[297]
Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil
5)
Das Deutschtum im früheren und im jetzigen Ungarn (Teil
2)
Das alte Deutschtum in Westungarn und in den
ungarischen Städten
[292a]
Ödenburg, Markt mit Turm.
|
Westungarn hatte als Provinz Pannonien schon zum römischen Reich
gehört und gehörte später zum karolingischen.
Ödenburg, die Hauptstadt des Burgenlandes, hieß als
römisches Munizipium Scarbandia und erscheint im Jahre 845 in einer
Urkunde Kaiser Ludwigs des Deutschen unter dem Namen Odinburch. Selbst das
entfernte Fünfkirchen, zur römischen Zeit Sopianae, wird schon zur
Zeit des Frankenreichs, dessen östlichste Grenzgebiete seit Karl dem
Großen in dieser Gegend lagen, mit seinem lateinischen Namen
(Quinque Ecclesiae) genannt. Auch
Ungarisch-Altenburg, Wieselburg, das im Nibelungenliede genannt wird, und
viele andere deutsche Ortsnamen begegnen uns in der ersten Hälfte des
9. Jahrhunderts im westlichen Ungarn. Kurz vor dem Jahre 900 erscheinen
die Madjaren, anfangs als Bundesgenossen des deutschen Kaisers Arnulf gegen
die große Slawenherrschaft Swatopluks von Mähren.
Die wilde heidnische Zeit des Ungarntums dauerte nur etwa siebzig Jahre. Schon
955 hörten mit der Niederlage auf dem Lechfelde die Raubzüge nach
Deutschland auf. König Geisa, um 970, wurde Christ. Sein Sohn Stephan
heiratete eine bayerische Herzogstochter, Gisela. König geworden, warf er
einen Aufstand der heidnischen Partei mit Hilfe der zahlreichen Deutschen nieder,
die er ins Land gezogen hatte. Auch die deutsche Bauerneinwanderung muß
von Anfang an stark gewesen sein. In den heutigen Komitaten von
Ödenburg und Eisenburg (das erstere grenzt an Niederösterreich, das
zweite an Steiermark) ist nach den Urkunden im 13. Jahrhundert ein starkes
Deutschtum vorhanden: deutsche Städte, deutsche Ritter, deutsche Bauern.
Dieses westungarische Deutschtum gehört also zeitlich durchaus in die
erste Kolonisationsperiode. Wir haben es auch nicht als eine Siedlung auf
ursprünglich ungarischem Boden und inmitten ungarischen Volkstums
anzusehen, sondern wie gesagt als das Grenzgebiet der
zusammenhängenden, an die Gründung Österreichs
anknüpfenden deutschen Kolonisation.
Diesen deutschen Charakter hatten weit im Innern Ungarns jahrhundertelang auch
die Städte. Am stärksten war das Deutschtum in Ofen und
Preßburg. Um 1241 wird das Ofen gegenüberliegende Pest "ein
großes und reiches deutsches Dorf" genannt. Das Ofener Stadtrechtsbuch
aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts ist nicht nur in deutscher Sprache
abgefaßt, sondern verlangt für die Wahl des Richters [298]
(Bürgermeisters), daß er "von allen seinen vier Ahnen her ein
[288c]
Schlaining im Burgenland.
|
deutscher Mann sein soll". Auch der Stadtschreiber mußte von deutscher
Art und Geburt sein. Von den zwölf Ofener Ratsherren wählten die
Deutschen zehn, die Ungarn zwei. Ebenso deutsch war Preßburg, dessen
Umgegend wie das Burgenland und das Eisenburger Land zum alten
Kolonisationsgebiet gerechnet werden muß. Von den übrigen
west- und nordungarischen Städten haben ursprünglich deutschen
Charakter Raab und Gran a. d. Donau, Stuhlweißenburg
in der Nähe des Plattensees, Fünfkirchen in der Baranya, Visegrad
(deutsch: Plintenburg) a. d. Donau, oberhalb Budapest. In
Nordwestungarn sind vor allem die beiden berühmten Bergstädte
Schemnitz und Kremnitz deutsch. Kremnitz ist sicher schon im
13. Jahrhundert gegründet. Noch im 18. Jahrhundert ist es ein
völlig deutscher Ort. Die deutsche Sprachinsel im Kremnitzer und
Deutsch-Probener Gebiet, von der bei der Behandlung des Deutschtums in der Slowakei die Rede war,
reicht gleichfalls ins Mittelalter zurück. Auch Schemnitz bestand schon am
Anfang des 13. Jahrhunderts und erscheint in allen mittelalterlichen und
späteren Stadtrechnungen als deutsche Stadt. In den Komitaten, die an das
Erzgebirge grenzen: Neutra, Bars, Hont, Sohl, sind deutsche Ortschaften, zum
Teil gleichfalls Bergstädte, seit dem 13. Jahrhundert bezeugt. Reste
dieses Deutschtums bestehen bis heute. Auch die
Zips, von der später besonders die Rede sein
wird, weil sie eine besondere Charakteristik erfordert,
gehört geographisch hierher.
Bis nach Nordostungarn, das weit abgelegen ist, ist die mittelalterliche deutsche
Siedlung gelangt. Im Jahre 1230, wird berichtet, behaupteten die deutschen
Bewohner von Szatmár-Németi
(Deutsch-Szatmár), das schon im ebenen Lande beim Austritt der Szamos
aus dem siebenbürgener Grenzgebirge liegt, ihre Vorfahren seien auf Grund
von Privilegien ins Land gekommen, die ihnen die Königin Gisela, die
Gemahlin Stephans des Heiligen (am Anfang des 11. Jahrhunderts) erteilt
habe. In Marmaros, in den Vorbergen der mittleren Ostkarpathen, und in Kaschau
sind uns gleichfalls von altersher Deutsche bezeugt. Bis tief nach
Südungarn kommen durch die ganze zweite Hälfte des Mittelalters
zahlreiche deutsche Orts- und Personennamen vor.
Alle diese Siedlungen müssen im Zusammenhang mit der im 12. und 13.
Jahrhundert von Deutschland, in erster Linie von den westdeutschen Gebieten,
ausgehenden großen Kolonisationswelle angesehen werden. Es gab den
großen Volksüberschuß auf der deutschen Seite, die Menge der
jüngeren Söhne und Töchter, die in der Heimat keine richtige
Hufe Landes bekommen konnten und die daher auf den Ruf in die Ferne, der
ihnen Land verhieß, warteten. Ebenso aber gab es Fürsten und andere
Gebieter in der Ferne, die, um ihr Land zu schützen und um ödes
Land zu kolonisieren, um Städte, Märkte und Burgen "zur
Verteidigung ihrer Krone" und zur Erhöhung ihrer Einkünfte zu
gründen, nach deutschen Ansiedlern riefen. Das berühmteste und
umfassendste Beispiel dafür in Ungarn ist die deutsche Kolonisation in
Siebenbürgen.
|