Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915
Kapitel 1: Die politischen Grundlagen für die
Entschlüsse
der Obersten Heeresleitung bei Kriegsbeginn (Forts.)
Generalmajor Wilhelm v. Dommes
6. Politische Grundlagen für
die Verwendung der Flotte.
Auf Grund des englisch-französischen Flottenabkommens von 1912 war
die Masse der französischen Flotte im Mittelmeer versammelt. Den Schutz
der französischen Nordküste hatte die englische Flotte
übernommen. Es standen sich also im Mittelmeer zunächst
Österreicher und Franzosen gegenüber, während die deutsche
Flotte in der
Nord- und Ostsee die starke englische Flotte und die russische Ostseeflotte als
überlegene Gegner hatte.
Eine zahlenmäßige Gegenüberstellung der
Seestreitkräfte ergibt nebenstehende [Scriptorium: nachfolgende] Tabelle.
Hauptaufgabe der deutschen Flotte war Gewährleistung der Sicherheit der
deutschen Küsten. Die Erfüllung dieser Aufgabe hat die englische
Flotte ihr nicht streitig zu machen gewagt. Auf die langgestreckte deutsche
Küste von Memel bis zur Ems ist kein Kanonenschuß abgefeuert
worden.30 Durch Beherrschung der Ostsee
sicherte die Flotte die Zufuhr von Waren aus den nordischen Staaten. Da England
angesichts der intakten deutschen Flotte nicht zur engen Blockade
übergehen konnte, blieb
es - und das ist von besonderer
Wichtigkeit - den Niederlanden und den nordischen Staaten möglich,
trotz aller englischen Drohungen in ihrer neutralen Haltung zu verharren.
Es war zu erwägen, ob die ersten operativen Ziele der Flotte weiter gesteckt
werden konnten.
[35]
Stärkevergleich der Seemächte31
(Nach dem Stande vom Mai 1914.) |
|
Linien-
schiffe |
Panzer-
kreuzer |
Unter
1 und 2:
Groß-
kampf-
schiffe |
Küsten-
panzer-
schiffe |
Ge-
schützte
Kreuzer |
Große
Tor-
pedo-
boote |
Kleine
Tor-
pedo-
boote |
U-Boote |
|
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
8 |
|
|
Fertige Schiffe: |
England |
60 |
43 |
29 |
--- |
73 |
256 |
33 |
77 |
Frankreich |
24 |
22 |
1032 |
--- |
12 |
84 |
150 |
55 |
Rußland (Baltische und
Schwarzmeerflotte) |
12 |
6 |
--- |
--- |
8 |
103 |
22 |
28 |
|
Zusammen: |
96 |
71 |
39 |
--- |
93 |
443 |
205 |
160 |
|
Italien |
17 |
10 |
432 |
--- |
11 |
63 |
58 |
20 |
|
Deutschland |
35 |
13 |
17 |
8 |
41 |
149 |
70 |
28 |
Österreich-Ungarn |
15 |
3 |
332 |
--- |
9 |
33 |
53 |
6 |
|
Zusammen: |
50 |
16 |
20 |
8 |
50 |
182 |
123 |
34 |
|
|
Im Bau befindliche Schiffe: |
England |
16 |
1 |
17 |
--- |
21 |
30 |
--- |
28 |
Frankreich |
12 |
--- |
12 |
--- |
3 |
3 |
--- |
20 |
Rußland (Baltische und
Schwarzmeerflotte) |
8 |
4 |
12 |
--- |
8 |
40 |
--- |
22 |
|
Zusammen: |
36 |
5 |
41 |
--- |
32 |
73 |
--- |
70 |
|
Italien |
6 |
--- |
6 |
--- |
2 |
40 |
2 |
30 |
|
Deutschland |
7 |
4 |
11 |
--- |
6 |
17 |
--- |
6 |
Österreich-Ungarn |
5 |
--- |
5 |
--- |
5 |
25 |
--- |
6 |
|
Zusammen: |
12 |
4 |
16 |
--- |
11 |
42 |
--- |
12 |
|
[36] Trotz der erheblichen
zahlenmäßigen Unterlegenheit sprachen politische Rücksichten
für den Angriff. Der Eindruck eines Seesieges über die englische
Flotte auf Freund und Feind war kaum hoch genug einzuschätzen. Die
Vorbedingungen für ihn schienen nicht ungünstig. Man konnte sogar
hoffen, daß in den ersten Kriegstagen das Zahlenverhältnis sich ein
wenig zugunsten Deutschlands ausgleichen werde, weil Teile der englischen
Flotte zur Deckung der Truppentransporte nach dem Festlande benötigt
wurden. Natürlich konnte es sich nicht darum handeln, unter allen
Umständen und an jedem Orte anzugreifen. Die Initiative mußte man
sich aber wahren, sonst lief man die größere Gefahr, nämlich
die, unter Bedingungen, die man nicht wünschte, zur Schlacht gezwungen
zu werden.
Es ist bezeichnend für die hohe Einschätzung der deutschen Flotte
seitens der Engländer, daß diese es nicht versucht haben, die Schlacht
herbeizuführen.
Bei Ausbruch des Krieges war allerdings zu bedenken, daß die englische
Flotte nach ihrer "Probemobilmachung" nicht wieder demobilisiert worden und
daher kriegsbereit versammelt war. Die deutsche Flotte war dagegen, um ja nicht
der Kriegsvorbereitungen verdächtigt werden zu können, nach
Rückkehr aus den nordlichen Gewässern auf die
Ost- und Nordseestationen verteilt. Sie mußte unter ungünstigen
Verhältnissen erst wieder zusammengezogen werden.
Auf Grund aller Erwägungen kam die deutsche Seekriegsleitung zu dem
Entschluß, den Chef der Nordseeflotte anzuweisen, gegen England sich
vorläufig auf den Kleinkrieg zu beschränken, bis eine solche
Schwächung des Gegners erzielt sei, daß man zum Angriff
übergehen könne. Eine gute Aussicht auf Erfolg sollte
natürlich ausgenutzt werden.
Eine solche hat sich leider nicht geboten. Ebensowenig ist die Hoffnung der
deutschen Flotte Wirklichkeit geworden, daß die Engländer angreifen
würden und es demzufolge zu einer Schlacht in den deutschen
Gewässern kommen müsse. Das Ergebnis der Skagerrakschlacht
läßt den Schluß zu, daß die in sorgfältiger
Friedensarbeit geschulte, vortrefflich ausgerüstete deutsche Flotte die Probe
bestanden haben würde.
7. Die deutschen Kolonien.
Seit das Deutsche Reich
Kolonien gründete, war man sich darüber
klar, daß ihre unmittelbare Verteidigung im Kriegsfalle nicht möglich
war. Sie mußten auf sich selbst angewiesen bleiben. Die Entscheidung
über die Kolonien konnte nur auf dem europäischen
Kriegsschauplatz fallen.
Für die afrikanischen
Kolonien glaubte die deutsche Regierung auf das
Inkrafttreten der
Kongo-Akte vom 26. Februar 1885 rechnen zu können. Nach ihr sollten die
Kolonien der beteiligten Mächte (darunter Deutschland, England,
Frankreich, Belgien) "für die Dauer des Krieges den Gesetzen der
Neutralität unterstellt und so betrachtet werden, als ob sie einem nicht
kriegführenden Staate angehörten." Auf Grund dieser Annahme
drahtete das Reichs-Kolonialamt den [37] afrikanischen Kolonien, daß sie sich
außer Kriegsgefahr befänden. England sowie später Frankreich
und Belgien hielten sich jedoch an das Abkommen nicht gebunden.
Den Kolonien standen schwere Zeiten bevor. Die Heimat konnte ihren
Kämpfen nur zusehen. Ihre Lage mußte um so schwieriger werden,
als sie nach Unterbrechung der Kabelverbindungen von der Heimat
gänzlich abgeschnitten waren.
Wie glänzend unter den widrigsten Umständen das Deutschtum in
den Kolonien sich bewährt hat, soll auch hier hervorgehoben werden.
(S. Band 4, Kolonialkrieg.)
8. Einfluß der politischen Rücksichten
auf die operativen Entschlüsse bis Frühjahr
1915.
Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt, daß die deutschen
Land- und Seestreitkräfte, die 1914 ins Feld zogen, die besten der Welt
waren. Die mächtige Kriegsmaschine, von Preußens Königen
geschaffen, war in ernster Friedensarbeit auf das sorgfältigste ausgebildet.
Der Geist, der
alle - vom Armeeführer bis zum letzten
Trainsoldaten - durchglühte, war unvergleichlich. Er hatte seine
Wurzel in der Heimat, die durchdrungen davon war, daß es sich in dem
freventlich aufgezwungenen Kriege um nichts Geringeres handelte, als um Sein
oder Nichtsein des deutschen Volkes. Dieses gesunde vaterländische
Empfinden war so stark und so elementar, daß die sozialdemokratischen
Führer nicht wagten, sich ihm entgegenzustellen, sondern es für gut
hielten, mit dem Strome zu schwimmen. Mit diesem Instrument konnte die
Oberste Heeresleitung das Höchste wagen.
Die Operationen selbst werden an anderer Stelle behandelt. Hier soll versucht
werden, den Einfluß zu kennzeichnen, den politische Erwägungen
des ersten Halbjahres des Krieges auf sie gehabt haben.
Westlicher Kriegsschauplatz.
Die deutschen Anfangsoperationen nahmen den geplanten Verlauf. Die
Heranführung der englischen Expeditionsarmee an den französischen
linken Heeresflügel vereinfachte die deutsche Führung. Das
Ausweichen der belgischen Armee nach Antwerpen und das Festsetzen dort,
unterstützt von britischen Kräften, bedeutete für sie in
gewisser
Weise eine Erschwerung, war aber keine Überraschung. Aus der
ursprünglichen Absicht des Vormarsches mit starkem rechten Flügel
um den Drehpunkt Metz bildete sich bald der Versuch doppelseitiger Umfassung
heraus, rechts an Paris vorbei, links über Meurthe, obere Mosel und Maas.
Da der linke Heeresflügel diese starken Abschnitte nicht zu
überwinden vermochte, konnten die Franzosen erhebliche Teile ihres
rechten Flügels mit der Eisenbahn nach Paris [38] führen. Von dort griffen sie den rechten
Flügel des deutschen Heeres an, das durch die Auswirkungen der
20tägigen Märsche und Kämpfe, durch die
Abbeförderung zweier Armeekorps nach dem Osten und durch
Abzweigung des Angriffskorps auf Antwerpen geschwächt war. Es kam zu
dem schweren Ringen an der Marne.
Trotzdem es gelungen war, in harten Kämpfen alle Angriffe abzuweisen,
traten gegen der Willen der Obersten Heeresleitung die Armeen des rechten
Flügels den Rückzug hinter die Aisne an. Dadurch war die Lage der
in der Mitte kämpfenden Armeen, die in weit vorspringendem Bogen bis
Fère
Champenoise - Vitry-le-François standen, unhaltbar
geworden. Die Oberste Heeresleitung mußte auch sie
zurücknehmen.
Mitte September stand das deutsche Westheer mit der Masse in der allgemeinen
Linie
Noyon - Reims - Pont-à-Mousson. Die Oberste
Heeresleitung mußte sich entscheiden, ob die Armeen ihren Rückzug
weiter fortsetzen sollten, um durch Lösung der unmittelbaren
Gefechtsberührung mit dem Feinde wieder völlige Operationsfreiheit
zu gewinnen. Die Notwendigkeit für jede der beiden Heeresleitungen,
durch Umfassung des feindlichen Westflügels die Entscheidung zu
erzwingen, lag klar zutage. Für die Franzosen war es das am
nächsten liegende Mittel, den Feind aus Frankreich zu vertreiben. Für
die Deutschen bedeutete es die Wiederaufnahme und Durchführung des
ursprünglichen Operationsplanes. Beide
Aufgaben - das Ansetzen eigener und die Abwehr feindlicher
Umfassungsbewegungen - wären bei weiterer Zurücknahme
der Front deutscherseits nicht leichter zu lösen gewesen. Durch eine solche
Zurücknahme würde die deutsche Heeresleitung aber auch die
Möglichkeit aus der Hand gegeben haben, sich der französischen
Nordseehäfen zu bemächtigen. Das durfte sie nicht. Wäre es
den Deutschen gelungen, sich in den Besitz von Dünkirchen, Calais und
Boulogne zu setzen, so hätte nicht nur die Verbindung zwischen England
und Frankreich und damit die gemeinsame Kriegführung eine große
Erschwerung erfahren; Deutschland hätte außerdem eine Flottenbasis
gewonnen, die seiner Seekriegführung glänzende Aussichten
eröffnete.
Gegen ein weiteres Zurückverlegen der Front fiel aber vor allem der
Eindruck ins Gewicht, der von einem erneuten Zurückgehen beim Feinde,
in der Heimat und bei den Neutralen erwartet und nach den nach der
Marneschlacht soeben gemachten Erfahrungen sehr ernst veranschlagt werden
mußte. Es erschien sogar fraglich, ob man in einer solchen Lage mit der
Aufrechterhaltung der holländischen Neutralität unbedingt
würde rechnen können. Auch war die moralische Wirkung auf den
österreichisch-ungarischen Bundesgenossen zu berücksichtigen, der
dringend Hilfe forderte.
Die deutsche Heeresleitung entschloß sich daher, in der erreichten Linie
haltzumachen und den etwaigen Angriff der Franzosen und Engländer
anzunehmen. Hierzu zog sie weitere Kräfte des linken Flügels aus
Lothringen heran und führte sie aus der Gegend von St. Quentin sowie
weiter nördlich über Lille nach Westen [39] vor. In harten Kämpfen gelang es Ende
September/Anfang Oktober die feindlichen Umfassungsversuche abzuwehren;
aber es gelang nicht, die eigenen zu verwirklichen. Mitte Oktober drohte die Lage
wieder kritisch zu werden, als die Franzosen und Engländer mit namhaften
Kräften gegen die Yser vorrückten. Hätten die Deutschen statt
des erhofften Gewinns der französischen Nordseehäfen die
belgischen verloren, so würde das für die ganze weitere
Kriegführung die schwerwiegendsten Folgen gehabt haben. Abgesehen von
allen anderen Nachteilen wäre zum Beispiel im weiteren Verlauf des
Krieges ohne den Besitz der flandrischen Häfen der als Antwort auf die
Hungerblockade in Vorbereitung befindliche Einsatz von Unterseebooten und
Flugzeugen nicht möglich gewesen.
Es wurde daher eine zum großen
Teil aus Neuformationen gebildete Armee gegen den Raum zwischen Küste
und Menin vorgeführt. Nachdem es ihr in langen schweren Kämpfen
gelungen war, den Feind fast überall an und über die Yser
zurückzuwerfen, verhinderten Überschwemmungen, die die Belgier
im Küstenstrich anlegten, die Ausnützung der schon errungene
Erfolge. Die Hoffnung, eine große operative Entscheidung
herbeiführen zu können, erfüllte sich nicht. Man mußte
sich damit begnügen, den Feind abgewehrt und eine feste Verbindung
zwischen der Küste und dem bisherigen rechten Flügel geschaffen zu
haben. Die deutsche Westfront war damit von der flandrischen Küste bis
zur Schweiz sicher festgelegt, aber gleichzeitig erstarrt.
Östlicher Kriegsschauplatz.
Auf dem östlichen Kriegsschauplatz hatte nach anfänglichen
Mißerfolgen gegenüber stark überlegenen russischen
Streitkräften in der Gegend von Gumbinnen, General
v. Hindenburg mit
seinem Generalstabschef General Ludendorff Ende August 1914 den
glänzenden Sieg bei Tannenberg
erstritten. Kurz darauf hatte er in der
Schlacht an den Masurischen
Seen die russische
Njemen-Armee geschlagen. Nur am äußersten Rande
Ostpreußens hielten die Russen sich noch.
Weniger erfreulich hatte sich die Lage beim
österreichisch-ungarischen Heere entwickelt. Sofort bei Kriegsbeginn war
die Unzulänglichkeit der
österreichisch-ungarischen Rüstungen zutage getreten. Mangel an
Waffen und Munition hatte sich geltend gemacht; ihm hatte deutscherseits
sogleich abgeholfen werden können. Auf dem galizischen Kriegsschauplatz
hatte sich das
österreichisch-ungarische Heer nach anfänglichen Angriffserfolgen
in Polen in den Schlachten um Lemberg Ende August und Anfang September
gegen die fast um das Doppelte überlegenen Russen (rund 367 000
Österreicher und Ungarn gegen 652 000 Russen)33 tapfer gewehrt. Schließlich war
es der Übermacht erlegen. Mitte September mußte es sogar den
San-Abschnitt, hinter dem es gehofft hatte, sich halten zu können,
räumen. Drängten die Russen scharf nach, so konnte die Lage
[40] kritisch werden. Es entstand die Gefahr nicht
nur, daß weitere erhebliche Teile der Donaumonarchie erobert, nicht nur,
daß Oberschlesien mit seinen für Deutschland unersetzlichen
Hilfsquellen bedroht wurde. Fast größer noch war die Gefahr,
daß in dem losen Gefüge der Donamonarchie Unruchen ausbrechen
und daß die Hoffnung, die Balkanstaaten und die Türkei zum
Anschluß an die Mittelmächte zu bewegen, scheitern
würde.
Es war also ohne weiteres klar, daß dem Bundesgenossen die schnellste und
ausgiebigste Unterstützung gewährt werden müsse.
Der zur Bindung russischer Kräfte gegebenenfalls in Aussicht gestellte
deutsche Vorstoß gegen den Narew hatte sich infolge des sofort nach
Kriegsausbruch einsetzenden Angriffs zweier rusischer Armeen nach
Ostpreußen hinein nicht ausführen lassen. Nach dem Sinne der
Vereinbarungen war er auch nicht nötig, denn das deutsche Ostheer band
genügend starke russische Kräfte und zog sie von der
österreichischen Front fort. Nichtsdestoweniger ist es zu verstehen,
daß die nach Entlastung ausschauende
österreichisch-ungarische Heeresleitung sich immer wieder auf ihn berief,
und daß ihre Wünsche immer dringender wurden. Um die
Waffenbrüderschaft zum Ausdruck zu bringen, hatte sie einige
österreichische schwere Batterien dem deutschen Westheer zugeteilt, die
bei Namur, Maubeuge usw. tapfer mitkämpften. Jetzt sah man die
deutschen Heere tief nach Frankreich hinein vordringen, in Ostpreußen
glänzende Siege erfechten und fühlte sich nicht genügend
unterstützt. Daß
diese - versteckt erhobenen - Vorwürfe unbegründet
waren, änderte nichts an ihrem Bestehen. Man war so durchdrungen von
Deutschlands Stärke, daß man alles von ihm erwarten zu
können glaubte.
Es war ein ernstes Verhängnis, daß Mitte September, als die Not in
Galizien am größten wurde, die deutsche Heeresleitung infolge des
Rückschlags an der Marne selbst in schwierige Lage gekommen war.
Nichtsdestoweniger wurde ohne Zaudern Hilfe gebracht; allerdings konnte das
nicht in der ursprünglich beabsichtigten Form des Antransports starker
Kräfte von der Westfront geschehen.
Am nächsten hätte es gelegen, diese Unterstützung durch
rücksichtslose Verfolgung der geschlagenen russischen
Njemen-Armee zu leisten. Zu einer derartigen Operation tief nach Rußland
hinein waren aber die zur Verfügung stehenden Kräfte zu schwach.
Auch mußte es fraglich erscheinen, ob ihre Auswirkung in absehbarer Zeit
in Galizien die notwendige Entlastung bringen würde. Die deutsche
Heeresleitung entsprach daher dem Wunsche des Chefs der
österreichisch-ungarischen Heeresleitung, des Generals v. Conrad, die Hilfe
durch den unmittelbaren Anschluß an das
österreichisch-ungarische Heer zu führen. Die Armee Hindenburg
wurde nach Oberschlesien befördert und trat von dort gleichzeitig mit dem
österreichisch-ungarischen Heere den Vormarsch an. Es gelang, die Russen
über die Weichsel zurückzuwerfen. Als aber bei Iwangorod der
österreichische linke Flügel eingedrückt wurde, dem deutschen
linken Flügel aus dem Waffenplatz [41] Warschau Umfassung mit starken Kräften
drohte, mußte auf die weitere Durchführung der Offensive verzichtet
werden. Die deutschen und
österreichisch-ungarischen Armeen wichen auf die
schlesisch-galizische Grenze zurück; erneut drohte ernste Gefahr durch die
folgenden russischen Massen.
In meisterhafter Operation wurde die Armee Hindenburg in breiter Front nach
Schlesien zurückgenommen, von dort sofort mit der Eisenbahn in die
ungefähre Linie
Wreschen - Thorn verschoben und Mitte November von neuem zum
Angriff vorgeführt. Trotz glänzender Anfangserfolge gelang es nicht,
eine große Entscheidung zu erzielen. An der
Pilica- und Rawka-Linie mußten die Operationen eingestellt werden.
Immerhin war viel erreicht. Die Versuche, Deutschland mit der russischen
Dampfwalze zu erdrücken, waren endgültig gescheitert. Dem
österreichisch-ungarischen Waffenbruder war vorübergehend
Entlastung gebracht.
Schon bald aber schufen die Ereignisse auf dem
österreichisch-ungarischen Kriegsschauplatz neue Sorgen. Die politischen
Rücksichten auf den unterlegenen Bundesgenossen beeinflußten
abermals die militärischen Entschließungen. Während der
vorstehend erwähnten Kämpfe in Polen brach eine Operation, die die
Österreicher zur Niederwerfung Serbiens eingeleitet hatten,
vollständig zusammen. In Auflösung wurden die
österreichisch-ungarischen Truppen über die Save
zurückgeworfen. Die Bedeutung dieses Mißerfolges ging über
die örtlichen Folgen weit hinaus. Das Ansehen der Donaumonarchie bei
den Balkanstaaten hatte einen argen Stoß erlitten. Die Verhältnisse
wurden um so schwieriger, als um die Jahreswende 1914/15 in den Karpathen der
russische Druck erneut stärker einsetzte. Die Gefahr eines russischen
Einbruchs nach Ungarn hinein wurde drohend. Ihre Rückwirkung auf die
Haltung Italiens und Rumäniens gegenüber den
kriegführenden Parteien wurde sofort fühlbar. Ein wiederholter
Mißerfolg hätte ihren Anschluß an die Entente bewirkt. Es
mußte etwas geschehen, sollte nicht für
Österreich-Ungarn die Lage einen Charakter annehmen, der für die
Gesamtkriegshandlung nicht zu ertragen gewesen wäre. In gemeinsamer
Beratung des deutschen und des
österreichisch-ungarischen Generalstabschefs und des Chefs des deutschen
Oberkommandos Ost wurde festgelegt, daß es dringendstes Bedürfnis
sei, durch Einschieben deutscher Verbände die Karpathenfront zu
stützen. Dann sollten die beiden Flügel des russischen
Heeres - am Njemen und in Galizien - gleichzeitig angegriffen
werden. Hierzu wurden dem Oberbefehlshaber Ost vier in Deutschland neu
aufgestellte Armeekorps zur Verfügung gestellt. Anfang Februar setzten in
Nord und Süd die Angriffe ein. Im Norden führten sie zu den
deutschen Siegen der Winterschlacht in Masuren. In den Karpathen arbeiteten sich
deutsche und
österreichisch-ungarische Truppen den Unbilden des Gebirgswinters zum
Trotz in heldenmütiger zäher Tapferkeit vor. Der Zweck, den die
doppelseitige Angriffsoperation in erster Linie verfolgte: die Entlastung des
österreichisch-ungarischen Heeres, wurde erreicht. Den Erfolg zu einem
den
Feld- [42] zug entscheidenden auszubauen, gelang nicht.
Zahlenverhältnis und Witterung standen dem entgegen.
Eine nicht zu unterschätzende Hilfe für die Durchführung
dieser Operationen war es, daß es trotz der österreichischen
Niederlagen gelungen war, den Anschluß Italiens an die Entente noch
hinauszuschieben. Deutschland und
Österreich-Ungarn waren gewillt, für die Aufrechterhaltung der
Neutralität ihres ungetreuen Bundesgenossen jedes erträgliche Opfer
zu bringen. Naturgemäß lagen diese Opfer in erster Linie in
"Kompensationen", die Österreich zur Last fielen. Gegen einen dauerhaften
Erfolg sprach allerdings die Erfahrung, daß man noch nie einen Erpresser
durch Abschlagszahlungen losgeworden ist. Auf den Rat Deutschlands hin
erklärte sich Österreich gleichwohl
bereit - wenn auch nach schweren inneren
Kämpfen - die Opfer zu bringen.
Ob es nach dem Ausgang der Marne-Schlacht überhaupt möglich
war, Italien für immer vom Übertritt in das feindliche Lager
abzuhalten, ist eine schwer zu beantwortende Frage. In der Lage, in der
Österreich-Ungarn sich befand, war aber der Zeitgewinn schon von hoher
Bedeutung. Nachdem im Frühjahr 1915 die russische Gefahr abgewendet
war, konnte man der Auseinandersetzung mit dem neuen Feinde mit sehr viel
größerer Ruhe entgegengehen.
Die Frage des unbeschränkten
Unterseebootkrieges.
In der zielbewußten Absicht, den Entscheidungskrieg gegen Deutschland
mit allen Mitteln durchzuführen, hatte England sich über einengende
Bestimmungen des Völkerrechts ohne Skrupel hinweggesetzt. Der
Aushungerungskrieg, der durch Erklärung der Nordsee zum Kriegsgebiet
gegen Frauen, Kinder und Greise eingeleitet und unter Nichtachtung aller Rechte
der nur schwach protestierenden Neutralen durchgeführt wurde, die
Bestimmungen über Konterbande und das jeder Menschlichkeit Hohn
sprechende Verhalten gegen alle deutschen Reichsangehörigen, deren die
Ententemächte habhaft werden konnten, verstießen gegen jedes
Völkerrecht.
Gegen diese Kriegsmaßnahmen hatte Deutschland nur eine Waffe. Nur das
Unterseeboot konnte die Blockade brechen. Es war die einzige Waffe, die
Deutschlands Feinde da zu treffen vermochte, wo sie am verwundbarsten waren:
in dem Nachschub, der ihnen die schier unerschöpflichen Hilfsmittel fast
der ganzen Welt zuführte. Durch energischen Einsatz der Unterseeboote
konnte weiter die deutsche Seekriegsleitung hoffen, die
Truppen- und Materialtransporte, die dem französischen Kriegsschauplatz
zustrebten, zum Teil zu unterbinden. Voraussetzung für einen
durchschlagenden Erfolg war allerdings die Durchführung des
Unterseebootkrieges ohne Einschränkung.
Die Möglichkeit, daß der Unterseeboot zu Verwicklung mit neutralen
Staaten, namentlich mit Amerika, führen könne, war nicht von der
Hand zu weisen, da ihre Bewegungsfreiheit in den Gewässern um England
noch mehr [43] eingeschränkt werden mußte, als auf
Grund der internationalen Abmachungen selbst nach Ausspruch der Blockade
zulässig gewesen wäre. Zu einer formellen Blockadeerklärung
aber fehlten die Voraussetzungen für ihre Durchführbarkeit.
Überdies war die Unterseebootwaffe in jenen durch die Technik
überholten Vereinbarungen gar nicht berücksichtigt.
Es wäre hiernach dem deutschen Volke gegenüber nicht zu
verantworten gewesen, auf ein Kriegsmittel zu verzichten, das zur Erzwingung
des erhofften Sieges wesentlich beitragen konnte und vom Standpunkte des
Völkerrechts nicht zu beanstanden war.
Ausschlaggebend für die Entscheidung war die Frage, ob die zu
erwartenden Erfolge aufgehoben werden könnten dadurch, daß sie
neutrale Staaten, vor allem Amerika, zum Anschluß an Deutschlands Feinde
veranlaßten. Zunächst fehlte zu letzter Annahme jeder Anlaß.
Zu den offenbaren Völkerrechtsverletzungen Englands hatten alle
Neutralen geschwiegen und sich höchstens auf zahme Proteste
beschränkt. Es war nicht einzusehen, weshalb sie zu berechtigten und durch
die Notwehr gebotenen Maßnahmen Deutschlands eine andere Stellung
einnehmen sollten.
Steuerten aber die Vereinigten Staaten auf einen Bruch mit Deutschland hin, so
war der Unterseebootkrieg höchstens der Vorwand, ihn
herbeizuführen. In diesem Falle konnte man hoffen, daß er seine
Wirkung getan haben würde, bevor das Eingreifen Amerikas sich
fühlbar machte.
Die Eröffnung des deutschen Unterseebootkrieges war an sich ein
Ausfluß der Kommandogewalt. Die Frage griff aber derart in das politische
Gebiet über, daß sie ohne Mitwirkung der politischen Leitung nicht
gelöst werden konnte. So ist sie auch in Deutschland aufgefaßt
worden. Nach Anhörung der verantwortlichen Stellen entschied der Kaiser
im Sinne der Durchführung des unbeschränkten
Unterseebootkrieges.
Nicht nur in der Frage des Unterseebootkrieges griffen politische und
militärische Leitung ineinander über. Der kurze Überblick
über die Vorgeschichte des Krieges und das erste Kriegshalbjahr zeigt,
daß - abseits von den eigentlichen
Kämpfen - politische und militärische Entscheidungen kaum
zu trennen waren. Überall zeigte sich die Wahrheit des Wortes, daß
der Krieg nichts ist als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
Sollen nicht wieder gut zu machende Fehler vermieden werden, so müssen
politische und militärische Leitung immer Hand in Hand arbeiten. Es ist
nicht zu leugnen, daß in
Deutschland - vor allem in der
Kriegsvorbereitung - in dieser Beziehung die notwendige Einheitlichkeit zu
wünschen übrig ließ. Auch in den operativen Vereinbarungen
zwischen den Heeresleitungen Deutschlands und
Österreich-Ungarns war zu wenig geschehen. Allerorten rächte es
sich, daß
Deutsch- [44] land, um nur ja nicht kriegerischer Absichten
geziehen zu werden, sogar die Vorbereitungen für den Verteidigungskrieg
empfindlich vernachlässigt hatte.
Immerhin konnte im Frühjahr 1915, am Schlusse des ersten
Kriegshalbjahres, die allgemeine politische und militärische Lage
Deutschlands als durchaus befriedigend angesehen werden.
Die hochfliegenden Erwartungen, mit denen Deutschlands Söhne
einmütig in den ihnen freventlich aufgezwungenen Krieg um Deutschlands
Sein oder Nichtsein gezogen waren, hatten sich nicht erfüllt. Das
Unglück an der Marne hatte sie zerschlagen und zugleich das Kriegsende
unabsehbar hinausgeschoben. Es war bitterer Ernst geworden. Aber der Ernst
hatte die deutsche Volkskraft gestählt. Die Versuche der
Ententemächte, durch konzentrischen Angriff mit ihrer ungeheuren
Übermacht Deutschland zu erdrücken, waren an allen Stellen
zusammengebrochen. Die deutsche Westfront stand. Im Osten hatten die
deutschen Streitkräfte die Russen überall geschlagen. Wo beim
verbündeten
österreichisch-ungarischen Heere Not
eintrat - deutsches Eingreifen wendete stets die Lage und brachte oft
namhafte Erfolge. Deutsche fochten an den Rändern des türkischen
Reiches. Die Kraft des deutschen Volkes, die in harten Heldenkämpfen
gestrafft war, schien unüberwindlich.
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