Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung,
Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden
Organisationen
Kapitel 3: Die Versorgung des Heeres
mit Waffen und Munition (Forts.)
Generalmajor Ludwig Wurtzbacher
2. Die Maßnahmen bis zum
Hindenburg-Programm.
Allgemeine Grundlagen für die Versorgung mit
Munition.
Für die Munitionsfertigung wurden zunächst außer den
staatlichen Instituten eine große Anzahl namhafter Werke der
Privatindustrie herangezogen, vor allem solche, die schon Erfahrung in der
Munitionsfertigung besaßen. Um diese aber in allergrößtem
Stile zu betreiben, fehlte es an vielem, was unbedingt erforderlich war: vor allem
an sachverständigem Personal und Arbeitskräften, die zum
größten Teil unter den Fahnen standen, an einem hinreichenden
Maschinenpark: Geschoßpressen, Bearbeitungsmaschinen,
Drehbänken, Lehren usw. und an Erfahrungen bei der Industrie,
soweit sie zur Munitionsfertigung neu herangezogen wurde. Mangel an
Rohstoffen zur Deckung des ersten Bedarfs wurde zwar noch nicht
befürchtet, selbst nicht für die Zünderherstellung, die
besonders von den Beständen an Sparmetallen zehrte; doch mußten
auch für ihre Bedarfsdeckung für die Zukunft durchgreifende
Maßnahmen getroffen werden.
Die Versorgung der Industrie mit Arbeitskräften.
Unter den Gesetzen, die am 4. August 1914 vom Reichstag verabschiedet wurden,
befand sich auch dasjenige, welches die geltenden
Beschäftigungsbeschränkungen in den Fabriken aufhob, und in der
Kriegsindustrie Überstunden, Nachtarbeit, Sonntagsarbeit, weibliche sowie
jugendliche Arbeitskräfte zuließ. Hiermit war eine gewisse
Kriegsgrundlage für die Arbeit geschaffen. Sehr zweckmäßig
wäre es auch gewesen, wenn schon im Frieden die Wehrpflicht durch eine
Arbeitspflicht der nicht zur Front Berufenen in der heimischen Kriegsindustrie
ergänzt worden wäre; dann hätte natürlich die deutsche
Kriegstechnik, Kriegswirtschaft und Kriegsfinanzpolitik auf ganz anderen Boden
gestellt werden können, und eine Fülle schädlicher
Nebenwirkungen des Kriegsgewinnlertums, wie auch der Munitionsarbeiter
wäre vermieden worden. Jetzt war es die Hauptsache, die
Menschenkräfte an die richtige Stelle zu bringen je nach dem
Be- [74] dürfnis. In einem
Aufsatz in den Vierteljahrsheften für Truppenführung und
Heereskunde war bereits im Juli 1913 von Artur Dix darauf hingewiesen,
daß, sowenig der Soldat das Brot, das Geschütz die Munition
entbehren könne.
"Die gesamte Kriegsmaterial
fertigende Industrie muß selbstverständlich in vollstem Betriebe
erhalten bleiben. Ihr Umfang aber hat sich ja nicht nur mit dem Wachstum des
Heereskörpers entsprechend vermehrt, sondern ist in noch weit
stärkerem Maße gesteigert worden durch die mannigfachen
Anforderungen der modernen Kriegstechnik. Es kommen nicht nur die
Waffen- und Munitionsfabriken in Betracht, sondern beispielsweise auch die
Automobil- und Flugzeugfabriken. Je komplizierter der technische Apparat ist,
um so mehr sind die Fabriken darauf angewiesen, mit einem gut eingeschulten
Personal zu arbeiten, in das die Mobilmachung keine empfindlichen
Lücken reißen darf. Es wird einer engen Fühlung zwischen
Volkswirtschaft und Heeresleitung bedürfen, um diesem wichtigen
Gesichtspunkt auch bei der Mobilmachung gebührend Rechnung zu
tragen."
Den deutschen Friedensauffassungen entsprechend gehörte aber jeder
kriegsverwendungsfähige Wehrpflichtige in erster Linie an die Front. Diese
möglichst stark zu machen, war das Bestreben der militärischen
Behörden gewesen; und deswegen galt die Auffüllung der Front
zunächst für das Allerwichtigste. Zurückstellungen für
die Waffenindustrie hatten nur in bescheidenem Maße stattgefunden, eben
aus der Auffassung heraus, daß der Krieg in kürzester Zeit
entschieden werden würde. Selbstverständlich war die sofortige
Einziehung gerade der jüngeren, leistungsfähigen Arbeiter eine
große Erschwerung für die Industrie. Wäre schon im Frieden
eine industrielle Mobilmachung eingeleitet worden, so hätten die Werke
diejenigen ihrer Leute von vornherein behalten können, welche für
sie unentbehrlich waren. Der Gang der Ereignisse belehrte die maßgebenden
Stellen bald eines besseren. Die Kraftentfaltung des deutschen Volkes
mußte stark gesteigert, neue Armeen aufgestellt, die Ausrüstung und
Bewaffnung für sie beschafft, und nach der Marneschlacht mußten
neue Kampfmittel für den Stellungskrieg erfunden und gefertigt, Munition
und wieder Munition beschafft werden. Der Heimatindustrie fehlten aber die
Arbeitskräfte und vor allem ihre tüchtigen Ingenieure und Meister.
Sie zu finden und zurückzuziehen war die erste, wenn auch oft schwierige
Aufgabe, um so mehr, als gerade sie in der Front nur ungern entbehrt wurden; im
Stellungsbau waren sie auch für die Truppe außerordentlich wichtig.
Die Neubildung von Truppenteilen, zu denen Abgaben von den alten erfolgt
waren, erschwerte das Auffinden bestimmter Persönlichkeiten sehr, und oft
hing gerade von ihnen die Erfüllung wichtiger Aufgaben ab. Manche
hervorragende Arbeitskraft war schon gefallen, ehe die Absicht, sie frei zu
bekommen, erfüllt war.
Im Kriegsministerium wurde ein Referat für Zurückstellungen
geschaffen, das, später ausgebaut, nach Gründung des Kriegsamtes
zum Ersatzdepartement [75] übertrat. Der
Wechsel an Arbeitskräften zwischen Front und Industrie ist während
des ganzen Krieges äußerst schwierig gewesen; hierauf soll
später näher eingegangen werden. Die Anlernung von Meistern bei
den staatlichen technischen Instituten war eine weitere wichtige Aufgabe.
Schließlich mußten aber auch neue Arbeitskräfte herangezogen
werden. Hierzu war das Gesetz vom 4. August 1914 geschaffen worden.
Zunächst mußte die Frau den Mann ersetzen. Die Verwendung der
Frau war sehr vielseitig; immer mehr verschaffte sie sich Eingang in die Industrie.
Bei leichten Handarbeiten in den Zünderfabriken, beim Laborieren in
Pulver- und Sprengstoffabriken, in Gießereien, an Drehbänken, bei
der Abnahme usw. fand die Frau immer zunehmende Verwendung. Wo
schwere Stücke zu heben waren, wurden Hebevorrichtungen geschaffen,
für kleine Frauen an der Maschine Stufen und Trittbretter angelegt.
Überall hat sich die Frauenarbeit im allgemeinen bewährt. Für
viele Zwecke, z. B. für solche, die Fingerfertigkeit verlangten, wurde
die Frau sogar bevorzugt. Im Jahre 1917 wurden allein 4 Millionen Frauen in der
Kriegsindustrie beschäftigt.
Die Massenanfertigung ermöglichte es auch, ungelernte Arbeiter für
bestimmte, wiederkehrende, einfache Verrichtungen oder Griffe auszubilden und
somit kriegsverwendungsfähige Arbeiter durch dienstuntaugliche
ungelernte Arbeiter wie auch durch Jugendliche zu ersetzen. Die staatlichen
technischen Institute sind in dem Ersatz der kriegsbrauchbaren Facharbeiter durch
Frauen, Jugendliche, ungelernte Arbeiter mit bestem Beispiel vorangegangen.
Auch Kriegsbeschädigte, die für die Front ungeeignet waren, wurden
gerade bei ihnen zahlreich eingestellt. Die ganze Industrie folgte willig diesem
Beispiel. Kriegsgefangene wurden vornehmlich zu Transportarbeiten
verwandt.
Wie der Krieg gelehrt hat, mit Rohstoffen zu sparen, so mußte auch mit
Menschenkräften gegeizt werden. Ein großer Teil der
Zurückgestellten fand im
Eisenbahn-, Schiffahrtsdienst, wie in den Kohlenbergwerken Verwendung; denn
Verkehr und Kohlen bilden die Grundlage, auf der in erster Linie die Versorgung
des Heeres mit Waffen und Munition beruht.
Wenn in den beiden ersten Kriegsjahren die Lieferung von Waffen, Munition und
Heeresgerät aller Art in bescheidenerem Umfange erfolgte als später,
so lag dies in erster Linie daran, daß die Versorgung des Heeres mit
Soldaten für dringlicher gehalten wurde, als die Versorgung der Industrie
mit Arbeitskräften. Der Gedanke, den Menschen an der Front durch
Maschinen zu ersetzen und dadurch die Front widerstandsfähiger und
kraftvoller zu gestalten und die Verluste an Menschen zu vermindern, entstand
erst später.
Die Versorgung der Industrie mit Maschinen.
Mit der Beschaffung der Arbeiter ging zugleich die Ausstattung der deutschen
Industrie mit Bearbeitungsmaschinen, Drehbänken, Geschoßpressen
Hand in Hand.
[76] Die Entwicklung der
deutschen Maschinenindustrie auf dem Auslandsmarkte war gerade in dem letzten
Jahrzehnt vor dem Kriege eine außerordentliche gewesen, verglichen mit
der Englands und der übrigen Ententestaaten (außer Amerika). Die
Ausfuhr von reinen Maschinen hat in England von 401 Millionen Mark im Jahre
1900 auf 674 Millionen Mark im Jahre 1913, also um 68% zugenommen, in
Deutschland jedoch von 183 Millionen Mark auf 678 Millionen, also um 271%.
In diesem Jahrzehnt ungeheurer Entwicklung, in dem Deutschland, mit 45% des
englischen Ausfuhrhandels anfangend, diesen bei Kriegsbeginn schon weit
überflügelt hatte, liegt auch der Zeitabschnitt der Entwicklung des
deutschen Maschinenbaues zur Reihen- und Massenfertigung, zur Benutzung
arbeitsparender Einrichtungen und Methoden, die im Kriege der
Munitionsanfertigung so glänzend zugute kamen. Das war die Zeit, in der
die deutsche Maschinenindustrie ihren Siegeszug auf den Ausstellungen in Paris,
Lüttich, Brüssel, Mailand gehalten hatte. Und doch fehlte es
für diesen Großkampf in der Heimat an Maschinen.
Eine planmäßige statistische Erfassung des Bestandes an geeigneten
Maschinen und Einrichtungen für die Munitionsanfertigung war im Frieden
nicht erfolgt. Der Versuch einer Bestandsaufnahme bei Kriegsausbruch scheiterte.
So mußten denn besondere Maßnahmen getroffen werden, um jede
vorhandene Maschine der Fertigung von Kriegsgerät zuzuführen.
Zunächst wurde die Beschlagnahme aller deutschen Werkzeugmaschinen,
auch der gebrauchten und der noch im Gebrauch befindlichen, gesetzlich
angeordnet, das Recht der Enteignung aller alten und neuen Maschinen geschaffen
und die Bewirtschaftung streng nach den militärischen Bedürfnissen
geregelt, ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Schäden, die sich
aus solchen Zwangsmaßnahmen ergaben.
Die für diesen Zweck geschaffenen Maschinenausgleichsstellen, über
das ganze Land verteilt, haben das Ziel in zäher mühseliger
Kleinarbeit mit bestmöglichem Erfolge verwirklicht. Natürlich
wurde auch die Neuanfertigung von Maschinen aufs höchste gesteigert und
hierzu die Maschinenindustrie zur einfachsten Konstruktion veranlaßt. Die
in den feindlichen staatlichen Betrieben gemachte Kriegsbeute (in Lüttich,
Antwerpen, Maubeuge, Douai) wurde sofort herangezogen, auch aus dem
neutralen Auslande Maschinen in größtmöglichster Zahl
bezogen. Die Geschoßfabrik Sosnowice wurde durch die
Huldschinski-Werke in Gleiwitz in Betrieb genommen. Aber alles dies reichte
nicht hin zur Deckung des Bedarfs, vielmehr mußte auch zu der Ausnutzung
der im Privatbesitz befindlichen Maschinen der eroberten besetzten Gebiete
geschritten werden. Aus dieser Tatsache ist vom Feindbund dem Deutschen
Reiche der Vorwurf planmäßiger Zerstörung zur Beseitigung
eines Konkurrenten gemacht worden. Dies ist in keiner Weise zutreffend. Die
Beschlagnahme solcher Maschinen geschah lediglich als Folge der Blockade aus
dem Zwange der Not [77] heraus, und zwar nur in
behördlichem Auftrage und unter behördlicher Aufsicht. Nach den
zwischen den deutschen Firmen und der Feldzeugmeisterei geschlossenen
Verträgen wurden die deutschen Firmen verpflichtet, die Maschine nur zur
Erfüllung der ihr von der Feldzeugmeisterei für den deutschen
Heeresbedarf erteilten Aufträge zu benutzen. Anderweitige Benutzung
wurde streng untersagt und war Grund zur Auflösung des Vertrages. Die
Maschinen waren nur bis zur Beendigung des Krieges, "höchstens auf ein
Jahr" zu benutzen; der Empfänger mußte sich verpflichten, bei
Aufstellung, Betrieb, Wiederabbruch und Verpackung die Sorgfalt eines
ordentlichen Hausvaters anzuwenden. Alle Instandsetzungen hatte das Werk auf
eigene Kosten zu tragen, dazu der Feldzeugmeisterei einen Mietpreis zu zahlen.
Später wurden auch Ankäufe von Maschinen getätigt und der
Kaufpreis durch die Feldzeugmeisterei festgesetzt. Für jede aus dem
besetzten Gebiet entnommene Maschine wurde eine Aufnahmebescheinigung
aufgestellt, welche Maschinennummer, Vorbesitzer, Hersteller und
Erzeugungsland, Art und Abmessungen, Zubehör, Gewicht, Alter, Zustand
und Bauart, den vom Vorbesitzer geforderten Preis, Friedenswert und Tageswert,
sowie den Namen des Unternehmers enthielt. Diese Aufnahmebeschreibungen,
denen unter Umständen Lichtbilder beigefügt wurden, wurden in der
Feldzeugmeisterei in einer Kartei vereinigt, und so war nach dem
Waffenstillstande von jeder den besetzten Gebieten entnommenen Maschine der
Verbleib leicht festzustellen. Die Richtigkeit wurde von einer Kommission der
feindlichen Mächte nach dem Waffenstillstande durch Proben
bestätigt.
Die Beschlagnahme und Rückführung von feindlichem
Privateigentum war für Deutschland zwingende Notwendigkeit. Sie war
ungemein umständlich und beschwerlich in der Durchführung, hat
viel Arbeit verursacht und wäre deshalb sicher unterblieben, wenn die
deutschen Behörden eine andere Wahl gehabt hätten. Sie bedeuten
einen Akt der Notwehr im Kampf gegen die den völkerrechtlichen
Abmachungen widersprechende Blockade der Gegner.
Die Versorgung der Industrie mit Zeichnungen, Mustern
usw.
Rohstoffe, Menschenkräfte und Maschinen reichten allein zur
Massenfertigung der Munition nicht, sondern auch die Übertragung der
Erfahrungen waren dazu nötig. In qualitativer Beziehung sind die
Anforderungen der Munitionsherstellung keineswegs gering.
Die Durchmesser der Geschosse müssen innerhalb recht enger Grenzen
dem Geschützkaliber entsprechen. Unterschiede im Durchmesser
führen, besonders an den Führungsringen, zu schlechter
Führung im Rohr, zu ungenauem Schießen oder gar
Rohrbeschädigungen. Die Abmessungen am
Kopf - Mundloch - des Geschosses mit dem Schraubengewinde, in
das der Zünder kommt, müssen genau sein, da jedes beliebige
Geschoß zu jedem beliebigen Zünder ganz anderer
Her- [78] kunft passen muß.
Auch die übrigen Abmessungen (Wandstärke usw.) bedingen
sehr enge Grenzen; denn das Gewicht des Geschosses muß immer gewahrt
bleiben. Verschiedene Geschoßgewichte führen zu großen
Streuungen.
|
Wenn auch die vorgeschriebenen Genauigkeitsgrenzen für den
größten Teil des deutschen Maschinenbaues durchaus geläufig
sind, so waren doch immerhin große Sorgfalt und besondere Vorkehrungen
notwendig, sobald es sich, wie hier, um Massenanfertigung handelte. Auch die
verwendeten Stoffe müssen strengen, sehr eingehenden Bedingungen
entsprechen. Die Geschosse müssen, um wirksam zu sein, beim Krepieren
eine ganz bestimmte Anzahl Sprengstücke ergeben, die ihrerseits nicht zu
leicht sein dürfen. Die Genauigkeitsbedingungen für die
Zünder sind noch schärfer, als die der Geschosse selbst. Ein fertiger
Zünder ist in der Tat ein kleines Kunstwerk mit einer großen Anzahl
kleiner und kleinster Teile, die richtig ineinander passen und funktionieren
müssen. Geringe Abweichungen in den Zündern können zu
Rohrkrepierern führen. Vielfach stammten diese Teile, die alle wahllos
miteinander zusammengebaut werden müssen, aus verschiedenen
Fabriken.
Alle diese Umstände stellten ganz beträchtliche Anforderungen an
die Werke. Die Herstellung eines Geschoßkörpers in der
Einzelanfertigung ist noch verhältnismäßig einfach. Sobald es
sich aber um Mengen von vielen Hunderten oder Tausenden von Stück
täglich handelt, die alle einerseits so genau sein müssen, wie ein
Einzelstück, auf das alle erdenkliche Sorgfalt verwandt werden kann, und
die andererseits wirtschaftlich zu verhältnismäßig niedrigen
Preisen hergestellt werden sollen, dann wird alles dies außerordentlich
schwierig.
Zur Einrichtung einer derartigen Munitionserzeugung und der Umstellung
vorhandener Betriebsmittel auf diese bedarf es selbst unter günstigsten
Bedingungen großer technischer Erfahrung, beträchtlicher innerer
Beweglichkeit der Leitung und der Fähigkeit, schwierige organisatorische
Fragen schnell und sicher zu lösen. Man kann sich auch als Laie leicht
vorstellen, was es heißt, wenn eine Fabrik, die sonst Brauereimaschinen
oder Lokomotiven oder Drehbänke oder Nähmaschinen herstellt,
plötzlich einige Hunderte fertiger Geschoßhülsen oder
Tausende von Zünderteilen täglich anfertigen soll. Die deutsche
Industrie hat sich aufs glänzendste bewährt. Sie hat dazu ohne
nennenswerte Schwierigkeiten die genauesten Vorschriften, Zeichnungen,
Muster usw. bekommen, die zur Prüfung der in Frage kommenden
Fertigungsmöglichkeiten und zur Ausarbeitung ihrer Angebote nötig
waren. Man hat ihr bereitwillig die Staatsbetriebe geöffnet, um in diesen
Erfahrungen zu sammeln und sich über die Eigenheit der Fertigung zu
unterrichten. Man hat umgekehrt auch den Anregungen der Industrie in bezug auf
Konstruktion, Materialverwendung und Fertigungsart Raum gegeben. Und wenn
sich auch bei Vergebung und vor allem bei der Benutzung einer nicht
sachverständigen und unsoliden Vermittlung im Anfang Unzufriedenheiten
und Unzuträglichkeiten herausgestellt haben, so hat sich doch im
großen und ganzen die [79] Übernahme dieser
Milliardenaufträge und ihre Abwicklung durch die deutsche Industrie glatt
und mit günstigem Erfolge vollzogen.
Den Engländern ist es zugegebenermaßen überhaupt nicht
gelungen, den schwierigen und äußerst umfangreichen Verkehr der
Einzelunternehmen mit den Zentralbehörden befriedigend abzuwickeln. Sie
sahen sich gezwungen, im Munitionsgesetz eine weitgehende Dezentralisierung
der Vergebungs- und Beratungsbehörden vorzunehmen.
Die einheitliche Berücksichtigung der Wünsche und
Bedürfnisse der Industrie war deutscherseits in viel befriedigenderer Weise
durch den unmittelbaren Verkehr der industriellen Verbände und offiziellen
Körperschaften mit der Zentralorganisation - Kriegsministerium oder
Feldzeugmeisterei - gewährleistet.
Das Programm der Munitionserzeugung.
Für die Munitionsherstellung war die Aufstellung eines festen Programms
notwendig. Die Zahl der Geschoßhüllen für die verschiedenen
Kaliber, der Führungsbänder, der Zünderarten,
Kartuschhülsen, Pulversorten und Sprengstoffmengen, der Vorprodukte
hierzu, wie Salpeter, Schwefelsäure, Spiritus usw., mußten
unbedingt in das richtige Verhältnis gebracht werden, und dies war von
dem Vorhandensein der Rohstoffe abhängig. Es wäre für die
Front völlig wertlos gewesen, wenn z. B. die Fertigung der
Geschoßhüllen ohne Rücksicht auf das Pulver und den
Sprengstoff gesteigert worden wäre; ohne Pulver und Sprengstoff war die
Geschoßhülle völlig zwecklos. Ihre Fertigung hätte nur
Arbeitskräfte, Rohstoffe und Kohle dem Ganzen ohne irgendwelche
Vorteile entzogen. Da die Munitionsmenge bis zum Jahre 1918 allein durch die
Möglichkeit der Pulverfertigung bestimmt wurde, war diese der
Schrittmesser für die Gesamtmunitionsfertigung. Dieses
planmäßige Vorgehen wurde oft in Verkennung der
Verhältnisse Veranlassung zu Klagen aus der Industrie, selbst von
hervorragenden, leitenden Männern, die nur das Beste wollten und von
größter Sorge um die rechtzeitige und
größtmöglichste Bereitstellung von Munition erfüllt
waren, die aber den Überblick über die Gesamtverhältnisse
nicht besitzen konnten.
Die Stickstofferzeugung und Pulverfertigung.
Zur Pulverfertigung war Deutschland auf Rohstoffe angewiesen, die es gar nicht
oder nicht genügend besaß: Baumwolle lieferte Amerika, Salpeter
Chile, Schwefelkies Spanien, Kampfer lieferte Japan; diese Quellen waren ihm
plötzlich verschlossen. Glyzerin, Säuren und Alkohol wurden zwar
im Inlande in hinreichendem Maße erzeugt; die hierfür erforderlichen
Ausgangsstoffe (Fette, Kartoffeln) gingen aber auf Kosten der
Volksernährung. In dem Plane Englands war die Rohstoffnot Deutschlands
noch vor die Lebensmittelnot eingestellt; gerade die Rohstoffe für die
Pulverfertigung bildeten für Deutschland eine sehr [80] wichtige Vorbedingung
für das Durchhalten eines längeren Krieges. England hat sich in
dieser Richtung getäuscht. Das Schwinden der Baumwollbestände
veranlagte zur Anwendung der Holzzellulose in Form von Nitrierkreppapier; der
Ersatzstoff hat sich ausgezeichnet bewährt. Für die Feldkanonen
wurde ein reines Nitrozellulosepulver ohne Kampfer geschaffen. Zur Streckung
der Vorräte von Glyzerin wurde das Nitroglyzerin teilweise durch
Trinitrotoluol ersetzt (Trotylpulver), zur Streckung der Nitrozellulose
Dinitrotoluol verwendet (Dipulver). Als die Herstellung von Glyzerin aus Zucker,
anstatt aus Fett, gelang, kehrte man zur alten Fertigungsart zurück. Auch
die Gewinnung der Schwefelsäure bereitete Schwierigkeiten. Die Ausbeute
der Meggener Kiesgruben mußte aufs äußerste gesteigert und
Schwefelkiese aus Schweden, Ungarn und später aus Serbien
eingeführt werden.
Schließlich gehört zur Pulverbereitung Salpetersäure. Die
Herstellung von Salpetersäure geschah aus Salpeter, der, wie schon gesagt,
bisher aus Chile eingeführt wurde; diese Einfuhr war aber abgeschnitten.
Die Vorräte im Lande wie auch die belgische Beute waren gering. So war
die Herstellung von Salpetersäure in dem für den Munitionsbedarf
erforderlichen großen Ausmaße eine der wichtigsten Forderungen,
die, wenn sie ungelöst blieb, schon frühzeitig zum Verlust des
Krieges hätte führen müssen. Es gelang aber der Badischen
Anilin- und Sodafabrik das Verfahren der Oxydierung des Ammoniaks zu
Salpetersäure, das nach Vorschlägen von W. Ostwald auf
Zeche Lothringen schon vor dem Kriege in kleinem Ausmaße eingerichtet
worden war, so rasch auszubauen, daß im Frühjahr 1915 der
zunächst erforderliche Bedarf gedeckt war. Die Erzeugung von Ammoniak
in den deutschen Kokereien genügte auch in keiner Weise zur Deckung des
weiter steigenden Bedarfs; es wurde außerdem der Landwirtschaft entzogen,
die seiner als Düngemittel unbedingt bedurfte. So mußte also
Ammoniak auf neuem Wege geschaffen werden, und dafür gab es nur eine
einzige Quelle: den Stickstoff der Luft.
Das Bedürfnis der rasch emporwachsenden Industrie der
Salpetersäuredarstellung aus Ammoniak wurde die Quelle für den
schnellen Ausbau der Hochdrucksynthese des Ammoniaks nach Geheimrat Prof.
Dr. Haber, die von der Badischen
Anilin- und Sodafabrik technisch durchgebildet war, das
Haber-Boschverfahren, das ein Maximum an Stickstoff mit einem Minimum an
Arbeits- und Kohlenaufwand gegenüber allen anderen Verfahren erzielte.
Neben der Mutterfabrik, der Badischen
Anilin- und Sodafabrik in Oppau bei Ludwigshafen, wurden in Mitteldeutschland,
auf der Braunkohle liegend, die Leunawerke bei Merseburg in Angriff genommen,
die das stärkste Glied im Körper der Stickstoffwirtschaft bilden
sollten.
Zur Deckung des landwirtschaftlichen Stickstoffbedarfs wurde die
Kalkstickstoffindustrie nach Franck und Caro gewaltig vergrößert.
Die bedeutendsten [81] Kalkstickstoffabriken
des Landes in Pisteritz und Chorczow wuchsen aus dieser Lage hervor.
Die der deutschen Technik gestellte Aufgabe, den Chilesalpeter durch
einheimische Stickstofferzeugnisse zu ersetzen, gelang rechtzeitig. Das Verdienst
um die Ordnung und Aufrechterhaltung der Stickstoffwirtschaft unter den
ständig wachsenden Schwierigkeiten des andauernden Krieges hat der
Reichsstickstoffkommissar Dr. Bueb, welcher mit der Leitung der
gesamten Stickstoffwirtschaft vom Reiche beauftragt war. Trotz der dauernd
zunehmenden Erzeugung von Stickstoff konnte aber doch der Landwirtschaft
nicht mehr als 50% des Friedensgebrauches zugeführt werden. "Ohne die
deutschen Chemiker", so sagt der schwedische Chemiker Cyren,
"hätte kein Feldherrngenie der Welt das Land gegen den
gewaltigen Druck von außen schützen können, der es so gut
wie von allen Hilfsmitteln der Welt abschloß".
Bei der großen Bedeutung, welche die Chemie bei der Munitionsversorgung
des Heeres einnahm, war schon im Oktober 1914 im Kriegsministerium das
"Bureau Haber" gebildet worden, zunächst bei der Fabrikenabteilung, von
der es aber bald zur Fußartillerieabteilung übertrat, um der
Grundstock zur neuen Chemischen Abteilung im Kriegsministerium zu
werden.
Camille Matignon, Professor am Collège de France, sagte in
einem am 19. März 1916 am Conservatoire des Arts et Metiers
gehaltenen Vortrag, daß
"Deutschland durch intensive Arbeit, dank seiner machtvollen
chemischen Organisation, dank des genauen Studiums von neuen, kurz vor dem
Kriege entdeckten Verfahren eine ganze neue Industrie auf dem Gebiete des
Stickstoffs ins Leben rufen konnte. Es konnte die schwere Gefahr, die ihm drohte,
den Krieg wegen Mangel an Pulver und Explosivstoffen aufgeben zu
müssen, beschwören. Die chemische Industrie hat die
Mittelmächte in jener Zeit tatsächlich vor einem Zusammenbruch
gerettet; man kann hinzufügen: Wäre der Krieg ein paar Jahre
früher unter den gleichen Bedingungen ausgebrochen, so hätte er
frühzeitig Deutschlands sicheren Zusammenbruch herbeigeführt.
Denn vor den neuen Erfindungen hätte Deutschland, wenn es von einer
Blockade bedroht gewesen wäre, keinen Krieg, der ein wenig länger
gedauert hätte, aushalten können."
Doch nicht allein für die Munitionserzeugung war der Stickstoff von
hervorragender Bedeutung, sondern ohne seine Steigerung drohte auch die
Landwirtschaft zu erliegen, und damit wäre die Ernährung des
deutschen Volkes in noch größere Gefahr gekommen. So muß
denn in der Tat die Stickstoffgewinnung
und -versorgung Deutschlands als Glanzleistung der deutschen Technik
bezeichnet werden, auf die, ganz besonders auch im Hinblick auf den Nutzen
für die deutsche Landwirtschaft im Frieden, es alle Veranlassung hat, stolz
zu sein.
[82] Der Franzose geht in
blindem Haß und deswegen völlig zu Unrecht in der Beurteilung des
wissenschaftlichen und technischen Erfolges sogar noch weiter. "Es hieße",
so sagt er,
"deutsche Art vollkommen verkennen, wollte man auch nur
einen Augenblick annehmen, all die führenden Leute im Lande
wären von der Regierung nicht zur rechten Zeit von den
Angriffsplänen in Kenntnis gesetzt, damit nichts unvorbereitet und dem
Zufall überlassen blieb."
Träfe dieses zu, was nicht der Fall ist, so hätte der deutschen
Kriegsleitung die wirtschaftliche Mobilmachung nicht gefehlt; sie würde
dann den Entente-Staaten gegenüber einen gewaltigen Vorsprung gehabt
haben.
Über die Bedeutung, welche die vergrößerte
Stickstofferzeugung für die Landwirtschaft im Frieden besitzt, sagte der
frühere Reichsstickstoffkommissar Dr. Bueb in der 60.
Jahresversammlung des Vereins von
Gas- und Wasserfachmännern am 25. September 1919:
"Die Erntevermehrung durch eine
Tonne Stickstoff, welche in Form von künstlichem Dünger in den
Ackerboden gebracht wird, beträgt
etwa |
18 t |
Weizenkörner, |
|
etwa |
40 t |
Weizenstroh, |
" |
24 t |
Gerstenkörner, |
|
" |
30 t |
Gerstenstroh, |
" |
24 t |
Haferkörner, |
|
" |
34 t |
Haferstroh, |
" |
120 t |
Kartoffeln, |
|
" |
40 t |
Kartoffelkraut, |
" |
150 t |
Zuckerrüben, |
|
" |
100 t |
Zuckerrübenblätter, |
" |
240 t |
Futterrüben, |
|
" |
75 t |
Futterrübenblätter. |
Vor dem Kriege hat Deutschland für 3 Milliarden
Mark jährlich an Nahrungs- und Futtermitteln bezogen. Das verarmte
Deutschland hat heute keine Zahlungsmittel mehr, aus dem Ausland sich Nahrung
zu beschaffen. Will es nicht verhungern, muß es selbst erzeugen. Wenn die
im Kriege geschaffenen Stickstoffabriken in Volleistung gekommen sein werden,
wird der Ernteertrag durch die dann zur Verfügung stehenden
500 000 t Reinstickstoff so gesteigert werden, daß jede
Einfuhr von Nahrungs- und Futtermitteln überflüssig gemacht, ja
sogar eine Ausfuhr besonders hochwertiger Produkte, wie Zucker, noch
möglich werden wird.
Wir haben mit Hilfe unserer deutschen Gelehrten und
unserer hochentwickelten deutschen Technik ein deutsches Chile mit deutschen
Rohstoffen geschaffen. Aus dem Stickstoff der Luft, dem Wasserstoff des
Wassers und dem Gips aus dem Harz werden wir nach Vollendung unserer
Fabriken schwefelsaures Ammoniak in einem Ausmaße herstellen
können, das der gesamten chilenischen Salpeterproduktion vor dem Kriege
entspricht. Das muß tatsächlich eine Hoffnung in dieser schweren
Zeit sein, die wir uns nicht nehmen lassen wollen."
[83] Für das
Programm, das im Jahre 1914 für die Munitionsherstellung aufzustellen
war, war die Möglichkeit der Stickstoffbereitung ausschlaggebend. An die
Vergrößerung der vorhandenen Stickstoffbetriebe war sofort
herangegangen worden. Für die neuen Fabriken, insbesondere für
den Bau und Betrieb der Anlagen zur Umwandlung von Ammoniak in Salpeter,
fehlte es damals noch an Erfahrungen. Die Anlagen waren völlig neu zu
schaffen und, wie sie ausfielen, war nicht zu übersehen. Den Wunsch, die
monatliche Pulverfertigung, die bei einer Friedensfertigung von 200 t im
Herbst 1914 1000 t betrug, sogleich, wie beabsichtigt, zu versiebenfachen,
hielten alle Sachverständigen für undurchführbar. Die
Fertigungsmöglichkeit wurde auf 3500 t Pulver geschätzt und
deshalb sogleich zu der Inangriffnahme aller hierfür notwendigen Bauten,
zur Fertigung aller der dazu gehörigen Munitionsteile: Geschosse,
Zünder, Kartuschhülsen usw. geschritten. Mit der
Durchführung der Aufgabe kam auch mehr Klarheit; schon im Dezember
1914 wurde das Programm der Pulverfertigung auf 4500 t und im Februar
1915 auf 6000 t erhöht und auf dieser Grundlage alle hierzu
notwendigen Neubauten angeordnet, auch für die Fertigung der
übrigen Munitionsteile gesorgt. Dieses Programm umfaßte die
monatliche Bereitstellung von 425 Munitionszügen für die 5
Hauptkaliber (Feldkanonen, leichte und schwere Feldhaubitzen,
10 cm-Kanonen und Mörser) und deckte außerdem den Bedarf
für die Infanterie und alle übrigen Geschützarten, für die
Minenwerfer und für die Marine. Es war eine allmonatliche Leistung, die
etwa drei Vierteln des ganzen Friedensbestandes entsprach.
Die Fertigung der Art der Geschosse, Zünder usw. mußte der
Kriegführung Rechnung tragen; denn der Kampf um Festungen forderte
besonders Bereitstellung von Munition für die schwere Artillerie,
während im Bewegungskrieg wie in der Abwehrschlacht die leichte
Artillerie oft in den Vordergrund trat.
Die zu fertigenden Pulversorten waren hiernach verschieden. Beide Fälle in
der Pulverfertigung zu berücksichtigen, war nur in einem
beschränkten Maße möglich, und so mußte das
Pulverfertigungssystem beweglich bleiben, so daß es beliebig umgestellt
werden konnte. Es mußten also Vorräte an Geschossen usw.
für alle Kaliber über die Pulverfertigung hinaus vorhanden sein, um
den jeweiligen Wünschen und Zielen der Obersten Heeresleitung Rechnung
tragen zu können. Andererseits mußte auch berücksichtigt
werden, daß ein Übermaß an Fertigung von Geschossen,
für die kein Pulver vorhanden war, der Front unnötig tüchtige
Facharbeiter entzog, was unbedingt vermieden werden mußte. Die schnell
in Beschaffung gegebene Graugußmunition, deren Fertigstellung für
die schwere Artillerie übrigens längere Zeit erfordert hatte, als
angenommen war - mußten doch zunächst die Formlasten,
Lehren, Zeichnungen usw. gefertigt
werden -, durfte nur solange hergestellt werden, bis die Fabriken zur
Fertigung der wirkungsvolleren Preß- und Stahlgußgeschosse
befähigt waren. Für die Feldartillerie war 1915 Munition aus
Thomasstahl eingeführt worden. Die
Ferti- [84] gung der
minderwertigen Graugußmunition und minderwertiger Zünder wurde
somit allmählich beschränkt.
Diese Verminderung rief in der beteiligten Industrie wiederum den Eindruck
hervor, als ob das Kriegsministerium in seiner Munitionsbereitstellung nicht das
Alleräußerste tue. Die Behauptungen, daß die Truppen viel
mehr Munition haben könnten, wenn das Kriegsministerium nur bestellen
wollte, verstummten damals nie. Auch von Reichstagsabgeordneten wurde im
Reichstag diese Anschauung vertreten, das Heer hätte mehr Munition haben
können, wenn das Kriegsministerium nicht Munitionsaufträge
aufgehoben hätte. Das war natürlich unrichtig. In der Tat war die
Pulverfertigung allein für die Gesamtmunitionsleistung maßgebend;
deshalb war bereits das Programm, das auf einer monatlichen Pulverfertigung von
6000 t sich gründete und dessen Durchführung bis zum
Oktober 1915 auf 4750 t gestiegen war, im Herbst 1915 weiter
erhöht worden. Die Beschaffung des Stickstoffes gab auch hierfür
wieder den Ausschlag neben einer gründlichen Prüfung der
Rohstofflage in den Sparmetallen. Im Dezember 1915 wurde eine
Erhöhung der monatlichen Pulverfertigung auf 8000 t und eine
entsprechende Steigerung der Munitionsfertigung angeordnet und zugleich wieder
alle hierzu erforderlichen Neubauten, einschließlich solcher für
Geschosse, Zünder, Kartusch-, Patronenhülsen,
Verpackungsmittel usw. in Angriff genommen. Diese Erhöhung
ermöglichte es auch, die große Geschützbeute aus den
russischen Festungen für die deutsche Front verwendungsbereit zu machen;
für sie mußte besondere Munition gefertigt und bereitgestellt werden.
Mit den Neubauten von Fabriken gingen auch die Neubauten für die
heimatlichen Artilleriedepots Hand in Hand, welche die vermehrten
Munitionsteile aufzunehmen und zu fertigen Schüssen zusammenzustellen
hatten.
Die harten Kämpfe um Verdun im Frühjahr 1916 hatten die
deutschen Munitionsbestände außerordentlich gelichtet, als im Juli
1916 die Somme-Offensive ausbrach und mit ihr eine neue Kampfart der Gegner
zur vollen Wirkung kam: die Materialschlacht unter Einsatz
außerordentlicher Artillerie- und Munitionsmassen, die die deutschen
Truppen zermürben sollten. Die Gefahr des Durchbruchs stieg hier mehr
und mehr, und es bedurfte auch deutscherseits eines hohen Munitionseinsatzes der
Artillerie, um die fehlenden Hindernisse vor den Stellungen durch Abgabe von
Sperrfeuer zu ersetzen und die feindlichen Vorstöße abzuwehren. Um
die Geschoßfertigung zu steigern, wurde die inzwischen eingestellte
Fertigung von Geschossen aus Thomasstahl für die leichte Artillerie, der
hauptsächlich das Sperrfeuer zufiel, wieder aufgenommen.
Im Juli 1916 wurde nach Prüfung der Rohstoff- und
Mannschaftsersatzfrage eine nochmalige Steigerung der monatlichen
Pulverfertigung um 2000 t, im ganzen also auf 10 000 t
angeordnet, und mit ihr wiederum alle die damit zusammenhängenden
Neubauten. Sie entsprach der Monatsfertigung von 100 Munitionszügen
für die Infanterie und von 630 Munitionszügen für die
oben- [85] genannten Hauptkaliber
der Artillerie, neben ausreichender Versorgung der Minenwerfertruppen und der
Marine. Zwecks Steigerung der Pulverlieferungen wurde auch zur Fertigung von
Ammonpulver neben derjenigen von
Nitroglyzerin- und Nitrozellulosepulver übergegangen. Seine Verwendung
war zwar nicht so vielseitig, wie die der bisher allein verwendeten Pulversorten;
doch war seine Herstellung, eine mechanische Mischung von Kohle und
Ammonsalpeter, verhältnismäßig einfach. Dieses Pulver wurde
über die vorgenannten 10 000 t Pulver hinaus gefertigt und
schließlich auf 2600 t monatlich gesteigert.
Jede Vermehrung der Pulverfertigung war stets mit einem ungeheuren Umfang
von Neubauten verbunden. Eine große staatliche neue Pulverfabrik wurde in
Plaue errichtet, die später durch ein Feuerwerkslaboratorium zur
Herstellung von Zündern vergrößert wurde. An weiteren
Pulverfabriken bestanden und waren erheblich erweitert worden die staatlichen
Fabriken in Spandau, Hanau, Ingolstadt, Dachau, Gnaschwitz, sowie die
Pulverfabrik Reinsdorf, der Westfälisch-Anhaltischen Sprengstoff
A.-G. gehörig, Walsrode, Troisdorf, die
Köln-Rottweiler Pulverfabriken in Rottweil und Düneberg. Die
letztere war eine der bedeutendsten. Dazu kamen Neubauten von
Stickstoffabriken, Zersetzungsanlagen für Salpeter, Oleumfabriken,
Anlagen zur Gewinnung von Schwefel, Zellstoffabriken,
Schießwollfabriken, Anlagen zur Erzeugung von Glyzerin und
Nitroglyzerin, Zentralitfabriken, Anlagen zur Gewinnung von Benzol und Toluol,
Sprengstoffabriken für Pikrinsäure, Trinitrotoluol, Dinitrobenzol,
Chlorate, Perchlorate und viele andere mehr. Hierzu trat endlich ein
erhöhter Bedarf an Maschinen, an Eisen, Stahl, Kupfer, Messing,
Aluminium, und vor allem an Kohle, letztere nicht nur für diese Fabriken
selbst, sondern auch für die erhöhte Stahlerzeugung und die
ungeheuren Transporte, die sich aus der gesamten Munitionsfertigung ergaben
und die den Verkehr und den Eisenbahnpark ganz außerordentlich
belasteten. Jede Steigerung der Munitionsfertigung erforderte also auch eine
ungeheure Steigerung der Kohlenförderung. Überdies beanspruchte
jede Steigerung eine große Zahl tüchtiger Facharbeiter, die der Front
entzogen wurden.
Die erforderlichen Rohstoffmengen dürften folgende Zahlen kennzeichnen:
Zu dem Fertigungsprogramm von 10 000 t Pulver monatlich
gehören 23 000 t Sprengstoff. Um diese Mengen herzustellen,
wurden u. a. monatlich gebraucht:
34 000 t |
Salpetersäure (als HNO3
gerechnet), |
6 000 t |
Ammonsalpeter, |
9 200 t |
Oleum (60%), |
26 900 t |
Oleum (20%), |
27 200 t |
H2SO4 in konzentrierter
Schwefelsäure, |
8 500 000 l |
Spiritus. |
[86] Die
Geschoßherstellung forderte monatlich rund: |
150 000 t |
Stahl, |
2 000 t |
Kupfer, |
4 000 t |
Blei, |
die Patronen und Kartuschhülsen monatlich: |
4 200 t |
Messing, |
1 600 t |
Feinzink, |
2 100 t |
Stahlblech, |
die Zünderfertigung monatlich: |
1 000 t |
Aluminium, |
2 100 t |
Kupfer, |
2 900 t |
Zink. |
Hieraus ist ersichtlich, wie weit vorausschauend jede Munitionssteigerung reiflich
erwogen werden mußte.
Im August 1916 betrug die monatliche Pulverfertigung 6000 t; weitere
2000 t waren seit Dezember 1915 und noch weitere 2000 t seit Juli
1916 mit allen dazu notwendigen Anlagen im Bau, darüber hinaus noch die
Herstellung des Ammonpulvers.
Die Rohstofflage und Rohstoffbewirtschaftung.
Zur Erfüllung dieser Riesenaufgabe war eine sehr tüchtige
Rohstoffbewirtschaftung notwendig. An die Spitze der Kriegsrohstoffabteilung
trat im März 1915 Major Koeth, der sich ein ungeheures Verdienst um
dieses ganze Arbeitsgebiet erworben hat. Ihn unterstützten tüchtige
Männer aus fast allen Berufen, die mit einer außerordentlichen
Schaffensfreudigkeit rechtzeitig die Maßnahmen ergriffen, die zur
Aufrechterhaltung der schwierigen Rohstoffwirtschaft notwendig waren.
Die deutsche Industrie stand bei Kriegsausbruch so mitten im Weltverkehr,
daß es zunächst schier unmöglich schien, sie plötzlich
nach Abschneiden vom Weltverkehr aus ihm herauszuheben und sie ganz auf
eigene Füße zu stellen. Daß dies Deutschland gelungen ist,
muß die größte Bewunderung einflößen. Deutscher
Organisationsgeist und deutsches Anpassungsvermögen, deutsche
Willenskraft und die enge Zusammenarbeit deutscher Wirtschaft mit deutscher
Wissenschaft haben alle Hindernisse aus dem Wege geräumt, die man
für unüberwindlich halten mußte. Und dies ist gelungen,
wiewohl irgendwelche Kriegsvorsorge nicht getroffen war und eine
planmäßige Versorgung mit den notwendigsten Rohstoffen in keiner
Weise stattgefunden hatte.
Die ersten Aufgaben der Kriegsrohstoffabteilung, die Bestandsaufnahme der
vorhandenen Rohstoffe, geschah durch eine Stelle, die später die
Zentralstelle der Kriegsrohstoffabteilung für Bestandserfassung,
Beschlagnahme, Enteignung [87] und
Höchstpreiswesen im Inland wurde. Für den großen Zugang an
Rohstoffen aus den besetzten Gebieten wurde eine besondere Stelle gebildet.
Die Bereitstellung der einzelnen Rohstoffe fiel Fachstellen zu; jeder stand eine
Reihe von Hilfsstellen
(Melde-, Bedarfsprüfungs-, Zuweisungs-,
Metallmobilmachungs-, Außenstellen) zur Seite.
Die Meldestellen buchten die beschlagnahmten Rohstoffe.
Die Bedarfsprüfungsstellen prüften den von den Beschaffungsstellen
angemeldeten und vorgeprüften Bedarf an Rohstoffen nach, insbesondere
auch auf die Möglichkeit des Ersatzes durch Nichtsparstoffe.
Die Zuweisungsämter regelten bei einzelnen Stoffen, z. B. Metall, Leder
usw., den Verkauf von Sparstoffen, die in Verwaltung und im Eigentum der
Kriegsrohstoffgesellschaften waren.
Die Metallmobilmachungsstellen hatten die Aufgabe, die Vorräte an
wichtigen Kriegsrohstoffen, z. B. Kupfer, Nickel, Aluminium, durch
Erfassen von Fertigwaren zu vermehren.
Die Außenstellen hatten im Inlande oder im besetzten Gebiete die
Interessen der Kriegsrohstoffabteilung zu vertreten, sei es bei den
Kriegsgesellschaften, Verbänden oder Erzeugern, sei es in den besetzten
Gebieten bei der Rückführung der Rohstoffe, sei es bei den
Verbündeten zur Schaffung eines gerechten Ausgleiches innerhalb der
verbündeten Wirtschaftsgebiete.
Um die im Lande zur Verfügung stehenden Rohstoffe zu erfassen und die
aus den besetzten Gebieten zurückgeführten Rohstoffe zu
übernehmen, zu lagern, zu sichten, zu verteilen, zu verrechnen, war eine
Behörde nicht geeignet. Es war eine kaufmännische Aufgabe, die
Rathenaus Vorschlag entsprechend durch kaufmännische
Kriegsgesellschaften zu lösen war. Diese unterstanden der Aufsicht des
Staates, beruhten aber auf dem Grundsatz der Selbstverwaltung und der
Gemeinnützigkeit. Die Selbständigkeit mußte allerdings
allmählich so eingeschränkt werden, daß sie schließlich
beaufsichtigte Aufsichtsorgane der Kriegsrohstoffabteilung wurden.
Als Form der Kriegsrohstoffgesellschaft wurde anfangs die Aktiengesellschaft
gewählt. Dividenden sollten nicht verteilt, das Aktienkapital entweder gar
nicht oder nur sehr gering verzinst werden. Aufsichtsrat und Vorstand arbeiteten
anfänglich ehrenamtlich. Etwaige Gewinne der Gesellschaft sollten bei
Kriegsende dem Reiche zufallen. Die später gebildeten
Kriegsrohstoffgesellschaften wurden als G. m. b. H. gebildet.
Bei diesen Gründungen beteiligte sich auch das Reich.
Unter Mitwirkung der Kriegsgesellschaften ist Gewaltiges von der
Kriegsrohstoffabteilung geleistet worden, um bei der völligen
Abschneidung Deutschlands vom Weltmarkt nicht nur die Weiterführung
der Kriegsindustrie zu ermöglichen, sondern sie allmählich zu einer
immer höheren Leistungsfähigkeit zu bringen. Das Endziel der
Kriegsrohstoffabteilung, die Kriegsindustrie unabhängig vom
Rohstoffmarkt der Außenwelt zu machen, ist durch mehr als [88] 50 Monate erreicht
worden. Hierbei wurde sie unterstützt von allen waffentechnischen
Heeresstellen, durch die technischen Fortschritte auf dem Gebiete der
Ersatzstoffverwertung und die deutsche Wissenschaft. Durch Kaiserliche
Verordnung war die Genehmigung zur Gründung der "Kaiser
Wilhelmstiftung für kriegstechnische Wissenschaft" erteilt worden,
welche
"durch Zusammenarbeiten der besten wissenschaftlichen
Kräfte des Landes mit den militärischen Kräften die
Entwicklung der naturwissenschaftlichen und technischen Hilfsmittel der
Kriegführung fördern"
sollte. Auch von dieser Stelle aus ist eine tatkräftige Förderung der
Rohstoffersatzfrage erfolgt.
Die Kriegsrohstoffabteilung gliederte sich nach den Rohstoffen. So bestand z. B.
die Abteilung Eisen aus je einer Sektion für Eisen und Stahl und für
Eisengewinnung, einer Eisenauslandsstelle, die für die Belieferung des
Auslandes mit den ihm zugesagten Mengen von Eisen und Stahl sorgte, und der
Rohstahlausgleichstelle, die den Bedarf an Roheisen, Rohstahl,
Walzwerkerzeugnissen usw. zu ermitteln, zu verteilen und auszugleichen
hatte. An weiteren Rohstoffen wurden Kupfer und Silber, Chrom, Nickel und
Platin, Zink, Zinn, Antimon, Graphit, Blei und Quecksilber, Aluminium,
Rohstoffe für Schwefelsäure, Phosphor und Glasbereitung
bewirtschaftet. Eine besondere Hüttenkontrolle hatte die Gewinnung von
Kupfer usw. zu überwachen, während das Zuweisungsamt bei
der Metallmeldestelle alle Sparmetalle den Verbrauchern zuwies. Besondere
Aufmerksamkeit wurde der Bewirtschaftung der Kohle und der Brennstoffe,
sowie der Mineralöle und Kokereierzeugnisse geschenkt. Auch Leder und
Häute, Rohstoffe der Web- und Papierindustrie, Kautschuk und Holz
wurden bewirtschaftet.
Der deutschen Industrie muß das Zeugnis ausgestellt werden, daß sie
in enger Zusammenarbeit mit der Heeresverwaltung Außerordentliches
geleistet hat durch die willige und verständnisvolle Einordnung aller ihrer
Kräfte unter diese durch Selbstverwaltung ausgeübte
Bevormundung.
Die Beschlagnahme und Rückführung der für die deutsche
Kriegswirtschaft wichtigen, direkt unentbehrlichen Rohstoffe in den besetzten
Gebieten war zunächst Sache der Etappenbehörden. Die
Kriegsrohstoffabteilung gab ihnen Vertreter bei, die als ihr Sprachrohr dienten
und als Sachverständige für Rohstofffragen herangezogen wurden.
Der Einfluß dieser Sachverständigen verstärkte sich immer
mehr, so daß diese später die Rohstoffrückführung
übernahmen und somit der Kriegsrohstoffabteilung allein unterstellt
wurden.
Beim Generalgouvernement Belgien übernahm ein Beauftragter des
Kriegsministeriums die Beschlagnahme und Rückführung der
Rohstofflager; ihm wurde bald eine Rohstoffverwaltungsstelle beigegeben, bis das
Generalgouvernement selbständig die Rohstoffwirtschaft des von ihm
verwalteten Gebietes übernahm. [89] Später wurde dem
Generalgouvernement auch das belgische Etappengebiet Gent unterstellt, das
vorher der vierten Armee unterstanden hatte. Bei den Etappeninspektionen der
Westarmee wurden die Rohstofffragen von "Wirtschaftsausschüssen"
bearbeitet, denen Sachverständige als Interessenvertreter des
Kriegsministeriums beigegeben waren. Sie leiteten auch die
Rückführung der Maschinen in die Heimat. Besonders geregelt war
für den Westen die Rückführung des Eisens. Nach Besetzung
des französischen Minette-Beckens wurde zunächst die
"Schutzverwaltung" beim Chef der Zivilverwaltung des Gouvernements Metz
gegründet zum Zwecke der Erhaltung und später der
Inbetriebsetzung der Grubenanlagen. Aus der Zwangsverwaltung bildeten sich die
beiden Kriegsgesellschaften "Berg- und Hüttenverwaltung Hayingen,
G. m. b. H. (De Wendel-Werke)" und "Bergverwaltung
Hemécourt (Französische Minette)". Die Rückführung
von Rohstoffbeständen aus dem
Longwy-Briey-Becken übernahm später die
Rohstoff- und Maschinen-Verwaltungsstelle des Gouvernements Metz. Die
Schwierigkeiten in der Minette-Erzförderung lag hauptsächlich in der
Nähe der Front und in der Arbeiterfrage, weil im Westen in den
Bergwerken in erster Linie Italiener beschäftigt gewesen waren. Trotzdem
gelang es der deutschen Bergverwaltung, allmählich wieder eine
große Zahl der Gruben in Betrieb zu setzen.
Ersatzstoffe.
Daß die Munition der größte Sparstoffverbraucher war, bedarf
keiner besonderen Hervorhebung. Es mußten also Mittel und Wege
gefunden werden, gerade bei ihr die Sparstoffe durch andere Stoffe zu ersetzen.
Die Artillerie-Prüfungskommission hat das große Verdienst, die
umfangreichen Versuche hierfür zu einem guten Ergebnis geführt zu
haben. Bei den Führungsbändern wurde Kupfer durch
Änderung des Profils, durch Ersatz durch Zink, Eisen oder Messing oder
durch Anwendung von Kupferpanzerbändern gespart. Die
Messing-Kartusch- und Patronenhülsen wurden zum großen Teil
durch Stahl- oder Eisenhülsen, bei den Zündern fast alle zu Beginn
des Krieges verwandten Sparstoffe durch andere ersetzt. Für die
Herstellung der Zünder war dieser Wechsel sehr schwierig.
Überhaupt waren die meisten unserer Zünderarten infolge der
vielseitigen Anforderungen, denen jede Konstruktion genügen sollte, so
verwickelt, daß sie für eine Massenherstellung, wie sie notwendig
wurde, wenig geeignet waren. Durch die Schwierigkeit ihrer Herstellung und ihres
Zusammenbaues wurde einerseits bei den Betrieben, die schon im Frieden
Zünder hergestellt hatten, die Fertigungszahl begrenzt, andererseits die
Heranziehung und Anlernung neuer, auf diesem Gebiete noch unbewanderter
Betriebe außerordentlich erschwert. Einfache Aufschlagzünder
wurden daher notwendig.
Der große Bedarf an Sprengstoffen, zu dessen Deckung zunächst die
aus- [90] gedehnte deutsche
Farbindustrie mit ihren Einrichtungen helfen konnte, führte zu einer
völligen Umwälzung. Hatte man deutscherseits bei Beginn des
Krieges nur Trinitrotoluol (Füllpulver) und Pikrinsäure als
Sprengstoffe für Artillerie verwendet, so mußte man sehr bald
weniger wirksame Ammonsprengstoffe heranziehen, bis man auf andere
Steinkohlenprodukte, besonders auf das Benzol, zur Bereitung von Dinitrobenzol
(Di), zurückgreifen konnte. Gießbare
Ammonsalpeter-Sprengstoffe wurden beim Füllpulver 60/40 und Di 65/35
mit gutem Erfolg verwandt. Die Zusätze von Ammonsalpeter gaben nur
schlechte Aushilfsstoffe. Um die Sprengstofflieferung haben sich hoch verdient
gemacht die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co., Leverkusen bei
Cöln, die Farbwerke Meister Lucius und Brüning,
Höchst a./M., Chemische Fabrik
Griesheim-Elektron, Frankfurt a./M., Chem. Fabrik
Weiler-ter-Mer, Uerdingen, A.-G. für Anilinfabriken, Berlin, Badische
Anilin- und Sodafabrik, Ludwigshafen a./Rh., die Fabriken des
Nobel-Konzerns, die Westfälisch-Anhaltische
Sprengstoff-A.-G., die Bayrische Sprengstoff-A.-G., Espagit
A.-G., J. Hauff & Co., G. m. b. H., Feuerbach
bei Stuttgart.
Die Gewinnung von Glyzerin geschieht bekanntlich aus tierischen und
pflanzlichen Fetten; seine Darstellung ging also auf Kosten der Ernährung.
Die Erschließung neuer Quellen für das Glyzerin, das zur
Pulverbereitung verwandt wurde, war nach den unabhängig voneinander
ausgeführten Arbeiten von Carl Neuberg und Elsa Reinfurth einerseits, und
von Connstein andererseits durch Eingriffe in den Vorgang der Zuckerspaltung
durch Hefe gelungen. Diese Art der Gewinnung von Glyzerin durch eine
wohlfeilere Art zu ersetzen, war nicht unwichtig bei dem großen Bedarf an
einem glyzerinähnlichen Stoff, bei dem nicht die chemische Natur, sondern
die physikalischen Eigenschaften ausschlaggebend waren, z. B. für
die Zwecke der Bremsung bei Rohrrücklaufgeschützen, für die
Kühlung von Maschinengewehren und für die
Wärmeökonomie der Feldküchen. Professor Neuberg fand
hierzu die Alkalisalze der Gärungsmilchsäure, insbesondere das
Natrium- und Kaliumlaktat und schlug es den maßgebenden
militärischen Stellen vor, die sich von der Brauchbarkeit dieses
Glyzerin-Ersatzmittels überzeugten. Somit wurde bei den
Rohrrücklaufgeschützen das bisherige Friedensglyzerin als
Bremsflüssigkeit durch eine Lösung von milchsaurem Natrium
ersetzt, welches, um an den der Truppe geläufigen Namen Glyzerin
anzuknüpfen, Per-Glyzerin genannt wurde. Das aus milchsaurem Kalium
hergestellte Perka-Glyzerin wurde als Kühlflüssigkeit für die
Maschinengewehre eingeführt. Auch bei der Marine und den
verbündeten Staaten kam es zur Anwendung.
Für Feldküchen wurde hingegen als Glyzerinersatz Glykol, das aus
Äthylenchlorid durch Einwirkung von Soda gewonnen wird,
angewandt.
Besondere Erfolge wurden in der Wiedergewinnung von den in der chemischen
Industrie wertvollen, an sich knapp gewordenen Stoffen, wie Azeton,
Äther, Alkohol gemacht.
[91] Zur Streckung des
Pulvers diente später das Ammonpulver, um dessen Zustandekommen sich
hauptsächlich das unter Leitung des
Geh. Reg.-Rates Prof. Dr. Bergmann stehende
Militärversuchsamt, sowie
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. Haber verdient gemacht haben.
An neuen Ammonpulverfabriken entstanden die Pulverfabriken Kriewald,
Reichenstein, Pfälzische Pulverfabriken St. Ingbert und Schopp,
Pulverfabrik Pniowitz, Oberkleen, Siemens-Schuckert,
Düneberg, Allgemeine
Elektrizitäts-Aktien-Gesellschaft und
Krause-München. Zur Dämpfung des Mündungsfeuers diente
Düneberger Salz.
Neukonstruktionen von Geschossen wurden während des ganzen Krieges
infolge der stets neuen Formen, welche die Kriegführung annahm, infolge
Verschlechterung und Knappwerdens verschiedener Rohstoffe und infolge
Einführung neuer Geschütze erforderlich. Erinnert sei an die
Abschaffung des Einheitsgeschosses für die Feldkanone gleich zu Beginn
des Krieges und dessen Ersatz durch das Schrapnell und die Granate, ferner an die
verschiedenen Arten von Gasgranaten, Flugzeug- und Tankabwehrgeschossen,
sowie an die aus Thomasstahl gepreßten Geschosse und an die Geschosse
für Infanterie- und Gebirgsgeschütze.
Die Zahl der verschiedenartigen Geschoßfüllungen wurde noch durch
die Forderung der Truppe vermehrt, die Beobachtungsfähigkeit der
Granaten zu verbessern. Ein Teil erhielt deshalb Rauchentwickler.
Die weitere Forderung der Truppen nach Geschossen mit besonders großem
Rauchentwickler, sogenannten Einschießgeschossen, und weiterhin nach
Geschossen zur Erzeugung künstlichen Nebels, nach
Brand-, Leucht-, Tankabwehrgeschossen, führte zu weiterer Vielseitigkeit
der Geschoßarten.
Die mit Recht angestrebte Einfachheit der Munitionsausstattung ging im Kriege
schnell verloren. Munitionsmangel, Rohstoffmangel, besondere Forderungen des
Stellungskrieges, Wünsche der Truppe führten zu einer laufenden
Veränderung und Vervielfältigung der Munitionsarten.
Im Laufe des Krieges wurden über 200 verschiedene Geschoßarten
hergestellt, einschließlich der Geschosse für Türkei und
Bulgarien. Bei Beendigung des Krieges wurden von diesen Geschoßarten
noch etwa 90 gefertigt. Neukonstruiert wurden während des Krieges etwa
170 Geschosse. Der ungünstige Einfluß, welchen der dauernde
Wechsel in den Geschoßarten auf die Beschaffung und die Massenfertigung
ausüben mußte, ist leicht zu erkennen. Aus dem weiteren Umstande,
daß auch der Bedarf an den einzelnen Geschoßarten je nach der
Kriegslage und der Zahl der im Kampfe eingesetzten Geschütze schwankte,
und daß kurz vor Beendigung des Krieges die monatliche
Geschoßfertigung über 11 Millionen Geschosse betrug,
läßt sich ein Überblick über die Aufgaben gewinnen,
welche der Geschoßbeschaffung gestellt waren.
[92] Das Füllen der
Geschosse geschah in Füllstellen, teils bei den Geschoßdrehereien,
teils bei den Sprengstoffabriken.
Im Gegensatz zu den vor dem Kriege geltenden Anschauungen, nach denen
fertiggegossene in Pappe oder Leinwand gehüllte
Sprengladungskörper in die Geschosse eingesetzt wurden, ging man im
Kriege schon im Herbst 1914 in großem Umfange zum unmittelbaren
Eingießen des Sprengstoffes in das Geschoß über, auch
vielfach bei solchen, die einen abschraubbaren Boden oder Kopf besaßen
und die Anwendung des alten Verfahrens erlaubt hätten. Aber nur das
unmittelbare Eingießen des Sprengstoffes gestattete, die ungeheure Masse
der Munition ohne Schaffung umfangreicher neuer Einrichtungen und mit
verhältnismäßig wenig Menschen rechtzeitig
bereitzustellen.
Umfangreiche Ersatzstoffe mußten bei den Verpackungsmitteln aushelfen;
so wurde Weidengeflecht an Stelle des Rohrgeflechtes verwendet,
Misch- oder Papiergewebe als Ersatz für Segelleinen für
Schutzbänder, Schutzkappen; Linoleumplatten ersetzte man durch
imprägnierte Pappe, Blechbüchsen durch solche aus Sperrholz. Bei
Kartuschkolben fielen die Handgriffe weg. Strickhandgriffe wurden durch
Grifflöcher ersetzt. Zur Verpackung der Munition nahm man Holzwolle,
Stroh und Lattenverschläge, Wellpapphüllen. Diese Verpackungen
haben sich gut bewährt; der Heeresverwaltung sind durch sie viele
Millionen erspart worden.
Die Organisation des Munitionsnachschubs.
Die Fertigstellung der Infanterie- und Artilleriemunition zu fertigen
Munitionszügen, versandbereit, geschah in etwa 50 Artilleriedepots der
Heimat. Davon stellten einige Depots nur Munitionszüge für die
leichte Artillerie, andere nur solche für die schwere Artillerie, der Rest
solche für leichte und schwere Artillerie auf. Zur Erleichterung der
Übersicht blieb die Art der Munitionszüge bei den Artilleriedepots
beschränkt.
Jeder Munitionszug faßte eine bestimmte Schußzahl, so z. B.:
der Infanterie-Munitionszug |
2 738 400 |
Schuß |
der Feldkanonen-Munitionszug |
26 880 |
" |
der leichte Feldhaubitzen-Munitionszug |
12 000 |
" |
der 10 cm-Kanonen-Munitionszug |
10 000 |
" |
der schwere Feldhaubitzen-Munitionszug |
6 000 |
" |
der Mörser-Munitionszug |
2 000 |
" |
Jedem Artilleriedepot war das Monatsarbeitsprogramm genau vorgeschrieben. Die
einzelnen Teile, die zum fertigen Schuß gehören: gefüllte
Geschoßhüllen, Zünder, Kartuschhülsen, das Pulver, die
Verpackungsstoffe wurden den Depots von der Feldzeugmeisterei (später
Waffen- und Munitions-Beschaffungsamt) überwiesen. Die Herrichtung der
Kartuschen besorgte das Artilleriedepot; die Bereitstellung der Züge wurde
mit Nummerbezeichnung dem Kriegsministerium und der Obersten Heeresleitung
gemeldet. Auf besondere Anordnung wurde unter [93] Umständen die
Munition für die Munitionszüge auch unverladen bereitgestellt. Die
Oberste Heeresleitung rief die Züge ab und stellte sie den Armeen zur
Verfügung, die den Eisenbahnzielpunkt bestimmten. Die Artilleriedepots
haben sich um die Bereitstellung der Munition ein ganz besonderes Verdienst
erworben. Unermüdlich ist ihr Personal Tag und Nacht tätig
gewesen, wenn der Großkampf an der Front es verlangte. Insbesondere hat
die Arbeiterschaft der Artilleriedepots nie versagt, sondern bis zum letzten Tage
des Krieges treu ihre Pflicht getan.
Vergleich mit den Feindstaaten.
Aus den Darlegungen sind die großen Schwierigkeiten zu ersehen, die
Deutschland bei Kriegsbeginn in der Munitionsfertigung zu überwinden
hatte, entstanden durch die Arbeiter-, Maschinen- und Rohstofflage. In den
Ententestaaten ist das zu jener Zeit keineswegs anders gewesen. Auch sie haben
keine Vorarbeiten für eine wirtschaftliche Mobilmachung gehabt. So
schrieb die Zeitung Guerre Sociale am 5. Mai 1915,
"daß niemand vor dem Kriege die Riesenmenge des
Geschoßbedarfs für Artillerie vorausgesehen hätte. Auch kein
Abgeordneter hätte vor dem Kriege sich für derartige Vorräte
eingesetzt, wie sie jetzt gebraucht werden. Es sei auch zu berücksichtigen,
daß törichterweise im August die Hauptzahl der Mechaniker
mobilisiert worden sei; feiner befänden sich 80% der Metallwerke in den
vom Feind besetzten Departements."
Die Darstellung eines englischen Zeitungsberichts aus jener Zeit lautet:
"Soweit das durch das neue
Munitionsministerium erreichte Resultat abgeschätzt werden kann, hat es
nicht den erwarteten Erfolg gehabt.
Der Grund hierfür ist eine Reihe von
Schwierigkeiten, die aufgezählt werden müssen:
1. Gelernte Arbeiter:
Die größte Schwierigkeit, die dem neuen
Munitionsministerium zur Erlangung gelernter Arbeitskräfte entgegensteht,
ist darauf zurückzuführen, daß die
Ingenieur- (Konstruktions-) Firmen in England im Anfang des Krieges durch die
Rekrutierung von Arbeitern entblößt wurden.
Um sich gelernte Arbeiter zu sichern, ließ das
Kriegsministerium von allen Konstruktionsfirmen Listen der Leute vorlegen, die
sich als Soldaten hatten anmustern lassen. Im Verfolge der Untersuchung fand das
Kriegsministerium, daß viele dieser Leute tot oder verwundet oder in die
nach Indien oder dem Mittelmeer gesandten Streitkräfte eingetreten
waren.
Die Anzahl derjenigen, deren man habhaft werden konnte,
war daher außerordentlich klein im Vergleich mit der benötigten
Anzahl gelernter Arbeiter.
[94]
2. Werkzeugmaschinen und Lehren:
Von den etwa 60 Konstruktionswerken, die Lloyd George
anwarb, hatten mindestens 45 nicht die nötigen Maschinen und Werkzeuge
zur Munitionsfabrikation, und im Juli 1915 war diese Frage noch derart
ungeklärt, daß Lloyd George sich veranlaßt fühlte, eine
Zusammenkunft von Vertretern der Werkzeugmaschinenmacher abzuhalten, um
die besten Mittel und Wege zu besprechen, wie die größte
Herstellung von Werkzeugmaschinen für die Munitionswerke erzielt
werden könne.
Was die Lehren betrifft, so fand man, daß der
Mangel an diesen wertvollen Instrumenten die Herstellung von Munition sehr
behindert. Diese Schwierigkeit wird noch größer durch die Tatsache,
daß die Lehren so feine Werkzeuge sind und ihre Herstellung so
mühsam und zeitraubend ist. Die Herstellung von Lehren ist in England
nun wieder beschränkt. Die Nachfrage nach ihnen ist groß und weit
größer, als daß sie von allen bestehenden Firmen, die Lehren
machen, befriedigt werden könnte.
3. Rohstoffe:
Die Seltenheit von Zink ist eine weitere der vielen mit
dem Munitionsproblem verknüpften Schwierigkeiten. Ein großer
Prozentsatz des Weltbedarfs an Zinkerzen kommt aus britischen Besitzungen, und
doch bezog England den größten Teil seines Zinks vom
Kontinent."
Ein- und Ausfuhr.
Die Verbote für Ausfuhr von Waren wuchsen in Deutschland
ständig; entsprechend mehrten sich die Anträge auf
Ausfuhrgenehmigungen. Die Entscheidung traf das Reichsamt des Innern.
Militärische Rücksichten standen bei der Beurteilung aber oft
obenan, und deshalb mußte das Kriegsministerium an der Prüfung
beteiligt werden. Der Krieg hatte auch zu wilden Einkäufen im Auslande
durch militärische Stellen und zu Preistreiberei geführt. Das
militärische Interesse an solchen Einkäufen mußte auch vom
Kriegsministerium wahrgenommen werden. So entstand die Abteilung für
Ein- und Ausfuhr, die berufen war, bei Einkäufen im Auslande, wie bei
Ausfuhrverboten und -genehmigungen mitzuwirken. Der Arbeitsstoff wurde in ihr
hauptsächlich von tüchtigen Kaufleuten, Wirtschaftlern und
Angehörigen der Industrie mit größter Hingabe und
Gewandtheit bearbeitet. Im Reichsamt des Innern führte das Anwachsen
des Arbeitsgebietes zur Schaffung eines "Reichskommissars für
Aus- und Einfuhrbewilligungen"; der erste Reichskommissar war der
Präsident des Reichsstatistischen Amtes,
Geh. Reg.-Rat Delbrück.
[95] Die Versorgung
mit Handwaffen, Maschinengewehren, Stahlhelmen.
Die Herstellung der Handfeuerwaffen (Gewehre, Karabiner, Pistolen) erfolgte zu
Beginn des Krieges in den staatlichen Gewehrfabriken Spandau, Erfurt, Danzig,
Amberg, ferner in den Deutschen Waffen- und Munitionsfabriken, der
Waffenfabrik Mauser zu Oberndorf und von dem Suhler Konsortium. Die
Herstellung war in den ersten Monaten nur gering; die
Mobilmachungsverträge waren so geschlossen, daß nach 5 Monaten
eine tägliche Leistung von 1200 Gewehren erzielt wurde. Der Vorrat war
durch die in Flandern und in Masuren neuaufgestellten Armeen bald verbraucht,
so daß vorübergehend die in der Tannenberger Schlacht erbeuteten
russischen Gewehre zur Ausrüstung deutscher Infanterie herangezogen
werden mußten. Auch in der Heimat bestand Mangel an Gewehren zur
Ausbildung der Rekruten. Zum Erfassen der Beute wurde ein Sammeldienst
eingerichtet. Auch die Gründung einer neuen Gewehrfabrik, der
Waffenwerke Oberspree, mit Maschinen aus den besetzten Gebieten konnte
ebenso wie die Erweiterung der vorhandenen Fabriken allein nicht eine solche
Steigerung der Fertigung bewirken, daß ein Vielfaches der bis dahin
erzielten Leistungen eintrat. Durch doppelte und dreifache Arbeitsschichten an
Stelle der bis dahin üblichen Arbeitszeit von
10 - 11 Stunden wurde auch ein ausreichender Nutzen nicht erzielt,
vielmehr war ein energischer Eingriff unbedingt geboten. Lange hat der deutsche
Mannschaftsersatz ohne Gewehr an die Front gehen müssen und konnte erst
dort mit Gewehren Gefallener, Erkrankter usw. ausgerüstet werden.
Die deutsche Waffenindustrie allein vermochte den Massenbedarf an Gewehren
bei dem bisherigen Fertigungsverfahren nicht zu decken.
Es mußte ein neuer Weg eingeschlagen werden: diesen wies
Geh. Reg.-Rat Prof. Romberg, welchen der damalige
Feldzeugmeister, Gen.-Lt. Franke, als Mitarbeiter gewonnen hatte. Der
Weg war an und für sich einfach: jeder Teil des Gewehres wurde an eine
oder mehrere Fabriken, die 67 Gewehrteile im ganzen an etwa 100 Fabriken zur
Massenfertigung gegeben; die gefertigten Teile wurden in den staatlichen
Gewehrfabriken, welche die größten Erfahrungen in der
Gewehrfertigung besaßen, zur fertigen Waffe zusammengebaut. Die
Auswahl der Fabriken, denen die Einzelteile zuzuweisen waren, war
natürlich sehr wichtig. Am meisten waren für die Anfertigungen die
Fabriken der Präzisionsindustrie geeignet, die sich mit Massenfertigungen
befaßten: Nähmaschinen-, Schreibmaschinen-,
Rechenmaschinen-, Fahrrad-, Kugellager- und gute Werkzeugfabriken. Aber auch
von diesen mußten zur Verkürzung der Anlaufzeit diejenigen
ausgesucht werden, welche durch ihren Maschinenpark, ihre Ingenieure, Meister
und Arbeiter am besten in der Lage waren, die ihnen gestellten Aufgaben schnell
zu erfüllen. Für sie wurden sogleich die Werkstattzeichnungen
hergestellt, die für die Fertigung unentbehrlich waren, die aber bis dahin die
Heeresverwaltung nicht besessen hatte. Es wurden dann die Grenzmaße,
[96] Toleranzen, festgesetzt,
welche die bei der Massenfertigung vorkommenden Ungenauigkeiten
eindämmen und ermöglichen sollten, die in den verschiedenen
Fabriken gefertigten Einzelteile ohne weitere Handnacharbeit passend
zusammenzusetzen und auch auszutauschen. Zur Nachprüfung der
Grenzmaße war die Beschaffung von Meßinstrumenten, Lehren,
erforderlich, und zwar in großer Zahl sowohl für den Arbeiter,
Betriebslehren, als auch für den Abnehmer, Abnahmelehren, die
zunächst erst entworfen und dann angefertigt werden mußten.
Weiterhin war eine Teilung der maschinellen Arbeit in Arbeitsvorgänge bei
jedem einzelnen Teile des Gewehres notwendig, um hiernach Art und Zahl der
Maschinen zu bestimmen, welche die Verrichtungen, Fräsen, Drehen,
Schleifen, Bohren, Stanzen usw. auszuführen hatten. Hierbei ergab
sich, daß die 67 Teile des Gewehres über 1000
Arbeitsvorgänge notwendig machten und demgemäß
ebensoviel Maschinen verlangten. Von der Auswahl dieser Arbeitsgänge
und ihrer Reihenfolge hing natürlich auch die Güte des Erzeugnisses
ab. Da bei einem Ausfall von Maschinen oder Werkzeug während der
Massenfertigung schwere Störungen nicht nur für die Herstellung des
Einzelteiles, sondern zugleich bei diesem System auch für die ganze Waffe
eintreten mußten, durfte die Bereitstellung eines Vorrats an
Ersatzmaschinen und Werkzeug nicht übersehen werden.
Alle diese Vorbereitungen waren notwendig, ehe in die Massenfertigung getreten
werden konnte; dazu kam noch das Anlernen des einzelnen Arbeiters an seiner
Arbeitsstelle.
Der Weg, den Prof. Romberg wies, der so einfach schien, bedingte hiernach doch
sehr zeitraubende Vorbereitungen, aber er bot die günstigsten Aussichten,
und ein anderer Weg blieb nicht übrig, sollte Deutschland unter dem
Mangel an Gewehren nicht zusammenbrechen.
Das Ergebnis der Massenfertigung war glänzend. In knapp 6 Monaten
konnte jeder Bedarf an Gewehren gedeckt werden; die Monatsfertigung stieg auf
250 000 Gewehre; eine starke Armee hätte allmonatlich hiermit
ausgerüstet werden können. Nach nur wenigen Monaten der
Höchstleistungen war man schon gezwungen, sie zu vermindern. Das
Ergebnis wurde im August 1916, also vor dem
Hindenburg-Programm, erzielt. Der Erfolg sprach auch gegen alle diejenigen,
welche vor Beginn der Massenfertigung in bester Überzeugung zu warnen
sich für verpflichtet hielten, daß in Fabriken, die sich nie mit
Waffenbau befaßt hätten und die das Wesen und die Schwierigkeiten
dieser Fertigung nicht beherrschten, eine derartige Massenfertigung
ausgeführt würde. Sie befürchteten, daß beim
Zusammenbau zur fertigen Waffe die Einzelteile keinesfalls zusammenpassen
würden und damit ein völliger, verhängnisvoller Fehlschlag
unausbleiblich sei. Für sie handelte es sich um einen Sprung ins Dunkle.
Das Verdienst des Prof. Romberg ist es, diesen so erfolgreichen Weg
dennoch beschritten zu haben.
Kein Zweifel besteht aber, daß alle die Vorbereitungen bei richtiger
Einschätzung der Lage im Frieden schon hätten getroffen werden
können, und zwar [97] nicht nur für das
Gewehr, sondern auch für andere Waffen und anderes Heeresgerät,
und daß Deutschland dann bei Kriegsbeginn in der Lage gewesen
wäre, in kurzer Zeit Höchstleistungen aus seiner so hoch
entwickelten Industrie herauszubringen.
Die Gesamtfertigung an Gewehren, Karabinern und Pistolen betrug im Kriege
etwa 10 Millionen, etwa die gleiche Zahl an Seitengewehren.
Daß es für die Fertigung der Handwaffen an Rohstoffen selbst bis
zum Ende des Krieges nicht gefehlt hat, ist der Bewirtschaftung der Rohstoffe,
sowie der rechtzeitigen weitgehenden Verwendung von Ersatzstoffen zu
verdanken. Für Schafthölzer wurde statt Nußbaumholz
Rotbuchenholz, für Gewehrriemen statt Leder Gurtband aus Mischgewebe,
für Seitengewehre statt Tombak Temperguß verwendet. Die
Gewehrteile wurden später, statt vernickelt, gebläut oder
verzinkt.
Das System des Maschinengewehres 08, mit welchem die deutschen Truppen in
den Krieg zogen, findet sich gleichfalls in einer Reihe anderer Armeen, wenn auch
mit Abweichungen. Das im Frieden außerordentlich vorsichtig entwickelte
Maschinengewehr hat sich im Kriege ausgezeichnet bewährt. Trotzdem
fehlte der Infanterie eine leichtere Maschinengewehrwaffe, die bei
größerer Handlichkeit und einfachster Ausbildungsmöglichkeit
höchste Leistungsfähigkeit erzielte. Aus diesem Bedürfnis
heraus entstand das Maschinengewehr 08/15, ohne Lafette, in engster
Anlehnung an das Maschinengewehr 08 unter Beibehalt des eigentlichen
Mechanismus. Dies war für die Herstellung und somit für den
Nachschub der Waffe sehr wichtig. Das Gewicht der neuen Waffe betrug nur den
dritten Teil der bisherigen. Die spätere Einführung des
luftgekühlten Maschinengewehres 08/18 brachte durch Fortfall der
Wasserkühlung und Verringerung des Zubehörs eine große
Vereinfachung der Bedienung, ohne - infolge der Einheitlichkeit des
Systems mit den beiden früher eingeführten
Maschinengewehrarten - die Fertigung zu erschweren.
Die Herstellung von Maschinengewehren geschah zu Beginn des Krieges nur in
der Gewehrfabrik Spandau und in den deutschen
Waffen- und Munitionsfabriken. Nennenswerte Vorräte waren bei
Kriegsbeginn nicht vorhanden. Die Neufertigung, die mit 200
Maschinengewehren im Monat begann, vervierfachte sich etwa in Jahresfrist und
stieg bis August 1916, als das Hindenburg-Programm aufgestellt wurde, auf 2300
Stück im Monat. Nur die Firma Bergmann trat bis dahin noch in die
Fertigung von Maschinengewehren ein. Leider wurde nicht mit Beginn der
Massenfertigung der Gewehre nach System Romberg gleichzeitig auch in
diejenige der Maschinengewehre eingetreten, und auch dann noch nicht, nachdem
sich das System so glänzend bewährt hatte. Dies verhinderten
dieselben Einsprüche, die schon vor der Massenfertigung der Gewehre
vorgebracht waren und die nun einwandten, daß das Maschinengewehr doch
viel verwickelter und viel schwieriger sei und deshalb der Vergleich mit der
Herstellung des Gewehres nicht zuträfe. Erst die Sommeschlacht, in der die
so große Material- [98] überlegenheit des
Feindes dank der gewaltigen Unterstützung Amerikas zutage trat, zeitigte
die Forderung nach einer großen Vermehrung der Waffe. Wie sie
erfüllt wurde, darauf soll später zurückgekommen werden.
Als Schutzmittel, aus den Bedürfnissen des Grabenkrieges entstanden,
wurden Sandsackschartenblenden, Schützenblenden,
Infanterieschutzschilde, Stahlhelme und Brustpanzer geschaffen.
Die Einführung eines Stahlhelmes ist von der Front angeregt und
schließlich durch den Geheimrat Prof. Dr. Bier, Marinegeneralarzt
und beratender Chirurg bei dem XVIII. Armeekorps, ins Rollen gekommen. Er
berichtete aus St. Quentin über die zahlreichen
Schädelverletzungen und wies dabei auf die Zukunft der Gehirnverletzten
hin, welche, selbst wenn sie als geheilt entlassen würden, doch meist
seelischer, körperlicher, geistiger Verkrüppelung allerschlimmster
Art zum Opfer fielen. Zur Ausführung des Gedankens empfahl er den
Hauptmann d. L. Schwerd, Professor an der Technischen
Hochschule zu Hannover, der bereits über die Gestaltung eines Stahlhelmes
ihm Anregungen gegeben hatte.
Die beschleunigt durchgeführten Versuche führten zur
Einführung des Stahlhelmes aus Chromnickelstahl, nach gründlicher
Erprobung, Beschießung und Beurteilung durch militärische,
technische und medizinische Sachverständige, darunter auch Generalarzt
Professor Bier.
Der Stahlhelm hat eine überaus segensreiche Wirkung ausgeübt.
Kopfverletzte kamen im Vergleich zu früher nur noch selten zum
Truppenverbandplatz; sehr oft sind durch den Stahlhelm nachweislich
tödliche Verwundungen verhindert worden. Die Einführung dieses
Schutzes kann daher nicht hoch genug bewertet werden. Die Monatsfertigung
überschritt die Zahl von einer halben Million.
Die Versorgung mit Geschützen, optischem Gerät und
Fahrzeugen.
Bei Beginn des Krieges stand der Nachschub für die gesamte Armee an
Handwaffen, Geschützen, Geschirren und Fahrzeugen mit allem
Zubehör unter Leitung des
Feld-Munitionschefs im Großen Hauptquartier. Die
Etappen-Munitions- und -Geräteverwaltungen waren mit
"Gerätenachschüben" ausgestattet, aus denen der Bedarf der Truppe
gedeckt wurde. Die Ergänzung dieser Gerätenachschübe
erfolgte durch den Feld-Munitionschef aus den in den heimatlichen
Artillerie- und Traindepots lagernden Beständen. Diese Organisation
arbeitete zu schwerfällig. Auf Antrag des
Feld-Munitionschefs übernahm das Kriegsministerium die Leitung des
gesamten Nachschubes derart, daß nunmehr die
Etappen-Inspektionen beim Kriegsministerium den Bedarf anforderten; das war
um so zweckmäßiger, als dieses die ganze Neubeschaffung leitete,
den Zuwachs an heimatlichen Beständen allein übersah und somit
auch am zweckmäßigsten den Nachschub ordnen konnte. Das aus der
Neufertigung [99] fließende
Gerät wurde den Artillerie- und Traindepots zugeführt, aus denen das
Kriegsministerium schöpfte.
Der Nachschub für die bei Kriegsbeginn im Felde stehende leichte
Artillerie, deren Starke 5068 Feldkanonen und 1260 leichte Feldhaubitzen betrug,
ging in den ersten Kriegsmonaten glatt vonstatten. Die monatliche Neufertigung
an Feldgeschützen betrug Ende 1914 zwar nur 100 Geschütze; sie
erfolgte bei den staatlichen technischen Instituten, bei Krupp und bei der
Rheinischen Metallwarenfabrik, genügte aber durchaus, den Ausfall an der
Front, der in den ersten 10 Kriegsmonaten rund 1200 Feldgeschütze betrug,
zu ersetzen und darüber hinaus noch für Neuaufstellungen das
erforderliche Gerät bereitzustellen. Die Monatsneufertigung an
Geschützen nahm stetig zu und stieg bereits im August 1915 auf 270 und
Ende 1915 auf 480 Feldgeschütze. Für die im Herbst 1914
neuaufgestellten fünf und im Dezember 1914 neugebildeten weiteren vier
Reservekorps wurde die Artilleriebewaffnung aus vorhandenen Beständen
gedeckt; erst von März 1915 ab wurde neuen Verbänden
Feldartillerie zugeteilt, welche durch die Abgabe von je 2 Geschützen jeder
Batterie mit der erforderlichen Mannschaft gebildet war. Die alte Streitfrage, ob
die Batterie 4 oder 6 Geschütze zu zählen habe, wurde somit
praktisch zugunsten der Batterie zu 4 Geschützen gelöst. Weitere
Steigerung der Neufertigung an Feldartillerie-Gerät war geboten; und so
wurden neue Fabriken, die bislang Geschütze noch nicht gefertigt hatten,
herangezogen. Das war um so notwendiger, als die alten Geschützfabriken
für die schwere Artillerie in vermehrtem Umfange sorgen mußten.
Henschel, Borsig, Hannomag-Hannover, Hartmann-Chemnitz und Thyssen
übernahmen die Fertigung von Feldgeschützen. Der Kreis wurde
allmählich immer mehr und mehr erweitert, auch die Fertigung geteilt, so
daß schließlich mehrere hundert Fabriken vorhanden waren, welche
Ganzgeschütze für die leichte Artillerie oder Halbfabrikate für
Lafetten und für Rohre lieferten, mit dem Ziel, daß die
Monatsfertigung noch im Laufe des Jahres 1916 auf 1500 Geschütze, im
Laufe des Jahres 1917 auf 2000 Geschütze gesteigert werden sollte. Eine
Schwierigkeit machte hierbei die Umbewaffnung der Feldartillerie mit dem
Feldgeschütz 16. Hierauf wird später
zurückgekommen.
Bei der schweren Artillerie war bei Kriegsausbruch die Umbewaffnung der
Mörserbataillone mit den neuen Mörsern beendet, die Konstruktion
der neuen schweren Feldhaubitzen 13 im Jahre 1913 abgeschlossen und die
Neubeschaffung im vollen Gange, die Konstruktion einer
10 cm-Kanone 14 durchgeführt und deren Beschaffung gerade
eingeleitet. Auch die Fertigung der schweren Geschütze geschah durch die
staatlichen technischen Institute, Krupp und die Rheinische Metallwarenfabrik.
Sie wurde bei der Mobilmachung sogleich vermehrt, und bald wurden
Erweiterungsbauten bei den genannten Fabriken vorgenommen. Eine
Verstärkung der an der Front befindlichen Formationen schwerer Artillerie
[100] fand bei den
großen Erfolgen dieser Waffe nicht nur durch die bespannten
Reserveformationen aus den Kriegsbesatzungen der Festungen statt, sondern es
wurden allmählich auch die älteren Typen der
Festungsgeschütze an die Front geschoben, soweit sie durch den Gang der
Kriegsereignisse in den Festungen entbehrlich wurden. Im Jahre 1915 wurde der
Front allein durch die große Beute aus den russischen Festungen ein
Zuwachs von 1600 schweren Geschützen zuteil.
Gleich nach dem Fall jeder russischen Festung sandte das Kriegsministerium
waffenkundige Offiziere zur Sichtung der Beute dorthin behufs Feststellung der
Zahl derjenigen Geschütze und sonstiger Waffen sowie aller technischen
Hilfsmittel, die für die deutsche Front irgendwie nutzbar gemacht werden
konnten. War die Geschützbeute auch sehr groß, so waren doch viele
Geschütze zum Teil zerstört, ihre Verschlüsse oder sonstige
wichtige Teile vergraben und die erbeuteten Munitionsbestände gering. Die
Geschütze hatten vielfach ein von den deutschen abweichendes Kaliber; die
vorhandene deutsche Munition war also nicht ohne weiteres für sie
verwendbar. Sie waren überdies für andere Pulversorten konstruiert.
Ballistische Versuche wurden also erforderlich und von der
Artillerie-Prüfungskommission auf dem Schießplatz Kummersdorf
ausgeführt.
In raschen, aber eingehenden Schießversuchen wurden das
zweckmäßige deutsche Pulver, das Kartuschgewicht und die Art der
Munition gefunden, die Schußtafeln erschossen, die
Ausbildungsvorschriften und die Ausrüstungsnachweisungen aufgestellt.
Die Versendung der Geschützbeute geschah typenweise an bestimmte
Artilleriedepots; dort wurden die nur teilweise beschädigten
Geschütze beschleunigt instand gesetzt, die Ausstattung mit Zubehör
durchgeführt und das Gerät dann der Truppe überwiesen.
Natürlich war dieser Zuwachs nur von Wert, wenn eine entsprechende
Ausstattung mit Munition erfolgen konnte. Wie dies geschah, ist bereits
ausgeführt. Die Flachbahngeschütze mit großen
Schußweiten waren besonders willkommen. Diese Schußweiten
waren aber oft nur unter Anwendung einer großen Zusatzladung zu
erreichen; die Erfahrung lehrte später, daß diese Geschütze bei
Gebrauch dieser gesteigerten Ladung bald zusammenbrachen. Ihr Einsatz hat sich
aber gelohnt, bis sie später allmählich durch neuzeitige deutsche
Rohrrücklaufgeschütze ersetzt werden konnten.
Die Neufertigung schwerer Geschütze, die bekanntlich etwa ein Jahr
erfordert, stieg von Mitte April 1915 ab erheblich. Im Jahre 1916 wurden der
deutschen Front allein über 1200 neue deutsche schwere
Rohrrücklaufgeschütze als Verstärkung zugeführt,
nachdem alle Ausfälle an der Front, die besonders bei der Belagerung von
Verdun wie auch in der Sommeschlacht recht bedeutend gewesen, gedeckt
worden waren. Bei ersterer allein ist im Durchschnitt jedes schwere
Geschütz einmal ersetzt worden. Das bei der Vergebung von leichten
Geschützen angewandte Verfahren der Unterhaltung der Fertigung
ließ sich auf schwere Geschütze nicht anwenden. Hier konnten nur
solche Firmen gewählt werden, die auf [101] Grund ihrer
Sondereinrichtungen und langjährigen Erfahrungen zum Bau schwerer
Kaliber befähigt waren.
Die Firma Krupp stellte dabei ihre Erfahrungen in dankenswerter Weise der
staatlichen Geschützgießerei zur Verfügung. Für die
Lieferung von 10 cm-Kanonenrohren wurde später auch noch die
Firma Henschel und Sohn in Kassel herangezogen.
Den Ersatz an Artillerie-Gerät erschwerten und die Neufertigung
verzögerten die vielseitigen Verbesserungen, welche die Kriegserfahrungen
verlangten. Andererseits mußten alle Änderungen am Gerät
unter dem Gesichtspunkt erfolgen, daß größere Umstellungen
möglichst vermieden wurden, um den Nachschub nicht aufzuhalten. So
entstand dann zunächst das
Feldgeschütz K. i. H., d. h. das Feldkanonenrohr
in leichter Feldhaubitzlafette. Dies Geschütz ermöglichte eine
Erhöhung des Rohres bis zu 45 Grad; aus ihm entwickelte sich die
Feldkanone 16. Bei dieser wurde die leichte Feldhaubitzlafette beibehalten,
das Rohr derart verlängert, daß es mit einer stärkeren Ladung
eine Schußweite von 9100 m und mit einem Sondergeschoß
eine solche von 10 700 m ergab. Am Kaliber wurde mit
Rücksicht auf die Munitionsfertigung festgehalten. Auch für die
leichte Feldhaubitze wurde das Rohr verlängert und mit einer
größeren Ladung unter Verstärkung der Lafette eine
Schußweite von 8400 m, und mit einem Sondergeschoß eine
solche von 9700 m erzielt
(l. F.-H. 16). Noch etwas günstiger war die größte
Schußweite bei der neuen leichten Feldhaubitze Krupp. Die
Einführung dieser neuen Geschütze, besonders der
F. K. 16, brachte viele kleine Schwierigkeiten mit sich,
Unstimmigkeiten der Aufsatzteilung, der Brennlänge beim
Bz.-Schießen und mehr. Es gelang aber durch energische Zusammenfassung
aller Kräfte und Mittel, ihrer in kurzer Zeit Herr zu werden. Die Truppe
begrüßte im allgemeinen die weittragenden Geschütze sehr und
gewöhnte sich schnell an ihre Anwendung. Sie zeigte volles
Verständnis dafür, daß an diesen Kriegskonstruktionen nicht
alles so sein konnte, wie man es im Frieden von einem neuen Geschütz
verlangte, und daß auf manche an sich wünschenswerte konstruktive
Neuerungen verzichtet werden mußte, um bei der schwierigen
Fertigungs- und Rohstofflage in der Heimat schnell Geschütze zu erhalten,
welche die Hauptforderung - dem Feinde überlegene
Schußweite - erfüllten.
Die neuen Geschütze brauchten jedenfalls in keiner Weise den Vergleich
mit den Feldartilleriegeschützen der Gegner zu scheuen.
In den Jahren 1917 und 1918 waren wesentliche Änderungen an den
Feldartillerie-Geschützen nicht mehr nötig. Um die Einheitlichkeit
mit der schweren Artillerie herzustellen, wurde für den Teilkreis für
alle Geschütze die gleiche Teilung eingeführt.
Man war sich voll bewußt, daß die 1916 eingeführten
Feldgeschütze keine, allen neuzeitigen Erfahrungen und Grundsätzen
entsprechenden Konstruktionen, [102] sondern nur
Übergangs- und Aushilfskonstruktionen darstellten. Es wurde deshalb trotz
Einführung der Feldgeschütze 16 die Entwicklung von
Zukunftsfeldgeschützen weiter verfolgt. Zu diesem Zweck wurde im Jahre
1917 zunächst eine Versuchs-Feldartillerie-Abteilung, später ein
Versuchs-Feldartillerie-Regiment geschaffen, dessen Batterien mit verschiedenen
Neukonstruktionen bewaffnet wurden, um sie im Felde zu erproben. Eine Batterie
dieses Regiments wurde zum Vergleich mit dem russischen
Feldgeschütz 02 ausgerüstet, das von den
Feldgeschützen aller feindlichen Heere die höchsten ballistischen
Leistungen aufwies.
Eine Gebirgsartillerie besaß Deutschland, von den Kolonien abgesehen, im
Frieden nicht. Darum wurden Gebirgsgeschütze, die bei Kriegsausbruch
für fremde Staaten in den deutschen Fabriken in Fertigung waren,
beschlagnahmt. Sie halfen im Verein mit erbeuteten Gebirgskanonen den ersten
Mangel decken. Nach längeren Versuchen entschloß sich die
deutsche Heeresverwaltung zur Annahme der in Österreich
eingeführten Skoda-Gebirgskanone und einer Gebirgshaubitze von Krupp.
Die Konstruktion eines Infanteriegeschützes, welches die Infanterie
begleiten sollte, von ihr auch abgeprotzt querfeldein bewegt werden konnte, zum
Kampf gegen Maschinengewehrnester und Tanks geeignet war, lief durch viele
Stadien; zu einer größeren Massenfertigung kam es nicht mehr.
Verschiedene Modelle von Tankabwehrkanonen wurden noch in großer
Zahl in die Front geworfen.
Das Erscheinen von Tanks an der feindlichen Front zwang dazu, sogleich
Tankabwehrmittel mit allen Kräften in kürzester Zeit bereitzustellen.
Die Feldkanonen, das Infanteriegeschütz, die Kraftzuggeschütze
erhielten eine Panzergranate, die nicht nur den Tank durchschlagen, sondern ihn
auch durch Detonationen im Innern zerstören sollte. Die Abwehr hiermit
gelang. Mit der Vermehrung der Tanks auf feindlicher Seite wurde auch die Zahl
ihrer Abwehrmittel gesteigert. Aus erbeuteten
5,7 cm-Kanonen wurden Tankabwehrkanonen auf Lastkraftwagen
geschaffen; eine 2 cm-Kanone mit einem
Lichtspur-Vollgeschoß, ursprünglich für andere Zwecke
bestimmt, wurde zur Tankabwehr umgebaut, ein neues
3,7 cm-Geschütz entwickelt, sowie aus vorhandenen
Revolverkanonen in wenigen Wochen
3,7 cm-Tankabwehrkanonen mit leichter Lafette hergerichtet. Diese wie die
2 cm-Geschütze erhielten Panzergranaten mit Lichtspur.
Eine Sonderaufgabe bildete die Entwicklung der Flugabwehrkanonen aus den
kleinsten Anfängen heraus.
Bei dem Stande der Flugtechnik vor dem Kriege besaß noch keine der
kriegführenden Mächte eine Flugabwehrwaffe. Für
Flugabwehr wurden im Laufe des Krieges neue Kanonen geschaffen. Bei
Kriegsbeginn mußte rasche Abhilfe durch Behelfsmaßnahmen
eintreten, z. B. durch Verwendung von erbeuteten französischen und
russischen Feldkanonen, belgischen Kanonenrohren in russischer
12 cm-Haubitzlafette, deutschen
3,7 cm- und 9 cm-Kanonen usw. Alle [103] waren aber nur aus der
Not geboren. Ihr Hauptwert bestand darin, daß in kurzer Zeit sowohl beim
Feldheer als auch in der Heimat unter geringem Aufwand an Material und
Arbeitskräften ein Luftschutz geschaffen wurde. Scheinwerfer,
Brandschrapnells, Leuchtspurgeschosse vermehrten die Vielseitigkeit der
Artilleriemunition. Die Firmen Krupp, Ehrhardt, Goerz und Zeiß haben
für die Konstruktion und die Entwicklung der Flugabwehrkanonen und der
Meßgeräte Bedeutendes geleistet.
In der Entwicklung der schweren Artillerie stand Deutschland ohne Zweifel an der
Spitze aller Heere, auch in der Entwicklung ihres Geräts. Die Anlage und
Ausdehnung der französischen Sperrbefestigungen an der Ostgrenze
Frankreichs und die Erfahrungen früherer europäischer Kriege
hatten, trotz aller Widerstände, zur Einführung der schweren
Artillerie im deutschen Heere geführt. Die junge Waffe hat im Kriege eine
bedeutungsvolle, oft entscheidende Rolle gespielt. Der Kaiser hat die schwere
Artillerie aus der Taufe gehoben, die Generale Graf Schliefen und
v. Deines haben sie mit klarem, weitschauendem Blick stets
gefördert; der Generalstab ist im Kampfe der Meinungen immer für
sie eingetreten; hervorragende Generalinspekteure, wie die Generale
v. d. Planitz, v. Dulitz und v. Lauter, haben sie zu einer
tüchtigen Feldtruppe mit vortrefflicher Bewaffnung ausgebildet.
Die Mehrzahl der Bataillone schwerer Artillerie führte zu Kriegsbeginn die
schwere Feldhaubitze 02 (Schußweite 7450). Die schwere
Feldhaubitze 13 -
Schußweite 8600 - war kurz vor dem Kriege eingeführt
und in der Fertigung begriffen. Schon im Oktober 1914 wurde das erste Bataillon
der schweren Artillerie mit ihr umbewaffnet. Die weitere Umbewaffnung ging
schnell vonstatten. Bei der Überlegenheit des französischen
Feldgeschützes, in bezug auf Schußweite, der deutschen Feldkanone
gegenüber, bildeten die schweren
Feldhaubitz-Bataillone einen bedeutenden Ausgleich. Die
Mörser-Bataillone, die einen
21 cm-Mörser mit 9400 m Schußweite und eine Granate
von 120 kg Gewicht mit 18 kg Sprengladung führten, hatten
eine hervorragende Wirkung gegen stärkere Stützpunkte und
Feldbefestigungen. Sie vermochten überall, wenn auch nur im Schritt, zu
folgen, auf schwierigen Wegen, wie in Rußland, mit Radgürteln,
welche sie bei sich führten. Sie waren stets rechtzeitig zur Stelle. Der Ruf
nach schwerer Artillerie war bei Kriegsbeginn so groß, daß sehr bald
die Festungskriegsbesatzungen der schweren Artillerie, meist Reserveregimenter,
Landwehrbataillone, ja sogar Landsturmformationen, zur Unterstützung der
Feldarmee herangezogen wurden. An Wirkung wurde der
21 cm-Mörser weit übertroffen durch den
30,5 cm- und den 42 cm-Mörser, die in erster Linie zur
Vernichtung der verstärkten französischen Grenzbefestigungen
bestimmt waren. Der letztere war zunächst nur mit Eisenbahn in die
Feuerstellung zu bringen. Die Erkenntnis aber, daß dies Kaliber
unabhängig von der Bahn gemacht werden mußte, führte zur
Einführung eines neuen Typs in Räderlafette mit mechanischem Zug.
[104] Die erste Batterie war
gerade bei Kriegsbeginn fertiggestellt und trat sofort ihren Siegeszug über
Lüttich, Namur, Maubeuge nach Antwerpen an. Gewaltiges Aufsehen in
der ganzen Welt erregte ihr erstes Auftreten vor Lüttich. Die
Panzer- und starken Betondecken wurden glatt durchschlagen, schwere
Panzerkuppeln bei seitlich einschlagenden Treffern aufgehoben und auf weite
Strecken fortgeschleudert - die Forts Pontisse und Loncin können
über die erschütternden Wirkungen berichten; die moralische
Wirkung auf die Besatzung war ungeheuer; sie kapitulierten meist nach kurzer
Beschießung. Eine Reihe von Forts von Lüttich ist aber auch dem
Massenfeuer der 21 cm-Mörser erlegen. Die Besatzungen von
Chaudfontaine, Embourg und Boncelles hißten schon nach kurzer
Beschießung die weiße Flagge. An dem schnellen Fall von
Lüttich gebührt der schweren Artillerie, insbesondere den
42 cm-Mörsern, ein voller Anteil. Das Lob über den
kühnen Angriffsgeist der deutschen Truppen, vor allem die Verdienste der
Kolonne Ludendorff, werden hierdurch in keiner Weise geschmälert. Der
rasche Siegeslauf der deutschen Armeen durch Belgien, der den Fall von Namur,
Maubeuge und Antwerpen mit sich brachte, wurde zum großen Teil durch
die schwere Artillerie und das wirkungsvollste schwerste Steilfeuer
möglich, ein nicht geringer Triumph deutscher Waffentechnik!
Namur erlag der erdrückenden Zerstörungswucht der deutschen
Mörser in kurzer Zeit. Die Forts wurden allein durch Artillerie bezwungen,
ohne daß ein Sturm nötig gewesen wäre, zum Teil schon am
zweiten Tag nach Beginn der Beschießung; die letzten Forts und die
Zwischenstellungen fielen an den beiden folgenden Tagen. Durch diese
beispiellosen Erfolge wurde die Energie der feindlichen Kommandanten
gelähmt und die Moral der Besatzungen stark beeinflußt. Die
deutschen Führer griffen, im Vertrauen auf die schwere Artillerie und den
Angriffsdrang ihrer Truppen, um so kühner auch überlegene
Kräfte mit Erfolg an. Die stark besetzten Festungen Maubeuge und
Antwerpen unterlagen daher auch sehr bald dem an Zahl weit unterlegenen
deutschen Angriff. Die kleinen französischen Sperrbefestigungen Givet,
Longwy, Montmedy, les Ayvelles fielen unter dem Massenfeuer der
deutschen schweren Artillerie; Camp des Romains wurde nach kurzer
Beschießung gestürmt; selbst das neuzeitlich angelegte Sperrfort
Manonviller erlag der Beschießung mit
42 cm-Granaten. Eine Reihe französischer veralteter Befestigungen,
darunter auch La Fère und Reims, wurden auf diese Erfolge hin
von den Franzosen kampflos geräumt. Das Verdienst der schweren
Artillerie um die Eroberung der russischen Festungen, wie vor allem ihre Erfolge
in allen großen Durchbruchsschlachten und im Feldkrieg, ist nicht minder
groß. Im Kampf um Verdun traten die
42 cm-Eisenbahnbatterien mit ihrer großen Schußweite
gegenüber den beweglicheren
42 cm-Mörser-Batterien mit Kraftzug mehr in den Vordergrund. Sie
haben den Fall von Douaumont und Vaux wirkungsvoll vorbereitet.
Eine Unterstützung des schwersten Steilfeuers erhielt bei Kriegsbeginn die
[105] deutsche Artillerie
durch die österreichischen
30,5 cm-Motor-Batterien; ihrer sei hier mit Dank gedacht!
Der Kraftzug für die schwere Artillerie ist erst im Kriege ausgebildet
worden und am besten durch den Krupp-Daimler-Kraftzug gelungen. Auch das
Bräuersche Lastenverteilergerät machte schwere Geschütze
für Fahrten mit Kraftzug verwendbar. Sie haben, zwecks raschen
Zusammengehens von schweren Batterien an Brennpunkten des Kampfes,
Geschütze fast aller Kaliber mit Kraftzug schnell beweglich gemacht und
sie befähigt, bis zu 100 Kilometer am Tage zurückzulegen.
Pferdebespannte Munitionskolonnen wurden durch Kraftfahrkolonnen ersetzt.
Auch diese Maßnahme, welche die schwere Artillerie noch beweglicher
machte, hat sich als außerordentlich zweckmäßig erwiesen.
Die Bedeutung des schweren Flachfeuers hatte man im Frieden
unterschätzt. Immer größere Schußweiten verlangte der
Krieg, und diesem Erfordernis mußte Rechnung getragen werden. Das
deutsche Heer besaß zu Kriegsbeginn mehrere Bataillone
10 cm-Kanonen 04, Schußweite 10 800 m, die
im Bewegungskriege die schweren Feldhaubitzen sehr erfolgreich
ergänzten, ferner einige Bataillone
13 cm-Kanonen, Schußweite 14 400 m, und nur wenige
neuzeitige Batterien 15 cm-Kanonen, Schußweite
19 500 m. Marinegeschütze mußten daher
zunächst in immer wachsender Zahl herangezogen werden, wie dies auch
auf feindlicher Seite geschah. Mit der
15 cm-Kanone 16, zwei Konstruktionen von Krupp und Rheinmetall
mit Kraftzug, erhielt das Heer ein schweres Flachfeuergeschütz mit einer
Schußweite von 22 km.
Die 10 cm-Kanone 04 wurde schon bei Kriegsbeginn durch die 10 cm-Kanone 14,
Schußweite 13 km, allmählich ersetzt; sie war auch zur
Fliegerbekämpfung befähigt. Später entstand die zweiteilige
10 cm-Kanone 17 mit 14 km Schußweite und
größerer Beweglichkeit, alles Erfolge Kruppscher Technik.
Der allgemeine Ruf nach Vergrößerung der Schußweiten
führte zur Änderung der Geschoßformen. Die
Haubengeschosse haben einen außerordentlichen Erfolg gebracht. Die
Schußweite der 10 cm-Kanone 14 wurde z. B. von
11 200 auf 12 700 m, die der
15 cm-Kanone von 19 500 auf 22 800 m, die der alten
langen 15 cm-Kanone von 10 000 auf 12 000 m
vergrößert. Zur Steigerung der Schußweiten wurde ein
mechanischer Zeitzünder (Uhrwerkszünder), Konstruktion von
Krupp, durchgeprüft und eingeführt; zur Vermehrung der Wirkung
wurden empfindliche Aufschlagzünder und Brennzünder für
Granaten geschaffen. Eine Anzahl vorhandener Zünderarten mußte
den neuen Bedürfnissen angepaßt, Doppelzünder für das
Brennen in großen Flughöhen befähigt werden.
Eine Reihe wichtiger Änderungen erhöhte weiterhin die
Waffenwirkungen. Durch Vergrößerung des Ladungsraumes und
Rohrverlängerung wurden die Schußweiten der schweren
Feldhaubitzen und der Mörser um fast 1000 m gesteigert. Die
Einlagerung eines 30,5 cm-Rohres in die
42 cm-Mörserlafette [106] vermehrte die
Schutzweite dieses Kalibers auf 16 km. Die
42 cm-Eisenbahngeschütze wurden zum Transport auf der Feldbahn
eingerichtet, die schwersten Flachfeuergeschütze beweglicher gemacht
dadurch, daß sie auf Eisenbahnwagen gesetzt wurden;
10 cm-Kanonen und schwere Feldhaubitzen wurden zerlegt und so
für den Gebirgskrieg in den Karpathen, Serbien und Italien verwendbar
gemacht.
Das Wilhelmsgeschütz, das vom 22. März 1918 ab Paris
beschoß - Schußweite
120 km - ist von der ganzen Welt als eine Glanzleistung deutscher
Waffentechnik anerkannt.
Alles dieses soll nur ein Zeugnis dafür ablegen, wie der deutsche Geist
immer bemüht war, die Waffen nicht nur zu vermehren, sondern auch in
weitestem Maße zu vervollkommnen. "Der Erfindungsgeist der
Industriellen", sagt Fürst Bülow, "wetteiferte mit der Kühnheit
unserer U-Bootleute und unserer Flieger. Materiell und geistig blickt das deutsche
Volk auf die ungeheuerste Kraftentfaltung, die die Welt je gesehen hat!"
Natürlich waren diese Neuerungen auch bestimmend auf die
Munitionsfertigung und die Ausstattung mit allem Zubehör; so wurde der
Nachschub für leichte und schwere Artillerie immer vielseitiger. Der
eintretende Mangel an Zubehör- und Ersatzteilen, deren Fertigung hinter
den großen Verlusten und dem Unbrauchbarwerden an der Front
zurückblieb, erhöhte alle Schwierigkeiten, welche die Folge so
vielseitigen Geräts war. Die Massenfertigung mußte hier gesteigert
werden.
In der Militär-Wissenschaft hatte gerade in den letzten Friedensjahren vor
dem Weltkriege die Optik und das mit ihr verbundene Meßwesen
größere Bedeutung gewonnen, und die deutsche optische Industrie, in
Sonderheit vertreten durch ihre beiden größten Firmen
C. P. Goerz in Berlin-Friedenau und Carl Zeiß in Jena, war es,
die auf diesem Gebiete auch den ausländischen Firmen gegenüber als
führend anerkannt werden mußte. Nicht nur der Bedarf des
In- und Auslandes an optischen Geräten für Wissenschaft und
Friedenszwecke wurde zum großen Teil von ihr gedeckt, sondern vor allem
war die deutsche Optik dort beteiligt, wo es galt, die Armeen der
europäischen und außereuropäischen Länder mit den
neuesten und besten optischen Instrumenten auszurüsten. (Schweiz,
Holland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Italien, Rußland,
Frankreich, Japan und Chile.) Und gerade diese Beteiligung war es, die den
Weltruf der deutschen optischen Industrie begründete.
Neben den Hauptaufgaben, den gewaltig sich steigernden Bedarf des Heeres zu
decken, und mit den Forderungen des Krieges auf wissenschaftlichen Gebieten
gleichen Schritt zu halten, mußten auch die Forderungen der Marine
erfüllt werden. Auch galt es, die gerade auf diesem Gebiet sich infolge der
Abschnürung [107] vom Weltmarkt
besonders fühlbar machende Rohstoffknappheit durch weitestgehende
Erprobung und Verwendung von Ersatzstoffen zu überwinden.
Aller dieser Aufgaben ist die deutsche optische Industrie, zusammen mit den ihr
verwandten Zweigen der Feinmechanik, durchaus Herr geworden.
Wenn man berücksichtigt, daß vom Urprodukt, dem optischen
Rohglas an, je nach Güte, Feinheit und wissenschaftlicher Grundlage die
Fertigungsdauer eines hochwertigen optischen Instrumentes bis zu einem Jahre in
Anspruch nimmt, so ist es klar, daß in den ersten Kriegsjahren eine
Steigerung der Erzeugung nur in ganz geringem Maße geschehen konnte.
Dank der bereits in Friedensjahren überaus großen Fertigung
für den bürgerlichen Bedarf, sowie der für das Ausland
laufenden Aufträge an militärischen Geräten war es
möglich, durch Beschlagnahme dieser Vorräte den ersten
Heeresbedarf zu decken, bis die Steigerung der Neufertigung zur Auswirkung
kommen konnte.
Für die Versorgung der optischen Industrie mit den erforderlichen
Rohstoffen stand vor dem Kriege, abgesehen von einigen nicht ins Gewicht
fallenden geringen Erzeugungsmengen weniger optischer Firmen und
beschränkter Einfuhren aus dem Auslande, nur das Glaswerk Schott
& Gen. in Jena zur Verfügung. Es gelang Schott durch Vermehrung
seiner Ofenanlagen um annähernd das Doppelte, Einführung von
kürzer aufeinanderfolgenden Schmelzperioden bei
Tag- und Nachtschichten, seine monatliche Neufertigung auf das Sechsfache zu
steigern.
Neben diesem Glaswerk schuf C. P. Goerz im märkischen Sande bei
Schönow ein eigenes neues Glaswerk, indem er die von Steinheil,
München, begründeten Sendlinger Glaswerke an den Teltowkanal
verpflanzte.
War jedes optische Instrument, besonders das hochwertige, ein Gegenstand,
dessen Fertigstellung in der Hand von besonders ausgebildeten, auf das bestimmte
Gerät eingespielten, hochwertigen Facharbeitern lag, so galt es für
die optische Industrie beim Einsetzen der Massenaufträge
und -fertigung eine bisher nur in geringem Maße durchgeführte
Reihenfertigung neu auszubilden, unter dem Gesichtspunkte, möglichst die
Facharbeiter durch Ungelernte und Frauen zu ersetzen. Nicht nur Schruppen,
Schleifen, Polieren der Prismen und Linsen, Reihenarbeiten an den
Metall-Bearbeitungsmaschinen und Drehbänken war in die Hände
dieser Hilfskräfte zu legen, sondern auch Montieren,
Justier- und Prüfarbeiten mußten ihnen übertragen werden.
Die Stückzahl der vor dem Kriege bereits eingeführten optischen
Geräte erfuhr in ihren Liefermengen eine gewaltige Steigerung; nebenher
verlangten die wechselnden Forderungen des Krieges neue Geräte für
diesen oder jenen Sonderzweck, die nicht nur nach dem neuesten Stand der
Wissenschaft neu konstruiert, sondern auch in besonderen Lieferungen neben der
allgemeinen Reihenfertigung mit meist größter Beschleunigung
fertiggestellt werden mußten. So entstanden neben bisherigen Modellen
für die Fliegerbekämpfung Scherenfernrohre in den
verschiedenartigsten Abarten, Richtkreise und Bussolen für
Richt- und Meßzwecke, [108] Ziel- und
Visierinstrumente für Gewehre, Maschinengewehre und Geschütze
der verschiedensten Art, Periskope und Sehrohre für den Grabenkrieg,
Mastfernrohre und schließlich die Entfernungsmesser für
Grabenkrieg und Luftzielbekämpfung. Gerade auf letzterem Gebiete haben
die Forderungen des Krieges die neuesten und größten
wissenschaftlichen Ergebnisse gezeitigt.
Diese Leistungen erforderten naturgemäß eine starke Steigerung der
Belegschaft der einzelnen Werke, Vergrößerung des Maschinenparks
und anderweitige großzügige bauliche Betriebserweiterungen. Sie
sind um so bemerkenswerter, wenn man in Rechnung stellt, daß neben
diesen Leistungen für das Landheer und die verbündeten Staaten die
optische Industrie auch den gesamten Bedarf an optischem Gerät der
neuesten Art für die Marine deckte und nebenher noch in der Lage war,
Lieferungen für das neutrale Ausland zu übernehmen, welche
wesentlich zur Stärkung der Valuta und Gegeneinfuhr von Lebensmitteln
beitrugen.
An eisernen Fahrzeugen der Maschinengewehr-Formationen und der leichten
Artillerie waren während des Krieges 21 verschiedene Arten, an solchen
der schweren Artillerie 33, an hölzernen etwa 90 und an Feldküchen
und Backöfen 7 Arten im Gebrauch und neu zu beschaffen, nebenbei noch
Speiseträger, Kochkisten, Tragetierkochkisten, Kochkessel,
Wasserträger und dergleichen. Auch hier mußten Sparstoffe ersetzt
werden. An Stelle von Spezialstählen, wie
Nickel- und Chromstahl, traten solche ohne diese Zusätze;
Messing- und Kupferbeschläge wurden durch Beschläge aus
Flußeisen ersetzt; die Kessel und das Feldküchengerät, das aus
Reinnickel oder Kupfer gefertigt war, wurde zunächst aus verzinntem
Eisen, dann aus emailliertem Eisen hergestellt. Die Asbestdichtung mußte
fortfallen. Eine Erleichterung in der Beschaffung trat durch Einführung
handelsüblicher Achsen, Stahlbleche, Protzarme, Tragebäume ein.
Einzelteile, die vorher aus einem Stück bestanden, wurden zur Vermeidung
der Herstellung schwieriger Gesenke durch solche aus mehreren
zusammengeschweißten oder genieteten Teilen ersetzt. Die
außerordentliche Mannigfaltigkeit der verschiedenen Stahlsorten
hinsichtlich der für die einzelnen Teile des Heeresgeräts
vorgeschriebenen physikalischen und chemischen Eigenschaften machte sich
für die Beschaffung ganz besonders bemerkbar. In langwieriger Arbeit
wurde eine Vereinheitlichung sowohl für Stahl als auch für
Stahlformguß herbeigeführt. Die Fertigung der Fahrzeuge geschah
durch die staatlichen Artillerie-Werkstätten Straßburg, Lippstadt,
Spandau und etwa 800 Firmen, sowie durch das Handwerk; letzteres wurde zur
Herstellung hölzerner Fahrzeuge, Speiseträger und Wassertornister,
sowie zur Herstellung von Einzelteilen herangezogen. Die "Hauptstelle für
gemeinschaftliche Handwerkslieferungen" war die zentrale Annahmestelle
für alle dem Handwerk zufallenden Aufträge. Im ganzen wurden weit
über 600 000 hölzerne und eiserne Fahrzeuge hergestellt.
Zur Vereinheitlichung der Fahrzeuge wurden im Jahre 1917 Ein- [109] heitstypen
eingeführt, und zwar als Einheitstyp für leichte Fahrzeuge der
Feldwagen 95 zwecks Verwendung als
Proviant-, Lebensmittel-, Pack-, leichter Vorratswagen,
Schanzzeug-, Sanitäts-, Minenwerfer-, Wurfminen-, Patronenwagen,
teilweise auch als Futter- und Beobachtungswagen, - als Einheitstyp
für schwere Fahrzeuge der schwere Feldwagen, und zwar als schwerer
Proviant-, schwerer Vorrats- und Futterwagen, - als Gebirgswagen der
kleine Feldwagen.
Die Versorgung mit Veterinärgerät1 usw.
Bei Ausbruch des Weltkrieges machte Deutschland neben seinem Volk in Waffen
auch ein riesiges Heer von Pferden mobil. Der Pferdebestand des Heeres wuchs
im Laufe des Krieges von 160 000 Pferden im Frieden auf über
1½ Millionen, also auf das ungefähr zehnfache. Der Bedarf an
Gerät zur erstmaligen und fortlaufenden Ausrüstung und
veterinären Versorgung der Pferde stieg infolge der Ausbreitung und langen
Dauer des Krieges in einem ungeahnten Maße an.
Die im Frieden vorgesehene planmäßige
Veterinärausrüstung1 hätte wohl für einen
kurzen Feldzug genügt, für einen mehrjährigen Krieg war sie
jedoch nicht ausreichend; eine ganz erhebliche Erweiterung der Ausrüstung
wurde sehr bald dringendes Bedürfnis. Außerdem machte die starke
Vermehrung der Truppenteile, die Einrichtung von Pferdelazaretten, die
Organisation der Bekämpfung der sich gefährlich ausbreitenden
Tierseuchen Neubeschaffung an tierärztlichem Gerät in einem
Maße und in zeitlicher Dringlichkeit erforderlich, daß die
höchsten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der
einschlägigen Industrie gestellt werden mußten.
Schwierigkeiten ergaben sich auch durch den Mangel an den für die
Herstellung der Veterinär-Instrumente fast unersetzlichen Rohstoffen, wie
Leder, Gummi und Sparmetallen. Einführung von Ersatzstoffen oder
Umänderungen wurden daher erforderlich.
Zur Bekämpfung der Tierseuchen, die sich zum Teil in bisher nicht
gekanntem, erschreckendem Maße unter den
Pferde- und Schlachtviehbeständen ausbreiteten und die Schlagfertigkeit
der Armee gefährdeten, wurden besondere Geräte,
Impf- und Arzneistoffe, sowie vollständige Ausrüstungen für
Seuchenlazarette, für Blutuntersuchungs- und
Tierseuchen-Forschungsstellen erforderlich. Mallëin wurde von der
Heeresverwaltung im Eigenbetriebe hergestellt und das Salvarsan von den
Höchster Farbwerken bezogen. Auch bei der Versorgung des Heeres mit
veterinären Impf- und Arzneistoffen hat die chemische Industrie
Außerordentliches geleistet.
Die Beschaffung der Geschirr- und Stallsachen wurden in einer
Beschaffungsabteilung der Traindepot-Inspektion der Feldzeugmeisterei vereinigt.
Um den [110] Ledermangel
abzustellen und eine richtige Verteilung des Leders herbeizuführen, wurden
die Kriegsleder-Aktiengesellschaft und die Lederverwertungsstelle errichtet. Alle
Rohhäute, Gerbstoffe und Felle wurden beschlagnahmt. Die Gerbereien
durften nach einer Anordnung der Kriegsrohstoffabteilung nur noch an die
Heeres- und Marineverwaltung und an die beauftragten Lieferer abgeben. Nur das
für militärische Zwecke ungeeignete Leder wurde für den
Handel freigegeben. Durch Erlaß des Reichskanzlers wurde eine
Vorratserhebung an Rindviehhäuten und Kalbfellen angeordnet. Der
größer werdende Ledermangel führte dann dazu, bei Erteilung
von Heeresaufträgen das Leder nur in dem Umfange zuzuweisen, in dem es
zur Erfüllung des Auftrags unbedingt erforderlich war. Alle
Lederabfälle wurden gleichfalls beschlagnahmt, auch bei den
militärischen Behörden und den Truppen. Die Abfälle wurden
der Ersatzsohlen-Gesellschaft verkauft. Die Gründung von
Lederzuschneidestellen, und zwar 21 für die Industrie und 13 für das
Handwerk, sollte ein wirtschaftliches Zuschneiden des Leders verbürgen.
Damit das Handwerk bei den Lieferungen in sachgemäßer Weise
beteiligt werden konnte, wurde die "Hauptstelle für gemeinschaftliche
Handwerkslieferungen, G. m. b. H., Berlin" herangezogen,
der nunmehr alle für das Handwerk bestimmten Aufträge
übergeben wurden. Sie setzte sich mit den Handwerkskammern und diese
wieder mit den Handwerkern ihres Bereiches in Verbindung. Nach Verteilung des
Auftrages reichte die Hauptstelle einen Verteilungsplan ein, damit die
beschaffende Stelle unterrichtet war. Die Handelskammern, Handwerkskammern
und Gewerbe-Inspektionen haben hier oft ihre Arbeitskraft in den Dienst der
Allgemeinheit gestellt. Besonders anerkennenswert ist die verständnisvolle
Mitarbeit des deutschen Handwerks- und Gewerbetages in Hannover gewesen.
Durch Festsetzung der Arbeitslöhne, durch Reichstarife, Einführung
von Lederhöchstpreisen, Ausschließung des Zwischenhandels und die
Zentralisierung der Beschaffung trat eine Regelung der Preise ein.
Die zahlreiche Verwendung von kleinen Russenpferden machte
Änderungen an den Geschirren erforderlich. Kumtgeschirre kamen nach
und nach ganz in Fortfall und wurden später nicht mehr neu gefertigt. Das
Sielengeschirr herrschte vor. Zur Einschränkung des Lederverbrauches
wurde ein besonders einfaches Muster konstruiert, das durch Verstellbarkeit
für große und kleine Pferde geeignet war. Für Gebirgszwecke
wurden Tandemgeschirre und Tragetierausrüstungen erforderlich.
Für ein Heer mit 1½ Millionen Pferden waren monatlich
3 Millionen Paar Hufeisen nötig, dazu einige hunderttausend
für Esel, Maultiere und Ochsen. Zu ihrer Beschaffung wurde auch hier die
"Hauptstelle für gemeinschaftliche Handwerkslieferungen" beteiligt. Recht
gute Eisen lieferten die Hufeisenfabriken in Valenciennes und Maubeuge, die
unter deutsche Leitung gestellt waren. Der Mangel an dem für
Hufeisennägel erforderlichen, aus Schweden bezogenen Holzkohleneisen
nötigte zur Anwendung von
Siemens-Martin-Flußeisen von be- [111] stimmter Güte.
Für die Beschaffung des Hufnageldrahtes sorgte die dem Stahlbund
eingegliederte Drahtzentrale in Düsseldorf.
Auch bei den Geschirren und anderen Ledersachen kam Deutschland ohne
Ersatzstoffe nicht aus. Man mußte zu Papierstoffen greifen und Teile des
Sielengeschirres aus ihm fertigen; die wichtigeren Teile: Brustblätter,
Halskoppel und Kreuzleinen blieben meist aus Leder. Über die Papierstoffe
sind natürlich Klagen von der Truppe laut geworden. Aber durch diese
Fertigungsart allein ist es möglich gewesen, den erforderlichen Bedarf an
Geschirren zu decken. Natürlich wurde Leder allgemein gespart,
z. B. bei Hufbeschlagzeugtaschen, die aus Segeltuch oder Holz gefertigt
wurden. Eine neue Feldschmiede mußte konstruiert werden, bei der kein
lederner Blasebalg angebracht war. Sie hat sich im Felde durchaus bewährt.
Die Lederschürze der Schmiede fiel fort. Die Knappheit an Stahl
führte zur Herstellung eines neuen Amboßmaterials aus
Stahlguß.
Der Mangel an Hanf zwang zum Ersatz der Geschirrtaue, langen Verbindungstaue
und Handhabungstaue durch Ketten oder Stahltrossen. Diesen Industriezweig
beherrschte bis dahin hauptsächlich die Marine. Auch Stalleinen
mußten durch Ketten ersetzt werden. Die verschiedenen Arten von
Schraubenschlüsseln, großen und kleinen, bei der Truppe wurden
durch einen Ersatzschraubenschlüssel, der allen Zwecken gerecht wurde,
abgelöst. Tränkeimer und Achsschmierbüchsen aus Blech
wurden wegen Blechmangels aus Holz,
Kameradschafts-Kochapparate statt aus Aluminium aus Eisenblech gefertigt. Die
in der Armee vorhandenen 91 Feilenarten wurden durch die
handelsüblichen Sorten ersetzt. Eine gleiche Vereinheitlichung wurde dann
bei allem Handwerksgerät vorgenommen. Statt 118 verschiedener Arten
mußte eine geringe Zahl genügen. Der Militärhufnagel, der
eine besondere Hufnagelart darstellte, wurde durch den Reichshufnagel
abgelöst.
Es kann nicht verschwiegen werden, daß die Konstruktion des
Heeresgeräts nicht den großzügigen Erfordernissen eines so
gewaltigen Krieges entsprach, der ungeheure Forderungen an Massenleistungen
und Massenfertigung stellte. Im Frieden hat jede Truppengattung in dem durchaus
anerkennenswerten und richtigen Bestreben, für sich das beste und
brauchbarste Kriegsgerät zu entwickeln, sich zu wenig um die
Bedürfnisse gekümmert, die an die Gesamtheit zu stellen waren. Mit
peinlicher Sorgfalt und größter Spitzfindigkeit war für jedes
Fahrzeug, jedes Geschütz usw. das nur dem besonderen Zweck
passende klüglich ausgesucht, aber selbst innerhalb der einzelnen
Truppengattungen hatte man zu wenig auf eine Austauschbarkeit der
Stücke gesehen. So kamen dann für die Massenfertigung im Kriege
überaus schwierige Verhältnisse.
Von Spezialisierung, Typisierung, Normalisierung war in der Vorkriegszeit nur
wenig bekannt. Die Formen der Konstruktionen und das Herstellungsverfahren
trugen der Massenfertigung nicht Rechnung. Rohstoffe, die im Inlande nicht in
ausreichendem Maße vorhanden sind, waren vielfach als Werkstoffe
benutzt. Alle [112] Einzelteile
hätten auf Grund festgelegter Toleranzen austauschbar sein müssen,
so daß bei Teilfertigung durch verschiedene kleine Firmen der
Zusammenbau nicht gestört worden wäre. Dem Lehrenwesen
mußte erheblich mehr Beachtung geschenkt werden.
Weitere Grundlagen für die Rohstoffwirtschaft.
Mit den Erfolgen der verbündeten Armeen im Osten mußte sich auch
angesichts der immer fühlbarer werdenden Folgen der Blockade die
Einflußsphäre der Kriegsrohstoffabteilung erweitern. Mit der
Einrichtung des Generalgouvernements Warschau wurde in Warschau eine
Kriegsrohstoffstelle gebildet. Beschlagnahmen erfolgten durch die
Kreisverwaltungen, Ankäufe durch die Kriegsrohstoffgesellschaften.
Für die Reste des im Osten besetzten Gebietes wurde für jedes der 5
Verwaltungsbezirke Bialystock, Grodno, Suwalki, Wilna, Lida,
Kriegsrohstoffstellen eingerichtet. Für die Rückführung der
Rohstoffe war der Oberbefehlshaber "Ost" verantwortlich. Hier erfolgte ihre
Erfassung fast ausschließlich durch die militärischen Organe. Die
Holzerzeugung der Ostgebiete betrug ungefähr ein Viertel des in der
Heimat zu deckenden Heeresbedarfs.
[112a]
Rohstoffmangel: Kauf und Eintausch von Metallen gegen
Lebensmittel.
|
Die Zufuhr, die Deutschland im ersten Kriegsjahr durch Vermittelung neutraler
Staaten erhalten hat, war recht bedeutend. Seit Herbst 1915 wurde aber die
Blockade so verschärft, daß von einer wesentlichen Zufuhr nicht
mehr die Rede sein konnte. Jede Ausfuhr von Rohstoffen wurde durch die
Kontrollgesellschaften stark überwacht.
Bis zu seiner Kriegserklärung war Italien von erheblicher Bedeutung
für die Rohstoffversorgung. Einerseits kam ein großer Teil der
Überseezufuhr infolge Sperrung der Nordsee über Italien nach
Deutschland, andererseits beruhte die Versorgung mit reinem Schwefel ganz, die
mit Hanf zum großen Teil auf der italienischen Einfuhr; auch Seide wurde
in großem Umfange eingeführt. Mit der Kriegserklärung
Italiens hörte jede Zufuhr von dort auf; nur
Seide - für Kartuschbeutel,
Luftschiffe usw. - kam noch längere Zeit ungehindert
über die Schweiz.
Der Warenaustausch mit Rumänien litt vom Kriegsausbruch an unter
gegenseitigem Mißtrauen. Erst 1915 zwang die günstige
Getreideernte Rumänien, an die Mittelmächte Getreide zu liefern,
wofür Deutschland als Gegenwert Industrieerzeugnisse nach
Rumänien ausführte. Dieser geringe Austausch fand durch die
Kriegserklärung Rumäniens sein Ende.
Schweden lieferte
phosphorfreie Eisenerze, die die oberschlesische Eisenproduktion, aber auch ein
Teil der rheinischen Werke, brauchte. Es lieferte ferner Erzeugnisse seines
Waldes: Zellstoff und Harz. Die starke deutsche Kapitalbeteiligung in Norwegen
ermöglichte es, einen erheblichen Teil der Mineralienförderung
für die Mittelmächte zu sichern: Eisenerze, kupferhaltigen
Schwefelkies, Phosphorsäure und Schwefel, zuerst auch Kupfer, Nickel,
Molybdän, Ferro-Silizium und Ferrochrom, Kalk- [113] salpeter,
Ammonsalpeter, Salpetersäure usw., auch Robbenfett und
Robbenfelle. Aus dem agrarischen Dänemark war die Lieferung von
Kriegsrohstoffen gering. Aus Holland kamen Erzeugnisse der
holländischen Kolonien, wie Kupfer, Zinn, Jute usw. in nur
unerheblichem Umfange; aus eigenem Lande lieferte es aus seinen Mooren
Rohstoffasern, die in Deutschland als Ersatz für Spinnstoffe Verwendung
fanden. Mit den Verbündeten bestand selbstverständlich auch ein
Austausch an Rohstoffen. Deutschland war hierin insofern benachteiligt, als es die
Vorräte seines Landes ungleich schärfer erfaßte und
andererseits gegen Lieferung von Rohstoffen ab Lager nur die Genehmigung
erhielt, Rohstoffe aufzukaufen oder Lagerstätten auf eigene Kosten zu
erschließen und zu betreiben. Dies war besonders beim Erzvorkommen der
Fall. Ein Abkommen mit Österreich gab Deutschland das Recht, als
gemeinsamer Einkäufer in der Türkei,
Österreich-Ungarn, als solcher in Bulgarien aufzutreten. Die angekauften
Waren wurden nach einem vereinbarten Schlüssel durch beide
Verbündete verteilt. Deutschland war für die Einführung des
Bauxites auf die Gruben von Dalmatien und Ungarn angewiesen. Insofern bildete
die Einfuhr aus diesen Ländern für die Aluminiumgewinnung die
Grundlage. Auch die Einfuhr von Chromerzen und Quecksilber war nicht
unwichtig. Der Bezug von galizischem Erdöl war bis zur Einnahme und
Instandsetzung der rumänischen Petroleumfelder eine sehr wichtige
Stütze der deutschen Kriegswirtschaft.
Die Kriegsrohstoffabteilung schaffte aber auch neue Werke, die Sparmetalle
förderten. In der Metallindustrie kam es darauf an, Kupfer und Zinn durch
andere Stoffe zu ersetzen. So wurden von
Griesheim-Elektron und der Metallbank in Frankfurt mit Unterstützung des
Reiches "Feinzinkwerke" errichtet, die unter Verwendung von
österreichischem Bauxit Aluminium herstellen sollten. Die Werke wurden
später durch die Vereinigten Aluminiumwerke übernommen, deren
Aktienbesitz und Leitung auf das Reich übergingen. Die Aluminiumwerke
wurden damit Reichswerke. Im Herbst 1916 wurde ein weiteres Werk,
Erft-Werk, im rheinischen Braunkohlengebiet gebaut. Beim Kautschuk, der zu
den knappsten Rohstoffen gehörte, gelang es (Leverkusen) synthetischen
Kautschuk zunächst als Ersatz für Hartgummi, später teilweise
auch als Ersatz für Weichgummi herzustellen.
Die Not Deutschlands an Textilrohstoffen führte zu Versuchen zur
Gewinnung von Ersatzspinnstoffen aus Faserpflanzen, Brennessel, Schilfrohr,
Ginster und dergleichen. An Stelle von Wolle suchte man die Torffaser als Ersatz
zu verwenden. Die Gewinnung von Spinnfasern, die aus Holz gewonnen wurden
(Spinnpapierfäden, Kunstseide, Stapelfaser), wurde gefördert. Eine
Reihe von Organen nahmen sich dieser Aufgabe an, z. B.
Kriegsausschüsse zur Gewinnung neuer Spinnfasern,
Studienausschüsse für Spinnpapier,
Bastfaser-Forschungsinstitut für Textilersatzstoffe,
Spinnstoffersatz-Kommission. Eine Reihe von anderen Ausschüssen
schafften andere Ersatzstoffe, wie z. B. Schmiermittel aus [114] Generatorteer und
Tieftemperaturöl, künstlichen Schmiergel als
Schleifmittel usw. Der Mangel an Schmierölen war
vorübergehend recht bedrohlich. Es ist ohne weiteres klar, daß, wenn
der Industrie Schmieröl fehlt, die Maschinen zum Stillstand kommen
müssen. Die Beseitigung des Mangels war für Deutschland
lebenswichtig. Von Rumänien konnte es in den ersten Kriegsjahren keine
Öle erhalten, Galizien war von den Russen besetzt. Das Ersatzmittel, von
Prof. Fischer im
Kaiser-Wilhelm-Institut für Kohlenforschung hergestellt, war daher ein
hervorragender Erfolg für die ganze Kriegswirtschaft.
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