[97] IV. Die wichtigsten Rohstoffe und ihre Quellen (Forts.) 8. Tierische Rohstoffe Der Bedarf Deutschlands an Rohstoffen tierischer Herkunft umfaßt eine große Anzahl verschiedenartiger Gegenstände, die teils den gewerblichen Rohstoffen zuzurechnen sind, wie Wolle, Felle, Häute, Federn, Hörner usw., teils mittelbar oder unmittelbar Ernährungszwecken dienen. Sie werden in gewissem Umfang der heimischen Erzeugung entnommen, und zwar, soweit sie der Volksernährung dienen, in erster Linie. Soweit sie als gewerbliche Rohstoffe anzusehen sind, werden sie vorwiegend vom Ausland geliefert. Im letzten Friedensjahr erforderte ihre Beschaffung einen Aufwand von rund 1¼ Milliarden M, d. h. reichlich ein Zehntel des Wertes der gesamten deutschen Einfuhr und mehr als ein Fünftel des Wertes der deutschen Rohstoffeinfuhr. Der wichtigste dieser gewerblichen Rohstoffe tierischer Herkunft ist die Wolle. Obwohl die Verwendung von Baumwolle für Gewebe aller Art einen außerordentlichen Aufschwung genommen hat, hat der Wollbedarf in der Vorkriegszeit kaum abgenommen. Anderseits hat die heimische Produktion mit diesem Gleichbleiben des Bedarfs nicht Schritt zu halten vermocht. Das liegt an der Intensivierung der deutschen Landwirtschaft, die sich mehr und mehr darauf eingestellt hat, dem Boden Höchsterträge abzugewinnen, und deshalb die extensive Weidewirtschaft mehr und mehr aufgeben mußte. Ein starker, ununterbrochener Rückgang der deutschen Schafzucht war die Folge davon. Nach den Reichsviehzählungen betrug die Anzahl der im Deutschen Reich vorhandenen Schafe
Die Nachkriegszeit hat freilich eine Belebung der Schafzucht zur Folge gehabt, indessen bei weitem nicht in dem Maße, wie oft angenommen wird. Rechnet man den Schafbestand von 1913 auf den jetzigen Gebietsumfang des Reiches unter Ausschluß des Saargebiets um, in dem seit dem Friedensschluß nicht mehr gezählt [98] werden durfte, so ergeben sich für Vor- und Nachkriegszeit folgende Vergleichszahlen für den Schafbestand:
Einer Bevölkerungszunahme von rund 25 Millionen in den letzten vier Friedensjahrzehnten stand also eine Verminderung des Schafbestandes auf rund ein Fünftel gegenüber. Seither ist der Schafbestand im ganzen genommen stabil geblieben, während die Bevölkerung sich weiterhin vermehrt hat. Zu einer ungefähr zutreffenden Vorstellung von der möglichen Höhe der einheimischen Wollerzeugung kann man kommen, wenn man jeweils zwei Drittel der ermittelten Tierbestände als für die Schur in Frage kommend annimmt und mit einem Durchschnittsertrag von 3 Pfund Wolle auf das Stück rechnet. Danach würde die deutsche Schafzucht 1873 noch rund 25 000 Tonnen Wolle geliefert haben, dagegen 1883 nur noch rund 20 000 Tonnen, 1900 nur noch rund 10 000 Tonnen, 1913 nur noch rund 5 500 und 1925 rund 4 700 Tonnen. Im Vergleich mit dem Gesamtbedarf fällt diese selbsterzeugte Menge überhaupt nicht mehr ins Gewicht, vielmehr ist die Wolle seit langem zu einem der wichtigsten deutschen Einfuhrartikel geworden, der stets an einer der ersten Stellen auf unserer Einfuhrliste stand. In der Hauptsache kommt Wolle roh und unbearbeitet zu uns, und zwar vorwiegend aus Argentinien, Australien und Britisch-Südafrika, das 1913: 13,3 v. H., 1925: 17,0 v. H. der eingeführten Rohwolle lieferte. An solcher Rohwolle wurde eingeführt:
Es handelt sich dabei also um Mengen, denen gegenüber die deutsche Eigenproduktion sehr wenig bedeutet, und die durch sie [99] niemals aufgebracht werden können. Außerdem kamen, wenn auch nicht in so bedeutender Menge, bearbeitete (gebleichte, gekrempelte, gekämmte) Wolle und Wollabfälle nach Deutschland, nämlich
Die Wiederausfuhr von Rohwolle ist gering. Sie betrug
und zwar handelte es sich hierbei zum größten Teil um in Deutschland gewaschene Rohwolle. Das ist deshalb zu erwähnen, weil die Rückstände der Wollwäsche ihrerseits wieder industriell ausgenutzt werden (Lanolinfabrikation). Wolle ist neben der Baumwolle nicht nur der weitaus wichtigste Rohstoff zur Deckung des einheimischen Bedarfs an Textilwaren, sondern auch zur Herstellung von Ausfuhrartikeln. Lange Zeit behaupteten ausgeführte Wollwaren im Verzeichnis unserer wichtigsten Ausfuhrgegenstände den ersten Platz. An bearbeiteter Wolle und daraus hergestellten Halb- und Fertigfabrikaten2 wurden exportiert:
Wie die eingangs gegebene Übersicht zeigt, ist die Einfuhr von Rohwolle in der Nachkriegszeit der Menge nach wesentlich eingeschränkt worden. Der dafür aufzuwendende Betrag war indessen erheblich höher. Wir haben also zur Zeit nicht nur unter einer Knappheit, sondern gleichzeitig unter einer starken Verteuerung dieses wichtigen Rohstoffes zu leiden. Während nach den Feststellungen des Zentralausschusses der Wollhandelsvereine in Leipzig australischer Kammzug im Durchschnitt des Jahres 1904 4,75 M, 1913 5,65 M das Kilo kostete, stellte sich dieser Preis im Durchschnitt des Jahres 1924 auf 13,62 M und hat erst Ende 1925 eine Abschwächung auf 11,80 M im Durchschnitt November erfahren. Das bedeutet gegenüber dem Frieden eine Ver- [100] teuerung auf das Doppelte, die auch bei anderen Wollqualitäten in gleichem Ausmaß eingetreten ist. Mit einem nachhaltigen Sinken der Preise wird kaum gerechnet werden können, da die letzten Jahre im Zeichen einer empfindlichen Wollknappheit standen, zumal wenn man den außerordentlichen Verschleiß der Kriegsjahre und den dadurch ungewöhnlich gesteigerten Bedarf an Wollfabrikaten in den seinerzeit kriegführenden Ländern berücksichtigt, dem ein Rückgang der Weltwollproduktion gegenübersteht. Nach Schätzung des Department of Commerce in Washington betrug diese im Durchschnitt 1909/1913 jährlich 1,45, 1924 dagegen nur noch 1,28 Millionen t. Was im vorstehenden für die Wolle des näheren ausgeführt wurde, gilt in ähnlicher Weise auch für die übrigen tierischen Rohstoffe. So kann z. B. die deutsche Lederindustrie ihren Bedarf seit langem nicht mehr im Inlande decken. Im Jahre 1913 war es erforderlich, 270 581,7 t an Fellen und Häuten aller Art im Werte von rund 600 Millionen M einzuführen, während nur 83 666,2 t im Werte von 178 Millionen M ausgeführt wurden. Was das bedeutet, mag folgende Überlegung zeigen: Unter den 1913 eingeführten Fellen und Häuten befanden sich rund 225 000 t Rindshäute und Kalbfelle. Der deutsche Rindviehbestand einschließlich Kälbern betrug am 1. Dezember des gleichen Jahres rund 21 Millionen Stück. Auf Grund der Ergebnisse der Schlachtstatistik kann man annehmen, daß in normalen Zeiten ungefähr 40 v. H. des deutschen Rindviehbestandes geschlachtet wurden. Rechnet man auf einen Doppelzentner 8 Häute aller Art, so wären im Jahre 1913 rund 105 000 t in Rindshäuten und Kalbfellen aus dem deutschen Viehbestand zu gewinnen gewesen. Das ist weniger als die Hälfte dessen, was an Rindshäuten und Kalbfellen im gleichen Jahre eingeführt wurde, von anderen Fellen und von Leder ganz abgesehen. Rind-, Kalb-, Schaf- und Ziegenfelle sind die wichtigsten Posten unseres Häutebedarfs. Ihre Einfuhr betrug:
[101] Auch hier zeigt sich, wie wir es fast bei allen Rohstoffen bisher gesehen haben, selbst unter Berücksichtigung der Auswirkung der Abtretungen auf die handelsstatistischen Anschreibungen eine Verminderung der uns vom Ausland zur Verfügung gestellten Rohstoffmenge, die durch erhöhte Einfuhr von zum Teil stark verteuerten Halb- und Ganzfabrikaten ausgeglichen werden mußte. An fertigem Leder aller Art wurden eingeführt:
Ein Drittel der Ledereinfuhr 1925, 5 386,9 t, entfiel auf Sohlleder; 1 kg davon wurde im Jahresdurchschnitt an der Börse in Frankfurt a. M. 1913 mit 2,40 M, 1924 mit 4,37 M, 1925 mit 4,45 M notiert. Neben den vorstehend besprochenen wichtigen tierischen Rohstoffen verarbeitet die deutsche Industrie noch eine beträchtliche Menge anderer, die ebenfalls zum großen Teil, wenn nicht ausschließlich, erheblich verteuert aus dem Ausland bezogen werden. Zu nennen sind z. B. Tierdärme, Blasen und dergleichen, ein sehr wichtiger Artikel, von dem 1913 35 251 t im Werte von 55,3 Millionen M, 1925 39 139,6 t im Werte von 71,1 Millionen M eingeführt wurden, ferner Elfenbein, tierische Schnitzstoffe aller Art, Insektenwachs, Borsten, Bettfedern, rohe Straußenfedern, unzugerichtete Reiherfedern und ähnliches. Große Mengen dieser Stoffe entstammen Gebieten, die sich unter den gleichen geographischen und klimatischen Voraussetzungen wirtschaftlich entwickelt haben, wie sie unser eigener früherer Kolonialbesitz aufweist. Sie sind nur zum kleinen Teil durch Ausbeutung oder Raubbau zu gewinnen, wie etwa Wildhäute, Elfenbein, gewisse Schmuckfedern und derartiges. Weitaus die meisten und wichtigsten erfordern planmäßige Zucht auf Grund pfleglicher Bewirtschaftung. Soweit die deutschen Kolonien in Frage kommen, war beides von den dazu berufenen Stellen, der deutschen Kolonialverwaltung und der deutschen Landwirtschaft, tatkräftig und erfolgreich in die Hand genommen worden. Wir haben über die Regierungsmaßnahmen auf diesem Gebiet bereits gesprochen und hier nur hinzuzufügen, daß die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft im Jahre 1909 eine eigene Kolonialabteilung errichtete, die nicht nur das Interesse der [102] heimischen Landwirtschaft an den kolonialen Unternehmungen zu fördern unternahm, sondern auch unmittelbar auf die Entwicklung der Landwirtschaft in den Schutzgebieten einzuwirken suchte. Das geschah besonders durch Regelung des Bezugswesens von Dünger, Geräten und Zuchtvieh sowie durch Förderung der Technik der Landwirtschaft und des landwirtschaftlichen Versuchswesens. Weiter sei erwähnt, daß das Kolonial-Wirtschaftliche Komitee im Jahre 1914 seiner Organisation eine besondere Wollschafzuchtkommission angliederte, die sich der Förderung dieses Spezialzweiges der Viehzucht besonders widmen sollte. Sie hat nicht mehr in Tätigkeit treten können. Wohl aber haben die sonstigen Förderungsmaßnahmen einen Erfolg aufzuweisen, der im Hinblick auf die kurze Zeit ihrer Wirksamkeit erheblich genannt werden muß. Besonders gilt das für Südwestafrika, das vermöge seines subtropischen Klimas und seiner Bodenbeschaffenheit für die Farmwirtschaft in erster Linie in Frage kam. Auch hier hat sich erst nach Beendigung der Aufstände, d. h. von 1907 ab, eine großzügige Bodenbewirtschaftung ungestört entwickeln können. Wie sie vorangegangen ist, zeigen folgende Zahlen der amtlichen Farmstatistik, jeweils bezogen auf den 1. April:
Einen genaueren Einblick in den Viehbestand des Schutzgebietes und seine Entwicklung geben die folgenden Zahlen: Nach den amtlichen Viehzählungen waren in Südwestafrika vorhanden
[103] Der Viehbestand der weißen Ansiedler hatte also zur Zeit der letzten Zählung seine Höhe vor den Aufständen bereits um ein Mehrfaches überschritten, während der Besitzstand der Eingeborenen zunächst stark gesunken war und sich erst in den letzten Jahren vor dem Kriege wieder steigerte. Diese verschiedenartige Entwicklung ist einerseits in der Intensivierung des Farmbetriebes der Weißen begründet, während anderseits bei den Eingeborenen das Verbot der Großviehhaltung für die Hereros sich auswirkte. In Ostafrika lag die Viehhaltung in erster Linie in den Händen der Eingeborenen. Eine im Jahre 1913 veranstaltete Zählung der Bestände ergab
Die Überschüsse an tierischen Rohstoffen, die die Schutzgebiete als Folge der planmäßigen Kulturtätigkeit der deutschen Verwaltung über den sehr beträchtlichen eigenen Bedarf hinaus für die Ausfuhr zur Verfügung stellen konnten, sind von Jahr zu Jahr gewachsen und haben gezeigt, daß die aufgewandte Mühe nicht vergeblich gewesen ist. Wenn wir das im nachstehenden zahlenmäßig nachweisen, so ist dabei immer zu bedenken, daß nur eine ganz kurze Zeit der Vorbereitung zu der Steigerung der Erträge geführt hat. Um so mehr müssen die Erwartungen, die an eine weitere Entwicklung in der Zukunft zu knüpfen waren, als gerechtfertigt bezeichnet werden. Wolle war bis zum Jahre 1913 nur aus Südwestafrika über den eigenen Bedarf hinaus hervorgebracht worden. Zur Ausfuhr kamen
Aus den übrigen Schutzgebieten war Wolle in nennenswertem Umfang nicht ausgeführt worden. Felle und Häute wurden aus Ost- und Südwestafrika, in geringem Umfang auch aus Kamerun und Togo ausgeführt. Die Ausfuhr der beiden erstgenannten Gebiete betrug
Besonders seit dem Jahre 1909 hat sich die Ausfuhr von Fellen und Häuten dauernd und stark erhöht. Ihr Gesamtwert, der 1903 0,51 Millionen M betrug, war 1907 bereits auf 1,50 Millionen M angewachsen und hat sich bis 1913 abermals auf rund 6 Millionen M gesteigert. Daß der Wert der Ausfuhr schneller gewachsen ist als ihre Menge, hängt einmal mit der Erhöhung der Weltmarktpreise zusammen, dann aber auch mit der Verbesserung des Produktes durch sorgfältigere Züchtung. Die Aussichten für eine weitere Exportsteigerung waren namentlich in Ostafrika besonders gute, da die Auswirkung der Mittellandbahn erst noch zur Geltung kommen sollte, und eine geplante Zweigbahn die sehr viehreichen Sultanate Ruanda und Urundi zu erschließen bestimmt war. Straußenfedern, die unter den nach Deutschland eingeführten tierischen Rohstoffen ebenfalls genannt wurden, lieferte Südwestafrika in vorerst bescheidenen Mengen, und zwar führte es aus:
Die kostbaren Federn wurden zunächst fast ausschließlich von wilden Straußen gewonnen, und was an Zuchtanfängen vorhanden war, wurde durch die Aufstände vernichtet. Erst nach ihrer Beendigung konnte sich eine planmäßige Straußenzucht entwickeln, die auf bestem Wege war: Am 1. April 1909 waren im Schutzgebiet 229 Tiere vorhanden, am 1. April 1913 bereits 1507. Im übrigen war kurz vor dem Kriege geplant, die in Südwestafrika gesammelten Erfahrungen auf Ostafrika und Kamerun zu übertragen, was jedoch nicht mehr zur Ausführung kommen konnte. [105] An der Lieferung von tierischen Schnitzstoffen waren alle früheren Schutzgebiete, besonders Ostafrika und Südwestafrika, beteiligt. Mit der weiteren Ausdehnung der Viehzucht waren aus beiden steigende Erträge zu erwarten. Die bisherigen Ausfuhrmengen waren Jahr für Jahr ziemlich gleichmäßig und schwankten zwischen 47 und 44 t in den Jahren 1904 und 1913. Insektenwachs, wovon 1913 rund 3000 t im Werte von 8½ Millionen M nach Deutschland eingeführt wurden, lieferte Ostafrika. Es führte aus:
Zu den tierischen Rohstoffen müssen auch diejenigen gerechnet werden, die mittelbar oder unmittelbar der Ernährung dienen. Sie hervorzubringen ist in erster Linie Sache der heimischen Landwirtschaft, und sie hat diese Aufgabe durch Intensivierung ihrer Betriebe in sehr hohem Maße gelöst. Näheres darüber ist auf S. 113 gesagt. Immerhin bleibt und blieb von jeher ein beträchtlicher Posten übrig, der aus dem Ausland bezogen werden mußte. Im letzten Friedensjahr, bei einem Hochstand der landwirtschaftlichen Produktion, betrug der Wert der Einfuhr an lebendem Vieh, Fleisch aller Art, Fleischwaren und zur Ernährung bestimmten tierischen Fetten rund 446 Millionen M, der eine Ausfuhr der gleichen Stoffe von nur 15 Millionen M gegenüberstand.4 Seither haben der Krieg und die Kriegsfolgen die deutsche Viehwirtschaft um ihre wertvollsten Bestandteile geschwächt, und der mit allen Mitteln unternommene Wiederaufbau hat sie bisher noch nicht wieder völlig auf den Friedensstand emporgebracht. Im Deutschen Reich jetzigen Umfangs, ohne das Saargebiet, waren vorhanden in Millionen Stück am
[106] Wird bei einem Vergleich dieser Zahlen berücksichtigt, daß überdies der Schlachtwert der Tiere, namentlich beim Rindvieh, heute niedriger als vor dem Kriege ist, so wird es verständlich, daß auch gegenwärtig große Mengen von tierischen Nahrungsmitteln zur Ergänzung der heimischen Erzeugung gebraucht werden. Es ist nicht tunlich, diesen Zuschuß zur Eigenerzeugung, der sich aus der amtlichen Handelsstatistik ergibt, mit den Vorkriegsangaben derselben Quelle zahlenmäßig zu vergleichen. Beim Außenhandel mit Bodenerzeugnissen spielen die Einschränkungen der Beweiskraft einer solchen Gegenüberstellung, von denen auf S. 40 gesprochen wurde, eine besonders große Rolle. Was vom früheren deutschen Reichsgebiet verlorengegangen ist, ist heute handelsstatistisch Ausland, und dabei handelt es sich in erheblichem Maße um landwirtschaftliches Produktionsgebiet (Elsaß, Polen, Memelland). Aber auch die innere Möglichkeit eines Vergleichs mit dem Frieden ist dadurch stark beeinträchtigt, daß zweifellos eine Umstellung der deutschen Ernährungsverhältnisse in der Richtung auf Vereinfachung, um nicht zu sagen Verschlechterung, unter der Not der Nachkriegsjahre stattgefunden hat. Das läßt sich, wenn auch ohne zahlenmäßige Genauigkeit, aus der Ein- und Ausfuhrstatistik doch entnehmen. So ist z. B. die früher sehr große Einfuhr von Geflügel, die 1913 fast ein Drittel des Wertes der gesamten Vieheinfuhr ausmachte, auf einen Bruchteil der Friedenseinfuhr herabgesunken, obwohl der deutsche Federviehbestand mit 71,3 Millionen Stück am 1. Dezember 1925 noch etwas hinter dem auf dem heutigen Reichsgebiet bei der letzten Friedenszählung vorhandenen (71,9 Millionen Stück) zurückstand. An Gänsen wurden 1925 statt 8,6 Millionen Stück im Jahre 1913 nur 1,5 Millionen eingeführt. Auf der anderen Seite ist der Import von billigem Gefrierfleisch ganz entscheidend in den Vordergrund getreten. Allein an gefrorenem Rindfleisch wurde 1925 mehr als viermal soviel (114 538,5 t) eingeführt wie 1913 an frischem, zubereitetem und gefrorenem Rindfleisch zusammen (32 370,6 t). Die Einfuhr von Sahne, die 1913: 44 374,5 t betrug und bis auf 25,1 t auch in Deutschland verbraucht wurde, stellte sich 1925 auf 470,5 t. Dafür betrug 1925 die Einfuhr von Frischmilch einschließlich Magermilch 55 814,5 t gegen nur 32 810,4 t im Jahre 1913, die Einfuhr von Kondens- und Trockenmilch 12 869,5 t gegen nur 51,8 t im letzten Friedensjahr, während die Ausfuhr von 12 499,9 t und 8255,2 t im Jahre 1913 auf 278,7 t und 647,7 t im Jahre 1925 gesunken ist. [107] Für die Jahre 1923 bis 1925 ergibt sich über die Einfuhr von Vieh und den wichtigsten tierischen Nahrungsmitteln folgendes Bild:
Der Gesamtwert dieser Einfuhr betrug im Jahre 1925 rund 968 Millionen M, der eine Ausfuhr der gleichen Stoffe von nur 17 Millionen M gegenüberstand. Die vergleichsweise starke Einfuhrsteigerung gegenüber den Vorjahren ist der Ausdruck der Notwendigkeit, die Ernährung der deutschen Bevölkerung nach den Leiden der Rationierungs- und Inflationszeit über das Maß des Unzulänglichen auf das des unbedingt Notwendigen zu heben. Der dazu nötige Aufwand wird noch erhöht durch den Bedarf an Eiern, Milch und Käse, der nach Abzug der nur 10,25 Millionen M betragenden Ausfuhr im Jahre 1925 rund 416 Millionen M erforderte. Prüft man die vorstehende Zusammenstellung im einzelnen, so zeigt sich, daß auf die tierischen Fette, und zwar ganz vorwiegend auf Butter und Schmalz, 61,5 v. H., also fast zwei Drittel des Einfuhrwertes entfallen. Sie müssen in einem die Möglichkeit eigener Erzeugung übersteigenden Umfang vom Ausland bezogen werden. Die übrigen 373 Millionen M verteilen sich auf eine Reihe verschiedener Posten, von denen keiner sehr beträchtlich ist. So machen [108] die im Jahre 1925 eingeführten Rinder nur wenig mehr als 1 v. H., die im gleichen Jahre eingeführten Schweine nur knapp ¾ v. H. der am 1. Dezember 1925 im Deutschen Reich vorhandenen Rinder und Schweine aus. Auch die Fleischeinfuhr ist im Verhältnis zu der einheimischen Fleischerzeugung, von der an anderer Stelle im einzelnen gesprochen worden ist, nicht groß. Immerhin stellt der Zuschußbedarf an und für sich aber doch eine recht ansehnliche Menge von Erzeugnissen der Viehwirtschaft dar, und es bestände angesichts der Knappheit der Ernährungslage doch ein großes Interesse daran, ihn nach Möglichkeit aus eigener Erzeugung heraus zu vermindern. Daß das in absehbarer Zeit auf dem Boden des Mutterlandes möglich ist, wird man nicht hoffen können. Da ein Zuschußbedarf auch schon im Frieden erforderlich war, lag es nahe, den deutschen Überseebesitz auf seine Eignung zur Ergänzung der einheimischen Viehproduktion zu untersuchen. Man hatte dabei zu berücksichtigen, daß es hier nicht nur auf die Menge der in den Kolonien zu erzeugenden tierischen Nahrungsmittel ankam, sondern auch auf ihre Qualität. Schon seit langem bestand in fast allen Afrikabesitzungen ein Austausch von Vieh, Fleischwaren, Butter u. dgl. mit anderen kolonialen Gebieten. Für den Wettbewerb auf dem kontinentalen Markt waren diese Produkte indessen zunächst nicht geeignet. Immerhin aber konnte angenommen werden, daß im Gang der Entwicklung eine Ergänzung der heimischen Viehwirtschaft durch Lieferungen aus den Kolonien möglich werden würde. Die darauf gerichteten Bestrebungen hatten auch bereits Erfolge zu verzeichnen, die besonders in Südwestafrika zutage getreten sind. Der Stand der Landwirtschaft nach europäischem Muster, aber in Anpassung an die kolonialen Verhältnisse, hatte in dieser Kolonie bereits eine beachtliche Höhe erreicht, nicht zuletzt auch durch Organisation des landwirtschaftlichen Kredit- und Genossenschaftswesens, die den Landwirten Zusammenschluß und Rückhalt gewährte. Eine Reihe von Ein-, Verkaufs- und Verwertungsgenossenschaften regelte den Güteraustausch, und im April 1913 trat die Landwirtschaftsbank mit einem Kapital von 10 Millionen M als rein landwirtschaftliches Kreditinstitut ins Leben. Die bereits an anderer Stelle mitgeteilten Zahlen der amtlichen Farmstatistik zeigen am besten, daß die Entwicklung aufwärts ging: Die Zahl der Farmen vermehrte sich von 440 am 1. April 1907 auf 1331 am 1. April 1913, die ihren Bestand an Großvieh von rund 77 000 im Jahre 1910 auf rund 169 000 im Jahre 1913 erhöht hatten. [109] Eine Sonderfeststellung, die am 15. März 1913 vorgenommen wurde, ergab für den verfügbaren Schlachtviehbestand des Schutzgebiets das erfreuliche Ergebnis, daß nach Selbsteinschätzung der Farmer auf die Dauer von fünf Jahren jährlich 18 109 Ochsen, 2071 Kühe, 247 Färsen, 5643 Kälber, 90 654 Schafe zu Schlachtzwecken geliefert werden könnten. Daß diese Schätzung nicht fehl ging, ergibt sich daraus, daß 1924 rund 30 000 Ochsen aus dem früheren Schutzgebiet ausgeführt wurden. Das ist, verglichen mit dem deutschen Zuschußbedarf, noch nicht allzu viel gewesen, und es darf natürlich auch nicht übersehen werden, daß der größte Teil der überschüssigen Bestände seinen Weg nach näher gelegenen Absatzmärkten, vor allem nach der heutigen Südafrikanischen Union fand. Wie denn überhaupt unsere Darlegungen selbstverständlich nicht davon ausgehen, daß die Ergebnisse einer deutschen Kolonialproduktion ohne weiteres und unmittelbar, ohne Rücksicht auf Weltbedarf und Weltmarktpreis, in das bedürftige Mutterland abfließen würden. Indessen sind die mitgeteilten Zahlen doch ein Beweis für die Möglichkeit, in unseren früheren Schutzgebieten zu einer Überschußwirtschaft zu kommen, deren Weiterentwicklung die Hilfsmittel der heimischen Wirtschaft vergrößern müßte. Es ist in bezug darauf zu erwähnen, daß die den Überseeverkehr vermittelnden deutschen Dampferlinien s. Zt. bereits begonnen hatten, einen Teil ihres Fleischbedarfs in Südwestafrika zu decken. Die Produktion von drei in den letzten Friedensjahren in Karibib, Swakopmund und Okahandja errichteten Konservenfabriken ersetzte bereits nahezu die früher ziemlich hohe Fleischkonserveneinfuhr des Schutzgebiets. Von größerer Bedeutung waren die Pläne der Liebig-Fleischextrakt-Kompagnie, in Verbindung mit der Deutsch-Südwestafrikanischen Farmgesellschaft Konservenfabriken zu errichten. Zur Konservierung ist nicht die gleiche hochwertige Qualität erforderlich, wie sie auszuführendes Frischfleisch verlangt. Die Werke der Liebig-Kompagnie in Otjihua bei Okahandja sind nach einem Bericht der African World vom 27. August 1925 in Betrieb genommen worden. Sie sind auf die Verarbeitung von 5000 Stück Vieh jährlich eingerichtet. Bezeichnend für die Zuversicht, die in die Entwicklung der Viehwirtschaft des Landes gesetzt wird, ist das Vorgehen der Imperial Cold Storage Co., die in Walfischbay Kühlanlagen und Schlachthäuser großen Stiles baut. Neben Südwestafrika kommen auch gewisse Teile von Ostafrika für die Farmwirtschaft in Betracht. Der Viehreichtum der Sultanate Urundi und Ruanda ist bereits erwähnt worden, und [110] wenn auch die europäische Farmwirtschaft in Urundi noch in den Anfängen steckte, so hatte sie doch bereits ermutigende Ergebnisse zu verzeichnen. Der Viehbestand der Weißen, über den für den 1. April 1913 zum erstem Male vollständige Angaben vorliegen, belief sich auf 43 617 Stück Rindvieh und 41 647 Stück Kleinvieh. Daneben wurden noch 5460 Schweine gezählt. Ihre Zucht war neu eingeführt, und zwar vorwiegend auf der Grundlage importierter hochwertiger Vollblut- und Kreuzungssorten, und schien namentlich in den höher gelegenen Gebieten große Erfolge zu versprechen. Alles das waren freilich erst Anfänge, aber verheißungsvolle. Bei aller Vorsicht in ihrer Beurteilung berechtigten sie doch zu dem Schluß, daß eine Ergänzung der heimischen Landwirtschaft und damit der deutschen Volksernährung von der Weiterentwicklung unserer afrikanischen Besitzungen zu erwarten gewesen wäre.
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