III. 2. Weitere Verschärfung trotz Minderheitenerklärung (15. 7. 1937 - 14. 3. 1939) (Teil 3) h) Polnische Vorwürfe gegen das deutsche Genossenschaftswesen Den deutschen Beschwerden über die wirtschaftliche Notlage weiter Kreise des Deutschtums wurde polnischerseits gar zu gern die gesunde Entwicklung z. B. des deutschen Genossenschaftswesens in Posen-Westpreußen vorgehalten, das zwar dem arbeitslosen oberschlesischen Kumpel keine Arbeit verschaffen konnte, das aber den Polen ein Dorn im Auge war und das daher häufig von der polnischen Presse und den Verbänden angegriffen wurde. Das polnische Genossenschaftswesen, das sich zu preußischer Zeit in Posen und Westpreußen gut und ungehindert hatte entfalten können, hatte nämlich in den allgemeinen Krisenjahren 1929 bis 1934 schwere Erschütterungen zu überstehen. So hatte sich ungefähr ein Drittel der polnischen landwirtschaftlichen Warengenossenschaften ("Rolnik") aus wirtschaftlichen Gründen auflösen müssen, ein weiteres Drittel war äußerst gefährdet.119 Die Krediteinlagen in den polnischen Genossenschaften waren wesentlich zurückgegangen und erholten sich auch nicht nach Besserung der Wirtschaftslage, da die polnischen Sparer sich der in den dreißiger Jahren in Polen durchsetzenden Postsparkasse und den rein polnisch gewordenen Kommunalsparkassen zugewandt hatten. Auch die polnischen Molkereien wiesen Schwächen auf. [287] Demgegenüber hatten die deutschen Genossenschaften dank einer vorausschauenden Planung und einer rechtzeitigen Umstellung die Wirtschaftskrise viel besser überstanden. Viele Genossenschaften waren zusammengelegt, andere liquidiert worden. Neugründungen wurden in Posen-Westpreußen nicht mehr vorgenommen. Da gleichzeitig die Unkosten gesenkt worden waren, bei der Vergabe von Krediten sehr vorsichtig vorgegangen und verschuldeten Besitzern oft nicht mehr entgegengekommen wurde (letztere Umstände waren den Genossenschaftsverbänden häufig von der JDP zum Vorwurf gemacht worden), standen die deutschen Genossenschaften wirtschaftlich gefestigt da. Seit 1936 stiegen die Einlagen der Kreditinstitute und die Umsätze der Waren- bzw. Molkereigenossenschaften wieder an. Bei dem Umsatz der letzteren waren auch polnische Bauern als Lieferanten beteiligt, die sich mit dieser Eigenschaft begnügten und zum großen Teil gar nicht einmal Anteile zeichnen und Haftungen übernehmen wollten. Die polnischen bäuerlichen und nationalen Verbände nahmen aber Anstoß an der günstigen Entwicklung der deutschen Genossenschaften, führten diese nur auf angebliche reichsdeutsche zinslose Kredite bzw. Zuschüsse zurück, griffen das deutsche Genossenschaftswesen in der Presse und in Broschüren sowie auf Versammlungen hemmungslos an und verlangten, daß die polnischen Lieferanten, vor allem der deutschen Molkereien, bei denselben als Mitglieder aufgenommen werden sollten. Um diesen deutschen Betrieben etwas anhaben zu können, wurde durch das im Jahre 1937 erlassene Molkereigesetz die Aufsicht über die Molkereien der zuständigen Landwirtschaftskammer übertragen und 1938 neue Ausbildungsvorschriften für Molkereiverwalter herausgegeben. Da auch die schon tätigen Verwalter Prüfungen ablegen mussten, wurden den Deutschen unter ihnen dabei Schwierigkeiten gemacht.120 [288] Aber schon 1937 waren sieben deutsche Molkereien in Westpreußen zeitweise aus "sanitären" Gründen geschlossen worden, u. a. am 2. 10. 1937 die Molkerei in Wybcz, Kr. Thorn, die wenige Tage darauf den Teilnehmern einer polnischen milchwirtschaftlichen Tagung als Musterbetrieb vorgeführt wurde.121
Wie grundlos die polnischen
Presseangriffe auf das deutsche Genossenschaftswesen waren, geht z. B. auch
daraus hervor, daß die Polen allen Ernstes behaupteten, den deutschen
Genossenschaften würden ihre ausgeführten Waren vom Ausland
(gemeint war natürlich das Reich) zusätzlich vergütet. Dabei
erfolgten die Ausfuhr in der Berichtszeit ausschließlich über
Kontingente und der Ausgleich des Zahlungsverkehrs über amtliche
Stellen. Außerdem ging die Butter der deutschen Molkereigenossenschaften
(um die handelte es sich nämlich) seit 1933 zu drei Vierteln nach England.
Die polnische Öffentlichkeit nahm ferner Anstoß daran, daß
die deutschen Genossenschaftsmolkereien Posens und Westpreußens
ungefähr dieselbe Menge verarbeiteten wie die polnischen, ohne dabei zu
bedenken, daß es in diesen Wojewodschaften daneben noch sehr viele
polnische, aber nur einige wenige deutsche Privatmolkereien gab. Wenn die
polnische Presse außerdem behauptete, daß jegliche deutsche
wirtschaftliche Erzeugung oder Beteiligung, die den deutschen Hundertsatz in der
Bevölkerung Westpolens
(9-10%) überschreite, einen Beweis des "deutschen Expansionsstrebens",
eine Folge der "preußischen Unterdrückungspolitik" und somit eine
"Gefahr für den polnischen Staat" darstelle, die im Interesse der
"bedrohten polnischen Sicherheit" unterbunden werden müsse, so wurde
dabei bewusst außer acht gelassen, daß der deutsche Anteil in der
Landwirtschaft im allgemeinen und bei dem für eine Milchlieferung am
ehesten in Frage kommenden bäuerlichen Großbesitz mit 40% im
besonderen wesentlich [289] höher war als der deutsche
Bevölkerungsanteil. Auch widmete sich der deutsche Bauer mehr der
Milchviehhaltung. Wenn sich deutsche Molkereien schließlich eines
Zuspruches sowohl seitens polnischer Lieferanten als auch ausländischer,
vor allem englischer Abnehmer erfreuten, so lag nicht nur ersteres, sondern auch
letzteres an den Polen selbst. Das zweite bedeutete für das devisenarme
Polen keinen Schaden, sondern nur einen Nutzen.122
i) Vorfälle in Danzig und Ausschreitungen in Polen, August/September 1938 Die andauernde Hetze der Presse und der Verbände gegen das Deutschtum im allgemeinen einerseits, das ständige Hervorkehren des Prestigestandpunktes auch von der Regierung in allen Verhandlungen mit dem Reich und mit Danzig andererseits konnte bei der leichten Erregbarkeit der Polen nicht ohne Folgen bleiben. Der kleinste Anlass genügte um die schwelende Glut zu entfachen. Im August 1938 nutzten die deutschfeindlichen Faktoren in Polen zwei kleine Vorfälle auf Danziger Gebiet aus, um eine große, während dreier Wochen durch das ganze Land gehende Demonstrationswelle gegen die angeblichen Brutalitäten der Deutschen auszulösen. Zuerst waren zwei junge Danziger Polen, die Brüder Mach, die in deutscher Sprache die deutsche Fahne provoziert hatten, von einem entrüsteten Publikum geprügelt worden, worüber sich der diplomatische Vertreter Polens in Danzig am 16. 8. beim Danziger Senatspräsidenten beschwerte.123 Dieser Vorfall wurde von der polnischen Presse schon sehr aufgebauscht. Dazu verunglückte ein polnischer Eisenbahnbeamter namens Winnicki auf der Strecke Danzig-Gdingen. Er fiel aus dem Zuge, und beide Beine wurden ihm abgefahren. Wie Botschafter von Moltke am 9. 3. 1939 dem Minister Beck vorhalten konnte,124 war es der polnischen Regierung bekannt, daß dieser bedauerliche [290] Unfall lediglich durch Verschulden des Winnicki selber herbeigeführt worden war, ohne daß irgendein Deutscher dabei beteiligt gewesen wäre. Trotzdem duldete die Regierung die nun einsetzende unerhört scharfe Hetze der polnischen Presse und eine große Versammlungswelle des doch von ihr geförderten Westverbandes, wobei der Unfall in einen "Mord", begangen durch sechs hitlerische Danziger, umgefälscht wurde. In den Artikeln, Versammlungsreden und Entschließungen war die Rede von "barbarischen Verhältnissen in Danzig", von einer "bestialischen Tat", von dem "unaufhörlich geübten Terror durch bewaffnete Danziger Kampftruppen gegenüber Polen und polnischen Kindern" usw. Kein Wunder, daß sich die durch die Demonstrationen aufgepeitschte Volksstimmung, die sich auf den Versammlungen in Zwischenrufen, wie "Tötet die Hitlerbande!", "Gebt uns Karabiner!", "Wir wollen nach Danzig", "Raus mit den Deutschen aus Danzig", äußerte,125 zuerst einmal gegen die leichter erreichbaren Deutschen in Polen wandte. In Westpolen flammten wieder einmal Boykottaktionen auf, die sich gegen die deutsche Kaufmannschaft und gegen den Verkauf deutscher Zeitungen richtete, besonders in Gdingen, Thorn und Graudenz. In Bromberg gingen Scheiben in Trümmer, in Lissa kam es zu Übergriffen. Die Schwächung des deutschen Grundbesitzes und der landwirtschaftlichen Organisationen wurde gefordert. Der polnische Gastwirteverband der Wojewodschaft Posen beschloss den Boykott der deutschen Brauereien. In Schulitz an der Weichsel wurden zum Boykott der deutschen Geschäfte aufrufende Flugblätter verteilt und plakatiert, in denen es u. a. hieß: "Die Deutschen wollen absichtlich nicht polnisch sprechen. Denkt daran, daß derjenige, der auf polnischer Erde nicht polnisch sprechen will, nicht wert ist, polnisches Brot zu essen". Wer nicht ausschließlich [291] in polnischen Läden und nur polnische Erzeugnisse kauft, der "ist ein Verräter, den werden wir brandmarken und bekämpfen!" Zu den damals schwersten Ausschreitungen kam es aber am Nachmittag des 2. September in Bielitz, wo im Anschluss an eine Versammlung des Westverbandes Zeitungsgeschäfte und Stände geplündert, deutsche Zeitungen verbrannt, eine deutsche Buchhandlung gestürmt und demoliert (in der nächsten Nacht ausgebrannt), die Redaktion der Schlesischen Zeitung, die Hauptgeschäftsstelle der JDP, die Privatwohnung Senator Wiesners von der Straßenseite her demoliert und in der deutschen Turnhalle sowie in vielen deutschen Geschäften Scheiben eingeschlagen wurden. Erst nach zweieinhalb Stunden machte die Polizei dem Treiben ein Ende. Dabei waren die Ausschreitungen u. a. unter Mitwirkung des Bielitzer Schulinspektors Matusiak wohl vorbereitet gewesen, so waren Flugblätter herausgegeben worden, die schwerste Drohungen gegen das Deutschtum enthielten. Darüber hinaus war es noch in Ostoberschlesien und im Posenschen zu kleineren Ausschreitungen gekommen.126
Die polnischen Behörden
hatten sich in diesen Fällen bei der Aufrechterhaltung oder
Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung außerordentlich lau gezeigt. So
wurde z. B. das zunächst ergangene Verbot, die Resolutionen der
Kundgebungen zu veröffentlichen, durch das Innenministerium bald
wieder aufgehoben. Als Botschafter Moltke deswegen bei Minister Beck
vorstellig wurde, meinte dieser, "es sei nicht zweckmäßig, lediglich
mit Verboten umzugehen, sondern manchmal besser, ein Ventil zu öffnen".
Und beinahe mit Genugtuung bzw. mit Stolz stellte Beck fest, daß die
Regierung sich darauf beschränkt hätte, "die sehr viel
weitergehenden Absichten der Demonstranten auf ein geringeres Maß
zurückzuschrauben". Allem Anschein nach war er sich diesmal nicht
[292] darüber im klaren, daß es sich hier
wieder um eine "Welle der Nervosität" handelte, die "von keiner
polnischen Sorge" ausgegangen war, wie er diese Erscheinung noch vor acht
Monaten so richtig charakterisiert hatte. Man kann sich sogar nicht des
Verdachtes erwehren, daß den polnischen Behörden, die "von jeher
in kritischen Momenten Wert drauf legten,
die (deutsch-polnischen) Beziehungen nicht zu eng erscheinen zu lassen",127 Äußerungen der
deutschfeindlichen Stimmungen gar nicht ungelegen kamen, da die geschilderten
Vorfälle dazu benutzt wurden, um verschiedene deutsche kulturelle
Veranstaltungen zu verbieten. "In Hinblick auf die Sicherheit, Ruhe und
öffentliche Ordnung" wurden z. B. im Spätsommer und Herbst 1938
in der Wojewodschaft Schlesien und im Posenschen mehrere Gauturnfeste der
"Deutschen Turnerschaft in Polen",128 in Lodz das als
Vokal- und Instrumentalabend gedachte Erntedankfest des
Lodzer "Schul- und Bildungsvereins" und sogar eine
Kasperleaufführung mit derselben Begründung verboten.129 Das Regierungslager (OZN) selber
verzichtete ja nicht drauf, im Wettbewerb mit den übrigen politischen
Gruppen aus Popularitätshascherei antideutsche Schlagworte auszuspielen.
Überhaupt war schon damals (Anfang September 1938) sogar in den
polnischen Regierungskreisen Deutschland gegenüber eine betont
unfreundliche Stimmung vorhanden,130 obwohl bei den in diesen Wochen
von Hitler betriebenen Grenzveränderungen in Mitteleuropa auch der
polnische Paktpartner zu seinem Teil kommen sollte.
j) Die Angliederung des Olsalandes und die dortigen antideutschen Maßnahmen Für die Polen des Olsagebietes, des westlichen Teiles des ehemaligen Herzogtums Teschen zwischen Oderberg und Jablunkapass, das durch Entscheidung der Botschafterkonferenz [293] vom 28. 7. 1920 gegen polnischen Protest an die Tschechoslowakei gekommen war, hatte der polnische Staat bisher wenig Interesse gezeigt. So hatte z. B. das Schlesische Institut in Kattowitz, dessen Arbeitsfeld ausdrücklich das ganze historische Schlesien war, zwar verschiedene Schriften über das Oppelner Schlesien, aber erst eine einzige über den tschechisch gewordenen Teil herausgebracht. Selbst die polnische konservative Tageszeitung Czas mußte während der Sudetenkrise monieren, daß viele polnische Blätter, die sonst sehr eifrig für die polnische Minderheit in Deutschland eintraten, nur sehr wenig Interesse für die Polen jenseits der Olsa zeigten und sich in der Tschechenfrage den französischen Standpunkt zu eigen machten.131 Frankreich hatte ja überhaupt kein Verständnis für Polens Ansprüche auf dieses Gebiet, die - nebenbei bemerkt - in ethnographischer Hinsicht durchaus umstritten waren. Demzufolge sah der englisch-französische Sudetenplan keinerlei Abtretung an Polen oder Ungarn vor, so daß diese Staaten Protest erhoben, wobei sie lediglich von Deutschland und Italien unterstützt wurden. Deutschland machte dann bekanntlich die Annahme des Sudetenplanes von der Berücksichtigung dieser beiden Staaten abhängig, und Hitlers Rede vom 26. 9. enthielt sehr positive Worte für Polens Forderungen. Die polnische Regierung war erst nach Chamberlains Besuch bei Hitler offen für das Olsaland eingetreten, am 19. und 20. September fanden die ersten Versammlungen in Polen statt, in denen die Angliederung dieses Gebietes verlangt wurde, und am 21. September meldete Polen in Noten an Prag, Paris und London diese Forderung an. Als dann das polnische Ultimatum vom 30. 9 von der tschechoslowakischen Regierung angenommen wurde, da wurde in Warschau nicht nur dem so lange unpopulären Beck von jubelnder Menschenmenge gehuldigt, sondern damals ließ auch eine, wenn auch nur kleine Gruppe [294] auf der Straße vor der Deutschen Botschaft das erste und einzige Mal im polnischen Warschau das deutsche Staatsoberhaupt hochleben. Da Polen diese "Rückgewinnung uralter Piastenerde" tatsächlich nur Deutschland zu verdanken hatte, hätte man damals einen Umschwung in der polnischen Öffentlichkeit erwarten können, wenn das gewonnene Gebiet auch nur 800 km2 mit rund 230.000 Einwohnern umfasste, so wies es doch fast zwei Milliarden Tonnen Kohlenvorräte mit einer Jahresförderung von 7,35 Millionen Tonnen auf. Die polnische Gewinnung von Kohle hatte sich um 20%, die von Koks um 100%, Rohstahl um 50%, Roheisen um 55%, die Produktion von Walzerzeugnissen um 80%, von Fertigfabrikaten um 25% vermehrt,132 Polen hatte also seiner übrigens nur sehr lockeren Weggenossenschaft mit dem Reich einen wertvollen Gebietszuwachs zu verdanken, der noch dazu ohne wesentliche eigene Anstrengungen erzielt worden war. Trotzdem machte sich in Polen nicht die geringste deutschfreundliche Haltung bemerkbar. Allem Anschein nach war es den Polen z. T. peinlich, daß sie ihrem "Erbfeind" wieder etwas zu verdanken haben sollten, zum anderen Teil erschien den polnischen Nationalisten dieser Zuwachs zu klein. Jedenfalls bekamen gerade die 20.000 bis 25.000 Deutschen jenseits der Olsa in wenigen Monaten all die deutschfeindlichen Maßnahmen zu spüren, die der Wojewode Grazynski in den zwölf Jahren seiner Tätigkeit in Ostoberschlesien entwickelt und angewandt hatte. Zwar unternahm das Reich sofort nach Bekanntwerden der ersten gegen das Deutschtum im Olsaland gerichteten Schritte diplomatische Vorstellungen bei der polnischen Regierung133 und konnte diese ohne weiteres dazu bewegen, die Minderheitenerklärung auch für den neuerworbenen Landstrich verbindlich zu erklären (am 18./20. 10.),134 zwar erklärte sogar Grazynski beim Einzug in Tschechisch-Teschen, er würde [295] wohl nicht die labile Zwischenschicht der "Schlonsaken", aber doch die sich entschieden zum Deutschtum oder Tschechentum bekennenden Staatsbürger respektieren, dessen ungeachtet überstürzten sich dort die deutschfeindlichen Maßnahmen. Die polnische Sprache wurde als einzige Amtssprache eingeführt. Nicht nur die tschechische, sondern auch die deutsche Sprache, die bisher im Amtsverkehr zugelassen und im Umgangsverkehr weitgehend üblich war, wurde jetzt völlig ausgeschaltet und mußte auch von den zweisprachigen Straßenbezeichnungen und Firmenschildern verschwinden. Sämtliche nichtpolnische Genossenschaften, Verbände, Parteien, Klubs, Komitees usw. wurden gesperrt und ihr Vermögen beschlagnahmt. Die nichtpolnischen Schulen wurden zur Unterbringung von Militär verwandt. Vor der Besetzung hatten in diesem Bezirk vierzehn deutsche Schulen verschiedenen Typs bestanden, die von 3.496 deutschen Kindern besucht wurden. Ende November war erst wieder eine einzige, noch dazu einklassige deutsche Volksschule zugelassen,135 Ende Januar 1939 waren es sechs mit ca. 846 Schülern.136 Auch hier wurden bei der Anmeldung Sprachprüfungen veranstaltet und Kinder, die polnisch verstanden oder polnische Namen trugen, gegen ihren Willen polnisch eingeschult. Andere Kinder wurden abgewiesen, weil ihre Eltern die deutsche Volkszugehörigkeit "nicht hinreichend nachgewiesen" hätten. Gründungsversammlungen der deutschen Schulvereine wurden verboten (Karwin und Peterswald). Deutsche Büchereien durften nicht wieder eröffnet werden. Die Staats- und Kommunalbeamten deutscher Volkszugehörigkeit wurden meistens sofort abgebaut, aber auch deutschen Arbeitnehmern in der Wirtschaft wurde eröffnet, daß ihre Weiterbeschäftigung davon abhinge, daß sie nach drei Monaten den Nachweis der Beherrschung der polnischen Sprache erbrächten. In verschiedenen Betrieben, wie z. B. im großen [296] Eisenwerk Trzynietz wurde den Arbeitern der Zutritt nur gegen Vorzeigung eines Ausweises von polnischen Organisationen gestattet. In vielen Fällen wurde deutschen Arbeitern und Angestellten sofort nach der Besetzung oder zum nächstzulässigen Termin gekündigt, besonders wenn sie ihre Kinder nicht zur polnischen Schule anmeldeten. Vor allem wurden leitende deutsche Beamte, Ingenieure und Direktoren entlassen. Schwankenden Verwaltungen wurde der Wunsch des Wojewoden durch Entziehung oder Ausschaltung von Staatsaufträgen, durch Aufbürdung großer Steuerlasten verdeutlicht. In sehr vielen deutschen Betrieben waren sofort bei der Besetzung polnische Zwangsverwalter eingesetzt worden, um deren Zurückziehung noch im Dezember diplomatische Verhandlungen geführt werden mußten. Bei dieser Gelegenheit mußte der stellvertretende Leiter der Westabteilung des polnischen Außenministeriums, Kunicki, zugeben, "daß in der ersten Zeit nach der Machtübernahme durch die Polen in diesem Gebiet Maßnahmen getroffen worden seien, wie sie bei einem normalen Funktionieren des Verwaltungsapparates nicht vorgekommen wären." Aber noch am 20. 12. schien diese "erste Zeit" anzudauern, denn an diesem Tage konnte Kunicki nur der "bestimmten Zuversicht Ausdruck geben, daß in absehbarer Zeit auch im Olsa-Gebiet die Verhältnisse in ein ruhigeres Geleise kommen würden."137 Aber nicht nur die Arbeitsplätze der Olsadeutschen wurden in Frage gestellt, sondern auch deren Pensionsansprüche. Soweit frühere Arbeiter, Angestellte und Beamte bisher von tschechischen Arbeitgebern oder ihren Verbänden bzw. vom Staat oder von den Gemeinden Unterstützungen oder Pensionen erhielten, wurden diese nach der Besetzung nicht mehr gezahlt. Ende Dezember war auch diese Frage erst zum Teil bereinigt worden. Die Lehrer der ehemals staatlichen deutschen Minderheitsschulen wurden zum großen Teil entlassen, ohne [297] ihnen Pensionsansprüche zuzubilligen, da sie die polnische Staatsangehörigkeit nicht erlangt hätten. Letztere wurde nämlich den im Staatsdienst stehenden Personen nur dann verliehen, wenn sie seit dem 1. 11. 1918 ununterbrochen in dem an Polen gefallenen Gebiet gelebt hatten oder wenn sie nachweislich polnische Volkszugehörige waren. Der ununterbrochene Aufenthalt in dem kleinen Olsaland war bei den wenigsten deutschen Beamten oder Lehrern im tschechischen Staatsdienst gegeben, so daß ihnen mit dem Verlust der Stellung und der Pension auch noch die Staatenlosigkeit blühte. Den deutschen Gewerbetreibenden wurde vielfach die Berechtigung zur Ausübung ihres Gewerbes entzogen. Als Folge dieser sofort nach der Besetzung beginnenden z. T. mit Terror verbundenen Entdeutschungsmaßnahmen flüchteten Tausende von Deutschen über die Grenze ins Reichsgebiet. Vielen davon wurde der Grenzübertritt nur gegen schriftlichen Verzicht auf die Rückkehr erlaubt. Bei späteren Verhandlungen wegen der im Jahre 1939 andauernden bzw. sich noch verstärkenden Deutschenentlassungen behaupteten die Polen, die deutschen Arbeiter und Angestellten hätten ihren Arbeitsplatz freiwillig verlassen. Im Januar wurden dann noch 250 deutsche Familien auf Grund des Grenzzonengesetzes ausgewiesen.138 Die Notlage des Olsadeutschtums ging auch aus einer im Dezember 1938 durch Dipl. Ing. Wiesner dem Ministerpräsidenten und dem Wojewoden unterbreiteten Denkschrift von 20 führenden Deutschen dieses Gebietes hervor, die folgende Ansuchen enthielt:
1. Gewährung des Rechtes des freien
Gebrauches der deutschen Sprache.
[298] Aber am besten dürfte wohl Botschafter
Moltke die Sachlage im Olsagebiet charakterisiert haben, als er am 15. 12. 1938
Minister Beck erklärte, daß die dortigen Deutschen "zu der
Auffassung gelangt seien, daß die 20 Jahre tschechischer Herrschaft ein
Paradies gegenüber dem jetzigen Zustand gewesen wären".140
119Swart, Friedrich: Das deutsche Genossenschaftswesen im Posener Lande. S. 39 (erschienen: Leer 1954 unter dem Titel: Diesseits und jenseits der Grenze. Leer 1954). ...zurück... 120Swart, Friedrich: Das deutsche Genossenschaftswesen im Posener Lande. S. 50 (erschienen: Leer 1954 unter dem Titel: Diesseits und jenseits der Grenze. Leer 1954). ...zurück... 121Heidelck, Friedrich: Der Kampf um den deutschen Volksboden im Weichsel- und Wartheland von 1919 bis 1939. S. 538 u. 540; abgeschl. Breslau 1943. ...zurück... 122Ostland. (Hrsg.: Deutscher Ostbund) Jg. XX, S. 364-366, Berlin 1939. ...zurück... 123Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 193, S. 174. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 124Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 137, S. 150; Baden-Baden 1953. ...zurück... 125Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 193, S. 173. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück...
126Osteuropa. Jg. XIV S.
43f; Königsberg 1939; 127Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 53, S. 64-66; Baden-Baden 1953. ...zurück... 128Nation und Staat. Jg. XII, S. 451; Wien 1939. ...zurück... 129Martz, Alfred: in: Der Osten des Warthelandes. S. 127f; Litzmannstadt o. J. (1941). ...zurück... 130Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 53, S. 63-66; Baden-Baden 1953. ...zurück... 131Kroll, C. in: Osteuropa. XIV, S. 89. ...zurück... 132Laeuen, Harald in: Osteuropa. XIV, S. 91. ...zurück... 133Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 66, S. 15; Baden-Baden 1953. ...zurück... 134Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 119, S. 115-117. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 135Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 121, S. 118-120. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 136Ostland. (Hrsg.: Deutscher Ostbund) Jg. XX, S. 58, Berlin 1939. ...zurück... 137Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 123, S. 121. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 138Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 125, S. 122f. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 139Osteuropa. Jg. XIV S. 280; Königsberg 1939. ...zurück...
140Akten zur Deutschen
Auswärtigen Politik 1918-1945.
Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 113, S. 121;
Baden-Baden 1953. ...zurück...
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