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[Bd. 1 S. 355]
Peter Vischer, 1460 - 1540, von Hans Karlinger

Peter Vischer.
Peter Vischer.
Selbstbildnis-Statuette am Sebaldusgrab, 1508.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 71.]
Es gibt wenige Künstler aus deutscher Vergangenheit, deren Name eine ähnliche Volkstümlichkeit aufweisen könnte wie der Name des Nürnberger Erzgießers Peter Vischer des Älteren. Seit den Tagen der Spätromantik, namentlich aber seit der Zeit, in der die deutsche Renaissance Hand in Hand mit der Erneuerung des Kunsthandwerks wieder zu Ehren kam – nach 1870 –, wird Peter Vischer als der vornehmlichste Träger deutschen Kunsthandwerkertums weithin in unserem historischen Schrifttum immer wieder genannt. Viel mag zu diesem Vorstellungsbild sein bekanntes Selbstporträt am Sebaldusgrab beigetragen haben: der Werkmeister im Lederschurz mit dem Hammer, also mitten in seiner Tätigkeit, eine schlichte Figur mit schönem Haupt und geradem Blick, gleichsam den Typ des deutschen Werkmeisters verkörpernd, so wie ihn landläufige Vorstellung von deutscher Kunst und deutschem Bürgertum gern sieht, eine Führergestalt unter den Künstlern der tonangebenden Stadt an der Wende zur Neuzeit auf deutschem Boden, des Nürnberg der Meistersänger.

Geschichtlich betrachtet entspricht diesem Vorstellungsbild soviel, daß zweifellos Peter Vischer der Ältere in der an künstlerischen Bestrebungen und Kräften ungewöhnlich reichen Stadt Nürnberg in der Zeit um 1500 eine Persönlichkeit darstellte, die neben Namen wie Adam Krafft und Albrecht Dürer auf höchster Stufe allgemeinen Ansehens stand, soweit ein solches dem ja immer noch in Ständen denkenden Geist bürgerlicher Gemeinschaften im Norden überhaupt – im Gegensatz zu der freieren und dadurch gehobeneren Stellung des gleichzeitigen italienischen Künstlers – zukam. Als der Rat der Stadt Nürnberg 1511 über das Schicksal des schadhaft gewordenen "Schönen Brunnens" auf dem Markt, des Hauptdenkmals der Stadt aus den Anfängen ihres Aufstieges unter Kaiser Karl IV., sich Auskunft erholte, wurden Peter Vischer und Dürer mit dieser Aufgabe betraut. Berichte aus dem sechzehnten Jahrhundert lassen durchblicken, daß man in dem Meister nicht nur den Inhaber der größten Gußhütte des Messingwerkes sah, auf das ja Nürnberg besonders stolz war, sondern daß über alle Zunftenge hinaus der Künstler Peter Vischer entsprechende Beachtung genoß; in seine Hände wird von Anbeginn (1488) die Durchführung der größten Arbeit, die in der Zeit zwischen 1480 und 1520 in der Stadt vergeben wurde, gelegt: das Denkmal und der Schutzbehälter für den Sarg des Schutzheiligen der Stadt, den hl. Sebald.

Das Sebaldusgrab.
Das Sebaldusgrab in der Sebalduskirche zu Nürnberg.     [Nach wikipedia.org.]

[356] Die Verbindung des Namens Peter Vischer mit dem Sebaldusgrab, dem größten Metallgußwerk aus der Spätzeit deutscher mittelalterlicher Kunst, hielt zunächst die Erinnerung an den Künstler fest; als einzig dastehende technische Leistung wird das Denkmal in der Regel in der älteren Reiseliteratur genannt. Erst erheblich später ist das Interesse für die künstlerische Eigenart des Meisters wach geworden. Zunächst in der Blickrichtung auf Peter Vischer als den Begründer einer neuen, dem Gotischen abgewendeten Schönheitsform. Für die noch nicht kritisch sichtende Frühzeit der Kunstgeschichtsschreibung konnte sich dabei leicht die Verbindung dieser neuen Form mit einer Befreiung von mittelalterlicher Enge angesichts der ganzen profanen Welt der spielenden Kinderfiguren, antiken Götter und Allegorien einstellen, die das Sebaldusgrab umgibt, – daß sie nicht von seiner Hand stammen, ist eine Erkenntnis viel jüngerer Forschung. Den tiefsten Grund aber, warum die Gestalt Vischers dem späten neunzehnten Jahrhundert so naherücken konnte, hat zuerst W. Pinder angedeutet: Peter Vischer ist der erste, der rückschauend aus der Formenwelt vergangener deutscher Kunst seine Idealtypen der Apostel des Sebaldusgrabes geprägt hat. Er ist in diesem Sinne der erste bewußt historisch gestaltende Künstler; inmitten der Rückblickgeneration um 1880 war diese innere Wesensverwandtschaft sicher das Element, aus dem am unmittelbarsten ein

Apostel Jakob der Jüngere.
Apostel Jakob d. J.

Apostel Taddäus.
Apostel Taddäus.
Peter Vischer: Zwei der zwölf Apostelfiguren
am Sebaldusgrab im Ostchor von St. Sebald/Nürnberg.
[Nach wgsebald.de.]
Verständnis – und eine Begeisterung – für seine Kunst erwachsen konnte. Was Dürer in gleichem Maße erst in Spätwerken, wie den Vier Aposteln der Alten Pinakothek in München, ganz erreichte, was andere Zeitgenossen, wie Veit Stoß oder Riemenschneider überhaupt nicht anstrebten – die Bildung eines scheinbar zeitlosen Idealstiles, das hat Peter Vischer in den Apostelfiguren des Sebaldusgrabes in erstmaliger Fülle verwirklicht.

Gleichviel, wie man sich zu dieser Klassik der Formgesinnung stellen mag, darüber kann kein Zweifel sein, daß die schlichte Größe ihrer Erscheinung leichter weitesten Kreisen der Betrachtung zugänglich ist, als das eigenwillige Ungestüm spätgotischen Bewegungsausdruckes. Bei oberflächlichster Betrachtung könnte es so scheinen, als ob Vischer diese Klarheit und Größe seines Stiles italienischen Anregungen zu danken hätte; der Vergleich zur italienischen Renaissance, die in Wirklichkeit kein verwandtes Werk besitzt, ist oft genug gemacht worden. In Wirklichkeit ist die Gestaltgebung der zwölf Apostel Vischers eigenstes Verdienst, Folge eines geistigen Ringens, das von innen heraus zur Abstoßung der malerischen Effekte und Spannungen führte, von denen sich andere, wie Veit Stoß, nicht frei machen wollten. Es kann sein, daß ein besonders feines Werkgefühl für die Wirkungsmöglichkeiten des Metallgusses, der ja den Reiz der persönlichen Handschrift nicht in gleichem Maße ermöglicht, wie Holz- oder Steinbildnerei, diese Anlage zu monumental einfacher Formgebung noch gefördert hat – für den Metallgießer liegt, wie für den Freskomaler, das Entscheidende in der Idee des Entwurfes, er bleibt von wirkungsvollen Zufälligkeiten des Materials in ganz anderem Grade ferngehalten, wie etwa der Bild- [357] hauer, der in rauhem Steinmaterial arbeitet. Die Bevorzugung harter und glatter Werkstoffe – Buchsholz oder Alabaster – in der Vischer nachfolgenden Generation der Bildhauer renaissancemäßiger Richtung (Konrad Meit u. a.) ist ein Beweis dafür, wie sich Formgesinnung und Materialgefühl wechselweise bedingen können – je nach den inneren Anliegen der Ausdruckssprache einer Zeit. Vischer gehört nun gewiß unter die ersten, bei denen dieses, der mittelalterlichen Überlieferung fremde Empfinden für die monumentale Steigerungsmöglichkeit durch den Werkstoff an sich, nicht durch beiläufige Arbeitsvorgänge, als entscheidende Linie in seiner künstlerischen Entwicklung wahrnehmbar ist.

Da die Urkunden, wie fast immer in dieser Zeit, über den inneren Verlauf des künstlerischen Lebensganges schweigen und äußere Anstöße, welche die Kunst Peter Vischers des Älteren – im Gegensatz zu seinen Söhnen – bewegt hätten, kaum vorhanden gewesen sind, so ist es wohl notwendig, die Lage der künstlerischen Richtungen, die den Meister in seiner Vaterstadt Nürnberg umgaben, wenigstens andeutenderweise noch einmal bestimmt zu umreißen. Dem deutschen Künstler um 1500 – und für Nürnberg als einen der größten Mittelpunkte dieser Zeit trifft der Fall in besonderem Maße zu – standen im allgemeinen zwei Wege offen: die Fortsetzung einer mehr oder weniger stark naturalistisch gefärbten, auf den malerisch-überraschenden Anblick hin gesteigerten Ausdruckskunst oder aber – in Abkehr von dieser seit etwa 1440 herrschenden Strömung – die Neubildung einer monumentalen Idealform, die notwendig auf die Zeit vor dem Eintreten des sogenannten spätgotischen Naturalismus, also auf die große Form des vierzehnten Jahrhunderts zurückgreifen mußte, soweit sie nicht aus dem anderen Blickbereich, d. h. dem des Südens, geholt wurde, was in der Zeit um 1500 noch selten begegnet. Die erste Richtung führte zu der Erscheinung, die unter dem Namen des "spätgotischen Barock" geläufig ist; Veit Stoß ist in Nürnberg ihr schon erwähnter, bedeutendster Vertreter, aber auch Adam Krafft, der Steinbildhauer und Freund Peter Vischers – wie überliefert wird – steht in Werken, wie dem Schreyer-Grabmal am Chor von St. Sebald oder dem Sakramentshäuschen von St. Lorenz, der malerisch bewegten Ausdrucksform näher als der "klassizistisch" ruhigen Monumentalität. Immerhin kann man im Werke des Adam Krafft, vor allem in seinen Stationsbildern und dem Relief der Stadtwaage, Elemente feststellen, die nicht nach malerischer Unruhe, wie sie innerhalb der gleichen Zeitstufe etwa besonders eindrücklich bei Heinrich Douverman in Xanten am Niederrhein ausgeprägt ist, abzielen, die vielmehr in der Beschränkung auf wenige Figuren und stille Stimmung die Klarheit der Erscheinung in den Vordergrund stellen. Ein ähnliches Verhalten kann man bei dem Augsburger Maler Hans Holbein dem Älteren finden; im Bilde der Paulsbasilika (1504) ruht der Blick unwillkürlich auf dem großen Umriß der dem Beschauer den Rücken zukehrenden sitzenden Frau, die den Grundton für die ruhig niederfließenden – nirgends zackig in das Waagrechte verlaufenden – Linien angibt: es wird etwas [358] von der in sich gefesteten Zuständlichkeit eines Daseins angedeutet, das in Peter Vischers reifer Kunst – den Aposteln des Sebaldusgrabes oder den Helden des Innsbrucker Denkmals – den Ausschlag gibt. Peter Vischers Frühwerke aber: der Erstentwurf des Sebaldusgrabes (1488) und der Astbrecher von 1490 sind selbst noch Zeugnisse des spätgotischen Naturalismus; das Augenblickliche, Fesselnde der Bewegung, der Überschneidungen entscheidet. Gegen 1500 muß die Wendung eingetreten sein; die Christophorus-Statuette von 1497 der Sammlung Delmar in Budapest bereitet den großzügigen Gewandstil vor, der fortan in Vischers Werken bis zu den Aposteln steigend sich entfaltet.

Was die Wendung bestimmte, kann nur vermutet werden; vielleicht daß die überlieferte Tatsache, daß Peter Vischer eine der größten Sammlungen "altfränkischer Figuren", also mittelalterlicher Bildhauerarbeiten besaß – es sollen an die dreihundert gewesen sein – einigen Aufschluß über die innere Veranlagung des Künstlers gibt. Namentlich wenn man sich vergegenwärtigt, daß – wie oben erwähnt – der Stil der Apostel aus Elementen älterer deutscher Kunst genährt ist. Die historischen Bestrebungen der Zeit und zumal Nürnbergs – Hartmann Schedels Weltchronik ist damals erschienen – würden dann etwa den Hintergrund bilden, vor dem sich, von geschichtlichen Einsichten und Erlebnissen gefördert, der Neuidealismus der Form verwirklicht hätte. Eine derartige Deutung der Vischerschen Kunstgesinnung mag vielleicht zunächst allzu modern klingen, weil sich vom späten neunzehnten Jahrhundert her allzu leicht eine – an sich nicht notwendige und durch das Wesen des Vorganges nicht bedingte – Verbindung zwischen historischer Rückschau und dem Mangel an künstlerischer Schöpferkraft einstellt.

Für die Bewertung der Vischerschen Leistung wäre ein solcher Wertmaßstab falsch – er ist aber überhaupt falsch im Hinblick auf das ganz anders impulsive Temperament der nordischen Kunst an der Schwelle zur Humanistenzeit. Daß gerade diese Zeit selbst sehr stark von historischen Idealbildern durchsetzt war, das kann allein schon die Geistesrichtung des "letzten Ritters", des Kaisers Maximilian, beweisen – nicht zufällig befindet sich Maximilian unter den Auftraggebern Peter Vischers mit seiner Idee eines monumentalen Ahnengrabes für Innsbruck. Jedenfalls läßt sich aus dieser, in der Zeit vorhandenen inneren Bewegungsrichtung geistiger Einstellung die reife Kunst Peter Vischers zwangloser erklären als aus der Annahme äußerer Formeinflüsse; die Tatsache, daß Vischer der erste ist, der neben Albrecht Dürer den Weg zu einer Befreiung der Form vom herrschenden Zeitstil der spätgotischen Floskel unternimmt, kennzeichnet die vielseitige Spannkraft der Nürnberger Kultur ebenso wie die Gesamtlage des oberdeutschen künstlerischen Schaffens an der Schwelle zur sogenannten "deutschen Renaissance". Soweit es angängig ist, moderne Vorstellungen auf diese Zeit zu übertragen, möchte man den "Geist der Großstädte" als eine der wesentlichsten treibenden Kräfte dieses Geschichtszustandes erkennen; es ist nicht Zufall, daß sich in anderen Gebieten des Nordens, wie in Köln oder den damaligen [359] Welthandelsstädten der Niederlande, verwandte Bewegungen – dort vornehmlich innerhalb der Malerei – beobachten lassen. Schließlich gehört ja die Vielseitigkeit der seelischen Ausdrucksmöglichkeiten und damit die Vielbildigkeit der Formerfindung zu den Elementen reifer und einer Endphase sich zuneigender stilistischer Abläufe überhaupt; daß die deutsche Spätgotik – in deren Mitte Peter Vischer nach Herkommen und Werkgesinnung noch ganz steht – eine solche Reifezeit in vollstem Maße darstellt, ist längst bekannt.

Die Schwierigkeit, das künstlerische Gesamtwerk Peter Vischers des Älteren bis ins letzte genau zu bestimmen, beruht vor allem darin, daß nur wenige der Schöpfungen, welche der großen Vischerschen Gußhütte angehören, mit unbedingter Sicherheit dem Meister zuzuweisen sind. Der mittelalterliche Werkstattbetrieb nahm keinen Anstoß daran, daß Gußmodelle, die schon einmal vorhanden waren, wieder verwendet wurden und trotzdem die Signatur des jeweiligen Hütteninhabers tragen; so zeigt z. B. die Grabplatte für Bischof Johann IV. im Dom zu Breslau die Inschrift des Meisters, obwohl die Figur selbst von einem viel älteren Modell stammt und nur der Kopf und das Rahmenwerk neu modelliert wurde. Bei der wichtigsten Arbeit, dem Sebaldusgrab, hat die lange Entstehungsgeschichte (1488–1519) und die Beteiligung der Söhne zu einem höchst komplizierten Formengebilde geführt; die Meinungen über die Urheberschaft der einzelnen Teile gehen bei den Forschem weit auseinander, selbst die größte künstlerische Leistung der Hütte vor 1514, die Ritterfiguren für das Innsbrucker Denkmal, wird nicht einstimmig als Werk Peter Vischers des Älteren anerkannt.

Peter Vischer der Ältere hat 1488 die Werkstatt und Hütte seines Vaters, des "Rotgießers" Hermann Vischer, übernommen; die in Oberdeutschland nicht gebräuchliche Schreibweise des Namens mit "V" kann auf Zuzug von Niederdeutschland hinweisen; 1453 erhält Hermann Vischer das Nürnberger Bürgerrecht. Peter, der älteste von fünf Söhnen, muß um 1460 geboren sein und um 1485 sich zum erstenmal verheiratet haben. 1489, nach dem Tod des Vaters, wird er Meister; 1493 ist er Alleinerbe der Hütte. In den folgenden Jahren weilt er zeitweise auswärts, so 1493 anläßlich einer Beratung bei Pfalzgraf Philipp in Heidelberg, 1496 anläßlich der Aufstellung des Grabdenkmals für Ernst von Sachsen in Magdeburg. Hauskauf und Erweiterung der Gußhütte 1505 und 1506 deutet die Zunahme seines Ateliers an. 1512 wird er zuerst bei dem Humanisten Johannes Cochläus als berühmter Künstler und Meister erwähnt. 1520 gehört Peter Vischer dem großen Rat der Stadt an, 1529 ist er gestorben.

Von seinen fünf Söhnen traten die beiden ältesten (aus erster Ehe) Hermann und Peter als Mitarbeiter und Fortsetzer der väterlichen Werkhütte besonders hervor, von den drei Jüngeren, Hans, Jakob und Paulus, wird Hans als der letzte bedeutende Vertreter der Werkhütte zu erwähnen sein.

Die künstlerische Verlaufslinie der Werke Peter Vischers des Älteren wurde schon oben angedeutet: die Tätigkeit der Jugendzeit, die noch ganz an die Zeit- [360] überlieferung gebunden erscheint, umfaßt etwa die Jahre 1487 bis 1499, ihr folgt die entscheidende Wende zum neuen Idealstil, der mit den Aposteln des Sebaldusgrabes und den Ritterfiguren, die 1513 vollendet werden, auf der Höhe steht. Seit 1514 geht der entscheidende Einfluß in der Werkhütte auf die älteren Söhne über, der Vater scheint fast nicht mehr künstlerisch hervorgetreten zu sein, wenn er auch die Leitung der Werkstätte bis zu seinem Tod behielt. Eine Spätstufe seiner Kunst, wie bei anderen Zeitgenossen (z. B. Dürer), hat sich bisher nicht nachweisen lassen.

Der Zahl nach nehmen unter den Bildwerken Peter Vischers die gegossenen Grabplatten die erste Stelle ein, sie waren ja wohl auch die Aufgabe, welche nicht nur die Hütte fortlaufend beschäftigte, sondern welche den Namen des Meisters zuerst verbreiteten; im ganzen deutschen Osten: Magdeburg, Breslau, Posen, aber auch in Krakau, sind Werke seiner Hand anzutreffen. Der Gebrauch dieser gegossenen, meist mit Gravierung oder Flachrelief ausgestatteten Messingplatten, der zuerst im vierzehnten Jahrhundert in Flandern und Niederdeutschland (Lübeck) sich ausbreitet, scheint seit der Zeit um 1500 besonders beliebt gewesen zu sein, um erst gegen Mitte des sechzehnten Jahrhunderts neuerdings durch die Steinplastik wieder zurückgedrängt zu werden; jedenfalls ist die Zahl der erhaltenen Denkmäler unbeschadet der vielen Zerstörungen durch Einschmelzung in späteren Kriegszeiten für die Frühzeit des sechzehnten Jahrhunderts am besten vertreten. Daneben war eine Hauptaufgabe, besonders in Niederdeutschland, die Herstellung von Taufbecken, unter denen allerdings keine Arbeit Peter Vischers sich findet. Wohl aber gehört das einzige größere Werk seines Vaters, Hermann Vischers des Älteren, in diese Gruppe: das Taufbecken der Stadtkirche in Wittenberg vom Jahr 1457. Sowohl die Technik dieses aus kleinen Gußstücken zusammengesetzten, achteckigen Beckens auf vier fialenartigen Pfosten, wie der Stil der schmückenden Apostelfiguren mit ihrer stumpfen, untersetzten Proportion und den hartkantigen Faltenlinien ist vorwiegend handwerklicher Prägung. Man wird an derbe Holzschnitzerei erinnert; die wappenhaltenden Löwen am Sockel und die Laubbossen am Gesims des Beckens entsprechen der unpersönlichen Erscheinung von Serienstücken, wie solche auch sonst im spätmittelalterlichen Werkstattbetrieb des Metallgießers vorkommen.

Altertümlich kleinformig wirkt auch das zweite, für Hermann Vischer den Älteren gesicherte Werk: der Grabstein des Bischofs Georg von Schaumburg in Bamberg, der vor 1475 entstand. Das Unpersönliche sakraler Feierlichkeit entspricht einer künstlerischen Gesinnung, wie sie um die Mitte des fünfzehnten

Grabmal Ottos IV. von Henneberg.
Grabmal Ottos IV. von Henneberg.
[Nach kirche-roemhild.de.]
Jahrhunderts noch herrschte. Von ihr aus gesehen bedeutet eines der ältesten Stücke, in denen die Hand Peter Vischers zu erkennen ist, das Grabmal Ottos IV. von Henneberg in der Stadtkirche zu Römhild (um 1480 entstanden), einen gewaltigen Fortschritt.

Die Figur des Hennebergers steht, nahezu in Vollfigur gegossen, vor dem [361] Steingrund, den eine Metallinschrift rahmt. Der Verstorbene ist in voller Rüstung auf einen heraldischen Löwen gestellt, die Rechte hält das flatternde Banner. Obwohl das Motiv des Stehens selbst – in Erinnerung an die Tradition der liegenden Grabfigur, wie sie in der älteren Zeit herkömmlich war – fast nicht angedeutet wird, im übrigen auch die Rüstung kaum eine freiere Bewegung zuläßt, verspürt man den großen Zug plastischer Mächtigkeit, den ähnlich ausdrucksvoll kein zweites Metallwerk dieser Zeit in Süddeutschland besitzt.

Etwa ein Jahrzehnt später – für die Zwischenzeit wären verschiedene Grabplatten mit reich gravierter Zeichnung zu erwähnen, darunter die des Woiwoden Lukas von Gorka († 1475) im Dom zu Posen – hat Vischer sein größtes Frühwerk gegossen: das Hochgrab für den Magdeburger Erzbischof Ernst von Sachsen, das 1495 vollendet wurde. Das Hochgrab trägt die überlebensgroße liegende Figur des Verstorbenen; der Sockel enthält vierzehn Wappenfelder zwischen Baldachinnischen mit den zwölf Aposteln und den Stiftspatronen St. Stefan und St. Moriz. Die Stilistik der Figur des Bischofs mit dem sprechend lebendigen Kopf inmitten der Zier des reichen Ornates ist reinste Spätgotik; sie begegnet etwa ähnlich im Nürnberger Kreis bei Adam Krafft mit der ganzen Lebendigkeit naturalistischer Formgebung. Für die Apostelfiguren sind zwei Grundtypen nachweisbar, die vor allem in der Modellierung der Köpfe leicht abgewandelt erscheinen; die Gestalten haben gedrungene Proportionen, wie die Apostel des Vaters am Wittenberger Taufbecken, von denen sie sich aber durch die unvergleichlich größer gesehene Wirklichkeit der Oberflächen unterscheiden. Die originellste Schöpfung ist der als Gewappneter erscheinende hl. Moriz, die erste ganz frei bewegte Gestalt, die wir von Peter Vischer kennen. Zusammen mit der Gedenkplatte für Thilo von Trotha in Merseburg um 1488 und dem "Astbrecher" stellt die Morizfigur die künstlerische Handschrift des jungen Meisters am eindrucksvollsten vor.

Der ''Astbrecher''.
Peter Vischer: Der "Astbrecher".
[Nach bayerisches-nationalmuseum.de.]
Der "Astbrecher" (München, Nationalmuseum) ist durch die Jahrzahl 1490 zeitlich bestimmt, die Zugehörigkeit zum Werk Peter Vischers wird heute allgemein anerkannt. Die Stellung der knienden Figur, die mit gespanntesten Kräften bemüht ist, den mächtigen Ast, den beide Hände umklammern, durchzubrechen, hat eine nächste Parallele in der Tragfigur des Adam Krafft am Sakramentshaus in St. Lorenz, das 1493 fertig wurde. Die Vermutung, daß der Astbrecher für den ersten Plan des Sebaldusgrabes bestimmt war, ist kaum zu bezweifeln; die dynamische Spannung, die durch das ganze erste Projekt des Gehäuses geht, erscheint in der Kraft der Figur in gedrängtester Geschlossenheit. Der "Astbrecher" ist eine der kennzeichnendsten Leistungen für den reinen Bewegungsstil, wie er in den Spätjahren des fünfzehnten Jahrhunderts als letzte Zusammenballung der Formkräfte auf überraschende Eindrücke bisweilen – z. B. bei den Maruçkatänzern Erasmus Grassers in München – auftaucht; der Ausdruck des gleichen Formgefühls, das man innerhalb der Zeichnung in Dürers etwa gleichzeitiger Apokalypse feststellen kann. Nicht die anatomische [362] "Richtigkeit", die auch später keinen entscheidenden Gradmesser für Vischers Werke abgibt, auch nicht die Allseitigkeit plastischer Sicht – der "Astbrecher" ist auf eine entscheidende Frontansicht komponiert – kennzeichnet das Werk; die Wirkung liegt in der Einheit eines augenblicklichen Bewegungserlebnisses, und hierin kommt der junge Vischer mit diesem Stück etwa Veit Stoß am nächsten.

Es wurde schon angedeutet, daß der "Astbrecher" in konzentrierter Form den Geist umschreibt, aus dem der erste Entwurf für das Sebaldusgrab vom Jahre 1488 zu erklären ist. Die in der Wiener Akademie verwahrte Federzeichnung des Projektes zeigt ein Gehäuse mit rechteckigem Grundriß; acht Pfeiler mit den vorgesetzten Apostelfiguren tragen einen dreiteiligen gotischen Turmbau, der ganz in Fialen aufgelöst, wie ein spätgotisches Sakramentshaus, zu nahezu 17 m Höhe sich erheben sollte. Der Vergleich mit Sakramentshäusern liegt um so näher, als in dem erwähnten Lorenzer Sakramentshaus von Krafft verschiedene Motive, wie die gebogenen Fialen des zeitlich früheren Vischerentwurfes wiederkehren; daneben könnte der Gedanke des spätgotischen Kapellenreliquiars Anlaß für diese Form eines Schutzgehäuses um den silbernen Schrein des hl. Sebald, des Patrones der Stadt, gegeben haben. Die Ausführung des Entwurfes scheint zunächst an den Kosten gescheitert zu sein. Die Figuren der Wiener Zeichnung sind von den Aposteln des Magdeburger Hochgrabes durch elegantere Proportionen verschieden, in den Einzelheiten aber ist es die gleiche krause Stilgebung, die auch in den Entwürfen für die Sockelreliefs der Zeichnung – auch sie können an Adam Krafft erinnern – die bewegte Führung der Umrisse aufweist, die in der erwähnten Gedenktafel für Thilo von Trotha verwirklicht wurde. Zusammenfassend kann über alle die vorgenannten Werke Vischers etwa ausgesagt werden, daß das einzige, was sie von dem gemeinsamen Gepräge der Nürnberger Kunst vor 1500 unterscheidet, vielleicht in einer grundsätzlichen Neigung zur Vereinfachung der Oberflächenform besteht, wobei allerdings die Voraussetzungen, die der Metallguß plastischer Werke bedingte und die Peter Vischer von Anbeginn klarer erkannte als sein Vater, zu berücksichtigen sind.

Dieser richtige und – im Sinne der Spätgotik – neue Blick für die besonderen optischen Wirkungsmöglichkeiten der Metallfläche hebt die um 1499 entstandene Grabplatte für den Domherrn Bernhard Lubranski im Dom zu Posen entscheidend von den älteren Werken ab; es ist das erste vollendete Metallrelief, das aus den Händen Peter Vischers hervorging.

Waren die älteren Reliefs oder Gravierungen mehr oder weniger stark vom bewegten Umriß her gesehen, der sich seinerseits scharf bestimmend vom Grunde abhob und die Binnenbewegung der Einzelzeichnung umspannte, so beobachtet man in der Lubranski-Platte zuerst eine Entwicklung der Gestalten von innen heraus. Die Form entspringt gleichsam in dem lebensvollen Ausdruck des Hauptes und der Hände, um von da gegen die Umrisse der ruhig niedergleitenden Gewandstücke abzuklingen zur Raumtiefe des Grundes, den der reiche Baldachindekor [363] mit seinen Wappenhaltern umrahmt. Die leichte Wendung der Figur nach rechts gibt ihr den Anblick freier Beweglichkeit, die Vermeidung scharfkantiger Linien malerische Weichheit. In einer Reihe verwandter Werke, wie der Grabplatte der Sophie von Torgau (1504 geliefert) und vor allem der feinsten der Vischerschen Gravierarbeiten, dem Brustbild des Kanonikus Johann von Heringen im Dom zu Erfurt († 1505), steigert sich das Persönliche dieses Porträtstils. Das Großzügige der Handschrift in den wie skizzenhaft hingeworfenen Linien der Heringen-Platte erinnert an Dürers Form in den Blättern der Großen Passion; das "kalligraphisch" ältere Schema des vornehmlich Typischen, wie in der Gorka-Platte, weicht einer alle Feinheiten der malerischen Oberfläche auswertenden Impression. Wesentlich ist dabei, wie das einmalig Zufällige nicht zu überraschendem Ausdruck, sondern zu körperhafter Deutlichkeit wird und damit zum monumentalen Wirklichen: dem Blickziel aller folgenden Werke Vischers.

Unter den freiplastischen Arbeiten verkörpert die Statuette des hl. Christoph (Sammlung Delmar-Budapest) zuerst diesen neuen Stil. Sie ist durch die Jahrzahl 1497 in Zeitnähe zu der Lubranski-Platte gerückt. Damals, kurz vor 1500, muß sich in Vischer der Entscheid zur Abklärung durchgerungen haben – in den gleichen Jahren, innerhalb der bei Albrecht Dürer eine ähnliche, wenn auch nicht so scharf umrissene, weil viel subtiler sich vollziehende, Stilwende erscheint.

Noch ist das prachtvolle Haupt des Christophorus unverkennbar Vischerscher Prägung im Sinne des Gotischen – bis auf die Monumentalität, die im Christophorus und den Apostelköpfen des Sebaldusgrabes eines Sinnes ist. Neu ist auch im Grunde nicht die Auswägung der Stellung, die eine Verteilung von Lasten und Tragen mehr optisch als tektonisch – d. h. noch nicht mit anatomischer Genauigkeit gibt. Neu ist aber der großzügige Faltenstil, der mit seinen einfachen großen Linien ähnlich die Überschaubarkeit der Gesamtbewegung ausprägt, wie das in den oben genannten Grabplatten der Zeit von 1499–1505 geschieht.

1507 wird der Plan des Gehäuses um das Sebaldusgrab von den Pflegern der Sebalduskirche – vor allem von Anton Tucher und Lazarus Holzschuher – erneut aufgenommen; die Zahlungen, die von 1507–1512 an Peter Vischer geleistet werden, beweisen, daß man ernstlich mit der Durchführung des Werkes vorwärts kommen wollte. Es ist anzunehmen, daß man dabei zunächst an der alten Werkzeichnung von 1488 mit der hohen Bekrönung, der am fertigen Werk die Pfeiler mit den Apostelfiguren der Idee nach entsprechen, festhielt. Die Inschriften an den beiden Schmalseiten des Sockels mit den Jahrzahlen 1508 und 1509 und dem Namen des Meisters bezeichnen seine Tätigkeit, und zwar dürften damit die beiden Nischenfiguren, das Selbstporträt Vischers und die Statue des heiligen Sebald, gemeint sein, da es ja keinen Sinn gehabt hätte, den Sockel als solchen zweimal und in verschiedenen Jahren zu signieren.

Der heilige Sebaldus. Selbstbildnis des Künstlers.
[368a]   ↑  Peter Vischer: Selbstbildnis
des Künstlers.
Bronzestatuette am Sebaldusgrab in der Sebalduskirche zu Nürnberg, 1508.

Der heilige Sebaldus. [Nach wgsebald.de.]

Selbstporträt und Sebaldusfigur verkörpern den Gegensatz zweier Welten: hier der Meister inmitten der Wirklichkeit seiner Zeit, dort der Mythos des heiligen [364] Pilgers und einstigen Begründers der ersten Gemeinschaft auf Nürnberger Boden gemäß der Legende. Im Selbstporträt der Inbegriff einer persönlichen Aussage, die die hohe Volkstümlichkeit des Werkes verstehen läßt; in keinem zweiten deutschen Werk ist die Überlieferung vom Sein und Wollen eines Werkmeisters gotischer Zeit so nahe und lebendig als leibhafte Gestalt. In der Figur des Hl. Sebald der unstete Wanderer, der endlich sein Ziel gefunden hat, herrlich ausgedrückt in dem Seherblick des Hauptes und der schreitenden Bewegung. Mächtig unterstreichen die großen Linien des Mantels, die Flächen des Leibrockes die Größe der Form, die weit über ihre bescheidenen Dimensionen von etwa einem Drittel der Lebensgröße hinauswächst. Der feierliche Ernst im Antlitz ist dem Christophorus-Haupt nächst verwandt.

Die Apostelfiguren des Gehäuses entfalten diesen Stil ins Weite. Auch ihnen ist grundsätzlich eigentümlich, daß sie als überlebensgroße Standbilder empfunden werden unbeschadet ihrer wirklichen Dimensionen. Als Grundtypen christlichen Lebens, wie sie so gerade die Zeit an der Schwelle zur Reformation erlebte in Deutschland – bei Dürer und bei Grünewald begegnen verwandte Züge seherischer Ergriffenheit –, sind die Figuren bestimmt durch die ruhige Macht der sie umhüllenden Gewänder. Aller Bewegungsausdruck der Gebärden klingt in den Faltenbahnen der Oberflächen aus, den leicht gerafften oder heftig emporgerissenen Querzügen der Mantelpartien, dem Verebben der Säume am Boden, dem großen Linienspiel der Umrisse. Die "Gewandfigur der nordischen Kathedralportale" seit den Anfängen gotischer Zeit erlebt noch einmal ihre Auferstehung – im Geiste einer anderen Zeit.

Vor den Aposteln des Sebaldusgrabes mag sich verstehen lassen, warum Vischer "altfränkische" Figuren sammelte; die Monumentalität der Bamberger Plastik des frühen dreizehnten Jahrhunderts – Bamberg wird uns noch einmal im Werk des Sebaldusgrabes begegnen – wurde hier wieder erlebt als ideelle Grundlage einer Form. Man kann dieses Erleben vergangener Formwelt Renaissance, d. h. Wiedergeburt, nennen, aber es ist die Vergangenheit des eigenen Bodens, die den Künstler trägt. Wie Jahrhunderte später in der Zeit der deutschen Romantiker erwächst aus dem Erlebnis großer geschichtlicher Tat eigene Größe – ein Idealstil voller Ergriffenheit vom Wesenhaften menschlicher Schicksale: tatbewußt im Ausdruck des Petrus, von hingebender Tragik umflort im Haupt des Bartholomäus.

Was über die Apostelfiguren hinaus von der Hand des älteren Peter Vischer am Sebaldusgrab noch stammen könnte, ist völlig umstritten. Am ehesten wäre an die Eckfiguren des Sockels (Simson, Herakles und zwei weitere unsicherer Deutung) zu denken.

Um 1512 scheint Peter Vischer seine Tätigkeit am Sebaldusgrab zurückgestellt zu haben, das Eingreifen des Rates im Jahre 1514, durch das die Söhne an dem Werk beteiligt werden, ist nur so zu begreifen. Anscheinend hatte die Hoffnung [365] auf einen noch größeren Auftrag den Künstler dazu bestimmt: das große Gedächtnisgrabmal, das Kaiser Maximilian für die Innsbrucker Hofkirche plante.

Die Idee des Grabmals steht etwa auf einer Stufe mit der "Ehrenpforte" und dem "Triumphzug", die Dürer für Maximilian zu entwerfen hatte, eine phantastische Apotheose der Ahnen Maximilians, zusammengestellt aus humanistischem Allegorismus und historischer Begeisterung: vierzig "Ahnen" des Kaisers sollten die Tumba mit der Gestalt des Verstorbenen umgeben. Nur zwei der achtundzwanzig ausgeführten Figuren stammen von Vischer: Arthus und Theoderich, die als Urgestalten der nordischen Heldensage in diesen Kreis einbezogen sind.

Das Thema des gewappneten Ritters hatte Vischer zuerst in dem Henneberger Grabmal in Römhild beschäftigt; in dem Moritz der Ernst-Tumba in Magdeburg hatte er es wieder aufgenommen. Was damals (1495) in einer kleinen Figur als Problem freier Stellung im Raum zuerst angedeutet wurde, hat Vischer in den Rittern des Maximiliangrabes ganz verwirklicht – wohl nicht ohne Einfluß von Dürerschen Gestalten. Die 1513 vollendeten Ritter gehören ihrer geschichtlichen Bedeutung nach in die Reihe größter dekorativer

Peter Vischer: Theoderich der Große.
[368b]    Peter Vischer: Theoderich d. Große.
Bronzestatue vom Grabmal
Kaiser Maximilians I. in der Hofkirche
zu Innsbruck, 1513.

[Bildquelle: Fr. Unterberger, Innsbruck.]
Standbilder aus der Grenzzeit zwischen Mittelalter und neuem Weltgefühl: Bernt Notkes, des Lübeckers, geharnischter Georg in Kopenhagen (1489) steht im gleichen Ideenkreis. Schon wird die klirrende Pracht des Gepanzerten als Symbol heldenhafter Vergangenheit gesehen – eine Vorahnung barocker Pathetik liegt über der Erscheinung der Sagenkönige: des sieghaften Wächters, die in der Gestalt Arthus', des in sich versunkenen Recken, die in Theoderich erscheint. Was etwa Zeitvorstellung vom Geiste deutscher Ahnenwelt erträumte, ist in der Macht dieser Standbilder, in ihrer bis zum Äußersten gehenden Fülle ornamentaler Steigerung, verwirklicht. Wenn sie des Kaisers Gefallen nicht fanden – nicht Vischer, sondern Veit Stoß sollte die weiteren Standbilder entwerfen – so kann ein Grund darin liegen, daß ihnen so ganz das sentimental Gelehrsame fehlt, in dem nun einmal Maximilians Geist sich bewegte; Vischers monumentales Wirklichkeitsgefühl lebt in den Innsbrucker Rittern ebenso einmalig, wie rund ein Jahrzehnt später in der fernen Größe der vier Apostel Albrecht Dürers.

Das Werk am Sebaldusgrab erlebt seit 1514 seine Fortsetzung durch die Söhne des Meisters. Mit ihnen dringen südliche Motive ein – aus eigenen Wandererfahrungen und der inzwischen eingetretenen Welle lombardischer Invasionen begründet. Seit Dürers Venezianer Reise (1506/7) war ja der Austausch zwischen deutschen und italienischen Formmotiven Allgemeingut im oberdeutschen Kunstbetrieb geworden – insbesondere in Nürnberg.

Die beiden ältesten Söhne des Meisters: Hermann der Jüngere, und Peter der Jüngere, kannten Italien aus eigener Erfahrung; Hermann ist, nach Ausweis der von ihm erhaltenen Architekturskizze, 1515 in Siena und Rom gewesen, Peter muß zwischen 1508 und 1512 die Lombardei (Padua und Venedig?) kennengelemt [366] haben. Hermanns Anteil an der Vollendung des Sebaldusgrabes beschränkt sich auf die Bekrönung durch die kuppelartigen Baldachine, deren romanische Teilformen auf Bamberg hinweisen; von Peter dem Jüngeren stammen die Allegorien und Mythologien am Sockel, die spielenden Kinderfiguren, die Kandelaber und Leuchterweibchen, endlich drei der Sockelreliefs aus der Sebalduslegende. Ihm werden meistens die Prophetenfiguren in der Bekrönung des Gehäuses zugeschrieben, die stilistisch mit diesen Reliefs in Verbindung stehen – undenkbar wäre es nicht, in diesen Figuren eine letzte Folge des Stiles der Apostel und damit ein Spätwerk Peter Vischers des Älteren zu sehen. 1519 war das Gehäuse vollendet, von Peter Vischer "mit seinen sunnen gemacht", wie die Inschriftplatte am Fuß des Sockels berichtet.

Die wiederholt erwähnte Volkstümlichkeit des Sebaldusgrabes hängt mit dem Spielwerk der Allegorien und Kinderfiguren Peters des Jüngeren eng zusammen – gemessen an der strengen Einheit des Entwurfes von 1488 sind nur dessen Reliefs eine wirkliche künstlerische Steigerung. Alles übrige ist Zugeständnis an die neue Zeit; an Stelle des Legendentones der Gotik, der den väterlichen Entwurf beherrschte, ist die Anekdotenstimmung der Humanistenkultur getreten – Peter der Jüngere pflegt seine Werke in gebrochenem Latein zu signieren.

Zunächst bedeutet der gewaltsame Abschluß des Gehäuses durch die Bekrönung in Kuppelform einen Ausweg, der sicher mehr dem Zwang der verfügbaren Mittel, als dem inneren Rhythmus des Werkes Rechnung trug. Hermann Vischer wird urkundlich als der Verantwortliche dieser Lösung genannt; es gibt einen Entwurf von ihm im Stile römischer Hochrenaissance, der dem Werk eine ganz neue monumentale Erscheinung gegeben hätte, aber alles schon Vorhandene wäre dann überflüssig geworden. Skizzen Hermanns aus der Zeit um 1516 weisen darauf hin, daß er sich damals eingehend mit dem Bamberger Peterschor beschäftigte; von Baldachinen der Bamberger Plastik des XIII. Jahrhunderts holte er nun die Motive, welche die Kuppeln zusammensetzen: ein in der Zeit nicht seltener Rückgriff auf deutsche Romanik.

Peter der Jüngere bereichert am Sebaldusgrab den einfachen Rhythmus im Aufbau durch Einschaltung der acht großen Kandelaber zwischen die gotischen Pfosten des ersten Entwurfes. Dazu kommen zwölf Kandelabersäulchen für die Apostelkonsolen und vier an den Ecken, auf denen die Leuchterweibchen ruhen. Die Sockel dieser Kandelaber tragen Reliefs aus der antiken Mythologie (Jupiter, Skylla, Neptun u. a.), an der Mitte der vier Sockelseiten sind die Gruppen der vier christlichen Kardinaltugenden (Tapferkeit, Mäßigkeit, Gerechtigkeit und Klugheit) eingeordnet, alle Zwischenkanten vom Sockel bis zur Bekrönung sind mit spielenden Kinderfigürchen besetzt. So ist das ganze ursprünglich schlichte Gerüst mit figürlichem Dekor überflattert; die Prägung dieser Zierwerke entspricht überall dem Formenvorrat der italienischen Frührenaissance.

[367] Inmitten dieser kleinformigen Gestaltenfülle werden die vier Reliefs der Tumba sichtbar. Sie sind so komponiert, daß die große Linie ihrer Figuren gleichsam als Hauptakkord die Vielstimmigkeit der Zieraten übertönt. Die – schon im ersten Entwurf an dieser Stelle vorgesehenen – Legendenszenen, so das Brotwunder des hl. Sebald, seine Heilung des blinden Wirtes, sind mit ganz wenig Figuren in reinstem Relief geschildert; von ruhigem Grund erheben sich die klaren Bewegungsmotive, alles drückt unmittelbare Erzählungsstimmung aus, wie etwa ein gleichzeitiges Bild Altdorfers. Dabei sind die Formen aus der Raumtiefe gesehen, wie in den besten Werken der italienischen Renaissance. Es sind wohl die schönsten Schöpfungen deutscher Reliefplastik, die das frühe sechzehnte Jahrhundert aufzuweisen hat, und sicher das Beste, das die Söhne zu dem Werk des Vaters beigesteuert haben.

Von den jüngeren Söhnen des Meisters: Hans, Jakob und Paulus, scheint keiner wesentlich an der Vollendung des Sebaldusgehäuses beteiligt gewesen zu sein. Künstlerisch hervorgetreten ist unter ihnen nur Hans Vischer, und zwar erst nach 1530, nachdem er die Hütte des verstorbenen Vaters übernommen hatte. Die beiden älteren Brüder waren damals schon tot; Hermann d. J. ist 1517 durch einen Unglücksfall zugrunde gegangen, Peter d. J. starb 1528, ein Jahr vor dem Tod des Vaters.

Seit 1514 hatte sich also das Schicksal der Vischerschen Gießhütte so gestaltet, daß die entscheidende Ausprägung des Stilistischen nicht mehr in den Händen Peter Vischers des Älteren lag. Nicht die Idee der Monumentalgestalt seiner Apostel hat das Wort in der großen Zahl der Werke, die zwischen 1514 und 1540 aus der Hütte noch hervorgegangen sind: Grabdenkmäler, Taufbecken, Gitter und Kleinplastik. Schon seit etwa 1502 beobachtet man ein Schwanken; Anlehnungen an Dürer und Veit Stoß lassen sich in dem Grabrelief des Woiwoden Peter Kmita und des Humanisten Callimachus in Krakau, die vor 1510 entstanden sind, feststellen; in dem mächtigen Hochgrab des Kardinals Friedrich Kasimir im Krakauer Dom (1510) ist vielleicht in der gravierten Deckplatte noch einmal die Hand Peter Vischers des Älteren am Werk; das Sockelrelief mit der Szene der Verehrung des Verstorbenen vor der Madonna zeigt aber neue Züge impressionistischer Reliefauffassung, die am ehesten an die Formen der Reliefs des Fuggergitters erinnern. Das Hochgrab für Elisabeth und Hermann VIII. von Henneberg in Römhild (um 1512) mit dem Relief der Verstorbenen auf der Deckplatte und einer Reihe von Heiligenstatuen zwischen den Wappen der Tumba bedeutet eine Fortsetzung vieler Formmotive, die im Werk des älteren Meisters begegneten, aber die Stimmung ist anders. Wie weit alle die vorgenannten Schöpfungen Hermann dem Jüngeren zugewiesen werden dürfen, ist hier nicht zu entscheiden.

Gezeichnet sind von Peter dem Jüngeren eine Reihe von Denkmälern, unter denen die Grabplatten des Anton Kreß († 1513) in St. Lorenz zu Nürnberg und des Kurfürsten Friedrich des Weisen (1527) in Wittenberg seine künstlerische [368] Handschrift am besten erkennbar machen. Klare Reliefform und Innerlichkeit der Stimmung, wie in den Reliefs des Sebaldusgrabes, kennzeichnen das Kreßepitaph; das Triumphbogenmotiv der Wittenberger Platte mit der machtvollen Figur des Kurfürsten verrät den Porträtgeist lombardischer Renaissance, aber mit dem ganzen herben Daseinswillen nordischer Charakterisierung durchtränkt. Es sind die letzten großen Zeugnisse des alten Geistes der Vischerhütte.

Denn inzwischen war die Rücksichtnahme auf den ästhetischen Ausdruck der optisch schönen Form – mehr und mehr um ihrer selbst willen – zur Herrschaft gekommen und damit die letzte Periode der Hütte angebrochen. Dahin gehören nicht bloß die wunderschönen Orpheus-Eurydike-Plaketten (1514 und 1519) von Peter dem Jüngeren, sondern vor allem die Reliefs für das ursprüngliche Fuggergitter und die Jünglingsakte von Hans Vischer.

Um 1512 hatten die Fugger in Augsburg für ihre Grabkapelle bei St. Anna ein monumentales Abschlußgitter bei Peter Vischer dem Älteren bestellt, das in den folgenden Jahren in der Hütte in Arbeit war, aber nach der Fertigstellung von den Fuggern nicht übernommen wurde, weshalb es die Erben nach dem Tod des Altmeisters an die Stadt Nürnberg verkauften. 1536 wird Hans Vischer beauftragt, das Werk fertigzustellen, seit 1540 befand es sich als Abschlußschranke im Nürnberger Rathaussaal; ein Kupferstich des achtzehnten Jahrhunderts zeigt die dreiteilige Anlage mit einer Ädikula über dem Mittelportal und zwei stichbogigen Giebeln über den Seitentüren. 1806 wurde die Anlage zerstört, zum Teil eingeschmolzen, andere Teile verkauft – sie befinden sich heute in Schloß Montrottier bei Annecy in Frankreich. Friese und Giebel waren ganz mit Reliefs gefüllt: kämpfende Kentauren, wilde Männer, ein Bacchantenzug und verwandte Szenen sind dargestellt. Das Formproblem ist die bewegte Aktfigur als malerisches Relief; blitzartig tauchen die ineinander verschlungenen Menschen- und Tierleiber aus dem Grund auf, das Spiel der Lichter und Schatten spiegelt alle Feinheiten der Metallflächen wider; die skizzenhaft kühnen Umrisse erinnern an das Linienspiel graphischer Phantasie, wie in Dürers Randzeichnungen zum Gebetbuch Kaiser Maximilians. Entwürfe Hermann Vischers (unter den schon genannten Blättern in Paris) mit ähnlichen Themen lassen darauf schließen, daß Hermann der Urheber dieser, als Relief formvollendetsten Arbeit der Werkhütte sein muß.

Seit 1530 hat Hans Vischer, der dritte der Söhne des Altmeisters, die Werkhütte noch fast zwanzig Jahre fortgeführt. Auch unter seiner Leitung sind noch verschiedene Grabdenkmäler gegossen worden, namentlich die große Tumba für die Kurfürsten Joachim und Johann Cicero im Berliner Dom (1530), ein Werk von großer technischer Vollendung, aber ohne persönliche Note; hinter der Eleganz der Formbeherrschung tritt der eigene Charakter, der die Werke des Vaters oder der älteren Brüder kennzeichnete, vollkommen zurück.

Was Hans Vischer zu dem Gesamtgepräge der Vischer-Hütte beizusteuern hatte, zeigen sein Apollobrunnen von 1532 und die Jünglingsstatuetten in Wien [369] (Kunsthistor. Museum) und München (Nationalmuseum) – zu letzteren stammt die Zeichnung von Dürer. Die überschlanke Zier des bogenspannenden Jünglingsleibes des Apollo und der Tanzschritt des schreitenden Jünglings gehört zu den besten deutschen Phantasien von klassischer Körperschönheit, so wie sie der Süden begriff; bei Botticelli oder Mantegna wären die Vorstufen für diese wunschlose Schau der wohlklingenden Bewegungen zu suchen, die dem späten Erben einer überreich gewordenen Formenwelt eine neue Bildgestalt erahnen lassen. So berührt das Ende der Hütte – 1549 hat sie Hans Vischer verkauft und ist nach Eichstätt verzogen – fast wie ein Symbol. Die innere Kraft war erloschen; die Beruhigung im Anblick rein formaler Schönheit – im Schicksal der deutschen Kunst zu aller Zeit ein gefahrvoller Zustand – hat erst der nachfolgenden Generation der nordischen Spätrenaissance, den sogenannten Manieristen, nochmals einen Auftrieb gegeben. Hubert Gerhard, der Niederländer, hat mit dem Augsburger Augustusbrunnen und verwandten Werken diesen neuen Dekorationsstil vollendet, der zwischen dem rauschenden Temperament der Spätgotik und dem Pathos des Barocks eingebettet liegt.




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz