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Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung, Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden Organisationen

[69] Kapitel 3: Die Versorgung des Heeres
mit Waffen und Munition

Generalmajor Ludwig Wurtzbacher

1. Friedensvorbereitungen und erste Maßnahmen.

Als sich am 1. August 1914 unter der hellen Begeisterung des ganzen deutschen Volkes über den ihm aufgezwungenen Krieg die Tore der Zeugämter, Munitionsdepots, Pulverhäuser öffneten und aus den Wagenhäusern, Geschirrkammern und Magazinen das Kriegsgerät zur Bewaffnung und Ausstattung der zu den Fahnen herbeiströmenden Ergänzungsmannschaften und Freiwilligen, zur Einkleidung der Pferde, zur Aufstellung der neuen Kriegsformationen hervorgezogen wurde, die Räumung der Depots in bestvorbereiteter Weise planmäßig vor sich ging und Truppe auf Truppe schnell und sicher in den Besitz der Gewehre, Karabiner, Maschinengewehre, Patronen, Geschütze, Fahrzeuge, Geschirre, Geschosse, Kartuschen, Ferngläser, des Fernsprechgeräts, Schanzzeugs und allen Zubehörs kam, da ging ein freudiges und dankbares Gefühl durch die ganze Bevölkerung über die peinliche Sorgfalt und die treue Arbeit, mit der in langen Friedensjahren nach dieser Richtung hin Deutschlands Wehrkraft sichergestellt worden war. Ein Gefühl der Ruhe kam über jeden einzelnen, und mit Stolz erfüllte sein Herz der Gedanke, daß sein Geschick in der Tat in besten Händen ruhe.

Als erste wirtschaftliche, zugleich auch militärische Maßnahmen, die im Interesse der Kriegführung, im besonderen der Versorgung des Heeres ergriffen werden mußten, waren bereits am 31. Juli 1914 acht Kaiserliche Verordnungen ergangen. Sie verboten: Die Ausfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen, Verpflegungs-, Streu- und Futtermitteln, Kraftfahrzeugen, Mineralrohölen, Steinkohlenteer und allen daraus hergestellten Ölen, die Ausfuhr und Durchfuhr von Waffen und Munition, Kriegsbedarf jeder Art und von Mitteln zu dessen Herstellung, von Eisenbahn-, Telegraphen- und Fernsprechgerät, von Luftschiffergerät und Fahrzeugen, sowie Rohstoffen, die bei der Herstellung und dem Betrieb von Gegenständen des Kriegsbedarfes zur Verwendung kamen, von Verband- und Arzneimitteln, ärztlichen Instrumenten und Geräten, schließlich die Ein- und Ausfuhr von Tauben. Diese Verbote galten der Versorgung des Heeres mit ganz elementaren Bedarfsgegenständen.

Schon waren die ersten Erfolge errungen, als England am 3. August den Krieg erklärte und hiermit die Blockade Deutschlands sicher war. Auf Vorschlag [70] von Dr. Walter Rathenau geschah nun der erste bedeutungsvolle Schritt, um die Versorgung des Heeres mit Waffen und Munition für die Zukunft sicherzustellen: Die Gründung der Kriegsrohstoffabteilung im preußischen Kriegsministerium mit der Aufgabe, die einheitliche Rohstoffbewirtschaftung sogleich in starke Hand zu nehmen. Das war unbedingt notwendig; zugleich lag darin auch schon der feste Entschluß, für einen längeren Krieg durchhalten zu wollen, mit dessen Möglichkeit nun gerechnet werden mußte. Er war notwendig nicht nur für die Versorgung des Heeres, sondern auch für die der Marine, der Eisenbahnen, der Post: für das ganze deutsche Volk. Es ist ein unbestreitbares Verdienst des Kriegsministers v. Falkenhayn, daß er der Anregung von Rathenau ohne Zögern gefolgt ist und die neue Organisation sofort tatkräftig seinem Ministerium einverleibte. Dr. Rathenau übernahm selbst als erster Leiter der Abteilung die schwierige Aufgabe. Die Organisation bezweckte, alle im Inlande vorhandenen und gegebenenfalls die in dem zu besetzenden Gebiet gefundenen Rohstoffe nach Besitzer, Menge und Lagerort festzustellen und den Verbrauch entsprechend den militärischen Verhältnissen zu regeln. Getrennt hiervon sollte die kaufmännische Durchführung der Rohstoffbewirtschaftung, also das Sammeln und Verteilen der Vorräte, der Industrie überlassen bleiben. Hierzu hatte die letztere verantwortliche Selbstverwaltungskörper zu bilden: Rohstoffgesellschaften. Die Kriegsrohstoffabteilung war also die behördliche Befehlsstelle, die Kriegsrohstoffgesellschaften waren die kaufmännischen Ausführungsorgane. Die Organisationen haben später Änderungen erfahren. Die Kriegsrohstoffabteilung wurde alsbald für allein zuständig für alle Beschlagnahmen mit Ausnahme von Treib- und Schmierölen und von Nahrungsmitteln erklärt, auch von den Kriegsministerien von Bayern, Sachsen, Württemberg für die Gebiete ihrer Bundesstaaten. Hierdurch wurde die Einheitlichkeit der Kriegswirtschaft gewährleistet.

Während das Heer planmäßig den Aufmarsch vollendete und die Armeen schnell von Sieg zu Sieg schritten, in die Ehrentafeln der deutschen Geschichte die Namen Lüttich, Namur, Tannenberg, Maubeuge, Antwerpen als Gedenktage deutschen Ruhmes schrieben, war auch die Versorgung mit allen Bedürfnissen des Krieges, insbesondere mit Waffen und Munition, glänzend vonstatten gegangen. Die im Frieden getroffenen Vorarbeiten setzten genau fest, bis zu welchem Tage bei bestimmten Artilleriedepots Munitionszüge für die Infanterie und die Artillerie, sowie deren einzelne Geschützarten (Feldkanonen, leichte und schwere Feldhaubitzen, 10 cm-Kanonen, Mörser, sowie schwerstes Steilfeuer) versandfertig bereitzustellen waren. Der Feldmunitionschef im Großen Hauptquartier rief je nach Bedarf diese Züge beim Artilleriedepot unmittelbar ab, zog sie näher zur Front heran und stellte sie den Armee-Oberkommandos zur Verfügung. Auch die Versorgung mit allem sonstigen Heeresgerät ging gut vonstatten, wurde doch noch aus den im Frieden bereitgestellten Vorräten geschöpft. [71] Diese waren auf Grund eingehender Erwägungen berechnet, inbesondere auch die Munition. Die Erfahrungen des Russisch-Japanischen Krieges hatten für die letztere zu einer Nachprüfung geführt; der Bedarf war im Jahre 1912 in Übereinstimmung zwischen Kriegsministerium und Generalstab neu ermittelt; die erforderlichen Neubeschaffungen waren allerdings erst zum Teil erfolgt, teils waren sie in Auftrag gegeben, der Rest im Hinblick auf die Finanzen des Reiches erst für die späteren Jahre in Aussicht genommen. Die letzteren Mengen waren im Verhältnis zum später wirklich eintretenden Bedarf außerordentlich gering und hätten, wenn sie etwa vorhanden gewesen wären, die später eintretende Munitionsnot keinesfalls überbrückt. Bei den Friedensvorbereitungen war der hohe Munitionseinsatz tatsächlich allgemein verkannt, auch war leider nicht berücksichtigt worden, für einen langen Krieg Sorge zu tragen; die richtige Erkenntnis würde unbedingt zur Vorbereitung einer wirtschaftlichen Mobilmachung und damit zu einem großen Vorsprung über Deutschlands Gegner geführt haben, die solche Vorbereitungen auch nicht getroffen hatten. Im Frieden bestand allgemein der Gedanke, daß moderne Kriege nur von kurzer Dauer sein könnten, weil zu große Massen - Millionenheere - in Tätigkeit träten und die Länder und Völker längere Kriege nicht ertragen würden. Je nachdrücklicher die Anspannung aller Kräfte, je wirkungsvoller die Zerstörungskraft der Mittel der neueren Kriegstechnik sein würden, um so kürzer könnte nur die Anspannung der Kräfte dauern.

Mit dieser Auffassung hat Deutschland keineswegs allein in der Welt gestanden. Der Generalsekretär des Verbandes der französischen Eisenhüttenleute sagte am 20. März 1916 in Paris:

      "Niemals hat weder in Frankreich, noch in Deutschland ein Militärschriftsteller oder ein Generalstabsoffizier, welche die Bedingungen des künftigen Krieges studiert hatten, einen Krieg von langer Dauer vorausgesehen. Im Gegenteil, nicht nur in militärischen Kreisen, sondern auch bei den Lenkern der großen internationalen Politik galt es als Grundsatz, daß, wenn ein Krieg zwischen den Großmächten ausbrechen sollte, er notwendigerweise stets kurz sein würde."

Auch in England und in Frankreich fehlte es an genügenden Vorräten, wie an einer industriellen Mobilmachung, die alle kriegführenden Staaten nachträglich durchführen mußten. Der Bedarf an Kriegsmitteln aller Art war auch dort nicht im entferntesten vorausgesehen. Auch dort hat niemand mit einer so langen Kriegsdauer gerechnet. Heute kennt jeder diesen Trugschluß, in dem sich alle Völker befanden, und manches Wort der Kritik ist laut geworden. Der Irrtum wäre vielleicht nicht zutage getreten, wenn das Siegesglück die deutschen Armeen an der Marne nicht verlassen und anstatt des nun einsetzenden Stellungskrieges ein rascher Bewegungskrieg zu Deutschlands Gunsten entschieden hätte. Der Gang der Kriegsereignisse an der Marne machte aber klar, worauf sich die deutsche [72] Kriegsleitung einzurichten hatte; und da stand obenan die Sorge um die Munition.

Um eine rasche Munitionssteigerung auf jeden Fall zu sichern, war für die leichte Artillerie im Frieden ein schnell zu fertigendes Aushilfsgeschoß aus Grauguß mit einfachem Aufschlagzünder konstruiert worden, welches bei Kriegsausbruch den Übergang bis zur Massenfertigung der wirkungsvolleren Munition überbrücken sollte. Mit seiner Fertigung wurde sofort bei Kriegsausbruch begonnen; in der 7. Mobilmachungswoche, vom 13. - 19. September, setzten die Lieferungen ein; am 10. Oktober konnte der Feldmunitionschef die ersten Munitionszüge mit Geschossen dieser Art aus den Artilleriedepots abrufen. Für die schwere Artillerie war diese Vorsorge nicht getroffen, hatte man doch in der reichlichen Ausrüstung der Festungen große Vorräte, aus denen die Feldausstattung jederzeit ergänzt werden konnte. Der mächtige Einsatz der schweren Artillerie zu allen Aufgaben, die eine schnelle Überwindung der entgegentretenden Widerstände erforderten, die frühzeitige Heranziehung von schwerer Artillerie der Festungskriegsbesatzungen zur Verstärkung der Feldarmee warfen jedoch alle früheren Vorsorgen über den Haufen, und so trat denn auch für die schwere Artillerie die Sorge für den Munitionsnachschub schneller und lebhafter auf, als vorauszusehen gewesen war. Am 14. September wurde auch für diese Waffe die Fertigung von Graugußgeschossen befohlen, ohne Rücksicht auf die verringerte Wirkung. Es hieß: Munition, Munition, Munition!

Übrigens haben auch England und Frankreich zeitweise Graugußmunition hergestellt.

Der neuernannte englische Munitionsminister Lloyd George machte in seiner bekannten Rede im Unterhaus am 23. Juni 1915 über die Wichtigkeit der Munitionsfrage folgende denkwürdige Ausführungen:

      "Was ich nicht nur dem hohen Hause, sondern auch dem Lande bei jeder sich bietenden Gelegenheit klarmachen möchte, ist dies: Die Opfer an Leben und Gesundheit, die der Krieg fordert, der Grad von Erschöpfung, den er nach sich zieht, und ich kann sagen die Frage des endgültigen Sieges oder der endgültigen Niederlage, hängen ab von der Menge Munition, die das kämpfende Land zu erzeugen vermag. Die Deutschen haben eine strategische Überlegenheit erlangt, die ihrem Übergewicht an Kriegsmaterialien entspricht. Wenn sie die Heereskräfte der Alliierten irgendwo vor sich hertreiben, so beruht dies auf demselben Grunde, und wenn jene in irgendeinem Abschnitte Fortschritte machen, so kommt es daher, daß sie gerade hier ein Übergewicht an Munition zur Verfügung haben."

Trotz aller Schwierigkeiten, die sich der Munitionsfertigung entgegenstellten, ist sie glücklich gelöst worden, dank der tatkräftigen Unterstützung durch die deutsche Industrie und tüchtige Männer aus dem Kreise deutscher Ingenieure und Chemiker.

[73] Die Truppe hat in der Zeit des Munitionsmangels an der Front manche Krise mit Ausdauer und Zähigkeit überwunden, die ihr bei größeren Munitionsbeständen erspart geblieben wäre. Der Feldmunitionschef, Generalleutnant Sieger, hat das große Verdienst, in diesem schwierigen Zeitabschnitt mit hervorragender Sachkenntnis einerseits dem Drängen der Truppe nach Munition dort widerstanden zu haben, wo ein Haushalten im Interesse des Ganzen geboten war, andererseits aber auch dort, wo die Oberste Heeresleitung durchschlagende Erfolge erringen wollte und mußte, stets die nötige Munitionsmenge zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle bereitgestellt zu haben. In keinem späteren Zeitabschnitt des Krieges ist gerade diese Tätigkeit, die richtige Versorgung der Truppe mit Munition im Rahmen des Vorhandenen, so schwierig und so verantwortungsvoll gewesen, wie gerade in diesem Zeitabschnitt.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte