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[Bd. 1 S. 606]
Otto von Guericke, 1602 - 1686, von Hans Schimank

Otto von Guericke.
[608a]      Otto von Guericke.
Gemälde von Joh. Luc. Lauch, 1656.
Berlin, Staatsbibliothek.
Wer um die Wende des sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert in einer Freien Reichsstadt als Sproß eines alten Patriziergeschlechts geboren ward, mit Familien versippt und verschwägert, aus deren Reihen Ratsherren, Kämmerer und Bürgermeister dieser Stadt erwählt zu werden pflegten, dessen Lebensweg stand fast von Geburtsstunde an ehrenvoll und sicher vorgezeichnet. Er wuchs unter Leitung seiner Eltern, Lehrer und Freunde standesbewußt, angesehen und selbstsicher heran, bis ihn nach Vollendung seiner Studien und der Reisen in fremde Lande das gesammelte Wissen und die erworbene Welterfahrung für eine erste ansehnliche Stellung reif erscheinen ließen. Es bedurfte für ihn keines aufreibenden und zermürbenden Kampfes um die Führerstellung, sie fiel ihm durch Wohlwollen und Einfluß seiner Gesippen zu, wenn er sich nicht als gar zu unfähig erwies, oder wenn es aus anderen Gründen angemessener erschien, ihn mit einer Art von Pfründe zu versorgen.

So schien auch der Lebensweg des einzigen Sohnes vorgeschrieben, den Hans Gericke, dem Schultheißen des Magdeburgischen Schöffengerichts, seine zweite Gattin, Anna von Zweidorff, am 20. November 1602 gebar. Hauslehrer bereiteten den jungen Otto Gericke zum Besuch der hohen Schulen vor, auf denen er seit 1617 zu Leipzig und Helmstedt die vorbereitenden philosophischen Wissenschaften, dann nach dem Tode des Vaters zu Jena die Rechtswissenschaften "und nachgehends Anno 1623 zu Leyden in Holland fremde Sprachen, die Mathematik, sonderlich die Fortifikation, Geometrie, mechanische Künste und dergleichen erlernet". Nachdem er anschließend noch England und Frankreich bereist hatte, kehrte er in seine Vaterstadt Magdeburg zurück, wo er nach seiner Aufnahme in den Rat sich 1626 mit Margaretha Alemann verheiratete.

Entsprechend seiner technischen Sonderausbildung im Vermessungs- und Befestigungswesen wurde er wenig später zum Schutz- oder Kriegsherrn der Stadt bestimmt und unterzog sich mit Eifer und Umsicht den verantwortungsvollen Aufgaben, die dieses Amt ihm gerade damals stellte. Zog doch die Kriegsgefahr auch für Magdeburg immer drohender herauf, und die Spaltungen innerhalb der politischen Anschauungen der Bürgerschaft schienen wenig geeignet, die Gefahr zu verringern. Zwei Parteien befehdeten und verdächtigten damals einander, deren eine unbeschadet ihres protestantischen Glaubensbekenntnisses es für politisch klüger hielt, dem Kaiser die Treue zu wahren, während die andere, von einer [607] eifernden Geistlichkeit eher verführt als geführt, alles Heil vom Anschluß an Schweden erhoffte. Guericke,der als Angehöriger der maßgebenden Oberschicht schon rein gefühlsmäßig zur Partei der Kaiserlichen neigte, widersetzte sich auch aus sachlichen Erwägungen dem unbedingten Anschluß an den Schwedenkönig. Er befürchtete, daß die Stadt einer ernsthaften Belagerung nicht lange würde trotzen können, und empfahl daher, die Angebote Tillys anzunehmen, der als General der kaiserlichen Kriegsvölker Magdeburg seit dem Frühjahr 1631 eingeschlossen hielt. Er stellte sich aber dadurch auch in Gegensatz zu den Plänen des Obersten von Falckenberg, den Gustav Adolf als seinen Bevollmächtigten und als militärischen Ratgeber in die gefährdete Stadt entsandt hatte. Falckenberg war ehrlich bestrebt gewesen, alle zur Sicherung der Stadt erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Er hatte die Mannszucht unter den Truppen gestärkt, neue Söldner geworben und im Vorgelände von Magdeburg Schanzen aufführen und mit Mannschaft und Geschütz besetzen lassen. Manche davon erwiesen sich als zu entlegen und standen in Gefahr, durch die Kaiserlichen von der Verbindung mit der Stadt abgeschnitten und eingenommen zu werden. Guericke riet eine freiwillige Räumung an, um einem für Magdeburg unersetzlichen Verlust an Soldaten und Waffen vorzubeugen. Er drang aber mit seiner Ansicht nicht durch und ward sogar von der schwedischen Partei verräterischer Gesinnung bezichtigt, ein durchaus unberechtigter Vorwurf, der erneut gegen ihn erhoben wurde, als er sich der Munitionsvergeudung widersetzte, die bei der wenig wirksamen und fast ins Spielerische ausartenden Beschießung feindlicher Plänkler betrieben wurde. Ihn selbst veranlaßte zu solchen Warnungen lediglich die Rücksicht auf die mengenmäßig beschränkten Abwehrmittel der belagerten Stadt; seine Gegner wollten darin den geheimen Wunsch erkennen, die kaiserlichen Truppen vor Verlusten zu bewahren.

Der 10./20. Mai 1631 sollte in tragischer Weise Guerickes Befürchtungen bestätigen. Während man sich auf dem Rathause noch mit unfruchtbaren Erörterungen ermüdete, schritten Tillys Truppen nach Ablauf der gesetzten Verhandlungsfrist zum Sturm und waren in die Vorstädte eingedrungen, ehe noch das Gerücht des nahenden Verhängnisses bis zu den Ohren der Bürgermeister und Ratsherren gedrungen war. Alle Bemühungen, die eingedrungenen Kroaten wieder aus der Stadt zu werfen, blieben vergeblich. Dietrich von Falckenberg sühnte seine militärische Sorglosigkeit mit dem Tode. Er fiel an der Spitze schnell zusammengeraffter Truppen. Das Schicksal der magdeburgischen Bürgerschaft war härter.

In einer Flut von Mord und Brand ging die freie Reichsstadt Magdeburg unter. Der größte Teil der Häuser lag in Asche, als siegestrunkene, beutebeladene Offiziere und Soldaten die überlebenden Bürger in Gefangenschaft führten. Auch Guerickes Haus war nach der Plünderung den Flammen zum Opfer gefallen. Er selbst und die Seinen waren vielfach mit dem Tode bedroht, das jüngste Söhnchen verwundet worden. Als Gefangener des kaiserlichen Kriegskommissars von Walmerode verließ er schließlich mit seiner Gattin, seinem ältesten Sohne und einer [608] Wärterin, die den blutenden Säugling trug, die Ruinen seiner Vaterstadt. Ein Ratsherr, auf dessen Rat man nicht gehört hatte, Schutz- und Kriegsherr eines Gemeinwesens, das der Krieg vernichtet hatte und das seiner Schutzmaßnahmen nicht mehr bedurfte, hatte er nur noch die Seinen zu schützen und für sie Rat zu schaffen. Nach Aufbringung eines Lösegeldes von dreihundert Talern ward er schließlich aus der Gefangenschaft entlassen und begab sich, vom General von Pappenheim mit einem Paß, vom Fürsten von Anhalt-Köthen mit einigen Geldmitteln versehen, zunächst nach Braunschweig.

Für kurze Zeit zu Erfurt als Ingenieur in schwedischen Diensten, empfing er schon im Frühjahr des folgenden Jahres eine gleiche Bestallung für Magdeburg. Der großzügige Plan, den er für den Wiederaufbau seiner Vaterstadt damals entwarf, gelangte in der von ihm vorgeschlagenen Form nicht zur Ausführung. Sonst aber hatte er im Laufe des folgenden Jahrzehnts reichlich Gelegenheit, dem Wohle seiner Heimat zu dienen. Ingenieur und Staatsmann zugleich, hat er nach den Worten seines "Ehrengedächtnisses" schon "von Anfang der Restauration der desolierten Stadt an Toren, Elbbrücken, Kirchen – dazu er ein ansehnlich Kapital gegeben –, Schulen, Rathaus, Hospitalien etc. bauen, alles anordnen, gute Ordnung und Statuten machen" helfen.

Er wuchs damit von selbst in größere und verantwortungsvollere Aufgaben hinein, lernte wahrhaft staatsmännisch denken und handeln und galt bald als einer der gewandtesten Diplomaten Magdeburgs. Etwa seit dem Jahre 1642 war er als Unterhändler der Stadt in diplomatischer Sendung vielfach unterwegs und vertrat als Bevollmächtigter ihre Rechte und Forderungen auch auf dem Friedenskongreß zu Münster und Osnabrück. Seiner Unermüdlichkeit war es in der Hauptsache zu danken, wenn es im Achten Artikel des Friedensvertrages hieß: "Der Stadt Magdeburg soll ihre alte Freiheit und das Privilegium Ottos I.... erneuert werden, ebenso das von Kaiser Ferdinand II. ihr verliehene Festungsprivilegium, welches mit aller Gerichtsbarkeit und Eigenhörigkeit bis auf eine Viertelmeile auszudehnen ist, sowie auch alle ihre übrigen Privilegien und Rechte, geistliche und weltliche, ungefährdet und ungeschmälert bleiben sollen mit der besonderen Klausel, daß die Vorstädte zum Nachteil der Stadt nicht wieder aufgebaut werden dürfen."

Es war rein diplomatisch ein großer Erfolg, den Guericke damit für Magdeburg errungen hatte. Der Rat der Stadt kargte auch nicht mit Beweisen seiner Erkenntlichkeit und sicherte vertraglich dem erfolgreichen Staatsmann sowie seinem Sohne und ihren beiden Witwen auf Lebenszeit Befreiung von allen bürgerlichen Lasten zu, eine Immunität, die auf Guerickes Drängen später auf sämtliche Nachkommen beiderlei Geschlechts ausgedehnt wurde. Erst die spätere Entwicklung zeigte, daß der auf den Friedensverhandlungen errungene Erfolg nur ein zweifelhafter Gewinn gewesen war und den Keim künftiger Verwicklungen in sich trug.

Noch bis zum Jahre 1660 zogen sich die Reisen und Verhandlungen hin, die [609] Guericke tat und führte, um die seiner Vaterstadt zugestandenen Rechte durchzusetzen und zu sichern. Es gelang weder ihm noch seinen Nachfolgern. Die Stellung der Kurfürsten von Brandenburg und von Sachsen, deren Hoheitsgebiete bis unter die Mauern Magdeburgs sich erstreckten, war eine zu starke, als daß eine mittelgroße Reichsstadt dem fürstlichen Machtwillen gegenüber sich dauernd hätte behaupten können. Zu Kloster Bergen erzwang der Kurfürst von Brandenburg am 28. Mai 1666 die Unterzeichnung eines Vertrages, der das Ende aller Hoffnungen auf Reichsunmittelbarkeit für Magdeburg bedeutete.

Der regierende Bürgermeister der Stadt, der sich laut kaiserlichem Adelsbrief seit dem 4. Januar 1666 Otto von Guericke schreiben durfte, war der Führer der Abordnung, die durch ihre Unterschrift den endgültigen Verzicht auf eine selbständige Politik Magdeburgs bekräftigte. Es scheint, daß der erfahrene Staatsmann die Unterwerfung unter das Zepter des aufstrebenden Brandenburgs schon seit längerer Zeit als unabwendbar und in einem höheren Sinne als heilbringend für seine Vaterstadt erkannt hatte. Jedenfalls hatte er sich schon vor diesem Zeitpunkt des Wohlwollens Friedrich Wilhelms zu erfreuen und wurde zwei Monate nach der Unterwerfung Magdeburgs zum kurfürstlichen Rate ernannt und im Besitze aller der Freiheiten bestätigt, die Magdeburg in Anerkennung seiner Verdienste ihm für ihn selbst und seine Nachkommen verliehen hatte.

Der Verlust der politischen Selbständigkeit Magdeburgs bedeutete für die regierenden Bürgermeister eine nicht unbeträchtliche Verminderung ihrer Amtsbeschwerden, und so konnte sich Guericke in den folgenden Jahren einer ziemlich weitgehenden Muße erfreuen, die er zur Verwaltung seiner umfangreichen Liegenschaften und für den literarischen Abschluß seiner wissenschaftlichen Arbeiten verwandte. Als mit den siebziger Jahren sich Altersbeschwerden nachdrücklicher fühlbar machten, übernahm er nur ungern noch die Verpflichtungen, die seine Zugehörigkeit zum Ratskollegium ihm auferlegte, und schied im Laufe des Jahres 1678 gänzlich aus dem Rate aus. Verbittert durch Streitigkeiten, die über den Fortbestand und den Umfang der ihm einst zugebilligten Freiheiten zwischen ihm und dem Rate sich entsponnen hatten, vereinsamt in der Mitte eines Geschlechtes, dem die Leiden des Dreißigjährigen Krieges nur noch eine blasse Erinnerung aus Kindertagen waren, siedelte der Achtundsiebenzigjährige, als im Sommer des Jahres 1680 auch in Magdeburg die Pest ausbrach, nach Hamburg über, wo er im Hause seines Sohnes Otto, des brandenburgischen Ministerresidenten für den Niedersächsischen Kreis, seinen Lebensabend beschloß. Er starb dort am 11. Mai 1686. Nach Aufbahrung in der Sankt-Nikolai-Kirche und feierlichem Leichenbegängnis wurde die Leiche später nach Magdeburg übergeführt und dort vermutlich in der Kirche des Nikolai-Stiftes beigesetzt. Trifft dies zu, so sind 1806 bei der Besetzung der Stadt durch die Franzosen auch Guerickes Gebeine vor die Stadt gefahren und auf den Anger geworfen worden, als bei der eiligen Umwandlung der Kirche in ein Lazarett die meisten Gräber geöffnet und geleert wurden.

[610] Der Name Guerickes wäre vergessen wie der unzähliger Könige, Fürsten und Staatsmänner, deren sich nur die Geschichte ihrer engsten Heimat noch erinnert, wenn nicht neben der vergänglichen Leistung des Staatsmannes die unvergängliche Leistung des Naturkündigers und Ingenieurs stünde, wenn Guericke nicht zur selben Zeit, zu der er um die Klärung politischer Machtfragen mit nur halbem Erfolge rang, die alte Frage nach dem Wesen des physischen Raumes in neuer Form gestellt und mit vollem Erfolge beantwortet hätte.

Denn daß er einer alten, bisher unentschiedenen Streitfrage eine Wendung gab, die sie lösungsfähig machte, bedeutet einen wesentlichen Teil seiner Leistung. Seit Demokrit und Aristoteles hatte man mit vielen Gründen und Gegengründen darüber gestritten, ob es innerhalb der geschaffenen Welt ein Vakuum, ein Leeres schlechthin, geben könne oder nicht. Mit der Erneuerung der aristotelischen Lehre in der Scholastik und mit dem Wiedererwachen der demokritischen Atomistik durch Herons Pneumatik, durch des Titus Lucretius Carus Lehrgedicht von der Natur, vor allem aber durch das zehnte Buch der Philosophengeschichte des Diogenes Laertius, das Gassendi zum Gegenstand umfänglicher Erörterungen gemacht hatte, war auch der Begriff des Vakuums wieder zum Gegenstand der Untersuchung geworden. Da wiesen etwa die Atomistiker darauf hin, daß eine große Anzahl von Naturerscheinungen, wie beispielsweise die Zusammendrückbarkeit der Luft oder der Durchgang des Lichtes und der Wärme durch das Wasser sich durch die Annahme eines Vakuums zwischen den Molekülen besonders einfach und einleuchtend erklären lasse, und daß die Gesamtheit derartiger Erscheinungen damit für das Vorhandensein solcher Vakua spreche. Auf der anderen Seite folgerten Aristoteles und seine scholastischen Anhänger: Etwas, was in der Natur keinerlei Wirkungen verursacht, darf von einem Naturforscher auch nicht als bestehend angesehen werden. Das Vakuum ist für keinerlei Wirkung die Ursache, folglich darf es nicht als etwas Bestehendes vorausgesetzt werden. Trotzdem führten aber die Scholastiker das Aufsteigen des Wassers in den Röhren der Saugpumpen auf eine "fuga vacui", eine Flucht vor dem Vakuum, zurück. Das war logisch anfechtbar und ließ sich, wie jeder geistig bewegliche Student einsehen mußte, ebensogut zur logischen Erhärtung der Existenz eines Vakuums benutzen, wenn man mit Guericke folgerte: Mit der Einführung des Hilfsbegriffs "Scheu vor dem Vakuum" wird auch der Begriff des Vakuums selbst eingeführt. Ferner soll doch die Scheu vor dem Vakuum und somit auch das Vakuum selbst die Ursache gewaltiger Wirkungen in der Natur sein. Was die Ursache irgendeines Naturvorganges ist, darf aber als vorhanden und bestehend gesetzt werden, folglich darf auch das Vakuum als bestehend und vorhanden gesetzt werden.

Guericke war Ingenieur. Er war gewohnt, statt der Worte Taten sprechen zu lassen. Deshalb mochte er sich nicht mit nur logischen Erwägungen über Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten innerhalb der Naturwirklichkeit begnügen. Die Naturgegebenheiten und Naturerscheinungen liegen im Bereich des Erfahrbaren, man [611] kann ihnen mit Hebeln, Schrauben und Kolben Offenbarung abzwingen, wenn die Frage, die der Mensch an sie richtet, eine sinnvolle Frage ist. Sinnvoll aber ist die Frage nach der Möglichkeit eines vacuum spatium, eines stoffleeren Raumes. Denn der unermeßliche Raum als das über alle menschliche Vorstellung große Gefäß, das nach den Lehren des Kopernikus, Kepler und Giordano Bruno die Vielzahl der Sonnen und ihrer Planeten in sich faßt, kann nur stoffleer sein. Unwahrscheinlich ist die Auffassung des Descartes, daß Raum und Stofferfüllung das gleiche sind. So gelangte Guericke dazu, sich zu fragen, was für ein Etwas dieser leere Raum denn sei, "da er doch alles umschließt und ihm den Platz seines Seins und Bestehens gewährt"? War es vielleicht ein feuriges Himmelselement von fester Gestalt – nach Meinung der Aristoteliker – oder von flüssiger – entsprechend der Anschauung des Kopernikus und des Tycho Brahe – oder irgendeine ganz durchsichtige Quinta essentia, oder gar jener jeglichen Stoffes bare Raum, dessen Vorhandensein immer geleugnet wird?

Mit dieser Fragestellung ist der für die führenden Geister des siebzehnten Jahrhunderts bezeichnende Schritt getan. Eine allgemeine, man möchte sagen unverbindliche philosophische Frage ist unter Aussonderung ihrer metaphysischen Anteile zu einer Aufgabe von Wirklichkeitsgehalt verdichtet. Einer der Begründer der neueren Naturforschung, Galilei, gelangte zur Aufstellung der Fallgesetze und damit zur Grundlegung einer Mechanik bewegter Körper, als er an Stelle der scholastischen Frage: Warum fallen schwere Körper zur Erde? die Untersuchung der Abhängigkeit treten ließ, in der Fallweg, Fallzeit und Fallgeschwindigkeit zueinander stehen, und als er zugleich die Mittel auffand und benutzte, mit deren Hilfe die Untersuchung erfolgreich durchgeführt werden kann. Guerickes Leistung weist die gleichen Züge auf. Er schied durch eine geniale Verschiebung der Fragestellung aus dem allgemeinen philosophischen Raumproblem einen wesentlichen Teil seines physikalischen Begriffsgehaltes aus und machte damit die Bahn für eine Entwicklung frei, die auf der einen Seite zur Raumlehre Newtons und Kants führte, in einer anderen Richtung zu den Überlegungen von Leibniz und Gauß hinleitete, die in den Erörterungen der Relativitätstheorie ihre physikalisch und kosmologisch bedeutsame Gegenwartsgestaltung finden konnten. Aber Guericke begnügte sich nicht mit der bloßen Fragestellung. Wie Galilei erfand auch er sich die Mittel zur vollständigen Lösung seiner jetzt rein physikalischen Aufgabe. Er wies durch Versuche nach, daß ein weitgehend luftleerer Raum hergestellt werden kann, und gewann damit zugleich eine unerwartete Einsicht in das Wesen der Fuga vacui.

Bezüglich des letztgenannten Ergebnisses war ihm freilich Evangelista Torricelli um ein gutes Jahrzehnt zuvorgekommen. Die Pumpenbauer von Florenz hatten wahrgenommen, daß trotz aller "Scheu vor dem Leeren" Wasser in den Ansaugrohren der Pumpen noch keine zehn Meter hoch emporgehoben werden kann. Sie hatten sich deshalb ratsuchend an Galilei gewandt, und dieser hatte [612] sie mit ihrer Frage an den begabtesten seiner Schüler, Torricelli, weitergewiesen. Torricelli hatte sich sehr bald klargemacht, daß unter vergleichbaren Umständen das dreizehnmal schwerere Quecksilber an Stelle des Wassers auch nur um den dreizehnten Teil der Wasserhöhe dürfte emporgesogen werden. Um die Richtigkeit dieser Überlegung zu prüfen, hatte auf Torricellis Betreiben ein anderer Schüler Galileis, Vincenzo Viviani, ein Glasrohr von rund einem Meter Länge mit Quecksilber gefüllt, umgekehrt in eine gleichfalls mit diesem Metall gefüllte Wanne gestellt und nun die unter Quecksilber befindliche Rohröffnung freigegeben. Wie erwartet, sank die Quecksilbersäule im Rohr herab und ließ über sich einen Raum von ungefähr einem Viertelmeter Länge luftleer zurück. Die fuga vacui hatte demnach eine bestimmte Grenze, deren Wert – wie fernere Versuche lehrten – noch dazu schwankte; sie war, das erkannte Torricelli deutlich, nichts als ein Scheinbegriff und in Wahrheit als eine Wirkung des Luftdrucks anzusehen, dessen schwankende Größe durch den Versuch mit dem quecksilbergefüllten Rohr genau ermittelt werden konnte.

Guericke hatte von diesen Florentiner Untersuchungen – zum Glück, muß man sagen – keine Kenntnis und schlug deshalb ganz andere Wege als die Florentiner Physiker ein. Er versuchte aus einem allseits dicht verschlossenen Gefäß die Wasser- oder Luftfüllung herauszupumpen, ohne daß von außen Wasser oder Luft nachdringen konnte. Zu diesem Zweck ließ er in eine messingene Handfeuerspritze zwei Ventile einbauen, deren eines sich beim Herausziehen des Spritzenkolbens nach innen zu öffnete und beim Niedergang des Kolbens schloß, während das zweite in umgekehrtem Sinne arbeitete. Eine solche zur Pumpe umgebaute Spritze wurde nun an einem mit Wasser gefüllten Fasse nahe dem Boden angeschraubt und in Tätigkeit gesetzt. Trotz mannigfacher Fehlschläge gewann Guericke durch diese Versuche bald die Überzeugung von der Richtigkeit seines Grundgedankens, fand sich aber zugleich veranlaßt, an Stelle der anfangs verwendeten, allzu porösen hölzernen Bier- oder Weinfässer ein Metallgefäß zu benutzen. Aber auch damit gab es noch Überraschungen. Eine kupferne Kugel, die schon ziemlich luftleer gepumpt war, wurde plötzlich mit lautem Knall zusammengedrückt, "wie man ein Leintuch in der Hand zerknittert". Endlich gelang es aber, das ersehnte Ziel zu erreichen und im Innern einer hinreichend widerstandsfähigen Kugel einen weitgehend luftverdünnten Raum herzustellen.

Es waren verhältnismäßig einfache Mittel, mit denen diese Versuche angestellt wurden, und deshalb konnte Guericke die nötigsten Geräte auch auf seinen Reisen mitführen und seine Untersuchungen auch während des Aufenthaltes in fremden Städten fortsetzen, wo er sich während seiner diplomatischen Sendungen aufhielt. Dadurch drang zugleich die Kunde davon in weitere Kreise und gegen Ende des Regensburger Reichstages schließlich zu den Ohren der Kurfürsten und des Kaisers. Auf kaiserlichen Befehl fand daher im Jahre 1654 zu Regensburg – vermutlich in dem Hause, wo Guericke Wohnung genommen hatte – eine Vorführung der [613] Versuche über den luftleeren Raum statt, die auf alle Zuschauer großen Eindruck machte und Philipp von Schönborn, Kurfürsten von Mainz und Fürstbischof zu Würzburg, veranlaßte, Guerickes Apparate anzukaufen und nach Würzburg schaffen zu lassen. Dort wiederholte Caspar Schott, Professor der mathematischen Wissenschaften am Würzburger Gymnasium, die Versuche und berichtete über sie 1657 in seiner Mechanica hydraulico-pneumatica, einer technischen Mechanik der Flüssigkeiten und Gase. Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Sammelwerke des gelehrten Jesuiten, die damals die Stelle unserer Fachzeitschriften vertraten, trugen den Bericht von dem "novum experimentum magdeburgicum", dem ganz neuartigen magdeburgischen Versuch, in alle Welt und regten dadurch auch den englischen Edelmann und Naturforscher Robert Boyle zum Bau einer Luftpumpe und zu ausgedehnten Untersuchungen über die Wirkungen eines luftverdünnten Raumes an.

Aber auch Guericke begnügte sich nicht mit dem Erreichten. In geduldiger Arbeit und unter Aufwand beträchtlicher Geldmittel führte er seine Versuche weiter, so daß Schott 1664 in seiner Technica curiosa eine Reihe von Briefen abdrucken konnte, in denen Guericke über seine neuesten Forschungen berichtete. So hatte er sich beispielsweise zwei kupferne Halbkugeln von ungefähr einer halben Elle Durchmesser anfertigen lassen, die genau aufeinanderpaßten und nach Zwischenlage eines Dichtungsringes luftleer gepumpt werden konnten. "Wenn ich sie zusammenlege und die Luft herausziehe", heißt es in seinem Schreiben vom 22. Juli 1656, "werden sie vom Gewichte der äußeren Luft so stark zusammengepreßt, daß sechs kräftige Männer sie nicht voneinanderreißen können." Dies ist die älteste Nachricht über den wohl bekanntesten Versuch Guerickes, den Versuch mit den Magdeburger Halbkugeln, die somit ihren Namen mit vollem Rechte tragen. Denn erst zwei Jahre nach den Regensburger Vorführungen wurde die schöne Anordnung in Magdeburg ersonnen und erprobt, als Guericke in seinem Hause eine Luftpumpe von kräftigerer Bauart und Wirkung als die ursprüngliche Spritzenform hatte aufstellen können.

Briefmarke zum 250. Todestag von Otto von Guericke.
Zum 250. Todestag von Otto von Guericke verausgabte Briefmarke der Deutschen Reichspost, 1936.
[Bildarchiv Scriptorium.]
Auch zwei weitere Versuche, die damals angestellt wurden, verdienen Hervorhebung. Der eine davon ist der Nachweis des Gewichtes der Luft; denn von ihm nimmt der Gedanke eines Luftballons seinen Ausgang als einer Kugel, die leichter als die von ihr verdrängte Luft gemacht wird und darum in der Luft schwimmen muß wie Kork auf dem Wasser. Eine zweite Anordnung knüpfte an den Versuch mit den Magdeburger Halbkugeln an. Guericke ließ sich nämlich einen Zylinder von gleichem Durchmesser wie die Halbkugeln herstellen, in welchem ein dicht anschließender Kolben sich bewegen konnte. Wurde der Kolben durch Gewichte, die auf einem Waagebrett ruhten und durch einen Seilzug über zwei Rollen mit dem Kolbenende verbunden waren, emporgezogen, so entstand als Folge der Luftverdünnung im Zylinder ein Unterdruck, der ein weiteres Aufsteigen des Kolbens verhinderte. Wurde nun der Zylinderraum mit einer zuvor luftleergepumpten großen Kugel verbunden, so wuchs der Druckunterschied gegenüber der [614] Außenluft, der äußere Luftdruck preßte den Kolben wieder tiefer in den Zylinder hinein und hob damit die auf der Waageplatte ruhenden Gewichte. Von dieser Arbeitsleistung durch den äußeren Luftdruck wurde bald nach Guerickes Tode praktischer Gebrauch in den Frühformen der Dampfmaschine, den sogenannten atmosphärischen Dampfmaschinen gemacht. Hier erfolgte der Kolbenhub durch die Spannkraft des Wasserdampfes, während die Arbeitsleistung beim Kolbenniedergang durch den Luftdruck erfolgte, nachdem durch Niederschlagen des Dampfes im Zylinder ein luftverdünnter Raum erzeugt worden war. Guerickes Versuche blieben also in ihrer Auswirkung nicht auf das rein Wissenschaftliche beschränkt, sondern waren auch für die technische Entwicklung von hoher Bedeutung.

Es ist verständlich, wenn unter solchen Umständen Guerickes Freunde ihn drängten, selbst eine Darstellung seiner Versuche über den luftleeren Raum zu veröffentlichen und sie dabei in den Rahmen der größeren Gesichtspunkte einzuspannen, unter denen sie ursprünglich geplant und ersonnen waren. Guericke gab nach und hatte am 14./24. März 1663 die erste Niederschrift seines Werkes beendet, die im Laufe des folgenden Jahrzehnts aber noch manche Umgestaltung und Ergänzung erfuhr. So fand unter anderm darin die Beschreibung einer dritten Form seiner Luftpumpe Aufnahme, die er als ortsbewegliche Standluftpumpe hatte bauen lassen, um mit ihrer Hilfe dem Großen Kurfürsten im Schlosse zu Berlin am 1. Dezember 1663 seine Versuche vorzuführen. Die Pumpe blieb nach der Vorführung im Berliner Schlosse, wo sie in der kurfürstlichen Bibliothek aufbewahrt wurde, gelangte später in die physikalische Sammlung der Universität und ist jetzt im Deutschen Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik zu München aufgestellt.

Vorführung der Magdeburger Halbkugeln durch Otto von Guericke.
[608b]      Vorführung der Magdeburger Halbkugeln durch Otto von Guericke.
Illustration aus seiner Schrift "Experimenta nova Magdeburgica de vacuo spatio" 1672.

Erst im Jahre 1672 erschienen in Amsterdam bei Johannes Jansson Des Otto von Guericke neuartige sogenannte Magdeburgische Versuche über den luftleeren Raum als ein stattlicher Großquartband von zweihundertvierundvierzig Seiten Umfang. Der Bericht des Dritten Buches über die eigenen Versuche nimmt davon nur etwa ein Fünftel ein, bildet aber trotzdem das Kernstück des ganzen Werkes, das in seiner Gesamtheit eine Kosmologie auf möglichst breiter experimenteller Grundlage geben will. Die Versuche über den luftleeren Raum sind auch nicht die einzigen, die sich darin beschrieben finden. Denn sie vermögen nur Aufschluß zu geben über das Wesen der Lufthülle, die unsere Erde umgibt und die Guericke als den "Ruch" der irdischen Dinge auffaßt, sowie über die Artung des Raumes, der sich stoffleer zwischen den Weltkörpern erstreckt. In diesem leeren Raume vollzieht sich aber auch das Spiel der Kräfte, die den Planeten ihre Bahn weisen, sie als Sonnen leuchten, als Erden magnetische Richtkräfte entfalten lassen. Eine wahre physikalische Kosmologie muß deshalb versuchen, auch von diesen Weltkräften, den "virtutes mundanae", eine anschauliche Vorstellung zu geben, wie dies in ähnlicher Weise bereits Kepler in seinem Abriß des Kopernikanischen Weltsystems (Epitome astronomiae Copernicanae) getan hatte. Während aber Kepler [615] in Anlehnung an die Gilbertsche Lehre vom Erdmagnetismus das Wesen der allgemeinen Anziehung der Weltkörper in einem tellurisch-kosmischen Magnetismus sah, stützte Guericke sich zur Erklärung dieser und verwandter Erscheinungen auf eine andere Gruppe von Naturerscheinungen, die der Elektrizität. Mittels einer durch Reibung elektrisierten Schwefelkugel, die schon durch ihre Gestalt gleich der Gilbertschen "terrella" ein "Erdlein" sein wollte, glaubte er einleuchtend machen zu können, weshalb beispielsweise der Mond unserer Erde folgt, von ihr in einem gewissen Abstand gehalten wird und ihr zudem stets die gleiche Seite zukehrt.

Wir erkennen die von ihm entwickelten Vorstellungen nicht mehr als gültig an. Doch haben sie Guericke selbst zu einer Reihe von Entdeckungen auf dem Gebiete der Elektrizitätslehre geführt, die er freilich nicht in ihrer vollen Bedeutung würdigte und mit der gleichen Sorgfalt weiterverfolgte wie seine Versuche über den luftleeren Raum. Sie verhalfen aber wenigstens seinem genialen jüngeren Landsmann Gottfried Wilhelm Leibniz zu einer schönen Beobachtung. Denn an einer von Guericke ihm zugesandten Schwefelkugel sah er Anfang des Jahres 1672 zum ersten Male einen elektrischen Funken, während Guericke selbst immer nur ein schwaches Leuchten an der im Dunkeln geriebenen Schwefelkugel wahrgenommen hatte. Auf dem Gebiete der Elektrizitätslehre war der Magdeburger Bürgermeister also nur vorbereitend, nicht wegbahnend wirksam, und vieles, was ihm schon bekannt war, mußte zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts erneut von anderen entdeckt und zum Ausgangspunkte einer folgenreichen Entwicklung gemacht werden.

Hätten wir Guericke nur die Lehre vom Luftdruck zu verdanken, so müßte er sich in dieses Verdienst mit Torricelli und Pascal teilen. Seine überragende Stellung in der Geschichte der menschlichen Kultur verdankt er vor allem der Erfindung einer wirksamen und entwicklungsfähigen Luftpumpe. Denn dadurch wurde er zum

Otto-von Guericke-Denkmal in Magdeburg.
Otto-von Guericke-Denkmal,
Elbauenpark in Magdeburg.
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Begründer der Vakuumtechnik, die für weite Bezirke unserer Gegenwartskultur von entscheidender Bedeutung und ohne die der heutige Stand des Röntgenwesens, weiter Gebiete der Strahlentherapie, des elektrischen Nachrichtenwesens und der Gleichrichtertechnik undenkbar ist.

So ist und bleibt Otto von Guericke der bedeutendste deutsche Vertreter der experimentellen Naturwissenschaft um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. In vielen Zügen ein Kind seiner Zeit und von menschlichen Schwächen nicht frei, trägt er dennoch einen der schönsten Züge deutschen Wesens: die Bereitschaft, einer freiwillig übernommenen idealen Aufgabe unter allen Umständen und mit allen Kräften zu dienen. Erfüllt von einer tiefen Sehnsucht nach Erkenntnis, getrieben von dem unbeugsamen deutschen Willen zur Wahrheit, drang Otto von Guericke forschend ins Innere der Natur, damit ihm "aus der rechten Erkenntnis seiner Schöpfung die unermeßliche Majestät des Allmächtigen klar vor Augen scheine".




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Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz