Viertes Kapitel (Forts.)
Polen als Werkzeug des Englischen Kriegswillens
A. Die Auswirkung
Nr. 366 Lodz, den 8. Mai 1939
Der Terror der verhetzten polnischen Bevölkerung gegen die Deutschen in der Woiwodschaft Lodz, der sich durch zahlreiche Schlägereien mit oft schweren Körperverletzungen, Drohungen, Beleidigungen, Boykott, Eigentumsbeschädigungen, Verhaftungen und Schikanen aller Art - nicht zuletzt durch Brandstiftungen - äußert, hält unvermindert an. Unverkennbar besteht bei der polnischen Bevölkerung die Absicht, das Deutschtum in seiner Existenz zu vernichten, soweit es sich nicht völlig polonisieren lassen will. In unverantwortlicher Weise werden durch die Lehrerschaft in den Schulen polnische Kinder gegen die deutschen aufgehetzt bzw. den deutschen Kindern kein Schutz gewährt. Auf dem Wege zur Schule werden deutsche Kinder in beinahe allen Orten angegriffen, angepöbelt und nicht selten von anderen Kindern geschlagen oder mit Steinen beworfen. Bereits 5jährige Kinder singen Schmählieder auf die Deutschen, wobei in den Liedertexten nicht selten Verwünschungen des Führers vorkommen. In vielen Orten müssen die Eltern daher ihre Kinder bis zur Schule begleiten, um sie vor Angriffen zu schützen. Auf dem Lande wurden Häuser deutscher Bauern angezündet. So brannten erst kürzlich in der Nacht vom 26. bis 27. April gleichzeitig die Anwesen der deutschen Landwirte Rudolf Albrecht und Julius Hein in Rokitnica, Kreis Lask, nieder. Zweifellos lag Brandstiftung vor. Während des Brandes erklärten die polnischen Nachbarn: "Die Hitlerleute sollen verbrennen, am besten wirft man sie ins Feuer." Es konnte nur das Vieh gerettet werden. Allerorts wurde bei den Polen die Parole ausgegeben, von Deutschen weder Grundstücke noch Vieh mehr zu kaufen, da sie demnächst doch fliehen und ihre Habe zurücklassen müßten. Das Deutschtum ist hier in höchstem Grade beunruhigt und rechnet mit der Möglichkeit weiterer und größerer Ausschreitungen, wenn die von der Regierung geduldete Aufhetzung des urteilslosen Pöbels durch chauvinistische polnische Organisationen und durch die Presse ungehindert fortgesetzt wird.
von Berchem
[348]
Nr. 367
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 8. Mai 1939
Seit etwa einer Woche ist in mehreren Schaufenstern der verkehrsreichsten Straßen eine Landkarte ausgestellt, in welcher mit Fähnchen Gebiete des Deutschen Reiches markiert sind. Das eingezeichnete Gebiet umfaßt ganz Ostpreußen sowie die Städte Beuthen, Oppeln, Gleiwitz, Breslau, Stettin und Kolberg. Daneben ist ein Plakat angebracht, das folgende Beschriftung in polnischer Sprache trägt: "Den Krieg suchen wir nicht! Sollte uns jedoch der Krieg aufgezwungen werden, werden wir die uralten polnischen Gebiete, die von Polen bewohnt werden, zurückholen." Diese Karte findet außerordentlich großes Interesse. Dauernd sind Menschenansammlungen davor zu beobachten, die die sich daraus für Polen ergebenden neuen Perspektiven besprechen.
von Moltke
Nr. 368
Das Auswärtige Amt an den Deutschen Botschafter in London Erlaß Berlin, den 11. Mai 1939
Seit geraumer Zeit nehmen die Drangsalierungen des Deutschtums in Polen, besonders in den ehemals preußischen Provinzen, auf allen Lebensgebieten infolge einer verschärften Hetze, die von den deutschfeindlichen Organisationen systematisch betrieben wird, trotz fortgesetzter ernster Vorstellungen der Deutschen Regierung ständig zu. Aus dem Verhalten der polnischen Regierungsstellen muß gefolgert werden, daß sie weder ernstlich gewillt noch in der Lage zu sein scheinen, dieser Entwicklung Einhalt zu bieten. Da die volksdeutschen Blätter in Polen durch rigorose Zensurmaßnahmen daran gehindert werden, über solche antideutschen Ausschreitungen erschöpfend zu berichten, sind neben den DNB-Meldungen die Berichte der deutschen konsularischen Vertretungen in Polen zur Zeit die einzigen zuverlässigen Informationsquellen für die Beurteilung der tatsächlichen Lage des dortigen Deutschtums. Anliegend werden in Abschrift eine Anzahl solcher Berichte über deutschfeindliche Vorfälle und Maßnahmen, die in Zukunft laufend übermittelt werden, zur Kenntnis und mit der Bitte ergebenst übersandt, dieses Material in geeignet erscheinender Weise der dortigen Regierung gegenüber zu verwerten.197
Im Auftrag
Woermann
[349]
Nr. 369
Eingabe der Vertreter der Deutschen Volksgruppe an den Polnischen Staatspräsidenten den 12. Mai 1939
Im Namen der deutschen Volksgruppe in Polen unterbreiten wir Ihnen, Herr Präsident, dem Inhaber der einheitlichen und unteilbaren Staatsgewalt, die Bitte, den der deutschen Volksgruppe in der Verfassung und den Gesetzen verbürgten Rechten Achtung und Geltung zu verschaffen. Wir sind zu diesem Schritt gezwungen, weil die fast unzähligen schriftlichen und mündlichen, mit schlüssigen Beweisen belegten Vorstellungen bei der Regierung erfolglos geblieben sind, und in der Erinnerung an die Worte, die Sie, hochzuverehrender Herr Präsident, am 5. November 1937 aus Anlaß der Vereinbarung zwischen der Polnischen und der Deutschen Regierung über die Behandlung der beiderseitigen Volksgruppen an die Unterzeichneten richteten.198 Sie betonten damals als wichtigste Voraussetzung für das harmonische Zusammenleben zwischen Polen und Deutschen die Achtung vor dem Volkstums des andern. Die Lage der Deutschen Volksgruppe war immer schwer. Die aus dem weltpolitischen Geschehen entstandenen Spannungen entladen sich seit Wochen in unverhülltem leidenschaftlichem Haß und überaus zahlreichen Gewalttätigkeiten gegen die deutsche Volksgruppe und ihre einzelnen Angehörigen. Wir haben von der Regierung die mündliche Versicherung erhalten, daß sie deutschfeindliche Ausschreitungen mißbillige und Anweisungen erteilt habe, Aufreizungen und Ausschreitungen zu verhindern. Wirksamen Schutz hat die deutsche Volksgruppe nicht gefunden. Sie ist bis zur Vernichtung gefährdet. Die Zahl der arbeitslosen Deutschen ist erschreckend hoch. Sie nimmt besonders in den Industriegebieten ständig zu. Die Organe des Arbeitsrechts versagen Deutschen den Schutz. Deutschen ist die Einreihung in den Arbeitsprozeß so gut wie verschlossen. Für die Agrarreform wird der deutsche Grundbesitz in unverhältnismäßig höherem Maße herangezogen als der polnische, während die Zuweisung von Siedlungsflächen an Deutsche eine geradezu auffallende Ausnahme ist. Selbst im unmittelbaren Erbgange kann der Deutsche Grund und Boden nicht ohne weiteres verlangen. Die Pflege der kulturellen, geistigen, wirtschaftlichen und persönlichen Beziehungen und der Verkehr mit unserem Muttervolke wird behindert. Das Bekenntnis zur nationalsozialistischen Weltanschauung wird als staatsfeindlich verdächtigt. Katholischen Deutschen wird die Ausübung der religiösen Pflichten in ihrer Muttersprache durch deutschfeindliche Elemente vielfach erschwert und sogar unmöglich gemacht, ohne daß sie den Schutz der Sicherheitsbehörden finden. Auf dem Gebiete der evangelischen Kirchen, namentlich der evangelisch-unierten in Oberschlesien und der evangelisch-augsburgischen, wurden die Deutschen entrechtet, obwohl sie die bei weitem überwiegende Mehrheit des evangelischen Kirchenvolkes darstellen. An den öffentlichen deutschen Schulen werden polnische Lehrkräfte in einem Ausmaße beschäftigt, daß diese Schulen den Charakter als deutsche verloren haben. Für den deutschen Lehrernachwuchs besteht keine deutsche [350] Anstalt. Das deutsche Privatschulwesen stößt auf die mannigfachsten Erschwernisse. Die Schließung deutscher Privatschulen, besonders in Wolhynien, nimmt der deutschen Volksgruppe die wichtigsten Bildungsstätten. Der schlesische Sejm hat über die Staatsgesetze hinausgehende Sonderbestimmungen erlassen, auf Grund deren die Genehmigung zur Errichtung einer neuen deutschen Privatschule versagt und der Besuch deutscher Privatschulen verhindert wird. In der Woiwodschaft Schlesien werden Sprachprüfungen durchgeführt, denen eine Rechtsgrundlage fehlt. Deutsche Eltern, die sich weigern, ihre Kinder der polnischen Schule zuzuführen, erleiden harte Geldstrafen und Freiheitsstrafen. Die Frage der Lehrbücher für die deutschen Privatschulen ist trotz jahrelanger Bemühungen offen. Die Erteilung der Unterrichtserlaubnis für Lehrkräfte wird vielfach versagt. Die Schulaufsicht wird ausschließlich durch Polen ausgeübt. Die Schulaufsichtsbehörden zeigen für die Eigenart der deutschen Schule kein Verständnis und tragen ihr keine Rechnung. Eine Zusammenfassung unserer deutschen Jugend in einen geschlossenen Verband zu erzieherischer und kultureller Betätigung ist bis heute an dem Widerstand der Behörde gescheitert. Unsere deutschen Kinder sind gerade in dem Alter, wo sie für die Erziehung am zugänglichsten sind, sich vollständig selbst überlassen. Über diese Punkte, die in gedrängtester Kürze zusammengefaßt sind, liegen der Regierung seit Jahren eingehend begründete Denkschriften und Anträge vor. Sie ist über die Anliegen der deutschen Volksgruppe im einzelnen genau unterrichtet. Seit der Verkündung der Verfassung vom 17. März 1921 haben die Vertreter der deutschen Volksgruppe bei der Regierung und in den gesetzgebenden Körperschaften vergeblich den Erlaß von Ausführungsgesetzen zu Art. 109199 angestrebt. Der vorbildliche Gedanke des Art. 109 ist rein deklaratorisch geblieben. Die gegenwärtigen Verhältnisse sind auf das Fehlen einer klaren Rechtsordnung für die Volksgruppe zurückzuführen. Die deutsche Volksgruppe ist auf das tiefste davon durchdrungen, daß ihre Behandlung der Verfassung und in sehr vielen Fällen den Absichten des Gesetzgebers widerspricht. Aus der Verantwortung, die wir der Republik Polen ebenso wie unserer Volksgruppe schulden, halten wir uns für berechtigt und verpflichtet, Sie, hochzuverehrender Herr Präsident, unmittelbar zu unterrichten und um die Sicherung der durch die Verfassung verbürgten Rechte der deutschen Volksgruppe und die Sicherung der unterschiedslosen, lediglich durch das Recht bestimmten Anwendung der Gesetze zu bitten.
In ehrerbietiger Hochachtung
Namens der deutschen Volksgruppe: Senator Erwin Hasbach Dipl.-Ing. Rudolf Wiesner
[351]
Nr. 370
Der Deutsche Konsul in Lodz an das Auswärtige Amt Bericht Lodz, den 15. Mai 1939
Sehr schwere Ausschreitungen, die man als Deutschenpogrom bezeichnen kann, ereigneten sich am vergangenen Samstag, dem 13., und Sonntag, dem 14. Mai, in der Stadt Tomaschow-Mazowiecki (etwa 42.000 Einwohner, davon etwa 3.000 Deutsche), bei denen zahlreiche deutsche Existenzen vollständig vernichtet wurden. Dem Deutschen Schmiegel wurde der Schädel gespalten und eine Frau, deren Namen ich bisher nicht erfahren konnte, wurde bei ihrer Flucht auf einem Felde totgeschlagen. Der Sohn des Schmiegel, der aus einem Fenster des 2. Stockwerks eines Hauses geworfen wurde, liegt schwerverletzt darnieder. Die Ausschreitungen begannen am Sonnabend, dem 13. Mai. Einige Tage vorher hatte der der Regierungspartei nahestehende "Verband der Polnischen Berufsverbände" in groß plakatierten Aufrufen eine "Demonstration gegen die Deutschen" für Sonnabend, den 13. Mai, angekündigt. Diese begann durch Ansprachen vom Balkon eines Gebäudes aus, in dem der genannte Verband, die Regierungspartei OZON und dessen Jugendorganisation "Mloda Polska" ("Das junge Polen") ihre Geschäftsräume hatten. In den Reden vor einer großen Menschenmenge wurde in übelster Weise gegen Deutschland gehetzt und behauptet, die Polen würden im Reich sehr schlecht behandelt, man bräche ihnen Füße und Hände, vernichte ihre Schulen und Kirchen und dergleichen mehr. Als der Pöbel genügend aufgewiegelt war, übergaben die Leiter der Demonstration Formulare an verschiedene zweifelhafte Elemente, die in Begleitung der Volksmenge von den Fabrikleitungen die sofortige Entlassung aller Deutschen und die Unterzeichnung der diese Erklärung enthaltenden Formulare fordern sollten. Das geschah dann auch. Unter dem Druck der Straße mußten sich die Firmen dazu bereit erklären und man trieb daraufhin die deutschen Arbeiter aus den Fabriken. Nachdem dies erreicht war, fing die Menge an, alle deutschen Geschäfte und Privatwohnungen systematisch vollständig zu demolieren. In einer wilden Raserei vernichteten sie ziemlich alles deutsche Privateigentum. Die Deutschen wurden wie Freiwild gejagt, sie flüchteten sich auf das Land hinaus und kehrten erst bei Tagesanbruch wieder zurück. Viele wurden durch Messerstiche und Stockhiebe erheblich verletzt. Während des Sonntags war dann zunächst Ruhe. Am Abend begannen die Ausschreitungen aber von neuem und die Menge vernichtete alles deutsche Privateigentum, das vom vorherigen Tage noch heil geblieben war. Besonders hervorzuheben ist, daß die Polizei mit den Demonstranten mitmarschiert war und nichts tat, um das Leben und Eigentum der Deutschen zu schützen. Man kann ohne Übertreibung sagen, daß die Ausschreitungen unter Duldung der Regierung erfolgt sind, wenn nicht sogar auf ihre Veranlassung hin. Jetzt, nach den abgeschlossenen Terrorakten, patrouillieren, um den Schein zu wahren, Polizeikommandos mit aufgepflanztem Seitengewehr in den Straßen der Stadt. In Lodz wurden am Sonnabendabend die Fensterscheiben der Ruppertschen Buchhandlung in der Petrikauerstraße, die deutsche Bücher und Zeitschriften verkauft, eingeschlagen, ferner die Fenster des Lokals des (völlig unpolitischen) Berufsverbandes Deutscher Angestellter. Weiterhin erfolgten am gestrigen [352] Sonntag Ausschreitungen im Kinotheater "Stylowy" während des deutschen Films "Land der Liebe", wobei Terroristen das Publikum zum Verlassen der Vorstellung zwangen und vor dem Theater mit Latten, in denen Nägel steckten, auf die flüchtenden Menschen eingeschlagen haben. Da zunächst kein Grund zur Annahme besteht, daß die Terrorakte eingestellt werden, wird die Lage von den hiesigen Deutschen als sehr ernst angesehen. In zunehmendem Maße entschließen sich diese zur Abwanderung und zum Verkauf ihres Grundeigentums, da sie ihre Existenz in Polen als gefährdet ansehen. Man fürchtet die Polen, die, wenn alle Hemmungen bei ihnen beseitigt sind, vor keinem Roheitsakt zurückschrecken und von der hiesigen deutschen Bevölkerung viel schlimmer eingeschätzt werden als die schlimmsten Terroristen der früheren russischen Zeit.
von Berchem
Nr. 371
Der Deutsche Konsul in Lodz an das Auswärtige Amt Bericht Lodz, den 18. Mai 1939
Eine große Anzahl von Deutschen aus Tomaschow haben auf dem Konsulat Angaben über die Ausschreitungen vom 13. und 14. d. M. und über den ihnen zugefügten Schaden gemacht und gebeten, ihnen die Abwanderung nach Deutschland zu ermöglichen. Die Gesamtzahl der Geschädigten geht in die Tausende, da ja alle Deutschen mit nur ganz wenigen Ausnahmen Opfer des Pogroms geworden sind. Auch aus den bei Tomaschow gelegenen Dörfern, wo deutsche Bauern wohnen, werden sehr große Sachschäden gemeldet. Im Krankenhaus in Tomaschow befinden sich etwa 10 schwerverletzte Deutsche.
von Berchem
Nr. 372
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt Bericht Kattowitz, den 19. Mai 1939
Ich beehre mich, eine erneute Sammlung200 von mehr als 100 Fällen über Ausschreitungen gegen Angehörige der deutschen Volksgruppe vorzulegen. Bei den Zwischenfällen handelt es sich in der Hauptsache um Verhaftungen, Bestrafungen, Hausdurchsuchungen, Bedrohungen, Freiheitsberaubungen, Überfälle, ferner um die Beschlagnahme von deutschen Zeitungen, um deutschfeindliche Aufrufe sowie in größerem Umfange um weitere Entlassungen von Minderheitsangehörigen, die in den Industriebetrieben beschäftigt waren.
Nöldeke
[353]
Nr. 373
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt Bericht Posen, den 22. Mai 1939
Durch Verfügung des Schulkuratoriums sind die privaten Volksschulen in Gnesen, Birnbaum und Wollstein geschlossen worden.
Es handelt sich um die
Walther
Nr. 374
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 22. Mai 1939
Die Spannung der letzten Wochen ist auch auf das Deutschtum in Wolhynien nicht ohne Rückwirkungen geblieben. Die Wolhynien-Deutschen sind zwar insofern günstiger als die Volksdeutschen der Westgebiete gestellt, als sie nicht unter den im Westen üblichen Boykottaktionen und Ausschreitungen der Nationalpolen, die in Wolhynien nur eine kleine Minderheit darstellen, zu leiden haben. Von polnischer Seite werden dort ferner die Ukrainer, die nach wie vor dem polnischen Staate in unversöhnlicher Feindschaft gegenüberstehen, auch heute noch als Hauptgegner angesehen, was in zahllosen Verhaftungen und Drangsalierungen der ukrainischen Bevölkerung zum Ausdruck kommt. Immerhin hat sich aber die Haltung der Behörden auch gegenüber den Wolhynien-Deutschen ständig verschärft. Immer offener tritt die antideutsche Einstellung der Schulbehörden zu Tage. Die Schließung der deutschen Schulen geht z. Z. in einem solchen Ausmaße vor sich, daß die völlige Vernichtung des deutschen Schulwesens nur noch eine Frage kurzer Frist ist. In den letzten Tagen sind allein fünf deutsche Schulen in den Orten Rózysce, Bryszcze, Harazdze, Adamow und Ludwików geschlossen worden. Damit sind weitere 400 volksdeutsche Kinder ohne deutschen Unterricht. Ferner wurden einer Reihe von Lehrern die Loyalitätszeugnisse verweigert, so daß sie hinfort nicht mehr die Lehrtätigkeit ausüben können. Für den Ernst der Lage, in der sich das wolhynische Deutschtum befindet, ist es schließlich bezeichnend, daß auch hier in den letzten Monaten die illegale Abwanderung ins Reich trotz des weiten Weges zur Grenze immer stärker einsetzte. [354] In diesem Zusammenhang sind Nachrichten von Interesse, die der Botschaft kürzlich von einem zuverlässigen Gewährsmann über das Kirchspiel Kostopol im östlichen Wolynien zugegangen sind. Allein aus Kostopol waren in letzter Zeit 250 Familien abgewandert, nachdem sie ihren Besitz zu Schleuderpreisen verkauft hatten. Ein großer Teil dieser Abwanderer gelangte jedoch nicht ins Reich, sondern wurde an der Grenze von den polnischen Behörden wieder zurückgewiesen, so daß die zwangsweise Zurückgekehrten nunmehr völliger Verarmung preisgegeben sind. Mehrere junge Leute sind ferner beim Versuch des Grenzüberganges von polnischen Grenzsoldaten erschossen worden. Aus Kostopol sind dem Gewährsmann fünf derartige Fälle bekanntgeworden.
von Moltke
Nr. 375
Der Deutsche Generalkonsul in Posen an das Auswärtige Amt Bericht Posen, den 25. Mai 1939
Senator Hasbach hat am 12. d. M. in Warschau im Unterrichtsministerium Beschwerde geführt, daß deutsche Studenten in Posen an dem Besuch der Vorlesungen gehindert werden: der Vizeminister hat nur zugesagt, er wolle sich mit der Posener Universitätsbehörde in Verbindung setzen. Insgesamt sind 40 volksdeutsche Studenten in Posen betroffen und verlieren dadurch mindestens für dieses Jahr ihr Studium.
Walther
Nr. 376
Der Deutsche Generalkonsul in Kattowitz an das Auswärtige Amt Bericht Kattowitz, den 30. Mai 1939
Die Lage hat sich leider auch in den letzten beiden Wochen nicht gebessert. Eine weitere Sammlung201 von insgesamt 48 Zwischenfällen beehre ich mich vorzulegen. Hinzufügen möchte ich noch, daß die deutsche Minderheit durch die ständigen Ausschreitungen naturgemäß außerordentlich eingeschüchtert ist, so daß heute kaum ein Angehöriger der deutschen Volksgruppe es noch wagt, auf der Straße deutsch zu sprechen. Trotzdem lassen die Angriffe auf Volksdeutsche auf offener Straße nicht nach, und es sind auch jetzt wieder häufig schwere Ausschreitungen vorgekommen. Täter sind meist Angehörige des sogenannten Verbandes der Jungen Aufständischen.
Nöldeke
[355]
Nr. 377
Der Deutsche Konsul in Teschen an das Auswärtige Amt Telegramm Teschen, den 2. Juni 1939
Deutsches Volksheim Karwin 30. Mai durch Verfügung Woiwodschaft in polnische Zwangsverwaltung übergegangen. Genossenschaftsorgane durch Zwangseinsetzung polonisiert. 108 reichsdeutsche Teilhaber mit 256 Anteilen, 114 volksdeutsche Teilhaber mit 179 Anteilen. Neubau des Heimes vor zwei Jahren fertiggestellt. Repräsentatives Hauptgebäude, Turnhalle, Bühne, große Gast- und Versammlungsräume, Sportplatz. Gesamtwert 160.000 Zloty; Heim galt als Mittelpunkt großer Teile gesamten Olsa-Deutschtums.
Damerau
Nr. 378
Der Deutsche Botschafter in Warschau an das Auswärtige Amt Bericht Warschau, den 6. Juni 1939
Auf der Eröffnungssitzung des Wirtschaftsrates für Pommerellen, die am 3. d. M. in Thorn stattfand, hielt der Polnische Vizepremierminister Kwiatkowski eine Rede, die von der gesamten Presse am 4. d. M. in großer Aufmachung und mit entsprechenden Überschriften wiedergegeben wurde; die offiziöse Gazeta Polska brachte sie unter der Überschrift "Ruhige, ausdauernde Arbeit, das Schwert an der Seite! Pommerellen ist und bleibt Polens Verbindung mit der Welt." Es geschieht zwar nicht zum erstenmal, daß ein Mitglied der Polnischen Regierung sich an der gegen Deutschland gerichteten Propaganda beteiligt und die Kriegsstimmung gegen Deutschland zu steigern sucht. Immerhin scheint es beachtenswert, daß nunmehr auch der stellvertretende Chef der Regierung in diesem Sinne hervorgetreten ist. Auch in einer nur einen Tag später, am 4. d. M., aus Anlaß der Enthüllung einer Pilsudski-Gedenktafel in Ciechocinek gehaltenen Rede des Sozialfürsorgeministers Kósciałkowski wurde die These in den Vordergrund gestellt, daß der Besitz Pommerellens die unentbehrliche Voraussetzung für Polens wirtschaftliche Blüte und politisches Gedeihen sei. Kósciałkowski ging dabei in seinen Ausführungen übrigens noch weiter, indem er "für den Fall, daß Polen der Kampf aufgedrungen würde" als Ziel seines siegreichen Ringens "die Rückkehr jener urpolnischen Gebiete, die schon längst zu Polen gehören sollten", bezeichnete.
von Moltke
[356]
Nr. 379
Der Deutsche Konsul in Teschen an das Auswärtige Amt Bericht Teschen, den 6. Juni 1939
Im Anschluß an die bereits durch Presse und Rundfunk bekanntgegebene Beschlagnahme des Schülerheimes in Oderberg und die drahtlich mitgeteilte Entdeutschung des Volksheimes in Karwin202 ist nunmehr am 6. 3. 1939 auch in der Deutschen Volksbank in Teschen ein polnischer Zwangsverwalter eingesetzt worden. Das in vorzüglichem Bauzustand befindliche Gebäude der Volksbank repräsentiert einen Wert von etwa 400.000 Zloty. Die Volksbank war das letzte deutsche Geldinstitut des gesamten Amtsbezirks. Das in Oderberg enteignete Schülerheim war gleichfalls das einzige seiner Art. Es besaß moderne internatsmäßige Einrichtungen für insgesamt 60 Schüler. Das Gebäude wurde vor etwa 7 Jahren als Neubau aufgeführt und stellt einen Wert von etwa 160.000 Zloty dar. Die seitens des Konsulats vornehmlich mit Bezug auf das Volksheim Karwin erhobenen Vorstellungen blieben seitens der Woiwodschaft bisher unbeantwortet.
von der Damerau
Nr. 380
Der Deutsche Generalkonsul in Thorn an das Auswärtige Amt Bericht Thorn, den 6. Juni 1939
Die Maßnahmen der polnischen Behörden gegen das Deutschtum und das deutsche Handwerk nehmen ihren Fortgang. Vor einigen Tagen ist die alte, hier schon seit 2 Generationen in dem Besitz der deutschen Familie Heininger befindliche Adler-Apotheke in Thorn geschlossen worden und fast zur selben Zeit auch die privilegierte Hampelsche Apotheke in Culm. Auch in Graudenz ist die Einstellung des Betriebes der einzigen dort noch vorhandenen deutschen Kronen-Apotheke angeordnet worden. Daß es sich hier um eine planmäßige Maßnahme gegen die deutschen Apotheken handelt, liegt klar auf der Hand. Auch auf dem Gebiete der Gastwirtskonzessionen sind in der letzten Zeit wieder zwei Kündigungen für den Spirituosen- und Tabakverkauf erlassen worden. Neben diesen deutschfeindlichen Maßnahmen gehen, wie schon früher berichtet, Kongresse, Versammlungen und sonstige Tagungen patriotischer Verbände Hand in Hand, die entweder selbst schon den Charakter einer deutschfeindlichen Veranstaltung tragen oder bei denen die Redner jetzt ausnahmslos in scharfen Worten gegen Deutschland Stellung nehmen. Auch der pommerellische Woiwode Minister Władislaw Raczkiewicz betätigt sich in antideutschem Sinne. Er benutzte die Gelegenheit der Überreichung von Auszeichnungen, um folgendes zu betonen: "Wir müssen das [357] Brachland, das die Räuber zurückgelassen haben, umpflügen". Wenn auch diese Veranstaltung im geschlossenen Raume stattfand, so genügt die Veröffentlichung dieser Rede, um festzustellen, daß, wenn der erste Beamte der Provinz in dieser Weise gegen Deutschland (denn nur Deutschland kann gemeint sein) agitiert, die breite Masse vor Ausschreitungen schwer zurückzuhalten ist. Es ist kein Wunder, daß sich das Deutschtum hier, angesichts dieser Verhältnisse und nach den anderweitig berichteten Exzessen, Überfällen und Körperverletzungen, in einer verzweifelten Lage befindet. Diese Verzweiflung spricht sich am deutlichsten darin aus, daß der Strom der Abwanderung, und zwar hauptsächlich der illegal Abwandernden, unvermindert anhält. Man kann verstehen, daß die deutschen Besitzer infolge der dauernden Drangsalierungen, der Angriffe und der Tätlichkeiten der umwohnenden Polen, die sie teilweise zwingen, nachts aufzubleiben, weil sie neben dem Einschlagen von Fenstern die Inbrandsetzung des Gehöftes befürchten, sich in einem Zustand völliger Verzweiflung befinden, der sie alles vergessen und nur den Wunsch haben läßt: "Aus dieser Hölle zurück ins Reich".
von Küchler
Nr. 381
Der Deutsche Konsul in Lodz an das Auswärtige Amt Bericht Lodz, den 7. Juni 1939
Wenn es auch seit den Vorfällen in Tomaschow203 und Konstantynow204 bisher nicht wieder zu Massenüberfällen und Ausschreitungen des Mobs gegen Deutsche gekommen ist, da den polnischen Behörden derartige aufsehenerregende Ereignisse offenbar aus propagandistischen Gründen unerwünscht sind, so geht der Kampf gegen das Deutschtum dennoch mit Duldung und Förderung der Behörden auf der ganzen Linie in allen Teilen des Amtsbezirks weiter. Täglich werden dem Konsulat Einzeltatsachen berichtet, die keinen Zweifel daran lassen, daß durch Drohungen, Einschüchterungen, von den Behörden veranlaßten Entlassungen und Schikanen aller Art an der materiellen und seelischen Zermürbung des Deutschtums gearbeitet wird. Die Bedrohungen der Volksdeutschen mit Totschlag, Folterungen usw. sind in allen Teilen der Woiwodschaft zu täglichen Selbstverständlichkeiten geworden. Ebenso sind Beschädigung und Diebstahl deutschen Eigentums (Holzdiebstahl, Umlegen von Obstbäumen, Vergiftung von Hunden usw.) auf dem flachen Lande an der Tagesordnung, ohne daß die Polizei auf die Anzeige der Geschädigten hin ernstliche Bemühungen zur Entdeckung oder Bestrafung der Täter unternimmt. Die ständigen Morddrohungen haben zu einer sehr starken Nervosität der Volksdeutschen in den abseits gelegenen Höfen und auch in einzelnen stärker mit Deutschen besiedelten Dörfern geführt. Noch immer gibt es ganze Familien, [358] die in den Wäldern und Feldern schlafen, da nächtliche Bandenüberfälle auf das Haus befürchtet werden. In verschiedenen Dörfern sammeln sich nachts die deutschen Familien; während Frauen und Kinder schlafen, unterhalten die mit Knüppeln und Heugabeln bewaffneten Männer einen Wachtdienst. Das starke Gefühl des ständigen Bedrohtseins hat die Abwanderungstendenz ganzer Dörfer in den letzten Wochen ungemein verstärkt. Die Bauern sind bereit, ihr Hab und Gut zu lächerlich niedrigen Preisen zu veräußern, was wiederum die Polen zur Fortsetzung ihres Terrors ermuntern dürfte, da die polnische Bevölkerung hofft, sich bei Abwanderung der Deutschen billig oder umsonst in den Besitz des zurückgelassenen Grund und Bodens setzen zu können. In vielen Fällen haben die bedrohten Bauern ihren Besitz einfach im Stich gelassen und sind über die "grüne Grenze" abgewandert. Neuerdings ist jedoch die polnische Grenzkontrolle so verstärkt worden, daß die Gefahr der Verhaftung und strenger Bestrafung wegen "illegaler Auswanderung" sehr groß geworden ist. Es scheinen bereits Hunderte von Volksdeutschen wegen unerlaubten Grenzübertritts in polnischen Gefängnissen zu sitzen. Die industrielle deutsche Bevölkerung leidet in steigendem Maße unter Arbeitslosigkeit. Diese ist vor allem auf die systematische Verdrängung unserer Volksgenossen aus den Arbeitsplätzen zurückzuführen. Die Unternehmer werden durch behördlichen Wink, durch Druck ihrer Lieferanten und Abnehmer sowie durch die Drohungen der polnischen Belegschaft und der Straße gezwungen, die volksdeutschen Arbeitnehmer fristlos zu entlassen. Selbst volksdeutsche Fabrikbesitzer haben sich diesen Forderungen des aufgeputschten Polentums nicht entziehen können. Noch immer werden von polnischen Verbänden aller Art Entschließungen angenommen, in denen die Behörden ersucht werden, alle Deutschen aus ihren Arbeitsstellen zu entfernen, und in denen gleichzeitig zum Boykott der deutschen Firmen aufgefordert wird. Von dem von Polen durchgeführten Boykott werden besonders die kleinen deutschen Geschäftsleute und Ladenbesitzer betroffen. Dem Konsulat sind Fälle bekanntgeworden, in denen der monatliche Umsatz kleiner Kaufleute auf 1/5 bis 1/10 des Normalstandes zurückgegangen ist. Diesen Deutschen bleibt nichts anderes übrig, als ihre beschleunigte Abwanderung zu betreiben, da die Weiterführung des Geschäfts täglichen Kapitalverlust bedeutet. So setzt der polnische Chauvinismus den Kampf gegen das Deutschtum mit allen Mitteln und auf allen Gebieten fort. Wird dieser Kampagne nicht in absehbarer Zeit Einhalt geboten, so wird eine völlige Zerschlagung des Deutschtums im Lodzer Bezirke die unabwendbare Folge sein.
von Berchem
197Die Deutsche Botschaft in London hat diese Berichte entsprechend verwertet. ...zurück... 198Vgl. Nr. 103. ...zurück...
199Artikel 109 der polnischen
Verfassung lautete: 200Vgl. Nr. 365. ...zurück... 201Vgl. Nr. 365 und 372. ...zurück... 202Vgl. Nr. 377. ...zurück... 203Vgl. Nr. 370. ...zurück...
204In Konstantynow fanden in der
Zeit vom 17. bis 21. Mai 1939 ähnlich wie in Tomaschow schwere
deutschfeindliche Ausschreitungen statt, bei denen Deutsche mißhandelt
und Sachschäden angerichtet wurden. ...zurück...
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