Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende
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Kapitel 7: Der Krieg im Osten
1917/18
Oberstleutnant Hans Garcke
1. Überblick über die Ereignisse vom
August 1916 bis Januar 1917.
Am 29. August 1916 waren Feldmarschall
v. Hindenburg und General Ludendorff
an die Spitze der Obersten Heeresleitung berufen worden; den Oberbefehl
über die deutsche Ostfront hatte darauf Feldmarschall Prinz Leopold von
Bayern übernommen. Sein Bereich umfaßte
damals - von Norden beginnend - die Heeresgruppen Eichhorn, Woyrsch, Linsingen und die k. u. k. 2. Armee, erstreckte sich also
vom Rigaischen Meerbusen bis in die Gegend östlich Lemberg. Nach
Süden schloß sich die Heeresfront des Erzherzogs Karl an, zu der die
deutsche Süd-Armee, die k. u. k. 3. und die
k. u. k. 7. Armee gehörten und die bis an die Nordwestecke
Rumäniens reichte. In Siebenbürgen war die k. u. k. 1.
Armee erst in der Bildung begriffen.
Nach den Erschütterungen durch die Brussilow-Offensive hatte die Front
des Oberbefehlshabers Ost sich wieder zu festigen begonnen, doch bestand noch
ein bedenklicher Mangel an deutschen Reserven. Die Heeresfront des Erzherzogs,
vor kurzem erst verstärkt durch das bei der
Süd-Armee eingesetzte türkische XV. Armeekorps, hatte noch
keinen genügenden Halt gewonnen.
Bald nachdem die Rumänen den Krieg erklärt hatten und in
Siebenbürgen eingefallen waren, griff Brussilow von neuem an.
In den Karpathen wurde den ganzen September über hart gekämpft.
Die Russen versuchten die k. u. k. 7. Armee mit starken
Kräften von Süden und Norden zu umfassen und zur Aufgabe des
Gebirgswalles zu zwingen. Erhebliche deutsche Verstärkungen
mußten eingesetzt werden, um die Österreicher zum Halten der Front
zu befähigen und damit die Offensive gegen die Rumänen in
Siebenbürgen zu ermöglichen.
Die Süd-Armee griffen die Russen vom 31. August ab bei und
südlich Brzezany an, um in Richtung Lemberg durchzustoßen.
Infolge starker Verluste und fehlender Reserven nahm Graf Bothmer seinen
rechten Armeeflügel hinter die Narajowka zurück. Hier wies er,
verstärkt durch die ursprünglich für Siebenbürgen
bestimmte 3. Garde-Division, in zweitägigen Kämpfen den Angreifer
blutig ab. Als in der Dobrudscha Mackensen überraschend schnell
vorgedrungen war,1 erneuerten die Russen am 16.
September mit starken Kräften ihre Angriffe [289] gegen die
Süd-Armee; sie gewannen teilweise Gelände, doch wurde die Lage
durch sofortigen Einsatz jetzt bereitstehender Reserven im wesentlichen
wiederhergestellt.
Auch gegen die k. u. k. 2. Armee und die Mitte der Heeresgruppe Linsingen
richteten sich im Sommer russische Angriffe, ohne daß nennenswerte
Veränderungen in den Stellungen dadurch eintraten.
Inzwischen war in Siebenbürgen die deutsche 9. Armee unter General
v. Falkenhayn neu gebildet worden. Sie hatte die durch den
Roten-Turm-Paß eingedrungenen Rumänen in der Schlacht bei
Hermannstadt, 26. bis 29. September, entscheidend geschlagen2 und dann unverzüglich die
Offensive gegen die über Kronstadt vorgegangene rumänische 2.
Armee aufgenommen. Sie stellte und schlug diese am 5. Oktober vor dem
Geisterwalde, siegte erneut bei Kronstadt vom 7. bis 9. Oktober und nahm die
Verfolgung durch die Transylvanischen Alpen auf. Die k. u. k. 1.
Armee, die sich bisher mit Mühe der feindlichen Angriffe erwehrt hatte,
wurde durch das siegreiche Vordringen Falkenhayns mit vorgerissen und
drängte die ihr gegenüberstehenden Rumänen bis an die
Grenze der Moldau zurück. Mitte Oktober war Siebenbürgen vom
Feinde befreit.
Die Befehlsverhältnisse wurden jetzt neu geregelt. Die 9., k. u. k. 1. und
k. u. k. 7. Armee bildeten die Heeresgruppe des Erzherzogs Karl, an
dessen Stelle später, nach seiner Thronbesteigung, Erzherzog Joseph trat;
die k. u. k. 3. und deutsche
Süd- und die k. u. k. 2. Armee gehörten zur
Heeresgruppe Böhm-Ermolli, die dem deutschen Oberbefehlshaber Ost
unterstellt wurde.
Während der deutschen Offensive in Siebenbürgen griffen die
Russen erneut an. Gegen die Süd-Armee stießen sie am 30.
September und 1. Oktober erfolglos zwischen Narajowka und Zlota Lipa und bei
Brzezany vor.3 Nach einer Atempause erneuerten sie
am 5. und dann nochmals am 15. Oktober die Angriffe, ohne den Verteidiger zum
Weichen bringen zu
können. - Die k. u. k. 2. Armee, an der Straße
Brody - Zlocow angegriffen, warf den Feind im Gegenangriff
zurück. - Gegen die Heeresgruppe Linsingen begannen in der
Gegend westlich Luck am 2. Oktober Massenangriffe, die unter schweren blutigen
Verlusten zusammenbrachen, aber immer wieder erneuert wurden. Erst in der
zweiten Hälfte des Monats erlahmte hier die russische Angriffskraft.
Weiter nördlich war die Kampftätigkeit eine geringere. Die
Bedrohung ihres linken Flügels durch die Siebenbürgener Offensive
veranlaßte die Russen, im Lauf des Oktober umfangreiche
Kräfteverschiebungen nach Süden vorzunehmen. Sie lösten in
der Moldau allmählich die Rumänen ab, die so Kräfte
für die Verteidigung der Walachei frei bekamen, und begannen Anfang
November, die k. u. k. 1. Armee anzugreifen.
Inzwischen war der 9. Armee an Verstärkungen zugeführt worden,
was [290=Karte] [291] an den
Fronten im Osten und Westen nur irgend verfügbar gemacht werden
konnte. Nachdem ihr Mitte November der Durchbruch durch die
Transylvanischen Alpen geglückt war, als ihr Siegeszug durch die Walachei
nach Osten begonnen hatte und Mackensen von Süden her über die
Donau gegangen war, um Falkenhayn die Hand zu reichen, setzte Ende
November eine mächtige russisch-rumänische
Entlastungsoffensive4 ein, und zwar an der
siebenbürgischen Ostfront gegen die k. u. k. 1. und in den
Waldkarpathen gegen die k. u. k. 7. Armee. Bis Mitte Dezember
wurde heftig gekämpft. Einzelne örtliche Geländevorteile
konnte der Angreifer erringen, ein entscheidender Erfolg aber blieb ihm
versagt.
So gelang es der Heeresgruppe Mackensen, der vom 30. November ab die 9.
Armee unterstellt war, ihre Offensive durch die Dobrudscha und die Walachei
durchzuführen und bis an die Linie
Donau-Mündung - Galaz - unterer
Sereth - Putna vorzudringen. Der rechte Flügel der 1. Armee
ging Ende Dezember ebenfalls zum Angriff über und drang durch das
Bereczker-Gebirge auf rumänischen Boden vor. Im Januar 1917 fanden die
Operationen gegen Rumänien ihr Ende. In fortlaufenden Linien vom
Rigaischen Meerbusen bis zum Schwarzen Meer lagen sich jetzt die Gegner im
Grabenkampf gegenüber.
Der Oberbefehlshaber Ost hatte seit Beginn des rumänischen Feldzuges
fortgesetzt Kräfte abgeben müssen, die teils der 9. Armee zur
Durchführung ihres Angriffskampfes zugeführt wurden, teils zur
Stützung der siebenbürgischen Ostfront und der nördlichen
Karpathen-Stellung eingesetzt werden mußten. Die Folge war der immer
empfindlicher werdende Mangel an Reserven. Die für manche Divisionen
dringend notwendige vorübergehende Ablösung war nicht mehr
durchzuführen. Das Sperrfeuer war durch die Abgaben an Artillerie in
bedenklicher Weise geschwächt. Trotzdem beschränkte man sich
deutscherseits keineswegs auf die reine Abwehr. Allenthalben fanden kleinere
Vorstöße statt, durch die der Unternehmungsgeist der Truppen
wachgehalten und das Vertrauen in die deutsche Kampfüberlegenheit
gestärkt wurde.
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