet zurück. Der Lodzer Fabrikant kennt sein Geschäft von A bis Z, folgt fortwährend dem Geschäftsgang, ohne Unterbrechung; deshalb führt er es mit sicherer Hand, ohne Schwankungen. Deshalb wuchsen auch die Lodzer Fabriken so schnell und mit solchem Erfolg heran. Lodz: das lebendige Beispiel der in Rußland nicht immer verstandenen Tatsache, daß gesundes Wachstum der Produktion mehr von der Arbeit und vom Können, als vom Kapital abhängt."

Bitter ruft Bjelow bei dem Vergleich des Moskauer mit dem Lodzer Fabrikanten aus:

      "Die breite russische Natur bedarf vieles, an das der Lodzer Spezialist gar nicht denkt, das aber trotzdem eine Konzentration unmöglich macht."

Und an einer anderen Stelle schildert er noch weiter die Tugenden der Lodzer Deutschen und hält sie seinen Landsleuten, die fürchteten, von den Lodzer Fabrikanten überrannt zu werden, als Spiegel vor:

     "Die deutschen Unternehmer in Polen lernen ihre Angestellten selbst an und schätzen sie nachher: in Rußland lernt man sie nicht an und schätzt sie auch nicht. Bei den Deutschen ist das Dienstjubiläum eines Angestellten ein Feiertag der ganzen Fabrik, in Rußland wird oft ein verdienstvoller Angestellter aus Laune entlassen. Bei den Deutschen bekommt das einmal festgelegte Geschäft seine bestimmte Leitschnur; in Rußland hat jeder neue Leiter neue Einfälle, die oft der früheren Entwicklung des Werkes widersprechen. Bei den Deutschen hat jedes Werk sein ausgeprägtes Äußeres; in Rußland hat es dies meist gar nicht. Die Deutschen sind in unmittelbaren Fabrikausgaben sehr freigiebig und in kostspieligen zurückhaltend; bei den Russen ist es umgekehrt. Mit Ausgaben für Verwaltungseinrichtungen, für Direktorwohnungen wird in Rußland nicht gekargt, während die Dampfkessel unbezahlt geblieben sind und aus allen Fugen dampfen. Die Deutschen fahren einmal im Jahre nach Deutschland, eigentlich nur, um sich Neues anzueignen. Die Russen [92] können nicht einmal das verwerten, was ihnen auf die Fabrik gebracht wird."

Die Äußerungen der russischen Gelehrten stehen in wohltuendem Gegensatz zu den Veröffentlichungen polnischer Schriftsteller, die zu gleicher Zeit oder in den nächsten anderthalb Jahrzehnten Sitten- und Zustandsschilderungen aus Lodz bieten wollen. Außer zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriften-Aufsätzen, in denen die Verfasser sich bemühten, keinen guten Faden an den Lodzer Deutschen zu lassen, sind die Bücher Lodz, das gelobte Land von Reymont, Baumwolle von Kosiakiewicz und Lodz von dem berüchtigten Stefan Gorski zu nennen.

Erst allmählich legten sich die Staubwolken, die die leidenschaftlichen Erörterungen über die Lodzer Industrie aufgewirbelt hatten. Recht ruhig ist es aber seitdem nie geworden. An lügnerischen Behauptungen hat es die nationalistische russische Presse nicht fehlen lassen. Einige Jahre vor dem Kriege begann sie den Warschauer Zeitungen Sekundantendienste zu leisten und den Lodzer Deutschen hochverräterische Neigungen zu unterstellen. Aus vielen Beispielen einer den Lodzer Deutschen zur Gefahr gewordenen hetzerischen Tätigkeit sei ein im Sommer 1913 in der Nowoje Wremja erschienener Aufsatz auszugsweise mitgeteilt. Die Zeitung beginnt ihre Verleumdungen mit den Sätzen:

      "Wenn wir die Eroberung unseres Weichsel- und Südwestgebietes durch die deutsche Industrie genauer ins Auge fassen, so ist der Gedanke an die Möglichkeit einer Sabotage im Kriegsfalle um so weniger abzuweisen, als die Verbindung dieser deutschen Fabriken auf russischem Boden mit ihren deutschen Mutterhäusern ununterbrochen fortbesteht und sie daher nur als Vorposten für den Drang nach Osten anzusehen sind. Diese Verbindung der russischen Deutschen mit ihrer alten Heimat war besonders deutlich zur Zeit der Revolution (1905 - 07), wo eine Reihe von deutschen Fabriken in Lodz und Sosnowice ihre Verwaltungen nach Berlin verlegten. Was eigentlich in diesen deutschen Fabriken geschieht, wo vom ersten Direktor bis zum letzten Arbeiter nur Deutsche angestellt sind und nur deutsche Maschinen und deutsche Materialien gebraucht werden, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis. Einige Tatsachen deuten jedoch darauf hin, daß außer den kommerziellen Interessen ihnen auch militärische Dinge sehr am Herzen liegen. Schon im Jahre 1892 hat der General Kossitsch darauf hingewiesen, daß die deutsche Invasion ganz systematisch vor sich gehe und von der deutschen Regierung unterstützt werde. Diese Worte werden jetzt durch eine Reihe von neuen Tatsachen nur zu sehr bestätigt. Vor allen Dingen erscheint uns das Bestreben der deutschen Übersiedler, sich zusammenzuschließen, höchst gefährlich. Gibt es doch in der »Hauptstadt von Neudeutschland«, Lodz, nicht weniger als vierzig Vereine (18 Gesang-, 4 Sport-, 8 Feuerwehr- und viele Schützenvereine). Viele von ihnen sind zudem ganz militärisch organisiert. Diese deutschen Kolonistenvereine erfreuen sich zwar fürs erste noch der größten Sympathien der Regierung, im Falle eines Krieges dürfte aber Rußland gerade von ihnen große Überraschungen erleben... Wir könnten noch viele derartige Beweise mitteilen, die auf die deutsche Industrie einen Schatten werfen. Doch die angeführten dürften genügend den Beweis geliefert haben, daß die in Frankreich beliebten Methoden der deutschen Spionage auch bei uns in [93] Rußland angewandt werden. Die Aufgabe der deutschen Spionage dürfte aber zweifelsohne über den engen Rahmen der Erkundigung hinausgehen und den Boden vorbereiten für eine verräterische Sabotage, deren Resultate sich schwer voraussagen lassen. Noch ist es nicht zu spät, um die wahre Aufgabe der deutschen Industrie in Rußland zu erkennen. Es wäre daher endlich einmal an der Zeit, diese Frage vom Standpunkt der Landesverteidigung anzusehen und auf kurze Zeit wenigstens das industrielle Interesse beiseite zu lassen."

Noch während des Krieges hat die Nowoje Wremja, Rußlands größte Zeitung, ihren Sonderkrieg gegen die Lodzer Deutschen fortgesetzt.

Lodz:
Verschärfung des
deutsch-polnischen
Gegensatzes
Nach den einengenden Bestimmungen der russischen Regierung, die dem mächtigen Aufschwung des deutschen Gedankens in Lodz Einhalt geboten, griffen Kleinmut und Vorsicht um sich. Mußte man doch immer wieder mit der Wiederholung der Bemühungen der Moskauer Fabrikanten, ihren Kattuninteressen ein nationalistisches Mäntelchen umzuhängen, rechnen. Und der Versuch, die russische Regierung zur Errichtung einer Zollgrenze zwischen Polen und Rußland zu gewinnen, ist nach wenigen Jahren wiederholt worden. Da wurden in Lodz die Industriefragen allen anderen Interessen vorgezogen. Die Behandlung öffentlicher Fragen überließ man den in den letzten Jahrzehnten massenhaft eingewanderten Vertretern der polnischen und jüdisch-polnischen Intelligenz, die als Rechtsanwälte, Ärzte, Ingenieure, Techniker und Angestellte in dem so oft verlästerten "deutschen Lodz" ihr auskömmliches Fortkommen fanden. Die Lodzer Deutschen vermieden alles, was nach Bekundung deutschen Gemeinsinns aussah, nachdem sie die Erfahrung gemacht hatten, daß jedes harmlose Tun von der Warschauer Presse beargwöhnt und als Ausfluß "pangermanistischer Neigungen" hingestellt wurde. Man hatte in Lodz gesehen, welchen Widerhall die Denunziationen in den russischen Blättern gefunden hatten. So unterließ man, den Fortschrittssinn zu pflegen und sah davon ab, jede Art von Verbesserungstätigkeit, die in den eigenen Betrieben so schöne Erfolge zeitigte, auf städtische Verhältnisse zu übertragen. Man wußte, daß die städtische Wirtschaft im argen lag und regte bescheiden hier und da Reformen an, doch gab man sich auch zufrieden, als es beim Alten blieb. Von der künftigen städtischen Selbstverwaltung wurde der Beginn neuzeitlicher Einrichtungen erwartet. So kam es, daß die deutsche Kultur in Lodz erstarrte und nur noch in ruhender Form vorhanden war.

Am Anfang der 80er Jahre begannen in Lodz sich die Früchte nationaler Verhetzung zu zeigen; zunächst hatten sie noch einen konfessionellen Untergrund. Aber auch die sozialen Gegensätze trugen dazu bei, daß die Spannung zwischen den evangelischen Arbeitgebern und den frischeingewanderten polnischen Massen sich verschärfte. So entstand auf dem Lodzer Boden eine gefährliche Mischung von Klassen-, Rassen- und Religionshaß. Zu Ostern 1886 erwartete man nach einer alten Prophezeiung den Weltuntergang, zum mindesten aber weltbewegende Ereignisse. In Lodz entzündete sich die Phantasie der polnischen Arbeiter an den Vorstellungen einer Bartholomäusnacht. Je näher das Osterfest heranrückte, um so heftiger wurden die Drohungen gegen die Deutschen. Die erst vor kurzem fertiggebaute evangelische St. Johanniskirche sollte zusammen mit den [94] zur Andacht gekommenen Gläubigen in die Luft gesprengt werden und zu gleicher Zeit in den Straßen der Stadt ein Blutbad beginnen. Auch auf dem Lande erhitzten sich die Gemüter der polnischen Bauern an der Ausmalung der Ausrottung aller Deutschen und der Inbesitznahme des Eigentums der deutschen Nachbarn.

Nach den Berichten der Mitarbeiter der Warschauer Zeitungen hatte Lodz in den 80er und 90er Jahren noch ein deutsches Gesicht. Die Versuche, in Lodz polnische Zeitungen zu gründen, waren bis dahin noch immer fehlgeschlagen. Von den 76 134 ständigen Einwohnern, die die Stadt am 1. Januar 1895 hatte (die übrigen über 200 000 Einwohner waren "unbeständige", d. h. auf auswärtigen Pässen sich aufhaltende), waren 32 958 Deutsche und nur 25 969 Polen. Auf den Hauptstraßen und in den Geschäften hörte man nur selten ein polnisches Wort. Wenn die polnischen Zeitungen darüber klagten, daß mit den in Lodz eingewanderten polnischen Arbeitern und Angestellten ein Germanisierungsprozeß vor sich gegangen sei und sogar eine Pariser Zeitschrift sich mit der Eindeutschung polnischer Familien in Lodz, infolge des "preußischen Dranges nach Osten", befaßte, so hatten die Schreiber der betreffenden Aufsätze insofern recht, als die Arbeiter in den Fabriken in ihrem Verkehr mit den Meistern genötigt waren, deutsche Sprachbrocken zu übernehmen, weil der polnischen Sprache Bezeichnungen für die meisten technischen Gegenstände und Vorgänge fehlten. Es hatten im Laufe der Jahrzehnte auch manche nach Lodz gekommenen Polen in deutsche Familien eingeheiratet und sich ihrer Umgebung angepaßt.

In Lodz zeigte es sich, daß die polnische Gesellschaft sich von dem Gedanken, zu polonisieren, voll beherrschen läßt. Die Mitte der 90er Jahre entstandenen neuen polnischen Zeitungen ließen keine Gelegenheit vorübergehen, ihren deutschgegnerischen Gefühlen Ausdruck zu geben. Die von Deutschen gegründete und von Deutschen geleitete Gasanstalt schrieb ihre monatlichen Gasrechnungen in deutscher Sprache aus. Man griff die Leitung der Anstalt so lange an, bis sie umschwenkte. Spielten russische Militärkapellen in Konzertgärten deutsche Weisen, so ereiferten sich die Zeitungen, weil man "auf slawischen Instrumenten hakatistische Hymnen" spiele. Wollte man in der Aufzählung solcher kleiner Züge fortfahren, so ließen sich hunderte von Beispielen von Unduldsamkeit der erst vor kurzem eingewanderten Gäste gegen die einheimischen Deutschen anführen. Durch die ausdauernde Arbeit wurde erreicht, daß die Lodzer Deutschen sich noch eingeschüchterter und unfreier gaben. Quoll es dennoch in dem einen oder anderen bitter auf, wenn er sich unsanft auf die Zehen getreten fühlte und versuchte er, sich gegen den ihm auferlegten Zwang zu wehren, so erhob sich ein mächtiges Brausen im polnischen Blätterwalde, so daß dem also Gekennzeichneten die Lust verging, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Erst die Revolution von 1905 führte zum Wiedererwachen der Deutschen in Lodz. Sie zeigten, daß es auch in dem verleumdeten Lodz noch ideale Regungen gab. Eine politische Partei wurde gegründet und durch die Fährnisse, die ihr und ihren Führern von den linksstehenden radikalen Gruppen bereitet wurde, hindurchgeleitet. Die "Konstitutionell-liberale Partei Deutschsprechender" ließ sich in ein Wahlkompromiß mit den polnischen Nationaldemokraten ein und verhalf dem Kandidaten der letzteren [95] zum Siege. Zum Dank dafür lehnte es der Lodzer Abgeordnete ab, sich der in der Reichsduma zu Hochverrätern gestempelten Lodzer Deutschen anzunehmen. - Deutsche Arbeiter und Meister schlossen sich zu einem "Verein deutschsprechender Arbeiter und Meister" zusammen. Er sowohl wie auch die Partei zeigten durch ihre Namengebung, wie sehr sie auf die Unduldsamkeit der anderssprachigen Nachbarn Rücksicht nahmen, indem sie sich nur als "Deutschsprechende" bekannten. Mehr in die Tiefe und Breite als der genannte Arbeiterverein wirkte die deutsche "Christliche Gewerkschaft". Die Kreise des deutschen Mittelstandes schlossen sich im "Deutschen Gewerbeverein" zusammen. - Nach einer unvollkommenen Zwischenbildung schritten die Lodzer Deutschen zur Gründung des Deutschen Gymnasiums, das immer ein Ruhmeskapitel in der Geschichte des Lodzer Deutschtums sein wird. Schöpfer dieser Bildungen waren die Fabrikbesitzer Ernst Leonhardt, Ludwig Schweikert, Franz Schimmel u. a.

Lodz:
Der Lodzer Schulkampf
In früheren Jahrzehnten hatten Deutschen, Polen und Juden getrennte Schulkassenverwaltung. Da in Lodz zumeist die Deutschen die Steuerleistenden waren, so trachteten die polnischen Kreise nach einem Zusammenschluß der Kassen zum Unterhalt der Volksschulen. Während der von Moskau aus unternommenen Angriffe gegen die Lodzer Industriedeutschen gelang es ihnen nicht nur ihre Absicht durchzusetzen, sondern auch bei der russischen Schulbehörde zu erreichen, daß an den Lodzer Volksschulen immer mehr polnische Lehrer angestellt wurden. Mit der Vermehrung der polnischen Lehrer verschob sich auch das Verhältnis der neuaufgenommenen Schüler zuungunsten der deutschen. So kam es, daß 1907, als sich deutsche Männer, an ihrer Spitze der Schulmann Heinrich Zirkler, mit der Neuordnung des deutschen Volksschulwesens befaßten, festgestellt wurde, daß in den letzten 25 Jahren sich die Zahl der deutschen Schulkinder um die Hälfte verringert hatte, während die Bevölkerungszahl um das Doppelte zugenommen hatte. Noch rechnete man mit Verständnis und Einsicht auf der anderen Seite. Deutscherseits war man bereit, den Polen 72 v. H. der Eingänge der gemeinsamen Kasse zuzubilligen und sich selber mit 28 v. H. zu begnügen, obgleich die Steuern zu 70 v. H. von den Deutschen getragen wurden. Als aber an die Deutschen das Ansinnen gestellt wurde, die Vereinbarung nur als Provisorium gelten zu lassen, da die Ersetzung der deutschen Sprache in den Schulen nur eine Frage der Zeit sei und der durch Mithilfe der Deutschen zum Dumaabgeordneten gewählte polnische Politiker fragte: "Wie lange noch wollt ihr deutsch bleiben?" - brachen die Deutschen die Verhandlungen ab und sicherten sich den Beistand der russischen Schulbehörde, was ihnen bei dem damaligen Kurs der russischen Regierung nicht schwer wurde. Die Schulkassentrennung und mit ihr der Bestand der deutschen Volksschule in Lodz war erreicht; - die Polen haben die erlittene Schlappe nie verwinden können. Noch lange nachher befaßten sich die Lodzer, Warschauer und Petersburger Zeitungen mit dem Fall und gossen ihr volles Füllhorn von Haß und Hohn über die Lodzer Deutschen. Der Kurjer Warszawski, die angesehenste und größte Warschauer Zeitung schrieb: "Die deutsche Aktion nimmt bei uns tatsächlich oft phantastische Formen an. In Lodz wird sie geradezu bedrohlich für den Fortgang der polnischen Sache und nimmt die denkbar okkupationsmäßigste Gestalt an." Eine geheime "Ge- [96] sellschaft zur Nationalisierung der Schulen" sandte an die deutschen Lehrer und Lehrerinnen Drohbriefe, in denen folgende Sätze vorkamen: "Ihr Lehrer deutscher Nationalität, ihr seid hundertmal schlimmer als die Russen. In Eurer russifikatorischen Tätigkeit wurdet ihr nicht einmal von der vaterländischen Idee geleitet. Als gemietete Henker habt Ihr mit unseren durch Blutschweiß erworbenen Groschen die Seele unserer Kinder getötet und in Eurer Zerstörungsarbeit die Russen übertroffen." Am Schlusse des anmutigen Schriftstücks hieß es: "Früher oder später müßt ihr weichen! Zwinget uns nicht zur Anwendung von Maßregeln, vor denen wir nicht zurückschrecken werden!" - Die Lodzer Zeitung Rozwoj veröffentlichte in nicht mißverständlicher Absicht zu einer Zeit, als in Lodz politische Morde an der Tagesordnung waren, Namen und Wohnungsangaben der Mitglieder der deutschen Schulkommission. General Kasnakow, der aus Petersburg gesandte Bezwinger der Lodzer Revolution, bestrafte das Blatt.

Lodz:
Kultur- und politische
Arbeiten der
Lodzer Deutschen
Von Zirkler und seiner Gefolgschaft, denselben wackeren Männern, die die Selbstverwaltung der deutschen Volksschule in Lodz durchsetzten, ging die Gründung des "Deutschen Schul- und Bildungs-Vereins" aus, der sich in den ersten Jahren seines Bestehens um Förderung des deutschen Schul- und Bildungswesens bemühte. Dieser Gründung folgte die "Vereinigung deutschsingender Gesangvereine im Königreich Polen", der "Deutsche Theaterverein" und eine große Anzahl deutscher Gesang- und Turnvereine. Gegner der Lodzer Deutschen berichteten über Warschau nach Petersburg, daß sie sich militärisch organisierten. Ein Warschauer Zeitungsmann, Stefan Gorski, machte es sich zur Aufgabe, den Deutschen in Stadt und Land hochverräterische Pläne nachzuweisen. Er rühmte sich, dem Grafen Bobrinski Material zu seinem maßlosen Angriff gegen die Lodzer Deutschen geliefert zu haben. Nach der Darstellung Petersburger Blätter führte der panslawistische Graf auf der Tribüne der Reichsduma am 1. April 1909 aus, daß die Deutschen, obwohl sie nur den vierten Teil der Bevölkerung bildeten, der ganzen Stadt ihren Geist aufgeprägt hätten. Die deutschen Schützen- und Jagdvereine seien Vorposten der deutschen Armee. Auch die deutschen Turnvereine in Lodz seien militärisch organisiert.

Die Männer, die in den Revolutionsjahren die Führung des Lodzer Deutschtums übernommen hatten und das deutsche Erbgut verwalteten, bemühten sich auch weiterhin um den Fortbestand des Deutschtums. Als die russische Regierung die Einführung der städtischen Selbstverwaltung in Polen in Aussicht nahm, bewiesen sie in einer Denkschrift die geschichtlichen Rechte der Lodzer Deutschen, die bei den künftigen städtischen Wahlen nicht von der Masse erdrückt werden durften. Lodz hatte 1911 510 000 Einwohner, davon waren 121 000 Deutsche. Nach offiziellen Angaben gab es 111 polnische Betriebe (darunter manche in den Händen polonisierter Deutscher) mit einer Jahresproduktion von 19 Millionen Rubeln, 585 jüdische Betriebe mit einer Produktion von 95 Millionen Rubeln, 332 deutsche Betriebe mit einer Produktion von 150 Millionen Rubeln und 15 verschiedenartige Betriebe (Aktiengesellschaften, deren Aktionäre verschiedenen Nationalitäten angehörten) mit einer Produktion von 31 Millionen Rubeln. Die Großbetriebe waren also immer noch in deutscher Hand. Die größere Hälfte der Gesamtproduktion von 600 Millionen Mark [97] entfiel auf deutsche Betriebe. Eine nach Petersburg entsandte Abordnung trug die Wünsche der Lodzer Deutschen den Ministerien vor. Sie fand williges Gehör.

Seit langer Zeit lastete auf den Lodzer Deutschen der Vorwurf, nichts unternommen zu haben, um zu einer besseren Presse zu kommen. Die beiden bestehenden Zeitungen huldigten offen opportunistischen Grundsätzen. Erst die 1911 gegründete Lodzer Rundschau unternahm es, bewußt deutsche Zeitungsgrundsätze zu pflegen. Sie sprach es in ihren Einführungszeilen aus, daß sie nicht nur ein in deutscher Sprache erscheinendes Nachrichtenblatt, "sondern auch ihrem Geiste nach deutsch und der bewußte Anwalt der mannigfachen Interessen der Mitbürger deutscher Zunge sein wolle". Wie sehr die neue Zeitung nötig war, erhellt die Tatsache, daß sie nach dem ersten Jahr ihres Bestehens, trotz allgemeiner geschäftlicher Stockung, über einen Bestand von 4000 Abonnenten verfügte. Der von der Lodzer Rundschau gepflegte Geist war den russischen Machthaber zu deutsch; das Weitererscheinen der Zeitung wurde im Frühjahr 1913 untersagt.

Als im Herbst 1912 die Reichsdumawahlen vor der Tür standen, hat die Lodzer Rundschau es unternommen, für ein Brechen mit der bisherigen Gepflogenheit der Lodzer Deutschen, dem polnischen nationaldemokratischen Kandidaten schlechtbelohnte Schrittmacherdienste zu leisten, einzutreten. Ihrem Freundeskreise gelang es, die Aufstellung eines eigenen Kandidaten der Lodzer Deutschen zu ermöglichen. In zwei von den vier Wahlbezirken errangen die Deutschen den Sieg. In den beiden anderen fiel der Erfolg den Juden zu; die Polen waren leer ausgegangen. Da die Wahlmänner der Arbeiterkurie für den jüdischen Kandidaten stimmten, sandte Lodz einen jüdischen Abgeordneten nach Petersburg. Für die Lodzer Deutschen waren die Wahlen eine Kraftprobe. Sie sahen, wie stark sie waren und daß sie, ohne überheblich zu werden, auf einen vollen Erfolg bei den nächsten Wahlen hoffen durften.



Der Niedergang des
[evangelischen]
Deutschtums
in Warschau
In Warschau waren dem mächtigen Aufschwung des Deutschtums Zeiten des Niederganges gefolgt. In ihren Bemühungen um ihr äußeres Fortkommen vergaßen die Warschauer Deutschen nur zu bald die Pflege der geistigen Werte. Auch diejenigen, die noch gut deutsch empfanden und für ihre Person die Anpassung an das fremde Volkstum ablehnten, sahen ruhig zu, wie ihre Kinder im Verkehr mit polnischen Mitschülern die nationale Prägung des Elternhauses zu verwischen trachteten. Allmählich wurde Polnischsein gleichbedeutend mit Feinwerden. Alle die den Aufstieg in die höheren gesellschaftlichen Schichten mitmachen wollten, waren beflissen, ihre Abstammung zu verleugnen. Und als in späterer Zeit der polnische Nationalismus sich in Warschau zu seiner schärfsten Form entwickelte und unduldsam gegen alles Deutsche wurde, da suchten viele ihrem Namen eine polnische Form oder durch Akzente einen französischen oder englischen Anstrich zugeben. Noch heute ist man überrascht, wie viele Warschauer Bürgerfamilien mit deutschem Namen bestrebt sind, ihre Abstammung auf fremde, nichtdeutsche Einwanderung zurückzuführen.

[98] Auch in kirchlichen Kreisen galt Deutsch als Sprache der Handwerker und Kolonisten. Ihretwegen mußten die deutschen Gottesdienste beibehalten, ja sogar zu Hauptgottesdiensten erklärt werden. Daß es lange Zeit so blieb, kann dem deutschen Empfinden der Generalsuperintendenten Ludwig und Everth zugeschrieben werden.

Noch zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Gemeinde eine große deutsche Mehrheit. Superintendent Schöneich, der an der Polonisierung der evangelischen Kirche arbeitete, erwähnt in seinem Synodalvortrag über "Die Sprache der Kirche" (1905), daß es 1860 in Warschau noch 177 deutsche und nur 60 polnische Konfirmanden gab, während 1905 nur noch 100 deutsche aber schon 235 polnische Konfirmanden gezählt wurden. - Im Februar 1898 berichtete ein Warschauer Korrespondent der St. Petersburger Zeitung, daß er "Hunderte von Evangelischen kenne, die wohl polnisch verstehen und im Umgange polnisch sprechen, deren Haus-, Mutter- und Herzenssprache dennoch die deutsche ist." Gegen die Behauptung, daß alle Gebildeten zu Anhängern des Polentums wurden, richtet sich seine Feststellung: "Ich kenne tausende von Familien in Polen, die deutsch geblieben sind, ohne daß man ihnen Bildung abzusprechen braucht."

Ein anderer Bericht gibt Gründe für die rasche Entnationalisierung der nach Polen gekommenen Deutschen an: "Die starke, das ursprüngliche nationale Wesen der fremden Einwanderer absorbierende Anziehungs- und Assimilationskraft der Polen ist weit entfernt, mit der fortschreitenden Zeit etwa abzunehmen; im Gegenteil, bis auf den heutigen Tag verfallen die Fremden je länger je mehr diesem scheinbar rätselhaften Zauberbanne, den Land und Leute auf sie ausüben; denn schon die Nachkommen der Ausländer, die erst um die Mitte des Jahrhunderts sich als Bürger in diesem Lande niederließen, verstehen oft die Sprache ihrer Väter nicht mehr und fühlen sich als Inländer vom Scheitel bis zur Sohle." Der Assimilierung Rechnung tragend und sie mittelbar fördernd, unternahmen es Anfang 1899 drei Pastoren, eine kirchliche Zeitschrift in polnischer Sprache herauszugeben. In der Bezugseinladung wird ganz offen darüber gesprochen, wie auffallend schnell die deutsch-evangelischen Familien in Polen und besonders in Warschau ihre angestammte Sprache und Eigenart abstreifen. Die Herausgeber des Zwiastun ewangieliczny ("Evangelischer Bote") äußern sich wie folgt: "Wir sind evangelische Christen polnischer Zunge und unsere Herzen sind durchglüht von heißer Liebe zu unserem Glauben sowohl als auch zu unserer Nationalität." Der Berichterstatter der St. Petersburger Zeitung meinte dazu etwas boshaft: "Die erste Nummer wurde Ende Januar (1899) ausgegeben, und dann wird der Evangelische Bote regelmäßig monatlich erscheinen in der polnischen Muttersprache (mowa ojczysna) seines Herausgebers, des Herrn Pastor Bursche in Warschau und seiner Mitarbeiter, der Pastoren Schultz in der Kolonie Neuhof und Schöneich in Lublin."

Der Überschwang des nationalen Gefühls bei den Teilnehmern der Synode und den deutschnamigen Polen der Warschauer lutherischen Gemeinde gibt dem Herausgeber des Evang.-luth. Kirchenblattes, Pastor Angerstein in Lodz, Gelegenheit, mit mildem Spott die Auswüchse [99] zu geißeln. So schreibt er im Jahrgang 1905 (Nr. 4): "In Warschau haben die »polnischen Evangelischen« eine Feier anläßlich des vor 400 Jahren geborenen Nikolaus Rej veranstaltet. Rej war der Gründer der nationalen polnischen Literatur, vor ihm schrieben alle Gelehrten nur lateinisch. Auch hat er sich durch den Einfluß Reformierter aus Genf für die Schweizer Reformation begeistern lassen und schrieb gegen Rom. Daß seiner die Reformierten gedenken, ist richtig, aber daß man auch in der lutherischen Kirche sein Gedächtnis kirchlich feiert, ist ein neuer Beweis, wie die polnisch-evangelische Idee das konfessionelle Bewußtsein trübt." Und dieselbe nüchterne Kritik findet sich in der nächsten Nummer, in der es heißt: "Zu der Bemerkung über Nikolaus Rej ist hinzuzufügen, daß man projektiert hat, zu seinem Andenken in der lutherischen Kirche in Warschau eine Gedenktafel anzubringen. Einem Reformierten in der lutherischen Kirche eine Gedenktafel! Alles aus Patriotismus!" - Daß das Kirchenkollegium dann, wenn der "Patriotismus" es verlangt, hinsichtlich seines konfessionellen Standpunktes sehr wandlungsfähig ist, bewies es später, als es mit unechten Tönen sein Luthertum pries.

Im Oktober 1907 wurde [in] der St. Petersburger Zeitung (zu beachten ist, daß sich dieses angesehenste deutsche Blatt Rußlands immer leidenschaftslos gab) aus Warschau über Mißstände in den Schulen der evangelisch-lutherischen Gemeinde geschrieben. Zunächst wird die systematische Ausschaltung alles Deutschen besprochen und einige Beispiele dafür angeführt, wie wenig die Pastoren, die die Schulgottesdienste abzuhalten haben, die Zweisprachigkeit der Gemeinde respektieren. Dann fährt der Verfasser fort: "Die Elementarschulen der Gemeinde sind schon teilweise polonisiert, deutsche Waisenkinder verlernen in einigen Monaten ihre deutsche Muttersprache. In der Kinderbewahranstalt vermissen die Kinder die deutsche Sprache, und zwar deshalb, weil die Vorsteherin der deutschen Sprache sich nicht zu bedienen wünscht. Den Kirchendienern ist der Gebrauch der deutschen Sprache untersagt. Selbst bei den Tafelaufschriften in den Kirchenhallen ist die deutsche Sprache vermieden. Von dem großen Kanzleischilde, welches seinerzeit mit der Aufschrift in drei Sprachen versehen war, hat man die deutsche Sprache entfernt. Sogar in den Mädchenschulen an der Kirche mußte die deutsche Inschrift der polnischen Platz machen."

In der Entgegnung auf den Artikel eines Warschauer Deutschen ("Die verzweifelte Lage der Deutschen in Warschau", Oktober 1907 in der St. Petersburger Zeitung) - worin der Schreiber die allmähliche Polonisierung der Gemeindeanstalten schildert und u. a. erwähnt, wie der Vormund der Gemeindeschulen, Pastor Loth, die Rechte der Deutschen mindere - schrieb Generalsuperintendent Bursche, daß bei dem kurz vorher erfolgten Schulbeginn von 70 neuaufgenommenen Kindern nur 15, und dabei zum Teil noch mangelhaft deutsch sprachen, und rechtfertigte mit dieser Tatsache die Ausschaltung der deutschen Schulgottesdienste. Die Zahlen bedürfen einer Nachprüfung. Nach der Denkschrift des Kollegiums über die Schulsprachenfrage vom Oktober 1909 herrschte jedenfalls bei der Feststellung der Muttersprache der Schüler volle Willkür.

In der Denkschrift heißt es wörtlich: "Im Jahre 1906 wurde dem Inspektor auf seine Anfrage, wie hoch der Prozentsatz der deutschsprechenden [100] Kinder sei, geantwortet, daß kaum 10 Prozent der Schüler sich zur deutschen Muttersprache bekennen. In diesem Jahre wurde dem Inspektor auf sein Ersuchen mitgeteilt, daß 20 - 25 Prozent der Kinder den Religionsunterricht in deutscher Sprache erhalten." Also das Kirchenkollegium muß, als es in die Enge getrieben wird, zugeben, daß die Zahl der deutschsprechenden Kinder um mehr als das Doppelte höher sei, als von ihm seinerzeit angegeben wurde, und das trotz dreier Jahre zielbewußter Verdrängung des deutschen Einflusses! Keines Zusatzes bedarf die im Anschluß an diese Feststellung gegebene Erklärung, warum in der zweiklassigen Mädchenschule noch immer 79 Mädchen den Religionsunterricht in deutscher Sprache erhalten: "Die Kenntnisse in der deutschen Sprache sind bei den 79 Kindern äußerst gering. Der deutsche Religionsunterricht erfolgt nur auf besonderen Wunsch der Eltern, die glauben, daß ihre Kinder auf diese Weise die deutsche Sprache leichter erlernen!"

Oft hört man, im Kirchenkollegium hätten Toleranzgrundsätze eine Heimstätte gefunden. Dazu lese man den höchst lehrreichen Revisionsvermerk des russischen Schulinspektors aus dem Jahre 1909. Der russische Beamte stellt mit dürren Worten fest: "Das Kollegium, das sich in das Recht der Schüleraufnahme einmengt, weist den katholischen Kindern die freien Plätze an, während für evangelische Kinder die Pforten der Schule geschlossen bleiben!" Die russische Regierung, die sich damals deutschfreundlich zeigte, hatte in wohlberechneter Absicht sich der deutschen Minderheit der Warschauer evangelischen Gemeinde angenommen und ihre Rechte vertreten.

Die Hintansetzung der deutschen Gemeindemitglieder durch das Kirchenkollegium war eine der Hauptursachen für die Gründung des "Deutschen Vereins für das Zartum Polen". In dem Bericht der St. Petersburger Zeitung über die erfolgte Aufnahme der Vereinstätigkeit heißt es:

      "Der Verein hat sich hohe und herrliche Aufgaben gestellt; soll doch die infolge der rastlosen Tätigkeit vieler evangelischer Prediger in Warschau polonisierte deutsch-evangelische Kirchenschule wieder ihrer ursprünglichen Aufgabe zugeführt werden. Herrschen doch in derselben wahrhaft skandalöse Zustände. Die Kinder dürfen dort nicht einmal deutsch beten. Trotz wiederholter mündlicher und schriftlicher energischer Proteste der Eltern werden die Kinder in der offiziellen deutschen Schule zum polnischen Gebet genötigt. Aufgabe des Vereins ist ferner, das schlummernde und verschüchterte Nationalgefühl der Deutschen zu wecken und zu entflammen, damit sie den an sie herantretenden Aufgaben gewachsen sind. Es ist zum Beispiel die als deutsch-evangelische Gemeindeschule gegründete Anstalt so konzessioniert und eingerichtet gewesen, daß die durch Ungunst der Verhältnisse in polnischer Umgebung der Gefahr der Polonisierung unterliegenden Kinder ihrer Muttersprache durch die Schule wieder zugeführt werden. Die geistliche Schulleitung hat den Spieß einfach umgedreht. Wer noch nicht polnisch konnte, mußte es in der Schule lernen und der deutschen Sprache wurde nur der allerdürftigste Raum gewährt. Und alle die Herren führen deutsche Namen, haben deutsches Blut in ihren Adern, haben noch im alten Dorpat studiert!"

Den Bemühungen des Vereins gelang es, die Gründung einer städtischen Schule mit deutscher Unterrichtssprache durchzusetzen. Das Kirchen- [101] kollegium erschwerte in jeder Weise die Tätigkeit der opferfreudigen deutschen Männer (einer von ihnen wurde als deutscher Spion denunziert und einige Monate lang gefangen gehalten, bis seine Unschuld an den Tag kam). Die russische Schulbehörte urteilte darüber: "Das Kollegium unternimmt alle von ihm abhängigen Schritte, um den Deutschen die Eröffnung einer besonderen, nicht polnischen Schule unmöglich zu machen."

Generalsuperintendent Bursche, der damals einen vermittlenden Standpunkt einzunehmen versuchte, trat für eine bedingte Berücksichtigung der Rechte der deutschen Minderheit der evangelischen Gemeinde ein. Er schrieb in seinem Zwiastun ewangieliczny: "Die Zahl der Deutschen in der Warschauer evangelischen Gemeinde kann nicht genau festgestellt werden, jedoch kann man sie auf 20 Prozent schätzen. (In Wirklichkeit war sie viel höher.) Im Kollegium ist aber kein einziger Deutscher. Das ist eine Ungerechtigkeit, welche wir Polen empfinden sollten. Auf einige dreißig Kollegiumsmitglieder kann man doch wohl auch zwei bis drei Sitze den Warschauer Deutschen geben. Unsere Interessen verlieren dadurch nichts." Und der Erfolg dieser zarten Mahnung war, daß man dem Generalsuperintendenten aus dem Kreise des Kollegiums vorwarf, er vertrete einen einseitigen Standpunkt und neige zum Hakatismus!

Schwere Zeiten haben die Warschauer Deutschen während des ersten Kriegsjahres durchmachen müssen. Monatelang waren sie Zeugen eines leidenschaftlichen Hasses gegen alles Deutsche. Deutsche Rede war verpönt. Ließ sich dennoch ein deutsches Wort hören, so wurde es schwer geahndet. Der Gast eines Mittagslokals, der seine Abstammung durch Germanismen verriet, mußte recht lange auf Bedienung warten. Aus den Zeitungsspalten grinste der Völkerhaß in seiner widerlichsten Form den Warschauer Deutschen entgegen. Ihr Herz krampfte sich zusammen, wenn sie lasen, daß jeder Deutsche, der eine Schwelle überschreite, das Haus entweihe und daß auch der hilfsbedürftigste Deutsche mit Hunden davongehetzt zu werden verdiene.

Als nach der Besetzung Warschaus durch die deutschen Truppen der zurückgebliebene deutsche Teil der Gemeinde schwache Versuche machte, in der Schulfrage zu seinem Recht zu kommen und die deutsche Verwaltung durch ihre Verordnungen den deutschen Bemühungen entgegenkam, nahm das Kollegium der evangelisch-lutherischen Gemeinde Anlaß, seinen einseitigen und ablehnenden Standpunkt in einer Denkschrift an die deutsche Behörde zu vertreten und eine scharfe Absage an das Deutschtum zu richten. Die Denkschrift klingt mit falschem Pathos in die Worte aus: "Wir sind als Polen geboren, als Polen wollen wir leben und wirken!" - Der "Verein für das Deutschtum im Ausland" verhalf den Warschauer Deutschen zu einer eigenen Schule, die im Beisein des Generalgouverneurs v. Beseler im Herbst 1916 eröffnet werden konnte.



Der Niedergang des
[katholischen]
Deutschtums
in Warschau
Durch ein Dekret der Regierung wurde 1810 die deutschkatholische Bennonibrüderschaft aufgelöst. Ihre Anstalten und die Kirche gingen in den Besitz der "deutsch-katholischen Brüderschaft der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria" über. Letztere war auch gehalten, die deutsch-katholischen Knaben- und Mädchenschule zu übernehmen. Nach einiger Zeit tauschte die Brüderschaft die alte Jesuitenkirche gegen die Pauliner- [102] kirche zum Heiligen Geist um, welche sich seitdem die "deutsch-katholische Nationalkirche zum Heiligen Geist" nannte. Eine zweite deutsch-katholische Gesellschaft, die "Brüderschaft der tätigen Nächstenliebe" schloß sich der Kirchengemeinde an. In späteren Jahrzehnten mußte die Brüderschaft mit wirtschaftlichen Nöten kämpfen. Da half ihr eine größere Spende des Kaisers Nikolaus I. Als der Paulinerorden von Czenstochau 1850 den Vorschlag machte, die Kirche wieder zurückzunehmen, konnte sie dankend ablehnen, weil sie die Kirche weiter als "deutsche Nationalkirche" zu behalten beabsichtige und auf die kaiserliche Huld vertraue. Der Beschluß, das Angebot der Czenstochauer Klosterbrüder abzulehnen, war auf Betreiben des Rektors Jakob de Gueldre gefaßt worden. Dieser deutschbewußte Mann hat sich damals um die Erhaltung des Warschauer katholischen Deutschtums große Verdienste erworben. So machte er 1852 den Mitgliedern der Brüderschaft Vorhaltungen, weil sie die Pflege des deutschen Gesanges vernachlässigt hätten, so daß ein fremdsprachiger Sängerchor in den deutschen Gottesdiensten mitwirken müsse. Darauf beschloß man, "wieder deutsch zu singen und zu lernen, soviel die Kräfte erlauben, den deutschen Gesang regelmäßig herzustellen." Als der Unterhalt der Schule größere Mittel verschlang und der Vorschlag gemacht wurde, sie an die russische Regierung abzutreten, kam unter seiner Leitung der Entschluß zustande, "daß sie die seit dreihundert Jahren bestehende deutsch-katholische Schule mit allen Privilegien, Rechten und Pflichten weiter behalten und sich in den Augen der Nachwelt nicht den Vorwurf zuziehen wollen, als hätten sie aus Trägheit oder sträflicher Nachlässigkeit die deutsche katholische Gemeinschule preisgegeben."

Mit dem Tode de Gueldres (1853) begann der Verfall der Brüderschaft und mit ihr der des Warschauer Deutschtums katholischer Prägung. Die Sitzungsprotokolle wurden seitdem nur noch in polnischer Sprache geführt. In den neunziger Jahren scheint eine Vereinigung der "deutsch-katholischen Brüderschaft der unbefleckten Empfängnis der Jungfrau Maria" mit der "Brüderschaft der tätigen Nächstenliebe" stattgefunden zu haben.

Die deutsch-katholische Gemeinde schmolz immer mehr zusammen. In den letzten Jahren fand nur noch einmal monatlich deutscher Gottesdienst statt. Nach Kriegsbeginn wurde die alte deutsch-katholische Schule geschlossen und die deutschen Gottesdienste in der "deutsch-katholischen Nationalkirche zum Heiligen Geist" ganz eingestellt. So erlosch das alte, einst zu stolzen Hoffnungen Anlaß gebende katholische Deutschtum in Warschau.

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Das Deutschtum in Kongreßpolen
Adolf Eichler