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Viertes Kapitel   (Forts.)
Polen als Werkzeug des Englischen Kriegswillens

A. Die Auswirkung
der Britischen Einkreisungspolitik
auf die Haltung Polens

Anm. d. Scriptorium:
Eine noch mehr ins Einzelne gehende Dokumentation der Lage der Volksdeutschen in Polen als die in diesen Kapiteln gegebene finden Sie in dem Buch Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-39.
I. Vernichtungsfeldzug gegen die Deutsche Volksgruppe (Forts.)

Nr. 382
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht

Warschau, den 15. Juni 1939

Ich habe weisungsgemäß gestern Vizeminister Graf Szembek aufgesucht und in schärfster Form Protest gegen die verschiedenen Verunglimpfungen des Führers und Reichskanzlers eingelegt und Bestrafung der Schuldigen gefordert. Ich habe hierbei nicht nur die Anlagen des dortigen Erlasses ver- [359] wertet, sondern habe ferner auch hingewiesen auf die Vorfälle, die in Theatern und Kabaretts vorgekommen sind, auf die bereits wiederholt beanstandete Verbrennung von Strohpuppen, die den Führer darstellen, sowie auf die sonstige Propaganda, die neuerdings nicht einmal vor den Schulen haltmacht. Ich habe weisungsgemäß zum Ausdruck gebracht, daß alle diese Vorgänge nur zu erklären seien aus der Untätigkeit der polnischen Behörden - trotz wiederholter Interventionen der Botschaft und der Konsulate - und aus der unverständlichen Nachsicht, die polnischerseits in dieser Frage bisher beobachtet worden sei.

Graf Szembek erwiderte zunächst in bezug auf die als besonders grobe und gemeine Verunglimpfung des Führers anzusehenden Flugzettel, daß die Polnische Regierung bereits eingeschritten sei und die Konfiskation dieser Flugzettel angeordnet habe. Ich entgegnete, daß die Beschlagnahme in diesem Falle nicht ausreichen könne, weil, wenn einem Straßenhändler Flugzettel abgenommen würden, sie unbemerkt in einer anderen Straße weiter verkauft werden könnten, wie das denn auch schon deutlich aus der Tatsache zu ersehen sei, daß diese Flugzettel nicht nur in Kattowitz und anderen Städten Oberschlesiens, sondern auch in Lodz und in Warschau feilgehalten worden seien. Nur eine energische Verfolgung und Bestrafung könne hier zum Ziele führen, und ich müsse an dieser Forderung festhalten, um so mehr als der Polnischen Regierung ausreichende gesetzliche Handhaben zur Verfügung ständen, um eine Bestrafung herbeizuführen.

Graf Szembek versuchte dann auszuweichen, indem er auf die Haltung der deutschen Presse hinwies. Aus einem offenbar bereitgelegten Stoß verschiedener Presseausschnitte las er mir einen Absatz des Artikels der Deutschen Diplomatisch-Politischen Korrespondenz vom 12. Juni vor, aus dem er besonders beanstandete, daß Dirschau und Graudenz als deutsche Städte bezeichnet worden seien. Er verstieg sich zu der Behauptung, daß in der polnischen Presse derartige annexionistische Gedanken nicht zu finden seien. Ich konnte ihm erwidern, daß nicht nur fast täglich die polnische Presse, sondern daß auch letzthin eine ihm anscheinend unbekannt gebliebene Ministerrede (Kósciałkowski) ganz unverblümt Revisionswünsche zum Ausdruck gebracht hätte. Im übrigen lehnte ich jeden Vergleich der deutschen Presse mit den zügellosen Produkten der polnischen Zeitungen ab und machte außerdem geltend, daß es sich in der von mir vorgebrachten Beschwerde nicht um allgemeine Presseangelegenheiten handele, sondern um Verunglimpfungen und Beleidigungen des deutschen Staatsoberhauptes, denen aus der deutschen Presse überhaupt nichts irgendwie Vergleichbares entgegengestellt werden könnte.

Graf Szembek versuchte auch im weiteren Verlauf der Unterredung noch mehrfach die von mir vorgebrachte Beschwerde als Presseangelegenheit zu behandeln. Ich habe demgegenüber erneut darauf hingewiesen, daß meine heutige Intervention nichts mit allgemeinen Pressebeschwerden zu tun habe, und habe nachdrücklich Untersuchung und Bestrafung der Schuldigen gefordert, indem ich geltend machte, daß in allen von mir vorgebrachten Fällen, u. a. auch bei verschiedenen Karikaturen die Tatbestandsmerkmale der Beleidigung vorhanden seien. Als ich dann schließlich Graf Szembek gegenüber mein Erstaunen zum Ausdruck brachte, bei ihm so wenig Verständnis für diese völlig klarliegenden Fragen zu finden, lenkte er ein und erklärte, die ganze Angelegenheit einer erneuten Prüfung unterziehen zu wollen.

von Moltke



[360]
Nr. 383
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Bericht
Posen, den 16. Juni 1939

Durch Verfügung des Woiwoden vom 15. d. M. ist der Verein "Evangelisches Vereinshaus Herberge zur Heimat" in Posen liquidiert und am gleichen Tage das Eigentum des Vereins, das Evangelische Vereinshaus und das sonstige Vermögen, einem polnischen Liquidator übergeben worden.

Das Aleja Marszalka Pilsudskiego 19 gelegene große Gebäude gegenüber der deutschen Landesgenossenschaft, der Universität und dem Schloß stellt schon durch seine sehr günstige Lage und den guten Zustand des Hauses einen großen Wert dar, der mit dem beschlagnahmten Inventar mehrere hunderttausend Zloty beträgt. Von besonderer Bedeutung ist es aber vor allem als das letzte Haus, das dem Deutschtum in Stadt und Woiwodschaft Posen für seine kulturellen Zwecke zur Verfügung stand. In dem Vereinshaus befindet sich das Evangelische Hospiz mit etwa 30 Zimmern und 50 Betten, das bisher einzige deutsche Hotel in Posen. Der Saalbau des Hauses mit dem etwa 400 Personen fassenden großen Saal und anderen Räumlichkeiten diente den Posener deutschen Organisationen für ihre Veranstaltungen; er war der einzige große Saal, nachdem Anfang d. J. das Deutsche Haus beschlagnahmt worden war. So hatte die Deutsche Bühne nach der Schließung des Deutschen Hauses hier ihre Tätigkeit fortgesetzt. In dem Saale des Vereinshauses fanden größere Versammlungen und festliche Veranstaltungen der Volksgruppe, die Sitzungen der Landessynode und die nationalen Feiern der Reichsdeutschen statt. Die Räumlichkeiten wurden ferner benutzt von dem Männergesangverein, dem Bachverein, dem Evangelischen Verein junger Männer, dem Kirchlichen Jungmädchen-Verein, der Jungschar. In demselben Gebäude war die "Herberge zur Heimat" untergebracht; Wohnräume dienten dem Lehrlingsverein, dem Verein der Freundinnen junger Mädchen für die Unterbringung durchreisender junger Mädchen sowie der Fürsorge für weibliche Angestellte. Der Liquidator hat sämtlichen in dem Hause beschäftigten Angestellten, insbesondere des Hospizes, zum Ende d. M. gekündigt, so daß eine erhebliche Anzahl volksdeutscher Familien und Einzelpersonen brotlos wird. An der Straßenseite befinden sich in dem Gebäude die evangelische Vereinsbuchhandlung, eine Filiale der Volksdeutschen Bank für Handel und Gewerbe und eine Reihe von Läden, denen aufgegeben ist, innerhalb drei Tagen das Haus zu räumen.

Die polnischen Behörden haben mit der Beschlagnahme des Vereinshauses bewußt dem Deutschtum einen empfindlichen Schlag versetzen wollen. Da gleichzeitig das Kasino-Haus in Bromberg, das Haus des Männergesangvereins in Lodz und das Deutsche Haus in Tarnowitz geschlossen worden sind, handelt es sich zweifellos um eine große Aktion gegen die Volksdeutschen.

Walther



[361]
Nr. 384
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Bericht
Posen, den 19. Juni 1939

Über die große Zahl der Mißhandlungen von Reichs- und Volksdeutschen lege ich eine neue Liste von 52 Fällen vor.

In letzter Zeit häufen sich die Meldungen, nach denen Volksdeutsche sowohl auf dem Lande wie auch in Posen mit Anrufen "Wenn es jetzt zum Kriege kommt, werden wir Euch alle aufhängen" bedroht werden.

Walther




Nr. 385
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 19. Juni 1939

Die Lage der deutschen Volksgruppe hat sich im Verlauf der letzten Wochen ganz wesentlich verschlechtert und die Verhetzung hat Ausmaße angenommen, wie ich sie während meiner langjährigen hiesigen Tätigkeit noch nicht habe beobachten können.

Am Dienstag, dem 13., war Senator Hasbach bei dem Ministerpräsidenten, um noch einmal auf diesem Wege den Versuch zu machen, eine Besserung der Zustände herbeizuführen. Unmittelbar darauf erfolgte der bisher schwerste Schlag gegen das Deutschtum mit der Enteignung des Deutschen Hauses in Bromberg, der Schließung und Beschlagnahme des Deutschen Hauses in Lodz, des evangelischen Vereinshauses in Posen und des Deutschen Hauses in Tarnowitz. Über die umfangreichen Schließungen von Organisationen in Wolhynien sind noch Erhebungen im Gange.

Ich werde selbstverständlich auch diese außerordentlich schwerwiegenden behördlichen Maßnahmen im Außenministerium zur Sprache bringen, zweifle allerdings nach den Erfahrungen der letzten Zeit, ob dort Geneigtheit zu einer Änderung in der Einstellung gegenüber der deutschen Volksgruppe zu finden sein wird. Schon bei meiner letzten Unterredung mit Graf Szembek, über die ich am 15. Juni berichtet habe,205 habe ich die bedrohliche Zuspitzung der Gesamtsituation und die ungeheuer schwere Lage der Minderheit mit allem Nachdruck zur Sprache gebracht und meinem Befremden darüber Ausdruck gegeben, daß bei der an sich schon vorhandenen und immer wieder zu Zwischenfällen führenden deutschfeindlichen Stimmung der Bevölkerung nunmehr auch noch die Behörden sich mit rigorosen Verwaltungsmaßnahmen an der Bedrückung der Minderheit beteiligen.

Graf Szembek verwies auf die Beschlagnahme des Polnischen Hauses in Ratibor, worauf ich ihm erwiderte, er wisse doch genau, daß es sich hierbei nur um eine Repressalie gegenüber den Beschlagnahmen der deutschen Heime [362] in Karwin und Oderberg handle und daß wir sofort bereit sein würden, die Beschlagnahme in Ratibor rückgängig zu machen, wenn polnischerseits die Schließung von Karwin und Oderberg wieder aufgehoben würde. Wir befänden uns auf einer abschüssigen Bahn und man könne hinsichtlich der weiteren Entwicklung nur ernste Sorgen haben. Auf meine Frage, ob er es nicht für angezeigt halten würde, der gefährlichen Politik der inneren Behörden Einhalt zu gebieten, antwortete Graf Szembek nur mit einem resignierten Achselzucken. Er verwies zwar mit dem Ausdruck des Bedauerns auf die rapide Verschlechterung der Lage, zeigte aber keinerlei Initiative, um, meiner Anregung entsprechend, einen Abbau der Kampfmaßnahmen herbeizuführen.

Es ist ein bedauerliches Zeichen, wenn selbst Graf Szembek, bei dem wir immer auf verständnisvolle Bereitschaft zur Beseitigung der auftretenden Schwierigkeiten rechnen konnten, jetzt offenbar keine Möglichkeit mehr sieht, der gefährlichen Entwicklung entgegenzuwirken. Ob es sich hierbei darum handelt, daß das Auswärtige Ministerium nicht eingreifen will, oder ob es sich gegenüber den nationalistischen Strömungen der Militärs nicht durchsetzen kann, ist schwer zu entscheiden. Ich habe in früheren Berichten wiederholt darauf hingewiesen, wie schwierig die Situation des Außenministers Beck sich in den letzten Monaten gestaltet hat und wie die militärischen Kreise immer stärkeren Einfluß auf die polnische Außenpolitik gewonnen haben. Ich habe nicht den Eindruck, daß sich an dieser Lage etwas geändert hat.

von Moltke




Nr. 386
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 22. Juni 1939

Anbei beehre ich mich, Abdruck einer weiteren Sammlung von Fällen von Ausschreitungen gegen Angehörige der deutschen Volksgruppe für das ganze polnische Staatsgebiet vorzulegen, die von der Jungdeutschen Partei zusammengestellt und von Herrn Wiesner am 19. d. M. an den Polnischen Ministerpräsidenten abgesandt worden ist.206

Nöldeke




Nr. 387
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 23. Juni 1939

Auf Anordnung des Woiwoden von Pommerellen vom 20. Juni d. J. ist unter Hinweis auf Artikel 26, Punkt 4 des Vereinsgesetzes der "sogenannte" Johanniter-Orden als "rechtlich nicht bestehend" erklärt worden.

In Pommerellen besaß der Johanniter-Orden das im Jahre 1894 erbaute Johanniter-Krankenhaus in Dirschau sowie ein weiteres Krankenhaus in [363] Briesen. Beide Krankenhäuser sind am 21. d. M. von den Liquidatoren übernommen worden. Die deutschen Johanniter-Schwestern des Dirschauer Krankenhauses mußten noch am gleichen Tage die Anstalt verlassen und wurden durch polnisch-katholische Vinzenz-Schwestern ersetzt.

Die polnische Presse des hiesigen Amtsbezirks hat auch diesen erneuten Diebstahl deutschen Eigentums mit Genugtuung begrüßt, ohne sich um eine eingehende Begründung desselben auch nur zu bemühen.

von Küchler




Nr. 388
Der Deutsche Konsul in Lodz an das Auswärtige Amt
Bericht
Lodz, den 24. Juni 1939

Über die Vorfälle in Pabianice vom 22. und 23. d. M. habe ich folgende authentische Darstellung erhalten:

Am späteren Nachmittag des 22. sammelte sich vor der deutschen Turnhalle eine Menschenmenge, in der besonders zahlreiche Anhänger der Regierungspartei O. Z. N. zu sehen waren. Die Menge verlangte Einlaß in die Halle, in der einige Volksdeutsche gerade beim Turnen waren. Als der Einlaß verwehrt wurde, wurden Eingangstür und verschiedene Fensterscheiben zerschlagen, so daß die Menge eindringen konnte. In der Halle selbst wurden einige Gegenstände demoliert; einige kleinere Gebrauchsgegenstände, wie Geschirr usw., gestohlen. Von der Bühne wurden polnische chauvinistische Reden gehalten. Der in der Turnhalle anwesende Volksdeutsche Keil, Sohn des gleichnamigen Buchhändlers in Pabianice, wurde bedroht und mußte über einige Zäune flüchten. Dabei wurde er von der Menge erreicht und verprügelt.

Nach Demolierung der Schule begab sich die Menge zum Bethaus der Brüdergemeinde. Der Betsaal ist besonders stark demoliert worden. Sämtliche deutschen Gesangbücher und sonstige Schriften, darunter auch deutsche Bibeln, wurden von der Menge zerrissen.

In Vertretung
von Trützschler




Nr. 389
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt
Bericht
Kattowitz, den 26. Juni 1939

Die polnischen Behörden gehen in der letzten Zeit offenbar systematisch dazu über, aus den hiesigen Werken auch die letzten noch verbliebenen deutschen Arbeiter und Angestellten zu entfernen. In den größeren Industrieunternehmungen wurden sogenannte National-Komitees gegründet, die sich aus Mitgliedern des polnischen Westverbandes und anderer deutschfeindlicher Verbände zusammensetzen. Sie haben die Aufgabe, die Belegschaftslisten der einzelnen Werke eingehend nach noch beschäftigten Deutschen durchzusehen [364] und diese an die Werksleitungen zwecks sofortiger Entlassung bekanntzugeben. Die National-Komitees, die Hand in Hand mit den polnischen Arbeitsbehörden arbeiten, sollen zur Entlassung vorschlagen alle Belegschaftsangehörigen, die

    1. deutschen Organisationen angehören,
    2. ihre Kinder in die deutsche Schule schicken bzw. geschickt haben,
    3. deutsche Gottesdienste besuchen oder Mitglieder deutscher Volksbüchereien sind,
    4. zwar polnischen Berufsorganisationen beigetreten sind, jedoch nach ihrem sonstigen Verhalten und ihrer Vergangenheit zum deutschen Volkstum zu rechnen sind.
Der Umfang dieser neuen für die Beurteilung der Lage durch die hiesigen Behörden sehr bezeichnenden Kündigungswelle ist im einzelnen noch nicht zu übersehen. Jedenfalls werden wieder Hunderte von deutschen Existenzen davon betroffen werden.

Nöldeke




Nr. 390
Das Auswärtige Amt an den Deutschen Botschafter in Warschau
Telegramm
Berlin, den 26. Juni 1939

In Beantwortung polnischen Vorgehens gegen evangelisches Vereinshaus in Posen, Kasino-Gesellschaft in Bromberg und Männergesangverein in Lodz ist beabsichtigt, Dom Polski in Buschdorf, Kreis Flatow, zu schließen. Durch Schließung dieses Hauses, in dem zahlreiche Kurse, Schulungen usw. stattfinden, würde polnische Volkstumsarbeit empfindlich getroffen werden. Nach Ansicht Innenministeriums sind überdies Ausschreitungen empörter deutscher Grenzbevölkerung zu erwarten, falls nicht Schließung alsbald erfolgt.

Erbitte umgehende drahtliche Stellungnahme zur Frage Repressalien im allgemeinen und beabsichtigter Maßnahmen gegen Dom Polski in Buschdorf im besonderen.

Woermann




Nr. 391
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Telegramm
Warschau, den 27. Juni 1939

Es ist keinesfalls zu erwarten, daß sich die Polen durch deutsche Gegenmaßnahmen von weiteren eventuell für notwendig erachteten Aktionen zurückhalten lassen. Sie werden im Gegenteil - wie der Fall Ratibor gezeigt hat207 - unsere Repressalien als willkommenen Anlaß und als Rechtfertigung gegenüber dem Ausland benutzen, um noch weitere Maßnahmen gegen die deutsche Minderheit zu ergreifen.

Einen praktischen Nutzen haben bei der gegenwärtigen Situation Repressalien deshalb überhaupt nicht mehr; sie beeinträchtigen nur das jetzt klare Bild des einseitigen Vernichtungskampfes der Polen gegen die deutsche Volksgruppe.

[365] Was speziell Fall Buschdorf anbetrifft, so ist zu befürchten, daß Schließung dortigen Dom Polski gleiche ungünstige Wirkung wie Aktion gegen Polnisches Heim in Ratibor haben würde. Bei allem Verständnis für Erregung Grenzbevölkerung möchte ich daher glauben, daß Interessen der schwer ringenden deutschen Volksgruppe in Polen doch vorgehen sollten.

Moltke




Nr. 392
Die Deutsche Botschaft in Warschau
an das Polnische Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten

Verbalnote
Warschau, den 27. Juni 1939

Die Deutsche Botschaft beehrt sich, im Auftrage ihrer Regierung die Aufmerksamkeit des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten auf folgenden Vorfall zu lenken:

Nach einem Bericht der Gazeta Pomorska Nr. 116 vom 20./21. Mai d. J. hat der Generalstabsoberst Switalski anläßlich der Begrüßung der zur Kirchenvisitation nach Graudenz gekommenen Bischöfe Dr. Okoniewski und Dominik im Namen der polnischen Armee eine Begrüßungsansprache gehalten und in dieser u. a. von dem Deutschen Reich als dem "uns ewig bekämpfenden Nachbarn" und "Feind" gesprochen. Er hat ferner im Hinblick auf die im Reich am 17. Mai durchgeführte Volkszählung festgestellt, daß "die Verfolgung unserer Brüder durch den stärksten Stoß gekrönt werden soll", und seine Rede wie folgt geschlossen: "Beten Sie mit uns gerade heute am Tage der Volkszählung darum, daß unsere Brüder aushalten mögen, daß ihre Probezeit verkürzt wird, und um eine große Tat, um ein zweites Grunwald,208 das sie aus der Unfreiheit erlöst und uns einen entsprechenden Frieden sichert."

Die Deutsche Botschaft beehrt sich, im Auftrage ihrer Regierung wegen dieser deutschfeindlichen Rede, die ein Vertreter der polnischen Armee bei einem offiziellen Anlaß gehalten hat und in der unter anderem offen Anspruch auf deutsches Gebiet erhoben wird, Verwahrung einzulegen.




Nr. 393
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 3. Juli 1939

Am Freitag, dem 30. v. M., fand in Gdingen die Jahreshauptversammlung der polnischen Pommereller Landwirtschaftsgesellschaft in Gegenwart des Landwirtschaftsministers Poniatowski, des Pommereller Woiwoden, Ministers Raczkiewicz und zahlreicher anderer führender Persönlichkeiten statt. Minister Poniatowski, der auf dieser Kundgebung das Wort ergriff, erklärte, daß in nächster Zeit die Parzellierungsaktion in Pommerellen verstärkt durchgeführt [366] werden würde. Im Anschluß an die Rede Poniatowskis wurde eine Entschließung gefaßt, in der u.a. schnellste Parzellierung der deutschen Güter in Pommerellen, Ausweisung der deutschen Optanten aus Polen und Erlaß eines Gesetzes über die Entziehung der polnischen Staatsbürgerschaft und die Konfiszierung des Vermögens von polnischen Staatsangehörigen, die ins Reich geflüchtet sind, gefordert wurden.

von Küchler




Nr. 394
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 5. Juli 1939

Wie ich bereits wiederholt berichtet habe, hat die Bedrückung der deutschen Volksgruppe auf kirchlichem Gebiet eine weitere Verschärfung erfahren. Da das deutsche Element in seiner überwiegenden Mehrheit dem evangelischen Glauben angehört, hat es sich die polnische Politik zum Ziel gesetzt, die Organisation der deutsch-evangelischen Kirche nach Möglichkeit lahm zu legen. Bezeichnend sind in diesem Zusammenhang die Vorgänge, die dazu geführt haben, daß der hochverdiente und wegen seines unerschütterlichen Glaubens allgemein geachtete Pfarrer Kleindienst aus Wolhynien seines Amtes enthoben und schließlich aus seiner Heimat, in der seine Familie mehr als zwei Jahrhunderte lebte, ausgewiesen wurde. Die von der Botschaft unternommenen Versuche, eine Zurückziehung dieser Maßnahme herbeizuführen, die naturgemäß bei den Deutschen in Wolhynien und darüber hinaus auch bei der deutschen Volksgruppe in Westpolen sehr viel böses Blut gemacht hat, sind leider ergebnislos geblieben.

Wie sehr sich auch sonst in letzter Zeit die Gewalttätigkeiten gegen die evangelische Kirche und ihre Träger gehäuft haben, ergeben die in der beiliegenden Aufzeichnung aufgeführten 17 Fälle, deren Tatbestand durch Zeugenaussagen erhärtet worden ist.

von Moltke


Aufzeichnung

1. Am 2. März wurde das große Fenster der Christuskirche in Posen, ferner die Fenster im Arbeitszimmer des dortigen Superintendenten zertrümmert.

2. Am 12. März wurde Pfarrer Diestelkamp in Wisseck von 15 bis 20 jungen Burschen überfallen, vom Motorrad gestoßen und schwer mißhandelt. Die anwesende Polizei blieb untätig.

3. Im März wurden im Pfarrhaus in Schokken 22 Fensterscheiben zertrümmert.

4. Am 29. März demonstrierte eine Menschenmenge vor dem Pfarrhaus in Kruschwitz und zertrümmerte 21 Fensterscheiben.

5. Am 31. März wurde Superintendent Aßmann aus Bromberg und Kirchenältester Quade aus Labischin mit Steinen beworfen.

6. Am 15. April wurde Vikar Ortlieb in Neubarkoschin auf der Straße schwer mißhandelt und mit Stiefelabsätzen ins Gesicht geschlagen.

[367] 7. In der Nacht vom 18. zum 19. April wurden im Pfarrhaus und Betsaal in Lonkors 63 Fensterscheiben zertrümmert.

8. Am 19. April wurde Pfarrer Schenk in Hallkirch durch Steinwürfe verletzt.

9. Am 28. April wurden auf dem Friedhof in Neulaube bei Lissa Grabmäler zerstört.

10. Am gleichen Tage wurde das Pfarrhaus in Zirke überfallen.

11. Am 2. Mai wurde der Kindergottesdiensthelfer Lenz zwischen Schubin und Kl. Salzdorf vom Rade gestoßen und schwer mißhandelt. Rad und Büchertasche wurden gestohlen.

12. In der Nacht vom 3. zum 4. Mai wurde die Kirche in Briesen von unbekannten Tätern besudelt.

13. Am 7. Mai wurde der Gottesdienst in Rakot durch eine Menschenmenge verhindert, die in die Kirche eindrang; dieselbe Kirche wurde am Himmelfahrtstage von polnischen Tätern vernagelt.

14. Am 24. Mai wurde das Altarfenster der Kirche in Rheinsberg zertrümmert.

15. Am 24. Mai wurde Pfarrer Schenk in Hallkirch auf einer Fahrt über Land erneut mit Steinen beworfen.

16. Am 2. Juni wurden im Pfarrhaus in Staykowo 16 Fensterscheiben zertrümmert.

17. Am 5. und 6. Juni wurde das Pfarrhaus in Hohensalza überfallen. Superintendent Diestelkamp wurde durch Steinwürfe am Kopf verletzt.




Nr. 395
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Bericht
Posen, den 10. Juli 1939

Der Vorstoß der polnischen Behörden gegen das deutsche Genossenschaftswesen hat sich weiterhin verschärft. Die Maßnahmen richten sich vor allen Dingen gegen die deutschen Molkereigenossenschaften. So wurden im Laufe der letzten Zeit drei große Molkereigenossenschaften durch polizeiliche Verfügung geschlossen, darunter am 6. d. M. auch die große, neuzeitlich eingerichtete Posener Molkerei. Die Schließung wurde damit begründet, daß die Untersuchung hygienische Mängel der Molkereieinrichtung ergeben hätte. Diese Begründung wirkt um so erstaunlicher, als allgemein bekannt ist, daß es sich bei der Posener Molkerei um einen sehr gut instand gehaltenen und sachgemäß eingerichteten Betrieb handelt.

Gleichfalls wurde die Molkerei in Wollstein geschlossen, nachdem der Versuch der Polen, durch Aufnahme polnischer Genossen die Mehrheit zu erzwingen, erfolglos geblieben war.

Diese Maßnahmen liegen im Zuge der polnischen Bestrebungen, durch schikanöse und vielfach durch falsche Auslegung der Gesetze die volksdeutschen Unternehmungen und Organisationen zu vernichten. Auf diese Weise sind in den letzten Jahren etwa 60 Molkereigenossenschaften dem Deutschtum verlorengegangen.

Walther



[368]
Nr. 396
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt
Bericht
Thorn, den 10. Juli 1939

Der seitens der polnischen Behörden gegen die hiesige deutsche Volksgruppe geführte Vernichtungskampf hat ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreicht. Er richtet sich in gleicher Weise gegen die wirtschaftliche Existenz einzelner wie gegen das Bestehen der Volkstumsorganisationen. Bezeichnend ist, daß die polnischen Behörden jetzt nicht einmal mehr den Versuch unternehmen, ihrem Vorgehen gegen die Volksdeutschen irgendeine Rechtsunterlage zu geben. Eine Aufstellung über weitere 65 Fälle füge ich bei.

Die übersandten Listen können allerdings keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit machen, weil dem Generalkonsulat meist nur ein Bruchteil der tatsächlich erfolgten Übergriffe zur Kenntnis gelangt. Denn die meisten der durch Überfälle und sonstige Maßnahmen geschädigten Deutschen haben Furcht davor, die Deutschtumsorganisationen oder das Generalkonsulat zu verständigen.

In Vertretung
Graf




Nr. 397
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt
Bericht
Warschau, den 11. Juli 1939

Wegen der Ermordung des Reichsangehörigen Alois Sornik habe ich weisungsgemäß sehr ernste Vorstellungen bei dem Stellvertreter des Außenministers, Graf Szembek, erhoben. Graf Szembek, der sich über die Einzelheiten des Falles genau orientiert zeigte, wies darauf hin, daß es sich hier nicht um eine politische Angelegenheit handele, sondern daß nach den Nachrichten, die das Außenministerium bisher erhalten hätte, der Mord aus Eifersucht begangen worden sei. Ich brachte demgegenüber zum Ausdruck, daß, selbst wenn persönliche Gründe bei der Tat mitgespielt hätten, die Schwere des Verbrechens doch zweifellos in erster Linie auf die maßlose und systematische deutschfeindliche Hetze, die von der Polnischen Regierung geduldet werde, zurückzuführen sei. Graf Szembek gab schließlich zu, daß die augenblicklich in Polen herrschende deutschfeindliche Stimmung sicher nicht ohne Einfluß auf den Täter geblieben sei.

Ich verwies in diesem Zusammenhang auch auf die in letzter Zeit nahezu unerträglich gewordene Verfolgung des Deutschtums im oberschlesischen Verwaltungsbereich des Woiwoden Grażyński, den man wohl mit Recht als den Totengräber der deutsch-polnischen Verständigung bezeichnen könne. Ich bemerkte des weiteren, ich hätte nachgerade den Eindruck gewonnen, daß es zwecklos sei, Minderheitenfragen überhaupt noch zur Sprache zu bringen, nachdem die von mir in meiner letzten Unterredung mit ihm209 zum Ausdruck gebrachte Verständigungsbereitschaft polnischerseits durch die am nächsten Tage durchgeführte Schließung der deutschen Häuser in Posen,210 Lodz, Bromberg und Tarnowitz in leider nicht mißzuverstehender Weise beantwortet worden sei.

[369] Wie bei meiner Unterredung vom 14. Juni211 nahm Graf Szembek meine Bemerkung resigniert und stillschweigend zur Kenntnis. Auch diese Unterhaltung bestätigt von neuem, daß in der gegenwärtigen Lage keinerlei Aussichten mehr vorhanden sind, die Minderheitenfragen zum Gegenstand von Erörterungen mit der Polnischen Regierung zu machen. Es ist immer schwierig gewesen, Minderheitenfragen im Außenministerium zur Sprache zu bringen. Wie die täglich zunehmende Zahl der Gewaltakte gegen die Volksdeutschen zeigt, fühlt sich aber offensichtlich die Polnische Regierung jetzt durch die englische Blankovollmacht so stark, daß sie es nicht mehr für nötig hält, bei der Behandlung der Minderheit irgendeine Rücksicht auf die deutschen Interessen zu nehmen, obwohl sie sich doch wohl darüber klar sein muß, daß die deutsch-polnischen Beziehungen hierdurch nachgerade in fast unerträglicher Weise belastet werden.

von Moltke




Nr. 398
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt
Bericht
Posen, den 12. Juli 1939

Mit dem Ende dieses Schuljahres sind folgende deutsche Volksschulen geschlossen worden:

1. Karmin, Kreis Jarotschin, 53 Schüler,
2. Strzalkowo, Kreis Wreschen, 45 Schüler,
3. Zatom Novvy (Neuzattum), Kreis Birnbaum, 22 Schüler,
4. Mechnacz, Kreis Birnbaum, 19 Schüler,
5. Strzyzewo-Smykowe (Striesen), Kreis Gnesen, 32 Schüler,
6. Zdziechowa (Zechau), Kreis Gnesen, 43 Schüler,
7. Grebocin (Gramtschen), Kreis Thorn, 46 Kinder,
8. Czempin, Kreis Kosten, 22 Kinder,
9. Daleszynek, Kreis Birnbaum, 19 Schüler,
10. Gnesen, 209 Schüler,
11. Wollstein, 81 Schüler,
12. Miedzychod (Birnbaum), 102 Schüler,
13. Gniew (Mewe), Kreis Dirschau, 48 Kinder.212

Walther




205Vgl. Nr. 382. ...zurück...

206Es handelt sich um mehrere hundert Fälle von Entlassungen, Sachbeschädigungen, Bestrafungen, Überfällen und Mißhandlungen. ...zurück...

207Vgl. Nr. 385. ...zurück...

208Grunwald ist die polnische Bezeichnung für die Schlacht von Tannenberg 1410. ...zurück...

209Vgl. Nr. 385. ...zurück...

210Vgl. Nr. 383. ...zurück...

211Vgl. Nr. 385. ...zurück...

212Seit 1924 sind von den damals noch vorhandenen 557 deutschen Schulen 425 Schulen durch die polnischen Behörden geschlossen worden. Vgl. auch Nr. 12 und Anm. [9]. ...zurück...


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