III. 2. Weitere Verschärfung trotz Minderheitenerklärung (15. 7. 1937 - 14. 3. 1939) (Teil 2) d) Auswirkungen der Erklärung Diese in keinem Gesetzblatt veröffentlichte Erklärung hing einzig und allein vom guten Willen der Regierungen ab. [273] Um diesen zu unterstreichen, wurden deutscherseits achtzehn polnische Jugendliche in Oppeln aus der Untersuchungshaft entlassen und die gegen sie schwebenden Verfahren niedergeschlagen. Ferner wurde das neu errichtete polnische Gymnasium in Marienwerder genehmigt, so daß es schon am 10. 11. eröffnet werden konnte. Polnischerseits dagegen erfolgte kein besonderer Schritt, obwohl die Reichsregierung in einem Aide-Memoire eine Reihe von Erwartungen über die zukünftige Behandlung der deutschen Minderheit ausgesprochen hatte, die vor allem die Sicherung der Volksgruppe hinsichtlich Agrarreform, Grenzzonenverordnung, Einstellungen und Entlassungen, Schul- und Kirchenwesen, das Verhalten der "Faktoren der öffentlichen Meinungsbildung", Presse und Westverband sowie die in den letzten Jahren gegen Volksdeutsche durchgeführten Strafverfahren politischen Charakters betrafen.93 Lediglich der Verlagsdirektor der Kattowitzer Zeitung und zwei Schriftleiter dieses Blattes, die bereits vier Wochen in Untersuchungshaft gesessen hatten, wurden entlassen und konnten seit dem 19. 11. wieder ihrem Beruf nachgehen. Aber die letzten drei Verhafteten des Kensauer Prozesses wurden nicht so bald freigelassen, und die - als Gegenstück für die völlig neue Schulgründung - in Marienwerder vereinbarte Genehmigung des Weiterbaues der immer wieder durch Bauverbote gehinderten Dürer-Schule in Bromberg und die Wiederzuerkennung der entzogenen Öffentlichkeitsrechte für die Gymnasien in Graudenz und Posen ließen monatelang auf sich warten.94 Längst erbaute deutsche Volksschulgebäude z. B. in Neutomischel bei Posen durften auch jetzt nicht bezogen werden. In Ostoberschlesien wurden reichsdeutsche Pastoren weiterhin ausgewiesen und weitere deutsche Arbeiter entlassen, was dem Polnischen Geschäftsträger in Berlin vom Auswärtigen Amt schon am 25. 11. vorgehalten wurde.95 Den Vorsprachen von Senator Hasbach beim Ministerpräsidenten und [274] von Dr. Kohnert im Innenministerium war kein konkreter Erfolg beschieden. Bezeichnend war die Stellungnahme der polnischen Presse zu der Erklärung. Die Regierungspresse begrüßte zwar das Übereinkommen mit Rücksicht auf das Polentum im Reich, sprach jedoch dem Deutschtum im eigenen Lande das Recht ab, auf Grund desselben "neue Forderungen" zu erheben, da die verkündeten Grundsätze für Polen nichts Neues darstellten. Die oppositionellen Blätter beurteilten fast alle das Abkommen sowohl aus innerpolitischen als auch aus ideologischen Gründen durchaus negativ. Die gesamte Presse meldete für die polnische Minderheit im Reich vor allem auf dem Gebiete des Schulwesens erheblich übertriebene Forderungen an, die nicht von dem tatsächlichen Bedürfnis dieser Volksgruppe ausgingen, sondern die in Warschau, Posen und Kattowitz willkürlich auf Grund der Phantasiezahlen über die Polen im Reich aufgestellt wurden. Da in den auf die Minderheitenerklärung folgenden Wochen noch die deutschen Fischerfamilien von der Halbinsel Hela ausgewiesen wurden und der Westverband seine gegen die deutschen Kaufleute und Handwerker gerichtete Boykottaktion fortsetzte, musste Botschafter von Moltke schon am 11. 12. 1937 dem polnischen Außenminister erklären, daß das Fehlen einer der Deklaration entsprechenden Einstellung Polens sehr enttäuscht habe.96 Die polnische Regierung fand daraufhin in den Parlamentsdebatten des Januar 1938 sehr entschiedene und positive Worte sowohl zur Minderheitenerklärung als auch zur Behandlung der Minderheiten, wie sie sonst polnischerseits nicht gesprochen wurden. Minister Beck bezeichnete die Erklärung als "neues Vorbild", welches gute Bedingungen des Zusammenlebens einer Minderheit mit der Mehrheit garantiere und warnte auch vor "Wellen der Nervosität", die in der Danziger [275] Frage erzeugt würden und die nicht immer von einer polnischen Sorge ausgingen. Vielmehr könne es "sich hier um Versuche handeln, durch Aktionen von außen auf eine Veränderung der Richtung der polnischen Politik Einfluss zu nehmen". Ministerpräsident und Innenminister Slawoj-Skladkowski erklärte, "daß das polnische Volk sich darüber klar sein möge, daß von seinem Verhältnis zu den nationalen Minderheiten in bedeutendem Maße das Schicksal Polens abhänge. Darum müssten alle Erscheinungen des Hasses und der Unduldsamkeit für einen schweren Fehler gehalten werden, der sich früher oder später an Polen rächen könne".97 Daß Polen auch im Krieg auf die Volksgruppen angewiesen sei, strich Kriegsminister Kasprzycki heraus, als er feststellte, daß Polen nicht auf die Soldaten der nationalen Minderheiten verzichte. Und Kultusminister Swietoslawski berief sich am 6. 2. 1938 auf die oben zitierten Ausführungen des Ministerpräsidenten.98 Wenn derartige Worte häufiger von den maßgebenden Männern gesprochen worden wären und diesen Worten wenigstens von der Regierungsseite her die Tat gefolgt wäre, dann hätte das bestimmt für die Volksgruppe positive Folgen gezeitigt. Aber obwohl auch noch die Artikel der Warschauer Regierungsblätter am Vierjahrestag des Nichtangriffspaktes inhaltsreicher und positiver waren als in den vergangenen Jahren und obwohl sogar das Hauptorgan der Nationaldemokraten,"Warszawski Dziennik Narodowy, eine sachliche und leidenschaftslose Stellungnahme zur "deutsch-polnischen Raumgemeinschaft" brachte,99 ließen die Maßnahmen der Behörden keine Änderung der volksgruppenfeindlichen Politik erkennen. Die am 15. Februar 1938 veröffentlichte Namensliste der zur Zwangsparzellierung herangezogenen Besitzer wies für Posen-Westpreußen wieder einen übermäßig starken deutschen [276] Anteil auf. Zwar war der deutsche Hundertsatz nicht mehr so hoch wie im Vorjahre (61% statt 72) - dafür aber war die in diesen Gebieten insgesamt angeforderte Landfläche bedeutend größer, so daß die Volksgruppe statt 20325 ha im Jahre 1937 nun 22254 ha herzugeben hatte, die bisher höchste Landfläche eines Jahres. Dabei war der deutsche Anteil am Landvorrat doch von Jahr zu Jahr kleiner geworden und betrug nunmehr nur noch ca. 25% der in Westpolen der Agrarreform zur Verfügung stehenden Menge. Daß bei der Durchführung der Bodenreform in erster Linie nationalpolitische Überlegungen den Ausschlag gaben, bestätigte Landwirtschaftsminister Poniatowski auf einer Tagung in Westpreußen im Juni 1930.100 Darauf beschränkte sich nicht die Verdrängung der Deutschen vom Boden.
Weiterhin wurden das
Wiederkaufsrecht sowie das Vorkaufsrecht in Anspruch genommen und deutsche
Bauern im Jahre 1938 exmittiert, obwohl in der Minderheitenerklärung
auch der Besitz und der Erwerb von Grundstücken ausdrücklich
einbezogen waren. Die Erleichterungen, die das neue Gesetz über die
Rentengüter am 9. 4. 1938 endlich den Besitzern von
Rentengrundstücken brachte, waren illusorisch, nicht nur, weil sie sich erst
nach dem 1. 7. 1939 auswirken konnten, sondern auch weil der polnische Staat
sich inzwischen durch die Grenzzonengesetzgebung ein Mittel verschafft hatte,
um nicht nur die Rentengüter, sondern beinahe jeden Grund und Boden in
den Grenzwojewodschaften spätestens beim Tode des derzeitigen Besitzers
einziehen zu können.
e) Die deutschen Senatoren zur Lage im März 1938 Bei den Märzdebatten im Senat musste daher Senator Hasbach erklären, daß die Deutschen weiterhin als Bürger minderen Rechts behandelt werden und daß "sich noch täglich Dinge ereignen, die nicht dem Geist und dem Sinn der Erklärung vom 5. 11. entsprechen". Senator Wiesner stellte ebenda [277] "erschüttert fest, daß nach dieser Erklärung die Verhältnisse, unter denen unsere Volksgruppe lebt, und das Verhalten der staatlichen Stellen der Volksgruppe gegenüber nicht nur nicht besser, sondern in vieler Hinsicht schlechter und schärfer geworden sind".101 Allein für Ostoberschlesien war der Erklärung Wiesners zufolge im Jahre 1937 ein Verlust von 1100 Arbeitsstellen zu beklagen (z. T. erst nach dem 5. 11. 37), obwohl in demselben Jahr der Stand der insgesamt beschäftigten Bergarbeiter von 44.500 auf 53.600 und bei Arbeitnehmern in der Eisen- und Hüttenindustrie von 23.400 auf 26.600 gestiegen war. Bei den deutschen Arbeitern aber sei mit einer Arbeitslosigkeit von 60 bis 80% zu rechnen.102 Von den weiteren von den deutschen Senatoren vorgebrachten Klagen waren besonders die in der Schulfrage bemerkenswert. Wiesner konnte nur wenige "Beweise des guten Willens" anführen, wobei es sich nicht einmal um Neubewilligungen handelte, sondern um Zusagen betreffend den Weiterbau der Albrecht-Dürer-Schule in Bromberg und um die Wiedererteilung der Öffentlichkeitsrechte an die Goetheschule in Graudenz. Beide als Gegenleistung für Marienwerder gedachte Zusagen waren aber sogar im Juli 1938 immer noch nicht effektiv geworden.103 Dem gegenüber standen die Nichtzulassung deutscher Kinder zu den deutschen Schulen durch die rein polnisch gewordenen ostoberschlesischen Sprachprüfungskommissionen, die Versetzung deutscher Lehrer und ihre Ersetzung durch polnische, des Deutschen nur unvollkommen mächtige Lehrkräfte, die Schließung der letzten deutschen Lehrerbildungsanstalt in Bielitz, die Verzögerung und Nichtbewilligung von Baugenehmigungen deutscher Privatschulen in West-, Mittelpolen und Wolhynien, die Ablehnung der Eröffnung deutscher Schulneubauten in Westpolen und Wolhynien, die Schließung deutscher privater und öffentlicher Volksschulen in West- und Mittelpolen sowie in Wolhynien, die Verurteilung von [278] Eltern deutscher Kinder, die nicht die polnischen Schulen besuchten, in Ostoberschlesien, Westpolen und Wolhynien und die Verurteilung von deutschen Wanderlehrern sowie Diakonissen wegen "illegalen" Unterrichts in Westpolen. Bei dieser Gelegenheit sei hier angeführt, daß in der ersten Hälfte des Jahres 1938 in Posen-Westpreußen sechs öffentliche deutsche Schulen in polnische umgewandelt und fünf deutsche Privatschulen geschlossen wurden (Neutomischel, Ostburg, Dominowo, Karmin und Stralkowo). Die Eröffnung von Schulneubauten in Neutomischel, Klenka und Lettberg (Dednogora) wurde nicht genehmigt. In Mittelpolen war dem Leiter und vier Lehrkräften der 7-klassigen Volksschule in Sompolno die Genehmigung schon im Sommer 1937 entzogen worden. Nach dem 5. 11. 1937 wurde sie nur einer Lehrerin wieder gewährt. Der geplante Neubau einer 4-klassigen Volksschule in Leonberg, Kreis Costynin wurde nicht genehmigt, die Räumlichkeiten der Privatschule in Ciosny, Kreis Brzeziny, wurden geschlossen und die der in Wysoka beanstandet. In Wolhynien ergingen die behördlichen Schließungsanordnungen an die Privatschulen in Luzk, Cezaryn, Jozefin und Dombrowa. Dabei bestand die in Luzk seit 1929 und zählte 1937 190 Kinder. Die seit 1935 bzw. 1936 errichteten Schulneubauten in Topcza und Neudorf erhielten keine Eröffnungsgenehmigung, obwohl 80 bzw. 100 Kinder auf diese warteten. Der das staatliche Bielitzer Gymnasium betreffende Schließungsbeschluss war am 23. 3. 1938 gefasst worden. Dem Königshütter Eichendorff-Gymnasium waren die zugesprochenen Öffentlichkeitsrechte wieder aberkannt worden. Die Wiedererlangung derselben erforderte längere Zeit sowie mehrere sowohl inner-, als auch zwischenstaatliche Bemühungen.104 Bei den Schulanmeldungen für die ostoberschlesischen Minderheitsschulen wurde im Frühjahr 1938 rund die Hälfte der für diese Schulen angemeldeten Kinder von den Sprachprüfungskommissionen [279] abgelehnt.105 In Simianowitz wurde der Schulverein sogar zur Schließung des Kindergartens gezwungen.
Die Minderheitenerklärung war also auch in Bezug auf das Schulwesen von
Polen alles andere denn erfüllt worden.
f) Deutschfeindliche Propaganda im Frühjahr 1938 Es nimmt daher nicht wunder, daß der Westverband vom 31. 3. bis 6. 4. 1938 seine alljährliche Propagandawoche, die diesmal unter dem Motto "Das Grenzland, der Panzer der Republik" stand, mit gewohntem Elan abhielt. In seinen Entschließungen wurde nicht nur wie gewöhnlich gegen das Deutschtum, besonders das westpreußische, Stellung genommen und wurden erneut Boykottaktionen ausgelöst, sondern auch Ausfälle gegen das Reich gemacht und die "Rückgliederung" des Masuren- und des Ermlandes, der "vom Mutterland getrennten Gebieten", verlangt. Abschließend (vom 7. - 13. 4.) hielt die "See- und Kolonialliga" in Warschau eine Tagung unter der Losung "Wir fordern Kolonien für Polen" ab und erhob Ansprüche auf ehemals deutsche Kolonien, besonders auf Kamerun, das Polen in dessen Eigenschaft als Nachfolgestaat des Deutschen Kaiserreiches zustünde. Bei keiner dieser Veranstaltungen ließ man sich dadurch stören, daß vom 4. - 6. 4. in Warschau Presseverhandlungen auf Grund des deutsch-polnischen Presseabkommens geführt wurden, bei denen alle Mittel der öffentlichen Meinungsbildung erörtert wurden und in denen laut amtlichem Bericht der beiderseitige "aufrichtige Wille" zu Tage trat, "alles dafür einzusetzen, damit das Werk wechselseitiger Befriedung" im Geiste des Nichtangriffspaktes und der Minderheitenerklärung "gefördert wird".106 Als Beweis dafür könnte man polnischerseits höchstens anführen, daß Ende April 1938 in Warschau eine durchaus beachtete und meistens beifällig aufgenommene Plastikausstellung aus dem Reich zugelassen wurde. Als aber einige [280] Wochen später die erste umfassende Ausstellung der bildenden Künstler des Deutschtums in Polen (Maler, Plastiker und Graphiker) als Wanderausstellung in Kattowitz eröffnet und in verschiedenen anderen Städten Polens gezeigt wurde, konnten sich polnische Journalisten sogar des Regierungslagers nicht über das "unerhörte Entgegenkommen" der Regierung der deutschen Minderheit gegenüber beruhigen. Daher wohl untersagten die Behörden in demselben Monat ein Gastspiel des (Deutsch-) Oberschlesischen Landestheaters in Rybnik wegen angeblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und verweigerten dem bekannten deutschen Sänger Watzke die Einreise nach Lodz.107 Die laufenden Angriffe der deutschfeindlichen Organisationen und der polnischen Presse auf das Deutschtum waren im März 1938 - wie schon im März 1936 durch die Remilitarisierung des Rheinlandes - diesmal durch den Anschluss Österreichs genährt worden. Die polnische Regierung, die hinter dem Paktpartner nicht zurückstehen wollte, stellte am 17. 3. 1938 ein Ultimatum an Litauen und zwang dieses zur Aufnahme der bisher wegen der seit 1920 im polnischen Besitz befindlichen "litauischen Hauptstadt" Wilna verweigerten diplomatischen Beziehungen.
Der nationalen Opposition erschien dieser Prestigeerfolg kein
ausreichendes Äquivalent für die Erstarkung des Paktpartners zu
sein, und so wurde die Unzufriedenheit über die angeblich große
Nachsicht der Regierung Deutschland und dem Deutschtum gegenüber
immer mehr geschürt. Der am 5. 5. 1938 von Senator Hasbach dem
Ministerpräsidenten unterbreitete Plan einer Gesamtorganisation, die
Beantragung der Genehmigung des "Bundes der Deutschen in Polen",
zog die Angriffe der Presse wieder auf die Volksgruppe.
[281] g) Die Beschwerde des Polenbundes und die Frage der Gegenseitigkeit In ein wahres Kreuzfeuer von Presse-, Versammlungs- und Parlamentarierangriffen, das sogar Minister Beck zuviel wurde,108 geriet aber das Deutschtum, als der Polenbund am 2. Juni eine große Beschwerde über die Behandlung der polnischen Minderheit beim Reichsinnenminister einreichte. Scharfe "Vergeltungsmaßnahmen" wurden gefordert, polnische Abgeordnete verlangten in Interpellationen, daß sich die Regierung der "tragischen Lage des Polentums im Reich" annehmen und alle deutschen Organisationen in Polen auflösen solle. Dabei wurde die Eingabe des Polenbundes gleich darauf eingehend von der Reichsregierung geprüft und die Bereitschaft erklärt, berechtigte Wünsche der polnischen Volksgruppe zu erfüllen. Die Polenbundführer wurden schon am 24. 6. bei dem Reichsinnenminister und am 12. 7. im Reichsunterrichtsministerium empfangen, wo der Beschwerde gleich in mehreren Punkten abgeholfen wurde.109 Zur Sache selbst fiel es der deutschen Presse in Polen nicht schwer, eine Gegenrechnung aufzumachen, um so mehr als in dieser Zeit sogar der Völkerbundkommissar in Danzig, Professor Burckhardt, berichten musste, daß "ein besonders scharfes Vorgehen der polnischen Behörden gegen die deutsche Minderheit in der verschiedensten Richtung hin festzustellen sei".110 So versagte z. B. der Polenbund die Neuerrichtung von fünf polnischen Schulen, obwohl die bisherigen durchschnittlich kaum von 25 Kindern besucht wurden. Dagegen konnte die deutsche Volksgruppe trotz der überfüllten deutschen Schulen in Polen und trotz des Vorhandenseins so vieler deutscher Kinder, die zu den bereits tätigen oder zumindest errichteten deutschen Schulen nicht zugelassen wurden, überhaupt nicht mehr mit einer Erweiterung ihres Schulnetzes [282] rechnen, sondern bemühte sich nun erfolglos um die Wiedereröffnung der in der letzten Zeit geschlossenen zehn Schulen. Die Polen im Reich beklagten sich, daß polnischen Staatsangehörigen die Unterrichtserlaubnis entzogen worden sei. Dabei hatte u. a. noch ein polnischer Staatsbeamter, der Visitator Kozanecki, der zu Beginn der Berichtszeit vom Posener Schulkuratorium aus die deutschen Schulen dieser Wojewodschaft visitierte und diesen dabei alle nur möglichen Schwierigkeiten in den Weg legte, die Leitung des Beuthener polnischen Gymnasiums übernehmen können, wogegen in Polen Reichsdeutsche schon seit den 20er Jahren nicht mehr unterrichten durften. Auf wirtschaftlichem Gebiet hatte sich der Polenbund über eine angebliche Benachteiligung des Genossenschaftswesens beklagt. Was für Schmerzen die Polen in dieser Hinsicht hatten, war schon aus der im Juli 1937 beim Reichskanzler übergebenen Polenbundbeschwerde hervorgegangen, in der darüber Klage geführt wurde, daß polnische Banken und Genossenschaften sich bei Versteigerungen ländlicher Grundstücke nicht beteiligen durften.111 Daß in Polen nicht einmal deutsche Landwirte auf gewöhnlichem Wege von Deutschen Grund und Boden erwerben konnten, schien dem Polenbund nicht bekannt zu sein. Übrigens mussten die Polenbundsprecher dem Reichsinnenminister gegenüber zugeben, "daß sie auf wirtschaftlichem Gebiete keinerlei Anlass zu Klagen hätten".112 Demgegenüber hielt die Verdrängung der Deutschen in Polen vom Boden und vom Arbeitsplatz weiterhin an, wie im Teil II ausführlich geschildert wurde. Weder bei den Auflassungsverweigerungen noch bei der Handhabung des Grenzzonengesetzes war bei den Deutschen die geringste Erleichterung zu spüren. Im Gegenteil, bei der Agrarreform war doch nach der Minderheitenerklärung die bisher absolut höchste Landfläche von deutschen [283] Besitzern angefordert worden. Auf diplomatische Vorstellungen hin hatte sich sogar Minister Beck den die Verelendung der Volksgruppe bedeutenden Standpunkt des Westverbandes zu eigen gemacht, daß der deutsche Anteil am Grundbesitz dem Prozentsatz der deutschen Bevölkerung angeglichen werden müsse.113 Die Deutschenentlassungen in Ostoberschlesien waren unbekümmert weitergeführt worden. Jetzt war noch die Verweigerung von Grenzausweisen an die mittlerweile in Deutsch-Oberschlesien beschäftigten Grenzgänger dazugekommen. Im Reich hatten aber gleichzeitig (im Sommer 1938) nicht nur sämtliche dort lebenden Polen ihre Existenz, sondern auch noch viele Ostoberschlesier (auch polnischer Nationalität, sogar Aufständische) als Grenzgänger und darüber hinaus noch 60000 Saisonarbeiter aus Polen Verdienst gefunden. Letztere konnten sogar nach polnischen Zeitungsangaben 9 bis 12 Millionen RM Ersparnisse nach Hause zurückbringen, da die Verrechnung über den deutschen Kapitalbesitz in Polen erfolgte.114 Daher hatten sich auch, wie schon vor dem 1. Weltkrieg und in den zwanziger Jahren, viele Polen zur Saisonarbeit ins Reich gedrängt. Von den vielen deutschen arbeitslosen Landarbeitern aus Mittelpolen, die früher stets bei den "Sachsengängern" gewesen waren, wurden diesmal aber von den polnischen Behörden nur wenige, und das erst nach Überwindung größter Schwierigkeiten, zu diesem Verdienst zugelassen. Die Polen führten ferner Beschwerde gegen die Einbeziehung polnischer Bauern in das Erbhofrecht und gegen die Zugehörigkeit zu den ständischen Gliederungen und zum Arbeitsdienst. Dabei waren sie schon auf Grund eines Entscheides des Reichsinnenministers von der Zuständigkeit des Staatsjugendgesetzes und von der Pflicht, der Arbeitsfront anzugehören, ausgenommen worden,115 sie genossen also bereits [284] gewisse Sonderrechte im totalen Staat und glaubten, weitere beanspruchen zu können. Den Deutschen in Polen war aber schon der Anspruch auf die in der Verfassung verbrieften Rechte als eine Forderung nach "Sonderrechten" verübelt worden, auf die man gar nicht einzugehen brauchte. Schließlich hatte der Polenbund u. a. in allgemeinen Wendungen von Beleidigungen, Überfällen und Misshandlungen von Polen geschrieben, so als ob dies an der Tagesordnung wäre. Dabei hatten sich die vielen Meldungen der sich darin spezialisierenden Polska Zachodnia und der Polonia über angebliche Terrorfälle im Reich hinterher fast immer als Falschmeldungen herausgestellt. Z. T. hätte sich sogar die amtliche Polnische Telegrafenagentur (PAT) berichtigen müssen, da man polnischerseits zu leicht geneigt war, alle Reibereien im dörflichen Zusammenleben als politische Aktionen hinzustellen.116 Das Deutschtum in Polen hatte dagegen genügend Ausschreitungen ausgesprochen politischer Natur (Graudenz, Lodz, Rydultau, Gdingen, Ostrowo u. a.) erlebt und sollte sie im laufenden Jahr noch mehr kennen lernen. In denselben Tagen, in denen die deutschen Senatoren in Warschau erschüttert die Verschlechterung der Lage der Volksgruppe nach der Minderheitenerklärung feststellen mussten, konnte der Polenbundführer Dr. Kaczmarek im "Theater des Volkes" in Berlin am 6. 3. 1938 auf einer großen Polenkundgebung anlässlich der 15-Jahrfeier des Bundes stolz und siegesbewusst erklären: "Wir haben ein Werk geschaffen, das bisher keine Minderheit vollbracht hat... Wir haben das Organisationsleben gerettet und alle Organisationen weiter entwickelt. Aber das ist erst der Anfang...".117 Die Frage der "Minderheitspolitik auf Gegenseitigkeit", die schon während der Verhandlungen um die Minderheitenerklärung von polnischen Zeitungen in Polen aufgeworfen [285] worden war und die in der Diskussion um die Polenbund-Beschwerde wiederkehrte, wurde von der deutschen Volksgruppe abgelehnt, nicht nur wegen der numerischen Verschiedenheit bei den Volksgruppen, wegen der verschiedenartigen Struktur und der unterschiedlichen kulturellen Bedürfnisse, sondern auch wegen der dann evtl. auftretenden unerfreulichen Verquickungen. Es würde dann darauf ankommen, welcher Staat den längeren Atem habe. Außerdem hatten es doch die Polen ihren Minderheiten immer besonders verübelt, wenn diese gezwungenermaßen ihre Beschwerden nach außen - zum Völkerbund - getragen hatten. Jetzt verlangten sie indirekt, daß die Politik der polnischen Volksgruppe im Reich vom polnischen Staat zu besorgen sei. Das Gegenstück dazu würden sie aber den Deutschen in ihrem Lande nie zugestehen. Diese waren schließlich selber der Überzeugung, daß es sich bei der Wahrung ihres Lebensrechtes um eine innenpolitische Frage handelt. Daher wurden die Sprecher der deutschen Volksgruppe nicht müde, deren Sorgen immer wieder der polnischen Staatsführung vorzutragen. So überreichte Senator Wiesner dem Ministerpräsidenten Mitte August 1938 erneut eine Denkschrift, in der er die Benachteiligung der Deutschen auf allen Lebensgebieten, u. a. auf Grund des Grenzzonengesetzes nachwies. Daß diese unwiderlegbaren Feststellungen der Regierung sehr peinlich waren, ist daraus zu ersehen, daß alle deutschen Zeitungen, die den Inhalt dieser Denkschrift brachten, beschlagnahmt wurden.
In einer weiteren, Anfang
September überreichten Eingabe erbrachte Wiesner Beweise dafür,
daß Deutschen systematisch die Konzessionen für den Verkauf von
Monopolartikeln entzogen und daher die Lebensmöglichkeit des
Deutschtums auch auf diesem Gebiet eingeschränkt wurden.
Verhängnisvoll für die Volksgruppe war ja der Umstand, daß
für Deutsche, die ihre bisherige
Existenz - sei es durch Entzug des Bodens, sei es durch Verlust des
[286]
Arbeitsplatzes - verloren, keine anderen Arbeits- oder
Berufsmöglichkeiten vorhanden waren. Der Kampf um den Arbeitsplatz
war in Polen überall groß, wenn sich auch z. T. seit 1934, z. T. seit
1936 dank des Ausbaues der polnischen Rüstungsindustrie eine beachtliche
Belebung bemerkbar machte. Aber bei der sich immer mehr steigernden
deutschfeindlichen Stimmung in der Berichtszeit war es für Deutsche
schon so gut wie ausgeschlossen, zu neuen Arbeitsplätzen zu gelangen.118
93Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 104, S. 104. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 94Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 111, S. 109, und Dok. 115, S.112. ...zurück... 95Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 23, S. 26; Baden-Baden 1953. ...zurück... 96Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 109, S. 107. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 97Nation und Staat. Jg. XI, S. 325; Wien 1938. ...zurück... 98Osteuropa. Jg. XIII S. 415 u. 547; Königsberg 1938. ...zurück... 99Nation und Staat. Jg. XI, S. 325ff; Wien 1938. ...zurück... 100Osteuropa. Jg. XIV S. 200; Königsberg 1939. ...zurück... 101Osteuropa. Jg. XIII S. 547ff; Königsberg 1938. ...zurück... 102Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 113, S. 110. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 103Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 48, S. 54f; Baden-Baden 1953. ...zurück...
104Osteuropa. Jg. XIII S.
550f; Königsberg 1938; 105Kredel, O., in: Volk und Reich. Jg. XV. S. 586; Berlin 1939. ...zurück... 106Osteuropa. Jg. XIII S. 541; Königsberg 1938. ...zurück... 107Nation und Staat. Jg. XI, S. 545; Wien 1938. ...zurück... 108Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 48, S. 55; Baden-Baden 1953. ...zurück... 109Osteuropa. Jg. XIII S. 764; Königsberg 1938. ...zurück... 110Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 49, S. 58; Baden-Baden 1953. ...zurück... 111Perdelwitz, Richard: "5 Jahre deutsch-polnischer Pakt." S. 172, in: Grenzmärkische Heimatblätter. XVI. Jg. S. 151-188; Schneidemühl 1940. ...zurück... 112Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945. Serie D (1937-1945) Band V (Akten V) Dok. 44, S. 49; Baden-Baden 1953. ...zurück... 113Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges. Nr. 2 (DWB II) Dok. 160, S. 145. Hrsg. vom Auswärtigen Amt; Berlin 1939. ...zurück... 114Osteuropa. Jg. XIV S. 194; Königsberg 1939. ...zurück... 115Breyer, Richard: Die deutsch-polnischen Beziehungen und die deutsche Volksgruppe in Polen 1932-1937. S. 310; Diss. Göttingen 1952. ...zurück... 116Nation und Staat. Jg. XI, S. 623ff; Wien 1938. ...zurück... 117Breyer, Richard: Die deutsch-polnischen Beziehungen und die deutsche Volksgruppe in Polen 1932-1937. S. 356; Diss. Göttingen 1952. ...zurück...
118Osteuropa. Jg. XIV
Königsberg 1939 S. 45% [??? Angabe im Original fehlerhaft; Scriptorium] ...zurück...
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