Bd. 1: Der deutsche Landkrieg, Erster Teil:
Vom Kriegsbeginn bis zum Frühjahr 1915
[339]
Kapitel 6: Der Krieg auf der Westfront
von Mitte September 1914 bis Mitte April 1915
Oberst Friedrich Immanuel
1. Die Lage nach der Schlacht an der Aisne am 14.
September 1914.
Die Front zwischen Oise und Aisne.
Das Sprichwort: "Un succès est plus difficile à garder
qu'à acquérir" ("Ein Erfolg ist schwerer festzuhalten als
zu erringen") gilt in vollem Sinne für die französische
Führung nach der
Marne-Schlacht vom September 1914. Durch eine Menge von irrigen
Auffassungen, Unstimmigkeiten und Mißverständnissen auf
deutscher Seite mußten die Deutschen die Schlacht abbrechen, den
Rückzug in nördlicher Richtung antreten und den moralischen
Erfolg dem Feinde überlassen. Allein die weitergehenden
Erwartungen der französischen Führung und der
öffentlichen Meinung Frankreichs erfüllten sich nicht. Die
Deutschen waren ungeschlagen und in guter Haltung zurückgegangen,
weder Gefangene noch Heeresgerät in nennenswerter Zahl dem
Gegner lassend, und hatten nördlich der Aisne Front gemacht, um
Stellungen zu halten, die sich von der Oise gegenüber Noyon, an
Soissons vorbei und am Damenweg entlang, bis nach Berry au Bac an der
Aisne erstreckten. Von dort dehnten sich die deutschen Fronten durch das
Hügelgelände der Nordchampagne dicht nördlich an
Reims vorbei, um bei Servon wiederum die Aisne zu schneiden.
Vor dieser Front trat am Abend des 13. September, des "blutigen Sonntags",
eine kurze Kampfpause ein. Die französische Führung hatte bis
dahin noch immer angenommen, nur deutsche Nachhuten vor sich zu haben,
die dazu bestimmt waren, den Abzug der Hauptkräfte zu decken. Man
wußte, daß die Deutschen seit mehreren Tage sehr erhebliche
Kräfte, die bisher gegen Toul, Nancy, Epinal gestanden hatten, auf
weiten Umwegen durch Belgien herauszogen, vermutlich in der Absicht, mit
ihrer Hilfe neue Fronten zu bilden und die von der Marne
zurückgehenden Massen an geeigneter Stelle aufzunehmen. Daher
faßte General Joffre den Entschluß, den Gegner, der sich am 12.
und 13. September zähe gewehrt und sogar zu wuchtigen
Gegenstößen gegriffen hatte, am 14. vollends zu werfen und
auseinanderzusprengen, bevor sich die deutschen Fronten geschlossen haben
konnten und von frischen Kräften aufgenommen wurden. In der Nacht
zum 14. standen auf der Seite der Verbündeten:
[340] 6. |
Armee zwischen Soissons und Noyon, Hauptkräfte bei
Nouvron - Nampcel, Armee French zwischen Soissons und
Craonne auf dem nördlichen
Aisne-Ufer, den Damenweg vor der Front; |
5. |
Armee zwischen Craonne und Prosnes, Stoßtruppen in dem
befestigten Lager von Reims gehäuft; |
9. |
Armee von Prosnes bis zur Aisne bei Servon, starke Kräfte bei
Souain und Massiges gesammelt. |
Joffre hatte aus den Befestigungen von Paris schwere Geschütze
heranschaffen lassen; für die Engländer war schwere Artillerie,
darunter Marinegeschütze,
eingetroffen - das vortreffliche französische Eisenbahnnetz
machte es dem Generalissimus leicht, sich solche Kampfmittel
frühzeitig zur Hand zu stellen. Die Absicht der französischen
Führung ging dahin, auf der ganzen Linie die Deutschen durch
Angriff zu binden, die Hauptstoßkraft aber an zwei Punkten
einzusetzen: am Westflügel zur Umfassung des Gegners zwischen
Noyon und Soissons in allgemeiner Richtung auf Laon, in der Mitte durch
frontalen Durchbruch aus der Linie
Craonne - Reims - Prosnes in allgemeiner Richtung auf
Rethel. Die Front
Hirson - Charleville winkte als großes, weitgestecktes
Ziel, mit dessen Gewinnung man den deutschen Westflügel
zertrümmert und die feindliche Gesamtfront aufgerollt zu haben
glaubte. Der taktische Durchbruch am 14. September sollte die Lücke
zwischen der deutschen 1. und 2. Armee treffen, ganz im Sinne des
Gedankens, der in der
Marne-Schlacht das Gefüge der deutschen Streitkräfte zerrissen
und deren Rückzug bewirkt hatte.
Dem Anprall der geschlossenen französisch-englischen Kräfte
gegenüber sahen sich die Deutschen, bei welchen an Stelle des
erkrankten Generalobersten v. Moltke der Kriegsminister General
v. Falkenhayn die Geschäfte als Chef des Generalstabes des
Feldheeres - zunächst
vertretungsweise - übernahm, in einer schwierigen Lage, wenn
sich die Dinge in den letzten Tagen auch wesentlich gebessert hatten, da die
Ermattung der Ententeheere deutlich hervortrat, die Festigung der deutschen
Front dagegen sichtbare Fortschritte machte. Es kam für die neue
deutsche Leitung vor allem darauf an, den Rückzug aus moralischen
und strategischen Gründen zu hemmen, die Front zu festigen, dem
Feinde wirksame Abwehr zu bereiten
und - die Hauptsache - die Freiheit der Bewegung und des
Entschlusses wiederzugewinnen. Es war klar, daß die Entscheidung
auf dem Westflügel lag. Somit mußten alle Verstärkungen
dorthin geleitet werden.
Die Verteilung der deutschen Kräfte am 13. September abends sei noch
einmal kurz zusammengefaßt:
1. |
Armee mit dem IX. Armeekorps
an der Oise bei Noyon, um, durch die Höhere Kavalleriekommandeure 1
und 2 unterstützt, die rechte Flanke zu decken, mit dem IV.
Armeekorps bei
Nampcel - Morsain - Nouvron, mit dem II. Armeekorps,
III. Armeekorps, IV. Reservekorps von Cuffies bis Courteçon; |
[341] 2. |
Armee im großen Bogen Reims
umspannend, westlicher Flügel bei Courteçon, östlicher
beim Hochberg (Mont Haut bei Nauroy); |
3. |
Armee vom Mont Cornillet durch das Wald- und
Hügelgelände über
Prosnes - Aubérive bis Souain; |
4. |
Armee von Souain auf den waldigen Kreidebergen südlich
Tahure - Ripont bis über die Aisne bei
Servon. |
Diese Stellungen waren außerordentlich dünn und locker
besetzt. Noch immer bestand eine starke Häufung der Kräfte
nach links hin, die der Marneschlacht das Gepräge gab. Die Verluste
in dieser Schlacht, namentlich bei der 1. und 2. Armee, hatten sehr
große Lücken gerissen, die noch nicht hatten ersetzt werden
können. "Durch den über Erwarten schnellen Vormarsch, die
zahlreichen erbitterten Kämpfe während desselben, das
Abreißen der Verbindungen waren die Gefechtsstärken tief
gesunken. Der Ersatz konnte nicht schnell genug herankommen. Der
Nachschub stockte häufig, da die Eisenbahnendpunkte für den
Westflügel noch bis zu fünf Tagemärschen hinter der
Truppe zurückgeblieben waren. Das Gerät bedurfte dringend
der Ergänzung. Schon kündigte sich das Gespenst des
Munitionsmangels an."1
Unter diesen erschwerenden Verhältnissen war es ein kühner,
auf Kraft und Selbstbewußtsein gegründeter Entschluß
der deutschen Heeresleitung, Halt zu machen und dem Feinde die Stirne zu
bieten. Das Vertrauen auf den inneren Wert der deutschen Truppen, der
durch die
Marne-Schlacht in keiner Weise erschüttert worden war, und die
Möglichkeit der Umgruppierung gaben die Aussicht, daß der
Widerstand an der Stelle geleistet werden könne, wo sich die Armeen
jetzt befanden, und daß sich aus ihm ein für die deutschen
Waffen günstiger Umschwung auf der Westfront ergeben
würde.
An Verstärkungen waren bis zum 13. September eingetroffen:
- das VII. Reservekorps unter General v. Zwehl, das vor Maubeuge
festgehalten worden und nach glanzvoller Einnahme dieser Festung an die
Stelle der Entscheidung herangeeilt war, wo es bereits am 13. September nach
gewaltigem Nachtmarsch frühmorgens eintraf und, heldenhaft
fechtend, bei Craonne die Lage rettete, obwohl nur noch 10 000
Gewehre stark und schwach an Artillerie;
- das XV. Armeekorps unter General v. Deimling, dem vielbewährten
Südwestafrikaner, das bisher im Rahmen der 7. Armee gefochten und
sich bei den Kämpfen im Elsaß und in
Deutsch-Lothringen hervorgetan hatte, um jetzt als vorderste Staffel der dem Generalobersten v. Heeringen unterstellten 7. Armee zwischen der 1. und 2.
Armee in die Schlacht zwischen Craonne und Berry au Bac einzugreifen;
- das IX. Reservekorps, das ursprünglich zum Schutz der deutschen
Grenze [342] gegen Dänemark bestimmt, dann
vorübergehend zur Abwehr gegen Antwerpen eingesetzt und daran
anschließend zur Unternehmung längs der Kanalküste
auf Calais ausersehen war, jetzt aber nach St. Quentin herangezogen werden
mußte, um in der Schlacht an der Aisne zum Flankenschutz westlich
der Oise Verwendung zu finden.
Vom Eintreffen dieser Verstärkungen hing es ab, ob es der deutschen
Heeresleitung gelingen sollte, den Verfolgungsstoß der Entente an der
Aisne und in der Nordchampagne aufzuhalten oder sogar selbst zum Angriff
zu schreiten.
Die Front von der Aisne bis in die Südvogesen.
Nachdem die Deutschen infolge der Vorgänge auf dem
Westflügel der Marnefront auch die Mitte und den linken Flügel
zurückgenommen hatten, schoben sich auf französischer Seite
bis zum 14. September langsam unter leichten Kämpfen nach:
- 4. Armee mit dem rechten
Flügel über Ste.
Menehould - Vienne le Château durch die
Westargonnen bis vor Binarville;
- 3. Armee zwischen den Argonnen und der Maas unterhalb Verdun bis zur
Linie Boureuilles - Vauquois -
Malancourt -
Béthincourt - Consenvoye.
Auf dem östlichen Maasufer kam die französische Front etwa in
der Linie
Ornes - Fresnes - Vigneulles - Flirey - Fey
en Haye zum Halten. Östlich der Mosel lief sich die französische
2. Armee ungefähr in der Front
Nomeny - deutsch-französische Grenze bei
Delme - Château
Salins - Lagarde - Avricourt - Donon fest.
Südlich des Donon zog sich die französische vorderste Linie
über Badonviller, Senones, Ban de Sapt, Wissembach nach dem
Paß du Bonhomme südwestlich Markirch, um hier auf deutsches
Gebiet überzugehen und der Linie
Münster - Sennheim - Dammerkirch bis an die
Schweizer Grenze westlich Pfirt zu folgen. Diese Strecken waren von der 2.
und 1. Armee belegt, an die sich in den Vogesen besondere Gebirgstruppen,
gebildet aus Alpenjägerverbänden und den Hauptreserven der
Festungen Epinal und Belfort, anschlossen.
Deutscherseits setzte der linke Flügel der 4. Armee unter
Bewältigung erheblicher Schwierigkeiten in den Waldbergen der
Argonnen den Rückzug bis auf die Höhen bei
Binarville - Varennes fort, wo er dem Nachdrängen des
Feindes erfolgreichen Widerstand entgegenstellte. Die deutsche 5. Armee
schloß den ebenfalls schwierigen, da mit teilweisem Frontwechsel
verbundenen Rückzug auf den Höhen von Montfaucon ab und
umspannte die
Nord- und Nordostfront des befestigten Lagers von Verdun in einem weiten
Bogen, der von der Maas oberhalb Dun sich nach Etain erstreckte. Hier
reihte sich die aus der Hauptreserve Metz und mehreren
Landwehr-Brigaden gebildete Gruppe v. Strantz an, die sich, gestützt
auf die Außenwerke der Festung Metz, über Thiaucourt und die
Mosel unterhalb Pont à Mousson bis in die Höhengegend
südlich Delme erstreckte. Von dort bis zum Donon stand die deutsche
6. Armee, von welcher kleine Teile nach dem [343] Westflügel der Gesamtfront
verschoben worden waren, während die Hauptkräfte noch
immer angesichts der französischen Lagerfestungen
Toul - Nancy versammelt waren. In den Vogesen und im
Oberelsaß versah die vorwiegend aus Landwehrtruppen gebildete
Armeeabteilung Gaede die Aufgabe, die Zugänge gegen
Straßburg, Colmar und Mülhausen zu sperren.
Die allgemeine Lage auf der Front zwischen der oberen Aisne und den
Südvogesen am 14. September ließ sich dahin zusammenfassen,
daß den Deutschen die Loslösung vom Feinde und die
Entwirrung der rückwärtigen Verbindungen sehr gut gelungen
war. Die Verfolgung durch die Franzosen war von Anfang an recht matt
gewesen. Nur in den Argonnen war es zu ernsten Kämpfen
gekommen, in welchen sich die Deutschen in gefestigter Haltung geschlagen
und dem Feinde Boden nur so weit gelassen hatten, als es im Sinne der
deutschen Heeresleitung lag.
Allmähliche Erstarrung der Fronten zum
Stellungskampf.
Die durch die neue deutsche Leitung angeordnete Einstellung des
Rückzuges und die Wiederaufnahme der Gegenangriffe, um den Feind
abzuweisen und den Eindruck des Rückzuges aus der
Marne-Schlacht zu verwischen, konnte bei dem Mangel an Reserven zu
dieser Zeit noch zu keinem durchgreifenden Erfolg führen. Immerhin
erhielt der Geist der Truppen einen bemerkenswerten Aufschwung und
bewies, daß er durch den Rückschlag an der Marne nicht
gelitten hatte. Der französische Versuch, zwischen dem Damenweg
und Reims durchzubrechen, scheiterte an der festen Haltung der Divisionen
und am Eingreifen der ersten Verstärkungen. Auch die Heere der
Entente litten stark unter den Nachwehen der
Marne-Schlacht. Sie bedurften der Neuordnung und der Umgruppierung,
bevor der Krieg in einen neuen Abschnitt der Entscheidung
überführt werden konnte.
Aus diesen Verhältnissen ergab sich eine völlig
veränderte Lage. Der Gedanke des Bewegungskrieges, der dem
deutschen Heere als der einzig mögliche und allein siegreiche
erschienen war und bisher als unveräußerlicher Grundsatz galt,
mußte zurücktreten, um dem Stellungskampfe Platz zu machen.
Auch die französische Führung sah den Stellungskrieg als eine
Ausnahmeerscheinung an, die solange wie möglich vermieden werden
mußte. Auf beiden Seiten hatte man die Vorgänge des
russisch-japanischen Krieges als eine durchaus ungesunde Entwicklung
beurteilt und die dort hervorgetretenen Erscheinungen des Stellungskrieges
als einen Mangel an Kraft und Willen angesehen, dem man selbst nicht
erliegen wollte. Nunmehr trat, so sehr sich die beiden Gegner auch dagegen
sträubten, ganz von selbst eine Erstarrung der Kriegführung
ein, die sich aus dem gebotenen Stillstand ergab. Die
Franzosen-Engländer liefen sich an den deutschen
Verteidigungsstellungen fest und hatten alle Anstrengungen aufzubieten, um
sich der feindlichen Gegenstöße zu erwehren und sich die
Früchte der
Marne-Schlacht nicht nehmen zu lassen. Deutscherseits unterwarf man sich
nur mit größtem
Wider- [344] streben dem Stellungskrieg und sah ihn als
eine Zwischenpause an, auf welche die Wiederaufnahme des
Bewegungskrieges folgen sollte, sobald es die Neuordnung der Kräfte
gestattete. Daher galt auf beiden Seiten das nunmehr einsetzende Ringen um
Stellungen keineswegs als Selbstzweck, sondern nur als ein Behelf, den man
zugunsten des Bewegungskrieges möglichst schnell wieder abzuwerfen
hoffte.
2. Das Ringen um die
Westflanke.
Kämpfe bei Compiègne beiderseits der Oise, 14. bis 17.
September 1914.
"Course à la mer" hat man in Frankreich die Kämpfe
genannt, welche sich vom 14. September ab westlich der Oise entwickelten.
Aus taktischen Anfängen heraus, die seitens der französischen
Führung zunächst nur die Umklammerung des rechten
deutschen Flügels nördlich der Aisne bezweckten, entstand eine
von beiden Seiten groß angelegte strategische Unternehmung, die zwar
zuerst die Umfassung des gegnerischen Flügels plante, sich dann aber
allmählich zu dem Streben ausgestaltete, den Anschluß an die
Küste des Ärmelkanals zu gewinnen: seitens der Entente mit
der Absicht, die Deutschen aus Nordostfrankreich und Belgien zu
drücken - seitens der Deutschen, sich der englischen
Landungshäfen möglichst bis an die
Seine-Mündung zu bemächtigen.
Joffre faßte den Entschluß, unter Ausnutzung des für die
Massenverschiebung durch das
Marne-Tal in ostwestlicher Richtung sehr günstigen Bahnnetzes
überraschend eine neue Kampfgruppe zur Umfassung des deutschen
Westflügels zu bilden. Unter dem Schutz des Reiterkorps Sordet, das
westlich der Oise bis vor la Fère und St. Quentin streifte, wurden am
14. und 15. September unter dem Oberbefehl des Generals de Castelnau
bereitgestellt:
- das IV. Armeekorps im Walde von
Compiègne südlich der gleichnamigen Stadt,
- das XIII. Armeekorps bei Estrées St. Denis westlich
Compiègne.
Auch das Reiterkorps Sordet, verstärkt durch mehrere
Jäger- und Radfahrerbataillone, trat unter Castelnaus Befehl. Die ihm
von Joffre gegebene Weisung lautete, daß die Linie
la Fère - St. Quentin erreicht werden
müsse. Von den Deutschen wußte man, daß der westliche
Flügel der Armee Kluck bei
Tracy le Mont - Nampcel - Moulins sous
Touvent, also südlich der Oise etwas westwärts der Straße
Soissons - Noyon, stand. Westlich der Oise hatte man nur
verhältnismäßig schwache Heeresreiterei erkannt, deren
Gefechtskraft nicht mehr allzu hoch eingeschätzt wurde. Gleichwohl
gelang es dieser deutschen Reiterei, der französischen Kavallerie das
Herankommen an die Eisenbahnen im Rücken des Heeres zu
verwehren.
Der 14. September verging unter Reiter- und Radfahrergefechten im
Gelände zwischen Aisne und Oise sowie an der Straße
Noyon - Roye, die von den [345] französischen Reitern angesichts des
Widerstandes der deutschen Kavalleriekorps 1 und 2 mit großen
Abteilungen im wesentlichen nicht überschritten werden konnten.
Am 15. September erreichten unter lebhaften Gefechten gegen deutsche
Vorhuten auf französischer Seite:
- das IV. Armeekorps die
Waldränder westlich
Carlepont - Tracy le Mont,
- das XIII. Armeekorps nach Bewältigung des
Matz-Abschnittes die Linie
Machemont - Elincourt.
Auf deutscher Seite war Generaloberst v. Kluck über die
Vorgänge beim Feinde durch die Meldungen der Reiterei und der
Flieger genügend unterrichtet, um zur Abwehr die erforderlichen
Maßnahmen zu treffen. Am 15. September traf in Chauny das IX.
Reservekorps ein und erhielt die Weisung, in zwei Kolonnen auf Noyon und
Carlepont weiterzumarschieren. Das IX. Armeekorps wurde nördlich
der Oise in gleicher Höhe mit dem IX. Reservekorps gegen den
Matz-Abschnitt angesetzt. Die Heeresreiterei sollte sich nach rechts
herausziehen, um die eigene Nordwestflanke in der Gegend von
Roye - Montdidier zu decken und den Gegner in Richtung auf
Beauvais zu überflügeln.
Aus den beiderseitigen Anordnungen entwickelte sich nach
Vorhutkämpfen am 16. die allgemeine Schlacht am 17. September als
ein wirklicher Begegnungskampf im großen Maßstabe. Sowohl
Deutsche wie Franzosen erstrebten die Lösung ihrer Aufgaben in rein
angriffsweisem Sinne; die Deutschen suchten die Abwehr der Umfassung im
Gegenstoß, während die Franzosen nur noch durch sehr
schnelles und überraschendes Zufassen eine Umfassung der deutschen
Kampffront erreichen konnten, bevor erhebliche deutsche
Verstärkungen zur Abwehr eingetroffen waren.
In den Vormittagsstunden des 17. September stießen bei
strömendem Regen und unsichtiger Luft die Gegner aufeinander. Das
deutsche IX. Armeekorps warf das französische XIII. Armeekorps in
wuchtigem Vorgehen von Thiescourt über Elincourt bis hinter den
Matz-Abschnitt zurück. Das deutsche IX. Reservekorps ging mit der
17. Reserve-Division im Tal der Oise vor, während sich die 18.
Reserve-Division gegen das französische IV. Armeekorps in den
Waldungen bei
Carlpont - Tracy le Mont wandte.
[344a] Kämpfe bei Compiègne: Coucy le Château
|
Der Kampf entschied sich auf der ganzen Front zum Vorteil der Deutschen,
bei welchen insbesondere das hier zum ersten Male in die Schlacht
kommende IX. Reservekorps ganz vorzügliche Leistungen vollbrachte.
Die Franzosen wichen am Nachmittag auf der ganzen Front beiderseits der
Oise zurück. Ihre Feldartillerie deckte den recht gefährlichen
Abzug hinter die Linie des
Matz-Baches und opferte mehrere Batterien, die den Deutschen in
zerschossenem Zustande in die Hände fielen. Der Schlachttag war in
jeder Hinsicht ein voller Erfolg der deutschen Waffen. Gleich starke
Kräfte hatten frontal gegeneinander gerungen. Der französische
Umfassungsversuch war vollkommen gescheitert, die [346] deutsche Angriffswucht hatte sich im
Gegenstoß aufs neue glänzend bewährt. Am Abend des
17. September standen die Franzosen beiderseits von Compiègne
rechts und links der Oise, die Deutschen ihnen in weiter
Gefechtsfühlung gegenüber. Die Fortsetzung der Verfolgung
konnte nicht im Sinne der deutschen Führung liegen. Es fehlte an
Kräften zur Ausbeutung des Sieges, dessen taktischer Zweck, die
örtliche Abwehrung der drohenden Umfassung, erfüllt war.
Auf dem Nordwestflügel hielten sich die beiderseitigen Reitermassen
das Gleichgewicht. Sie kamen über die allgemeine Kampffront nicht
hinaus.
Der Ausgang dieser Kämpfe stellte das Gleichgewicht wieder her.
Joffre hatte, wie in der
Marne-Schlacht, den Umfassungsflügel zu schwach bemessen, obwohl
er in den Kämpfen bei Compiègne am 17. Juli nicht
darüber im Zweifel hätte sein dürfen, daß er sich
nunmehr frischen deutschen Kräften gegenüber befand, die nicht
einfach zu überrennen waren. Auf deutscher Seite haben die
eingesetzten beiden Armeekorps genügt, um nicht allein die drohende
Umfassungsgefahr abzuwenden, sondern auch um einen schönen
taktischen Erfolg zu erstreiten. Der zu späte Abtransport der 6. Armee
von der Saar machte sich hier erneut geltend. Hätte ihre Hauptmasse
auf dem rechten Flügel zum Einsatz bereitgestanden, so wäre es
möglich gewesen, alles zu zertrümmern, was an
französischen Kräften westlich der Oise stand.
Kämpfe zwischen Oise und Maas, 14. bis 18. September
1914.
Während zu beiden Seiten der Oise erbittert gerungen wurde, fanden
auch auf der ganzen Front zwischen Oise und Maas lebhafte Kämpfe
statt, die sich aus der Absicht des Generals Joffre ergaben, die Deutschen aus
ihren Stellungen zu werfen, in welchen sie nach der Auffassung der
Franzosen mit starken Nachhuten den Rückzug von der Marne
vorübergehend eingestellt hatten, bis die Verhältnisse im
Rücken des deutschen Heeres zur weiteren Fortsetzung des
Rückzuges geordnet waren. Deutscherseits war man aber nicht gewillt,
auch nur noch einen Schritt rückwärts zu tun, sondern
beabsichtigte, sich in der gewählten Linie zu halten und durch sofort
aufzunehmende Angriffsstöße Erfolge, sei es auch vorläufig
nur solche örtlicher Art, zu erzielen.
Die deutsche 1. Armee wehrte vom 15. bis 17. September in den leicht
befestigten Höhenstellungen nördlich der unteren Aisne bei
Morsain - Nouvron - Cuffies die Angriffe der
französischen 6. Armee ab, die vergeblich versuchte, aus dem
Aisne-Tal herauf die beherrschenden Höhen zwischen Nampcel und
Soissons zu ersteigen. Überall scheiterten die Angriffe am deutschen
Gegenstoß, oft aber auch schon unter der Wirkung der deutschen
schweren Artillerie des Feldheeres.
Weiter ostwärts lagen die Engländer vor den Höhen bei
Crouy - nördlich Vregny - Ostel fest und
konnten sich dem linken Flügel der Armee Kluck gegenüber
dem Höhenkamme der
Damenweg-Stellung nicht um einen Schritt nähern.
[347] Die Kampfentscheidung dieser Tage
drängte sich immer noch in der Gegend beiderseits Craonne
zusammen. Hier griff der linke Flügel der französischen 4.
Armee mit äußerstem Ungestüm an, um die deutsche
Front zu sprengen und sich den Weg auf Hirson, wo man den Mittelpunkt
der deutschen
Nachschub- und Umgruppierungsverbindungen richtig vermutete, zu
bahnen. Deutscherseits kämpften die Verbände verschiedener
Armeen durcheinander, denn man hatte überall aus den weniger
bedrängten Teilen der Front die verfügbaren Kräfte
heranholen müssen, wo sie entbehrlich erschienen. Zunächst
wehrte die 7. Armee, vorläufig aus dem VII. Reservekorps und dem
XV. Armeekorps bestehend, den feindlichen Stoß bei
Cerny - Ailles - Craonne am Damenweg ab. Das
deutsche XII. Armeekorps, von der 3. Armee hierher entsandt, deckte den
Raum
Corbeny - Juvincourt und hielt mit aller Zähigkeit das
wichtige Ville aux Bois fest, das mit seinem Wäldchen den Aufstieg aus
dem Aisne-Tal bei Pontavert - Berry au Bac beherrschte. Zur
Unterstützung der Sachsen wurden Teile des Gardekorps, darunter
die Gardejäger und Verbände der
Garde-Kavallerie-Division, aus dem Verbande der 2. Armee herangeholt. Das
zeitweise verloren gegangene Ville aux Bois wurde zurückgenommen,
der Feind wieder in das
Aisne-Tal hinabgedrückt.
Vor Reims nahm die Schlacht am 17. September große Heftigkeit an.
Die Franzosen wollten sich des alten Fortsgürtels der Festung Reims
auf der Nordostfront bemächtigen, um Stützpunkte zum
weiteren Vorgehen über den Abschnitt der Suippes gegen Rethel hin
zu gewinnen. Die Deutschen hielten mit dem VII. Armeekorps die Front
Guignicourt - Schloßberg von Brimont, mit dem X.
Armeekorps
Brimont - Fort Pompelle fest, das Gardekorps und das X.
Reservekorps standen in zweiter Linie dahinter zur Verfügung des
Führers der 2. Armee. Um die Front
Brimont - Pompelle wurde vom 17. bis 20. September mit
höchster Erbitterung gefochten. Der Brimont ging zeitweise für
die Deutschen verloren, wurde aber, wenn auch unter blutigen Verlusten, im
tapferen Draufgehen wieder erobert und schließlich behauptet.
Deutsche Vorstöße gelangten bis zu den Fabrikvorstädten
von Reims, ohne daß der hier gewonnene Boden dauernd gegen die
französischen Gegenangriffe gehalten werden konnte. Fort Pompelle
blieb nach wechselndem Kampfe endlich in den Händen der
Franzosen. Nach und nach wurden das Gardekorps und das X. Reservekorps,
am 18. September auch Teile des VI. Armeekorps, in die vordere deutsche
Kampflinie gezogen, wodurch der französische Durchbruchsversuch,
der für die Armee Franchet d'Esperey äußerst
verlustreich war, endgültig scheiterte. Daß die Stadt Reims,
einschließlich der zur Artilleriebeobachtung ausgenutzten Kathedrale,
während dieser Kämpfe erheblich leiden mußte, ergab
sich aus der Lage.
In der Champagne brach die Armee Foch zum Angriff vor, um den eben
geschilderten großen Durchbruchsversuch der Armee Franchet
d'Esperey durch ein Vorgehen aus der Richtung von Châlons gegen
Rethel - Vouziers zu entlasten, [348] die Hauptmassen bei
Le Mesnil - Perthes - Souain - St. Hilaire
gehäuft. Die Kämpfe erreichten am 17. und 18. September ihren
Höhepunkt. Am 20. gingen die deutschen Truppen, auf dem
Westflügel das XII. Reservekorps, auf dem Ostflügel das VI.
Armeekorps, vor dem sich mehr und mehr verstärkenden Andrang der
Franzosen in neue Stellungen auf den Höhen von
Moronvilliers - südlich Ste. Marie à
Py - Somme Py - Tahure -
Ripont - Rouvroy - Cernay en Dormois zurück. Die Orte
Souain, Perthes, Le Mesnil, Massiges, Ville sur Tourbe mußten den
Franzosen überlassen werden.
Auch zwischen der oberen Aisne und der Maas unterhalb Verdun fanden
sehr heftige Kämpfe zwischen den französischen Armeen de
Langle de Cary und Sarrail und den deutschen Verbänden der inneren
Flügel der Armeen Herzog von Württemberg und Deutscher
Kronprinz statt. Am 15. September machten die beiden deutschen Armeen aus
dem Rückzug Front und schritten ungesäumt zum Angriff
gegen den aus den Engen der Argonnen herausgetretenen Feind. Im
besonderen gingen XIII., XVI. Armeekorps und VI. Reservekorps aus der
Front Binarville - Apremont -
Montfaucon - Sivry zum Gegenstoß vor und warfen die
Franzosen unter sehr heftigen Kämpfen bis in die Linie Vienne le
Château - Varennes - Malancourt -
Gercourt zurück, vor denen die Armee Langle de Cary in die
Argonnen, die Armee Sarrail in das befestigte Lager von Verdun auswichen.
Sarrail, der zwischen Maas und Aisne den Oberbefehl führte,
entschloß sich, am 16. September einen entscheidenden Stoß am
linken Maas-Ufer stromabwärts zu unternehmen. Die Hauptreserve
der Festung Verdun wurde zur Unterstützung der 3. Armee
herangezogen, die schweren Batterien, die südlich der Höhen
"Toter Mann" und 304 bei Esnes sowie im Walde von Avocourt eingebaut
worden waren, traten in Tätigkeit. Das deutsche VI. Reservekorps
leistete aber zwischen Montfaucon und Dannevoux, durch starke
Abteilungen schwerer Artillerie unterstützt, so erfolgreichen
Widerstand, daß der mit bedeutenden Kräften angesetzte
französische Stoß versagte. Am 18. September mußte
Sarrail sich darauf beschränken, die vorgeschobenen Stellungen auf
der Nordwestfront von Verdun in der allgemeinen Front
Avocourt - Gercourt - Consenvoye zu halten. Die
Deutschen legten sich gegenüber in der Linie fest, die durch die
Höhen südlich
Varennes - Montfaucon - Dannevoux bezeichnet
wurde.
Umfassungsversuche zwischen Oise - Somme - Ancre, 22. bis 28.
September 1914.
General Joffre hatte sich durch die Kämpfe am 17. und 18. September
beiderseits der Oise bei Compiègne davon überzeugen
müssen, daß die erstrebte unmittelbare Umfassung des deutschen
Westflügels gescheitert war, und zwar an dem Gegenstoß
deutscher Kräfte, welche hinter diesem Flügel gerade noch
rechtzeitig genug eingetroffen waren, um selbst zum Angriff zu schreiten und
die Franzosen über den Abschnitt der Matz hinaus wieder in die
Verteidigung zu [349] drücken. Der rechte Flügel
der Armee Kluck hatte den Erfolg vor allem dem frischen Angriffsschwung
des IX. Reservekorps zu verdanken, das hierbei durch das IX. Armeekorps
und durch die Heeresreiterei unterstützt wurde.
Die französische Heeresleitung faßte daher den Entschluß,
sofort eine starke neue Armee aufzubieten, um den Umfassungsangriff viel
weiter nördlich zu wiederholen, in der Hoffnung, daß ein so
weites Ausholen den deutschen Abwehrmaßregeln zuvorkommen und
eine wirksame strategische Umklammerung erzwingen würde.
General de Castelnau, bisher Befehlshaber der 2. Armee im Bereich der
Festungen Toul und Nancy, zuletzt Führer der Angriffsunternehmung
bei Compiègne, erhielt die Oberleitung über den neuen
Angriff, zu dessen Ausführung eine Armee aus Abgaben der in der
Kampffront stehenden Armeen gebildet wurde. Als Sammelpunkt wurde der
Abschnitt Avre südöstlich Amiens bestimmt. Das vortreffliche
Eisenbahnnetz, ergänzt durch den Einsatz großer
Kraftwagenkolonnen auf den ausgezeichneten Straßen, die von Paris
nach Nordwesten hin ausstrahlen, ermöglichte die Vereinigung der
Streitkräfte in überraschend kurzer Zeit. Bereits am 21.
September abends waren zum Vormarsch bereit:
- das XIV. Armeekorps südlich Montdidier
zum Marsch auf Lassigny,
- das XI. Armeekorps bei Montdidier zum Marsch auf
Roye,
- das XXI. Armeekorps bei Moreuil zum Marsch auf
Chaulnes.
Um Amiens standen mehrere Reserve- und
Territorial-Divisionen zur Verfügung.
Die Versammlung wurde in der Front durch mehrere
Kavallerie-Divisionen verschleiert, die linke Flanke durch das Reiterkorps
Sordet gedeckt. Je schneller der allgemeine Angriff erfolgte, desto sicherer
schien der Erfolg zu sein. Man glaubte nicht daran, daß die Deutschen
genügend starke Kräfte zur Hand haben könnten, um
einem so weit ausholenden Stoß entgegenzutreten.
Der deutschen Heeresleitung waren jedoch diese französischen
Zurüstungen nicht entgangen. Durch die Aufmerksamkeit der
Heeresreiterei und die immer mehr sich entwickelnde Tätigkeit der
Flieger wurde die Verschiebung der Kräfte in die Gegend
südöstlich Amiens rechtzeitig erkannt und gemeldet. Sie war
sich darüber klar, daß eine bloße
Frontenverlängerung der Armee Kluck nach Nordwesten hin diesmal
nicht ausreichen würde, um die offenbar drohende Gefahr
abzuwehren. Sie war sich der Schwierigkeit bewußt, die zur Abwehr
und zum Gegenstoß erforderlichen Kräfte schnell genug
heranzuführen, da die von ihren Kräften zu
bewältigenden Wege viel weiter als die von der französischen
Umfassungsarmee zurückzulegenden Strecken waren. Auch entsprach
das zur Verfügung stehende, noch nicht durchweg wiederhergestellte
Eisenbahnnetz durchaus nicht den Anforderungen, die schnelle und weit
ausgreifende Truppenverschiebungen stellen. Aus diesen Gründen
beschloß die deutsche Heeresleitung, die Gegend von St. Quentin als
Sammelpunkt der Abwehrkräfte zu wählen, diese somit
rückwärts zu [350] staffeln, um Zeit zu sparen und für
den Beginn der Abwehr Raum zum Anlauf zum Gegenstoß, also zur
operativen Freiheit zu gewinnen. Da die Fronten zwischen Oise und Maas
selbst in heftige Frontalkämpfe verwickelt waren, wurde die seitherige
6. Armee Kronprinz Rupprecht von Bayern aus
Deutsch-Lothringen nach Nordwesten in die Gegend von St. Quentin
überführt. Bis dahin sollte die Heeresreiterei den Feind fesseln
und seinen Vormarsch verzögern. Die in der Front kämpfenden
Armeen erhielten Anweisung, durch starke örtliche
Vorstöße die ihnen gegenüberstehenden Kräfte
festzuhalten und am Abtransport nach dem Umfassungsflügel zu
hindern. Da die Ententeheere gleiches beabsichtigten, so ergaben sich die
schon geschilderten frontalen Kämpfe aus der allgemeinen
Kriegslage.
Nachdem am 21. September die beiderseitigen Reitereien auf der ganzen
Front von Lassigny bis Albert vielfach handgemein geworden waren, wich
am Abend die deutsche Reiterei vor dem Eingreifen der Vorhuten der
französischen Hauptkräfte zurück und sammelte sich in
die Linie
Combles - Péronne - Ham - Guiscard.
Die Spitzen der französischen Marschkolonnen standen um diese Zeit
bei Ribécourt an der Oise, Lassigny, Roye, westlich Chaulnes, Bray
an der Somme, östlich Albert. Die Unternehmung hatte sich für
die Franzosen güstig angelassen. Wenn es Castelnau jetzt gelang,
schnell auf St. Quentin Raum zu gewinnen und dann mit der Front nach
Südosten einzuschwenken, so war der deutsche Westflügel
umfaßt, mindestens aber die Armee Kluck aufgerollt.
Deutscherseits handelte man gegenüber der sich rasch
nähernden Gefahr mit großer Schnelligkeit. Bereits am 22.
September nachmittags waren drei Brigaden (6., 7., 8.) des II. Armeekorps,
die Kluck
aus der Gegend nördlich Soissons hinter der Front entlang
in Eilmärschen nach dem rechten Flügel der 1. Armee
verschoben hatte, nördlich Noyon eingetroffen. Hier bildete das IX.
Reservekorps von der Oise oberhalb Ribécourt bis Dives eine starke
Abwehrflanke, welche nach Norden hin über die Straße
Noyon - Roye bis Margny aux Cerises durch die drei
genannten Brigaden verlängert wurde. Gleichzeitig traf das der
deutschen 4. Armee entnommene XVIII. Armeekorps nach
Eilmärschen über
Laon - la Fère im Gelände südlich
Nesle ein und trat den bei Roye stehenden französischen Kräften
gegenüber. Rechts des XVIII. Armeekorps griff das zur deutschen 6.
Armee zählende XXI. Armeekorps, das bis St. Quentin auf den
Eisenbahnen herangezogen worden war, in den Kampf ein. Bis zum 24.
September wurden die Franzosen in heftigen Stößen durch das
XVIII. und XXI. Armeekorps bis in die Gegend
Beuvraignes - Roye - Chaulnes
zurückgedrängt. Ihr Versuch der Umklammerung des deutschen
Westflügels war bereits jetzt gescheitert.
Die noch zurückliegende rechte Staffel der deutschen
Entlastungskräfte bestand aus dem zunächst eintreffenden I.
bayerischen Armeekorps, das auf dem weiten Umwege über
Trier - Lüttich - Namur herangezogen und mit
den Hauptkräften in Valenciennes entladen wurde, um von dort den
Kampfplatz in Eilmärschen [351] zu erreichen. Ihm folgten in weiteren
Transporten das II. bayerische Armeekorps und die 26.
Reserve-Division. Die Franzosen hatten während dieser
Verschiebungen die Somme bei Péronne mit erheblichen
Kräften überschritten und ihre Vortruppen zwischen den
Straßen nach St. Quentin und Cambrai vorgeschoben. Schon am 23.
September griff das I. bayerische Armeekorps mit großer Wucht an
und warf den Gegner über die Somme. Während der
nächsten Tage ging die ganze deutsche Front zwischen der Somme
westlich Péronne und der Oise unterhalb Noyon zum Angriff vor.
Die Franzosen wurden in sehr heftigen Kämpfen bis zum 28.
September hinter die Linie Bray an der
Somme - Lihons - Roye -
Beuvraignes - Ribécourt an der Oise
zurückgedrückt. Sie gruben sich in dieser Front ein, die
Deutschen legten sich ihnen gegenüber fest.
Der großangelegte Umfassungsversuch der Armee Castelnau war
mißglückt. Die Deutschen waren in der Lage gewesen,
rechtzeitig die nötigen Kräfte, die dem Feinde zwar
zahlenmäßig unterlegen, aber moralisch und taktisch
überlegen waren, heranzubringen. Eine Fortsetzung des deutschen
Stoßes auf Amiens verbot sich durch das Fehlen weiterer Reserven und
mit Rücksicht auf die notwendige Schonung der stark angestrengten
Truppen, auch in Anbetracht der natürlichen Stärke der
feindlichen Stellungen.
Kämpfe bei Verdun in der letzten
Septemberwoche.
Westlich Verdun.
Die Festung Verdun galt nach wie vor von bestimmender Bedeutung, wenn
nicht als kriegsentscheidend auf der Westfront. War Verdun gefallen, nahm
man deutscherseits an, so hörte die Bedrohung der deutschen
Verbindungslinien auf, während sowohl die französische Front
in der Champagne wie die Festungsgruppe
Toul - Nancy im Rücken bedroht, daher auf die Dauer
unhaltbar würden. Daher setzte die deutsche Heeresleitung die
Versuche fort, sich der Festung Verdun zu bemächtigen oder sich ihr
vorläufig wenigstens so weit zu nähern, daß die
spätere Entscheidung vorbereitet wurde. Sie wollte den Plan nicht
aufgeben, die französische Festungsfront zu brechen und hiermit die
Bewegungsfreiheit zu erlangen, die ihr berechtigterweise als
Höhepunkt der Kriegführung vorschwebte. Freilich
mußte damit der Nachteil in Kauf genommen werden, daß man
den operativen Druck im Gebiet zwischen der Somme und dem Meere
zurückstellte. Noch immer hielt man auf Grund der Erfahrungen von
Lüttich und Namur daran fest, daß die französischen
Ostfestungen ebenso schnell wie die belgischen fallen würden. Man
hat sich in dieser Hinsicht erheblich getäuscht.
Der Führer der deutschen 5. Armee beabsichtigte, an die Festung
Verdun zunächst auf dem westlichen
Maas-Ufer heranzugehen, um vor allem die Hauptzufuhrlinie des Platzes, die
Eisenbahn
Clermont - Verdun, weiterhin die Bahn
Bar le Duc - Verdun zu durchbrechen, um
Verdun auf der Westfront abzuschließen. Am 22. September setzte der
Deutsche Kronprinz das XIII. und [352] XVI. Armeekorps, besonders
kampfbewährte Truppen, unterstützt durch mehrere
Mörserbataillone, aus der Linie
Cheppy - Montfaucon über den Grund des
Chambronne-Baches zum Angriff an, um die großen Wälder bis
zur Linie
Avocourt - Malancourt zu nehmen. Allein trotz aller
Tapferkeit konnten sich die Deutschen nur der Wälder von
Montfaucon und Cheppy bemächtigen, während die
Wälder von Malancourt und Avocourt im Besitz der Franzosen
blieben. Ein weiteres Vordringen gegen die Festung wurde durch die
gewaltige Artillerieentfaltung und durch die tiefen Hindernisse
unmöglich gemacht, welche den gesamten Raum von Vauquois
über Malancourt - Béthincourt -
Forges, somit den Abschnitt zwischen Argonnen und Maas unterhalb
Verdun, schlossen. Die französischen Artilleriestellungen
südlich Vauquois, der Höhe 304 bei Esnes, der Doppelkuppe
des "Toten Mannes", des Rabenwaldes und des
"Gänserückens" nördlich Cumières erwiesen
sich mit den verfügbaren Mitteln als unüberwindlich. Es zeigte
sich, daß die Franzosen sofort nach dem Rückmarsch das
Vorfeld der Festung Verdun und das anschließende Gelände mit
großer Sorgfalt ausgebaut hatten und beabsichtigten, die Kampflinie
weit vorwärts der ständigen Werke bis aufs
äußerste zu halten.
[352a] Kämpfe zwischen Oise und Marne: Ailette-Tal
|
Auf den Côtes Lorraines.
Der Höhenrand der Côtes Lorraines begleitet das Maastal von
Toul bis Verdun auf einer Strecke von etwa 60 Kilometern. Beide
Ränder fallen schroff ab. Der für den deutschen Angriff in
Frage kommende Ostrand erhebt sich sehr steil bis zu 200 Meter Höhe
aus der
Woëvre-Ebene. Dieser Rand ist mit Gestrüpp, Weinbergen,
Steilabfällen, kleinen Waldungen so besetzt, daß er zwischen den
zahlreichen am Fuß der Höhen liegenden festgebauten
Ortschaften vorzügliche Verteidigungsstellungen bildet. Als
Brückenköpfe an der Maas dienen die Sperrforts Jouy und
Gironville östlich Commercy, Liouville bei Apremont, Camp des
Romains (Römerlager) südlich, Les Paroches nordwestlich St.
Mihiel, Troyon und Génicourt auf dem Talrand nahe der Maas
zwischen den Außenforts der Festungen Toul und Verdun.
Während der Marneschlacht hatte die deutsche 5. Armee nicht allein
auf dem westlichen Maasufer in den Argonnen, sondern auch auf dem
östlichen Maasufer von der Woëvre-Ebene aus die Linie der
französischen Verteidigungsfront zwischen Toul und Verdun zu
durchbrechen gesucht und war von Westen her nahe an die Maas, von Osten
her bis an den Fuß der Côtes Lorraines, teilweise sogar bis auf
die Höhen dicht an die Sperrforts herangekommen. Der
Rückzug der Deutschen nach der Marneschlacht entlastete auch die
französische Maasfront zwischen den beiden Hauptfestungen. Der
Versuch, sie durch gemeinsames Vorgehen auf beiden
Maas-Ufern abzuschnüren, war zunächst gescheitert.
Deutscherseits wurden nunmehr die Absichten der Obersten Heeresleitung,
eine Bresche durch die Fortslinie zwischen den Festungen Verdun und Toul
zu [353] schlagen und hiermit die feindliche
Kampffront zu durchbrechen, wieder aufgenommen. Zu diesem Zwecke
wurden vom 15. September ab Teile der 5., 6., 7. Armee, unterstützt
durch die Hauptreserve Metz und starke schwere Artillerie, bereitgestellt.
Diese Streitkräfte sammelten sich in der Linie
Etain - Thiaucourt. Als Haupteinbruchspunkt wurde der am
weitesten nach Osten hin vorspringende scharfe Rücken der
Côtes Lorraines bei dem hochgelegenen Dorfe Hattonchâtel in
Aussicht genommen, dessen Besitz das Vorgehen über den Kamm der
Côtes auf Verdun wie auf St. Mihiel ermöglichen sollte.
Mit außerordentlicher Kühnheit und unwiderstehlicher Wucht
erstieg auf dem rechten Flügel des deutschen Angriffes das V.
Armeekorps die steilen Hänge bei Combres, brach über die
westwärts liegende Schlucht des
Longeau-Baches vor, kletterte über die Höhen westlich Les
Eparges und St. Rémy und arbeitete sich bis zum 25. September
über die Hochfläche der Côtes Lorraines bis an die
westlichen Waldausgänge gegenüber dem Sperrfort Troyon
vor.
In der Mitte erfocht das III. bayerische Armeekorps während
derselben Zeit überraschende Erfolge. Es nahm den
französischen Stützpunkt Hattonchâtel und
drängte den Gegner unter täglichen Gefechten in Richtung auf
St. Mihiel zurück, bis er im Anschluß an die Sperrforts Camp
des Romains, Liouville, Jouy, Gironville Stützpunkte fand.
Dem XIV. Armeekorps fiel inzwischen die Aufgabe zu, das Vorgehen der
Bayern in der linken Flanke gegen Unternehmungen der Besatzung des
befestigten Lagers
Toul - Nancy zu decken. Es erreichte am 21. September die
Höhen bei
Seicheprey - Flirey - Limey -
Remenauville - Fey en Haye und behauptete sich in den
nächsten Tagen gegen starke französische Kräfte, die von
Toul - Nancy nach Norden hin vorstießen, um die linke
Flanke der gegen die Côtes Lorraines angreifenden Deutschen zu
bedrohen.
Die deutschen Angriffe waren bis zum 21. September so weit gediehen,
daß am 22. die schwere Artillerie, bestehend aus deutschen
21-cm-Mörsern und
österreichisch-ungarischen 30,5-cm-Haubitzen, aus den Wäldern
auf dem Kamme und am Fuße der Côtes Lorraines das Feuer
gegen die Sperrforts eröffnen konnte. Schon am 23. abends
verstummte das Feuer der Forts Troyon und Les Paroches, während
sich Génicourt, Camp des Romains, Liouville, Jouy, Gironville noch
widerstandsfähig zeigten. Mit glänzender Tapferkeit und
unwiderstehlicher Angriffslust drangen deutsche
Stoß- und Patrouillentrupps bis unmittelbar an die
französischen Sperrforts heran. Eine
Pionieroffizier-Patrouille durchschwamm bei Nacht die Maas und den
Maas-Canal (Canal de l'Est) und zerstörte die Eisenbahn
Toul - Verdun bei Bannoncourt. Alles deutete darauf hin,
daß der Stoß der Deutschen durch die Sperrfortslinie gelingen
werde.
Auf französischer Seite war zunächst nur das VIII.
Armeekorps, unterstützt durch die
Reserve- und Territorialtruppen der Festung Verdun und der
Sperrfortsbesatzungen, den mit aller Kraft und mit
überwältigendem Schwunge
ge- [354] führten deutschen Angriffen
entgegengetreten. Es wurde auf der ganzen Linie geworfen und fand auch
keinen Halt an den zahlreichen Sperren und Batterien, welche die
Abschnittskommandeure der Front
Toul - Verdun hatten anlegen lassen, um den Angriff der
Deutschen aufzuhalten. Die Lage der Franzosen war eine sehr gefährdete.
Zwar lag das deutsche V. Armeekorps von der Südfront von Verdun und
Troyon fest, auch wurde das deutsche XVI. Armeekorps an der Straße
Beaumont - Flirey aufgehalten. Dagegen machten die Bayern
in der Mitte bedrohliche Fortschritte und trugen die Artilleriewirkung
immer näher gegen St. Mihiel vorwärts.
Sarrail, der in diesen Tagen bei Montfaucon den Durchbruch des rechten
Flügels der deutschen 5. Armee erfolgreich abgewehrt hatte, zog in aller
Beschleunigung die verfügbaren Truppen an die Maas zwischen
Commercy - St. Mihiel - Troyon heran, um mit
äußerster Kraft den Übergang über den Fluß
zu sperren, falls die Forts auf den Côtes Lorraines sich nicht halten
ließen. Von den Festungen Toul und Verdun her setzte er mehrere
Divisionen in Bewegung, die einen starken Druck gegen die deutsche Flanke
in Richtung auf Thiaucourt und Pagny ausüben sollten. Eine
große Entscheidung bereitete sich vor.
Bei St. Mihiel (Sperrfort Camp des Romains).
[352b] Auf den Côtes Lorraines: Fort Camp des Romains.
|
Am 23. und 24. September arbeitete sich das III. bayerische Armeekorps
beharrlich durch die mit Drahthindernissen und Verhauen durchzogenen
Waldungen gegen St. Mihiel heran, das tief unten im
Maas-Tale liegt und auf beiden Ufern von mächtigen
Waldhöhen überragt wird. Unmittelbar südöstlich
des Städtchens krönt das Fort Camp des Romains auf felsiger
Kuppe das Tal. Vom jenseitigen
Maas-Ufer bestrich das Werk Les Paroches den Angriff, der gegen Camp des
Romains aus östlicher Richtung vorging. Eine weitere Flankierung des
deutschen Angriffs drohte von den Forts Troyon und Génicourt von
Norden, Liouville, Jouy und Gironville von Süden her. Die deutsche
und
österreichisch-ungarische Artillerie hatte bis zum 24. September abends
die Forts Les Paroches und Troyon zum Schweigen gebracht, während
Camp des Romains noch antwortete und die Kampfkraft von Liouville wie
Jouy und Gironville anscheinend ungebrochen war. Immerhin erschien der
deutschen Führung der Augenblick gekommen, wo der Sturm gegen
Camp des Romains gewagt werden konnte.
Generalleutnant v. Höhn, Führer der bayerischen 6.
Infanterie-Division, dem der Sturm übertragen war, stellte vor
Tagesanbruch des 25. September die bayerische 12.
Infanterie-Brigade in folgender Weise zum Stoß bereit:
- I. Bataillon bayerisches Infanterie-Regiment 11 gegen die
Nordflanke,
- II. Bataillon bayerisches Infanterie-Regiment 11 gegen die
Südflanke,
- bayerisches Infanterie-Regiment 6 als Sturmreserve,
- preußisches Pionier-Bataillon 16 zur Bedienung der Sprengmittel und
des Sturmgeräts.
[355] Die bayerische 11. Infanterie-Brigade deckte
die linke Flanke der Sturmtruppen gegen die von Apremont her zu
erwartenden französischen Gegenangriffe, die bayerische 5.
Infanterie-Division verlängerte diese Brigade nach Osten hin und hatte
Anschluß an das XV. Armeekorps, das die Bedrohung des Angriffs
gegen Camp des Romains von
Toul - Nancy her verhindern sollte.
[352b] Auf den Côtes Lorraines: Fort Camp des Romains
und westliche Ausläufer der Stadt St. Mihiel.
|
Fort Camp des Romains lag seit 30 Stunden unter dem wirksamsten
Steilfeuer. Zwar feuerten noch einzelne Geschütze. Allein die
Überlegenheit der Angriffsartillerie nahm stündlich zu und
machte das Werk sturmreif, während die Wirkung der Fortsgruppe
Liouville - Jouy - Gironville sichtlich nachließ.
5½ Uhr früh befahl General v. Höhn den Sturm. Das
deutsche Artilleriefeuer wandte sich nach einer letzten Welle, die das Fort
traf, gegen die Maasübergänge bei St. Mihiel, die
französischen Anschlußlinien und Batterien. In acht Kolonnen
stürzten die Bayern vor, ihnen voraus die preußischen Pioniere.
Hindernisse und Graben wurden mittels Sturmgerät bewältigt,
die Sturmtruppen erstiegen den Wall, dicht gefolgt von der Sturmreserve,
die zugleich die Nordflanke des Forts umfaßte und die Verbindung
talwärts durch Besetzung der Stadt St. Mihiel abschnitt. Die
Franzosen, zwei aktive Bataillone, hatten sich unter der
erschütternden Wirkung des Steilfeuers in die Hohlräume
zurückgezogen, setzten aber den Stürmenden den heftigsten
Widerstand im Innern des Werkes entgegen. Erst als die Zugänge
aller Räume gesprengt waren, nahm der Fortskommandant 9 Uhr
früh die ihm angebotene Übergabe an. Die Besatzung, die durch
schwere Verluste auf einen Bruchteil zusammengeschmolzen und durch die
lange Beschießung erschöpft war, erhielt das Recht des Abzuges
mit allen Ehren, da die Deutschen ihre Tapferkeit anerkannten.
Die Einnahme des Forts Camp des Romains war ein besonderer Ruhmestag
der deutschen Waffen. Das Werk war, als die Bayern zum Sturme schritten,
durch die Angriffsartillerie durchaus noch nicht vollständig
niedergekämpft. Die Bayern erlitten vielmehr beim Sturm sehr
empfindliche Verluste durch das
Gewehr- und Maschinengewehrfeuer der Verteidiger.
Die in taktischer Hinsicht glanzvolle Erstürmung des Forts du Camp
des Romains blieb aber in strategischer Hinsicht ohne durchgreifende
Wirkung. Sarrail erkannte die starke Gefahr für die
Ententegesamtfront, falls es den Deutschen gelang, die Einbruchsstelle bei St.
Mihiel so zu erweitern, daß sie gegen Bar le Duc Boden gewannen.
Dann wären die Argonnen von Süden her umfaßt,
Verdun von der Verbindung mit Innerfrankreich abgeschnitten, die
Nord- und Westfront von Toul bedroht worden. Deutscherseits hätten
aber zur Durchführung aller dieser Aufgaben starke Kräfte
gehört, welche die Heeresleitung nicht zur Verfügung hatte.
Sarrail holte rücksichtslos alle abkömmlichen Truppen herbei,
um das weitere Vordringen der Deutschen abzuwehren. Er fand sie in den
Hauptreserven der Festungen Verdun und Toul, sowie in den
Territorial-Divisionen der 2. und 3. Armee.
[356]
In der Woëvre-Ebene.
Bereits am 25. September ging das III. bayerische Armeekorps unter
Ausnutzung seines Erfolges gegen Camp des Romains bei St. Mihiel
über die Maas und setzte sich am Brückenkopf von
Chauvencourt fest. Allein es erwies sich als nicht möglich, die
Osthänge der Maasberge beiderseits der großen Straße
St. Mihiel - Bar le Duc zu nehmen. Sie
waren halbkreisförmig von sehr erheblichen französischen
Kräften besetzt, die den Talgrund oberhalb und unterhalb
Chauvencourt sowie die genannte Straße durch Massenfeuer aus
vorzüglich angelegten Stellungen beherrschten. Namentlich
fügten die sehr beweglichen französischen
Schnellfeuerbatterien, die in ihren verdeckten Aufstellungen nicht zu fassen
waren, den Bayern starken Schaden zu. Indessen gelang es auch den
Franzosen nicht, die Bayern aus dem eroberten Brückenkopf von
Chauvencourt und vom westlichen
Maas-Ufer wieder über den Strom zurückzudrängen. Die
bayerische 5.
Infanterie-Division warf in der Nacht 25./26., am 26. und 27. September
französische Anstürme unter großen Feindesverlusten
zurück.
Die französischen schweren Batterien bei der Sperrfortsgruppe
Liouville - Jouy - Gironville hielten vom 25. September
mittags ab das von den Deutschen besetzte Fort Camp des Romains unter
schwerem Feuer. Die deutschen und
österreichisch-ungarischen Batterien, die Camp des Romains
niedergezwungen hatten, waren nicht in der Lage, die feindlichen
Geschütze zum Schweigen zu bringen. Erst am 27. erlosch der
Artilleriekampf, als sich beide Teile von dessen Zwecklosigkeit
überzeugt hatten, denn die Deutschen ließen sich durch Feuer
nicht mehr vertreiben, die französischen Werke waren aus der Ferne
nicht bezwingbar.
Nördlich St. Mihiel wurde das deutsche V. Armeekorps am 26.
September in die Waldungen der Côtes Lorraines nach Osten
zurückgenommen. Man erkannte, daß die schwachen, auf sehr
breite Front auseinandergezogenen Kräfte nicht hinreichten, gegen die
bereitstehenden französischen Kräfte einen
Maas-Übergang zu erzwingen, und gleichzeitig einem starken Druck
gegen ihre rechte Flanke von Verdun her auf die Dauer Widerstand zu
leisten. Daher ging das V. Armeekorps am 27. in eine Aufstellung
zurück, die sich über Chaillon an die bayerischen Stellungen
bei St. Mihiel anlehnte, weiter nach Nordosten hin auf die Höhen
westlich Hattonchâtel zurücksprang, um dann dem
Rücken westlich des
Longeau-Bachs bis vorwärts des Dorfes Combres zu folgen.
In der nördlichen Woëvre-Ebene entstand nach längeren
Kämpfen zwischen den vorgeschobenen Truppen der Festung Verdun
und Teilen der durch die Hauptreserve Metz verstärkten
5. Armee - zusammengefaßt unter der Bezeichnung "Gruppe
Strantz" - bis zum 27. September eine deutsche Kampflinie, die sich
vorwärts der Orte
St. Hilaire - Etain - Azannes von Süden
nach Norden zog. Von Azannes erstreckte sich die Front zur Maas bei
Consenvoye hinüber.
[357] In der südlichen
Woëvre-Ebene bildeten auf dem rechten Flügel das III.
bayerische Armeekorps vom Walde von Apremont bis Xivray, in der Mitte
das XIV. Armeekorps von Xivray bis Fey en Haye, auf dem linken
Flügel von dem letztgenannten Orte bis zur Mosel unterhalb Pont
à Mousson
Ersatz- und Landwehrtruppen die deutsche Südflanke. Um die
ausgedehnten Höhenstellungen und um die Waldungen dieser Linie
wurde erbittert gerungen. Die Franzosen kamen trotz erheblicher
Überlegenheit an Zahl und trotz Unterstützung durch
vorgeschobene Batterien der Festung Toul nicht vorwärts,
während die Deutschen nicht stark genug waren, um zum allgemeinen
Angriff zu schreiten. Das XIV. Armeekorps wurde nach Lille
abbefördert und durch die 10., 2. und
Garde-Ersatz-Division ersetzt.
Am 28. September erlosch der Kampf auf der ganzen Front zwischen Maas
und Mosel. Es war der deutschen Heeresleitung nicht gelungen, die Festung
Verdun von Süden her abzuschnüren, auch nicht einen
Durchbruch über die Maas zwischen Verdun und Toul auf breiter
Strecke auszuführen. Die französischen Zwischenstellungen
waren zu stark, als daß sie von den geringen deutschen Kräften,
für die zur Zeit keine Reserven zur Verfügung standen,
hätten bezwungen werden können. Das französische
Sperrsystem hatte seinen großen Wert erwiesen, wennschon Camp des
Romains der deutschen Angriffswucht anheimgefallen war. Der Eckpfeiler
der Befestigungen von Toul, die Sperrgruppe
Liouville - Jouy - Gironville, hatten sich gehalten. Das
Maas-Tal bildete, zunächst wenigstens, eine von den deutschen
Truppen nicht zu überschreitende Sperre. Im allgemeinen konnte
Sarrail trotz des Verlustes von Camp des Romains mit dem Verlauf der
Ereignisse zufrieden sein. Gleichwohl hatten die Deutschen durch die
Gewinnung eines Brückenkopfes bei St. Mihiel einen erheblichen
Gewinn in dem Sinne erzielt, als sie den Feind zwangen, bedeutende
Kräfte an der Maas von südlich Verdun bis an die Werke von
Toul hin dauernd bereitzuhalten, um einen deutschen Durchbruch von St.
Mihiel aus zu verhindern. Demgegenüber stand für die
Deutschen das Bedenken, daß der
"Mihiel-Bogen", der zungenartig nach Südwesten hin aus der
allgemeinen Front vorsprang, beträchtliche Kräfte zur
Festhaltung beanspruchte, weil seine Südflanke von
Toul - Nancy, seine Nordflanke von Verdun her stark
gefährdet war.
Kämpfe bei Albert Ende September.
Nachdem der Vorstoß der Armee Castelnau von
Montdidier - Moreuil - Amiens her gegen St. Quentin am
Gegenangriff der Deutschen gescheitert war, griff Joffre sofort den
Gedanken wieder auf, den deutschen Nordflügel von neuem durch ein
noch weiteres Ausholen zu umfassen. Er suchte Verbindung mit den Belgiern
in Antwerpen und versprach sich den sichersten Schutz bei der linken
Flanke der Ententeheere aus der Bewegungsfreiheit gegen die deutschen
Verbindungen.
[358] Daher ordnete Joffre die Bildung einer
neuen Armee - der 10. - unter General de Maudhuy, dem
bisherigen Befehlshaber des XVIII. Armeekorps, an, der sich in den
Kämpfen um den Damenweg bei Craonne durch unermüdliche
Angriffslust hervorgetan hatte, und überwies ihm außer seinem
eigenen Korps die
Reserve- und Territorialgruppe Brugère, die aus vier Divisionen
bestand, sowie die Heeresreiterei des linken Flügels. Die Armee wurde
bei Amiens und Doullens gesammelt, um von dort auf
Arras - Béthune vorzugehen.
Zum Schutz dieser Bewegung schob sich die französische
Heeresreiterei sehr schnell im Gelände zwischen der Scarpe und Lys
nordwärts vor, erreichte Lille und zwang die deutschen
Deckungstruppen in Westbelgien zu umfassenden
Sicherungsmaßregeln.
Deutscherseits fand man die beste Abwehr der drohenden
französischen Umfassungsbewegungen wiederum im Gegenagriff.
Während die 4.
Kavallerie-Division bei Cambrai die rechte Flanke deckte, überschritt
die Garde-Kavallerie-Division am 21. September die Straße
Péronne - Bapaume und warf bei Combles eine
französische
Reiter-Division auf Albert so weit zurück, bis sie von den Vortruppen
des linken Flügels der Armee Castelnau aufgenommen wurde. Den
deutschen Reitern folgte das I. bayerische Armeekorps und drängte
den Feind in lebhaften Kämpfen bis Fricourt nahe östlich
Albert zurück. Das II. bayerische Armeekorps setzte sich auf den
rechten Flügel des I. bayerischen Armeekorps und ging bis zum Walde
von Mametz unweit der Straße
Albert - Bapaume vor. Hinter dem II. bayerischen Armeekorps
trafen das XIV. Reservekorps und die 26.
Reserve-Division südlich Bapaume ein, um sofort den rechten
Flügel der Bayern zu verlängern. Sie drückten die
Franzosen langsam über
Thiepval - Grandcourt gegen die
Ancre-Übergänge oberhalb Albert zurück.
Ende September stand der französische Nordflügel in der Linie
Bray - Albert - Miraumont den Deutschen gerade
gegenüber. Er hatte die Versammlung der in Bildung begriffenen
Armee Maudhuy zwar gedeckt, war aber durch das beharrliche Vorgehen
der Deutschen selbst in die Verteidigung gedrängt worden.
Im Raume zwischen Bapaume - Arras - Cambrai hielten
sich die beiderseitigen Reitereien in vielfach schwankenden Gefechten das
Gleichgewicht.
Eingreifen des englischen Heeres auf dem
Nordflügel.
Im bisherigen Verlauf des Krieges hatte das englische Heer im engen
Verband mit dem französischen gefochten und sich den Befehlen
Joffres untergeordnet. Die Engländer hatten in der
Marne-Schlacht die sich ihnen bietenden Vorteile nicht mit der gebotenen
Entschlossenheit ausgenutzt und hierdurch den Abmarsch der Deutschen
aus einer Lage ermöglicht, die bei größerer Angriffslust
vielleicht den deutschen Westflügel in eine bedenkliche Lage
hätte bringen können. Die geringe taktische Schulung der
englischen Infanterie und das
Ver- [359] sagen der englischen Führung
nahmen ihr die Beweglichkeit, welche die Voraussetzung der
durchgreifenden Erfolge in der neuzeitlichen Schlacht ist. An der Aisne
hatten die Engländer, beiderseits scharf von französischen
Korps eingerahmt, besser wie an der Marne gefochten und erheblich dazu
beigetragen, daß die
Aisne-Übergänge erstritten und die Höhen des
Damenweges an vielen Stellen von den Verbündeten beherrscht
wurden, wenngleich auch hier ein wirklich entscheidender Erfolg den
Deutschen nicht hatte abgerungen werden können.
Der Vormarsch der Deutschen bis zur Marne in den letzten Tagen des August
und zu Anfang September und der Rückzug der englische Truppen in
südlicher Richtung hatten die englische Heeresleitung gezwungen, die
Ausschiffungshäfen von Dünkirchen, Calais, Boulogne nach
Havre und St. Nazaire zu verlegen, was zu Reibungen und Schwierigkeiten
verschiedenster Art geführt hatte. Daher mußte es für
England von Wert sein, die drei erstgenannten Häfen möglichst
bald zurückzugewinnen. Vor allem aber lag es auch im Sinne der
englischen Kriegspolitik, eine unabhängige und, wenn es anging,
führende Stellung Frankreich gegenüber zu erlangen. Hierzu
gehörte unbedingt ein selbständiges Kampfgebiet in
Frankreich, das naturgemäß auf dem Nordflügel liegen
mußte, um der englischen Heimat nahe zu sein, die Verbindungen zu
kürzen, die Annäherung der Deutschen an den englischen
Machtbereich zu verhindern und den Einfluß auf Belgien zu wahren.
Die Rettung Antwerpens, dessen Belagerung die Deutschen vorbereiteten,
und die empfindliche Bedrohung ihrer Flanke und der
rückwärtigen Verbindungen auszuschalten, erschien der
englischen Regierung aus dem gleichen Grunde als ein zwingendes Gebot
politischer wie militärischer Pflicht.
Joffre wurde durch das englische Verlangen in eine sehr schwierige Lage
versetzt. Das französische Heer befand sich in ernsten
Kämpfen. Die Deutschen hatten die französischen
Umfassungsversuche auf St. Quentin nicht nur zurückgeworfen,
sondern auch durch wuchtige Gegenangriffe in rückläufige
Bewegungen verwandelt. Bei Verdun war der deutsche Vorstoß nur mit
Mühe abgewehrt, zwischen Verdun und Toul der Durchbruch des
Feindes mit knapper Not verhindert worden. Nur durch schnelles
Verschieben der Reserven und durch die rasche Aufstellung von
Neubildungen war es möglich gewesen, die Absichten der Deutschen
zu durchkreuzen, die sich vom Schlage der
Marne-Schlacht erholt hatten. Wurde jetzt das englische Heer aus der
Aisne-Front fortgezogen, so bedeutete diese Verschiebung eine recht
unbequeme Störung der Entschlußfreiheit des
französischen Oberfeldherrn und erschwerte seine
Bewegungsmöglichkeit in empfindlichster Weise.
Gleichwohl sah sich Joffre genötigt, in die englische Forderung zu
willigen. Sie wurde von der französischen Regierung aus politischen
Gründen unterstützt, denn ohne England wäre
Frankreich überhaupt nicht länger kampffähig
geblieben. England wies darauf hin, daß es gewillt sei, den Krieg im
aller- [360] größesten Maßstabe
weiterzuführen. Im Mutterlande bereitete man die stärkste
Ausdehnung der Werbungen vor. Indien, Australien, Kanada sollten
bedeutende Massen auf den französischen Schauplatz werfen.
Durch ein Übereinkommen zwischen Joffre und French wurde
festgelegt, daß die Loslösung des englischen Heeres aus der
Aisne-Front in der Zeit vom 1. bis 7. Oktober stattfinden sollte. Den
freiwerdenden Raum mußten die französischen Nachbararmeen
durch Streckung ihrer Fronten schließen, während die
hierdurch aufgebrauchten zurückgehaltenen Kräfte durch
Reserve- und Territorialtruppen neu gebildet wurden.
Das englische Heer wurde teils mittels Eisenbahn, teils durch
Fußmärsche über
Amiens - Abbeville in den Raum
St. Omer - Hazebrouck - Bergues verschoben. Es
war am 12. Oktober vollzählig dort versammelt, zu einer Zeit, als der
Fall Antwerpens bereits besiegelt war, und während dessen
Belagerung die Franzosen schwere Kämpfe in Nordfrankreich hatten
führen müssen, um die Verschiebungsbewegungen des
englischen Heeres gegen deutsche Angriffsversuche zu decken. Die
Stärke des britischen Heeres hatte sich im Vergleich mit seiner
Kampfkraft bei Kriegsausbruch mehr als verdoppelt. Die Lücken der
Armeekorps I bis III und der beiden
Reiter-Divisionen, die durch die Eröffnungsschlachten hervorgerufen
worden waren, wurden ausgefüllt. Das IV. Armeekorps wurde in
Ostende ausgeschifft. Bald darauf folgten zwei Divisionen berittener
Infanterie, während die vorderste Staffel des indischen Heeres in
Stärke einer Division in St. Nazaire an Land ging.
Durch die Verschiebung des englischen Heeres auf den Nordflügel trat
der Krieg in einen neuen Abschnitt ein, der sich noch einmal als der
beiderseitige Versuch kennzeichnete, den Bewegungskrieg an Stelle des
Stellungskampfes zu führen, der die Heere immer mehr in starre
Formen zu binden begann.
Die Schlachten bei Arras - Lens - La Bassée, 30. September
bis 9. Oktober.
Deutscherseits fanden in den letzten Septembertagen 1914 gleichfalls
umfassende Umgruppierungen statt. Generaloberst
v. Bülow, bisher
Befehlshaber der 2. Armee, übernahm den Oberbefehl über
eine neu zusammengestellte 2. Armee im Raume zwischen Oise und Scarpe.
Der Abschnitt am Damenweg und vor Reims, in welchem die alte 2. Armee
gefochten hatte, wurde durch die 7. Armee unter Generaloberst v. Heeringen
ausgefüllt. Die 6. Armee Kronprinz Rupprecht von Bayern wurde in teilweise veränderter Zusammensetzung nach Nordfrankreich
verschoben, wo ihre vordersten Staffeln bereits Kämpfe gegen die
Armee Castelnau bestanden hatten. Ihre Ausladepunkte lagen um
Valenciennes, Mons, Maubeuge. Ihre Operationsziele, die anfangs
Amiens - Albert waren, verschoben sich in dem Maße
nordwärts, als der Feind zu immer mehr ausholenden Umfassungen
sich nach Norden hin ausdehnte. Die Abbeförderung [361] und die völlig neue
Zusammenstellung der 4. Armee Herzog Albrecht, die bei Brüssel sich
sammelte, waren in Vorbereitung.
Die französische 10. Armee Maudhuy stand am 28. September in
folgender Gliederung zum Vormarsch aus der Front
Doullens - St. Pol bereit:
- XXI. Armeekorps auf Arras,
- X. Armeekorps auf Lens,
- XXXIII. Armeekorps, aus drei Reserve-Divisionen neu gebildet, auf La
Bassée,
- 45. Reserve-Division hinter dem X. Armeekorps,
- Heeresreiterei, dabei eine Territorial-Brigade, auf Douai und Lille.
Aufgabe der Armee war Vormarsch über die Linie
Arras - Lens - La Bassée mit dem allgemeinen
Angriffsziel Douai.
Auf deutscher Seite wurde zunächst beabsichtigt, den feindlichen
Anmarsch, über welchen genügend zuverlässige
Nachrichten vorlagen, durch die Heeresreiterei aufzuhalten, bis die Spitzen
der 6. Armee herangekommen waren. Zu diesem Zweck sammelten sich im
Raume
Valenciennes - Condé die Kavalleriekorps 1, 2, 4, um
unter dem Oberbefehl des Generals v. der Marwitz auf Arras,
Douai - Lens - Orchies - Lille vorzugehen und die
französischen
Reiter-Divisionen nebst deren Infanterieunterstützungen nach Westen
und Nordwesten zu drücken. Die deutschen Reiter kamen sehr schnell
an die Spitzen der Marschkolonnen der französischen 10. Armee
heran und leisteten an allen
Fluß- und Kanalabschnitten sehr kräftigen, für den
Gegner recht empfindlichen und namentlich zeitraubenden Widerstand.
Das preußische Gardekorps wurde von Cambrai auf Arras angesetzt.
Rechts rückwärts folgte ihm das IV., diesem noch weiter rechts
rückwärts das I. bayerische Reservekorps, das über Douai
auf Lens vorgehen sollte. Das Gardekorps, dem das 2. Kavalleriekorps
unterstellt wurde, traf am 2. Oktober bei Monchy le Preux auf den rechten
Flügel der französischen 10. Armee und entwickelte sich nach
links heraus, indem die 1.
Garde-Division über Achiet le Grand auf Bucquois, die 2. über
Bullecourt auf Ervillers vordrang. Die linke Kampfgruppe gewann die Linie
Ablainzeville - Bucquois - Puisieux an der Straße
Arras - Albert, nach links hin an das XIV. Reservekorps bei
Serre angelehnt. Die rechte Gruppe, bei ihr die 2.
Kavallerie-Division, entfaltete sich in der Linie
Baisleux - Boiry - Ayette. Bis zum 7. Oktober dang die
Garde bis zum Abschnitt
Ficheux - Gommécourt - Serre vor, wo sie sich
in sehr breiter Front und daher in dünner Aufstellung gegen lebhafte
französische Vorstöße hielt, bis der Feind erschöpft
war und am 8. Oktober in die Verteidigung zurückfiel. Er legte sich in
befestigter Stellung den Deutschen gegenüber fest.
Nördlich der Garde ging das deutsche IV. Armeekorps geradeaus am
Nordufer der Scarpe gegen Arras vor und gelangte unter heftigen Gefechten
über
Roeux - [362] Fampoux - Athies bis St.
Laurent nahe an die Vorstädte von Arras, das von den Franzosen
hartnäckig und schließlich mit Erfolg gehalten wurde. Der linke
Flügel des IV. Armeekorps umging Arras im Süden, warf die Franzosen
über den Abschnitt des
Cojeul-Baches, nahm die Höhen bei Neuville
Vitasse - Mercatel und setzte sich in der Linie
Tilley - Beaurains - Ficheux fest, nach links hin
Anschluß an das Gardekorps haltend.
Rechts vom deutschen IV. Armeekorps ging das I. bayerische Reservekorps
aus der Front Henin
Liétard - Douai gegen die Höhen nördlich
Arras vor und warf die Franzosen unter fortgesetzten scharfen Gefechten
auf das Hügelgelände von Givenchy en
Gohelle - Vimy - Thélus - Gavrelle
zurück. Das französische XXXIII. Reservekorps wich
westwärts aus und grub sich auf den Höhen
Loretto-Kapelle - Ablain - Carency - Mont St.
Eloi ein.
Joffre übertrug dem General Foch, dem bisherigen Führer der
9. Armee, der sich in der
Marne- und der Aisneschlacht den Namen eines hervorragenden
Führers gemacht hatte, den Oberbefehl über alle
französischen Streitkräfte nördlich der Oise, somit
über die Armeen 2 und 10, um die Einheitlichkeit der Operationen
sicherzustellen und ein Gegengewicht zu dem Einfluß der
Engländer zu schaffen, die jetzt ihre Versammlung am
äußersten Nordflügel vollzogen hatten und auf operative
Selbständigkeit drängten. Fochs Absicht war, die Umfassung
des deutschen Nordflügels mit vollem Nachdruck zu erzwingen. Er sah
sich jedoch durch das ungestüme Zufassen der Deutschen, die ihren
rechten Flügel immer weiter nach Norden hin verlängerten,
nicht allein aufgehalten, sondern in die Abwehr gedrückt und vor die
Gefahr gestellt, selbst von Norden her umfaßt zu werden. Daher zog er
das XXI. Armeekorps aus der Front und warf es nach Béthune, um
von dort, durch mehrere
Reiter-, Reserve- und Territorial-Divisionen unterstützt, über
Lens - La Bassée den deutschen
Nordflügel zu umklammern. Deutscherseits hatte sich inzwischen die
unter dem Oberbefehl des Generals v. der Marwitz in der Stärke von
vier Divisionen vereinigte Heeresreiterei nördlich an Lens vorbei
über
Hulluch - Loos in die linke Flanke des französischen
XXXIII. Reservekorps gezogen und der Höhe der
Loretto-Kapelle bemächtigt, die von den Gardejägern im
Verein mit abgesessenen Schwadronen gegen heftige Angriffe der Franzosen
gehalten wurde. Indessen zwang das von Béthune her umfassende
Vorgehen des frischen französischen Korps die Reiter der
Marwitzschen Divisionen zum Rückzug auf die Höhen von
Hulluch - Loos - Liévin, welche Lens
deckten.
Das deutsche XIV. Armeekorps, das ursprünglich im Verbande der 7.
Armee in den Vogesen gekämpft hatte, dann in der
Woëvre-Ebene eingesetzt worden war, traf in den ersten Oktobertagen
mit der Eisenbahn bei
Valenciennes - Douai ein und ging sofort zur Entlastung der
unter General v. der Marwitz kämpfenden
Reiter-Divisionen auf Lens vor. Hier fing es den Umfassungsversuch des
französischen XXI. Armeekorps auf, wodurch sich in der Linie
Liévin - La Bassée ein [363] frontales Abringen der beiderseitigen
Kräfte entwickelte, das bald zum Eingraben und zur Erstarrung der
Gefechtshandlung führte.
Die deutschen und französischen Reitermassen lösten sich von
den Kampffeldern um
Arras - Lens los und standen sich in wechselnden Gefechten im
Raume zwischen La Bassée und Lille gegenüber.
Am Abend des 9. Oktober erlosch die Schlacht auf der Gesamtfront von der
Oise bis an den Kanal von La Bassée. Die Franzosen gaben den
Versuch auf, die Deutschen von links her zu umklammern, denn sie sahen
sich bei jedem neuen Ausholen frischen deutschen Staffeln gegenüber,
die aus der Tiefe von Osten her kamen und durch
Flügelverlängerung die Umfassung zunichte machten. Somit
war der Plan Joffres mißlungen. Die Deutschen hatten trotz der sehr
schwierigen Bahnverhältnisse ihre größere operative
Beweglichkeit in vorbildlicher Weise zur Verschiebung der Kräfte nach
dem Entscheidungsflügel ausgenutzt. Allein sie waren wegen Mangels
an Truppen niemals in der Lage gewesen, selbst eine Umfassung
auszuführen und die Hauptausgangspunkte des feindlichen
Operationsgebiets, nämlich Albert und Arras, zu erreichen. Die
beiderseitigen Kräfte hatten sich auf der ganzen Schlachtfront
gebunden.
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