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[Bd. 1 S. 284]
Johannes Gutenberg, 1397 - 1468, von Alois Ruppel

Kupferstich von unbekanntem Künstler, 16. Jahrhundert.
Johannes Gutenberg (Gensfleisch zur Laden).
Kupferstich von unbekanntem Künstler, 16. Jahrhundert.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 49.]
Wer die Männer der deutschen Geschichte, die nicht nur dem eigenen Volke, sondern allen Völkern der Erde und jedem Einzelmenschen entscheidend Gutes taten, überschaut, dessen Auge wird an einem sehr unscheinbar aussehenden Manne haften bleiben, der keine Krone trug, keine Religion stiftete, keine neuen Länder entdeckte, keinen Kriegs- oder Gelehrtenruhm an seinen Namen heftete, sondern in das bescheidene Gewand eines einfachen Handwerkers gekleidet war und in größter Armut lebte und starb. Und doch gebührt ihm die schönste Krone, der höchste Entdeckerruhm. Denn er war es, der vor fast 500 Jahren in einer kleinen Werkstatt der heutigen Schustergasse zu Mainz eine Erfindung machte, die die Welt aus ihren verrosteten Angeln hob und ihr eine neue Laufrichtung gab. Dieser Große unter den Großen der Erde war kein anderer als Johannes Gensfleisch genannt Gutenberg, der Erfinder der Buchdruckerkunst.

Die Bedeutung seiner Erfindung besteht darin, daß er als erster es möglich machte, das gesamte Wissen der damaligen Zeit und aller nachfolgenden Zeiten, das vorher nur durch mühsames Abschreiben immer wieder nur auf Einzelne der nachkommenden Geschlechter vererbt wurde, nun schnell und billig und in schier unzählbarer Menge allen Menschen, wann und wo immer sie in der weiten Welt auch leben mochten, zu überliefern.

Waren schon die Erfindungen der Sprache und der Schrift alles überragende Großtaten des menschlichen Geistes, so hat doch erst die Erfindung der Druckkunst es möglich gemacht, daß die Menschen ihre Erkenntnisse und Erfahrungen untereinander schrankenlos austauschen und gesichert der Nachwelt weitergeben konnten.

Gutenberg war ein Deutscher, Sohn und Bürger der deutschen Stadt Mainz am deutschen Rhein. In der Schlußschrift seines Catholicon von 1460 hat er sich stolz zu seinem Volke und zur deutschen Nation bekannt. Wenn die ganze Welt diesem einen Manne ihre dankbare Huldigung darbringt und seine Großtat zu allen Zeiten als das größte Geschenk pries, das je ein Erdgeborener der ganzen Menschheit neidlos und uneigennützig dahingab, wenn Nichtdeutsche (wie Victor Hugo) die Erfindung der Druckkunst das größte Ereignis der Weltgeschichte nennen, so muß es jedes deutsche Herz mit Stolz erfüllen, daß es einer aus unserem Volke war, der diese Tat vollbrachte und durch sein Werk allen Menschen das bisher fast gänzlich verschlossene Tor zum Wissen mit einem einzigen gewaltigen Schlage öffnete. In Gutenberg ist das Deutschtum im schönsten und edelsten [285] Sinne zum Weltbürgertum erhoben. Wir können den Stolz verstehen, mit dem der Drucker Ulrich Zell dem Kölner Chronisten von 1499 erzählte: "Diese hochwürdige Kunst wurde erfunden zu allererst in Deutschland zu Mainz am Rhein; und das ist für die deutsche Nation eine große Ehre, daß es so sinnreiche Menschen hat, die eine solche Erfindung zustande bringen konnten."

Johannes Gutenberg.
Johannes Gutenberg.
Gemälde von unbekanntem Künstler, 1440.
[Nach wikipedia.org.]
Über Gutenbergs Person und über die Art, wie seine Erfindung zustande kam, ist recht wenig bekannt. Es ist ein tragisches Geschick, daß über dem Leben und dem Werk des Mannes, der soviel Licht in die Welt gebracht hat, so tiefes Dunkel gebreitet liegt. Die zahllosen Veröffentlichungen über den Mann und seine Erfindung haben den Schleier des Geheimnisses nur wenig lüften können.

Das Dunkel, das die Entstehung der Erfindung Gutenbergs umgibt, wird, wie Charles Mortet in seinem vorzüglichen Buche über die Anfänge der Druckkunst schreibt, verursacht durch die Seltenheit der gleichzeitigen Zeugnisse, durch die Ungenauigkeit der Ausdrucksweise in den wenigen erhaltenen Dokumenten und vor allem durch den Umstand, daß der Erfinder der Druckkunst auf keinem seiner Drucke seinen Namen nennt und auch den Ort und die Zeit der Druckherstellung verschweigt. Die Schwierigkeit, dieses Dunkel zu lichten und zu einer einheitlichen Auffassung über die Erfindung der Druckkunst zu gelangen, wurde noch dadurch vermehrt, daß Nationalstolz und Lokalpatriotismus gar zu gern bewiesen hätten, daß gerade diese Erfindung, die größte, segensreichste und folgenschwerste von allen, bei dem eigenen Volke oder gar in den eigenen Mauern entstanden sei.

Wer wurde nicht schon alles für den Erfinder der Buchdruckerkunst gehalten! Der chinesische Schmied Pi Schêng stellte schon 400 Jahre vor Gutenberg Drucke mit gebrannten Tonzeichen her. – Zu Söul in Korea druckte man bereits 1407 mit Hunderttausenden von gegossenen Kupfertypen zahlreiche Werke der chinesischen Literatur. War das die Erfindung der Druckkunst, die sich die Welt eroberte? – Zu Avignon in Südfrankreich sind in den Jahren 1444–1446 zahlreiche Verträge notariell eingetragen worden, aus denen hervorgeht, daß der Silber- und Goldschmied Prokop Waldfogel aus Prag dort die Kunst, künstlich zu schreiben, lehrte und dafür lateinische und hebräische Metallbuchstaben verkaufte und verlieh und alle, die die neue Kunst ausübten, schwören ließ, sie geheimzuhalten. Prokop Waldfogel brauchte zu seiner Geheimkunst Stahl, Eisen, Zinn, Kupfer, Messing und Blei, also Materialien, wie sie die späteren Buchdrucker benutzten. Müssen wir auf Grund dieser unbezweifelbaren Eintragungen nun Prokop Waldfogel als den Erfinder und Avignon als die Heimatstadt der Druckkunst betrachten? – Zu Feltre in Norditalien erhebt sich seit 1868 ein stolzes Denkmal, das den in dieser Stadt 1398 geborenen Arzt Pamfilo Castaldi als Erfinder der beweglichen Type feiert. – Zu Straßburg glaubte man jahrhundertelang, daß Johannes Mentelin aus Schlettstadt der Erfinder der Buchdruckerkunst sei. – Brügge in Flandern erhebt für seinen Bürger Johannes Brito den Anspruch auf [286] die Erfinderehre, weil dieser selbst in einem typographisch hergestellten Werk erklärt, die wunderbare Kunst mit allen ihren Geräten ohne jedes fremde Zutun erfunden zu haben. – Selbst in frühen Mainzer Drucken werden bald Johann Fust, bald Peter Schöffer als Erfinder der Druckkunst bezeichnet. – Die Holländer beanspruchen die Ehre der Erfindung für ihren Landsmann Laurenz Janszoon Coster aus Haarlem und errichteten ihm 1722 und 1856 in seiner Vaterstadt Denkmäler. Aber keiner von diesen allen hat bei der Kulturwelt solche Anerkennung als Erfinder der Druckkunst gefunden wie Johannes Gensfleisch genannt Gutenberg aus Mainz.

Und doch ist auch bei Gutenberg noch vieles unklar. Die Nachrichten über sein Leben und seine geheime Kunst sind dürftig und undeutlich, keiner seiner Drucke trägt seinen Namen, keiner seiner Zeitgenossen hat klar und deutlich über seine erstaunliche Erfindung Bericht erstattet. Glücklicherweise ergeben eine Anzahl von Urkunden und Aktenstücken, die die Archive noch heute verwahren oder die vor ihrer Vernichtung von vertrauenswürdigen Forschern eingesehen und abgeschrieben wurden, Kunde von der historischen Existenz Gutenbergs und von den Anfängen seiner Erfindung. Auch sind in den letzten drei Jahrzehnten, insbesondere durch die grundlegenden Arbeiten der Gutenberg-Gesellschaft in Mainz, manche dunklen Punkte aufgeklärt worden. So wurde die Spreu der Hypothesen und falschen Nachrichten von dem Weizen der Wahrheit geschieden, so daß wir heute trotz allem ein einigermaßen sicheres Bild von Leben und Werk des Johannes Gutenberg entwerfen können.

Alljährlich feiern die Buchdrucker der Welt den Geburtstag ihres Meisters am 24. Juni, am Johannistag. Es ist müßig zu fragen, ob denn der Johannistag tatsächlich der Geburtstag Gutenbergs sei. Dafür haben wir keinen anderen Beweis als lediglich die Vermutung, daß im "Hofe zum Gutenberg" in Mainz der vielfach geübte Brauch eingehalten wurde, dem neugeborenen Kinde den Namen des Heiligen zu geben, den die Kirche an dessen Geburtstag gerade feierte. Das Geburtsjahr des Erfinders der Buchdruckerkunst liegt, wie wir berechnen können, zwischen 1394 und 1398. Mit dieser Feststellung stützen wir auch eine alte Überlieferung, nach der Johannes Gutenberg im Jahre 1397 das Licht der Welt erblickt haben soll. Wenn die Kulturwelt den 500. Geburtstag Gutenbergs im Jahre 1900 feierte, hinkt sie also um einige Jahre nach. Wir werden noch sehen, daß sie bei den Jahrhundertfeiern der Erfindung der Druckkunst um einige Jahre vorauseilte. Unzweifelhaft sicher sind wir unterrichtet über den Geburtsort Mainz. Wenn die Kölner Chronik vom Jahre 1499 angibt, Gutenberg sei in Straßburg geboren, so wird sie gerade durch die Straßburger Akten und Urkunden am härtesten Lügen gestraft. Denn so oft Gutenberg, der sich von 1434–1444 in Straßburg aufhielt, in Prozeßakten, Steuerregistern, Stammrollen usw. genannt wird (sein Name kommt mehr als 120mal in Straßburg vor), heißt er immer Johannes Gensefleisch alias nuncupatus Gutenberg de Maguncia [287] oder Hans Gensefleisch genannt Gutenberg von Mentz oder ähnlich. In Straßburg wußte man also ganz genau, daß Gutenberg aus Mainz stammte. Seine Mainzer Abkunft ist über jeden Zweifel erhaben. Ebenso sicher kennen wir das Geburtshaus Gutenbergs. Er wurde im Hofe zu Gutenberg geboren, der an der Ecke der heutigen Schustergasse und der Christophstraße, unmittelbar neben dem Friedhof der Christophkirche lag. Dieser Hof zum Gutenberg wird aber vielfach als mütterliches Erbe bezeichnet, das Gutenbergs Mutter, die die Letzte des Stammes derer von Gutenberg gewesen sei, seinem Vater mit in die Ehe gebracht habe. Das ist jedoch falsch. Denn die Mutter Gutenbergs hieß Else Wirich; sie war eine Tochter des Mainzer Kaufmanns und mehrfachen Hausbesitzers Werner Wirich "zum Steinernen Krame". Ihr Stammhaus lag an der rheinischen Ecke der Schustergasse und des Marktes. Der Vater Gutenbergs, Friele Gensfleisch zur Laden, besaß bereits mindestens einen Teil des "Hofes zum Gutenberg", als er Else Wirich als seine zweite Frau in den "Hof zum Gutenberg" heimführte. Nach diesem Hofe benannten sich die neuen Eheleute, und nach ihm wurden auch ihre drei Kinder Friele, Else und Johannes benannt.

Über der Jugendzeit Gutenbergs liegt undurchdringliches Dunkel gebreitet. Wir wissen gar nichts über die Art seiner Erziehung, über seine frühesten Eindrücke und Neigungen, über die örtlichen und persönlichen Verhältnisse, die auf seinen Charakter Einfluß ausübten oder seine Fähigkeiten hätten offenbaren können. Wir können daher auch nicht nachweisen, woher Gutenberg sein Interesse an metalltechnischen Arbeiten und seine große Kunstfertigkeit in ihnen, die ihn in Straßburg zum Lehrer und anerkannten Führer werden ließen, geschöpft hat. Viele glauben, die Ursache seiner Kenntnisse in Metallarbeiten darin gefunden zu haben, daß seine Familie zu den Münzerhausgenossen gehörte, die die Münzherstellung des Erzbischofs zu betreuen hatten. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, daß Gutenberg persönlich zu den Münzerhausgenossen gehörte. Dagegen steht fest, daß zu seiner Zeit die Kunst des Schneidens von Siegel- und Münzstempeln in Mainz in hoher Blüte stand, wie die erhaltenen Münzen und Siegel beweisen; so hätte also hier der offenbar stark kunstbegabte Jüngling die Herstellung solcher Kunstwerke beobachten oder gar trotz seiner Herkunft aus patrizischem Hause selbst versuchen können.

Eher wissen wir etwas über die politische Haltung Gutenbergs in seinen Jugendjahren. In dem Versöhnungsvertrag zwischen den Mainzer Patriziern und den Zünften vom 28. März 1430 wird "Henchin zu Gudenberg" mit andern, "die jetzt nit inländisch sind," die Rückkehr nach Mainz gestattet. Daraus geht hervor, daß Gutenberg aus politischen Gründen, die in dem Zwiespalt zwischen den alten Geschlechtern und den Handwerkern lagen, seine Vaterstadt wahrscheinlich im Herbst 1428 verlassen hatte. Damals sollten die mißlichen Finanzverhältnisse der Stadt Mainz durch tief eingreifende Steuererlasse gesund gemacht werden, wobei die Patrizier sich im voraus zu verpflichten hatten, diese ihnen noch [288] unbekannten Steuergesetze anzunehmen und 10 Jahre in der Stadt Mainz zu verbleiben. Nur wenige unterwarfen sich dieser Bedingung, die anderen aber wanderten aus. Über die Ausgewanderten wurde die Acht verhängt. Um den Streit zu schlichten, fand am 17. Januar 1429 ein Städtetag zu Mainz statt, zu dem auch die Ausgewanderten erschienen, nachdem sie in der Krone zu Oppenheim beschlossen hatten, nicht nachzugeben, sollte es auch 300 oder 400 Gulden kosten. Die Mainzer Zünfte, die unter der Leitung des Stadtschreibers Nikolaus (von Wörrstadt) standen, lehnten es ab, mit den ausgewanderten Patriziern überhaupt zu verhandeln; sie wollten ihrerseits "dransetzen Haut und Haar und die Güter und Renten der Geschlechter verwenden, zu kämpfen noch Jahr und Tag". Daraufhin hielten die in der Stadt verbliebenen Geschlechter mit den Ausgewanderten an einem Donnerstag eine gemeinsame Sitzung in dem Franziskanerkloster zu Mainz ab, in der sie einhellig beschlossen, vor den Zünften nicht freiwillig zurückzuweichen, sondern lieber alle miteinander auszuwandern. Aber schon am folgenden Tage war die Einmütigkeit dahin; die "Inneren" wollten in der Stadt bleiben. Und am 19. Januar 1429 legten 13 Ratsherren aus den Geschlechtern ihre Ämter in die Hände der Zünfte. Über die Ausgewanderten blieben Acht und Rentensperrung verhängt. Erst am 28. März 1430 wird der Friede geschlossen und in der darüber aufgerichteten Urkunde auch Gutenberg die Rückkehr in seine Vaterstadt wieder gestattet, falls er dem Friedensschluß beitritt und darüber eine schriftliche Erklärung dem Stadtrat übergibt.

Johannes Gutenberg aber scheint es damals abgelehnt zu haben, Frieden mit der demokratisch gewordenen Stadtverwaltung zu machen, die ihrerseits die Leibrenten gesperrt hielt, die seine Verwandten für ihn bei der Stadtkasse erkauft hatten. Gutenberg aber hatte in seinen Händen die besiegelten Urkunden der Stadt Mainz, die ihm seine Renten sicherten und ihm selbst das Recht gaben, jeden einzelnen Bürger von Mainz für die Verpflichtungen der Stadt haftbar zu machen. Da traf es sich für ihn günstig, daß im Jahre 1434 ausgerechnet der Mainzer Stadtschreiber Nikolaus (von Wörrstadt), der Vertreter der Mainzer Zünfte, die Gutenberg aus seiner Vaterstadt vertrieben hatten, nach Straßburg kam. Gutenberg ließ ihn ohne weiteres verhaften, in den Schuldturm werfen und ihn schwören, daß er spätestens zum nächsten Pfingstfeste die ganze Schuld der Stadt Mainz von 310 Gulden persönlich bezahlen werde. Dem demokratischen Straßburger Stadtrat war das natürlich höchst unangenehm, daß der Vertreter der demokratischen Stadt Mainz so schmählich behandelt wurde. Aber obwohl Gutenberg nicht Bürger der Stadt Straßburg, sondern nur ihr "Hintersasse" war, konnte sie rechtlich nichts gegen den auf seine Urkunden pochenden Gutenberg unternehmen. Sie versuchte es daher mit Verhandlungen; diesen zeigte sich Gutenberg zugänglich. Auf Bitten des Straßburger Rats entband er den Mainzer Stadtschreiber von der Schuldhaft und dem Eidschwur und stellte darüber am 14. März 1434 eine Urkunde aus, an die er sein Siegel hing. Es scheint, daß die Stadt [289] Mainz sich verpflichtet hatte, an Gutenberg die rückständigen Renten auszuzahlen, so daß dieser sein lebendiges Pfand wieder freigeben konnte. Das läßt sich aus der Tatsache vermuten, daß er zwei Monate später, am 30. Mai 1434, mit der Verwaltung seiner Vaterstadt jenes Abkommen trifft, duch das eine Leibrente seines Bruders Friele auf ihn übertragen und von 14 auf 12 Gulden herabgesetzt wurde.

Wir lernen hier Gutenberg als einen politischen Starrkopf und hartnäckigen Gegner kennen, der seine Feinde faßte, wo er konnte, und der seine Rechte so energisch vertrat, daß er seinen Zweck erreichte.

Und doch sollte sich in Straßburg ein Wandel seiner Anschauungen und seiner politischen Gesinnung vollziehen. Denn wir finden den Namen dieses stolzen Mainzer Patriziers wohl in der Liste der Konstofler, d. h. des Straßburger Stadtpatriziats, aber ebenso finden wir seinen Namen auch in der Liste der Straßburger Goldschmiedezunft, also der Handwerkerschaft.

Wie ist dieser Gesinnungswechsel zu erklären? Gutenberg war offenbar genötigt, mindestens einen Teil seines Lebensunterhaltes durch seiner Hände Arbeit zu verdienen. Er beschäftigte sich in Straßburg mit allerlei Künsten, die er so vortrefflich verstand, daß er als ein anerkannter Lehrmeister Unterricht in ihnen erteilte. So im Schleifen von Edelsteinen. Für die Herstellung von Spiegel gründete er mit dem Straßburger Hans Riffe eine Gesellschaft, der später auch die Straßburger Bürger Andreas Heilmann und Andreas Dritzehn beitraten. Mit diesen drei Personen schloß Gutenberg im Jahre 1438 für fünf Jahre einen neuen Gesellschaftsvertrag zur Ausübung einer von ihm erfundenen, bisher aber geheimgehaltenen Kunst. Während die Gesellschafter nicht unbedeutende Einzahlungen machen mußten, brauchte Gutenberg nur seine Erfindung in das Geschäft einzuschießen; trotzdem wurde ihm die Hälfte des Gewinnes zugesprochen. Diese Vertragsbestimmung allein zeigt, daß er das Haupt der Gesellschaft und der Erfinder war. Keiner dieser drei Gesellschafter machte ihm diese Ehre streitig; das überließen sie den Gelehrten, die mehr als 400 Jahre später lebten.

Welches aber war diese geheime Kunst Gutenbergs? Einiges Wenige erfahren wir darüber durch einen großen Prozeß, den Gutenberg im Jahre 1439 vor dem Straßburger Rate zu führen hatte. In dem Gesellschaftsvertrag von 1438 war vorgesehen, daß kein Fremder in das Geheimnis eingeweiht werden sollte. Träfe es zu, daß einer der Gesellschafter vor Ablauf des Vertrages stürbe, so sollten seine Erben nicht in die Firma aufgenommen, sondern mit hundert Gulden ausgezahlt werden. Nun starb aber bereits vor Weihnachten 1438 der Gesellschafter Andreas Dritzehn. Seine beiden Brüder Klaus und Jörg verlangten Aufnahme in die Gesellschaft, wurden aber von Gutenberg rundweg abgewiesen. Die Abgewiesenen klagten vor dem Straßburger Rat, der in dem Prozeß nicht weniger als neununddreißig Zeugen verhörte und in seinem Urteil vom 12. Dezember 1439 zugunsten Gutenbergs entschied.

[290] Aus den Zeugenaussagen geht hervor, daß man zur Ausübung dieser neuen Kunst eine Presse benutzte, auf deren Geheimhaltung sehr großer Wert gelegt wurde. Es ist die Rede von Bleiankäufen für das gemeinsame Unternehmen. Gutenberg ließ vor Weihnachten 1438 bei Dritzehn Formen abholen, die er einschmolz, was ihm bei einigen wieder leid tat. Die kürzeste, aber inhaltsreichste Aussage machte der Goldschmied Hans Dünne; er erklärte, bereits vom Jahre 1436 ab bei Gutenberg 100 Gulden verdient zu haben allein an dem, "das zu dem Drucken gehöret". Wenn wir diese Zeugenaussagen unbefangen auf uns wirken lassen, so können wir denen nicht Unrecht geben, die in der geheimen Kunst Gutenbergs die Uranfänge der Typographie sehen. Denn diese Ansicht wird bestätigt durch die Beobachtung, daß wir denselben Gutenberg einige Jahre später in Mainz im Besitze einer sehr leistungsfähigen Druckerei finden.

Es ist jedoch einen Augenblick noch in Straßburg zu verweilen. Bereits 1436 stand Gutenberg schon einmal vor den Richtern. Eine Straßburger Patrizierstochter Ennelin zur Iseren Türe glaubte sich von Gutenberg geliebt und in ihrer Liebe betrogen. Es sprach für ihre starke Neigung, daß sie den ungewöhnlichen Schritt nicht scheute, den fast 40jährigen Gutenberg vor dem geistlichen Gericht wegen Bruch des Eheversprechens zu verklagen. Wie der Prozeß entschieden wurde, ist uns unbekannt. Tatsächlich hat Gutenberg die Ennelin nicht geheiratet; denn, wenn auch in Straßburger Akten eine Ennel Gutenberg genannt wird, so ist sie doch nicht jene Ennelin zur Iseren Türe. Denn Ennel Gutenberg war eine unverheiratete Person, die dem geistlichen Stande angehört haben dürfte. Hätte Gutenberg eine Straßburger Patrizierstochter geheiratet, so wäre er ohne weiteres Straßburger Bürger geworden. In dem erhaltenen Straßburger Bürgerbuch aber ist sein Name nicht eingetragen. Auch wird er in dem Urteilsspruch von 1439 als "Hintersasse", also als Nichtbürger angeführt. Außerdem steht er in den Listen der Konstofler nich als Voll-Mitglied, sondern als Nachkonstofler; ebenso in der Liste der Goldschmiede nicht als vollwertiges Mitglied, sondern unter den Zudienern oder den Zugesellen, "die nit voll Zunft han". Aus alledem geht hervor, daß er nicht Bürger von Straßburg war, also auch keine Straßburger Bürgerstochter geheiratet hatte.

In dem Prozeß Ennelins gegen Gutenberg hat der Straßburger Bürger und Schuhmacher Klaus Schott offenbar ungünstig gegen Gutenberg ausgesagt. Man spürt den ganzen Zorn und Stolz des Mainzer Patriziersohnes, wenn wir hören, daß Gutenberg den Klaus Schott einen armseligen Menschen nennt, der nur ein schnödes Leben führe mit Lügen und Trügen. Der Angegriffene verklagte den Angreifer, und so stand Gutenberg zum dritten Male vor dem Richter. Dieser fällte nach mehreren Terminen am 30. August 1437 ein vorläufiges Urteil, auf Grund dessen Gutenberg an den Klaus Schott eine Buße von 15 Gulden bezahlen mußte. Der schließliche Ausgang des Beleidigungsprozesses ist uns unbekannt.

Gutenberg zahlte am 12. März 1444 zum letzten Male seine Weinsteuer in [291] Straßburg. Seitdem ist er in dieser Stadt nicht mehr nachweisbar. Aus welchem Grunde er Straßburg verließ, ist unbekannt. Doch ist es wohl möglich, daß die Einfälle der Armagnaken, die auch die Straßburger Vorstadt St. Arbogast, wo Gutenberg wohnte, im Jahre 1444 ausplünderten, die Ursache seiner Abreise waren. Gutenberg selbst war bereits in der Liste der Konstofler mit seinem Vermögen und in der Liste der Goldschmiede mit seiner Person unter die Verteidiger Straßburgs eingereiht. Er scheint aber keine große Lust gehabt zu haben, sich für eine Stadt zu schlagen, in der er noch nicht einmal Bürgerrecht besaß.

Ob Gutenberg sofort nach Mainz zurückkehrte, wissen wir nicht. Er erscheint zum ersten Male in einer Mainzer Urkunde von 1448, durch die er 150 Gulden erhielt, die sein Verwandter Arnold Gelthus für ihn aufgenommen hatte, die er aber selbst verzinsen und zurückzahlen wollte. Daß Gutenberg diese 150 Gulden für die Vervollkommnung seiner ersten Druckerei brauchte, ist ein naheliegender und zulässiger Schluß. Denn schon Ende 1447 druckte er in Mainz einen astronomischen Kalender, der (nach Zedler) nur für das Jahr 1448 paßte und von dem das einzige unvollständige Exemplar in der Wiesbadener Landesbibliothek aufbewahrt wird. Dieser Kalender zeigt aber schon eine so fortgeschrittene Schriftguß- und Satztechnik, daß wir annehmen müssen, daß die in der gleichen Type und von derselben Hand hergestellten Donate, die unvollkommener sind, [292] vor dem astronomischen Kalender entstanden. Das unvollkommenste Druckstück in der Urtype Gutenbergs ist das "Fragment vom Weltgericht", dessen Entstehung

Die älteste erhaltene Druckprobe Gutenbergs.
[291]      Die älteste erhaltene Druckprobe Gutenbergs, das Fragment eines Andachtsblattes zum Weltgericht,
um 1445 zu Mainz gedruckt.
wir mit gutem Grunde etwa in das Jahr 1445 verlegen können. Das Mainzer Gutenberg-Museum ist stolz darauf, dieses älteste, mit Einzelbuchstaben hergestellte Druckwerk der Welt zu besitzen. Es ist ein zweiseitig bedrucktes, handgroßes Stückchen Papier, das Bankdirektor Beck im Jahre 1898 in Mainz fand und 1902 dem Gutenberg-Museum schenkte. Es ist bemerkenswert, daß dieses älteste typographische Denkmal in deutscher Sprache abgefaßt ist.

Von Gutenbergs Aufenthalt in Mainz sind wir noch weniger als von seinem Aufenthalt in Straßburg unterrichtet. Etwa im Jahre 1450 entschloß er sich, seine neue Kunst, die er an Donaten und Kalendern reichlich erprobt hatte, auch an der Herstellung eines ganz großen Werkes, der Bibel, zu zeigen.

Rekonstruktion der Werkstatt Gutenbergs.
[293]      Rekonstruktion
der Werkstatt Gutenbergs.

Mainz, Gutenberg-Museum.

[Bildquelle: Georg Massias, Berlin.]
Die Gelder für die Herstellung des nötigen großen Druckapparates lieh ihm der Mainzer Bürger Johannes Fust. Nach zwei Jahren aber waren die geliehenen 800 Gulden verbraucht. Fust mußte zum zweiten Male 800 Gulden hergeben. Er tat dies aber jetzt nur unter der Bedingung, daß er Geschäftsteilhaber für das "Werk der Bücher" wurde. Außerdem verpflichtete sich Fust, jährlich 300 Gulden für Hauszins, Gesindelöhne, Papier, Pergament und "Tinte" beizusteuern. Etwa daran zu denken, daß Gutenberg mit Fust eine große Werkstatt für das Abschreiben von Büchern eingerichtet hätte, ist unsinnig. Dafür hätten sie den großen und sehr teuren Apparat, der soviel kostete, wie mehrere Landgüter zusammen, nicht herzustellen brauchen. Deshalb ist unter Tinte auch nicht die Schreibtinte, sondern die Druckerschwärze zu verstehen. Es ist eine fast allgemeine Annahme der Gelehrten, daß unter dem "Werk der Bücher", das aus der Geschäftsverbindung Gutenbergs mit Fust hervorging, nichts anderes zu verstehen ist als das unvergleichliche Meisterwerk der Buchdruckerkunst aller Zeiten, die 42zeilige Bibel.

Eine Seite aus der 42zeiligen Bibel.
[296a]      Eine Seite aus der 42zeiligen Bibel,
1455 von Gutenberg in Mainz gedruckt.      [Vergrößern]

Es ist uns nicht bekannt, wie es kam, aber im Jahre 1455 standen die beiden Geschäftsgenossen verfeindet vor dem Mainzer Richter: Fust verlangte Abrechnung nebst Zinsen und Zinseszinsen. Wenn fast alle Forscher annehmen, daß Gutenberg in diesem Prozeß seine gesamte Druckerei, die für die ersten 800 Gulden verpfändet war, an Fust verlor, so ist dieser Meinung nicht unbedingt zuzustimmen. Wir kennen ja den Ausgang des Prozesses nicht. Wenn geltend gemacht wird, daß Peter Schöffer später die Type der 42zeiligen Bibel in seinen Drucken benutzte, so beweist das nicht, daß Gutenberg in dem Prozeß mit Fust seine Druckerei verlor. Denn Schöffer hat die 42zeilige Bibeltype erst lange nach dem Tode Gutenbergs benutzt. Nichtsdestoweniger ist anzunehmen, daß Gutenberg 1455 oder nicht viel später einen finanziellen Zusammenbruch erlitt; denn die größten und zahlreichsten Drucke, die in der Folgezeit noch während seines Lebens erschienen, gingen nicht aus der Werkstatt Gutenbergs, sondern aus der Druckerei Fusts und Schöffers hervor. Daß Gutenberg in den Jahren 1459, 1460 und 1462 mit einer kleineren Type das große Werk des Catholicon und drei kleinere Drucke [293] herstellte, ist zwar bis zum heutigen Tage noch nicht klar genug bewiesen, wird aber als höchst wahrscheinlich betrachtet.

In dem politischen Streit, der zwischen dem von Kaiser und Papst abgesetzten Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg und dem neu eingesetzten Erzbischof Adolf von Nassau entbrannte, stand Gutenberg wahrscheinlich mit seinen Verwandten und mit seinem Freunde Dr. Konrad Humery auf seiten Diethers. Somit dürfen wir auch annehmen, daß Gutenberg nach der Eroberung der Stadt durch Adolf von Nassau im Oktober 1462 von dem harten Spruch des Siegers getroffen, seines Vermögens beraubt und aus der Stadt gejagt wurde. Doch dauerte es nicht lange, bis eine Versöhnung stattfand. Am 17. Januar 1465 nahm der Kurfürst Adolf den alt und arm gewordenen Erfinder unter Befreiung von der Gefolgschaftspflicht zu seinem Hofmanne an und sicherte ihm Kleidung und Nahrung bis zu seinem Lebensende zu. Gutenberg sollte die Hofkleidung wie die Ritter erhalten, und jährlich sollten ihm 20 Malter Korn und zwei Fulder Wein, die er nicht verkaufen und nicht verschenken durfte, also im eigenen Hause verbrauchen mußte, nach Mainz geliefert werden. Gleichzeitig wurde Gutenberg von [294] dem Wachtdienst und allen Steuern und Abgaben befreit, die die Bürger der Stadt Mainz dem Kurfürsten schuldeten. Aus diesen Bestimmungen geht hervor, daß Gutenberg seine letzten Lebensjahre nicht am Hofe des Kurfürsten in Eltville, sondern in seiner Vaterstadt Mainz verbrachte.

Daß Gutenberg auch in der Stadt Mainz seine müden Augen zum letzten Schlafe schloß, dürfen wir daraus entnehmen, daß er bis zu seinem Tode eine Druckerei verwaltete, die Dr. Konrad Humery gehörte. Diese Druckerei aber befand sich in Mainz, wo sie auch weiterhin verbleiben sollte.

Aus der Quittung des Dr. Konrad Humery über den Empfang der Druckgeräte aus dem Nachlasse Gutenbergs ergibt sich, daß der Meister am 25. Februar 1468 nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Unzweifelhaft sicher ist die Begräbnisstätte Gutenbergs festgestellt. Denn dafür haben wir ein Zeugnis eines seiner Verwandten, des Arnold Gelthus, der den Erfinder noch persönlich gekannt haben muß. Dieses Zeugnis besteht in einer literarischen Grabschrift, die bereits 1499 – also kaum 30 Jahre nach dem Tode des Erfinders – in einem zu Mainz erschienen Büchlein veröffentlicht wurde. Und diese Grabschrift sagt, daß Johannes Gensfleisch, der sich durch die Erfindung der Druckkunst um jede Sprache und um jede Nation das höchste Verdienst erworben habe, in der Franziskanerkirche zu Mainz beigesetzt worden sei.

      "Ossa ejus in ecclesia divi Francisci Maguntina feliciter cubant."

So war Gutenberg gestorben, ohne Ruhm oder Erfolg für seine große Arbeit geerntet zu haben. Die Welt beeilte sich, seine große Gabe in Empfang zu nehmen und zu nutzen, ihren Geber aber rasch und gründlich zu vergessen. Er selbst hatte ja nichts getan, um seinen Namen der Nachwelt zu bleibender Erinnerung einzuhämmern. Nur wenige seiner Zeitgenossen verbanden seinen Namen mit der großen Erfindung, die das Antlitz der Erde umzuformen begann. Zu seinen Lebzeiten legte nur einer Zeugnis für ihn ab. Und dieser eine war der französische König Karl VII. In seiner Ordonnanz vom Jahre 1458 verfügte er, daß ein geschickter Stempelschneider nach Mainz reisen solle, um dort festzustellen, wie die Kunst der Büchervervielfältigung, die ein gewisser Chevalier Jehan de Gutenberg erfunden haben sollte, zustande käme. Auch die Mainzer Chronik über die Zeit bis zum Jahre 1462, die von einem Zeitgenossen geschrieben wurde, nennt Johann Gutenberg den Erfinder der Buchdruckerkunst. Denselben Ehrentitel geben ihm die Drucke Peter Schöffers von 1468, 1471, 1473 und 1501. Auch in dem Brief des Pariser Theologen Guillaume Fichet an Professor Robert Gaguin vom 1. Januar 1472 wird Gutenberg als Erfinder gepriesen. Johann Phil. de Lignamine tut dasselbe in seiner Chronik, die im Jahre 1474 erschien. Ähnlich äußern sich Werner Rolevinck im Fasciculus temporum von 1478, Matteo Palmieri in der Chronik des Eusebius von 1483, L. Ph. Bergomensis ebenfalls 1483, Konrad Celtes 1492, Werner von Themar am 29. November 1494, im gleichen Jahre Wimpheling, [295] Johannes Herbst aus Lauterburg und Baptista Fulgosus, Doge zu Genua und viele andere.

Erst später erhoben auch andere Städte für andere Männer den Anspruch auf die Erfinderehre. Die Ansprüche des Pamfilo Castaldi in Feltre und des Johann Mentelin in Straßburg wurden von den zünftigen Forschern entscheidend und endgültig zurückgewiesen. Prokop Waldfogel aus Prag aber hat sich die Erfindung der Kunst, künstlich zu schreiben, niemals selbst zugeschrieben. Johannes Brito in Brügge hat das erste Büchlein, das er typographisch herstellte, wohl erst nach dem Tode Gutenbergs gedruckt, also zu einer Zeit, als schon viele andere Werke im Buchdruck erschienen waren.

Die Erzählung, daß Laurenz Janszoon Coster in Haarlem die beweglich gegossenen Typen erfunden habe, taucht zum ersten Male 1568 in der Batavia des Hardianus Junius auf. Diese Erzählung enthält viele Unwahrscheinlichkeiten und nachweisbare Unrichtigkeiten. Dann aber gibt sie mehrere Dinge an, die zeigen, daß Laurenz Janszoon Coster nicht vor Gutenberg die Druckkunst erfunden haben kann. Denn einmal erklärt die Erzählung, daß Coster auf seine Erfindung dadurch gekommen sei, daß er seinen Enkelkindern Buchstaben aus Holz geschnitzt hätte, um ihnen das Lesenlernen zu erleichtern. Nun wissen wir aber, daß das einzige Kind Costers, Loucije, erst 1446 den Thomas Pieterszoon heiratete, daß also ihre Kinder – es ist übriges nur ein Sohn Franz Thomas Thomaszoon nachweisbar – frühestens etwa 1453 Interesse an den Holzbuchstaben ihres Großvaters zum Lesenlernen hätten haben können. Coster hätte sich also am Anfange der fünfziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts noch mit den primitivsten Anfängen des Schriftschnittes beschäftigt. Ferner sagt der Bericht des Hadrianus Junius, daß die Kunst mit dem gesamten Typenvorrat in Haarlem von einem Mainzer in der Weihnachtsnacht 1440 gestohlen und damit die Druckkunst nach Mainz verpflanzt worden sei. Die Kunde davon soll ein alter, bei Coster beschäftigter Buchbinder, Cornelis, vermittelt haben, der als junger Bursche mit dem Mainzer Dieb im gleichen Bette geschlafen haben will. Nun wissen wir, daß dieser Buchbinder Cornelis im Jahre 1522 als 80jähriger Greis starb. Er muß also etwa um 1442 geboren sein. Folglich war er noch gar nicht auf der Welt, als er mit dem Mainzer Dieb im gleichen Bett geschlafen und den Diebstahl erlebt haben wollte. War er aber schon Buchbinder bei Coster, als der Diebstahl geschah, so kann dies kaum vor etwa 1456 gewesen sein. In diesem Jahre aber hatte Gutenberg in Mainz in der gewaltigen 42zeiligen Bibel bereits das heute noch nicht wieder erreichte Meisterwerk der Buchdruckerkunst vollendet. Damals also konnte ein Mainzer kein Interesse mehr daran haben, die primitivere Druckkunst in Haarlem kennenzulernen oder sie dort zu stehlen.

Somit fällt die Wanderlegende von dem Diebstahl der Buchdruckerkunst durch einen Mainzer, der diese Kunst ja auch in Feltre und in Straßburg gestohlen haben sollte, in sich zusammen.

[296] Daß die Nachkommen Mentelins und die Nachkommen von Fust und Schöffer gern ihre Vorfahren als die Erfinder der Druckkunst bezeichnen, ist wohl ein Ausfluß ihres Familienstolzes und in gewissem Sinne verzeihlich, hat aber für die historische Forschung keinen Wert. Damit bleibt eben Gutenberg der einzige von allen, der mit Recht Anspruch auf die Ehre machen kann, Erfinder der Druckkunst zu heißen.

Man hat ihn lange vergessen; als bei der 300-Jahrfeier der Druckkunst im Jahre 1740 der berühmte Professor Johann Christoph Gottsched in Leipzig vor einem auserwählten Publikum eine Lobrede auf die Erfindung der Buchdruckerkunst hielt, hat er Gutenberg diese Erfindung abgesprochen und ihn lediglich einen Gehilfen der Erfinder Fust und Schöffer genannt. Erst Johann David Köhler hat in seiner "Ehren-Rettung Johann Gutenbergs" 1741 wieder auf Gutenberg als den Erfinder mit Nachdruck hingewiesen und eine ganze Anzahl urkundlicher Belege für seine Erfinderschaft beigebracht. Mit allen Mitteln wissenschaftlicher Kritik hat endlich Karl Schorbach in der Mainzer Festschrift zum Jahre 1900 die Tatsachen, die die historische Persönlichkeit Gutenbergs umreißen und seine Erfinderehre über jeden Zweifel erheben, in meisterhafter Weise belegt. Wenn trotzdem noch nicht alle Gegner schwiegen, so haben sie doch die Welt nicht mehr überzeugen können, daß ein anderer als Gutenberg der Erfinder der Druckkunst sei.

Das Gutenberg-Denkmal von Bertel Thorwaldsen.
Das Gutenberg-Denkmal in Mainz.
1837 vom dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen geschaffen.
[Nach Landeshauptstadt Mainz.]
Das Gutenberg-Denkmal von Bertel Thorwaldsen.
Auch die Stadt Mainz hat sich nur spät daran erinnert, was sie dem Andenken ihres großen Sohnes schuldig war. Erst als die Welt sich rüstete, die 400. Wiederkehr des Erfindungsjahres zu feiern, entstand auf dem von Napoleon geschaffenen Gutenbergplatz in Mainz das herrliche Denkmal, das der große Thorwaldsen schuf; es wurde im August des Jahres 1837 enthüllt. Den 500. Geburtstag Gutenbergs aber feierte die Stadt Mainz im Jahre 1900 unter Anteilnahme von Vertretern aus aller Welt in nie gesehener Pracht. Bei diesem Feste wurde auch das lebendige Erinnerungsmal an den Meister, das Mainzer Gutenberg-Museum, gegründet, das sich in den letzten zehn Jahren außerordentlich entwickelte und auf dem Wege ist, das Weltmuseum der Druckkunst zu werden. Mit der Eröffnung dieses Museums am Johannistage 1901 wurde die Gründung der internationalen Gutenberg-Gesellschaft verbunden, die inzwischen die wichtigsten Arbeiten zur Frühgeschichte der Druckkunst herausgab.

Wer die Gutenbergschen Drucke, insbesondere seine 42zeilige Bibel und den Mainzer Psalter schon einmal in Händen hielt, der wird nicht nur die junge, aber schon vollendete Technik der großen Erfindung an ihnen bewundern, sondern der wird auch erstaunt sein über das ganz außerordentlich starke ästhetische Empfinden des Herstellers. Hier arbeitete ein wirklich großer, gottbegnadeter Künstler, der alle technischen Schwierigkeiten rastlos und hartnäckig zu lösen bestrebt war, bis endlich das Resultat seinen hohen künstlerischen Anforderungen entsprach. Es ist eine bezeichnende Tatsache, daß das erste größere Buch, das Gutenberg mit einzelnen gegossenen Metallbuchstaben herstellte (die 42zeilige Bibel), in seiner [297] Schönheit bisher noch von keinem anderen Druckwerke übertroffen werden konnte. Wie Pallas Athene in göttlicher Vollkommenheit aus dem Haupte des Zeus entsprang, so kam die Buchdruckerkunst in unübertrefflicher Vollkommenheit aus der Hand des Johannes Gensfleisch genannt Gutenberg.

Wenn wir zum Schlusse noch einmal überdenken, welche gewaltige Folgen die Erfindung Gutenbergs für jeden einzelnen und für die gesamte Menschheit nach sich zog, so steigt in uns erneut das Gefühl des Stolzes darüber empor, daß dieser einzige, vor dem alle Großen und Kleinen der Erde sich huldigend verneigen, aus unserem Volke und aus unserem Blute hervorging:

    Der die Kunst ersonnen,
    Der das Werk begann,
    Der den Sieg gewonnen,
    War ein deutscher Mann.




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