Bd. 2: Der deutsche Landkrieg, Zweiter Teil:
Vom Frühjahr 1915 bis zum Winter 1916/1917
Kapitel 5: Die deutschen Abwehrkämpfe im
Westen 1915 (Forts.)
Generalleutnant William Balck
3. Die Argonnenkämpfe.12
Die Verteidigung der zwischen Aisne, ihrem rechten Zuflusse, der Biesme, und
der Aire liegenden Argonnen gab der französischen Landesverteidigung die
Möglichkeit, die für die Verteidigung von Verdun wichtige
Eisenbahn von Chalons über
St. Ménéhould - Clermont nach der Festung in
Betrieb zu halten; für die deutsche Heerführung war ein erfolgreicher
Angriff auf Verdun nur unter Abschluß des Waffenplatzes gegen Westen
möglich. In diesem unwegsamen, von Norden nach Süden etwa 40,
von Ost nach West etwa 15 km breiten Bergwalde gab es nur einige
Ansiedlungen, Wohnstätten für Holzarbeiter und zeitweilig für
Jäger. Der Wald selbst befand sich in dem, allen französischen
Forsten eigentümlichen, verwahrlosten, urwaldähnlichen Zustande.
Zwischen einzelnen starken Stämmen stand ein Gewirr von Stangenholz
und Sträuchern, untermischt mit Ginster, Farren und Ranken aller Art, die
zusammen ein auch im Schritt nur schwer zu überwindendes Hindernis
bildeten und jede Übersicht verhinderten. Einige wenige Teile der
Argonnen haben Kahlschlag von Friedenszeiten her. [247] An den Stellen, an
denen längere Zeit gekämpft wurde, war schließlich
außer Baumstümpfen und abgestorbenem Gestrüpp vom
Walde nichts mehr zu sehen. Steingeröll und abgeschossene Bäume
und Äste bedeckten dort den Boden und erschwerten das
Vorwärtskommen.
[247]
Skizze 9: Zu den Argonnenkämpfen.
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Eine weitere Schwierigkeit des Geländes besteht in der Zerklüftung
durch viele tiefe und steile Schluchten, die in verschiedenen Richtungen verlaufen
und [248] in denen sich oft kleine
Wasserläufe hinschlängeln. Eine Anzahl Schluchten und Mulden war
auf den zur Verfügung stehenden Karten gar nicht, falsch oder nur
unvollkommen zur Darstellung gebracht, so daß man bei
Vorstößen in den Wald hinein in dieser Beziehung stets auf
Überraschungen gefaßt sein mußte. Da die feindliche Artillerie
vielfach nach der Karte auf vermutete Lager und Artilleriestellungen schoß,
waren auf der Karte nichtverzeichnete Mulden und Täler lange Zeit von
ihrem Feuer verschont geblieben. Erst die immer stärker einsetzende
Fliegeraufklärung des Gegners, gegen die besonders im Walde eine der
Umgebung angepaßte Bedeckung aller künstlichen Anlagen
unbedingt notwendig wurde, zog schließlich das feindliche Artilleriefeuer
überall hin. Ein planloses Ausholzen des Waldes in der Nähe der
vorderen Stellungen, der Lager, der Wege und der Bahnstrecken, wie es anfangs
vorkam, hat sich stets gerächt.
Seit dem Herbst 1914 standen hier unter dem General der Infanterie
v. Mudra auf dem rechten Flügel (in Anlehnung rechts an die 9.
Landwehr-Division) die 27. (württembergische)
Infanterie-Division und links anschließend das XVI. Armeekorps, mit der
33. Infanterie-Division im Walde, links anschließend in östlicher
Richtung die 2. Landwehr-Division und das VI. Reservekorps. Im Kleinkrieg hatten sich die
deutschen Truppen bis auf Sturmentfernung an den Feind herangearbeitet; bei den
Württembergern waren auf 1200 m Tiefe 14 Stellungen
hintereinander entstanden. Nach Erlöschen der Kämpfe im Februar
um La Harazée und namentlich um das burgartig hochgelegene
Vauquois13 war es in den Argonnen still
geworden. An Stelle der zahlreichen "wilden" verlustreichen, kleineren Angriffe
sollten jetzt sorgfältig vorbereitete, größere Schläge
treten. Die Eigenart des Waldes brachte es mit sich, daß mehr als im
offenen Gelände die getrennte Aufstellung der Geschütze die Regel
wurde, daß das Arbeiten mit Meßtrupps sich sehr schnell
einbürgerte, daß die Minenwerfer besondere Bedeutung gewannen.
Die Infanterie hatte mehr, als es sonst der Fall war, zusammenzubleiben. Auf
französischer Seite
(Korps-Hauptquartier Clermont) stand das V. Korps zu drei Divisionen und links
anschließend das aus Flandern herangezogene XXXII. Korps
(Korps-Hauptquartier Hans).
[249]
Skizze 10: Französische Stellung in den Argonnen
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Der Franzose zeigte sich als ein zäher und verschlagener Gegner, der sich
dem Gelände gut anpaßte und im Ausbau seiner Stellungen viel
Fleiß und Geschicklichkeit entwickelte. Er zeigte besondere Gewandtheit
im Bau von Flankierungsanlagen, verdeckten Maschinengewehrständen,
Blockhäusern usw. und in der Ausnützung jeder
Beobachtungsmöglichkeit. Wenn seine Gräben nach
gründlicher Vorbereitung durch Artillerie und Minenwerfer sturmreif
gemacht waren, war es nicht schwer, sie ihm zu entreißen. Wurden aber
einzelne Stellen vom Feuer nicht gefaßt, so hielt er diese Punkte mit
großer Zähigkeit fest. Die [249] französischen
Gefechtsstellungen bestanden im Bois de Grurie aus einzelnen
Stützpunkten, die durch Schützengräben verbunden waren. Sie
lagen nördlich der Straßenverbindung
Servon - Bagatelle
Pavillon - Varennes am linken Ufer des
Charmes-Baches, führten über die
"Rheinbaben-Höhe" nach Süden in Richtung auf le Four de Paris und
bogen dann nach Osten in Richtung auf Fille morte (285).
An der von Binarville nach Vienne le Château führenden
Straße war das Gelände übersichtlich, der Wald ziemlich licht
und zudem im Lauf der Zeit derartig zerschossen, daß hier die in drei
Terrassen übereinander liegenden französischen Gräben
deutlich zu sehen waren. Der vorderste Graben war etwa hundert Schritt von der
deutschen Stellung entfernt. Weiter nach Osten wurde der Wald
außerordentlich dicht, Dorngestrüpp und dickes Unterholz bedeckten
den Boden, man konnte kaum zehn Schritt weit sehen. Die deutsche und
französische Kampfstellung war hier durch ein kleines Tal getrennt, dessen
Sohle nicht einzusehen war. Auf der ganzen Front dieses Abschnitts hatten
Patrouillen fest- [250] gestellt, daß die
Franzosen im Talgrund ein 30 m breites Hindernis angelegt hatten,
bestehend aus einem Gewirr von Stacheldraht, einer Wand aus Drahtmaschen und
einem breiten Wassergraben. Jenseits dieses Hindernisses auf halbem Hang
befand sich im dichten Unterholz die französische Hauptstellung, mehrere
hintereinander liegende Gräben mit starken Eindeckungen,
Blockhäusern und Maschinengewehrständen. Außerdem hatte
der Feind diesseits des Drahthindernisses in Postenlöchern und einzelnen
Sappenköpfen kleinere Abteilungen bis nahe an die deutsche Stellung
vorgeschoben.
Der im Walde beabsichtigte Angriff war zuerst mit den Württembergern,
dann mit dem XVI. Armeekorps geplant. Am 20. Juni fiel die um 4 Uhr
vormittags einsetzende Artillerievorbereitung mit einer Ablösung in den
französischen Gräben zusammen, so daß es an Zielen
für die Artillerie nicht fehlte. Nach gewaltiger Steigerung der
Feuergeschwindigkeit um 8 Uhr 30 Minuten begann nach Vorverlegen des Feuers
der Sturm der 54.
Infanterie-Division, Infanterie-Regiment 120 gegen Larberdère und
Infanterie-Regiment 127 an der Dieusson-Schlucht. Der Angriff hatte Erfolg,
wenn er auch beim
Infanterie-Regiment 127 recht verlustreich war.14
In den Tagen vom 21. bis 29. Juni machten die Franzosen fast täglich
Versuche zur Wiedereroberung ihrer Stellungen. Sie überschütteten
die deutschen Truppen in den neu eroberten Gräben Tag und Nacht mit
einem Hagel von Granaten und Minen, setzten ihre Infanterie immer wieder zum
Gegenangriff an, übergossen am 28. und 29. Juni mehrere Gräben
mit einer brennenden, ätzenden Flüssigkeit, alles vergebens; die am
20. Juni gewonnenen Stellungen blieben fest in der Hand der Deutschen.
Am 30. Juni wurde der Angriff nach dreieinhalbstündiger
Feuervorbereitung unter flankierender Mitwirkung der rechten Brigade
weitergeführt. Zwei auf nächste Entfernung vorgezogene
Feldgeschütze brachen den letzten Widerstand des Feindes. Am Abend des
29. Juni waren die letzten Vorbereitungen beendet. In gleicher Weise wie am 20.
Juni begann bei Tagesgrauen das Feuer der Artillerie. Diesmal waren die
Verhältnisse günstiger für das Sturmreifmachen der
feindlichen Stellungen; die Werke Central, Cimetière, Bagatelle und die
Stützpunkte auf der Eselsnase, dem Storchnest und der
Rheinbaben-Höhe lagen offen da, der Wald war in dieser ganzen Gegend
unter dem monatelangen Geschoßhagel fast völlig verschwunden. Ein
großer Teil der französischen Gräben wurde vollständig
eingeebnet, Unterstände und Blockhäuser lagen voll von Toten,
mehrere
Handgranaten- und Minenlager flogen in die Luft, Minenstollen und unterirdische
Unterkunftsräume wurden verschüttet und begruben ihre Insassen
unter den Trümmern. Trotz dieser schwierigen Lage hielten die
Besatzungen der vordersten [251] französischen
Gräben stand; wer nicht fiel, blieb auf seinem Platze am Maschinengewehr
oder an der Schießscharte bis zum allerletzten Augenblick, bis die
Deutschen im Graben waren und nur noch die Wahl zwischen dem Tod oder der
Gefangennahme blieb.
Nach der letzten, äußersten Feuersteigerung begann am 30. Juni um 8
Uhr 45 Minuten vormittags der Sturm mit umgehängtem Gewehr, in der
Rechten einige Handgranaten, in der Linken den Schutzschild, vor Mund und
Nase eine Maske zum Schutz gegen das giftige Gas der französischen
Stinkbomben. Der Sturm gelang: in kaum einer halben Stunde war das ganze
Central- und Cimetière-Werk genommen. Eine Kompagnie des
Infanterie-Regiments 124 stürmte noch weiter über die zweite Linie
hinaus und folgte den weichenden Franzosen bis hinab auf den in das
Biesme-Tal abfallenden Berghang, mußte dann aber
zurückgenommen werden. Ebenso schnell war die erste und zweite Linie
des Bagatelle-Werks - der sogenannte "schwarze" und "rote"
Graben -, das Storchennest und die Stellung am Osthang der Eselsnase in
deutschem Besitz. Wertvolle Unterstützung leisteten die
Maschinengewehre des Königs-Infanterie-Regiments 145.
Hinter dem Bagatelle-Werk machten die stürmenden Truppen vor einer
neuen starken Stellung des Feindes, dem "grünen Graben", vorläufig
halt. Hier wurde der Wald wieder lichter. Auf der ganzen Front wurde die
vorübergehende Gefechtspause zum eiligsten Ausbau der neugewonnenen
Linie und zum Nachführen von Maschinengewehren und Munition benutzt.
Zu dieser Zeit griffen nun auch die auf der
Rheinbaben-Höhe und weiter südlich auf dem
St. Hubert-Rücken liegenden deutschen
Truppen - zum Teil aus freiem Entschluß - den Feind an.
Dasselbe geschah nachmittags auf dem rechten Flügel der Angriffstruppe.
Die Franzosen setzten sich mit Zähigkeit und Widerstandskraft zur Wehr.
Besonders heftig entbrannte der Kampf am Südwesthang der
Rheinbaben-Höhe auf dem
St. Huberts-Rücken. Hier gingen am späten Nachmittag die
Franzosen mehrmals zum Gegenangriff über.
So wurde es Abend, und langsam kam der heiße Kampf zum
Abschluß. Nur am
St. Huberts-Rücken dauerte das Gefecht bis in die Dunkelheit. Auf
den übrigen Teilen der Front trat bald völlige Ruhe ein. Die
Franzosen - 42. Infanterie-Division - sammelten die Trümmer
ihrer völlig zerrissenen und durcheinander gewirbelten Verbände; in
fieberhafter Eile gruben sie sich während der Nacht ein, wo sie lagen. Sie
richteten mit allen Mitteln den schon vorher stark befestigten "grünen
Graben" zum äußersten Widerstande her.
In der Nacht zum 1. Juli gelang es den deutschen Patrouillen, alle Einzelheiten der
neuen feindlichen Stellung und der Hindernisse, die am Tage im dichten Wald
nicht zu sehen waren, zu erkunden. Der "grüne Graben" war mit einem
10 m breiten Drahthindernis und einer großen Anzahl
Blockhäuser versehen. In der Erkenntnis, daß der "grüne
Graben" ohne nachhaltige
Feuer- [252] vorbereitung noch
nicht sturmreif war, wurde der für den 1. Juli geplante Angriff auf den 2.
Juli verschoben. Am 1. Juli kam es auf der ganzen Front nur zu kleinen
Einzelkämpfen, die zu keinem neuen Ergebnis führten. Im
übrigen wurde der Tag mit dem Ausbau der neuen Stellung, dem Bergen
der Leichen und dem Heranschaffen von Wasser und Lebensmitteln
hingebracht.
Am Vormittag des 2. Juli wiederholte sich gegen den "grünen Graben" und
die französischen Stellungen ein ähnliches Massenfeuer der
deutschen Artillerie und Minenwerfer wie am 30. Juni. Um 5 Uhr nachmittags
brachen dann Teile der
Infanterie-Regimenter 30 und 173 zum Sturm gegen die feindlichen
Stützpunkte am Hang der
Rheinbaben-Höhe und auf dem
St. Hubert-Rücken los und warfen den Feind auf der ganzen Linie
aus seiner vordersten Stellung. Bis 7 Uhr 30 Minuten abends war kein Franzose
mehr auf der Rheinbaben-Höhe. Der Kampf dauerte auf diesem Teil des Gefechts bis
spät in die Nacht.
Um den berüchtigten "grünen Graben" von rückwärts
angreifen und dort einen beträchtlichen Teil der feindlichen Kräfte
einkesseln zu können, durchbrach um 5 Uhr 30 Minuten nachmittags Major
Freiherr v. Lupin mit seiner Kampfgruppe die feindlichen Stellungen in
Richtung auf das Wegekreuz nördlich von Harazée. Inzwischen
schwenkten hinter den württembergischen Grenadieren zwei weitere
Bataillone nach Osten ein, faßten den "grünen Graben" im
Rücken und rollten ihn auf. Alles, was sich von den Franzosen noch in den
Lagern am Wegekreuz befand, stürzte jetzt in planloser Verwirrung nach
vorn in den "grünen Graben", in den gerade in diesem Augenblick von
Nordosten und Osten her die 67er und 145er eindrangen. Von allen Seiten
völlig eingeschlossen, gab sich der größte Teil der Besatzung
gefangen.
Langsam wurde es Abend. Auf der ganzen Front im Bois de la Grurie war der
große Sturm glänzend geglückt. Nachdem mit dem
"grünen Graben" auch das letzte Bollwerk gefallen war, schoben sich die
deutschen Truppen ohne weiteren Widerstand vor. Mit Einbruch der Dunkelheit
trat vollkommene Ruhe ein. In der neuen Linie wurde eifrig am Ausbau der
Gräben gearbeitet!
Erst nach mehreren Tagen ließ sich die Beute dieser Kampftage vom 30.
Juni bis 2. Juli überblicken: 37 Offiziere, darunter ein Major und vier
Hauptleute, 2519 Mann von dreieinhalb verschiedenen Divisionen, 28
Maschinengewehre, mehr als 100 Minenwerfer, eine Revolverkanone,
annähernd 5000 Gewehre, mehr als 30 000 Handgranaten, mehrere
Pionierparks und Munitionsdepots, voll von Waffen, Munition und
Kampfgerät aller Art fielen in deutsche Hand. Bis zum 8. Juli wurden etwa
1600 gefallene Franzosen beerdigt. Rechnet man die Gefangenen vom 20. Juni bis
2. Juli auf rund 3200, die Toten und nicht aufgefundenen Verschütteten auf
2000, so ergibt sich mit der geschätzten Zahl der Verwundeten als
Gesamtsumme der französischen Verluste während dieses
Kampfabschnitts 8000 Mann.
Die militärische Bedeutung des Erfolges lag im Gewinn einer
günstigen, [253]
überhöhenden Stellung, in der Größe der feindlichen
Verluste und im Festhalten starker französischer Kräfte, die nach
Aussage von Gefangenen zum Teil bereits zum Abtransport und zur Verwendung
an anderen Stellen der Heeresfront bereit gehalten worden waren.
Die überraschende Wegnahme der französischen Befestigungen im
westlichen Teil der Argonnen veranlaßte den französischen General
Sarrail zur Vorbereitung eines breiten Angriffs mit acht Divisionen des V. und
XXXII. Armeekorps, der zuerst am 11. erfolgen sollte, dann auf den 14., den
französischen Nationalfeiertag, verschoben wurde, um die vorspringende
Ecke der deutschen Stellung am
Meurisson-Bach (rechter Nebenfluß der Biesme) einzudrücken. Dem
französischen Angriff kam ein wohldurchdachter deutscher Angriff am 13.
Juli zuvor. So war aber auch eine deutsche Überraschung nicht
möglich. Die französischen Kampfstellungen waren stark besetzt, die
Artillerie war mit einer außergewöhnlich großen Menge
Munition ausgerüstet.
Die französischen Stellungen nordöstlich, nördlich und
nordwestlich von der Höhe 285, der Fille morte, auf dem Riegel, der
Volante und dem in die Vallée des Courtes Chausses vorspringenden
Bergnase lagen durchschnittlich 40 Schritte, an manchen Stellen auch nur 20
Schritte von den deutschen Stellungen entfernt. Da auf dieser ganzen Front das
Gelände im allgemeinen von Süden nach Norden abfällt, von
der Höhe 285 nach Nordosten in das Osson-Tal, von La Fille morte in den
Meurisson-Grund, weiter westlich in ein Seitental der Vallée des Courtes
Chausses, hatten die Franzosen den Vorteil der besseren Beobachtung und
infolgedessen des freieren Schußfeldes gegen die deutschen Stellungen und
rückwärtigen Verbindungswege. In den Tälern des Osson, der
Cheppe, des Meurisson, der Vallée des Courtes Chausses und auf den in
diese Schluchten abfallenden Berghängen war der kurzstämmige
Waldbestand mit außerordentlich dichtem Unterholz und
Dorngestrüpp durchwachsen. Auf den Höhen wurde der Wald
lichter, der Boden war von Farnkräutern und hohem Gras bedeckt; hier war
im übrigen, ebenso wie drüben im Bois de la Grurie (Westargonnen),
während der langen Kampfmonate fast der ganze Waldbestand vom
Infanterie- und Artilleriefeuer weggefegt. Die französischen Stellungen auf
diesen Höhen bestanden aus mehreren hintereinander liegenden, 2 bis
3 m tief in den Boden eingeschnittenen, stark ausgebauten
Schützengräben, die durch ein vielfach verzweigtes Netz von
Verbindungsgräben untereinander und mit den auf den Höhen 285
und der Fille morte gelegenen Reservestellungen verbunden waren. Der deutsche
Angriff sollte nach stärkster Artillerievorbereitung (von 4 Uhr 30 Minuten
vormittags ab) zunächst auf dem linken Flügel der 66.
Infanterie-Brigade, dann um 11 Uhr 30 Minuten auf der ganzen Front gegen die
Fille morte umfassend aufgenommen werden.15
[254] Kurz vor dem Sturm
wurden die feindlichen Drahthindernisse gesprengt, aber trotzdem bot das
Überwinden der Hindernisse immer noch Schwierigkeiten, als um 8 Uhr
der Teilsturm begann. Um 11 Uhr erfolgte der allgemeine Sturm. Aufenthalt
bereiteten die hinter den Schützengräben liegenden
Blockhäuser, deren Widerstandskraft nur durch in die Scharten
hineingeworfene Handgranaten gebrochen werden konnte. Die 3. Kompagnie des
Jäger-Bataillons 6 stürmte über die Höhe hinaus vor,
nahm vier leichte und ein schweres Geschütz. Vergeblich versuchten die
Jäger, ihre Beute zurückzuschaffen. So mußten sie sich damit
begnügen, mit Äxten, Spaten, Beilpicken und anderem Gerät
die Richtvorrichtungen, Verschlüsse und Untergestelle der
Geschütze kurz und klein zu schlagen, um wenigstens die preisgegebene
Beute in zerstörtem, unbrauchbarem Zustand dem Feinde zu
überlassen. Im letzten Augenblick stopften noch schnell der Jäger
Wistoba und der Oberjäger Broll von vorne in die Rohre zweier
Geschütze je eine Handgranate und zerstörten durch deren Explosion
die Laderäume und andere Teile. Broll schleuderte eine weitere
Handgranate in das in der Nähe befindliche Munitionslager, das mit
gewaltigem Krach in die Luft
flog - und dann ging's marsch, marsch zurück zum Bataillone, denn
jede Minute längeren Zögerns hätte die Tollkühnen den
heranrückenden französischen Reserven in die Hände
geliefert. An einer anderen Stelle hatten die Jäger in aller Eile einen starken
Motor, der zum Betrieb der in den Minenstollen führenden
Preßluftleitungen diente, gründlich zerschlagen und zerstört.
Dies alles hatte sich in kaum mehr als zwei Stunden
abgespielt. - In der gleichen Zeit war auch auf anderen Teilen der
Kampffront ein voller, glänzender Erfolg errungen worden. Ganz besonders
hatte das I. Bataillon des
Infanterie-Regiments 135 unter Führung des Hauptmanns Wegner bei der
Erstürmung der Fille Morte Hervorragendes geleistet. Das Bataillon hatte
von der schwarzen Kuppe aus angegriffen und mußte zunächst einen
außergewöhnlich stark ausgebauten Stützpunkt des Feindes,
die sogenannte "Steinfestung", erstürmen. Das schnelle Gelingen dieses
Angriffs war zum großen Teil dem Leutnant der Reserve Breithaupt der 2.
Kompagnie zu verdanken, der mit seinem Zuge durch eine geschickte Umgehung
durch den Meurisson-Grund den Feind von hinten fassen und abschneiden konnte. An
einzelnen Stellen auf der Volante wehrten sich die Franzosen mit verzweifelter
Zähigkeit. Den tapferen deutschen Truppen war es hier nicht immer
möglich, von einer Stellung zur anderen über den gewachsenen
Boden vorwärts zu stürmen; sie mußten sich Schritt für
Schritt durch das Gewirr von Sappen und Verbindungsgräben vorarbeiten.
Am Ausgange eines solchen Grabens hatte sich ein französischer Offizier
aufgestellt, der jeden Deutschen, sobald er sich am anderen Ende zeigte,
abschoß. Ein Soldat kniete [255] neben ihm mit einem
zweiten Gewehr, das er immer wieder nach jedem Schuß seinem Leutnant
geladen reichte. Erst nach längerer Zeit gelang es einem deutschen Offizier,
durch eine wohlgezielte Handgranate diesen zähen, heldenmütigen
Kämpfer aus dem Wege zu räumen.
Auf dem anderen Flügel, östlich der Römerstraße, hatte
der Angriff anfangs nur geringe Fortschritte gemacht, bis es einzelnen
Kampftruppen gelang, den Feind von der Flanke aus anzugreifen. Gleichzeitig
durchbrach an einer weiter östlich gelegenen Stelle die 1. Kompagnie
Infanterie-Regiments 130 die feindliche Linie und drang in einige
Blockhäuser ein, in denen viele Gefangene, ein Maschinengewehr, drei
Eselskanonen und zwei Revolverkanonen erbeutet wurden.
Gegen die Höhe 285 unternahmen die Franzosen am Nachmittag mehrere
Gegenangriffe, die aber von den 144ern und 6. Jägern abgewiesen
wurden.
Nach all den Anstrengungen und Aufregungen des Kampftages herrschte bei den
tapferen Truppen jubelnde, begeisterte, stolze Siegesfreude.
Auf der gesamten Front hatten die deutschen Truppen in heißem Ringen des
13. Juli die ihnen gesteckten Ziele voll und ganz erreicht. Die Höhenlinie
285 - La Fille Morte - war fest in deutschem Besitz. Der Feind hatte
64 Offiziere, mehr als 3400 Mann als Gefangene, 2
Gebirgs- und 2 Revolverkanonen, 34 Maschinengewehre, 51 Minenwerfer, 5
Bronzemörser und eine unübersehbare Menge Munition, Waffen und
Gerät in Händen des Siegers gelassen.
In den Argonnenkämpfen vom 20. Juni bis 13. Juli wurden 116 Offiziere
und über 7000 Mann gefangengenommen, mehr als 4000 tote Franzosen
gezählt, die Anzahl der Verwundeten war auf mindestens 5000 bis 6000 zu
schätzen. Daraus ergab sich als Ziffer der gesamten französischen
Verluste in diesem Abschnitt rund 16 000 bis 17 000 Mann.
Am nächsten Tage konnte der von französischen Gefangenen
verratene Gegenangriff von vier Divisionen (40., 42., 106., 128.), zum Teil der
Hauptreserve von Toul entnommen, von der 27.
Infanterie-Division blutig abgewiesen werden. Das XVI. Armeekorps wurde
überhaupt nicht angegriffen. Ernster war der Kampf für die 9.
Landwehr-Division; hier bedurfte es erst des Einsatzes von Reserven, um die
Franzosen aus der alten Stellung der Division zu vertreiben.
Am 11. August nahm die württembergische Brigade das Martinswerk; am
8. September wurden im schweren Kampfe noch die Höhen von
Harazée genommen, doch wußten sich die Franzosen noch auf dem
rechten Ufer der Biesme zu behaupten. Eine weitere Fortsetzung des Angriffs
wurde deutscherseits nicht vorgenommen, die schönen Tage des
Spätherbstes zum Ausbau des erbeuteten Geländes als
Winterstellung benutzt. Am 8. Dezember wurde die 27.
Infanterie-Division durch die 25. Reserve-Division abgelöst und nach
Flandern abtransportiert. Wenn auch gegen Jahreswende die
Weiterführung [256] des Angriffs
über den Südrand des Waldes hinaus ernstlich erwogen wurde, so war
die Zeit für große Offensivunternehmungen in den Argonnen vorbei.
Der Kleinkrieg wurde weitergeführt, auch nahm der Minenkrieg einen
wenig erfreulichen Umfang an. Am 12. August 1916 wurde das XVI. Armeekorps
aus den Argonnen herausgezogen und zunächst vor Verdun, dann vom
Februar 1917 ab wieder in den Argonnen eingesetzt.
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