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Bd. 6: Die Organisationen der Kriegführung, Erster Teil:
Die für den Kampf unmittelbar arbeitenden Organisationen

  Kapitel 3: Die Versorgung des Heeres
mit Waffen und Munition
  (Forts.)

Generalmajor Ludwig Wurtzbacher

3. Das Hindenburg-Programm.

Neuorganisation der Beschaffung.

Bis zum Jahre 1916 bearbeiteten die Waffenabteilungen des Allgemeinen Kriegsdepartements (Infanterie-, Kavallerie-, Feldartillerie-, Fußartillerie-, Pionier- usw. Abteilung) die Versorgung der Truppenteile mit Kriegsgerät. Solange der Markt noch frei war, keine Knappheit an Rohstoffen und Arbeitern eintrat, war dieses System an und für sich erträglich. Als sich aber die Aufträge in den Fabriken häuften, eine Reihenfolge in den auszuführenden Aufträgen nicht feststand, trat eine Konkurrenz der beschaffenden Stellen ein, die auf die Preisbildung, die zeitliche Erfüllung der Bestellungen usw. sehr unangenehm einwirkten. Waren die Waffenabteilungen die Besteller, so führte die Feldzeugmeisterei hauptsächlich durch die technischen Institute die Bestellungen durch. Es beschafften im allgemeinen die staatlichen Geschoßfabriken die Artilleriegeschosse, die Zünderfabriken die Zünder, die Gewehrfabriken die Handfeuerwaffen, die Geschützgießerei und Artilleriewerkstätten die Artillerieausrüstung an Geschützen, Fahrzeugen und Geschirren, die Munitionsfabriken die Gewehrmunition und die Pulverfabriken Pulver und Sprengstoffe, und zwar nicht etwa nur durch eigene Fertigung, sondern durch Beteiligung der gesamten Industrie. Die Institute hatten auch die Abnahme und die Rechnungslegung.

Da kam die Sommeoffensive.

Nachdem es Mackensen im Mai 1915 gelungen war, durch scharf massiertes Artilleriefeuer in kurzer Zeit die russische Schlachtfront bei Gorlice-Tarnow zu durchbrechen und damit den Zusammenbruch der ganzen feindlichen Front herbeizuführen, kam beim Feindbund die Erkenntnis auf, daß durch starke artilleristische Überlegenheit, wenn sie lange Zeit ununterbrochen zur Geltung gebracht wurde, selbst ein zäher Gegner zermürbt werden konnte. Auf diesem Gedanken beruhte die Materialschlacht. Den ersten Versuch machte Frankreich in der Champagne, der jedoch an der unerschütterlichen Festigkeit der deutschen Truppen scheiterte. Die Wiederholung erfolgte an der Somme, in der die volle Rüstungsentfaltung der gegnerischen Mächte, denen die Rohstoffquellen der [115] ganzen Welt zur Verfügung standen, zur Geltung kam. Hier haben die deutschen Truppen zwar widerstanden, doch war es eine sehr kritische Zeit, die durch den Eintritt von Rumänien in den Krieg noch verschärft wurde. Die deutsche Kampffront im Osten wuchs sich damit zu der ungeheuren Länge von 3000 km allein in Europa aus; eine gewaltige Mehrleistung an Mannschaftsersatz, Waffen und Munition mußte erzielt werden. Dazu dehnte sich auch das östliche Etappengebiet über einen ungeheuren Raum aus; der Etappenverkehr (Eisenbahn usw.) stellte Riesenanforderungen an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands.

In dieser Zeit traten Hindenburg und Ludendorff an die Spitze der Obersten Heeresleitung. Sie waren der Auffassung, daß zur Beendigung des Krieges unter äußerster Anspannung aller industriellen Kräfte die Materialüberlegenheit errungen werden mußte. So entstand das Hindenburg-Programm, durch welches der Front ein Vielfaches an Geschützen, Maschinengewehren, Munition und Kriegsmittel aller Art gegenüber der Vergangenheit zugeführt werden sollte.

Hindenburg verlangte gegenüber der Augustfertigung 1916
                  das Doppelte an Munition,
                  das Dreifache an Geschützen,
                  das Dreifache an Maschinengewehren,
                  das Doppelte an Minenwerfern.

Am 16. September 1916 versammelte der Preußische Kriegsminister die Vertreter der Industrie im Kriegsministerium zu Berlin und machte sie mit diesen Forderungen bekannt. Die Stimmung war hochpatriotisch, der allerbeste Wille beseelte den Kreis der Industriellen ausnahmslos, und mit festem Willen ging es an die neue Arbeit, die industriellen Leistungen auf ein Höchstmaß zu steigern. Führende Köpfe der Industrie hatten die Möglichkeit der Erfüllung solcher Leistungen zugesagt.

Zur Bewältigung der Riesenaufgabe erhielt das Kriegsministerium eine neue Organisation. Die ganzen Beschaffungen wurden von ihm abgetrennt und dem neuen Kriegsamt übertragen, an dessen Spitze Generalleutnant Groener trat. Zur Durchführung des Programms bedurfte man Rohstoffe, Arbeiter und Fabrikanlagen. Dementsprechend trat die Kriegsrohstoffabteilung unter Major Koeth zum Kriegsamt; ein Ersatzdepartement wurde neu gebildet unter Oberst Marquardt, später General Ritter und Edler v. Braun; die Feldzeugmeisterei wurde zu einem Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt ausgebaut, an dessen Spitze General Coupette trat. Ihm zur Seite wurde zur Durchberatung des neuen Programms ein Beirat gestellt, der aus den hervorragendsten Persönlichkeiten der Industrie gebildet wurde. Der Ausbau des Amtes bestand darin, daß alle Beschaffungen für die ganze Armee, außer Kraftwagen, Flieger- und Nachrichtengerät, nunmehr von ihm bewirkt werden sollten. Die Spitzen der drei letztgenannten Waffengattungen be- [116] fanden sich im Großen Hauptquartier. Sie konnten sich bei der Obersten Heeresleitung dahin durchsetzen, daß die Beschaffungen für ihren Bereich nicht in das neue Amt gelegt wurden. Erst im Sommer 1918, als die Tankbaufrage für das Heer lebenswichtig wurde, wurde die bis dahin dem Feldkraftfahrchef unterstellte Beschaffungsstelle für Kraftwagen dem Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt unterstellt. Das kam leider zu spät. Beim Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt wurde ein technisches Hauptbureau errichtet. Seine Aufgabe war, alle mit der Waffen- und Munitionsbeschaffung zusammenhängenden technischen Fragen einheitlich zu bearbeiten, besonders: Klärung sämtlicher technischer Fragen bei der Massenherstellung von Waffen und Munition, Durchführung zweckmäßiger Arbeitsverfahren in allen Staats- und Privatbetrieben, technische Beratung bei Verteilung der Arbeit auf die einzelnen Fabriken zur besten Ausnutzung, Untersuchung der Wege zur möglichsten Steigerung der Leistungen, zweckmäßigste Gestaltung des Abnahmeverfahrens in technischer Beziehung durch Schaffung geeigneter und einheitlicher Normen, Toleranzbestimmungen, Lehren usw.

In der Durchführung dieser Aufgaben wurde das technische Hauptbureau von dem in Spandau errichteten Fabrikationsbureau (Fabo) unterstützt, welches u. a. die Herstellung der Werkstatt- und Lehrenzeichnungen übernahm, und dem die Lehren-Prüfstelle angeschlossen wurde.

Zur Beaufsichtigung der Sicherheitsmaßnahmen in den Pulver- und Sprengstoff-Fabriken wurde eine Zentralstelle geschaffen, die zum Kriegsamt übertrat.

Die Aufgabe, die militärischen Interessen bei der Verteilung der Lebensmittel unter die Zivilbevölkerung, besonders die ausreichende Berücksichtigung der Rüstungsarbeiter wahrzunehmen, fiel der Abteilung für Volksernährungswesen zu, deren Tätigkeit aber nach wenigen Monaten auf das Kriegsernährungsamt überging. Auch die Abteilung für Ein- und Ausfuhr trat zum Kriegsamt.

Bei den Generalkommandos wurden Kriegsamtstellen gebildet, welche die Aufgabe des Kriegsamts in dem betreffenden Korpsbereich mit Nachdruck zu fördern hatten; außerdem wurden in größeren Industriestädten sowie in Brüssel, Warschau, Wien solche Stellen geschaffen. Die Kriegsamtstellen sollten die gesamte kriegswirtschaftliche Erzeugung ihres Bezirks fördern; dazu hatten sie für Arbeitskräfte (auch für Frauen) für die im Kriegsinteresse tätigen staatlichen und privaten Betriebe zu sorgen. Sie hatten die Zuführung der Rohstoffe für die Kriegswirtschaft zu überwachen, wirkten mit bei den Fragen der Volksernährung für die volkswirtschaftlich tätige Bevölkerung, bei Maschinen- und Verkehrsfragen. Sie waren das örtliche Auge und Ohr der Zentralstelle. Wichtige Betriebe, wie z. B. die Pulverfabriken, erhielten überdies besondere Kriegsamtskommissare, welche, mit Vollmachten des Kriegsamts ausgestattet, die Unterstützung der Werke hinsichtlich [117] Arbeitergestellung, Verkehrs-, Rohstoff- und Maschinenangelegenheiten zu übernehmen hatten. Zur Erfassung und zum Ausgleich von Maschinen und Werkzeug sowie zur Regelung technischer Fragen für das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt wurden technische Bezirksdienststellen (Tebedienst) aus den Maschinenausgleichstellen, meist am Sitz der Kriegsamtstellen und in großen Industriestädten, gebildet. Ihnen fiel auch die Prüfung von Fabriken und Werkstätten hinsichtlich der Arbeitsverfahren und Materialverwendung zu, ferner die Feststellung, welche Fabriken und Betriebe sich für besondere Arbeiten eigneten und mit technischen Einrichtungen versehen waren, um diese selbständig und wirtschaftlich zu leisten. Dagegen gehörten Erteilung und Verteilung von Heeresaufträgen nicht zu den Aufgaben des Tebedienst. Zur Vermeidung einer Schädigung des Heeresinteresses hatten sie zu beobachten und zu melden, was ihnen gelegentlich an Unzuträglichkeiten und Mißständen bekannt wurde; insbesondere sollten sie ihr Augenmerk darauf richten, daß keine technisch ungeeigneten Firmen Heeresaufträge ausführten, daß keine unzulässigen Unteraufträge vergeben wurden, daß nicht durch unzweckmäßige Arbeitsverteilung überflüssige Transporte entstanden, daß keine überflüssigen Vergrößerungen und Neubauten vorgenommen wurden usw.

Im Anschluß an schon vorhandene Einrichtungen schuf man Kriegswirtschaftsämter - in Preußen für jede Provinz, sonst für jeden größeren Bundesstaat oder für eine Gruppe von kleineren Bundesstaaten je eins. Ihre Aufgabe bestand in der Förderung, nicht in der Erfassung und Verteilung der landeswirtschaftlichen Erzeugnisse. Auch sie waren nur Überwachungs- und Nachrichtenorgane; die ausführende Gewalt lag auf diesen Gebieten bei den stellvertretenden Generalkommandos.

Die ganze Organisation des Kriegsamts und seiner nachgeordneten Stellen war fest gefügt in der Hand des Chefs des Kriegsamts und ermöglichte diesem ein rasches und tatkräftiges Zufassen überall.

Immerhin war die Gewalt des Munitionsministers in England, wie sie ihm im Munitionsgesetz vom Jahre 1915 gegeben und im Januar 1916 ergänzt war, eine noch größere. Der englische Munitionsminister verfügte hiernach frei über alle Maschinen des Landes, über die Arbeiter, die er dorthin entsenden konnte, wo man ihrer bedurfte; er schrieb die Fertigungsart für alle Kriegsgeräte und den Unternehmergewinn vor. Kohlengruben, Eisenbahnen und Seeschiffe standen in seiner Gewalt - eine mächtige Stellung für Lloyd George!

Von den Forderungen des Hindenburg-Programms war diejenige an Munition für die Rohstoffwirtschaft am bedeutungsvollsten. Immerhin war die Beschaffung von etwa zweidrittel des geforderten Mehr vom Kriegsministerium bereits in Angriff genommen gewesen. Denn die Augustlieferung, von der das Doppelte gefordert wurde, entsprach dem 6000 t-Pulver-Munitionsprogramm. Das Hindenburg-Programm forderte das Doppelte, war somit [118] ein 12 000 t-Pulver-Munitionsprogramm, welches eine monatliche Neufertigung von 850 Munitionszügen für die 5 Hauptkaliber neben dem Bedarf für Infanterie, Minenwerfer, die übrigen Geschützarten der Artillerie, die Marine und die Verbündeten bedeutete. Die weitere Forderung des Hindenburg-Programms nach Erfüllung dieser gewaltigen Leistung "bis Frühjahr 1917" war technisch völlig unmöglich.

Die Steigerung des 6000 t-Pulverprogramms war bereits im Dezember 1915 um 2000 t, und im Juli 1916 um weitere 2000 t in Angriff genommen. Verlangt wurde somit also nur eine weitere Steigerung um 2000 t Pulver und einer dieser entsprechenden Munitionsmenge. Das Kriegsministerium entschloß sich nach eingehender Prüfung der Forderung der Obersten Heeresleitung zu entsprechen, wiewohl die Prüfung nicht mit Sicherheit ergab, daß vor allem der erforderliche Stahl geschaffen werden konnte. Die theoretische Prüfung konnte auch nicht alle die das Programm beeinflussenden Faktoren derart bewerten, daß sie zu einem sicheren Ergebnis kommen konnte, um so weniger, als nicht übersehen werden konnte, ob überhaupt die Verkehrseinrichtungen - Eisenbahn, Schiffahrt - zu einer so großen weiteren Anspannung und Leistung befähigt waren. Das Ziel konnte aber nur der Sieg sein, und somit mußte mit starkem Willen und klarem Blick auch diese neue große Anspannung der Wirtschaft nach besten Kräften versucht werden.

Für die Munitionserzeugung fiel übrigens die vom Kriegsministerium im Juli angeordnete Steigerung mit der auf Verlangen der Obersten Heeresleitung im August geforderten weiteren Steigerung zeitlich annähernd zusammen. Die in den meisten Werken auf Grund der ersten Steigerung eingeleiteten Bauten wurden daher, wie die der zweiten, auch mit "Hindenburg-Anlagen" bezeichnet. Die häufigen Fliegerangriffe auf die westliche Industrie, die leider auch sich mehrenden Explosionen in Pulver- und Sprengstoffabriken, andererseits auch die Forderungen der Verbündeten zwangen dazu, über die vorstehend genannte Grenze hinausgehend noch einen weiteren Vorrat von 2000 t Pulver zu schaffen.


Die Rohstofflage.

Grundlegend für alle weiteren Entschließungen war die Frage: Wie wurde die Rohstofflage in diesem Zeitpunkte beurteilt?

Ihre Beantwortung erfolgte zunächst in der Voraussetzung, daß die nötigen Arbeitskräfte zur Verfügung standen oder von der Front zur Verfügung gestellt wurden, und daß keine Verkehrsschwierigkeiten entstanden, die das Programm hinfällig machten.

Der Mehrbedarf an Stahl betrug etwa 510 000 t monatlich. Er sollte durch Beschränkung des Bedarfs für Friedenszwecke auf ¼, durch Verminderung der Ausfuhr, die in jener Zeit noch immer 250 000 t im Monat betrug, auf etwa 1/3, gedeckt werden; diese Ausfuhr war für Kompensationszwecke unerläßlich. Der [119] Rest wurde hauptsächlich durch Mehrerzeugung von Thomasstahl gedeckt. Der dazu nötige Mehrbedarf an Thomas-Roheisen konnte aus den französisch-lothringischen Gruben der Schutzverwaltung Metz, den südwestdeutschen Eisenwerken und besonders von der Ilseder Hütte gewonnen werden, aus letzterer durch eine Verdreifachung der Produktion. Ob die Einfuhr der hochprozentigen Schwedenerze gesteigert oder vielleicht durch U-Boot-Gefahr oder sonstige Umstände gemindert werden würde, war nicht zu übersehen. Sie war in jeder Rechnung ein unsicherer Faktor. Mit einer Steigerung an anderen Stellen, im besonderen auch der Siegerländer-Eisenspat-Förderung, wurde nicht gerechnet. Sie bildete gegebenenfalls einen Überschuß. Von der Erzproduktion her erwartete man somit im allgemeinen Schwierigkeiten nicht. Anders aber verhielt es sich mit der Beurteilung, ob die neugeförderten Erzmengen auch tatsächlich zu Roheisen würden erblasen werden können. Die Zahl der im September 1916 außer Betrieb befindlichen Hochöfen reichte nicht hin, die Hälfte des Mehrbedarfs zu verarbeiten. Somit konnten nur französische oder belgische Hüttenbetriebe herangezogen werden, die zwar an sich die erforderliche Leistungsfähigkeit besaßen, aber zum großen Teil der Instandsetzung bedurften. Ob die Inbetriebnahme gelang, war nicht zu übersehen. Zur Erhöhung der Martinstahlproduktion waren Stahlschrott und Alteisen erforderlich. Da die Vorräte im Inlande nicht genügten, die Blockade jede Zufuhr unmöglich machte, mußten sie auch aus den besetzten Gebieten genommen werden, im Westen wie im Osten, aus Panzertürmen, gesprengten Brücken usw.

An Mangan waren zunächst genügende Vorräte vorhanden; doch sollten für die weitere Zukunft in Österreich und Ungarn, auch in der Türkei, neue Quellen erschlossen werden; ob und mit welchem Erfolge stand noch dahin. Für Ferro-Silizium mußte eine starke Steigerung der deutschen Erzeugung helfen, die aussichtsvoll war. Eine Störung der Zufuhren aus Schweden und Norwegen, die wie bisher, auch in Zukunft nicht unmöglich war, konnte die Durchführung des Stahlprogramms zum Scheitern bringen.

Die Eisenhütten- und Stahlwerke, von denen die gemischten Betriebe schon seit Jahren im Stahlwerksverband vereinigt waren, schlossen sich im Oktober 1916 zum Stahlbund zusammen, der die Aufgabe übernahm, die verschiedenen Aufträge der Waffen- und Munitionsindustrie bei den Werken so unterzubringen, daß der Heeresbedarf zur richtigen Zeit gedeckt wurde und ihnen der erforderliche Rohstoff rechtzeitig zufloß.

In der Kriegsrohstoffabteilung wurde die Rohstahlausgleichstelle geschaffen, welche als staatliche Behörde den Stahlbund unterstützte und dessen Verteilung genehmigte. Die Eisenzentrale der Kriegsrohstoffabteilung hatte dafür zu sorgen, daß die Stoffe, an denen Mangel bestand, wie z. B. Schrott, Mangan usw., in ausreichender Menge beschafft und den Stahlwerken zugeführt wurden.

[120] Der Bedarf an den übrigen Metallen für das Hindenburg-Programm mußte in erster Linie sich auf umfangreiche Ersatzmöglichkeiten gründen, die im vorstehenden schon näher angegeben sind, deren ganzer Umfang sich aber noch nicht übersehen ließ. Auch auf neue Ersatzmöglichkeiten mußte gehofft werden; besonders galt dies für die Munition. Der Bedarf an Kupfer, Zink, Aluminium, Blei, Antimon, Zinn, Nickel usw. war daher flüssig. Immerhin war auch dann damit zu rechnen, daß der Bedarf an Kupfer aus den großen Vorräten, welche die Kupfer-Mobilmachung brachte und schon gebracht hatte, im wesentlichen zu decken sei. Eine Steigerung der Inlandserzeugung war ausgeschlossen, dagegen die Möglichkeit gegeben, aus Serbien (Grube Bor) und aus Bulgarien (Plakalnitza) Kupfer herauszuziehen. Der Mehrbedarf an Zink konnte aus eigener deutscher Erzeugung gedeckt werden. Auch belgische Hütten standen zur Gewinnung des Zinkbedarfs zur Verfügung; es mußte deswegen auch das Ersatzmetall für andere nicht zu beschaffende Metalle sein, bis die Mehrerzeugung von Aluminium es in größerem Umfange wieder ablösen konnte. Der Mehrbedarf an Blei konnte aus deutscher Erzeugung gedeckt werden, wenn an anderen Stellen Blei erspart wurde, z. B. durch Ersatz der Blei-Schrapnellkugeln durch Stahlkugeln. Für Nickel war Deutschland auf größtmöglichen Ersatz angewiesen. Der Zinnverbrauch mußte hauptsächlich aus der Metall-Mobilmachung gedeckt werden. Die Sorge um andere Rohstoffe war durch Ankunft des U-Bootes "Deutschland" behoben.

In England hatte man gehofft, daß die Bestände, die in Deutschland waren, eher erschöpft wären, als es tatsächlich der Fall war. Der Weg des Ersatzes und der Mobilisierung hat Deutschland über die Not hinweggeholfen. Das deutsche Volk hat große Opfer mit der Hingabe von Sparmetallen aus Haushaltungsgegenständen gebracht. Die Erfassung von Kupfer aus der elektrischen, der chemischen Industrie, aus Brauereien, Brennereien, aus Dächern, Kirchenglocken und Denkmälern steht allen noch in frischer Erinnerung. Auf die Gefühle des Volkes war gerade wegen der Glocken große Rücksicht zu nehmen; aber das Volk hatte auch dafür Verständnis und mit bewährtem Opfersinn gab es alles, was von ihm verlangt wurde.

Zur Deckung des Mehrbedarfs an Pulver und Sprengstoffen war u. a. eine Vermehrung der Erzeugung von Salpetersäure, Oleum, Schwefelsäure, Glyzerin, Toluol, Benzol usw. geboten; sie erforderte umfangreiche Neubauten, auch die Anwendung anderer Herstellungsverfahren und von Ersatzstoffen; aber die Erfüllung des Programms konnte voraussichtlich hieran nicht scheitern, wenn die Schwierigkeiten in der Verkehrs- und Arbeiterfrage überwunden wurden.


Die Verkehrslage.

Vor allem mußte eine Steigerung in der Förderung von Kohlen eintreten, die auf 1 Million Tonnen im Monat geschätzt wurde. Ob sie möglich war, war [121] allein wieder von der Arbeitergestellung wie auch von der Verkehrslage abhängig, um so mehr, als die Lagerräume bei den Gruben nur beschränkt waren und die Kohlenförderung litt, wenn der Abtransport stockte.

Die Möglichkeit der Steigerung des Verkehrs, die Bewältigung der nötigen Transporte war somit von entscheidender Bedeutung. Die völkerrechtswidrige Blockade hatte tief in das deutsche Verkehrswesen eingegriffen. An Stelle der unterbrochenen wirtschaftlichen Beziehungen war ein vermehrter Binnenverkehr getreten, der auch die besetzten Gebiete umfaßte. Die Lebensmittel, die früher das rheinisch-westfälische Industriegebiet über die Rhein- und Scheldemündung bezog, mußten aus den ostelbischen Gebieten herangeschafft werden. An die Stelle der reichhaltigen Eisenerze, welche meist aus Spanien, Algier, Südrußland über Rotterdam zum Ruhrbecken kamen, traten inländische Erze, und zwar für die gleiche Menge herzustellenden Stahls solche in größeren Mengen, weil die Inlandsvorkommen ärmer an Eisen sind. Der nordwestliche Teil Deutschlands, der seine Kohle von England bezog, mußte vom Ruhrgebiet versorgt werden. Schon die Fertigbearbeitung der Stahlblöckchen zu fertigen Geschoßhüllen, das Füllen mit Sprengstoffen, die Vereinigung mit den Zündern, Kartuschhülsen und dem Pulver in den Artilleriedepots, dabei das Zusammentragen aller Vorprodukte zur Pulver- und Sprengstoffertigung war bei den ungeheuren Mengen, um die es sich handelte, eine große Transportarbeit, die durch den unbedingt notwendigen Lebensmittel- und Kohlentransport außerordentlich erschwert wurde. Die große Steigerung des Binnenverkehrs in westöstlicher und umgekehrter Richtung hat das Fehlen des Mittellandkanals schmerzlich empfinden lassen. Nun griff das Hindenburg-Programm an die Wurzel der Munitionsfertigung und forderte starke Vermehrung von Kokszufuhren, besonders aus dem rheinisch-westfälischen Kohlenbecken nach dem Südwesten (Saar und Lothringen-Luxemburg) und umgekehrt, da ein großer Teil der lothringischen Minette in den Hütten des Niederrheins und der Ruhr zu Roheisen erblasen werden mußte. Auch der Stahl, der in Südwestdeutschland - in Lothringen-Luxemburg und an der Saar - hergestellt wurde, konnte nur zum Teil an Ort und Stelle weiterverarbeitet werden. In Gestalt von Halbzeug und gewalzten Blöcken ging er an die Walzwerke und Maschinenfabriken von ganz Westdeutschland, besonders nach Rheinland und Westfalen. Diese bekamen auch aus dem für Massentransporte ungünstig liegenden Siegener Land sowie aus dem Lahn- und dem Dill-Bezirk, endlich von Ilsede die verhütteten Erze. Aus ganz Süd- und Westdeutschland mußte das Schrott für die zahlreichen Siemens-Martin-Werke herbeigeholt werden. Auch innerhalb des Gebiets war ein großer Verkehr zwischen Kohlenzechen und Hüttenwerken zu bewältigen. Andererseits gingen auch Halbfabrikate (Blöckchen), die im Ruhrgebiet nicht verarbeitet werden konnten, nach Teilen des übrigen Deutschlands. Zufuhren von schwedischen Erzen, denen die Rheinmündung verschlossen war, vermehrten die Bahntransporte. Das Siegener- [122] land bekam Koks vom Ruhrbezirk. Auch von dort gingen die Halbfabrikate an die Granatdrehereien von West- und Süddeutschland und ein Teil der Erze nach Oberschlesien. Die reichsten Erz- und Kohlenlager Europas waren zwar in deutscher Gewalt, und doch stieß die Vereinigung der dort ruhenden Kräfte und Stoffe auf große Transportschwierigkeiten, wodurch schon der Anfang der Verwirklichung des neuen Programms stark gefährdet war. Das Hindenburg-Programm machte aber über die vermehrten Erz- und Kokstransporte zwischen den Hauptlagerstätten hinaus in allen weiteren Stadien der Munitionsfertigung eine sehr starke Vermehrung des Güterverkehrs notwendig. Einschränkung des Personenverkehrs auf den Eisenbahnen und möglichste Ausnutzung aller Wasserstraßen waren zur Entlastung der Eisenbahnen unbedingt geboten; alle Kohlenzechen und Kokereien mit Wasseranschluß sollten daher ihren gesamten Koks nicht auf der Bahn, sondern auf dem Wasserwege abbefördern.

Leider war auch der Zustand des rollenden Eisenbahngeräts, besonders der Lokomotiven, infolge der starken Abnutzung im Kriege schlecht. Verspätungen der Züge und Überfüllungen der Güterbahnhöfe waren die Folge. Die Zahl der Lokomotiven und der Wagen war teils durch Abgaben an Verbündete, teils durch Inanspruchnahme für den Verkehr in den besetzten Gebieten und für militärische Transporte vermindert. Schlechtere Schmiermittel, Anwendung von Ersatzstoffen auch bei Lokomotiven und Ersatz eines Teils des gelernten Eisenbahnerpersonals durch Hilfspersonal setzten die Leistungen der Eisenbahn herab.


Das Hilfsdienstgesetz.

Zur Deckung der notwendigen Arbeitskräfte erging am 5. Dezember 1916 das Hilfsdienstgesetz, welches bestimmte, daß jeder männliche Deutsche vom vollendeten siebzehnten bis zum vollendeten sechzigsten Lebensjahre, soweit er nicht zum Dienst in der bewaffneten Macht einberufen war, zum vaterländischen Hilfsdienst während des Krieges verpflichtet war. Als vaterländischer Hilfsdienst galt der Dienst bei Behörden und behördlichen Einrichtungen, in der Kriegsindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft, in der Krankenpflege, in den kriegswirtschaftlichen Organisationen jeder Art oder in sonstigen Berufen oder Betrieben, die für Zwecke der Kriegführung oder der Volksversorgung unmittelbare oder mittelbare Bedeutung hatten. Die Leitung des vaterländischen Hilfsdienstes wurde in die Hand des neuen Kriegsamts gelegt. Das Gesetz war ein Kriegsgesetz und ein Gesetz der Not, ein Gesetz des eisernen Willens und der eisernen Tat. Das Gesetz schaffte neues Recht für die Heimat, aber hinter seinen Paragraphen rollte der Donner der Sommeschlacht. Heimat und Feldheer reichten sich in diesem Gesetz die Hand zum unauflöslichen Bunde zu Kampf und Sieg. - Neben die allgemeine Wehrpflicht trat mit diesem Gesetz die allgemeine Pflicht zum vaterländischen Hilfsdienst, neben die kämpfende Truppe trat die organisierte Heimarmee. Nie zuvor hatten Kriegsgerät und [123] Munition den Erfolg der Kampfhandlungen auch nur annähernd in der Weise bestimmt, wie das jetzt der Fall war. Der Arm des Kämpfers draußen bedurfte deshalb des Armes des Arbeiters in der Heimat. Kanonen, Granaten, Maschinengewehre, Minen, Minenwerfer, Unterseeboote, Torpedos - alles das mußte geschaffen werden. Die Schätze der Erde mußten gehoben und geformt werden. "Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte", das Wort galt noch stärker wie vor hundert Jahren! Der Krieg war nicht ein Krieg der bewaffneten Streitkräfte, er war ein Kampf der ganzen Völker, für Deutschland ein Krieg ums Dasein gegen Feinde, denen die ganze Welt für die Steigerung ihrer Kraft offenstand! Aus der Arbeitskraft des ganzen deutschen Volkes mußte das Letzte herausgeholt werden für Kriegführung und Selbsterhaltung. Große Berufszweige sahen sich in ihrer Tätigkeit eingeschränkt oder gar stillgelegt. Andere Berufszweige hatten sich in einem Riesenausmaß entwickelt. Neue Industrien waren aus der Erde gestampft worden. Es galt die Arbeitskräfte aus den freiwerdenden Berufen in diejenigen überzuführen, die ihre Kräfte bis zum Äußersten anspannen mußten. Es galt ferner Ersatz zu schaffen für die Millionen Männer, die der Krieg zu den Waffen gerufen hatte. Zwar waren die Frauen schon stark in die von den Männern innegehabten Arbeitsstellen eingeschoben worden. In der Hüttenindustrie, der Metallbearbeitung, der Maschinenindustrie war die Zahl der Frauen von Juli 1914 bis Juli 1916 von 7 auf 19 Prozent, in der chemischen Industrie von 7 auf 23 Prozent, in der elektrischen Industrie von 24 auf 55 Prozent gestiegen. In der Landwirtschaft bildete die Frau den Rückhalt und die Stütze der Betriebe. Auch hier mußte weitergegangen werden: Jede Frau, die Männerarbeit verrichtete, sei es in der Landwirtschaft oder in der Industrie, sei es an der Drehbank oder in der Schreibstube, jede Frau, die einen Mann freimachte für das Feld oder für die Schwerarbeit, jede solche Frau war soviel wert wie der Mann, der draußen im Schützengraben vor dem Feinde stand. War für den Mann das Gesetz für den vaterländischen Hilfsdienst gültig, so mußte die Lösung für die Frau ausschließlich in praktischen Maßnahmen gefunden werden, in der zielbewußten und tatkräftigen Fortsetzung dessen, was bisher schon zum Ersatz der Männerarbeit durch Frauenarbeit geleistet worden war. Wie im Heeresdienst sollten auch im vaterländischen Hilfsdienst keine sozialen Unterschiede gelten; für ihn konnte es nur Staatsbürger, keine Schichten und Klassen geben. Dabei sollte bei der Überweisung eines Hilfsdienstpflichtigen zu einer Beschäftigung, soweit das vaterländische Interesse es gestattete, auf das Lebensalter, die Familienverhältnisse, den Wohnort und die Gesundheit sowie auf die bisherige Tätigkeit gebührende Rücksicht genommen werden. Das Gesetz, welches mit 4 Paragraphen den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt wurde, verließ den Reichstag mit 20 Paragraphen. Der Reichstag hatte die Errichtung von Arbeiter- und Angestellten-Ausschüssen eingefügt, die Anfänge der späteren Betriebsräte. Streitigkeiten, die sich über Lohn oder Arbeitsbedingungen zwischen [124] Arbeitgeber und -nehmer oder aus der Heranziehung zu einer Tätigkeit oder aus dem Wunsche nach einem Wechsel der Arbeitsstelle ergaben, sollten von Schlichtungsstellen ausgeglichen oder entschieden werden, die mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu gleicher Zahl besetzt waren. Das Gesetz war kein Zwangsgesetz; es sollte vielmehr jedem das Gewissen geweckt werden, daß tatkräftige, vom vaterländischen Pflichtgefühl geleitete Pflichterfüllung eines jeden einzelnen dringend notwendig war. Das Heer, das draußen kämpfte, das Gut und Blut und Leben einsetzte, sollte wissen, daß es in der Heimat ein Volk hinter sich hatte, das einmütig mit seiner ganzen Arbeitskraft eintrat zur Erreichung des einen Zieles: Zur Erringung des Sieges.

Die Gestellung von Hilfsdienstpflichtigen als Ersatz von Wehrpflichtigen wurde sofort für die Posten im Garnisonwachtdienst sowie die Wachen des Bahn- und Brückenschutzes, für den militärischen Arbeitsdienst in den Kammern, Küchen, Handwerksstätten, Waffenmeistereien, Wäschereien, Krankenpflegedienst, Artillerie- und Traindepots, Proviant- und Ersatzmagazinen, für die Schreiber und die Ordonnanzen in allen militärischen Geschäftszimmern angeordnet. Die überaus zahlreichen freiwilligen Meldungen zum vaterländischen Hilfsdienst, die dem Kriegsamt, den stellvertretenden Generalkommandos alsbald zugingen, zeigten in erfreulicher Weise, wie rasch und wie tief der Gedanke des Gesetzes im deutschen Volke Wurzel geschlagen hatte.

Der Kaiser stiftete am 5. Dezember 1916 für treue Dienste im vaterländischen Hilfsdienst das Verdienstkreuz für Kriegshilfe und verlieh es zuerst Hindenburg, Ludendorff und Groener.


Der Arbeitsmarkt.

Das Hilfsdienstgesetz allein genügte aber nicht, um in diesem Völkerringen die Menschenkräfte an die richtigen Stellen zu setzen, denn unter der Wirkung des Hilfsdienstgesetzes stieg durch das Hindenburg-Programm trotz aller neuen Arbeitskräfte, die die Industrie erhielt, die Zahl der zurückgestellten Kriegsverwendungsfähigen von 0,6 auf 2,1 Millionen. Es mußten vielmehr die kriegsverwendungsfähigen Arbeiter in den Fabriken in weit schärferer Weise, ebenso die kriegsverwendungsfähigen Soldaten in der Etappe durchweg und bis zu einem geringen Teil selbst in der kämpfenden Truppe durch garnisonverwendungsfähige ersetzt werden. Ein sehr überlegter Austausch mußte deswegen unentwegt stattfinden mit dem Ziel, die Kriegsverwendungsfähigen, besonders diejenigen der jüngeren Jahrgänge, im größtmöglichen Umfange der Front zuzuführen. Hierzu fand dauernd ein "Auskämmen" der Industrie statt. Von den Kriegsverwendungsfähigen durften hauptsächlich nur die Betriebsmeister und die Werkmeister, soweit sie in den Betrieben unentbehrlich waren oder doch nur allmählich ersetzt werden konnten, in den Betrieben bleiben. Außerdem blieben erstklassige Facharbeiter, besonders Präzisionsarbeiter, deren Kenntnisse lange Jahre Praxis [125] oder doch ganz besondere Fertigkeit verlangte, zurückgestellt, ferner Facharbeiter in einigen besonders wichtigen Betrieben: Bergbau, besonders Kohlenbergbau, Elektrizitätswerken, chemischen Betrieben, Pulver- und Sprengstoffabriken, Flugzeugfabriken, Eisenbahn-, See- und Binnenschiffahrt usw.

Wie den militärischen Behörden, so wurde auch den Zivilbehörden anbefohlen, möglichst alle nach dem Jahre 1875 geborenen Beamten, soweit sie kriegsverwendungsfähig waren, zum Waffendienst freizumachen. Ebenso wurden die Zivilverwaltungen in Brüssel und Warschau ausgekämmt. Erstere umfaßte 3500 Beamte; von ihnen waren 1025 wehrpflichtig; hierunter waren Anfang 1918 nur noch 115, d. i. 3% kriegsverwendungsfähig. In Warschau handelte es sich um 12 000 Beamte; von ihnen waren 3420 wehrpflichtig, aber Anfang 1918 nur noch 766, d. i. 6% kriegsverwendungsfähig.

Von den 170 Kriegsgesellschaften, die am 1. März 1918 in einer Stärke von 33 000 Köpfen bestanden, waren von den 12 000 männlichen Beamten nur 450 kriegsverwendungsfähig, also 3,6%.

Unablässig fanden durch die Fachoffiziere der Kriegsamtstellen schärfste Nachprüfungen der Betriebe mit Erfolg statt. Durch Generalmusterungen wurde die Kriegsverwendungsfähigkeit wiederholt nachgeprüft.

Im September 1918 waren alle kriegsbrauchbaren Wehrpflichtigen aller Jahrgänge von 1870 bis einschließlich 1900 unter den Fahnen, soweit sie nicht für die Kriegswirtschaft zurückgestellt waren. Der Jahrgang 1869 war im April 1918 entlassen worden. Die noch verbleibenden älteren Jahrgänge wurden durch die in der Kriegswirtschaft befindlichen jüngeren Jahrgänge ausgetauscht.

Bemerkenswert ist, daß nach gemeinsamer Anordnung in England und in Amerika Ausländer, die in diesen Ländern wohnhaft waren, vor die Wahl gestellt wurden, innerhalb 60 Tagen entweder in ihr Vaterland zurückzukehren oder in das Heer des Landes, in dem sie lebten, einzutreten.

Für die hohe Zahl der Arbeiter und Arbeiterinnen, die allmählich in den Fabriken Aufnahme fanden, mußten Maßnahmen der sozialen Fürsorge in umfangreicher Weise getroffen werden. Nicht nur waren Arbeiterwohnungen für männliche und weibliche Arbeiter in großem Maßstabe zu errichten, sondern auch Speisesäle, Wasch- und Baderäume, Wohlfahrtsräume, Anlagen, wie sie in einer großen Zahl von Fabriken geradezu mustergültig waren. Eine Hauptsorge bildete die Lebensmittelversorgung, eine bei der großen Arbeiterzahl außerordentlich schwierige Aufgabe. In den größeren Fabriken betätigten sich Schwestern und Fabrikpflegerinnen; ihnen fiel die Aufgabe zu, bei kleineren Unglücksfällen sogleich zu helfen, die Arbeiterinnen in bezug auf Kleidung und Gesundheitspflege zu beraten, alle Wohlfahrtseinrichtungen für Frauen zu überwachen, für ihre Verpflegung und Unterkunft wie für die Unterbringung der Kinder in Krippen, Kindergärten zu sorgen und Ratgeber in persönlichen Angelegenheiten zu sein. Durch die Blockade von England konnte eine Unterernährung und schlechte [126] Lebenshaltung trotz aller Vorsorge aber nicht aufgehalten werden, die bei der rastlosen Arbeit und körperlichen Anstrengungen vielfach zur Unzufriedenheit führten. Es muß anerkannt werden, daß die Gewerkschaften sich oft beim Ausgleich der Gegensätze Verdienste erworben haben.

Eine gewaltige Steigerung der Arbeiter hatte auch die Einführung von Doppelschichten, oder Dreifachschichten von je 8 Stunden, statt der 10 - 11stündigen Arbeitszeit gebracht. Solche Anordnungen machten Verdoppelung oder Verdreifachung der Arbeiterzahl notwendig, und diese wieder bedingten zahlreiche Anlagen von Wohnungsräumen usw. Die Arbeit, die in den Fabriken außer der Herstellung von Kriegsgerät allein für soziale Zwecke der Arbeiterschaft geleistet wurde, darf nicht unterschätzt werden. Sie wurde durch Sicherheitsmaßregeln, Einrichtungen für das Feuerlöschwesen, ganz besonders bei den Pulver- und Sprengstoffabriken, noch sehr gesteigert. Ein tiefer Blick hinter die Front des kämpfenden Heeres, wo in der Heimat Millionen von Händen sich rührten, um die im Felde stehenden Brüder, Männer und Söhne mit allem zu versehen, dessen sie zur Abwehr der Feinde, zum Schutze der Heimat und zum Siege bedurften, konnte nur helle Bewunderung erwecken.

In England ist übrigens die Entwicklung des Munitionsministeriums ähnlich erfolgt, wie in Deutschland diejenige des Kriegsamts. Doch wurden in ihm schon seit 1916 die Fertigung von Kraftwagen, Kraftzugmaschinen für die schwere Artillerie, des gesamten Eisenbahngeräts, des Flugzeugbaues, selbst der landwirtschaftlichen Maschinen betrieben. Für den mesopotamischen Kriegsschauplatz sorgte ein in Indien geschaffenes Kriegsbedarfsamt, das die Rohstoffe bewirtschaftete und die Herstellung von Kriegsgerät in Indien planmäßig ausgestaltete.

Die Bewirtschaftung der Menschenkräfte bewirkte in England das Nationaldienstamt, welches nicht nur für die Front und die Industrie, sondern auch ausgiebig für die Landwirtschaft sorgte. Frauen, Frontuntaugliche usw. haben auch in England in vaterländischer Weise sich für Erfüllung der Kriegsaufgaben in der Heimat zur Verfügung gestellt.

Als das Hilfsdienstgesetz angenommen wurde, war das Schicksal Rumäniens besiegelt. Schon vorher hatten sich die Verbündeten über die Art der wirtschaftlichen Ausnutzung dahin geeinigt, daß das Gebiet nördlich der Donau einer Militärverwaltung unter Leitung eines deutschen Generals unterstellt werden sollte. Österreich-Ungarn wurde an der Verwaltung und an der Verteilung der Rohstoffe nach einem verabredeten Schlüssel beteiligt. Unter Leitung des Wirtschaftsstabes erfolgte die Verteilung der in Constanza vorgefundenen Ölvorräte auf die Verbündeten und die Inbetriebsetzung der Ölfelder. Deutsche Wiederherstellungskunst mußte englische Zerstörungswut an Öltanks, Ölleitungen usw. [127] wettmachen, die die Ausfuhr von Erdöl nach Deutschland für deutsche U-Boote, Flugzeuge und viele Zweige der Kriegswirtschaft verhindern wollte. Serbien war zum größten Teil Österreich-Ungarn und Bulgarien zugewiesen, und nur ein kleiner Teil wurde von der deutschen Etappeninspektion verwaltet, der eine Kriegsrohstoffstelle angeschlossen wurde. Ihr lag auch die Leitung von Gruben ob, welche für die Heeresverwaltung in Betrieb genommen werden mußten. Die Rohstoffbewirtschaftung des griechischen Gebietes übertrug man einer deutschen Wirtschaftsstelle.

Waren den Mittelmächten durch den siegreichen Feldzug in Rumänien neue wertvolle Rohstoffe zugefallen, so wurden durch Maßnahmen des Feindbundes andere Quellen stark erschöpft. England hatte die Treuhandorganisationen der "Neederlandschen Overzee Trust" für Holland und der "Société de Survaillance Suisse" für die Schweiz eingerichtet. Diese mußten alle Waren, die nach Holland oder der Schweiz gingen, übernehmen und sich durch Garantien und andere Leistungen die Gewißheit verschaffen, daß keine Ware in die Hand des Feindes ging. Die skandinavischen Staaten besaßen keine derartigen Organisationen - Norwegen, weil es nicht nötig war, da das Land ohnehin stark in den Händen Englands war.

Unter solcher Lage sollte das neue Hindenburg-Programm, das alle Kräfte des Volkes zu neuer starker Arbeit zusammenfaßte, erstehen. Die große Zahl der neu zu errichtenden Fabriken bedurfte großer Mengen Baustahls und zahlreicher Arbeitskräfte; sie wurden der weiterschaffenden Wirtschaft entzogen. Der strenge Winter 1916/1917, der die Schiffahrt sehr einschränkte, erhöhte die Verkehrsschwierigkeiten. Auch die neue Organisation der Behörden, die doch viele Fäden zerschnitten hatte, mußte erst voll in Gang kommen, und so kam es in der Tat, daß unter dem Einfluß dieser Tatsachen die Munitionserzeugung zunächst fiel, anstatt stieg.


Die Kohlenlage. Stillegung von Betrieben.

Die großen Verkehrsschwierigkeiten machten obendrein die Kohlenverteilung äußerst schwierig. Es wurde ein Reichskohlenkommissar ernannt, der, in Verbindung mit dem Kriegsamt, eine Verteilung der Kohlen (Koks) nach den kriegswirtschaftlichen Bedürfnissen zu bewirken hatte. Ganz bestimmte Kohlenverbraucher, z. B. die Eisenbahn und Schiffahrt, konnten überhaupt keine Kohlenverminderung ertragen, wenn man den Zusammenbruch der ganzen Wirtschaft vermeiden wollte. Auch der Verbrauch der Hüttenwerke, der Selbstverbrauch der Kohlenzechen war sehr groß. Der Hausbrand wurde zwar beschränkt, ein bestimmtes Maß durfte aber nicht unterschritten werden. Die Gas- und Elektrizitätswerke waren lebenswichtig. Für Kochen und Beleuchtung waren auch sie in dem Ausmaße zu beliefern, wie es nach Einführung von Gassperrstunden und Verminderung der Straßen- und Zimmerbeleuchtung unbedingt notwendig war. [128] Eine bestimmte Ausfuhr von Kohlen war zur Erreichung von Gegenwerten an Nahrungsmitteln unvermeidlich; aus gleichem Grunde mußte auch die Nahrungsmittelindustrie voll beliefert werden. Der Rest an Kohlen war für die Kriegsindustrie verfügbar, wozu nicht nur die chemische, die metallverarbeitende Munitions- und sonstige Kriegsindustrie, wie die Eisenbahnschienen und das rollende Eisenbahngerät fertigenden Werke zählten, sondern auch die Salinen-, Kali- und Salzwerke, die Textil-, Leder-, Papier-, Zellstoff-, Zement-, Kalk-, Ziegelwerke usw. Für die Belieferung der Kriegsindustrie gab das Kriegsamt, da der Heeresbedarf wechselte, Dringlichkeitslisten regelmäßig aus, damit die örtlichen Stellen, Handel und Kriegsamtsstellen, die Belieferung der Industrie je nach den Bedürfnissen bewirken konnten. Eine zentrale Belieferung war ganz ausgeschlossen. Das Kriegsamt stellte die Richtlinien auf; im übrigen mußten die örtlichen Stellen im Sinne dieser Richtlinien und der Dringlichkeitslisten nach ihren Erfahrungen die beste Kohlenverteilung bewirken. Die Pulverfabriken wurden hierbei bevorzugt. Andere Kriegsbetriebe, die unwirtschaftlich arbeiteten, mußten stillgelegt oder zusammenlegt, große Opfer hierbei gebracht werden. Die Bestimmungen hierzu erließ allein das Kriegsamt auf Vorschlag der Kriegsamtstellen. Die Verteilung nach Kohlensorten war eine weitere Erschwernis. Die schweren Grippen-Epidemien, die in der Folgezeit in den Zechen, wie auch sonst in der Kriegsindustrie auftraten, haben weiter die Förderungs- und Fertigungsmöglichkeit außerordentlich stark beeinflußt.

Empfindlich störten auch Fliegerangriffe die Arbeiten in der westlichen Industrie.


Der Heimatluftschutz.

Zum Schutze der heimatlichen Fabriken, die unter den feindlichen Fliegern allmählich immer stärker zu leiden begannen, mußten Schutzmaßnahmen getroffen werden: der Heimatluftschutz. Im großen Stil wurden an der Westgrenze Flugabwehrbatterien aufgestellt, um die Flieger bei Tage zu beschießen, bei Nacht Sperrfeuer über die gefährdeten Fabriken zu legen. Maschinengewehre wurden auf den Dächern aufgestellt, das Gelände bei Nacht mit Scheinwerfern abgesucht, eine Verdunkelungszone, bis zu 150 km breit, hinter das Etappengebiet der Westfront gelegt, ein umfassender Flugwach- und Meldedienst mit eigenem Staatsfernsprecher eingerichtet, Horchposten aufgestellt, mit besonderem Horchgerät zwecks frühzeitigen Erkennens herannahender feindlicher Flugzeuge. Man schaffte Alarmierungseinrichtungen - Sirenen, Glockengeläute, Böllerschüsse -, welche die Arbeiterschaft aufforderten, Deckungen aufzusuchen und baute bombensichere Unterstände für die Arbeiter. Die lebenswichtigen Teile der Werke, elektrische Zentralen, Gas-, Ölbehälter schützte man durch Beton- und Eisenbauten und legte Netze von Ballonen und Drachen über den Fabriken an, damit sich die Flieger in den Netzen verfingen. Kampfeinsitzerstaffeln wurden [129] auf Westdeutschland zum Angriff auf feindliche Bombengeschwader verteilt. Alle diese Maßnahmen haben der Arbeiterschaft in den Fabriken Beruhigung gebracht. Sie hatten den Erfolg, daß eine große Zahl feindlicher Flieger ihnen zum Opfer fiel und die Angriffe nachließen.


Die weitere Versorgung mit Munition.

Trotz aller Hemmnisse wurde das vom Kriegsministerium aufgestellte 8000 t-Pulverprogramm im April 1917, das 10 000 t-Programm im Oktober 1917, das 12 000 t-Programm im April 1918 erreicht.

Die Lieferungen an Pulver betrugen dann in den folgenden Monaten:

    im Mai 1918       12 971 t
    Juni 1918 13 380 t
    Juli 1918 12 849 t
    August 1918 13 770 t
    September 1918 13 092 t
    Oktober 1918 14 315 t

In dieser Leistung ist nicht nur das Nitroglyzerin- und Nitrozellulose-Pulver, sondern auch das Ammon-Pulver in monatlich zunehmender Weise, bis zu 2600 t im Monat, enthalten. Die Geschoß- und die Zünderfertigung war der Pulver- und Sprengstoffertigung vorausgeeilt. Das Bestreben, der Front diejenigen Munitionsarten zur Verfügung zu stellen, die die Oberste Heeresleitung zur Durchführung ihrer strategischen Pläne bedurfte, hatte zu nicht unbedeutenden Vorräten für alle Kaliber geführt, die nun zu Munitionszügen verarbeitet werden konnten. Es wurden allein für die 5 Hauptkaliber (Feldkanonen, leichte, schwere Feldhaubitzen, 10 cm-Kanonen, Mörser) an Munitionszügen bereitgestellt:

    im April 1918           703 Munitionszüge
    Mai           793           "
    Juni           813           "
    Juli           786           "
    August           800           "
    September           825           "
    Oktober           898           "

Die Gasmunition, die im einzelnen an anderer Stelle behandelt wird,2 ist hierin mitenthalten. Für die Infanterie und die übrigen zahlreichen Kaliber wurde das Bedürfnis in gleicher Weise gedeckt. Die Bereitstellung an Munitionszügen für alle Waffengattungen überstieg 1000 Züge im Monat. Bei Beginn der großen Schlacht in Frankreich im März 1918 betrug die Reserve der Obersten Heeresleitung 2840 Munitionszüge, allein für diese genannten fünf Kaliber der Artillerie; sie stellte eine Munitionsmenge dar, die fünfmal so groß war als unser gesamter Friedensbestand. Die monatliche Neufertigung entsprach mehr als dem 1½fachen unseres Friedensbestandes an Munition.

Die Bestände der Obersten Heeresleitung betrugen am 1. Oktober 1918 noch 1632 Munitionszüge für die genannten Geschützarten, wozu weiter die Neufertigung von 898 Zügen hinzutrat. Daß die Reserven an Munition im Laufe der Sommermonate zurückgingen, war eine alljährliche Erscheinung; in den Winter- [130] monaten, in denen weniger Kämpfe stattfanden, trat stets eine rasche Erholung wieder ein. Die Zahlen beweisen, daß das deutsche Heer durch Munitionsmangel in keiner Weise zu einem Waffenstillstand gezwungen war, aber auch, daß die Arbeiterschaft in der ganzen Munitionsindustrie des deutschen Vaterlandes und in den Artilleriedepots bis zum Schluß ihre Pflicht getan hat. Die größte Munitionsbereitstellung im Kriege hat im Oktober 1918 stattgefunden.

Andererseits stand aber auch einwandfrei fest, daß die Belieferung mit Stahl ein 12 000 t-Pulverprogramm, welches das Hindenburg-Programm gefordert hatte, nicht zuließ, sondern daß im Hinblick auf alle die vorstehend geschilderten Verhältnisse Stahl nur für ein 10 000 t-Pulverprogramm bereitgestellt werden konnte, also für das Programm, welches kurz vor dem Hindenburg-Programm vom Kriegsministerium eingeleitet worden war. Eine Reihe der von der Privatindustrie in Verfolg des Hindenburg-Programms aufgestellten Geschoßpressen konnte daher nicht in Betrieb genommen werden, während eine große Anzahl früher fertiggestellter Pressen schon vom Ende des Jahres 1917 ab nicht voll ausgenutzt werden konnte. Eine Schuld an diesem Übelstande ist wohl keiner Stelle aufzubürden, denn im Herbst 1916 und auch im Winter 1916-1917 ließ sich nicht übersehen, wieviel Stahl für die Geschoßfertigung ein Jahr später zur Verfügung stehen würde. Andererseits drängte das Hindenburg-Programm mit seinen großen Anforderungen und das Verlangen der Truppe nach dem besten Geschoß, nämlich dem Preßstahlgeschoß, unbedingt dazu, eine größere Anzahl von neuen Geschoßpressen im Herbst 1916 aufstellen zu lassen.

Der Kaiser und die Kaiserin besuchten Ende Oktober 1918 die Staatsfabriken in Spandau. Herrliches Hohenzollernwetter hob die frohe Festesstimmung der ganzen Arbeiterschaft. Der Kaiser sprach viele Arbeiter, besonders solche, die das Eiserne Kreuz trugen, an und verteilte zum Schluß Verdienstkreuze für Kriegshilfe an die Arbeiter, die Kaiserin an die Arbeiterinnen, mit Worten des Dankes und der Anerkennung. Unter dem Hurra der Arbeiterschaft verließ das Kaiserpaar die Fabriken. Keiner ahnte, daß schon wenige Tage später durch Verhetzung große Teile dieser Arbeiterschaft sich ganz radikal benehmen würden.

Für die Infanteriemunition lagen zwar auch schwierige, aber doch wesentlich einfachere Verhältnisse vor. Während im Frieden befürchtet wurde, daß Mangel an Munition für die Infanterie eintreten könnte, ist dies tatsächlich im Kriege nie der Fall gewesen; im Gegenteil zeigte sich nach dem ersten Kriegsjahr, daß die Fabriken zu viel Infanteriemunition fertigten und die Gesamtherstellung von rund 220 Millionen Patronen im Monat März 1916 auf fast den vierten Teil heruntergesetzt werden konnte. Der erzielte Vorteil war, daß Pulver für die Artillerie frei wurde. Das Hindenburg-Programm hatte daher keine Veranlassung, für die Infanterie mehr Munition zu fordern. Erst Ende 1916 wurde die größere Fertigung wieder aufgenommen, die durchschnittlich etwa 180 - 200 Millionen Patronen, das sind 85 - 95 Munitionszüge, im Monat be- [131] trug. Von besonderer Bedeutung zur Ersparung von Kupfer war die Einführung der Stahlhülse für die Infanteriepatrone, zu deren Fertigung im Frühjahr 1917 in großem Umfange übergegangen wurde.


Die Fertigung von Handwaffen, Maschinengewehren, Stahlhelmen.

Für die Gewehrfertigung enthielt das Hindenburg-Programm keine Wünsche. Die Massenfertigung nach Romberg hatte schon im August 1916 eine Monatsfertigung von ¼ Million erreicht. Diese Fertigung überstieg das Bedürfnis und mußte deshalb schon bald eingeschränkt werden. Für die Maschinengewehrfertigung hingegen wurde das Dreifache der Augustlieferung verlangt, also etwa 7000 Stück im Monat. Eine solche Leistung war nur durch Massenfertigung zu erreichen. Trotz der oben geschilderten Widerstände mußte nun auch hier das gleiche Verfahren einsetzen, das schon bei der Gewehrfertigung sich so glänzend, allen entgegengesetzten Voraussetzungen zuwider, bewährt hatte, um neue Erfolge zu ernten. Derselbe langwierige Weg, wie bei der Gewehrfertigung, wurde erneut bestritten; schon im Frühjahr 1917 wurde das Ziel des Hindenburg-Programms erreicht, und im Herbst desselben Jahres war mit einer Monatsfertigung von über 14 400 Maschinengewehren das Doppelte des Zieles überschritten, eine Leistung, die nur durch dieses Verfahren erreicht werden konnte und welche die Richtigkeit seiner Anwendung im vollsten Maße bestätigte. Diese Leistung ist noch bis zum Kriegsschluß in ähnlicher Höhe allmonatlich beibehalten worden. Zur Ehre der Arbeiterschaft muß hervorgehoben werden, daß noch im September 1918, also kurz vor der Revolution, die Monatsleistung 13 762 und im Oktober 1918 13 000 Maschinengewehre betrug. In der Gewehrfertigung sind die deutschen Fabriken auf einer Monatsfertigung von rund 200 000 Gewehren bis zum Kriegsschluß geblieben. Im Mai 1918 hatte die Oberste Heeresleitung ihre Wünsche auf eine Monatsfertigung von 6000 Maschinengewehren und 75 000 Gewehren beschränkt. Die Fertigung ließ sich aber so rasch nicht zurückschrauben. Ein gewaltiger Überschuß war also zu verzeichnen. Mit der Stahlhelmfertigung war es nicht anders. Im August 1918 betrug die Monatsfertigung noch 250 000 Stück.

Das letzte Kriegsjahr brachte an Neukonstruktionen noch das Tufgewehr (Tank- und Fliegerabwehrgewehr), das doppelläufige Gastgewehr für Flugzeuge und die Maschinenpistole. Sie zeugen von der rastlos fortschreitenden Technik und legen von der immer neuen Erfindungsgabe des deutschen Ingenieurs beredtes Zeugnis ab.


Die Versorgung mit Artilleriegerät. Ausgleichstelle der Bundesstaaten.

Für die leichte Artillerie verlangte das Hindenburg-Programm 3000 Feldgeschütze im Monat. Vom Kriegsministerium war vorher die Steigerung der Fertigung auf 2000 Feldgeschütze bis Ende 1917 vorbereitet gewesen. Luden- [132] dorff sagt in seinem Werk selbst, daß diese Forderung des Hindenburg-Programms über das Ziel hinausschoß. Nachdem eine Reihe neuer Fabriken für die Geschützfertigung gewonnen, sie zu Umbauten, Maschinenbeschaffungen in großem Umfange veranlaßt waren, kam die Erkenntnis, daß die Arbeitskräfte zur Fertigung eines so großen Programms fehlten, wie auch, daß Menschen zur Aufstellung neuer Truppenteile für das weit über den Ausfall hinausgehende neue Feldartilleriegerät nicht vorhanden waren. Die Oberste Heeresleitung begrenzte daher ihre Forderung bereits im Mai 1917 aus eigenem Entschluß auf 1500, im September 1917 auf 1100 und im März 1918 auf 725 Geschütze im Monat.

Bei der schweren Artillerie blieb es bei dem stets angestrebten Ziel von der Monatsfertigung von 400 Geschützen, die bereits bei Aufstellung des Hindenburg-Programms die Höhe von 300 erreicht hatte.

Der Wechsel eines Fertigungsprogramms hatte natürlich auch einen solchen für die Firmen zur Folge. Die Firmen mußten sich wiederholt auf geringere Lieferungen umstellen, was ohne Beunruhigungen in der Industrie nicht möglich war. Außerordentlich schwierig war es, bei der ersten Kürzung - schon wenige Monate nach Aufstellung des Hindenburg-Programms, ehe noch ein Geschütz als Folge dieses Programms geliefert worden war - die Firmen zu bewegen, ohne pekuniäre Nachteile für den Staat, in die Kürzung von monatlich 3000 auf monatlich 1500 Feldgeschütze einzuwilligen. Doch auch dieses Opfer brachten die Werke. Ihre Leistungen wurden einer Schicht (Tagesschicht) angepaßt, während bis dahin in einer doppelten Schicht (Tages- und Nachtschicht) gearbeitet worden war.

Bei der Kürzung war auch auf die Anteile der Bundesstaaten Rücksicht zu nehmen. Bei der Gesamtbeschaffung hatte das Waffen-Munitionsbeschaffungsamt die Bundesstaaten zu beteiligen. Als Grundsatz war aufgestellt worden, daß die für Kriegsbeschaffungen vom Reiche verausgabten Summen aus wirtschaftlichen Gründen allen Bundesstaaten zugute kommen sollte, und zwar im Verhältnis ihrer Einwohnerzahl. Das war natürlich nicht leicht, denn die industriellen Verhältnisse waren in ihnen ganz verschieden. Zur Durchführung dieser Aufgabe wurde die Ausgleichstelle der Bundesstaaten (A. d. B.) geschaffen, welche aus ständigen Mitgliedern von Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen und nicht ständigen aller übrigen Bundesstaaten bestand. Die Ausgleichstelle der Bundesstaaten wurde dem Kriegsministerium angegliedert. Die zur Vergebung kommenden Heereslieferungen mußten frühzeitig angemeldet werden unter Beifügung von Vorschlägen für die Verteilung. Heereslieferungen von besonderer Dringlichkeit oder solche, die ihrer Eigenart nach eine Sonderbehandlung verlangten, waren ausgenommen. Die Ausgleichstelle der Bundesstaaten arbeitete nach sachdienlichen Vorerhebungen bei den Bundesstaaten und Beschaffungsstellen den Verteilungsplan aus. Ein Ein- [133] griff in die unmittelbaren Beziehungen der Beschaffungsstellen zu den Lieferern war nicht gestattet. Überdies standen die Kriegsnotwendigkeiten stets obenan; sie mußten selbstverständlich ausschlaggebend bleiben, auch waren Rücksichten auf Rohstoff- und Verkehrsverhältnisse zu beachten. Immerhin blieb reichliche Gelegenheit zum Ausgleich, der volkswirtschaftlich und innerpolitisch von Wichtigkeit war.

Die monatliche Fertigung war durch das Hindenburg-Programm auf 3000 Feldartillerie-Geschütze angesetzt; die Beschränkung der Fertigung auf 1500, 1100 oder gar 725, konnte erst allmählich wirksam werden.

So betrug die Fertigung im Jahre 1918:

    Februar           1943 Feldgeschütze
    März           2327           "
    April           2376           "
    Mai           2425           "
    Juni           2498           "
    Juli           1893           "
    August           1261           "
    September           1131           "

Die beabsichtigte Herabsetzung wurde hiernach erst im Juli 1918 merklich.

Die gewaltige Vermehrung der leichten und schweren Artillerie zwang das Kriegsministerium im Jahre 1916, den Nachschub zu vereinfachen.

Als Hauptversorgungsstelle der leichten Artillerie für die Westfront wurde das günstig zur Westfront gelegene Artilleriedepot Köln bestimmt, das sich zugleich wegen seiner Lage zum westlichen Industriegebiet ganz besonders hierzu eignete. In diesem wurden große Vorräte an Geschützen zusammengezogen und reichliche Mengen an Zubehör und Richtmitteln als "große" und "kleine Kampfvorräte" geordnet. Die Heeresgruppen meldeten täglich ihren Bedarf an das Kriegsministerium, das aus dem Artilleriedepot Köln ihn in gesammelten Sonderzügen deckte.

Für die schwere Artillerie wurde nicht nur das Artilleriedepot Köln, sondern auch die Artilleriedepots aller übrigen großen westlichen Festungen: Mainz, Straßburg, Metz, Koblenz mit starken Vorräten für den Nachschub ausgestattet; für die Ostfront übernahmen die gleiche Aufgabe die Artilleriedepots Königsberg, Thorn, Posen.

Die Anforderungen, die die Front gerade im Jahre 1918 an den Nachschub von Feldgeschützen stellte, waren außerordentlich groß; sie sind aber nicht allein voll befriedigt worden, sondern das Kriegsministerium schöpfte noch aus einer Reserve von 3500 Feldkanonen und 2500 leichten Feldhaubitzen, welche beim Artilleriedepot Köln bereitstanden, nachdem obendrein die Feldbatterien der ganzen Front im Westen, von Reims bis zur Küste, wieder 5. und 6. Geschütze erhalten hatten.

Beim Waffenstillstand konnten die von der Entente verlangten 2500 Feldgeschütze aus dem in Köln stehenden Vorrat in wenigen Tagen abgegeben werden, ohne die Bestände der Feldarmee anzugreifen. Dabei war der Nachschub für eine Feldartillerie erfolgt, die an der Front in einer Stärke von 2800 Batterien stand, die sich im Kriege nahezu verfünffacht hatte.

[134] Die schwere Artillerie stand im Jahre 1918 mit 1660 schweren Batterien im Kampf. Sie hatte sich im Kriege mehr als verachtfacht. Für sie betrug die planmäßige Neufertigung 400 schwere Geschütze im Monat, die aber in der Regel nicht unwesentlich überschritten wurde. Sie reichte hin, nicht nur den Ersatz ausfallender Geschütze an der Front voll zu decken, sondern es war im Jahre 1918 noch möglich gewesen, fast alle Beutegeschütze und den weitaus größten Teil der alten deutschen Geschütze durch neuzeitige deutsche Rohrrücklaufgeschütze zu ersetzen. Mangel an Menschen und Pferden gestattete es nicht, sie mit Neuformationen der Front zuzuführen. Die deutsche Artillerie an der Front hatte eine Gesamtstärke von 18 000 - 19 000 Geschützen. Die Leistungen gaben einen Beweis für die ungeschwächte Unterstützung der Front mit Artilleriegerät aus der Heimat bis in die letzten Tage des Krieges. Wie Deutschland, wie schon oben angeführt, nicht aus Munitionsmangel zum Waffenstillstand gezwungen wurde, so hat auch weder an Artilleriegerät, noch, wie ebenfalls oben dargetan, an Handwaffen oder Maschinengewehren bei Kriegsende ein Mangel bestanden.

Artilleriewerkstatt Sedan, Dampfhammer-Raum.
[136a]      Artilleriewerkstatt Sedan, Dampfhammer-Raum.

Die zur Erfüllung der Waffenstillstandsbedingungen abzugebenden 2500 schweren Geschütze sollte das Feldheer stellen, da ihm der Ausfall dieser Geschütze den so überaus schwierigen Rückzug hinter den Rhein wesentlich erleichtern konnte. Das Feldheer hatte dabei vor allem die unbespannten Geschütze abzustoßen. Leider versagte an mehreren Orten die Übergabe. Vielfach wohl hatten die deutschen Übergabekommandos aus Furcht vor der Bevölkerung oder aus Mangel an Pflichtgefühl ihre Geschütze im Stich gelassen und dem Feind nicht ordentlich übergeben. 700 Geschütze rechnete der Feind nicht als "übergeben", sondern als "erbeutet". Deutschland wurde gezwungen, 700 schwere Geschütze in der Zeit vom Dezember 1918 bis Februar 1919 und "zur Strafe" noch weitere 100 schwere Geschütze nachzuliefern. Diese wurden den Beständen der Heimat entnommen.


Die Versorgung mit Minenwerfern und Nahkampfmitteln.

Die Minenwerfer und Nahkampfmittel werden zwar an anderer Stelle behandelt.3 Da aber auch ihre Ergänzung dem Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt zufiel, soll hier gesagt werden, daß im Jahre 1917 die Neuanfertigung bis über 4300 Minenwerfer im Monat betrug und auch ihre Fertigung im Hinblick auf die großen Vorräte und die Unmöglichkeit, diese mit Menschen zu besetzen, gewaltig vermindert werden mußte.

An Wurfminen aller Art wurden im Jahre 1918 bis zu 1¾ Millionen im Monat gefertigt.

Die Monatsleistung an Handgranaten betrug im Jahre 1917 über 7 Millionen, an Wurfgranaten über 2½ Millionen; sie konnte im Jahre 1918 auf 5 Millionen bzw. ½ Million heruntergehen und wurde später noch mehr [135] eingeschränkt. An Granatwerfern wurden Mitte 1917 5000 - 8000 im Monat gefertigt.

Mit der Herstellung der Feldwagen 95 ging es ebenso; die Neufertigung an diesen Fahrzeugen betrug im Jahre 1917 über 10 000 im Monat.

Die Abnahme der gefertigten Waffen, Munition usw. von den Fabriken geschah durch das Feuerwerkspersonal, das durch großen Zustrom aus der Inaktivität außerordentlich verstärkt worden war. Trotzdem reichte es nicht aus. Es wurde durch Kriegs- und Hilfsfeuerwerker, Waffenmeister, Revisorengehilfen, durch Berufsingenieure und -Chemiker, Hilfsdienstpflichtige usw. verstärkt. Die im Frieden ausgearbeiteten Abnahmevorschriften mußten infolge der vielfachen Änderungen am Gerät, der ausgedehnt verwendeten Ersatzstoffe und angesichts der Massenfertigung, die ein Befolgen der Friedensbestimmungen unmöglich machte, entsprechend geändert werden. Die bei der Abnahme tätigen Arbeitskräfte haben sich für Versorgung des Heeres mit brauchbarem Kriegsgerät mit allen Kräften eingesetzt.

Die gewaltigen Leistungen, die auf dem Gebiete der Geschütz- und Munitionsfabrikation gezeitigt worden sind, konnten nur erreicht werden mit Hilfe der Mitarbeit, die von den großen Fachverbänden, je nach Art des Auftrages, geleistet wurden: vom Verein deutscher Eisenhüttenleute, dem Stahlwerkverband, dem Verein deutscher Eisengießereien, dem Gießerei-Verband, vom Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikat, vom Roheisen-Verband, dem Verein deutscher Maschinenbauanstalten, dem Verein deutscher Werkzeugmaschinenfabriken. Während des Krieges entstanden noch der Normen-Ausschuß der deutschen Industrie und der Reichsverband der deutschen Industrie.


2 [1/129]s. Band 4, Abschnitt Gaskrieg. ...zurück...

3 [1/134]s. Abschnitt 4 dieses Bandes. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte