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Erstes Kapitel   (Forts.)
Entwicklung der Deutsch-Polnischen Beziehungen

B. Deutschlands Bemühen
um eine Verständigung mit Polen, 1933 bis 1939

Anm. d. Scriptorium:
Eine noch mehr ins Einzelne gehende Dokumentation der Lage der Volksdeutschen in Polen als die in diesen Kapiteln gegebene finden Sie in dem Buch Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-39.
IX. Fortsetzung der Enteignung Deutschen Grundbesitzes
in Nichtachtung der Minderheitenerklärung
(Februar 1938 bis Februar 1939)

Nr. 156
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm

Warschau, den 16. Februar 1938

Soweit aus bisher vorliegendem Material festzustellen, ergibt Namensliste für Agrarreform,95 daß in diesem Jahr 22.800 ha aus deutscher Hand enteignet werden gegenüber 21.100 ha im vorigen Jahr. Allerdings sind die Enteignungen aus polnischer Hand in diesem Jahr mit 13.500 ha höher als die vorjährigen mit 6.100 ha, so daß der Prozentsatz des deutschen Anteils sich von etwa 75 Prozent im vorigen Jahr auf etwa 64 Prozent in diesem Jahr verbessert hat; er liegt aber immer noch wesentlich über dem nur etwa 30 Prozent betragenden deutschen Anteil an dem der Agrarreform unterliegenden Gesamtareal. Mithin ist bedauerlicherweise festzustellen, daß auch die Minderheitenerklärung, die hinsichtlich des Grundbesitzes Gleichstellung zusichert, sich auf Durchführung der Agrarreform nicht ausgewirkt hat, obwohl unsererseits seinerzeit ausdrücklich auf diese Zusammenhänge hingewiesen wurde.96

Moltke




Nr. 157
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Bericht
Posen, den 22. Februar 1938

Nachdem bereits im vorigen Jahre der deutsche Besitz übermäßig stark, im Gegensatz zum polnischen Besitz, zur Agrarreform herangezogen worden war, hatten die maßgeblichen deutschen Kreise die Hoffnung gehegt, daß ihr Besitz in diesem Jahr geschont werden würde. Sie fühlten sich zu dieser Hoffnung umsomehr berechtigt, als sie glaubten, daß die am 5. 11. 1937 abgegebene Minderheitenerklärung nun endlich Früchte tragen würde. Die jetzt veröffentlichten Namenslisten haben aber alle ihre Hoffnungen zunichte gemacht. Nach einer an den Polnischen Ministerpräsidenten gerichteten Eingabe des Senators Hasbach entfallen nämlich von der gesamten Fläche, die in den Woiwodschaften Posen und Pommerellen zur Zwangsparzellierung herangezogen wird,

    auf Deutsche     22,254 ha,
    auf Polen 13,945 ha.
[143] Seit Bestehen des Agrarreformgesetzes sind bisher insgesamt zur Zwangsparzellierung angefordert worden:

    von Deutschen     109,912 ha = 66%,
    von Polen 55,714 ha = 34%.
Im Jahre 1925, d. h. zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Agrarreformgesetzes waren vom gesamten der Agrarreform unterliegenden Besitz

    in polnischen Händen     729,750 ha,
    in deutschen Händen 513,770 ha.
Von dieser Gesamtfläche entfallen auf Landvorrat97

    in polnischen Händen     411,810 ha,
    in deutschen Händen 261,260 ha.
Diese Flächen verhalten sich also in Prozentzahlen gerechnet wie 62 : 38.

Bei einer gerechten Handhabung der Agrarreform hätten vom privaten Grundbesitz also auch nur in diesem Prozentverhältnis Deutsche und Polen zur Zwangsparzellierung herangezogen werden dürfen. Von den Polen wurden jedoch nur 55,714 ha, von den Deutschen dagegen 109,912 ha auf den Namenslisten angefordert. Diese Ziffern verhalten sich aber gerade im umgekehrten Verhältnis zur Besitzfläche. Es sind vom polnischen Besitz statt 62% nur 39%, vom deutschen dagegen 61% statt 38% zur Zwangsparzellierung angefordert worden.

Darüber hinaus weist Senator Hasbach auf eine weitere schwerwiegende Sorge der deutschen Minderheit hin. Obwohl der deutsche Grundbesitz ungerechtfertigt stark zur Agrarreform herangezogen wurde und damit der Lebensraum der deutschen Minderheit eine ungeheure Einschränkung erfuhr, ist auf den neugebildeten Bauernwirtschaften die deutsche Minderheit fast gar nicht angesetzt worden. Nach vorliegendem Material ist noch nicht einmal 1% der zur Agrarreform herangezogenen Fläche der deutschen Minderheit zugute gekommen, da die Landkommissare in den Woiwodschaften Posen und Pommerellen die Ansetzung von Angehörigen der deutschen Minderheit fast grundsätzlich ablehnen.

Die vom Senator Hasbach angeführten Tatsachen lassen es begreiflich erscheinen, daß sich bei den Deutschen Bestürzung und Hoffnungslosigkeit bemerkbar machen. Aus dem Vorgehen der Polen geht ohne irgendeine Vertuschungsabsicht klar hervor, daß für sie die Minderheitenabmachungen nicht gelten, sondern daß sie den unerbittlichen Grundsatz verfolgen, das Deutschtum trotz aller Versprechungen und Beteuerungen zu vernichten. Nimmt man zu dieser Agrarreform noch die Schikanen des Grenzzonengesetzes und die in der letzten Zeit erfolgten Aufenthaltsverweigerungen hinzu, so kann man gut verstehen, daß die Deutschen jede Hoffnung, ihre Lage hier erträglich zu gestalten, aufgeben müssen.

Walther



[144]
Nr. 158
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts
an den Deutschen Botschafter in Warschau

Telegramm
Berlin, den 22. Februar 1938

Namensliste vom 15. Februar hat hier größtes Befremden hervorgerufen, da in Woiwodschaften Posen und Pommerellen deutscher Besitz wiederum unverhältnismäßig stärker als polnischer zur Zwangsparzellierung herangezogen wird.

Ich bitte deshalb, Außenminister unser stärkstes Befremden über diese neuen Maßnahmen auszusprechen, die mit deutsch-polnischer Minderheitenerklärung nicht in Einklang ständen. Deutsche Regierung sei über Verletzung Minderheitenerklärung besonders verwundert, weil Sie im Verlaufe Ihrer Besprechungen mit Polnischem Außenminister über Formulierung und Bedeutung dieser Erklärung wiederholt ausdrücklich und unwidersprochen darauf hingewiesen hätten, daß künftige Anwendung der Agrarreform zu Entdeutschungszwecken mit Erklärung nicht vereinbar sei.98

Mackensen




Nr. 159
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Berlin, den 25. Februar 1938

Die letzte Veröffentlichung der Namensliste, nach der wiederum viele deutsche Güter enteignet wurden und in der auch wieder die stärkere Heranziehung des deutschen Besitzes gegenüber dem polnischen klar zu Tage tritt, wird hier für ein schweres Unglück angesehen. Die Stimmung unter den Deutschen ist infolgedessen auch hoffnungslos und verzweifelt. Sie wissen nicht ein und nicht aus, und nirgends sehen sie einen Hoffnungsschimmer. Die Entschädigung, die bezahlt wird, ist nichts weiter wie eine Verschleierung der Wegnahme. Güter, die guten und besseren Boden haben und die infolgedessen für einen Morgen Land einen Durchschnittswert von 250 Zloty berechnen, erhalten durchschnittlich nur 60 Zloty pro Morgen, also rund 25%, und auch diese Entschädigung wird nicht in bar, sondern zum allergrößten Teil mit Staatsobligationen bezahlt, die an der Börse nur einen Wert von 50% haben.

Unter diesen Umständen ist es nur zu begreiflich, daß die deutschen Volksgenossen, die unter der Herrschaft des Minderheitenabkommens eine bessere Zukunft erwarteten und nun wieder so unverständlich hart angefaßt werden, sich in dumpfer Verzweiflung nach Hilfe umschauen. Sie sind enttäuscht, daß die deutsche Presse keine Notiz von ihrem Leid nimmt und sich nicht in ihre Lage versetzt. Nirgends lesen sie in den Zeitungen eine gerechte und ungeschminkte Würdigung des Geschehenen. Nur völlig unzureichend wird ihr Schicksal gestreift und das Ungeheuerliche des Vertragsbruches ausgewertet. Die Deutschen sehen mit Grauen und mit dem Gefühl absoluten Verlassenseins ihrem Untergang entgegen.

von Küchler



[145]
Nr. 160
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 8. März 1938

Wie bereits gemeldet, habe ich die mit dortigem Telegramm angeordnete Demarche99 in Sachen der Agrarreform erst am 4. d. M. abends, also unmittelbar vor der Abreise des Außenministers Beck nach Rom, ausführen können. Ich habe hierbei das in dem Bericht des Generalkonsulats Posen vom 22. Februar100 enthaltene Zahlenmaterial weisungsgemäß verwertet, das meines Erachtens unwiderlegbar die Schlechterstellung der deutschen Minderheit beweist. Ich habe des weiteren ausgeführt, daß bei Neuansiedlungen sowohl wie bei Anliegersiedlungen die deutschen Bauern planmäßig ausgeschlossen werden und daß die Handhabung der Grenzzonenverordnung durch fast restlose Ablehnung der bei jedem Eigentumswechsel erforderlichen Genehmigung - auch wenn es sich um Erbübergang von Vater auf Sohn handelt - zu einer Maßnahme der Entdeutschung geworden ist. Schließlich habe ich unter Fortführung einer früheren Unterhaltung Herrn Beck auch noch Material über die Arbeitslosigkeit in Oberschlesien mitgeteilt, um zu beweisen, daß das deutsche Element wirtschaftlich überall und in jeder Hinsicht zurückgesetzt wird.

Herr Beck bestritt, daß auf irgendeinem Gebiet eine unfreundliche Tendenz gegenüber der deutschen Minderheit vorhanden sei und berief sich erneut auf Weisungen, die in dieser Hinsicht von dem Ministerpräsidenten gegeben worden seien. Zu dem von mir vorgelegten Zahlenmaterial über die Agrarreform führte Herr Beck folgendes aus: Zunächst einmal sei das Ziel des Agrarreformgesetzes, den gesamten landwirtschaftlichen Großgrundbesitz in Polen auf die im Gesetze vorgesehene Größe herunterzudrücken. Dieses Ziel würde fortan in einem schnelleren Tempo verfolgt werden als bisher, so daß es voraussichtlich schon in ganz wenigen Jahren restlos erreicht sein werde. Die Frage der Reihenfolge spiele infolgedessen keine sehr große Rolle mehr, da in sehr kurzer Zeit sowieso alle Grundbesitzer, ob Polen oder Deutsche, von der Agrarreform erfaßt sein würden. Zweitens verwies Herr Beck auf die freiwilligen Parzellierungen, die in verhältnismäßig großem Umfange seitens der polnischen Eigentümer durchgeführt worden seien und fast gar nicht von deutscher Seite. Schließlich machte Herr Beck geltend, daß der Großgrundbesitz sich zu 30% in deutscher Hand befinde, während der deutsche Bevölkerungsanteil in den fraglichen Provinzen wesentlich geringer sei. Als ich Herrn Beck darauf hinwies, daß er hiermit ein rein politisches Moment in die Frage der Agrarreform einschalte, erklärte er, es handele sich nicht um ein politisches, sondern um ein rein soziales Moment, insofern als das Agrarreformgesetz die Aufgabe stelle, zunächst einmal den übermäßig großen Besitz zu zerschlagen und der bäuerlichen Hand zuzuführen. Nun befänden sich aber gerade die größten landwirtschaftlichen Betriebe in deutscher Hand, und so sei die stärkere Heranziehung des deutschen Grundbesitzes vollkommen im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen und den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit.

Die Beckschen Argumente sind, und ich habe das nachdrücklichst zum Ausdruck gebracht, in keiner Weise stichhaltig. Was zunächst die Behauptung anbetrifft, daß die Agrarreform in wenigen Jahren restlos durchgeführt sein [146] werde, so wird, auch wenn den Wünschen des Landwirtschaftsministers Poniatowski entsprechend das Tempo der Durchführung wesentlich beschleunigt werden sollte, schon aus finanziellen Gründen noch eine recht erhebliche Zeitspanne notwendig sein. Abgesehen hiervon aber ist noch keineswegs zu übersehen, ob bei der ständig wachsenden Opposition gegen die Agrarreform die Parzellierung überhaupt bis zu Ende durchgeführt werden wird. Jedenfalls liegt aber nicht die geringste Berechtigung vor, die deutschen Grundbesitzer in der Reihenfolge an die erste Stelle zu setzen. Was die freiwilligen Parzellierungen anbetrifft, so sind dieselben nach den uns vorliegenden Zahlenangaben nicht so erheblich, daß sie das für die deutsche Minderheit ungünstige Bild verändern könnten. Auch die Behauptung, daß gerade die größten landwirtschaftlichen Betriebe sich in deutscher Hand befänden, ist völlig unzutreffend. Vielmehr sind die großen deutschen Besitze längst enteignet und in allen Größenklassen überwiegt jetzt der polnische Grundbesitz.

Herr Beck, der sein Zahlenmaterial nicht zur Hand hatte, machte schließlich den Vorschlag, die Besprechung nach seiner Rückkehr aus Rom noch einmal wieder aufzunehmen, da ihm daran liege, daß keine Mißverständnisse zurückblieben. Ich habe mich damit einverstanden erklärt und darf nach der weiteren Besprechung erneut berichten.101

von Moltke




Nr. 161
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts
an den Deutschen Botschafter in Warschau

Erlaß
Berlin, den 9. November 1938

Wie der Botschaft bekannt ist, sind die zuständigen polnischen Stellen seit einiger Zeit mit den Vorarbeiten zu der im Februar nächsten Jahres erscheinenden Namens- und Jahresliste für die weitere Durchführung der Agrarreform befaßt. Um nach Möglichkeit zu verhüten, daß durch diese neuen Listen der Grundbesitz der deutschen Volksgruppe in Westpolen wie in den Vorjahren in weitaus stärkerem Umfange als nationalpolnischer Besitz zur Parzellierung herangezogen wird, erscheint es dringend geboten, schon jetzt der Polnischen Regierung gegenüber unsere bestimmte Erwartung zum Ausdruck zu bringen, daß durch die neue Liste Grundbesitz der deutschen Volksgruppe in den polnischen Westprovinzen, im Gegensatz zur bisherigen Praxis, lediglich entsprechend dem Anteil des in deutscher Hand befindlichen Besitzes an dem der Agrarreform unterliegenden Gesamtgrundbesitz zur Landabgabe herangezogen wird.

[147] Ich bitte, beim dortigen Außenministerium tunlichst umgehend in diesem Sinne vorstellig zu werden und sich dabei insbesondere auf Ziffer 5 der Minderheitenerklärung vom 5. November 1937 zu berufen, die uns - wie der Polnischen Regierung gegenüber im Verlauf der Verhandlungen über diese Erklärung wiederholt ausdrücklich und unwidersprochen zum Ausdruck gebracht worden sei (z. B. vgl. Drahtbericht vom 26. 8. 1937)102 - gerade gegen unterschiedliche Behandlung der Volksdeutschen bei der Agrarreform schützen sollte. Ich bitte, dabei ferner auszuführen, die Deutsche Regierung erwarte bestimmt, daß die Polnische Regierung der Tatsache, daß der Besitz der deutschen Volksgruppe bisher wesentlich stärker von der Agrarreform erfaßt worden sei als der nationalpolnische, bei der Aufstellung der Namensliste für 1939 gebührend Rechnung tragen werde.

Für einen Bericht über das Veranlaßte sowie das Ergebnis der dortigen Demarche wäre ich dankbar.

Weizsäcker




Nr. 162
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 22. November 1938

Die mir aufgetragene Demarche wegen der weiteren Durchführung der Agrarreform ist bei Ministerialdirektor Graf Łubieński, dem Kabinettschef des Außenministers, ausgeführt worden. Bereits im März d. J. nach Veröffentlichung der letzten Namensliste war dieser Fragenkomplex mit dem Grafen Łubieński besprochen worden, der sich bereit erklärte, die Frage der Benachteiligung des deutschen Grundbesitzes beim Polnischen Agrarminister zur Sprache zu bringen. Graf Łubieński hat nunmehr wieder erklärt, daß mit der Durchführung der Bodenreform in keinem Fall eine Benachteiligung des deutschen Grundbesitzes beabsichtigt sei. Die Listen würden ohne Ansehung der Nationalität der Besitzer nach rein sachlichen Gesichtspunkten aufgestellt.

Dem Grafen Łubieński ist erwidert worden, daß die Art und Weise, wie bisher die Bodenreform in Polen gehandhabt worden sei, auf deutscher Seite den berechtigten Eindruck erweckt habe, daß es sich in erster Linie um eine großzügige Entdeutschungspolitik handele. Maßgebend für die Beurteilung müsse die Tatsache sein, daß der deutsche Besitz im Verhältnis mehr als doppelt so stark zur Bodenreform herangezogen worden sei als der polnische. Die Veröffentlichung der Namensliste im Februar d. J. habe in der deutschen Öffentlichkeit eine um so stärkere Empörung ausgelöst, als man unbedingt auf Grund der Minderheitenerklärung eine gerechtere Handhabung hätte erwarten dürfen. Falls der Agrarminister für unsere Auffassung kein Verständnis zeige und mit seiner Entdeutschungspolitik fortfahren sollte, so wäre mit einer sehr empfindlichen Rückwirkung auf die deutsche öffentliche Meinung zu rechnen.

von Moltke



[148]
Nr. 163
Aufzeichnung eines Beamten der Politischen Abteilung
des Auswärtigen Amts
Berlin, den 15. Februar 1939

Nach telephonischer Meldung der Deutschen Botschaft in Warschau ist im polnischen Gesetzblatt von heute die Liste (Namensliste) der Grundstücke, die im Jahre 1939 zur Zwangsparzellierung im Wege der Agrarreform bestimmt worden sind, veröffentlicht worden. Nach dieser Liste entfallen

    in der Woiwodschaft:       von insgesamt:       auf deutschen Besitz:
    Posen 20.275 ha 12.142 ha,
    Pommerellen 17.437 ha 12.538 ha,
    Oberschlesien 7.438 ha 6.813 ha.
Diese Maßnahmen stehen in krassem Widerspruch zur deutsch-polnischen Minderheitenerklärung vom 5. November 1937 sowie zu den wiederholten Zusicherungen der Polnischen Regierung, deutsche Volkstumsangehörige bei der Agrarreform nicht zu diskriminieren. Der deutsche Landvorrat103 beträgt in Posen und Pommerellen nur etwa ein Drittel des gesamten, der Agrarreform unterliegenden Besitzes.

Schliep




Nr. 164
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Telegramm
Thorn, den 16. Februar 1939

Neue Namensliste Agrarreform hat in volksdeutschen Kreisen hier niederschmetternden Eindruck gemacht, zumal nach Warschauer Besuch des Herrn Reichsministers des Auswärtigen allgemein weit günstigeres Ergebnis erwartet wurde.

Enteignet werden in Pommerellen rund 12.600 ha deutscher Besitz gegen 8.600 ha voriges Jahr. Deutscher Anteil in diesem Jahr etwa 65%, also noch höher als voriges Jahr. Dieses Jahr besonders bemerkenswert stärkere Heranziehung Mittelstandes sowie Umstand, daß verschiedene Besitzer zu wiederholten Malen parzelliert werden.

Küchler



[149]
Nr. 165
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts
an den Deutschen Botschafter in Warschau

Telegramm
Berlin, den 16. Februar 1939

Bitte Sie, umgehend Außenminister oder im Verhinderungsfalle seinem Vertreter Befremden darüber zum Ausdruck zu bringen, daß neueste Namensliste wiederum entgegen Minderheitenerklärung und späteren Zusicherungen104 Polnischer Regierung deutschen Besitz in Posen und Pommerellen unerhört diskriminiert.

Drahtbericht.

Weizsäcker




Nr. 166
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 17. Februar 1939

Da Herr Beck erkrankt und Graf Szembek abwesend, habe ich angeordnete Demarche in Sachen Agrarreform bei Unterstaatssekretär Arciszewski ausgeführt, der übrigens von Herrn Beck speziell mit Bearbeitung dieser Frage beauftragt ist.

Arciszewski erklärte, daß uns günstiger Standpunkt Außenministeriums auf großen Widerstand im Ministerrat gestoßen wäre, der die Auffassung vertrete, daß die Frage der gleichmäßigen Heranziehung deutschen und polnischen Grundbesitzes nicht im Rahmen einzelner Provinzen, sondern gesamten Staatsgebiets zu beurteilen sei. Angesichts dieser Schwierigkeiten habe Außenministerium auf den Versuch einer Abänderung der für Pommerellen aufgestellten Liste verzichtet, weil dort die Agrarreform bereits fast ganz abgeschlossen sei, und habe sich darauf beschränkt, in der Woiwodschaft Posen - und zwar auch für die Zukunft - den Grundsatz 50 zu 50 zu fordern. Hierin habe das Außenministerium Erfolg gehabt.

Ich habe erwidert, daß wir polnischen Standpunkt hinsichtlich Pommerellen als eine unerträgliche Diskriminierung ansehen müßten. Was Posen anbetreffe, so sei nach unseren sehr genauen Unterlagen die Heranziehung deutschen Besitzes wesentlich größer als 50%. Aber abgesehen hiervon, könnten wir uns auch mit Grundsatz 50 zu 50 nicht einverstanden erklären, weil deutscher Besitz nur etwa 30% der Gesamtfläche betrage und obendrein in den Vorjahren bereits übermäßig stark herangezogen sei.

Arciszewski bat um Mitteilung unseres Zahlenmaterials. Ich habe hierfür genaue Unterlagen bei Generalkonsulat Posen angefordert.105

Moltke



[150]
Nr. 167
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 21. Februar 1939

Nach der inzwischen getroffenen genaueren Feststellung des Vereins der deutschen Grundbesitzer in Ostoberschlesien entfallen von der in der Namenliste angegebenen Flächenmenge (7.438 ha) nur 100 ha auf polnischen Besitz. Der deutsche Grundbesitz ist also mit 98,7% herangezogen worden, obwohl polnischer Grundbesitz in größerem Umfange vorhanden ist. Damit ist der deutsche "Landvorrat"106 im hiesigen Amtsbezirk fast restlos erfaßt.

Nöldeke




Nr. 168
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 21. Februar 1939

Die verflossene Woche stand vollständig unter dem Zeichen der neuen Enteignungen deutschen Besitzes. Die Veröffentlichung der Namensliste hat angesichts des vor wenigen Wochen stattgehabten Besuches des Reichsministers des Auswärtigen in Warschau,107 von dem sich die deutsche Volksgruppe allenthalben eine starke Verbesserung der polnisch-deutschen Beziehungen versprach, wie eine Bombe eingeschlagen. Alle Hoffnungen, daß nun endlich einmal die Schlechterstellung der deutschen Volksgruppe hier aufhören würde, haben sich als trügerisch erwiesen.

Über die Auswirkungen der Enteignungen nach der neuen Namensliste folgt heute noch ein besonderer Bericht, aus dem die katastrophale Lage mancher Betriebe ersichtlich ist. Besonders der mittlere Besitz wird am stärksten betroffen, da von ihm mehrere Betriebe, weil sie in einer bestimmten Zone liegen, bis auf 60 ha enteignet werden und infolgedessen gar nicht mehr lebensfähig sind.

Eine vergleichende Zusammenstellung des seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Durchführung der Agrarreform vom 28. Dezember 1925 bis einschließlich 1938 durch Namenslisten enteigneten deutschen und polnischen Grundbesitzes in Pommerellen ergibt, daß der deutsche Grundbesitz bisher 56.214,00 ha Bodenfläche = 72% der gesamten durch Namenslisten enteigneten Bodenfläche verloren hat, während der polnische Grundbesitz nur mit 22.093,00 ha Bodenfläche = 28 % der Gesamtfläche auf die bisher erschienenen Namenslisten gesetzt worden ist. Die Erwartung, daß die diesjährige Namensliste die unverhältnismäßige und durch nichts gerechtfertigte Benachteiligung des deutschen Grundbesitzes durch eine stärkere Heranziehung des polnischen Besitzes zum Teil ausgleichen würde, ist nicht erfüllt worden. Die Benachteiligung des deutschen Grundbesitzes hat vielmehr gegenüber den Vorjahren eine weitere Verschärfung erfahren.

[151] Es scheint den polnischen Behörden auf eine schnelle und völlige Vernichtung des Deutschtums hier anzukommen, denn die bei ihnen in der letzten Zeit allgemein zu beobachtende Einstellung dem Deutschtum gegenüber ist feindlicher denn je.

Es ist klar, daß sich unter diesen Umständen der deutschen Bevölkerung hier eine außerordentliche Erregung bemächtigt hat, weil sie in allen ihren berechtigten Hoffnungen und in all ihrer Loyalität dem hiesigen Staat gegenüber auf das bitterste enttäuscht worden ist. Ein Gefühl der Unsicherheit, aber auch der Rechtlosigkeit macht sich hier breit, das nur schwer zu bekämpfen ist. Daß dabei auch wieder der Drang zur Abwanderung stark hervortritt, möchte ich noch besonders betonen.

von Küchler




95Die Liste mit den Namen des zur Landabgabe herangezogenen Besitzes wurde in jedem Jahre am 15. Februar veröffentlicht. Vgl. zur Liste von 1934 Nr. 42, von 1935 Nr. 55, von 1936 Nr. 64, von 1937 Nr. 74. ...zurück...

96Vgl. Nr. 94, 95 und 104. ...zurück...

97D. h. die Gesamtheit der nach dem Agrarreformgesetz der Parzellierung unterworfenen Flächen, also nach Abzug der nicht der Parzellierung unterworfenen Restgüter, Forsten und Gewässer. ...zurück...

98Vgl. Nr. 94 und 95. ...zurück...

99Vgl. Nr. 158. ...zurück...

100Vgl. Nr. 157. ...zurück...

101Es haben im Anschluß hieran weitere Besprechungen über diese Frage sowohl mit dem Polnischen Außenminister wie mit seinen Sachbearbeitern stattgefunden. Hierbei mußte polnischerseits zugegeben werden, daß der deutsche Grundbesitz tatsächlich bisher stärker zur Landabgabe herangezogen worden ist als der polnische. Deutscherseits wurde mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß diese klare Diskriminierung der deutschen Minderheit nicht mehr hingenommen werden könne und daß auf Grund der Minderheitenerklärung auch in der Frage der Agrarreform die zugesagte volle Gleichberechtigung und gleiche Behandlung der deutschen Minderheit erwartet werden müsse. In den Verhandlungen wurde in erster Linie angestrebt, die Diskriminierung der Namensliste für 1938 zu beseitigen. Die deutschen Wünsche sind aber unberücksichtigt geblieben. ...zurück...

102Vgl. Nr. 95. Zu vergleichen auch Nr. 94 und 104. ...zurück...

103Vgl. Nr. 157, Anm. [97] S. 143. ...zurück...

104Vgl. Nr. 162. ...zurück...

105Vgl. auch Nr. 170, 171 und 172. Auch die weiteren Besprechungen mit dem Polnischen Außenministerium blieben ohne Ergebnis. ...zurück...

106Vgl. Nr. 157, Anm. [97] S. 143. ...zurück...

107Vgl. Nr. 202. ...zurück...


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