Bd. 5: Der österreichisch-ungarische
Krieg
[225]
Kapitel 13: Die Kämpfe im Osten
1916
Feldmarschalleutnant Max Hoen, Direktor des Wiener Kriegsarchivs
1. Der Sommerfeldzug von Luck.1
Schon Ende März 1916 munkelte die Judenschaft, der feinfühligste
Barometer für kriegerische Ereignisse auf dem nordöstlichen
Kriegsschauplatz, von einem bevorstehenden gewaltigen Angriff der Russen
gegen die österreichisch-ungarische Front; Ende April unterlag es für
die dortigen Armeekommandos keinem Zweifel mehr, daß
Zurüstungen zu einer neuen russischen Kraftprobe im Zuge seien, und im
Laufe des Mai klärten sich Tag für Tag mehr die Absichten der
feindlichen Führung hinsichtlich der voraussichtlichen
Hauptangriffspunkte. Mochte auch mancher Unterführer, in Sicherheit
gewiegt durch die Ruhe in und hinter der gegenüberstehenden Front, den
Prophezeiungen mit Unglauben begegnen; mochte auch das
Armee-Oberkommando Teschen in Kenntnis seiner diplomatischer Fäden,
die sich damals mit Rußland angesponnen hatten, der Meinung sein, Italiens
Hilferufe würden beim Zaren taube Ohren finden, ja erleichterte man
Väterchen seine Rolle, indem man in den Presseberichten die Erfolge in
Südtirol dämpfte, hingegen jede Schießerei im Osten
aufbauschte, als ob die Russen sich zur Rettung ihrer Bundesbrüder
aufopfern würden, so wurde in den Verteidigungsvorbereitungen doch
nichts versäumt, und die höheren Führer blickten mit
Zuversicht dem Angriff entgegen, den sie ab Ende Mai nahezu stündlich
erwarteten.
Wohl waren zugunsten der Armeen auf dem italienischen Kriegsschauplatz
fünf bewährte Infanteriedivisionen abgezogen worden, wofür
nur die in Siebenbürgen ursprünglich zur Landesverteidigung aus
alten Landstürmlern formierte 70. Infanteriedivision als Ersatz kam; wohl
stand von deutschen Truppen in der ganzen Heeresfront überhaupt nur noch
die 48. Reservedivision bei der Südarmee; doch waren während der
verhältnismäßig ruhigen Frühjahrsmonate die
Regimenter derart aufgefüllt worden, daß sie
überzählige Kompagnien und selbst Bataillone formieren konnten.
Der Zahl nach waren diese Streitkräfte für die Verteidigung der mit
Eifer ausgebauten Stellungen weitaus genügend; Bedenken durfte vielleicht
die starke Durchsetzung mit Neulingen erwecken, die während der ruhigen
Zeit hinter guten Deckungen wenig Ge- [226] legenheit erhalten
hatten, Kriegserfahrung zu sammeln, was insbesondere vom Nordflügel
galt.
Der Südflügel, die 7. Armee, machte sich frühzeitig auf einen
neuen Ansturm gefaßt. Schon Ende April wurde bekannt, daß
Letschitzki 4 Infanteriedivisionen von hervorragendem Kampfwert südlich
des Dnjestr vor dem Oknaer Abschnitt versammelte. Das Vortreiben von
Laufgräben entschleierte seine Absicht völlig. General der Kavallerie
Freiherr v. Pflanzer-Baltin schob der Gruppe Feldzeugmeister
v. Benigni sofort starke Reserven zu.
Daß Schtscherbatschew mit seiner 7. Armee die Strypafront und namentlich
wieder die dem Unterlauf vorgelegten Stellungen des XIII. Korps, General der
Infanterie Freiherr v. Rhemen, bestürmen werde, war vorauszusehen.
Sacharows 11. Armee wurde jedenfalls von dem gegen Tarnopol weit
vorspringenden Nordflügel der Südarmee und dem vielumstrittenen
Übergangspunkt Sapanow an der Ikwa, nordwestlich Kremieniec,
angezogen. Erzherzog Josef Ferdinand setzte seit 13. Mai mit Bestimmtheit
voraus, daß der neue Befehlshaber der russischen 8. Armee Kaledin den
Hauptstoß bei Olyka südlich der Lucker Straße führen
werde. Das Armee-Oberkommando Teschen verstärkte hierauf die 4.
Armee mit der 13. Schützendivision und ließ noch im Mai schwere
Batterien als Ersatz für die seinerzeit nach Tirol abgegebenen heranrollen,
Munitionsnachschub wohl erst in letzter Stunde, doch waren Gewehr und
Geschütz für den Augenblick genügend versorgt.
Die Stellung gegenüber Olyka war besonders stark ausgebaut, allerdings in
losem Sandboden, so daß das 4. Armeekommando mit vollem Vertrauen
der Zukunft entgegensah. Außerdem befanden sich dahinter eine 2. und 3.
Stellung, zwar nicht so vollendet ausgebaut, aber haltbar. Da die Angriffsrichtung
genau bekannt war, schien es zweckmäßig zu sein, die Reserven
gleich hinter den bedrohten Frontteilen bereitzustellen: Im Abschnitt der 70.
Infanteriedivision (Nordflügel des Korps Szurmay) und der 2.
(Südflügel des X. Korps Martiny) hinter der 2. Stellung von der 11.
Infanteriedivision, Generalmajor Grubić, und 13. Schützendivision,
Generalmajor Szekely, bataillonsweise die vorderen Brigaden, hinter der 3.
Stellung die zweiten Brigaden.
Die russische Südwestfront erhielt anfangs April in Brussilow einen
tatkräftigen, an der Spitze der 8. Armee vielbewährten Führer.
Die Truppenkörper waren voll aufgefüllt, hinter den Armeen standen
starke Ersatzformationen, die eintretende Verluste sofort decken konnten. Die
Westmächte, Japan und die Vereinigten Staaten von Nordamerika hatten
für reichliche Ausrüstung der gänzlich reorganisierten
Streitmacht mit Waffen, Munition und sonstigem Kriegsmaterial gesorgt. Der
bekannt gut schießenden russischen Artillerie stand neben neuestem
Geschützmaterial schweren Kalibers Instruktionspersonal der
Westmächte zur Verfügung, das sie mit allen auf dem
französischen Kriegsschauplatz [227] erprobten Finessen der
Artilleriemassenverwendung bekannt machte. Eine besondere Sorge wurde der
Hebung der Moral der Truppen zugewendet. Der Zar inspizierte die
Südwestfront, seine Popen entflammten religiöse Begeisterung.
Wieder einmal bereitete sich ein so gewaltiger Keulenschlag vor, wie schon so
mancher im Laufe der Jahrtausende von asiatischem Fanatismus gegen
Mitteleuropa geführt worden war; noch einmal erstrahlte die Macht des
Zaren im vollsten Glanze, ehe sie in dem Sturme der Revolution versank.
Brussilow entfesselte den Ansturm mit einem Befehl, dem zur Aufmunterung die
Mitteilung beigefügt war, daß die englische Flotte die deutsche in der
Nordsee völlig vernichtet habe: "Es ist die Zeit gekommen, den ehrlosen
Feind zu vertreiben; alle Armeen unserer Front greifen zugleich an. Ich bin
überzeugt, daß unsere eiserne Armee den vollen Sieg erringen
wird."
Heftiges Artilleriefeuer am 4. Juni, 4 Uhr 30 vormittags beginnend, leitete an der
ganzen Front zwischen Pruth und Polesie die sogenannte
Brussilow-Offensive ein. Mächtig trommelte es auf jene Abschnitte, in
welchen die Führer der Verbündeten den Angriff erwarteten. Eine
derartige Artillerieschlacht war im Osten noch nicht erlebt worden. Namentlich in
dem dürftig bewachsenen, öden Wellengelände bei Olyka
machte die Beschießung einen überwältigenden Eindruck. Der
von der Sonne ausgedörrte Sandboden wirbelte in hohen Staubwolken auf,
die jede Übersicht benahmen. Der Erfolg war indessen vorerst mehr ein
moralischer als blutiger. Dies stärkte die Zuversicht des 4.
Armeekommandos. Generaloberst v. Linsingen mochte dagegen erkennen, daß sich eine Überraschung vorbereite. Sein Vertrauen in die 1.
Stellung, so sehr sie ihm bei seinen Besichtigungen gefallen hatte, wurde
erschüttert, und er mahnte, die Reserven nicht zu frühzeitig gegen
lokale Durchbrüche, sondern einheitlich zum konzentrischen
Gegenstoß anzusetzen.
Der ruhigen Nacht zum 5. folgte ein noch stärkeres Trommelfeuer auf die
1. Stellung, das Zerstörungswerk an den Hindernissen vollendend und die
wenigen noch gebrauchsfähigen Telephondrähte zerreißend.
Plötzlich legte sich der Geschoßhagel auf die 2. Stellung und zwang
die dortigen Reserven in die Deckungen. Mittlerweile vollzog sich das Geschick
der vorn befindlichen Truppen. Gerade beim bewährten Infanterieregiment
Nr. 82, erst kürzlich der 2. Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant
v. Sellner, zugeteilt, um deren Polen und Ruthenen mehr Standhaftigkeit zu
verleihen, kamen die Russen, der Geschoßgarbe unmittelbar folgend, an die
Ausgänge der Fuchslöcher und Kavernen, ehe die darin
zusammengedrängten Leute so recht die Besinnung erlangt hatten. Wie
Lemminge breitete sich die braune Flut der 2. und 4. Schützendivision
rechts und links in der Stellung aus, wischte den größten Teil der
Front der 2. Infanteriedivision gleichsam von der Erde weg und erschien vor der
2. Stellung, ehe noch das Artilleriefeuer die Reserven aus der Deckung
herausließ. Nicht [228] viel besser ging es bei
der südlich anschließenden 70. Infanteriedivision, Generalmajor
Goldbach, die es mit dem russischen VIII. Korps zu tun bekam. Die vorderen
Brigaden der Wiener 13. Schützendivision und Lemberger 11.
Infanteriedivision verbluteten im aussichtslosen Ringen einzelner Gruppen; die
höhere Führung vermochte sich kein Bild über die ihr
rätselhaften, durch keine Meldungen geklärten Vorgänge zu
machen, rechnete mit Truppen, die längst ihre Kampfkraft verloren hatten
und verpulverte auch die hinteren Brigaden mit einheitlich gedachten, doch in der
Ausführung verzettelten Vorstößen.
Der Abend fand die Reste der vier Infanteriedivisionen von vier russischen
geschlagen, den Nordflügel in der 3. Stellung, den Südflügel
zwar noch um die erste raufend, doch im Norden von Umfassung bedroht. In der
Nacht wurden die zermürbten Landstürmler der 70.
Infanteriedivision durchbrochen und die Ruthenen der 11. zeigten nunmehr wenig
Lust, sich für eine verlorene Sache gegen ihre Stammesverwandten
aufzuopfern. Erzherzog Josef Ferdinand ordnete den Rückzug des Korps
Szurmay hinter die untere Ikwa und den Styr, des X. Korps in den
Brückenkopf Luck, des II. an die Straße
Kolki - Luck an.
Ein wirres Gemenge von zerrissenen Truppenteilen und Trains wälzte sich
gegen Luck. Brennende Sonnenglut, Kosakenfurcht, zeitweiliges Schießen,
Befehle und Gegenbefehle, Unklarheit über die Absichten der
höheren Führung, die bei der Vermischung aller Verbände
nicht zu den Unterkommandanten durchdringen konnten, untergruben den inneren
Halt. Nun rächte es sich, daß das Armeekommando sein Quartier in
Luck, viel zu nahe der Front, aufgeschlagen hatte. Es kam in den Trubel des
Rückzuges hinein, mußte darauf bedacht sein, den großen
Apparat nach hinten zu verlegen und schaltete sich gerade im kritischen
Augenblick aus.
Am 7. griffen die Russen den Brückenkopf an; ein Gegenstoß der
Reserve Linsingens, halbe 45. Schützendivision, Feldmarschalleutnant
Smekal, und fünf eben mit der Bahn eingetroffene deutsche Bataillone, von
Kiwercy her unter den niederschmetternden Eindrücken des
Rückzuges nur mit halbem Herzen geführt, scheiterte; die
unmöglich in so kurzer Zeit mit den durcheinandergewürfelten
Kräften zu organisierende Verteidigung des Brückenkopfes versagte.
Die Besatzung gewann unter großen Verlusten und moralisch gebrochen das
westliche Styrufer. Am 9. früh stand die 4. Armee (Korps Szurmay und X.
Martiny) hinter der Polanka und Sierna. Den Styr bis Sokul hielt der deutsche
General der Kavallerie v. Bernhardi mit der halben 45.
Schützendivision und deutschen Verstärkungen (kombinierte
Infanteriedivision Rusche), bis Kolki das II. Korps, Feldmarschalleutnant
Kaiser.
Die Schlacht bei Olyka - Luck war nach Raumeinbuße, Verlusten an
Streitern, Geschützen und Kriegsmaterial eine schwere Katastrophe in dem
großen Waffengange zwischen Pruth und Polesie, in dem der Ansturm der
Moskowiter auch sonst an einzelnen Frontteilen schwierige Lagen zeitigte.
[229] Bei Sapanow konnte
der Einbruch am 7. nur teilweise wettgemacht werden, wobei die Wiener 25.
Infanteriedivision, Generalmajor v. Boog, infolge unzureichender
Artillerieunterstützung schwere Verluste erlitt. Bei Jazlowiec durchbrach
Schtscherbatschews besonders gut vorbereiteter Angriff das XIII. Korps am 7.,
was bis 9. den Verlust von Buczacz und der unteren Strypa bis Bobulince nach
sich zog. Bei Okna begrenzte Feldzeugmeister v. Benigni wohl den
Einbruch Letschitzkis, mußte aber die Stellungen nördlich des
Dnjestr beiderseits der Serethmündung räumen.
All dies trat aber fürs erste in den Hintergrund vor der schweren Niederlage
bei Olyka - Luck. Dort klaffte eine breite und tiefe Bresche in der
Front, und die erschütterten Reste der 4. Armee, deren Kommando an Stelle
des Erzherzogs der Generaloberst Tersztyanszky übernahm, boten keine
Gewähr, dem Siegeslaufe Einhalt zu tun. In weitaus weniger schwierigen
Lagen hatte die russische Führung im selben Gelände während
des Feldzuges von Rowno großzügig die ganze Front in den jeweilig
nächsten Verteidigungsabschnitt zurückgenommen. Die
Verbündeten mußten die erkämpften Räume nach
Möglichkeit festhalten, trotzdem die Frontlänge dadurch
beträchtlich wuchs und den Russen in den ausspringenden Frontteilen
Gelegenheit zu doppelseitigen Angriffen wurde. Hatten doch die Armeen, um die
von Blockadenot bedrängte Heimat einigermaßen zu entlasten, in
ihrem Bereich zahlreiche landwirtschaftliche und industrielle Unternehmungen
geschaffen, die man nicht gern preisgab. Zum anderen war die politische Wirkung
eines Rückzuges, namentlich auf das schwankende Rumänien, nicht
gering einzuschätzen. Endlich gebot die Sicherheit der Flanke der
deutschen Heeresfront nördlich des Pripjatj, den Styrabschnitt
abwärts Sokul zu halten. So entschlossen sich denn die Verbündeten,
soviel Kräfte, als sich mit der auf allen Kriegsschauplätzen
gespannten Lage vertrug, zu einem Flankenstoß längs der Bahn
Kowel - Rowno zu verwenden. Um für diese Offensive
günstige Bedingungen zu schaffen, einen neuen Unfall zu vermeiden und
den Aufmarsch der neuen Streitkräfte zu decken, hatte die 4. Armee auf die
Wasserscheide hinter dem oberen Stochod, die Gruppe Bernhardi in den
Stochod-Abschnitt Solotwina - Boguszowka bei Sperrung der
Landenge zwischen dem genannten Fluß und dem Styr bei Sokul zu
weichen. Drängten die Russen unvorsichtig nach, so winkten der
überlegenen Manövrierkunst bedeutende Erfolge.
Brussilow und Kaledin waren zu gewiegt, um in die Falle zu gehen. Sie
ließen die 4. Armee sehr vorsichtig verfolgen, von einer befestigten Stellung
zur anderen und richteten ihr Augenmerk darauf, die Bresche zu verbreitern,
insbesondere den Styrabschnitt bei Kolki zu überwältigen, damit
ihnen nicht dieselbe Überraschung wie im Vorjahre blühe.
Schon am 9. Juni gelangten drei russische Regimenter bei Kolki im Bereiche des
Korps Fath auf das linke Styrufer, wurden aber am folgenden Tage nach [230] Eingreifen der 4.
Infanteriedivision, Generalmajor Pfeffer, (II. Korps) geworfen. Erneuerte Angriffe
folgten, die erst am 12. mit einem vollen Erfolg der Verteidiger abschlossen. Am
selben Tage schlug die 41. Honved-Infanteriedivision, Generalmajor
Schamschula, die Russen bei Sokul ab. Am 14. erfolgten gleichzeitige Angriffe
gegen die Front des II. Korps und der Gruppe Bernhardi im Abschnitt zwischen
Kolki und der Rownoer Bahn. Den Raumverlust der 45. Schützendivision
in der Landenge bei Sokul besserte die von der 2. Armee gesandte 29.
Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant Schön, am 15. wieder aus.
In der Südflanke des russischen Keiles wurde die 7. Infanteriedivision
Generalmajor v. Felix, in ihrer lockeren Aufstellung beiderseits des Styr
nächst der Ikwamündung bei Torgowica am 10. Juni geworfen und
arg zerzaust, was die Preisgabe von Dubno und die Zurücknahme der 1.
Armee von der Ikwa in die Linie Berezcy gegenüber Kremieniec,
Plaszewka, Styr und Lipa bis Holatyn gornje zur Folge hatte. An der oberen
Lipa bei Gorochow nahmen die 4. und 7. Kavalleriedivision und die 1.
Landsturm-Husarenbrigade unter Feldmarschalleutnant Ostermuth Stellung. Von
hier klaffte eine weite, nur von Etappentruppen beobachtete Lücke bis
Lokaczy, wo die 10. Kavalleriedivision, Generalmajor v. Bauer, in der
Folge mit Teilen der deutschen 9. Kavalleriedivision verstärkt, alsbald in
schweren Kampf mit starker russischer Kavallerie verwickelt wurde. Als
Feldmarschalleutnant Ostermuth eine Kavalleriebrigade zu Hilfe schickte, warfen
ihr die Russen starke Kräfte bei Swiniuchy entgegen, so daß bis 15.
Juni das Gros Ostermuths in dieses Gefecht eintreten mußte.
Die Wartezeit bis zum Beginn des geplanten großen Gegenstoßes
legte den verbündeten Heeresleitungen neue Nervenproben auf. Am 9. Juni
erneuerte Letschitzki nach vielen vergeblichen Anstürmen gegen die ganze
Bukowinafront seinen Angriff gegen deren Nordflügel. Das Unglück
wollte, daß General der Kavallerie Freiherr
v. Pflanzer-Baltin seit 1. Juni mit hochgradigem Fieber auf dem
Krankenbette lag. Die Ausschaltung seiner festen Hand und seines energischen
Führerwillens wurde schon bei den Kämpfen an der unteren Strypa
fühlbar. Als das überraschende Versagen eines Regiments der
kroatischen 42. Honved-Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant Snjarić,
den Russen am 10. einen Durchbruch ermöglichte, wurden die Reserven
frontal, statt flankierend, in den Kampf geworfen und in die Niederlage mit
hineingerissen. Knapp zur Not verhütete Feldzeugmeister v. Benigni,
daß infolge dieser Schlacht bei Okna die ganze Bukowinafront aufgerollt
und nach Czernowitz abgedrängt wurde. Unter großen Verlusten
kamen bis 15. das XI. Korps, General der Kavallerie v. Korda, und die
Gruppe Feldzeugmeister v. Benigni hinter den
Pruth-Abschnitt von der Grenze bis Zablotow, die bisher am Dnjestr gestandene
Gruppe Feldmarschalleutnant Hadfy in eine gegen Ost gekehrte Front zwischen
genanntem Fluß und Pruth in der Linie
Niezwiska - Zablotow.
[231] Der erste Eindruck
dieser Niederlage war so niederschmetternd, daß das
Armee-Oberkommando Teschen die für den geplanten Flankenstoß
Kowel - Rowno vom Isonzo heranbeorderte 61. Infanteriedivision
zur Verstärkung der 7. Armee zu verwenden beschloß.
Pflanzer-Baltin erhielt den Auftrag, im Falle starken Nachdrängens des
Feindes mit dem Gros gegen Kolomea und Stanislau, mit dem rechten
Flügel an die in die Bukowina mündenden
Karpathenübergänge zurückzuweichen. Gleichzeitig wurden
die nördlich des Dnjestr befindlichen Teile der 7. Armee, XIII. und VI.
Korps, dem Kommando der Südarmee unterstellt.
Schtscherbatschew, angespornt durch den Sieg bei Okna, bedrängte die
ganze Front des Generals der Infanterie Grafen Bothmer heftigst und setzte
namentlich dem VI. Korps, General der Infanterie v. Arz, bei Wisniowczyk
Tag für Tag kräftig zu. Am Südflügel, beim XIII. Korps,
brachte der Gegenstoß der Reserven bei Barysz keinen Umschwung; die
Not des Augenblickes aber führte zu einer bedenklichen Vermischung der
Verbände des nun aus Teilen von acht Infanteriedivisionen bestehenden
XIII. Korps. Die verbündeten Heeresleitungen kamen deshalb
überein, auch die aus Mazedonien heranrollende deutsche 105. und die 48.
Infanteriedivision aus Tirol hinter der Südarmee bereitzustellen.
So blieben für den Vorstoß gegen Luck an frischen Kräften nur
das deutsche X. Korps (19. und 20. Infanteriedivision) und die deutsche 108.
Infanteriedivision verfügbar, die bis 15. vorwärts Turijsk
aufmarschierten. Tags vorher verschob sich die 4. Armee nach rechts, so
daß sie quer über die Straße Wladimir
Wolynskij - Luck zu stehen kam.
Mittlerweile hatten sich die Verhältnisse bei der 7. Armee günstiger
angelassen, als anfänglich befürchtet worden war. Letschitzki
drängte zwischen Pruth und Dnjestr nicht nach, sondern richtete seine
Anstrengungen gegen Czernowitz. Da dort das aus der Schlacht bei Okna sehr
glimpflich herausgekommene XI. Korps stand, durfte man ziemlich beruhigt sein.
So wurde die 61. Infanteriedivision gegen Norden abgelenkt und hinter dem
linken Flügel der 1. Armee auswaggoniert.
In notgedrungener Abänderung des ursprünglichen Planes sollte
Generaloberst v. Linsingen, dem auch die 1. Armee unterstellt wurde, am
16. Juni einen konzentrischen Angriff gegen Luck führen: Linker
Flügel der 1. Armee (7. und 61. Infanteriedivision, Kavalleriekorps
Ostermuth) von der Lipa nach Norden; 4. Armee in östlicher, die drei
deutschen Divisionen, denen die k. u. k. 29. als Reserve folgte, unter
General der Kavallerie v. d. Marwitz in südöstlicher
Richtung, die inneren Flügel der beiden letztgenannten Angriffsgruppen an
der oberen Turija; die Gruppe Bernhardi (deutsche Infanteriedivision Rusche,
halbe 45. Schützendivision und II. Korps) beiderseits des Styr gegen
Süden.
[232] Noch in letzter Stunde
war ein Mißerfolg zu verzeichnen. Bei der 1. Arme wurden am 15.
nächst Rudnia an der obersten Plaszewka die 25. Infanteriedivision und 46.
Schützendivision geworfen, so daß der Nordflügel der 2. Arme
in die Linie Lopuszno - Radziwilow, der Südflügel der
1. anschließend bis Beresteczko, also im allgemeinen bis vor die
Reichsgrenze zurückgenommen werden mußte.
Die große Offensive gegen Luck drang nicht durch. Gegenangriffe hemmten
das Fortschreiten der Gruppe Marwitz und der 4. Armee, insbesondere als
bedeutende russische Verstärkungen eingriffen. Der linke Flügel der
1. Armee mußte den Raumgewinn nördlich der Lipa aufgeben, als am
18. die 46. Schützendivision, Generalmajor v. Urbanski, bei
Beresteczko zurückgedrängt wurde und Generaloberst
v. Puhallo zur Stütze der dünn besetzten Front die 7.
Infanteriedivision heranziehen mußte.
General der Kavallerie v. Bernhardi sah alle Versuche, südlich des Stochod
festen Fuß zu fassen, scheitern. Das II. Korps durfte gar nicht an eine
Offensive denken, da es bei Sokul heftig angegriffen wurde und östlich
davon am 16. russische Kräfte bis Gruziatin vordrangen. Sowohl dieses
Korps wie das des Generals der Infanterie Fath, das fortwährend
Kämpfe bei Kolki zu bestehen hatte, befanden sich in einem so
bedenklichen Zustand der Erschöpfung, daß der Nordflügel,
General der Kavallerie v. Hauer, seine Reserve nach Gruziatin senden
mußte. Erst am 20. war hier die Lage wiederhergestellt.
Die verbündeten Heeresleitungen entschlossen sich, weitere Kräfte in
die Schlacht bei Luck zu werfen. Da Letschitzki das Gros der 7. Armee noch
immer unbehelligt ließ, die Kämpfe am Südflügel der
Südarmee am 18. Juni abflauten, wurde auch die 48. Infanteriedivision
nach Stojanow abgelenkt. Sie und die eben anrollende deutsche 43.
Reservedivision sollten mit der 61. Infanteriedivision und dem Kavalleriekorps
(nunmehr Leonhardi) bei Gorochoro zu einer Gruppe zusammenschließen,
deren Leitung dem deutschen General der Kavallerie v. Falkenhayn
übertragen wurde. Gleichzeitig verstärkten die bayerische 11. und
deutsche 107. Infanteriedivision die Gruppe Bernhardi.
Die Verstärkungen brachten die Offensive ab 21. wieder in etwas
lebhafteren Gang, doch galt es, Stellung auf Stellung zu überwinden,
Gegenangriffe abzuschlagen, und der Erfolg war bis 25. keineswegs befriedigend.
Falkenhayn blieb mangels schwerer Artillerie an den starken Stellungen bei
Bludow hängen; die 4. Armee raufte sich in der Linie
Sadow - Zaturcy, Marwitz dort, vor Wiczyny und bei Dorosino
herum; Bernhardi kämpfte schwer, um westlich Sokul aus der Landenge
herauszukommen. Der bisherige Erfolg der Operation beschränkte sich
darauf, daß die Bresche von Luck verläßlich abgeschlossen und
Brussilow genötigt war, diesem Teil der Schlachtfront seine
Aufmerksamkeit und Reserven zuzuwenden.
[233] Die Russen
bedrängten in dieser Zeit ohne bleibenden Erfolg die Front
Beresteczko - Radziwilow - Lopuszno (Treffen bei
Beresteczko und Radziwilow, 22. bis 26. Juni) und die Strypafront. Dagegen
zerstörte Letschitzkis Artillerie am 17. die Brückenschanze
nördlich Czernowitz. In der Nacht folgten die Russen der weichenden
Besatzung auf das südliche Pruthufer nach und drangen in Czernowitz ein.
Gendarmerieoberst Fischer war im Jahre 1914 mit seinem schwachen
Landsturmaufgebot in gleicher Lage auf den südlichen Höhen in
Stellung geblieben. General v. Korda hatte aber eine
großzügige Instruktion in Händen, die General
v. Seeckt, zeitweilig auf Wunsch der deutschen obersten Heeresleitung
Generalstabschef Pflanzer-Baltins, verfaßt hatte. Sie wich von der
gewohnten Befehlsweise des Armeekommandos ab, wurde mißverstanden,
so daß Korda im höheren Sinne zu handeln glaubte, wenn er noch in
der Nacht den Rückzug hinter den (Bukowiner) Sereth anordnete.
Die Sereth-Stellung wurde schon am 19. infolge eines erfolgreichen russischen
Angriffes bei Storozynetz unhaltbar. In Brigadegruppen wich das XI. Korps an die
Eingänge der Karpathenvorlagen zurück. Letschitzki sandte nur der
östlichsten Gruppe, Oberstleutnant Papp, eine Streitkraft, vornehmlich
Reiterei, nach, die jene in den Gefechten bei Radautz und Kimpolung bis auf die
berühmte Stellung Mestecanesti, nordöstlich Jacobeny,
zurücktrieb. Infolgedessen fanden sich auch die anderen Brigaden
schließlich bis 25. Juni auf den das Tal der goldenen Bistritz deckenden
Höhen zusammen. Die Bukowina war bis auf den Südzipfel
verloren.
Die verbündeten Heeresleitungen erhofften noch immer von einem Erfolg
bei Luck gegen die gleichsam in einem Sacke steckende Mitte Kaledins einen
Umschwung in dem großen Waffengange. Verstärkter Druck auf die
Südflanke sollte die Offensive in einen flotteren Gang bringen. Die 7.
Infanteriedivision wurde wieder an die untere Lipa befohlen, zu ihr stieß die
von der Gruppe Marwitz herübergezogene deutsche 108. und die als neue
Verstärkung eingetroffene deutsche 22. Infanteriedivision. Diese Gruppe
und das südlich und westlich Bludow stehende Korps Falkenhayn wurden
unter die bewährte Führung des Generals v. d. Marwitz
gestellt, der mit ersterer den Hauptstoß zu führen gedachte.
Erst am 29. kam dieser Angriff in Gang, doch trat bald Regenwetter ein, das die
Artilleriewirkung beeinträchtigte und die Wege grundlos machte. Trotz
dieser Ungunst der Witterung und heftiger russischer Angriffe, namentlich gegen
die rechte Flanke am Styr, drang die Angriffsgruppe, die Südflanke des
russischen Keils am 1. Juli in 20 km Breite und 5 km Tiefe
eindrückend, bis 2. nach Zloczewka und bis südlich Ugrinow vor.
Falkenhayn, der die Russen bei Bludow nicht zu bezwingen vermochte, gab die
deutsche 43. Reservedivision, die 48. und 61. Infanteriedivision an den
Hauptangriff ab, der dennoch nur langsam vorwärts kam. Die 4. Armee, das
deutsche X. Korps und Bernhardi [234] wiesen wohl
stellenweise Erfolge auf, doch fielen diese wenig ins Gewicht und die
zunehmende Widerstandskraft der Russen gab sich in von Tag zu Tag heftiger
werdenden Gegenangriffen kund. Zudem mußte das deutsche X. Korps am
4. Juli eine Brigade zur Armee Woyrsch
absenden, die seit 2. in Kampf bei Baranowiczi stand.
Brussilow ließ am 4. Juli nach mächtiger Artillerievorbereitung
starke Kräfte gegen die Styrfront der Gruppen Hauer, Fath und des II.
Korps anstürmen. An beiden Flügeln Faths errangen die Russen
Erfolge. Bei Kolki drangen sie bis über Kopyli vor; Gegenangriffe der
bayerischen 11. Infanteriedivision, nach erfolgreichen Kämpfen in der
Landenge bei Sokul herbeieilend, blieben vergeblich. An der nördlichen
Übergangsstelle beim Orte Kolodia durchbrachen die Russen den linken
Flügel Faths und die Polenlegion, Generalmajor v. Puchalski, der
Gruppe Hauer. Mit Mühe vermochte sich die nördlich
anschließende 11. Honved-Kavalleriedivision, Generalmajor Czitó,
zu behaupten. Angesichts dieser Unfälle mußte Feldmarschalleutnant
Fath, von 10 Infanteriedivisionen beiderseits umfaßt, den Styrbogen bei
Czartorijsk aufgeben. Er erhielt den Befehl zum Rückzug hinter den
Stochod, den er und Hauer, begünstigt durch kräftige
Vorstöße der bayerischen 11. Infanteriedivision bei Kopyli, der sich
aufopfernden Polen und der verlustreichen Widerstand leistenden
Honvedkavallerie, am 6. und 7. durchführten. Auch die nördlich
anschließende Gruppe des XLI. Reservekorps Gronau ging hinter den
unteren Stochod zurück.
Infolge dieser Ereignisse und des seit 5. Juli bei Baranowiczi wieder heftig
tobenden Kampfes mußte Generaloberst v. Linsingen seine Offensive
gegen Luck einstellen. General der Kavallerie v. Bernhardi, dem jetzt auch
das Korps Fath unterstellt wurde, hatte seine Gruppe hinter den Stochod
zurückzuführen, das deutsche X. Korps und die 4. Armee die
gewonnene Stellung in der Linie
Solotwina - Zaturcy - westlich Bludow, zu befestigen, ebenso
General v. d. Marwitz seine gegen Norden gekehrte Front.
Zur selben Zeit, als sich diese höchst bedenklichen Vorgänge am
Nordflügel zutrugen, stürmten auf die verbündeten
Heeresleitungen auch Unglücksnachrichten vom Südflügel
ein. Letschitzki schob nach Eroberung der Bukowina das Gros der 9. Armee
gegen die Hauptkraft Pflanzer-Baltins vor, wobei er besonders südlich des
Pruth starke Kräfte ansetzte. Schon am 23. Juni begannen
Einleitungskämpfe zur Schlacht bei Kolomea in der Gegend von Kuty am
Czeremosz und Roznow, wo sich zunächst das Kavalleriekorps
Brudermann (3. und 8. Kavalleriedivision) und Teile der 24. und 30.
Infanteriedivision unter Feldmarschalleutnant v. Habermann der Angriffe
erwehrten. Am 28. wurde Feldzeugmeister v. Benigni beiderseits des Pruth
angefallen; der Südflügel konnte sich nicht halten und wich bis
Kolomea zurück, was die Rückverlegung der ganzen Front bedingte.
Die Russen drängten am 29. den [235] stark gelichteten
Truppen Brudermanns und Benignis heftig nach. Um einer Umfassung
vorzubeugen, ordnete das Armee-Oberkommando Teschen die weitere
Zurücknahme in die Linie
Berezow - Peczenizyn - Sadzawka - Ottynia an.
Kolomea war dem Feinde preisgegeben. Der 1. Juli brachte abermals eine Krise,
als die Russen bei Peczenizyn die 24. Infanteriedivision und 51.
Honved-Infanteriedivision hinter den Pruth warfen. Es bedurfte energischen
Eingreifens der Generale Hadfy und Snjarić, um sie hinter dem Hindernis
zum Standhalten zu bewegen. Die Gefahr lag nahe, daß die bei Berezow
stehenden Truppen des Südflügels und das in den Raum
Kozmacz - Zabie zurückgegangene Korps Brudermann vom
Gros gänzlich abgeschnitten würden. Mittlerweile hatte sich aber das
Armee-Oberkommando am 24. Juni entschlossen, an der Südwestfront die
im Vorstoß bei Asiago erreichten Stellungen aufzugeben und eine
kürzere, truppensparende Front zu besetzen. Das frei werdende VIII. Korps
(44. Schützendivision und 59. Infanteriedivision) befand sich Ende Juni im
Ausladen bei Delatyn. Die deutsche Oberste Heeresleitung stellte die 119.
Infanteriedivision zur Verfügung, die sich hinter dem Nordflügel bei
Tysmienica versammelte.
Die Halbbrigade Generalmajor Leide der 15. Infanteriedivision, von der
Südarmee auf das südliche Dnjestrufer zur Verbindung mit der 7.
Armee entsendet, hatte in diesen Tagen merkwürdige Kämpfe zu
bestehen. Ursprünglich mit der Sperrung der Dnjestrschlinge westlich
Piotrow betraut, wurde sie im Zusammenhang mit dem russischen großen
Angriff in der Schlacht bei Kolomea am 28. Juni von stärkeren
Kräften, die den Dnjestr übersetzt hatten, heftig angefallen. Obzwar
die Russen zurückgeschlagen wurden, mußte Generalmajor Leide
wegen des Rückzuges der 7. Armee in eine Stellung östlich Tlumacz
zurückgehen. In dieser attackierte ihn am 29. russische Reiterei und am 30.
eine Reitermasse in 6 Wellen, 3 km breit, beide Male unter
großen Verlusten und ohne Erfolg.
General der Kavallerie Freiherr v. Pflanzer-Baltin beschloß nun im
Einvernehmen mit der Südarmee, der Schlacht bei Kolomea durch Angriffe
an beiden Flügeln eine andere Wendung zu geben. Südlich des Pruth
stießen die 44. Schützendivision, Feldmarschalleutnant Nemeczek,
und ein deutsches Regiment der Südarmee vor, am Nordflügel die
verstärkte Halbbrigade Leide, die deutsche 119. und das Gros der 105.
Infanteriedivision, unter Generalleutnant v. Kraewel, von Tlumacz in des
Feindes Nordflanke.
Beide Vorstöße schritten am 2. Juli rüstig vor, blieben aber
dann in heftigen Gegenangriffen stecken. Letschitzki hatte inzwischen eine
Umfassung im Gebirge eingeleitet und drängte am 3. die 8.
Kavalleriedivision von Kozmacz nach Tatarow, den Aufgang zum
Jablonica- oder Tartarenpaß, die Gruppe bei Berezow nach
Oslawy biale zurück. Gleichzeitig begann ein großer Angriff
im Pruthtale gegen Sadzawka, der sich am 4. zu einem erbitterten Ringen [236] im ganzen Raum bis
Oslawy biale gestaltete. Die treffliche Haltung der Trupps des VIII. Korps,
insbesondere des den genannten Ort verteidigenden 26. Jägerbataillons,
brachte die Anstrengungen der Russen zum Scheitern. Da Kraewel und die sich
seinem Flankenangriff anschließende Gruppe Hadfy an diesem Tage
beträchtlich Raum gewannen, schien sich das Schlachtenglück zu
wenden. Letschitzki ließ aber nicht locker. Am 5. wurde der allgemeine
Ansturm wiederholt und erzielte bei der 42.
Honved-Infanteriedivision nördlich Sadzawka Erfolg. Wohl trieb Benigni
am 6. die Russen zurück, doch überwältigten diese
südlich des Pruth die abgekämpften Reste der 51.
Honved-Infanteriedivision, 24. und 30. Infanteriedivision und nötigten den
Südflügel zum Rückzug hinter den Pruth bei Delatyn.
Kraewels Angriff mußte eingestellt werden, da die Gruppe Generalmajor
Leide am Dnjestr zurückgedrängt worden war.
Schtscherbatschew trieb gleichzeitig mit Letschitzkis großem Angriff am 4.
Juli seine Truppen zum Sturm gegen den abgebogenen Südflügel der
Südarmee. Die Mitte des XIII. Korps wurde bei Barysz
zurückgedrängt, der Gegenstoß der Reserven, anfänglich
erfolgreich, am 5. zurückgeworfen und im Anschluß daran die
Stellung durchbrochen. General v. Rhemen mußte hinter den unteren
Koropiec, abwärts Monasterzyska, zurückweichen. Das VI. Korps
Arz stellte die Verbindung zur Strypafront bei Burkanow her.
So sehr den verbündeten Heeresleitungen das Mißgeschick des
Südflügels Sorge bereitete, stand doch die Verteidigung der
Stochodlinie wegen der Sicherheit der deutschen Heeresfront nördlich des
Pripjatj im Vordergrund des Interesses. Alle erlangbaren Verstärkungen, die
bayerische Kavalleriedivision sowie eine kombinierte Infanteriedivision Clausius
von der deutschen Front, die deutsche 108. Infanteriedivision und 9.
Kavalleriedivision der Gruppe Marwitz rollten in den nächsten Tagen mit
Bahn heran, die deutsche 1. Landwehr-Infanteriedivision und 75. Reservedivision
folgten als neue Verstärkungen. General v. d. Marwitz sollte
durch Scheinangriffe die Aufmerksamkeit des Feindes möglichst auf den
Raum südwestlich Luck lenken.
Da bei der Südarmee soeben die deutsche 1. Reservedivision eingetroffen
war, durfte das Ausbleiben unangenehmer Überraschungen an diesem
Frontteil erhofft werden. Für Pflanzer-Baltin konnte vorläufig nichts
geschehen. Er suchte sich selbst zu helfen, indem er das XI. Korps, das sich unter
glücklichen Abwehrkämpfen gegen nicht besonders starke russische
Kräfte einigermaßen retablierte, am 6. Juli aus dem Südzipfel
der Bukowina zum Angriff vorgehen ließ, um Letschitzkis Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen. Der neue Befehlshaber Feldmarschalleutnant
v. Habermann stieß unter teilweise sehr heftigen Kämpfen bis
auf die Höhen jenseits der Moldawa vor, bis das Eintreffen russischer
Verstärkungen am 9. lehrte, daß die Aufgabe erfüllt sei.
Brussilow war nicht der Mann, die Initiative aus den Händen gleiten zu
lassen, wenn auch die bisherigen großen Verluste und der
Materialverbrauch [237] seiner
Unternehmungslust Schranken setzten. Der Nordflügel wurde angewiesen,
am Stochod, vor den die Russen am 9. Juli gelangten, eine rege Tätigkeit zu
entfalten, was in der Zeit bis 15. Juli kleinere und größere Angriffe
auslöste. Die Mehrzahl wurde abgeschlagen, ehe die Russen auf dem linken
Stochodufer Fuß zu fassen vermochten, in den anderen Fällen zwang
der Gegenstoß der Reserven nach mehr oder minder heftigen
Kämpfen zur Räumung der Einbruchsstellen.
Schtscherbatschew wurde angespornt, die Riegelstellung der Südarmee
zwischen Koropiec und Strypa zu durchbrechen. Der erste Versuch am 7. Juli
scheiterte. Erst am 12. und 13. wurde die Schlacht bei Monasterzyska mit
stärkeren Kräften wiederholt. An den Abenden beider Tage gelang
der russischen 7. Armee der Einbruch einmal bei der 12. Infanteriedivision, das
andere Mal bei der deutschen 1. Reservedivision, doch warfen die Reserven
beider einander helfenden Divisionen den Feind bald wieder hinaus.
Letschitzki, dessen 9. Armee in den schweren Kämpfen bei Kolomea ganz
besonders gelitten hatte, erhielt eine längere Ruhepause zugebilligt,
während welcher sich jedoch der Südflügel auf den
ungarischen Grenzhöhen festsetzen sollte. Alsbald entwickelte sich ein
Kleinkrieg im Gebirge, dessen Ziele russischerseits vornehmlich der
Jablonica-Paß, dann die Übergänge aus den Tälern des
Schwarzen und Weißen Czeremosz bildeten. Ersteren verteidigte die 8.,
letztere die 3. Kavalleriedivision des Korps Feldmarschalleutnant
v. Brudermann. Das XI. Korps in der Südbukowina blieb ziemlich
unbehelligt und hatte nur um die Höhe Capul bei Kirlibaba vom 14. Juli an
schwere Kämpfe zu bestehen, in welchen sich die anfangs August
endgültig obsiegenden Truppen der 40.
Honved-Infanteriedivision, Generalmajor v. Nagy, besonders
auszeichneten. Feldmarschalleutnant v. Habermann konnte seine 202.
Landsturmbrigade an die Verteidiger des Jablonica-Passes abgeben, die
allmählich in große Bedrängnis gerieten.
Die politische Bedeutung der an sich untergeordneten Offensive gegen die
nordöstlichen Eingangspforten Ungarns zwang die verbündeten
Heeresleitungen, dem Südflügel erhöhte Aufmerksamkeit
zuzuwenden. Der Gedanke lag nahe, die Leitung der an Truppen zwar nicht
starken, doch auf breiten Raum sich erstreckenden Front in den Karpathen dem
General der Kavallerie Freiherr v. Pflanzer-Baltin als alleinige Aufgabe zu
übertragen, wozu ihn seine bisherigen Erfolge in diesem schwierigen
Gelände besonders geeignet erscheinen ließen. Gleichzeitig tauchte
der Gedanke auf, durch eine Offensive beiderseits des Dnjestr einen wegen
Rumäniens sehr erwünschten gründlichen Umschwung am
Südflügel zu erzielen, die Initiative an sich zu reißen und die
russische Führung derart in Atem zu halten, daß ihr die Lust zu
weiteren, die Verbündeten zur Kräfte zersplitternden Flickarbeit an
der langen Front zwingenden Durchbruchsversuchen verging.
[238] In diese Frage spielten
auch gewisse Verstimmungen hinein, die sich der Allgemeinheit wegen des
unglücklichen Verlaufes des Feldzuges von Luck bemächtigt hatten.
Die Stellung des Armee-Oberkommandos Teschen war stark erschüttert
und die deutsche Oberste Heeresleitung, die bereits 16 Divisionen als
Verstärkung auf diesen Kriegsschauplatz geworfen hatte, machte Anspruch
auf erhöhte Einflußnahme. Falkenhayn schlug die Ernennung Mackensens zum Kommandanten der Front südlich des Pripjatj vor und, als
dies Widerstand fand, die Unterstellung der ganzen Ostfront unter Generalfeldmarschall
v. Hindenburg. Um diese Pläne zu
durchkreuzen, berief das Armee-Oberkommando den Thronfolger Erzherzog Karl
aus Tirol nach Galizien. Anfänglich zur Führung der
Durchbruchsarmee am Dnjestr bestimmt, sah er bald die Hoffnung schwinden,
daß genügend Streitmittel für ein neues Gorlice aufgebracht
werden könnten, denn die Ereignisse an der Front zehrten an den
mühselig herangebrachten Verstärkungen. Da griff Kaiser Wilhelm
mit dem Kompromißvorschlag in den noch immer wogenden Streit um die
Befehlsgewalt ein, das neuaufgestellte 12. Armeekommando, in welchem der
deutsche General v. Seeckt und der
österreichisch-ungarische Oberst Freiherr v. Waldstätten dem
Erzherzog beratend zur Seite standen, in ein Heeresgruppenkommando
umzuwandeln, Hindenburg aber die Front bis einschließlich der 2. Armee
zu unterstellen.
Der erste Teil des Vorschlages trat schon am 20. Juli in Kraft. Mittlerweile hatte
das aus Tirol herangezogene 3. Armeekommando, Generaloberst
v. Köveß, den Nordflügel der 7. als neue 3. Armee
übernommen, in welcher das I. Korpskommando, General Karl
v. Kirchbach, gleichfalls aus Tirol herangerollt, die bisherige Gruppe
Snjarić führte. Dem Erzherzog Karl wurden die 7., 3. und
Südarmee unterstellt.
Der 7. Armee war inzwischen von der Tiroler Front die 34. Infanteriedivision,
Feldmarschalleutnant Rudolf Krauß, zugekommen, von der je eine Brigade
die Verteidiger des Jablonica-Passes und des Quellgebietes des Cseremosz
verstärkte. Am 20. entschloß sich die deutsche Oberste
Heeresleitung, die 2. Jägerbrigade als Karpathenkorps, später 200.
Infanteriedivision, unter Generalleutnant v. Conta, bei
Pflanzer-Baltin einzusetzen, um diesen zu einem Offensivstoß zu
befähigen. Ursache dieses Entschlusses waren Nachrichten über den
bevorstehenden Beitritt Rumäniens zur Entente. Wenn auch diesen von
manchen Seiten wenig Glauben beigemessen wurde, schien es für alle
Fälle zweckmäßig zu sein, die Russen von der ungarischen
Grenze zurückzutreiben. Möglicherweise brachte ein Erfolg die
zögernde rumänische Regierung ins Schwanken. Gleichzeitig
verfügte das Armee-Oberkommando Teschen den Abtransport der bei
Kowel retablierten 11. Honved-Kavalleriedivision und der 61. Infanteriedivision
nach Nordsiebenbürgen.
Mittlerweile hatten sich ernste Ereignisse in der Mitte der Front zugetragen, da
Sacharows 11. Armee die Hauptrolle in den Julioperationen zu spielen [239] hatte. In der Nacht zum
16. Juli beantwortete der rechte Flügel der 11. Armee die Scheinangriffe
des Generals der Kavallerie v. d. Marwitz mit einem
mächtigen Vorstoß, der den Ostflügel, 48., 61.
Infanteriedivision, 7. Kavalleriedivision, unter großen Verlusten gegen die
Lipa zurückdrängte. Ein Gegenangriff deutscher Truppen blieb
vergeblich; die Gruppe mußte hinter den Fluß
zurückgenommen werden.
Am 16. begann eine heftige Beschießung, zunächst des rechten
Flügels der 1. Armee südöstlich Beresteczko. Unter ihrem
Eindruck berief Generaloberst v. Puhallo das altbewährte
deutschböhmische Infanterieregiment Nr. 42, das am 30. Juni
oberhalb der Lipamündung bei Werben den Styr überschritten und
eine brückenkopfartige Stellung im Vereine mit den Teschner
Schützen Nr. 31 gegen zahlreiche Angriffe gehalten hatte, in der
Nacht zum 17. Juli zurück.
Am 17. setzte wieder das heftige Bombardement ein. Der Versuch der Russen,
den linken Flügel der Gruppe Marwitz, der eine von Gorochow in
nordwestlicher Richtung zur 4. Armee verlaufende Stellung hielt, von Pustomity
her zurückzuwerfen, scheiterte. Als die Beschießung der 1. Armee
auch am 18. und 19. andauerte, suchte v. d. Marwitz durch Vorgehen
bis an die Niederung von Zwiniacze den offenbar von schwerem Angriff
bedrohten Nachbar zu entlasten. Doch schon hatte Sacharow starke Kräfte
zum Vorstoß gegen das vorspringende Frontstück am Styr oberhalb
der Mündung der Lipa bereitgestellt. Trotzdem Generaloberst
v. Puhallo hier verhältnismäßig starke Kräfte mit
der Verteidigung betraut hatte, kamen die Russen zu Mittag des 20. bei Werben
über den Styr, durchbrachen die 46. Schützendivision, warfen die
herbeieilenden Reserven über den Haufen und stießen mit einer
zweiten Gruppe abends auch zwischen der 46. Schützendivision und 7.
Infanteriedivision durch. Der linke Flügel der 1. Armee mußte den
ganzen Styrbogen bei Beresteczko und die Lipa bis Lobaczewka preisgeben.
Infolgedessen war auch die Zurücknahme der Mitte von Siestratyn ab hinter
die Tiefenlinie von Leszniow nötig. General v. d. Marwitz
schickte die 48. Infanteriedivision und 6 deutsche Bataillone dem geschlagenen
Armeeflügel zu Hilfe, Generaloberst
v. Böhm-Ermolli die halbe 33. Infanteriedivision der 2. Armee.
Schon hatte es den Anschein, als ob es mit dieser Niederlage bei Beresteczko sein
Bewenden haben, die neue Front halten würde; denn die
nachdrängenden Russen holten sich bei verschiedenen Teilangriffen blutige
Köpfe. Für den 25. Juli wurde eine Neuregelung der
Befehlsverhältnisse bei gleichzeitiger Auflösung des 1.
Armeekommandos angeordnet. Die Truppen westlich des Styr erhielten in
Generalleutnant v. Dieffenbach einen neuen Befehlshaber, der dem General
v. d. Marwitz unterstellt wurde; der rechte Flügel, XVIII.
Korps Czibulka, kam zur 2. Armee.
[240] Am selben 25. Juli
brachen zwei gewaltige Angriffe los, einer gegen die 25. Infanteriedivision,
Generalmajor v. Boog, in der neuen Stellung bei Leszniow, der andere
gegen die Gruppe Feldmarschalleutnant Kosak bei Radziwilow. Beide hatten
Erfolg. Erstere mußte in die Linie
Klekotow - Boldury und hinter die von dort zum Styr ziehende
Tiefenlinie, letztere, Radziwilow preisgebend, an die Reichsgrenze
zurückgehen. Am 26. leitete Sacharow einen groß angelegten Angriff
zwischen Radziwilow und dem Styr mit dem Ziele Brody ein. Ein
Nebenstoß galt der Front westlich des Styr. Letzterer wurde von der 48.
Infanteriedivision, Generalmajor Prinz Schwarzenberg, am frühen Morgen
gründlich abgefertigt. Der Hauptangriff jedoch zeitigte schwere, bis tief in
die Nacht währende Kämpfe, in die auch die eben von der
Isonzofront anlangende 106. Landsturm-Infanteriedivision, Generalmajor Kratky,
erfolgreich eingriff. Am 27. nahm die Schlacht ihren Fortgang. Bis 4 Uhr
nachmittags zerschellten alle russischen Anstürme. Ein neuerlicher
Massenstoß östlich der Straße
Leszniow - Brody brachte die entscheidende Wendung. Auch die
Schlacht bei Brody war verloren. Die geworfenen Truppen mußten die Stadt
preisgeben. Generaloberst v. Böhm-Ermolli führte die 2.
Armee am 28. Juli, an welchem Tage der Kampf abflaute, in eine neue Stellung,
die von Zalosce hinter dem oberen Sereth, dann in der Linie
Jasionow - Boldury an den Styr verlief.
Während der Schlacht bei Brody hatten die Russen nördlich des
Pripjatj wieder auf die Stellungen bei
Baranowiczy - Gorodiszcze gehämmert; am Tage ihres
Abschlusses ließ Brussilow Letschitzki gegen die 3., Schtscherbatschew
gegen die Südarmee und den Nordflügel gegen die Heeresgruppe
Linsingen vorstoßen.
Letschitzki richtete seine Anstrengungen vornehmlich gegen den
Nordflügel der 3. Armee zwischen Molodylow und dem Dnjestr,
drückte ihn im Treffen bei Chocimierz gleich am 28. ein Stück
zurück, wobei die Gruppe Generalleutnant v. Kraewel und der
Nordflügel Hadfys große Verluste erlitten. Wohl wiesen das I. und
VIII. Korps alle Angriffe ab, führte letzteres bei Delatyn sogar erfolgreiche
Gegenstöße; doch Hadfy und Kraewel wurden am 7. und 8. August
erst östlich, dann westlich Tlumacz wieder durchbrochen, dadurch der
Rückzug der ganzen Armee in eine Stellung erzwungen, die Stanislau
decken sollte. Die Erfolge der Russen gegen den Nordflügel (deutsche 119.
Infanteriedivision, k. u. k. 6. Kavalleriedivision) am 10. August
vereitelten auch diese Absicht; die 3. Armee mußte hinter die Bystrzyca
Solotwinska, Stanislau vor der Front lassend und bei Jezupol an den Dnjestr
anschließend. Wieder lag ein neuer Zugang nach Ungarn frei, der
Pantyrpaß.
Der Südflügel der Südarmee, dem Schtscherbatschews
Angriffe wieder galten, erwehrte sich dieser in heftigen Kämpfen, sah sich
aber infolge des Rückzuges der 3. Armee gezwungen, die Front immer
weiter abzubiegen und gegen [241] Westen zu
verlängern. Die Südarmee geriet in eine ganz unmögliche
Lage, weshalb Erzherzog Karl am 11. August die Zurücknahme in die Linie
Mariampol - Zawalow - mittlere
Zlota-Lipa - Tiefenlinie von Koniuchy - Zborow an der
Vereinigung der Strypaquellen anordnete.
Den wuchtigsten Angriff führte Brussilows in der Zwischenzeit
beträchtlich verstärkter Nordflügel gegen die Stochodfront:
Kaledins 8. Armee beiderseits der Straße
Luck - Wladimir Wolynskij gegen die 4. Armee; gegen den oberen
Stochod beiderseits der Bahn Rowno - Kowel und gegen das Knie
bei Kaszowka eine neu formierte Armeegruppe Bezobrazow, dabei die Garde; im
nördlich anschließenden Raume bis zum Pripjat die gleichfalls
neuformierte 3. Armee Ljesch. Die Anhäufung solcher Truppenmassen und
starker Artillerie vor der Stochodfront war den Verbündeten nicht
verborgen geblieben. Was der deutschen Ostfront an Truppen entnommen werden
konnte, rollte mit Bahn nach Kowel. Bis zum Beginn der Schlacht war die 121.
Infanteriedivision zur Hand, die 56. im Eintreffen; General der Infanterie
Litzmann übernahm den Befehl über den Südflügel der
4. Armee, der das deutsche X. Korps angegliedert wurde.
Am 28. Juli brach der große Sturm los, dessen Wucht sich zunächst
auf dem Südflügel in der Richtung Wladimir Wolynskij aussprach,
vermutlich um der Stochodstellung die Flanke abzugewinnen. Der Stoß
Kaledins traf die 4. Armee, Generaloberst v. Tersztyanszky. Gasbomben
bereiteten den Durchbruch vor. Die in die 70. Infanteriedivision geschlagene
Lücke benutzte Reiterei, um in den Rücken der Nachbardivisionen
zu gelangen. Trotzdem setzte sich die Armee bei Szelwow zum neuen
Widerstand. Auch beim deutschen X. Korps wurden Mitte und rechter
Flügel trotz Eingreifens der 121. Infanteriedivision hinter den Stochod
zurückgedrängt.
Am 29. schloß sich der Nordflügel der 11. Armee Sacharow dem
Angriff an, so daß die Schlacht bei Kowel auf der breiten Front vom Styr
nächst Beresteczko bis Stobychwa am Stochod tobte. Bleibenden Erfolg
erzielten die Russen im Stochodknie bei Kaszowka. Das II. Korps wurde
durchbrochen und ging in die Sehne des Bogens
Bol. Porsk - Sitowicze zurück. Ein Einbruch bei
Stobychwa konnte am 30. teilweise wieder gutgemacht werden, doch dauerte es
noch 5 Tage, bis die zum Gegenangriff angesetzte kombinierte Infanteriedivision
Clausius reinen Tisch machte. Die Gruppe Falkenhayn, die 4. Armee und
Bernhardi hatten sich am 31. Juli, 1. und 2. August heftiger Anstürme zu
erwehren; russische Garde und Turkestaner überboten einander an
Tapferkeit. Brennpunkte der Schlacht wurden Kisielin und die beiden
Bahnübersetzungen am Stochod.
Am 2. August übernahm Generalfeldmarschall v. Hindenburg in Brest
Litowsk entsprechend den am 27. und 28. Juli zu Pleß zustande
gekommenen Vereinbarungen beider Heeresleitungen den Oberbefehl über
die Ostfront von [242] der Ostsee bis
einschließlich der 2. Armee. Noch immer drängten die Russen trotz
großer Verluste und zahlreicher Mißerfolge gegen die Stochodfront
vor, während bei der 2. Armee bis auf schwächliche
Angriffsversuche nächst Brody Ruhe eingetreten zu sein schien. Die
deutsche 10. Landwehr-Infanteriedivision, die ursprünglich an Stelle der an
die deutsche Front abgegangenen k. u. k. 24. Infanteriedivision zur
3. Armee gelangen sollte, angesichts der Not bei Brody nach Lemberg abgelenkt
worden war, rollte nun zum Generaloberst v. Linsingen weiter. Diesen
sollte überdies das türkische XV. Korps verstärken, das sich
nach Annahme des Angebotes Enver Paschas, sich am Kampf an Rußlands
Ostfront zu beteiligen, bei Belgrad eben versammelte.
So viele Kräfte aber die Verbündeten allgemach auf diesem
Kriegsschauplatz aufwandten, kamen sie aus der undankbaren Rolle des
Verteidigers nicht heraus. Ihre Hoffnungen richteten sich deshalb auf den
Vorstoß Pflanzer-Baltins aus den Karpathen, den Generalleutnant
v. Contas Vorgehen im Quellgebiet des Czeremosz einleiten sollte. Er
begann am 3. August mit der Rückeroberung der Höhe Ludowa.
Bald zeigte es sich, daß die Ruhe vor der Front der 2. Armee eine
trügerische war. Sacharow hatte diese Tage benutzt, um starke Kräfte
bei Zalosce bereitzustellen, wo die vorspringende Front der inneren Flügel
der 2. und Südarmee zum Angriff einluden. Am 3. August vermochten die
Russen sich auf dem östlichen Serethufer zwischen Zalosce und Markopol
festzusetzen. Wohl gewann ein Gegenangriff am 5. Raum, doch warf ein
russischer Gegenstoß nachmittags die 14. Infanteriedivision, Generalmajor
Horvath, ein beträchtliches Stück zurück. Nun stürmten
die Russen am 6. und 7. auch gegen den Nordflügel der Südarmee
an, der sie indessen abwies, mit einigen Bataillonen auch helfend in den Kampf
bei Zalosce eingriff. Immerhin war dort die Lage bedrohlich genug, so daß
sich Generalfeldmarschall v. Hindenburg entschließen mußte,
die in Lemberg formierte deutsche 197. und die anrollende 195. Infanteriedivision
unter Führung des Generalleutnants v. Eben vor Zalosce
einzusetzen.
Während dieser Tage waren die Kämpfe in der Gegend von
Swiniuchy, Szelwow und Kisielin, dann am Stochod mit unverminderter
Heftigkeit fortgeführt worden. Von Offizieren mit Peitschen
vorwärts getrieben, fluteten die Russen in zahlreichen Wellen gegen die
Front der Verbündeten heran, vermochten aber in den oft in
Handgranatenkämpfen und Ringen Mann an Mann kulminierenden
Stürmen und Gegenstürmen keinen anhaltenden Erfolg zu erzielen.
Ihre Verluste waren ungemein hoch, namentlich die Garde litt sehr. Am 10. brach
hier die Angriffskraft zusammen. Nur in den Sanddünen südlich
Stobychwa, wo sich das sibirische I. Korps am 8. August festzusetzen vermochte,
errangen die Verbündeten erst am 20. die Oberhand.
War die Verteidigungsschlacht bei Kowel gewonnen, so löste am 11.
August der Rückzug der Süd- und 3. Armee neue Sorgen aus.
Generalleutnant v. Eben [243] mußte den
Südflügel der 2. Armee in die Gegend von Perepelniki
zurücknehmen. Die Russen drängten heftig nach, fielen auch die
nördlich anschließende Stellung, den Südflügel des V.
Korps Goglia, mit sibirischen Truppen an, die von Podkamien vorstießen.
Erst der 16. August machte mit einem sehr bewegten Ringen beim IV. Korps,
General der Infanterie v. Schmidt, wobei sich die oberungarischen
Infanterieregimenter Nr. 12 und 72 besonders auszeichneten, der Schlacht
bei Zalosce ein Ende.
Für Schtscherbatschew bildete der in zwei Nachtmärschen bis 13.
früh durchgeführte Rückzug der Südarmee das Signal
zu äußerster Kraftanstrengung. Es gab schwere
Nachhutkämpfe, und am 14. berannten die Russen bereits die ganze neue
Front. Horozanka, Brzezany und Koniuchy waren die Hauptkampffelder, wo den
Angreifern aber keine Erfolge blühten. Das türkische Korps wurde
bei der Südarmee eingesetzt und griff mit der 19. Infanteriedivision in den
Kampf bei Brzezany ein. Am 15. raffte sich Schtscherbatschew zu einem
nochmaligen Angriff gegen den Südflügel auf. Der verlustreiche und
ergebnislose Verlauf der Schlacht an der Zlota Lipa zwang ihn endlich, wieder
zum Stellungskrieg überzugehen. Letschitzki ließ der 3. Armee nach
seinem Siege bei Stanislau Ruhe. Die 44. Schützendivision konnte an den
Isonzo, die schwache 51. Honved-Infanteriedivision nach Siebenbürgen
abrollen. Als Ersatz diente das deutsche XXIV. Reservekorps, dessen
Befehlshaber General der Infanterie v. Gerok das Kommando über
den Nordflügel der Armee übernahm.
Die Offensive in den Karpathen kam äußerst langsam
vorwärts. Sie führte durch sehr schwieriges Gelände. Die
Russen waren mittlerweile mit dem Gebirgskriege vertraut geworden und
schlugen sich mit einem religiösen Fanatismus, der physischer Vernichtung
bedurfte, gegen moralische Eindrücke unempfindlich blieb. Vermutlich
wäre es besser gewesen, wenn die Vorrückung die im Jahre 1915
bewährten Operationseinrichtungen eingeschlagen hätte; doch drang
Pflanzer-Baltins Ansicht nicht durch, was schließlich zum Rücktritt
dieses tatkräftigen Generals führte.
Bis 7. August kam die Gruppe Conta nach Jablonica im Tale des Weißen
Czeremosz, blieb aber hier stecken. Seit 5. war auch die Gruppe
Feldmarschalleutnant Rudolf Krauß auf dem
Jablonica-Paß aus der Verteidigung zum Angriff übergegangen,
lockte aber bald so viele Reserven Letschitzkis herbei, daß die Fortschritte
am 9. mit der Besitznahme des Raumes um Worochta ein Ende fanden. Am 10.
setzte Conta seinen Angriff im Cseremosztale fort, während die ihm
unterstellte 40. Honved-Infanteriedivision und die eben in Kirlibaba eintreffende
deutsche 1. Infanteriedivision das obere Suczawatal gewinnen sollten. Zum
Unglück setzte trübes Wetter ein, das die Mitwirkung der Artillerie
tagelang ausschloß. War eine befestigte Höhe mit Mühe und
Opfern erstürmt, so erstanden gleich in der Nachbarschaft einige
ähnliche Berg- [244] festungen. Die
Offensive mußte am 19. angesichts der zunehmenden Stärke des
immer angriffslustiger werdenden Feindes eingestellt werden.
Am 14. war die Gruppe Krauß wieder auf die Paßstellungen
zurückgedrängt. Die mittlerweile retablierte 3. Kavalleriedivision
eilte zur Hilfe herbei, mußte aber sogleich eine Brigade auf den
Pantyrpaß abzweigen, gegen den die Russen vom 16. an vorzudringen
begannen. Am 18. verlor die 202. Landsturmbrigade südöstlich des
Jablonica-Passes die Höhen Kostrzyca und Kukul und klammerte sich zur
Not an den ungarischen Grenzrücken Czernahora an. Eiligst wurde die
deutsche 2. Radfahrbrigade von der 3. Armee zur Unterstützung
herangezogen, dem I. Korpskommando, General der Kavallerie Freiherr
v. Kirchbach, die Leitung der Kämpfe beim
Jablonica-Paß übertragen. Die sogleich eingeleitete Wiedereroberung
der Paßstellung erzielte wenig Erfolg. Bald zwangen Notschreie von
anderen Teilen der Front zur Abgabe von Truppen. Die Russen brachen zwischen
den Flügelgruppen Contas durch und trieben am 22. August die
Landstürmler letzten Aufgebotes, die mit schwacher Postenkette die
Verbindung halten sollten, vom Tomnatik gegen die ungarische Grenze. So
mußte die Radfahrbrigade mit Bahn in das Vissotal geworfen werden. Ehe
sie ankam, war die Lage wiederhergestellt, doch sahen sich die Verteidiger des
Pantyrpasses immer mehr gegen die Grenzhöhen
zurückgedrängt, so daß ihnen auch die 2. Brigade der 3.
Kavalleriedivision und die Radfahrer zu Hilfe geschickt werden
mußten.
Fortwährende Kämpfe gab es beim Korps Conta, Abwehr russischer
Angriffe, dazwischen Erstürmung russischer Stellungen. An Waffentaten
reich und dem Feinde viele Verluste zufügend, war die Offensive der 7.
Armee doch nur eine örtliche Episode, die auf die lange Front ohne
Einfluß blieb. An dieser spielten sich im allgemeinen nur
Vorfeldkämpfe ab, in denen die Initiative meist von den Verbündeten
ausging, die den Russen allzu nahes Festsetzen verleideten.
Größere Kämpfe fanden nur am Südflügel der 2.
Armee und bei der Gruppe Hauer statt. Bei ersterem nahmen die Russen am 21.
nach langem blutigen Ringen dem IV. und V. Korps ein Grabenstück von
etwa 300 m Länge ab, das ihnen Generalleutnant v. Eben erst
am 24. zu entreißen vermochte. Bei Hauer wurde die 9. Kavalleriedivision
am 18. aus ihren Stellungen bei Rudka Czerwiszcze verdrängt. Trotz des
sofort eingeleiteten Gegenangriffes der Infanteriedivision Clausius und der
bayerischen Reiter gewannen die Russen eine brückenkopfartige Stellung
mit etwa 2 km Halbmesser. Ein größerer Gewinn war ihnen
jedoch in den viertägigen Kämpfen nicht beschieden. Sie erlitten bei
ihren Stürmen ungemein hohe Verluste, namentlich in der Gegend von
Tobol. In der Abwehr zeichnete sich neben den Bayern das Dragonerregiment
Nr. 1 besonders aus.
Diese vereinzelten Vorstöße der Russen, keinem großen
einheitlichen Gedanken, sondern vermutlich dem Tatendrang von
Unterführern entsprungen, [245] die scheinbar
günstige Gelegenheiten auszunutzen strebten, bestärkten in dem sich
seit Mitte August vertiefenden Eindruck, daß sich Brussilows große
Offensive endlich tot gelaufen habe. Der Feldzug von Luck war zu Ende. Die
Verbündeten hatten wenig Ursache, mit seinem Verlaufe zufrieden zu sein.
Wohl war das russische Heer, trotz der vielfach beobachteten Minderwertigkeit
der neueingestellten Soldaten, an Geist, technischer Ausrüstung und
Reichtum an Vorsorgen für die Kampfbedürfnisse das Beste, das
Rußland je ins Feld gestellt; wohl stieg es von rund 50 Divisionen bei
Feldzugsbeginn bis August auf nahe an 100, zur mächtigsten Woge
östlicher Fluten, die Mitteleuropa seit vorgeschichtlicher Zeit so oft
bedrohten: dennoch kam man über die Tatsache schwer hinweg, daß
Brussilow anfangs eine gleichstarke Streitkraft - 50
Divisionen - in der Verteidigung gegenüberstand und daß es
erst nach längerer Zeit und beträchtlicher Raumeinbuße mit
Hilfe von 32 auf den Kriegsschauplatz geworfenen Divisionen gelang, den
Einbrüchen einen festen Damm entgegenzusetzen. In der Lage der
Mittelmächte wog es schwer, ein solches Machtaufgebot auf dem
russischen Kriegsschauplatz einen kostbaren Sommer hindurch einsetzen zu
müssen, ohne einen positiven Erfolg zu erzielen. Dem größten
Teile der Front wurde beständig die undankbare Rolle des Verteidigers
aufgebürdet, die den Truppen den Lohn tagelanger Standhaftigkeit und
heldenhafter Opfer durch den unglückseligen Zufall einer trüben
Stunde allzu leicht entgleiten läßt.
Für die österreichisch-ungarische Armee barg diese undankbare
Rolle erhöhte Gefahren in sich, weil die Widerstandskraft jener, die wegen
Stammesverwandtschaft nur mit halbem Herzen gegen die Russen im Felde
standen, allzu harten Prüfungen unterworfen wurde. Um so höher
sind die Leistungen zu veranschlagen, die von der Mehrzahl der Truppen in drei
Monaten Verteidigungskampfes gegen eine gewaltige, auf voller technischer
Höhe stehende Artillerie und eine fanatisierte Infanterie vollbracht wurden,
deren Verwendung sich immer mehr in den asiatischen Formen
rücksichtslosen Masseneinsatzes gefiel.
Die großen Menschenopfer, die Brussilow seinen militärischen
Zielen darbrachte, als ihm Olyka - Luck und Okna unbegrenzte
Möglichkeiten kriegsentscheidender Erfolge zu eröffnen schienen,
blieben vergeblich. Der politische Zweck hingegen wurde vollständig
erreicht, den Mittelmächten einen neuen Feind auf den Hals zu hetzen,
denn jeder erfochtene Sieg, so engbegrenzt auch seine Auswirkung bleiben
mochte, stärkte den Kriegswillen in Bukarest.
Rumäniens Eintritt in den Krieg zog die Berufung des Generalfeldmarschalls
v. Hindenburg an Stelle Falkenhayns in die deutsche
Oberste Heeresleitung nach sich. Das Kommando der Ostfront übernahm Generalfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern. Schon Falkenhayn hatte immer
heftiger nach Festsetzung deutscher Oberherrschaft in der Heeresführung
gedrängt. Hinden- [246] burg und sein erster
Generalquartiermeister Generalleutnant Ludendorff nahmen den Gedanken sofort
auf, für den Bulgaren und Türken bereits gewonnen waren. Das
Widerstreben des Armee-Oberkommandos Teschen brach die Entscheidung des
Kaisers Franz Josef, der die als richtig erkannten sachlichen Gründe allen
Prestigerücksichten und Empfindlichkeiten voranzustellen befahl. So kam
es schon am 6. September zur Vereinbarung und Errichtung der Obersten
Kriegsleitung über alle Feldarmeen der Verbündeten. Am 13.
September trat sie in Kraft.
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