Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915
Kapitel 5:
Der Sommerfeldzug in Ostpreußen 1914
(Forts.)
Oberst Rudolf Frantz
3. Die Rettung
Ostpreußens. (Forts.)
[320] Die Schlacht an den Masurischen
Seen.
Die zweite Schlacht bei Tannenberg
hatte die russische
Narew-Armee von Ostpreußens Boden hinweggefegt. Noch aber stand
Feind im Lande, die Armee Rennenkampfs,
von der es nun galt, das deutsche
Gebiet zu befreien. Während der Kämpfe der letzten Tage
hatten ferner die Meldungen nicht aufgehört, nach denen sich
russische Streitkräfte westlich der Weichsel sammelten, die auch
bereits den Vormarsch gegen die nur schwach geschützte Grenze
Posens und Schlesiens angetreten haben sollten. Auch dort bereiteten sich
neue Aufgaben für das Ostheer vor. Ein am Abend des 31. August
eingehendes Telegramm des Chefs des Generalstabes des Feldheeres
kennzeichnete diese Aufgaben dahin, daß Ostpreußen
zunächst von der Armee Rennenkampfs zu säubern sei, wobei
es erwünscht schien, die Trümmer der
Narew-Armee durch entbehrliche Teile verfolgen zu lassen, da eine
spätere Verwendung der 8. Armee in der Richtung auf Warschau ins
Auge gefaßt sei. Gleichzeitig wurde mitgeteilt, daß das XI.,
das Garde-Reservekorps und die 8. Kavallerie-Division zur Verstärkung
der 8. Armee im Antransport begriffen seien.
Die Masse der 8. Armee stand am 1. September noch im weiten Ringe um das
Schlachtfeld herum, wie es sich aus den Ereignissen heraus ergeben hatte.
Bei Neidenburg
wurde im Laufe des Tages Ordnung geschaffen; die
Truppen des Generals v. Mühlmann sammelten sich bei Soldau, die
des Generals v. Unger lagerten südlich Neidenburg, nordwestlich der
Stadt ruhte die
Landwehr-Division Goltz. Vom I. Armeekorps war die 2.
Infanterie-Division östlich Neidenburg an der Chaussee nach
Muschaken vereinigt; weiter östlich von Muschaken bis halbwegs
Willenberg stand die 1.
Infanterie-Division, zwischen beiden eingeschoben die 3.
Reserve-Division. Immer noch wurden versprengte Russen eingebracht,
Durchbruchsversuche schwächerer Abteilungen über die nahe
Grenze verhindert. Um Willenberg lagerte noch die Brigade Schmettau. An
der Chaussee von dort nach Ortelsburg hielt die Kavallerie des I.
Armeekorps Verbindung mit dem in Ortelsburg stehenden Teile der 35.
Infanterie-Division des XVII. Armeekorps, deren übrige Teile sich bei
Jedwabno sammelten, während die 36.
Infanterie-Division zwischen beiden Gruppen der 35. verblieben war. Die
Kavallerie des Armeekorps streifte über Willenberg nach
Süden und auf Myszyniec, wohin sich auch die 1.
Kavallerie-Brigade gewandt hatte.
Bei der linken Flügelgruppe der Armee zog das XX. Armeekorps die
41. Infanterie-Division nach Hohenstein heran, von wo sie am nächsten
Tage auf die 37. bei Allenstein aufschließen sollte. Das I. Reservekorps
verblieb westlich Allenstein, nördlich von ihr sperrte die 6.
Landwehr-Brigade die Alle bei Guttstadt.
Nördlich vom Pregel hielt der Gouverneur von Königsberg die
Deime-Linie besetzt und ließ, um den Feind zu fesseln, Abteilungen von
Labiau aus und südlich [321] des Pregels auf Friedland vorstoßen.
Von den aus dem Westen herankommenden Armeekorps sollte das XI. an
der Bahn
Osterode - Allenstein ausgeladen und dann zwischen das XX.
und I. Reservekorps eingeschoben werden. Das
Garde-Reservekorps wurde bei Elbing ausgeladen, die 8.
Kavallerie-Division bei Mohrungen, Riesenburg und Rosenberg.
Das Armeeoberkommando hielt die Trümmer der
Narew-Armee, die sich hinter den Narew gerettet hatten, einer erneuten
Offensive nicht mehr für fähig. Von der Armee Rennenkampfs
wußte man, daß seine Infanterie hinter der
Deime-Linie stand, sowie von Wehlau bis Angerburg, und daß sich
seine Heereskavallerie auf diese Linie zurückzog, wobei sich der
preußischen 1.
Kavallerie-Division noch Gelegenheit bot, bei Bischofsstein einer feindlichen
Kavallerie-Division erheblich Abbruch zu tun. Bei Johannisburg wurde
ebenfalls Feind gemeldet, dessen Herkunft noch zweifelhaft war.
Es galt nun zunächst, die Armeekorps für den Vormarsch
gegen Rennenkampf in das richtige Verhältnis
nebeneinanderzusetzen. Damit verging der 2. und 3. September, und am
Abend dieses Tages standen zum Vormarsch bereit: das I. Armeekorps an
der Straße
Neidenburg - Willenberg, das XVII. zwischen Jedwabno und
Ortelsburg, das XX. an der Chaussee
Hohenstein - Allenstein. In Allenstein und längs der
Bahn von Osterode lagerten die ausgeladenen Teile des XI. Armeekorps,
nördlich von diesen das I. Reservekorps, das Platz gemacht hatte. Das
Garde-Reservekorps hatte seine vordersten Teile bis über
Preußisch-Holland hinaus vorgeschoben. Die 1.
Kavallerie-Division beobachtete vor der Front, während sich die 8. bei
Mohrungen versammelte. Die Vorstöße der
Festungsbesatzungen von Königsberg hatten Erfolg gehabt:
Vortruppen des Feindes waren geworfen.
Die Deckung der rechten Flanke während des Vormarsches hatten zu
übernehmen: die Gouverneure von Thorn und Graudenz von der
Weichsel bis Lautenburg, anschließend bis nach Willenberg General v.
der Goltz, dem zu diesem Zwecke außer seinen
Schleswig-Holsteinern auch die 70. Landwehr-Brigade und die 35.
Reserve-Division unterstellt wurden. Die Direktive für den General
wies auf eine offensive Lösung seiner Aufgabe hin. Weiter
östlich fiel die Flankendeckung der 3.
Reserve-Division zu, die am 3. September nach Willenberg marschierte. Die
1. Kavallerie-Brigade wurde zur Aufklärung nach Rudczanny
entsandt, da auf dem Bahnhofe Grajewo reger Zugverkehr von Fliegern
festgestellt war.
General v. Hindenburg
beabsichtigte, den Feind unter Umfassung seines
Südflügels anzugreifen, wobei noch nicht zu übersehen
war, wieweit hierzu der rechte Flügel der 8. Armee auszuholen hatte.
Am 4. September trat die Armee den Vormarsch an: mit dem I. Armeekorps
über
Ortelsburg - Peitschendorf, dem XVII. über Sensburg,
dem XX. auf Rössel, dem XI. über Bischofstein, dem I.
Reservekorps auf Bartenstein. Das noch weiter rückwärts
ausladende [322] Garde-Reservekorps wurde über
Landsberg auf
Preußisch-Eylau gewiesen. Der Gouverneur von Königsberg,
dessen Truppen noch durch die heranzutransportierende Hauptreserve von
Posen verstärkt werden sollten, hatte unter Festhaltung der
Deime-Linie mit seinen Hauptkräften südlich des Pregels sich
dem Vormarsch anzuschließen.
[322]
Skizze 12: Schlacht an den Masurischen Seen.
|
Bis zum 6. September abends war das I. Armeekorps mit je einer Division bei
Rudczanny und Nikolaiken eingetroffen, das XVII. näherte sich
Rhein, und die vier Korps des linken Flügels hatten die Linie [323]
Rössel - Preußisch-Eylau erreicht. Auch die
Deckungstruppen waren in östlicher Richtung vorgeschoben worden,
wobei die 3.
Reserve-Division bis südwestlich Johannisburg gelangte. Zum
Zusammenstoß mit dem Feinde war es nicht nur bei Johannisburg
gekommen. Die 1.
Kavallerie-Brigade hatte den Ort vor feindlichem Angriff räumen
müssen, worauf er am 6. abends durch eine von Rudczanny dorthin
entsandte Vorhut der 1.
Infanterie-Division wieder genommen wurde.
Die Russen hatten sich in den letzten Tagen in der Linie
Wehlau - Angerburg stark verschanzt. Hinter ihrem rechten
Flügel zwischen Wehlau und Insterburg schienen starke Reserven zu
stehen, von Tilsit und von Gumbinnen her auch noch weitere Kräfte
dorthin im Anmarsch zu sein, so daß das Armeeoberkommando dort mit
Angriffsabsichten des Feindes rechnete. Es schien sich aber auch zu
bestätigen, daß sich rechts vorwärts von der 8. Armee
Feind sammelte; denn bei Szczuczyn und Grajewo waren Lager erkannt.
Für den 7. September wurde die Fortsetzung des Vormarsches
befohlen. Die linken Flügelkorps sollten die Linie
Friedland - Rastenburg erreichen, das XVII. Armeekorps bei
Lötzen die Seenenge durchschreiten, die beiden
Kavallerie-Divisionen durch diese vor die Front ziehen und dann das
Herankommen des I. Armeekorps abwarten, das auf
Arys - Widminnen vorzugehen hatte, während die mit
dem Flankenschutz betraute 3.
Reserve-Division über Bialla auf Drygallen angesetzt wurde.
Der Marsch wurde am 7. September befehlsgemäß fortgesetzt;
die Armeekorps des linken Flügels erreichten ihre Ziele; das XI. und I.
Reservekorps hatten feindliche Infanteriesicherungen dicht vor ihrer Front.
Vom XVII. Armeekorps hatte die vorderste Division, die 36., die Enge von
Lötzen durchschritten und die Höhen nordöstlich der
Feste erreicht, vor sich, beiderseits Possessern eine feindliche Stellung; die
35. Infanterie-Division lagerte noch westlich der Seenenge. Die linke
Flügel-Division des I. Armeekorps, die 2., war zwischen Löwentin- und Spirdig-See eingerückt. Weiter südlich
war es zur Gefechtsberührung mit dem Feinde gekommen. Die 1.
Infanterie-Division war mit ihrem Gros westlich Johannisburg auf Arys
abgebogen, während die Vorhut südlich ausholend den Marsch
in der Flanke deckte. Das Gros stieß südlich Arys auf eine
feindliche Stellung, die an diesem Tage nicht mehr genommen werden
konnte. Die Division ruhte mit Gewehr im Arm auf dem ihr wohlbekannten
Truppenübungsplatz.
Der 3. Reserve-Division war es an diesem Tage beschieden, einen
größeren Erfolg in selbständigem Kampfe zu erringen.
Am frühen Morgen hatte sie südlich Johannisburg den
Pisseck-Abschnitt überschritten und war in östlicher Richtung
weitermarschiert, um dem Feinde, der tags zuvor von Johannisburg
zurückgegangen war, den Rückzug zu verlegen. Die 1.
Kavallerie-Brigade begleitete den Marsch in der rechten Flanke.
Südlich Bialla ging die Meldung ein, daß westlich dieses Ortes
der Feind in Stärke von mindestens einer Division mit der [324] Front nach Johannisburg abkoche.
General v. Morgen entschloß sich, den Feind in Flanke und
Rücken anzugreifen. Aus südöstlicher Richtung wurde
der Angriff angesetzt. Die deutschen Schrapnells überraschten die
Russen noch in ihrem Lager. Sie entwickelten sich jedoch rasch und
geschickt nach Süden und nahmen den Kampf auf, in den am
Nachmittag auch noch die Vorhut der 1.
Infanterie-Division eingriff. Gegen 6 Uhr abends war das Gefecht
entschieden: der Feind, der schwere Verluste erlitten hatte, strömte in
regelloser Flucht in nordöstlicher Richtung davon, verfolgt von der 1.
Kavallerie-Brigade. 400 Gefangene, 8 Geschütze, 71
Maschinengewehre, hatte er in der Hand des Siegers gelassen. Es waren
starke Teile des XXII. russischen Korps gewesen, das aus Finnland
herantransportiert, bei Grajewo ausgeladen worden war.
Ohne genauere Kenntnis von diesen Vorgängen auf dem rechten
Flügel der Armee gab das Armeeoberkommando in Rössel am
Nachmittage die Anordnungen für die Einleitung der Schlacht. Es
ging hierbei immer noch von der Anschauung aus, daß eine
Stoßgruppe des Feindes von etwa drei Armeekorps am Pregel zwischen
Wehlau und Insterburg versammelt sei. Dementsprechend sollte das
Garde-Reservekorps, dem noch die inzwischen bei Königsberg
ausgeladene Hauptreserve Posen unterstellt wurde, unter starker Staffelung
seines linken Flügels die Richtung auf Allenburg nehmen, das I.
Reservekorps und XI. Armeekorps gegen den Omet beiderseits Gerdauen
vorgehen, das XX. Armeekorps Drengfurth erreichen. Der 8. September sollte
bei diesen Korps zu Erkundungen und Vorbereitungen für den
Angriff ausgenutzt werden. Die östlich der masurischen Seenkette
vorgehende Gruppe der Armee hatte die Schwenkung nach Norden
fortzusetzen, wobei sich das XVII. Armeekorps in den Besitz der feindlichen
Stellung in Possessern zu setzen, das I. Armeekorps und die 3.
Reserve-Division den Marsch in nordöstlicher Richtung
fortzuführen hatten. Von der Heereskavallerie sollten die 1.
Kavallerie-Division frühzeitig durch die Enge von Lötzen
durchgezogen werden, die 8. bis Rhein heranschließen, um am
nächsten Tage zu folgen. Die
Landwehr-Division Goltz sollte mittels Eisenbahntransport über
Rudczanny dem rechten Flügel der Armee nachgezogen werden.
Die ersten Teile dieser Division trafen am 8. September nachmittags in
Johannisburg ein. Dorthin hatte auch am frühen Morgen die 3.
Reserve-Division, die nach ihrem Siege die Nacht bei Bialla verbracht hatte,
ihre Beute abgeschoben. Die Verhältnisse jenseits der Grenze und in
der Gegend von Lyck waren noch keineswegs klar; nach allen Nachrichten
mußte man dort mit stärkeren Kräften rechnen. An diesen
glaubte der Kommandeur der 3.
Reserve-Division nicht vorbeimarschieren zu können; er sah vielmehr
seine Aufgabe darin, sie vom Eingreifen gegen die Armeeflanke abzuhalten.
Dementsprechend entschloß er sich, von dem ihm mehrfach erteilten
Befehle, auf
Neu-Jucha zu marschieren, abzuweichen, und führte in besserer
Erkenntnis der Lage seine Truppen zunächst nur bis Drygallen vor.
Beim I. Armeekorps wurde der am Abend unterbrochene [325] Kampf wieder aufgenommen. Die 1.
Infanterie-Division warf den Feind bei Arys und stieß ihm bis zur
Chaussee Lötzen - Lyck südlich Widminnen nach,
während links daneben die 2.
Infanterie-Division ohne ernstlichen Kampf bis südöstlich
Lötzen gelangte. Auch beim XVII. Armeekorps begann die Schlacht.
Seine beiden Divisionen nebeneinander setzend, griff es in breiter Front die
feindliche Stellung in der Linie
Kruglanken - Possessern an. Bis zum Abend waren die
Vorstellungen genommen, das Armeekorps lag vor der Hauptstellung. Die
1. Kavallerie-Division hatte sich auf seinen rechten Flügel gesetzt. Die
anderen Korps der Armee drängten auf der ganzen Front die
Vortruppen des Feindes zurück und schoben sich bis zum Abend an
seine Stellung heran; die Erkundungen begannen, die Artillerie ging in
Stellung. Das
Garde-Reservekorps nahm durch den Frisching hindurch die Verbindung mit
den südlich des Pregels vorgehenden Teilen der Hauptreserve
Königsberg auf.
Das Armeeoberkommando schätzte den bei Lyck und Grajewo
beobachteten Feind nicht hoch ein, um so weniger, als sich bei ihm die schon
am 7. durch die 3.
Reserve-Division arg zerzausten Teile befinden mußten. Dagegen
rechnete es immer mehr mit einem Angriff des Gegners gegen den linken
Flügel der 8. Armee am Pregel, von wo man neue Nachrichten
über feindliche Verstärkungen hatte. So wurde denn befohlen,
daß die 3.
Reserve-Division am 9. nach Neu-Jucha zu marschieren habe, das I. und
XVII. Armeekorps weiter in nordöstlicher Richtung vorwärts
drängen sollten, um in den Rücken des bei Angerburg
stehenden Feindes zu gelangen. Die übrigen Armeekorps hatten den
Angriff gegen die feindliche Hauptstellung zu eröffnen, wobei der
Kommandierende General des
Garde-Reservekorps, General v. Gallwitz, erneut darauf hingewiesen wurde,
sich zur Abwehr eines Angriffs des Feindes bereit zu halten. Die
südlich des Pregels vorgehenden Kräfte des Gouvernements
Königsberg wurden ihm unterstellt.
Die vier Armeekorps des linken deutschen Flügels eröffneten am
Morgen des 9. September den Angriff auf die feindliche Hauptstellung,
das Garde-Reservekorps beiderseits Allenburg, das I. Reservekorps und XI.
Armeekorps beiderseits Gerdauen, das XX. zwischen Drengfurth und
Angerburg mit der Front nach Norden. Der Kommandierende General
des Garde-Reservekorps, der die Auffassung des Armeeoberkommandos teilte,
glaubte am Nachmittage bestimmte Anzeichen für einen Angriff des
Feindes gegen seine linke Flanke zu erkennen. Er ordnete daher
vorläufig die Einstellung des Infanterieangriffs an und beabsichtigte,
während der Nacht seinem linken Flügel Verstärkungen
zuzuführen. Beim I. Reservekorps und XI. Armeekorps arbeitete sich
die Infanterie bis zum Abend auf wirksame Feuerentfernung heran, wobei
sich die auf dem rechten Flügel zwischen Gerdauen und Nordenburg
eingesetzte 38.
Infanterie-Division am Nachmittage eines überraschenden
Gegenstoßes einer russischen Division zu erwehren hatte. Der Angriff
des XX. Armeekorps gelangte unter dauerndem
Flanken- [326] feuer, das aus der Gegend südlich
Angerburg herüberschlug, bis an die Chaussee
Angerburg - Drengfurth heran, wo er zunächst
angehalten wurde.
Waren diese Kämpfe in dem Bestreben geführt, sich an der
starken feindlichen Stellung nicht zu verbluten, sondern vielmehr den
Gegner in erster Linie festzuhalten, um die Umfassung von Süden her
ausreifen zu lassen, so war es inzwischen diesem Umfassungsflügel
gelungen, sich in heißen Kämpfen den Austritt aus dem
durchschnittenen Seengebiet zu erkämpfen. Beim XVII. Armeekorps
begann das Ringen um 4 Uhr morgens; es währte bis zum
späten Abend. Gegen 5 Uhr nachmittags stürmte auf dem
linken Flügel die 36.
Infanterie-Division, mit der Schulter an Schulter die Besatzung von
Lötzen focht, das festungsartig ausgebaute Possessern. Der Feind wich
in nördlicher Richtung, verfolgt von den wackeren
Westpreußen. Rechts stand in gleich schwerem Kampfe die 35.
Infanterie-Division von Kruglanken. Ihr machte die weiter südlich
vorgehende 2.
Infanterie-Division des I. Armeekorps Luft. Kruglanken fiel am Abend in die
Hand der 35.
Infanterie-Division. Das XVII. Armeekorps hatte einen sehr schweren Tag
hinter sich. Es hatte starke Teile des II. russischen Korps aus einer
beiderseits an Seen angelehnten, fest verschanzten und dem Gelände
geschickt angepaßten Stellung geworfen. Hier lernte man zum ersten
Male den Russen in seiner Geschicklichkeit kennen, mit der er den Spaten im
Bewegungskrieg handhabte. Der Angreifer hatte die vor der ganzen Front
angelegten künstlichen Hindernisse zu überwinden. Die in der
Stellung eingebauten, stark eingedeckten Unterstände hatten
allerdings zum Schrecken des Verteidigers dem deutschen schweren Feuer
nicht standgehalten. So waren seine blutigen Verluste sehr schwer;
außerdem hatte er 1.000 unverwundete Gefangene, mehrere
Maschinengewehre und eine Batterie in der Hand des Siegers lassen
müssen.
Rechts vom XVII. war das I. Armeekorps weiter nach Norden vorgedrungen
und nach Überwinden mehrfachen feindlichen Widerstandes am
Abend bis zur Bahn
Kruglanken - Marggrabowa gelangt. Die beiden
Kavallerie-Divisionen waren an diesem Tage unter dem Befehl des
Generalleutnants Brecht vereinigt worden und rechts vom I. Armeekorps
vorgegangen. Zum Eingreifen in den Kampf kamen sie nicht mehr. Am
Abend lagerte die 8. bei Pietraschen, die 1. nördlich
Neu-Jucha.
Bei der 3. Reserve-Division in Drygallen hatte man in der Nacht vom 8. zum
9. aufmerksam die Verhältnisse bei Lyck beobachtet und festgestellt,
daß im Laufe des Tages Feind von Lyck auf Klaussen marschiert war.
So entschloß sich General v. Morgen nur sehr ungern, dem ihm
nochmals erteilten Befehl zum Vormarsch auf
Neu-Jucha Folge zu leisten. Auf keinen Fall aber wollte er dorthin den Weg
über Klaussen wählen, sondern beschloß, weiter
östlich auszuholen, um den Feind, der die Armeeflanke bedrohte,
möglichst im Rücken oder doch wenigstens flankierend zu
fassen. Kaum war die Division auf der Chaussee
Drygallen - Lyck angetreten, als sich herausstellte, daß
zwischen dieser Chaussee [327] und der von Lyck auf Klaussen
führenden Feind stand. Die Vorhut wurde zum Angriff entwickelt, als
neue Meldungen erkennen ließen, daß der Feind sich auch nach
Süden über die Chaussee
Drygallen - Lyck ausdehnte. Hier wurde das Gros eingesetzt,
und bald stand die ganze Division in schwerem Kampf mit einem weit
überlegenen Feinde. In dem Bestreben, mit starkem rechten
Flügel östlich zu umfassen, hatte die Division sich sehr weit
ausdehnen müssen, da der Feind sich bis zum Lyckflusse, 10
Kilometer südlich der Stadt, erstreckte, wo die noch bei der Division
befindliche 1.
Kavallerie-Brigade focht. Der Widerstand des Feindes war durch die
schwachen deutschen Kräfte nicht zu brechen, wenn auch der Angriff
vorwärts kam; die Lage der Division wurde sehr schwer, zumal auch
die Artilleriemunition anfing, knapp zu werden. Aber ihr Führer war
entschlossen, nicht vom Feinde abzulassen. Konnte der Feind nicht
geschlagen werden, so sollte er jedenfalls am Marsche gegen die Flanke der
deutschen Hauptkräfte verhindert werden. An den General v. der
Goltz in Johannisburg wurde ein Bote entsandt mit der Aufforderung zur
Unterstützung. Der Tag ging zu Ende. Die Truppen lagen auf der
ganzen Front mit Gewehr im Arm vor der feindlichen Stellung und gruben
sich ein. Am nächsten Morgen sollte bei Tagesanbruch der Angriff
unter Einsatz des letzten noch in Reserve befindlichen Bataillons fortgesetzt
werden.
Noch im Morgennebel des 10. September erkannten aber die Truppen,
daß der Feind abgezogen war. Er hatte sich besiegt gefühlt. Auf
der ganzen Front wurde scharf nachgedrängt; es kam nur noch zu
unbedeutenden Scharmützeln. Um 10 Uhr vormittags rückte
eine Brigade unter dem Jubel der Bevölkerung in das befreite Lyck
ein, während die andere westlich der Stadt vorbei bis zur Seenenge
von Stradaunen vorstieß. Die Division hatte den Feind, der aus sechs
Schützen-Regimentern des XXII. Korps und starken Teilen anderer
Verbände bestanden hatte, nicht nur am Eingreifen gegen die Flanke
des I. preußischen Korps verhindert, sondern sie war als Sieger auf
dem Schlachtfelde geblieben, das die Russen, in östlicher Richtung
über die Grenze zurückgehend, geräumt hatten.
Die 1. Kavallerie-Brigade, die am frühen Morgen links ausholend
aufgebrochen war, um dem Gegner den Abmarsch nach Norden zu verlegen,
ritt bis südlich Marggrabowa, ohne auf Feind zu stoßen. Bei
Lyck erschien um 10. vormittags auch General Brecht mit den beiden
anderen Brigaden der 1.
Kavallerie-Division, der vom Armeeoberkommando zur Unterstützung
entsandt war. Zum Eingreifen kam die Division zu spät. Halbwegs
Drygallen - Lyck traf auch ein Bataillon Landwehr ein, das
General v. der Goltz durch Nachtmarsch noch hatte zu Hilfe senden wollen.
Die Masse der
Landwehr-Division war am 9. bis Johannisburg gelangt, von wo der General
beabsichtigte, in der Frühe des 10. anzutreten.
Das Armeeoberkommando in Rössel war am Abend des 9. September
über die Lage im allgemeinen unterrichtet; von der 3.
Reserve-Division wußte man, [328] daß sie bei Lyck in schwerem
Kampfe mit überlegenem Feinde stand. Das Armeeoberkommando
schätzte nunmehr auch nach den bei ihm vorliegenden Nachrichten
den Feind, der von Grajewo herangekommen war, höher ein als
bisher. Die
Landwehr-Division Goltz wurde angewiesen, am 10. nach Klaussen zu
marschieren, das Kavalleriekorps sollte Verbindung mit der 3.
Reserve-Division halten und sie nötigenfalls unterstützen. Die
übrigen Verbände behielten im wesentlichen ihre Aufgaben,
die beiden Korps des rechten Flügels hatten die Umfassungsbewegung,
die anderen den Frontalangriff fortzusetzen.
Da brachte der Morgen des 10. September eine Überraschung. Als sich
nachts vor dem I. Reservekorps Anzeichen für einen Abzug des Feindes
bemerkbar machten, hatten Patrouillen der 36.
Reserve-Division entschlossen vorgehend den
Omet-Abschnitt überschritten, sich einen Weg durch die breiten
Drahthindernisse gebahnt und waren in die russische Stellung eingedrungen.
Sie war leer. General v. Below ordnete 6 Uhr vormittags für sein
Korps die Verfolgung beiderseits der Bahn auf Insterburg an und berichtete
an das Armeeoberkommando. Dieses glaubte zunächst nicht an einen
allgemeinen Rückzug des Feindes und suchte das I. Reservekorps
anzuhalten, um es vor einem Mißgeschick zu bewahren. Erst gegen
Mittag gewann auch das Armeeoberkommando die Überzeugung,
daß der Feind tatsächlich wich, und ordnete nunmehr
unverzüglich das Vorgehen auf der ganzen Front gegen die Linie
Marggrabowa - Insterburg an. Der Heereskavallerie wurden
weite Ziele gesteckt, sie sollte über Goldap auf
Wylkowyszki - Kowno gegen die rückwärtigen
Verbindungen des Feindes vorstoßen.
Indessen waren die Truppen schon in voller Bewegung. Das I. Reservekorps
hatte sich nicht halten lassen; weit vor der Front drängte es dem Feinde
nach und erreichte abends an der Bahn
Gerdauen - Insterburg den Ilme-Abschnitt, stärkere
feindliche Besatzung jenseits des Abschnitts vor sich. Die Fühlung mit
dem Gegner war wiederhergestellt. Links rückwärts vom I. ging
das Garde-Reservekorps zur Ruhe über.
Während diese beiden Korps keinen Kampf mehr hatten, mußte
beim XI. und XX. Armeekorps noch starker Widerstand gebrochen werden.
Diesen fand beim XI. Armeekorps die 38.
Infanterie-Division südlich Nordenburg; ihre
Schwester-Division, die 22., öffnete ihr den Weg, und am Abend war
das Armeekorps auf gleiche Höhe mit dem I. Reservekorps gelangt.
Östlich des Nordenburger Sees griffen auch Teile der 38.
Infanterie-Division in den Kampf des XX. Armeekorps ein, vor dem der Feind
erst am Abend nach zähem Widerstande seine Stellungen
räumte; die 41.
Infanterie-Division folgte noch bis zur Einmündung der Goldap in die
Angerapp.
Beim XVII. Armeekorps begann der Tag damit, daß die 36.
Infanterie-Division von einer russischen Kavallerie-Division heftig angegriffen
wurde, mit dem Ergebnis, daß die Russen zwei Batterien
einbüßten. Das Armeekorps trat [329] dann in nördlicher Richtung
an, feindliche Nachhuten unter weittragendes Artilleriefeuer nehmend. General v. Mackensen hatte zunächst dem vor dem XX. Armeekorps
stehenden Feinde durch Eindrehen nach links den Rückzug verlegen
wollen, als der Armeebefehl ihm die Richtung auf Darkehmen zuwies. Das
Armeekorps gelangte ebenfalls bis an die Goldap und lagerte am Abend mit
seinen Divisionen nebeneinander bei Benkheim und weiter westlich. Bei
Benkheim mischte sich die 35.
Infanterie-Division mit Teilen des I. Armeekorps. Dieses Korps hatte nach
recht schweren Gefechten mit russischen Nachhuten, wobei es eine
größere Zahl Geschütze erbeutete, den Feind über
die Goldap geworfen und ruhte abends rechts vom XVII.
Von der Heereskavallerie rückte die 8.
Kavallerie-Division, nachdem sie mehrfach russische Kolonnen und Bagagen
zersprengt hatte, in Goldap ein. Die 1.
Kavallerie-Division hatte nach ihrem vergeblichen Ritt zur 3.
Reserve-Division wieder die Richtung nach Nordosten genommen und
gelangte bis südlich Marggrabowa. Dicht südlich von ihr von
Stradaunen bis Lyck hatte die 3.
Reserve-Division Unterkunft bezogen. Hinter ihr eilte General v. der Goltz
mit seinen
Schleswig-Holsteinern herbei. In Drygallen erfuhr er vom Siege der 3.
Reserve-Division; er ließ seine Landwehr halbwegs
Drygallen - Lyck zur Ruhe übergehen.
Das Armeeoberkommando hatte bis zum Abend die volle Überzeugung
gewonnen, daß sich General Rennenkampf der ihm von Süden
drohenden Umfassung entziehen wolle und sich daher in vollem
Rückzuge befinde. Es kam nun darauf an, durch rücksichtslose
Verfolgung seine Armee zur Auflösung zu bringen. So wurde denn
befohlen, daß um 5 Uhr morgens aufbrechend die Masse der 8. Armee,
3.
Reserve-Division, I., XVII., XX., XI. Armeekorps und I. Reservekorps am 11.
September die Linie
Filipowo - Gumbinnen - Gegend nördlich
Insterburg erreichen sollten. Das
Garde-Reservekorps nebst den ihm unterstellten Festungstruppen hatten den
Pregel zu überschreiten und die Richtung auf Tilsit zu nehmen; unter
seinen Befehl trat auch die Hauptreserve Königsberg, die über
Labiau in Marsch gesetzt wurde. Der Gouverneur von Königsberg
erhielt ferner die Weisung, über das Kurische Haff hinüber
einen Handstreich gegen die Brücken von Tilsit einzuleiten. Die
Landwehr-Division Goltz sollte nach Lyck marschieren und den Schutz
gegen
Grajewo - Augustow übernehmen, wo sich noch ein
russisches Armeekorps befinden sollte. Das Kavalleriekorps hatte
östlich an der Romintenschen Heide vorbei auf
Mariampol - Wylkowyszki zu verfolgen.
Die Verfolgung, die am 11. September frühmorgens wieder
aufgenommen wurde, vollzog sich auch an diesem Tage noch nicht
reibungslos. Während die deutschen Flügel nicht mehr auf Feind
stießen, fand die Mitte von Goldap bis zum Pregel zähen
Widerstand durch russische Nachhuten, die teilweise in neuen befestigten
Stellungen standen, und die an manchen Stellen selbst zu kräftigen
Angriffsstößen übergingen. Als am Morgen das XI.
Armeekorps meldete, daß es am
Ilme-Abschnitt nördlich Nordenburg nicht vorwärts kommen
könne, sah [330] sich das Armeeoberkommando
veranlaßt, das XX., XVII. und I. Armeekorps nach links einzudrehen
und ihnen mehr nördlich gelegene Ziele zuzuweisen. Das XX.
Armeekorps stand aber selbst im schwerem Kampfe südwestlich
Darkehmen und konnte den Widerstand des Feindes erst am Nachmittage
brechen. Es stieß noch bis an die Angerapp bei Darkehmen nach. Der von General v. Scholtz angeordnete Übergang über den
Fluß glückte nicht mehr. Rechts vom XX. gelangte das XVII.
Armeekorps auf dem östlichen
Angerapp-Ufer unter mannigfachen Kämpfen am Abend bis
Kleszowen, das noch mit dem Bajonett gestürmt wurde. Das I.
Armeekorps erreichte gegen Mittag Goldap. Hier hatte am Morgen bereits
ein Gefecht stattgefunden. Russische Infanterie hatten im Morgengrauen die
8. Kavallerie-Division heftig angegriffen. Erst nach mehrstündigem
Kampf hatte diese den Angreifer abgewehrt und ihm 600 Gefangene
abgenommen. Die Division folgte bis zum Südrand der Romintenschen
Heide, wo sie noch in neue Kämpfe verwickelt wurde.
In Goldap erreichte den General v. François der Befehl des
Armeeoberkommandos, der sein Armeekorps in nördliche Richtung
wies. Zwar hatte der General den Eindruck, daß der Feind in vielen
Kolonnen die Chaussee
Darkehmen - Insterburg überschreitend nach Osten
abmarschierte, anderseits aber teilte das Armeeoberkommando mit, daß
bei Darkehmen noch mindestens ein feindliches Armeekorps stände.
Er ließ daher die 2.
Infanterie-Division nach Gawaiten abbiegen, die 1. weiter in
nordöstlicher Richtung verfolgen. Diese gelangte spät in der
Nacht bis an den Nordrand der Heide, während die erstere am
Westrande verblieb.
Auf dem äußersten rechten Flügel erreichte die 1.
Kavallerie-Division Filipowo, die 3.
Reserve-Division Marggrabowa, die
Landwehr-Division Goltz Lyck.
Dem XI. Armeekorps hatte inzwischen die 1.
Reserve-Division Luft gemacht. Als diese Jodlauken genommen und von dort
in östlicher Richtung vorging, gab der Feind vor dem XI. Armeekorps
seinen Widerstand auf. Die ermüdete 38.
Infanterie-Division verblieb auf dem Schlachtfelde, die 22. folgte noch bis an
die Angerapp nordwestlich Nemmersdorf, wo sie in später Nacht
eintraf. Das I. Reservekorps hatte indessen unter andauernden leichteren
Gefechten die Verfolgung rastlos fortgesetzt. Die 1.
Reserve-Division erreichte die untere Angerapp, mit der 36. drang General v.
Below selbst am Nachmittage in Insterburg ein, aus dem die Russen in voller
Flucht wichen. Auch General Rennenkampf sowie der Großfürst
Nicolajewitsch hatten die Stadt erst kurz vor dem Eintreffen des
preußischen Kommandierenden Generals verlassen, dem sich hier die
seltene Gelegenheit geboten hatte, seinen Friedensstandort persönlich
von der Herrschaft des Feindes zu befreien.
Das Garde-Reservekorps hatte keine Berührung mit dem Feinde mehr
gehabt. Dagegen hatte der Übergang über den Pregel, wo erst
Brücken geschlagen werden mußten, recht viel Zeit erfordert.
Am Abend lagerte das Armeekorps [331] bei Norkitten mit der 3.
Garde-Division nördlich, der 1. Garde-Reserve-Division südlich
des Flusses. Die Hauptreserve Königsberg war nördlich des
Pregels weit vorgestoßen, wobei ihre vorausgesandte
Kavallerie-Brigade noch Gelegenheit fand, russische Kavallerie zu werfen.
Das Armeeoberkommando hatte zunächst kein klares Bild gewinnen
können. Überall leistete der Feind noch hartnäckigen
Widerstand, nur vor den äußersten Flügeln nicht. Am
Nachmittage kam man im neuen Hauptquartier Nordenburg an. Hier
schwand jeder Zweifel. Die Russen waren in vollem Rückzuge. Der
Widerstand wurde von Nachhuten geleistet. Der Oberbefehlshaber suchte
noch durch Anweisungen an das XI. und I. Armeekorps der Verfolgung die
erwünschte Richtung und Kraft zu geben. War es doch klar, daß
nur noch wenige Tage zur Durchführung der Verfolgung zur
Verfügung standen; starke Teile der 8. Armee mußten bald zum
Zusammenwirken mit dem
österreichisch-ungarischen Heere freigemacht werden. An ein
Nachstoßen über den Niemen war nicht zu denken. Es
mußte alles daran gesetzt werden, den Gegner diesen Abschnitt nur
völlig erschüttert erreichen zu lassen. Der Abendbefehl forderte
von den Armeekorps für den 12. September ein Nachdrängen, 4
Uhr morgens aufbrechend, gegen die Linie
Wylkowyszki - Pillkallen - Tilsit. Dem Kavalleriekorps
wurde die Richtung auf Szaki in den Rücken des Feindes zugewiesen.
Die 3.
Reserve-Division sollte Suwalki zum Schutz der rechten Armeeflanke
besetzen.
Als am frühen Morgen des 12. September trotz aller Anstrengungen
der letzten Tage die wackeren Truppen sich wieder zur Fortsetzung der Jagd
auf den fliehenden Feind aufmachten, war dieser auf der ganzen Front
verschwunden. Es gelang aber im Laufe des Tages ihn noch allenthalben zu
stellen. Vom I. Armeekorps überholte ihn die 1.
Infanterie-Division am Nordrande der Romintenschen Heide. Teile der
Division machten nach Westen Front und drängten nun den Feind von
Osten her auf Tollmingkehmen, wo es zu heftigem Kampfe kam. In der
Nacht griff von Westen her die 35.
Infanterie-Division ein. Was von den Russen nicht im Bajonettkampfe fiel,
wurde gefangen; es waren 3.000 Mann mit acht Geschützen. Die 41.
Infanterie-Division faßte den Feind noch bei Walterkehmen,
während ihm die 37. bis vor Stallupönen nachsetzte. Hier traf
auch das XI. Armeekorps ein, dessen 22.
Infanterie-Division über Gumbinnen bis westlich Stallupönen
vorgeeilt war, wo sie dem Feinde noch ernstlich Abbruch tat. Das I.
Reservekorps hatte bei Mallwischken und Pillkallen den Feind eingeholt und
warf ihn hier in heißem Kampfe aus befestigten Nachhutstellungen.
Weiter nördlich, wo das
Garde-Reservekorps vorging, wurde kein Feind mehr angetroffen. Die
Hauptreserve Königsberg war bis Tilsit gelangt, wo ihr noch einige
Beute und die unversehrten Brücken über die Memel in die
Hand fielen. Die über das Haff angesetzte Abteilung war ebenfalls bei
Tilsit eingetroffen, hatte aber bei ihrer Schwäche den Rückzug
des Feindes nicht ernstlich stören können.
[332] Auf dem äußersten rechten
Flügel hatte die 3.
Reserve-Division nach kurzem Straßenkampf Suwalki in Besitz
genommen; die 1.
Kavallerie-Division war bis südöstlich des Wystyter Sees
gelangt, die 8. unter dauernden Kämpfen im Ostteil der
Romintenschen Heide nach Wystyniec.
Der Tag hatte der Armee noch reiche Beute gebracht als Lohn für die
gewaltigen Anstrengungen; über 10 000 Gefangene und eine
große Zahl von Geschützen wurden gezählt. Man gewann
den Eindruck, daß der gehetzte Feind sich immer mehr nach der
Chaussee
Stallupönen - Wylkowyszki zusammendrängte
und daß der Rückzug auf dieser Straße an manchen
Stellen bereits in regellose Flucht ausgeartet war. Es schien nicht mehr
erforderlich, die ganze Armee an der Verfolgung teilnehmen zu lassen.
Zunächst hielt das Armeeoberkommando das
Garde-Reservekorps an; es verblieb in der Gegend nordwestlich Insterburg
und sollte bis zum 14. abends die Bahnhöfe Wehlau, Tabiau und
Labiau erreichen. Die Verfolgung sollte weitergeführt werden vom
Kavalleriekorps bis zum Niemen, vom I. Armeekorps auf Pilwiszki, vom XI.
auf Schirwindt, vom I. Reservekorps auf Szaki. Das XVII. und XX.
Armeekorps, für die kein Raum mehr war, hatten nur noch mit
Vorhuten gegen die Chaussee bei Wirballen zu stoßen, mit der Masse
aber zu halten.
Die Verfolgung wurde in den nächsten Tagen mit Aufbietung aller
Kräfte fortgesetzt, wobei es noch zu manchen Kämpfen kam. An
der Hauptrückgangsstraße nahm am 13. September die 22.
Infanterie-Division Stallupönen nach heftigem Häuserkampfe.
Sie folgte dem Feinde weiter bis zur Landesgrenze. Zwischen dieser und
Wirballen stauten sich die russischen Massen. Man versuchte sogar noch
Truppen in die Eisenbahn zu verladen. In diesen Wirrwarr schlugen von
Süden die Schrapnells der 1.
Infanterie-Division hinein, die südlich Wirballen in den Kampf getreten
war. Auch Geschütze des XVII. und schwere Artillerie des XX.
Armeekorps sprachen noch mit. Weiter östlich, südlich
Wylkowyszki stießen die 2.
Infanterie-Division und Teile des Kavalleriekorps in die Flanke feindlicher
Kräfte, die südlich der Chaussee zu entkommen suchten.
Nördlich der großen Straße drängte das I.
Reservekorps über Pillkallen zur Grenze und brachte noch 4.000
Gefangene, acht Geschütze und viel Maschinengewehre ein. Die
Hauptreserve Königsberg säuberte die Gegend von Tilsit.
4 000 Gefangene, zwölf Geschütze und zwölf
Maschinengewehre fielen in ihre Hand. Ihre Kavallerie überschritt in
der Verfolgung die Memel bei Ragnit.
Am 14. September nahm die 1.
Infanterie-Division Wylkowyszki, während die 2. die Richtung auf
Marjampol einschlug. Gegen die Straße
Wylkowyszki - Marjampol stieß von Süden das
Kavalleriekorps vor und drängte das Ende der fliehenden Russen nach
Nordosten ab. Sonst wurden keine Kolonnen des Feindes mehr gefaßt.
Der Oberbefehlshaber entschloß sich an diesem Tage bereits, das XI.,
XVII. und XX. Armeekorps zurückzunehmen und zu anderer
Verwendung bereitzustellen. Die übrigen Teile der Armee hatten die
Verfolgung zu Ende zu [333] führen, worauf sich das
Kavalleriekorps in der Gegend von Wylkowyszki zusammenziehen sollte, das
I. Armeekorps hinter ihm bei
Wylkowyszki - Wirballen, das I. Reservekorps bei Szaki. Die
Hauptreserve Königsberg sollte das Land beiderseits der Memel
vollends vom Feinde säubern.
Die 1. Reserve-Division stieß am 15. September noch bis Sredniki am
Niemen vor, wo der Gegner eine Brücke geschlagen hatte. Die 2.
Infanterie-Division hatte eine Abteilung zur Verfolgung auf Marjampol
entsandt, die dort noch in einen schweren Kampf geriet. Hier griffen an
diesem Tage Teile des Kavalleriekorps, am nächsten Tage die gesamte
2. Infanterie-Division ein. Dann erst gab der Gegner die Stadt auf. Weiter
südlich säuberte die 1.
Kavallerie-Division das linke Szeszuppe-Ufer bis Kalwarja. Damit hatten
auch die Kämpfe gegen die Armee Rennenkampfs ihr Ende gefunden.
Was dem Verfolger entgangen war, strömte in langen Kolonnen nach
der schützenden Niemenstrecke
Olita - Kowno zurück. Der Verfolger ruhte noch von
den gewaltigen Leistungen der letzten Tag, die 1.
Kavallerie-Division bei Kalwarja, vom I. Armeekorps die 2.
Infanterie-Division bei Marjampol, die 1. bei Wylkowyszki und Pilwiszki, vom
I. Reservekorps die 1.
Reserve-Division bei Szaki, die 36. nördlich von ihr bis zum Niemen
südlich Jurborg, hinter diesem Korps die Hauptreserve
Königsberg auf ostpreußischem Boden. Die übrigen Teile
der Armee marschierten indessen nach ihren Eisenbahneinladeorten, um
neuen Aufgaben entgegenzugehen: das XVII. Armeekorps auf Goldap, das
XX. auf Korschen, das XI. auf Insterburg; die 8.
Kavallerie-Division folgte dem XX. nach Korschen.
Kämpfe an der Ostpreußischen Südgrenze und bei
Augustow Mitte September.
Während des Vormarsches gegen Rennenkampf waren die an der
ostpreußischen Südgrenze stehenden Deckungstruppen
erheblich geschwächt worden. Teile hatte das Oberkommando nach
Königsberg herangezogen, die 3.
Reserve-Division und die Landwehr-Division Goltz waren nach Osten
abgerückt. Da gingen erneut starke russische Kräfte vom Narew
her gegen die Grenze vor, vor denen die 70.
Landwehr-Brigade am 9. September von Myszyniec nach Ortelsburg
auswich. Als sich herausstellte, daß es sich um recht
beträchtliche feindliche Kräfte handelte, dabei Teile des I.
Armeekorps und die 3.
Garde-Division, sollte diese Gefahr durch kräftige Maßnahmen
beseitigt
werden. Die in Königsberg ausgeladenen Teile der Deckungstruppen
wurden nach Soldau zurücktransportiert; dorthin wurden auch die
letzten Teile der Kriegsbesatzungen von Graudenz, Kulm und Marienburg
geführt, um dann gemeinsam mit der 70.
Landwehr-Brigade dem Feinde zu Leibe zu gehen. Am 14. September traten
drei deutsche gemischte Brigaden aus der Linie
Soldau - Janow den konzentrischen Vormarsch auf Mlawa an,
während gleichzeitig die 70.
Landwehr-Brigade südlich Willenberg die Grenze überschritt,
um sich gegen den bei Chorzele stehenden Feind zu wenden. Mlawa wurde
nach leichtem Gefecht genommen, die [334] deutschen Truppen gingen von dort weiter
auf Praszysz vor, das am 16. besetzt wurde. Dort traf an diesem Tage auch
die 70. Landwehr-Brigade ein, die den Feind nach schwerem Kampfe bei
Chorzele geworfen hatte. Nunmehr strömten alle russischen
Kräfte beschleunigt hinter den schützenden Narew
zurück. Die 70.
Landwehr-Brigade verblieb in Przasnysz, die übrigen deutschen Truppen
rückten nach Ciechanow.
Inzwischen hatten auch die Landwehr-Division Goltz und die 3.
Reserve-Division noch ernste Kämpfe bestanden. Die erstere wurde am
12. September nachmittags bei Lyck von dem gesamten III. Sibirischen
Armeekorps angegriffen, das von Osten und Süden her gegen die
Schleswig-Holsteinsche Landwehr vorging, die sich der Russen tapfer
erwehrte. General v. der Goltz plante für den nächsten Tag eine
Umfassung des feindlichen Westflügels, wozu noch einige Kompagnien
mit etwas Artillerie aus Lötzen zur Unterstützung hereilten. Als
am 13. vier Bataillone des Generals v. der Goltz westlich Lyck
überraschend nach Süden vorstießen, räumte der
Gegner das Feld und ging unter Zurücklassung vieler Toter,
Verwundeter und Gefangener nach Süden und Südosten
zurück.
Das Armeeoberkommando, das auf Grund von Fliegermeldungen mit einem
feindlichen Armeekorps bei
Szczuczyn - Grajewo rechnete, wollte diesen Feind durch
gemeinsamen Angriff der Division Goltz und der 3.
Reserve-Division schlagen lassen, welch letztere dazu von Suwalki über
Raszki auf Grajewo vorgehen sollte. Am Nachmittage des 15. September
gelangte sie nach Raszki und südlich des Ortes, vor sich die 1.
Kavallerie-Brigade, die in Suwalki wieder zur Division gestoßen war.
Eine schwache, leicht bewegliche Seitenabteilung war von Suwalki auf der
Chaussee nach Augustow entsandt. Überall waren schwächere
russische Kräfte auf Augustow zurückgeworfen, wo
stärkerer Feind in befestigter Stellung gemeldet wurde. An diesem
Feinde glaubte General v. Morgen nicht vorbeimarschieren zu
können, entschloß sich vielmehr zunächst ihn zu schlagen,
wobei nach unmittelbarer Vereinbarung mit der
Landwehr-Division Goltz diese die Deckung der 3.
Reserve-Division gegen Grajewo - Rajgrod, das ebenfalls vom
Feinde besetzt sein sollte, übernahm. Westlich ausholend griff die
3. Reserve-Division am 16. September mit ihrer Masse her vom Westen die
rusischen Stellungen bei Augustow an, das auf den übrigen drei Seiten
durch Seen geschützt ist. Nach siebenstündigem hartem Kampf
wurde der Feind aus seinen Stellungen und der Stadt geworfen. Der Versuch,
mit der 1.
Kavallerie-Brigade ihm den Rückzug zu verlegen, gelang nicht, da die
Brigade nicht über den sumpfigen
Netta-Abschnitt hinüberkommen konnte. Die Russen verschwanden in
dem sumpfigen Waldgebiet in der Richtung auf Grodno. Es waren die 4.
finnländische
Schützen-Division, die 1. Kavallerie-Division und Teile von vier
Infanterie-Regimentern vier verschiedener Armeekorps gewesen.
Der für den 18. September geplante gemeinsame Angriff auf Grajewo
unterblieb, da es sich herausstellte, daß sich dort kein stärkerer
Feind mehr befand. [335] Die 3.
Reserve-Division verblieb bei Augustow, die
Landwehr-Division Goltz in der Gegend von Lyck. Auch das deutsche Land
östlich der Masurischen Seen war vom Feinde gesäubert.
Ostpreußen ist befreit.
Ostpreußen war befreit, kein Feind stand mehr auf deutschem Boden.
Was war geschehen?
Als General v. Hindenburg mit General Ludendorff am 23. August in
Marienburg ankam und den Befehl übernahm, standen zwei
feindliche Armeen, von denen jede seinen Streitkräften
überlegen war, tief im deutschen Lande. Und nun, wenig mehr als drei
Wochen später: die eine der beiden feindlichen Armeen vernichtet, die
andere schwer geschlagen und geschädigt über die Grenze
gejagt, hinter den schützenden Niemen flüchtend. Der eine der
beiden russischen Führer tot, der andere geflohen und seines Amtes
enthoben.
Und das war in der Hauptsache vollbracht in zwei großen Schlachten;
zwei Schlachten verschieden in ihrer Anlage, verschieden in ihrer Wirkung.
Hatte in der ersten, die hervorgegangen war aus entschlossener und schneller
Ausnutzung einer sich bietenden Lage, der Feind umzingelt und so
vernichtet werden können, daß eine Verfolgung sich
erübrigte, so hatte die zweite diesen Erfolg freilich nicht bringen
können. Diesmal war es ein frontales Ringen gegen einen in starker,
befestigter Stellung stehenden, sich zähe wehrenden Feind geworden,
der sich dann der ihm zugedachten Umfassung durch rechtzeitigen
Rückzug entzog, auch bei diesem Rückzuge selbst noch durch
geschickt eingesetzte und tapfer kämpfende Nachhuten dem Angreifer
immer erneut Aufenthalt bereitend. Der Russe erwies sich schon hier, zum
ersten Male, als ein großer Rückzugskünstler, als welchen
ihn die Deutschen im Verlauf des Krieges noch genügend
kennenlernen sollten. Immerhin war aber auch die zweite Schlacht ein
großer Sieg, dem sich eine rastlose Verfolgung anschloß, die den
Rückzug immer eiliger und ungeordneter werden ließ und auch
dieser Armee vorläufig jede Schlagkraft nahm.
Am 14. September hatte General v. Hindenburg seinem Obersten
Kriegsherrn gemeldet:
"Die Wilnaer Armee, II., III., IV., XX.
Armeekorps, drei bis vier
Reserve-Divisionen, fünf Kavallerie-Divisionen, ist durch die Schlacht
an den masurischen Seen und die sich daran anschließende Verfolgung
vollständig geschlagen.
Die Grodnoer Reserve-Armee, XXII., Rest des VI.
Armeekorps und Teile des III. sibirischen Armeekorps hat in besonderem
Gefecht bei Lyck stark gelitten.
Der Feind hat starke Verluste an Toten und
Verwundeten. Die Zahl der Gefangenen steigert sich. Die Kriegsbeute ist
außerordentlich. Bei der Frontbreite der Armee von über 100
Kilometern, den ungeheuren Marschleistungen von zum Teil 150 Kilometern
in vier Tagen, bei den sich auf dieser ganzen [336] Front und Tiefe abspielenden
Kämpfen, kann ich den vollen Umfang noch nicht melden. Einige
unserer Verbände sind scharf ins Gefecht gekommen, die Verluste
sind aber doch nur gering. Die Armee war siegreich auf der ganzen Linie
gegen einen hartnäckig kämpfenden, aber schließlich
fliehenden Feind."
An Beute hatte die Armee Rennenkampfs über 40 000
unverwundete Gefangene, über 150 Geschütze, viele
Maschinengewehre, Munitionskolonnen sowie zahlloses anderes Material
eingebüßt. Ihre blutigen Verluste waren nicht minder schwer
gewesen.
Der wohl ersonnene Plan des Feindes war zunichte geworden. Der Plan hatte
vorgesehen, daß die Armee Rennenkampfs die über die
Angerapp zurückgehenden deutschen Streitkräfte frontal
verfolgen, während gleichzeitig die
Narew-Armee über die Linie
Sensburg - Allenstein von der Flanke her angreifen sollte, und
ein Kavalleriekorps, noch weiter westlich ausholend, gegen die nach der
Weichsel führenden Rückzugsstraßen und
rückwärtigen Verbindungen vorzugehen hatte.
Der Jubel in Deutschland war groß. Nun brauchte man nichts mehr zu
hören von brennenden preußischen Dörfern, vernichteten
Feldern, ausgeplünderten Städten. Der größte Teil
der preußischen Provinzen östlich der Weichsel war vom
russischen Einfall verschont geblieben. Der Kaiser telegraphierte an den
siegreichen Feldherrn:
"Ich beglückwünsche Sie und die
8. Armee zu den mir gemeldeten, großartigen Erfolgen der letzten Tage
von ganzem Herzen. Ihre geschickte Führung und die Ausdauer Ihrer
braven Truppen ist Meiner wärmsten Anerkennung und Meines
Königlichen Dankes für alle Zeiten sicher. Nicht nur die
Provinz Ostpreußen, sondern auch das gesamte Vaterland sieht auf Sie
und Ihre tapfere Armee mit Stolz und dankerfülltem Herzen, was Sie
den Truppen in Meinem Namen bekanntmachen wollen."
Hindenburg, der Befreier Ostpreußens, wurde der deutsche
Volksheld.
Die Truppen, die unter ihm an den glänzenden Erfolgen
teilgenommen, hatten in ihm ihren unbesiegbaren Feldherrn verehren
gelernt, dessen Führung sie mit unbedingtem Vertrauen folgten. Sie
hatten gefühlt, daß der stärkere Siegeswille bei ihm war;
sie hatten diesen Siegeswillen übernommen und trugen den Zauber
der Unbesiegbarkeit künftig mit sich.
Ostpreußen aber sah in Hindenburg und seinem großen
Generalstabschef seine Retter, mit denen es sich in heißem Danke
verbunden fühlte.
4. Der Abtransport der Masse der 8. Armee.
Wechsel im Oberkommando.
Die 8. Armee hatte die ihr in Ostpreußen gestellten Aufgaben
gelöst; der größere Teil ihrer Kräfte war zu anderer
Verwendung verfügbar. Eine solche [337] war aber auch immer dringlicher
geworden. Das
österreichisch-ungarische Heer war im Rückzug hinter den San.
Damit drohte ein Russeneinfall in Schlesien, der bei der Wichtigkeit dieses
Gebietes auch nicht vorübergehend ertragen werden konnte. Auch die
politischen Rücksichten erforderten dort eine baldige Besserung der
Lage.
In seiner Weisung vom 31. August hatte der Chef des Generalstabs des
Feldheeres bereits die anderweitige Verwendung der 8. Armee nach der
Befreiung Ostpreußens angedeutet. Während der Verfolgung
hatte sich das Oberkommando auch mit den nächsten Aufgaben der
Armee befaßt. Am 13. September hatte es der Obersten Heeresleitung
gemeldet, daß vier Armeekorps und eine
Kavallerie-Division für die neuen Aufgaben freigemacht werden
könnten und hatte dabei zum Ausdruck gebracht, daß General
v. Hindenburg ein Vorgehen dieser Kräfte über den unteren
Narew in Richtung Sjedlec für entscheidender hielt, als ihr Einsetzen
im unmittelbaren Anschluß an den Nordflügel des
österreichisch-ungarischen Heeres, wie es die k. u. k.
Heeresleitung erbeten hatte. Die Entscheidung der Obersten Heeresleitung
erging am nächsten Tage. Bei der schwierigen militärischen
Lage
Österreich-Ungarns hielt der Chef des Generalstabs des Feldheeres ein
Vorgehen über den unteren Narew nicht für
erfolgversprechend und insbesondere machte auch die politische Gesamtlage
eine unmittelbare Unterstützung des Bundesgenossen durch ein
Vorgehen starker deutscher Streitkräfte aus Oberschlesien heraus
dringend nötig. Das Armeeoberkommando hatte darauf bereits vier
Armeekorps bereitgestellt, eine Maßnahme, die sich als sehr
glücklich erwies, als am nächsten Tage, dem 15. September, der
Befehl zum Abtransport von vier Armeekorps und der 8.
Kavallerie-Division folgte. Bereits am 16. begannen die Einladungen des
Garde-Reservekorps, denen in den nächsten Tagen die des XX., XI.,
XVII. Armeekorps und der 8.
Kavallerie-Division sich anschlossen.
Den zurückbleibenden schwachen Kräften fiel die schwierige
Aufgabe zu, Ostpreußen vor einem neuen Russeneinfall zu bewahren,
gleichzeitig aber auch den hinter den Narew und den Niemen
zurückgegangenen Feind zu fesseln, damit nicht Kräfte von ihm
nach Süden abtransportiert werden konnten. Von der Armee
Rennenkampfs waren erhebliche Teile hinter dem Niemen zwischen Olita
und Kowno zu suchen, starke Heereskavallerie schien nordwestlich Grodno
verblieben zu sein. Was sich weiter bei Grodno vollzog, war nicht zu
übersehen. Den hinter den Narew von Ostrolenka abwärts
zurückgehenden Trümmern der
Narew-Armee brauchte man zunächst keine Kampfkraft zubilligen.
Am 17. September erließ General v. Hindenburg seine Befehle:
Die Verbände des Südgrenzschutzes hatten das Vorgehen in der
bisherigen Richtung fortzusetzen. Der
Landwehr-Division Goltz wurde die Aufgabe zugeteilt, den Angriff auf
Ossowiec einzuleiten, wozu ihr die nötige schwere Artillerie aus
Königsberg zugeführt werden sollte. Aus den übrigen
Kräften der Armee sollten [338] zwei Gruppen gebildet werden, eine im
Süden bei Augustow, eine im Norden an der Bahn
Wirballen - Pilwiszki. Die bei Augustow stehende 3.
Reserve-Division sollte Vortruppen in der Richtung auf Grodno bis zum
Ostrande des großen Waldgebiets vorschieben. Nach Augustow sollte
die 1. Kavallerie-Division von Suwalki heranmarschieren und auch das I.
Armeekorps folgen, das zu diesem Zweck sich zunächst an die
Straße Marjampol - Kalwarja - Suwalki
heranzuziehen hatte. Im Norden hatte das I. Reservekorps in der Gegend
Wylkowyszki - Wirballen zu verbleiben; die Hauptreserve
Königsberg sollte in die Gegend von Schirwindt herangezogen werden.
Aufgabe dieser Nordgruppe war es, ein etwaiges erneutes Vorgehen des
Feindes aus der Linie
Olita - Kowno aufzuhalten. In der Linie
Wirballen - Schirwindt sollte dazu eine mit allen Mitteln der
Feldbefestigung verstärkte Stellung ausgebaut werden.
Unmittelbar nach Abgang dieser Anordnungen traf im Armeehauptquartier
Insterburg der Befehl des Kaisers ein, wonach General v. Hindenburg mit
dem Oberbefehl über die nun aus den abtransportierten Kräften
neu zu bildende 9. Armee betraut wurde. Unter ihm hatte General der
Artillerie v. Schubert den Befehl über die 8. Armee zu
übernehmen, zu deren Chef des Generalstabes der bisherige
Oberquartiermeister im Stabe Hindenburgs, Generalmajor Grünert,
ernannt wurde.
Am 18. September früh fuhr Generaloberst v. Hindenburg mit seinem
Stabe im Kraftwagen über Posen nach Breslau ab, wohin General
Ludendorff schon vorausgeeilt war.
|