Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die
Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg
Bearbeitet von
Konteradmiral Eberhard Heydel, Korvettenkapitän Otto Groos,
Korvettenkapitän Max Bastian,
Fregattenkapitän Friedrich Lützow, Fregattenkapitän
Emil Huning, Oberst Dr. Ernst Nigmann,
Major Erich Prigge, Major Hermann Geyer, Major Hans Arndt
[V]
Vorwort
Fünf Teilgebieten des großen Ringens sind in diesem Bande
Sonderdarstellungen gewidmet - Sonderdarstellungen nicht deshalb, weil
sich ihr Geschehen und Wirken abgesondert, ohne gegenseitige Beziehungen und
ohne Einflüsse auf die Kampfhandlungen in Europa vollzogen
hätten, sondern weil ihre Entstehung, ihre Entwicklung, ihre Eigenart, ihre
Wirkung in der knappen Schilderung der Kämpfe des Landkrieges nicht in
der Form gekennzeichnet werden konnten, wie es ihrer Bedeutung für die
damalige Gegenwart und für die Zukunft entspricht. So sind die hier
dargestellten Kampfhandlungen kein Sondergeschehen, ohne Zusammenhang mit
dem furchtbaren Ringen an Deutschlands und Österreichs
Grenzen - im Gegenteil! Einige dieser Teilgebiete haben mitbestimmend, ja
mitentscheidend auf das Kämpfen der Massen eingewirkt, und andere
würden in gleicher Stärke ihren Einfluß zur Geltung gebracht
haben, wenn nicht außerhalb liegende Kräfte ihre Tätigkeit
empfindlich gelähmt hätten.
In besonderem Maße trifft dies für die deutsche Flotte zu. In ganz
anderer Weise hätte sie ihr Wollen und Können in dem Ringen der
Völker zur Mitwirkung bringen können, wenn sie von Beginn an in
gleicher Weise wie das Landheer zielbewußt zu gewaltigen Schlägen
gegen den Feind eingesetzt worden wäre. Was die deutsche Flotte trotz
ihrer Minderzahl leisten konnte, hat sie - leider zu spät und nur
einmal - am Tage von Skagerrak
der Welt und dem seegewaltigen Feinde
bewiesen, zu einer Zeit, als sie durch vorhergegangene Ereignisse schon in
stärkerem Maße an Kraft verloren hatte, als der über
unbegrenzte Ergänzungsmittel verfügende Brite. Aber mangelndes
Zusammenarbeiten der Leitung von Heer und Flotte in der Vorkriegszeit hatte zu
einem mangelhaften Verständnis des Generalstabs in der Bewertung der
Flotte und zu ungenügenden gemeinsamen Kriegsvorbereitungen
geführt - ein Verzicht auf ihre energische Mitarbeit bei den
einleitenden Operationen war die Folge. Und die politische Leitung des Reichs
wirkte in gleichem Sinne in falscher Einschätzung der Mentalität des
Gegners und irrigen Voraussetzungen über die Dauer des Krieges und die
bei seinem Ende möglichen Verhältnisse. Die aus diesen
Anschauungen erwachsene Schonung der Flotte, der bewußte Verzicht auf
ihren rechtzeitigen, kraftvollen Einsatz, trug in sich den Keim zu dem
unglücklichen Kriegsausgang. - Und als die Hochseeflotte durch die
Macht der Verhältnisse gelähmt, aber die
U-Bootswaffe zur höchsten Kraft entwickelt war, da war es abermals die
politische Leitung des Reichs, die der mit stärkstem Erfolg einsetzenden
Kampfarbeit der U-Boote wiederholt aus schwächlichen Rücksichten
mit Bedenken und Einsprüchen hemmend und hindernd so lange
entgegentrat, bis der durch ähnliche Bedenken [VI] nicht beengte Gegner
seine Gegenmaßregeln zur vollsten Stärke ausgebaut hatte. So blieb
auch ihnen die Steigerung der schon erzielten äußersten Krisis beim
Feinde bis zur Niederlage versagt. Und so mußte es geschehen, daß
die im Sinne kräftigster Offensive erzogene Flotte, dieses Lieblingskind des
Kaisers und des Volkes, sich in Tatenlosigkeit verzehrte und in dieser
Tatenlosigkeit der von außen her in sie getragene Keim zum Hochverrat und
zur Revolution den stärksten, den schließlich auch sie selbst
vernichtenden Nährboden fand.
Weit von der Heimat spielte sich der Krieg um Deutschlands Kolonien
ab - scheinbar ohne Zusammenhang und Einfluß auf die Dinge in
Europa. Gewiß: bei der Mehrzahl der Kolonien hatte das unsagbar
törichte Vertrauen Deutschlands auf die Kongo-Akte und auf den von
seiner Seite vorausgesetzten Verzicht einer Übertragung des Krieges auf
koloniale Gebiete seitens aller europäischen Nationen, sowie die
verhängnisvolle Sparsamkeit des Reichstags dahin gewirkt, daß sie
ohne oder nach nur kurzer Gegenwehr feindlicher Überlegenheit zur
leichten Beute werden mußten. Auch hier hatte die Beurteilung der Psyche
der Feinde versagt, die eigenem Vorteil und zielbewußten
Zukunftsabsichten zuliebe die von ihnen unterschriebenen politischen Akte und
Dokumente rücksichtslos beiseite schoben, sobald sie ihnen keine Vorteile
versprachen und - im Gegensatz zu Deutschland - überall
ausreichende Kräfte an den Grenzen deutscher Kolonien zur
Verfügung hatten, um sofort übermächtig die geringen
deutschen Polizeitruppen niederzuwerfen. Und doch sind die
Heldenkämpfe in
Tsingtau, Südwestafrika, Kamerun
und vor allem in Deutsch-Ostafrika Kennzeichen dafür, welchen
Einfluß auf den
Gang der Dinge auch sie hätten gewinnen können, wenn klare
politische Einsicht ihnen ähnliche Machtmittel gegeben hätte, wie es
die Gegner getan hatten. Die gewaltigen Massen schwarzer und farbiger
Hilfsvölker, die allein der Entente das Durchhalten im Kriege bis zum
Eingreifen Amerikas ermöglichten, würden in Afrika festgehalten
worden sein. Wie groß die Machtmittel waren, die auch jetzt noch zur
Überwältigung der deutschen Kolonien benötigt wurden und
in Europa fehlten, beweist die Tatsache, daß gegen den einzigen deutschen
Oberstleutnant, späteren Oberst v. Lettow-Vorbeck,
mit - zur Zeit der größten Stärke! - etwa 3500
weißen und 12 000 schwarzen, schlecht ausgerüsteten
Soldaten, England 140 Generale, 300 000 Mann, 12 000 Kraftwagen
und zahlloses bestes Kriegsmaterial einsetzte und ihn doch nicht besiegen
konnte.
Der Beginn der Kolonialkämpfe ist aber auch in anderer Hinsicht
kennzeichnend: hinsichtlich der feindlichen Kriegsabsichten und
Kriegsvorbereitungen. Schon am 31. Juli erschien das aus Kapstadt ausgelaufene
englische Kapgeschwader vor Daressalam zur Beobachtung der ostafrikanischen
Küste und des Kleinen Kreuzers "Königsberg", und erst am 4.
August erklärte England den Krieg! - Am 4. August erklärte
es den Krieg - und schon am 8. August überschritten seine Truppen,
zwei Tage darauf französische Truppen an drei Stellen [VII] die Grenze zum
konzentrischen Einmarsch in
Togo. Wer afrikanische Verhältnisse zu
beurteilen vermag, weiß, daß die hierzu nötigen
Vorbereitungen politischer und militärischer Art nicht in drei oder vier
Tagen erledigt werden konnten, sondern längst eingeleitet sein
mußten.
Ungenügende Ausnutzung und mangelnde Friedensschulung der in den
deutschen Kolonien ruhenden Machtmittel ließen diese nur zu einem
geringen Einfluß auf die europäischen Kämpfe gelangen.
Von stärkerer und unmittelbarer Wirkung waren die Kriegsereignisse auf
türkischem Boden. Ob ohne Deutschlands und Österreichs
materieller Hilfe und Liman v. Sanders'
kraftvolle Führung der
ungeheuerliche Heldenkampf der Türken auf Gallipoli hätte zum
Sieg geführt werden können, sei dahingestellt. Und nicht nur hier,
sondern in erheblich stärkerem Maße auch an anderen Stellen hat der
Kampf der Türkei schwächend und zehrend auf Deutschlands
Kampfmittel eingewirkt; jedenfalls war die Sorge um den zu Ende gehenden
türkischen Widerstand das treibende Moment zu dem schweren
Entschluß der Obersten Heeresleitung zum Serbischen Feldzug. Aber der
durch gemeinsame Anstrengung gewonnene Sieg auf Gallipoli machte die
Trennung zwischen England, Frankreich und Rußland endgültig,
indem er den ersteren den Zugang zum Schwarzen Meer und die Zufuhr sperrte,
und wurde damit die Ursache zu dem 1917 erfolgenden Zusammenbruch des
russischen Riesen. Anderseits aber war die Verfolgung türkischer
Sonderinteressen und die, trotz deutscher Gegenvorstellungen, daraus
erwachsende Zersplitterung der türkischen Truppen und ihr Einsatz an nicht
entscheidenden Stellen eine der Ursachen zu ihren schweren Niederlagen an
kriegswichtiger Stelle und damit zum unglücklichen Ausgang des Krieges
für die Gesamtheit der Mittelmächte.
Ganz anders wie bei diesen räumlich und sachlich neben den
Landkriegshandlungen einhergehenden Ereignissen spielten sich Gaskrieg und
Luftkrieg in engstem Zusammenhang, in innigster Durchdringung und
stärkstem gegenseitigen Einfluß mit jenen ab. Bei Kriegsbeginn als
Kampffaktoren nicht oder nur in ersten tastenden Versuchen vorhanden,
entwickelten sie sich unter dem Zwang der Verhältnisse zu einer
Bedeutung, die von keinem der altgewohnten Kampfmittel übertroffen
werden konnte. Unter ihrem Einfluß änderte sich nicht nur das
äußere Geschehen der taktischen Kampfhandlungen, sondern auch
das Wesen des Krieges überhaupt. Die in der beschränkten
Wirkungsweise der alten Waffen liegende räumliche Abgrenzung der von
den Kriegsereignissen unmittelbar betroffenen Gebiete dehnte sich aus und
sprengte alle Schranken, und so zog vor allem die Luftwaffe über die
ringenden Heere hinweg das ganze dahinterliegende Heimatgebiet immer mehr in
die Schrecken und Wirkungen der Kämpfe hinein. Wenn die Blockade
Deutschland von der Welt und ihren Hilfsmitteln absperrte und schließlich
dem Gegner die quantitative Übermacht verlieh, die auch durch beste
Qualität der Mittel und rücksichtslos tapferen Einsatz der
Kräfte nicht über- [VIII] wunden werden
konnte, so war in der Entwicklung dieser neuen Kampffaktoren doch Deutschland
meist führend, und die Heldentaten seiner Söhne auch in diesen
neuen Kampfformen werden selbst unter dem Eindruck des erschütternden
Endes nie verschwinden.
Die Kolonien sind Deutschland geraubt; noch ringt die Türkei um ihr
Dasein; die deutsche Seemacht ist vernichtet - nicht in ehrlichem Kampf,
sondern durch gemeinsten Verrat, den anzunehmen sich das stolze England nicht
schämte; Gaswaffen und Luftkampfwaffen sind dem an sich selbst
zusammengebrochenen Volke verboten. In allen diesen vernichtenden
Bestimmungen aber kennzeichnet sich eins mit eindringlicher Wucht: die
ungeheure Wirkung, die alle diese Kampfmittel in deutscher Hand bei den
Gegnern ausübten und die sie nur durch ihre restlose Vernichtung für
die Zukunft glaubten ausschalten zu können.
In dieser ungewollten Anerkennung von Deutschlands Kraft ruht auch die
Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Max Schwarte
[IX - XIII]
[Anm. d.
Scriptorium: im Original findet sich auf den hier folgenden Seiten die
Inhaltsübersicht für Bd. 4, welche wir in diesem unserem
Online-Nachdruck hier
wiedergegeben haben.]
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