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Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil
6)
Das Deutschtum im früheren und im jetzigen Ungarn (Teil
3)
Siebenbürger Land und
Volk
Siebenbürgen ist, wie wir sahen, ein Teilstück von Ungarn, aber es
ist trotzdem eines der am deutlichsten durch die Natur selbst abgegliederten
Gebiete im Innern von Europa, und es erinnert einigermaßen an
Böhmen innerhalb seiner Umwallung. Im Süden hat der Altfluß
den hohen Karpathenwall durchsägt, fließt jenseits als
rumänischer Oltu weiter und mündet schließlich in die Donau.
Nach Westen verläßt die Maros, der stärkste Nebenfluß
der Theiß, und nach Norden die Szamos, gleichfalls ein Tributär der
Theiß, Siebenbürgen.
Auf diese Weise entstehen verschiedene Zugänge, durch die wiederum die
Lage der wichtigsten siebenbürgischen Orte bestimmt ist. Das Tal der
Szamos im Norden ist eng und für eine Straße wenig bequem. Von
den beiden Hauptzugängen von der ungarischen Seite her führt daher
der eine, etwas nördlichere, über eine Senke in der westlichen
Umwallung auf Klausenburg, der südliche dagegen im Tal der Maros auf
Karlsburg. Schon der Name Klausenburg deutet auf die schließende
Stellung dieser Ortslage im Verkehr zwischen Ungarn und Siebenbürgen.
Karlsburg, früher Ungarisch-Weißenburg genannt, hat schon in alter
Zeit eine ähnliche Bedeutung gehabt. Es steht an der Stelle der alten
römischen Militärkolonie Apulum. Im Mittelalter führte der
Platz den lateinischen Namen Alba Julia. Von Süden, vom
Donautiefland her, ist Siebenbürgen über zwei
Haupt- und mehrere Nebenpässe zugänglich. Der berühmteste
ist der Rote-Turm-Paß, der durch das Tal des Alt auf Hermannstadt
führt. Für den modernen Eisenbahnverkehr ist der Predealpaß
wichtiger geworden, der auf der Linie von Budapest über Klausenburg und
Kronstadt nach Bukarest liegt. Etwas westlich von ihm führt der
landschaftlich schöne Törzburgerpaß und östlich der
Bodzaipaß durch die Südkarpathen. Die Verbindung nach Osten
endlich ging in alter Zeit hauptsächlich über den Paß von
Dorna-Watra aus dem oberen Szamos-Gebiet nach der Bukowina; heute dagegen
hat die Eisenbahn weiter südlich den Übergang von Gyimes
gewählt.
Die Geschichte von Siebenbürgen ist bedingt durch die geographische
Gestaltung des Landes und speziell durch die Lage seiner Zugänge. Die
Karpathen bilden den großen Wall zwischen dem mittleren und dem
östlichen Europa. Alles, was je von Osten gegen das Herz unseres Erdteils
herangestürmt ist, hat die Karpathen übersteigen müssen.
Für den Angriff wie für den Widerstand hat daher die
Siebenbürger Eckbastion eine besondere Rolle gespielt. Seit dem
Aufhören der römischen
Herr- [300] schaft, die
übrigens von der Walachei nur den kleineren Teil in das Reich einbezogen
hatte, war das untere Donauland durch viele Jahrhunderte den asiatischen
Nomadenvölkern preisgegeben, die nacheinander das Steppengebiet am
Schwarzen Meer beherrschten. Die letzten davon vor dem großen
Mongolensturm waren die Rumänen, die im 11. Jahrhundert
erschienen und den Mongolen erlagen. Rumänen, Mongolen und
Türken sind nacheinander gegen die Karpathenmauer gebrandet, haben die
Pässe überflutet oder sind zurückgeschlagen worden. Die
Verteidigung Ungarns mußte daher vor allen Dingen in Siebenbürgen
geführt werden. Die festen und wichtigen Punkte Siebenbürgens
liegen alle auf der Innenseite des Karpathenbogens vor der Mündung der
Paßstraßen, die aus dem Gebirge hervorkommen, und an den
Ausgangsstellen von Siebenbürgen nach Ungarn. Die Lage von
Klausenburg und Karlsburg wurde schon erwähnt. Hermannstadt beherrscht
die Ebene vor dem Roten-Turm-Paß, durch den, wie gesagt, im Mittelalter
die wichtigste Verbindung nach der Balkanhalbinsel ging. Wer von dort nach
Ungarn vordringen wollte, mußte Hermannstadt
nehmen, - und es ist nie von einem Türkenheer bezwungen
worden.
[348a]
Bauernburg Rosenau und Blick ins Burzenland.
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Ganz in der südöstlichen Ecke Siebenbürgens liegt
eine mittelgroße Ebene von hoher Fruchtbarkeit, ein alter Seeboden, das
Burzenland. Hier hinein führen der
Törzburger-, der Predeal- und der Bodzaipaß. Das Burzenland und
die drei Pässe beherrscht Kronstadt. Vor dem Paß von
Dorna-Watra endlich, der Hauptpassage über den siebenbürgischen
Abschnitt der östlichen Karpathen, liegt Bistritz. Indem man diese Namen
nennt: Hermannstadt, Kronstadt, Bistritz, Klausenburg, nennt man die Namen der
alten sächsischen Städte in Siebenbürgen. Klausenburg wurde
seit dem Ausgang des Mittelalters erst halb, dann ganz madjarisiert. Die sechs
anderen sächsischen Orte dagegen haben ihren deutschen Charakter bis
heute teils ganz, teils überwiegend bewahrt.
[348b]
Die Törzburg bei Kronstadt.
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[324b]
Rathaus in Kronstadt. |
Siebenbürgen ist in mehr als einer Beziehung von der Natur bevorzugt. Es
hat Metalle, sogar Gold, das schon von den Römern ausgebeutet wurde. Es
hat fruchtbaren Ackerboden, von dem allerdings auf den sächsischen Besitz
nur ein Teil entfällt. Viele sächsische Bauern haben Land von nur
mittelmäßigem Werte, das sehr fleißige Arbeit fordert.
Groß ist der Waldreichtum, groß auch der an Wasserkräften. In
neuester Zeit sind auch reichliche Mengen von Erdgas aufgeschlossen worden,
mit dessen Hilfe sich bei Mediasch eine bedeutende Industrie zu entwickeln
anfängt. Von altersher ist Siebenbürgen auch als ein gutes Weinland
bekannt, namentlich in seinen südlichen Tälern.
Das Innere hat ursprünglich eine Hochfläche gebildet, die aber von
den vielen Wasserläufen wie ein Netz zergliedert und zersägt worden
ist. Die obere Fläche bilden junge Gesteine, die leicht zerreibbar sind; daher
herrschen gerundete Formen, Mulden und verbreiterte Talböden vor. Es
gibt nirgends eine zentrale Landschaft und daher auch keine natürliche
Hauptstadt. Alle bedeutenden Städtelagen sind durch den mannigfachen
Zug der Verkehrswege und durch Rücksichten der Verteidigung
bedingt.
[372b]
Siebenbürgisch-sächsische Bauern
in Festtracht.
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[340b]
Siebenbürgisch-sächsische Frauentrachten
aus Stadt und Land. |
[301] Merkwürdig ist
das Völkergemisch. In den Ortsnamen Siebenbürgens steckt
dakische, d. h. thrakische Überlieferung, denn die Daker waren
Verwandte der alten Thraker, ferner keltisches, gotisches, römisches,
slawisches, madjarisches, wahrscheinlich auch griechisches Erbe. Wann Kelten
hier gesiedelt haben, wissen wir nicht; die Goten aber waren es, vor denen die
Römer ihre Provinz Dakien räumen mußten. Alle diese
Völker haben sich auf dem Boden Siebenbürgens abgelöst;
von jedem sind größere oder kleinere Bestandteile sitzen geblieben
und vom nächstfolgenden aufgesogen worden. Heute wohnen in
Siebenbürgen in der Mehrzahl Rumänen, die sich noch etwas
über das westliche Gebirgsland hinaus und fast bis in das eigentliche
ungarische Tiefland vorschieben. Ganz vom Rumänentum umschlossen
sitzt in der Mitte von Siebenbürgen ein madjarischer Stamm, die Szekler,
nicht ganz eine halbe Million stark. Über die Herkunft der Szekler gibt es
mancherlei Hypothesen, aber noch keine sichere. Vielleicht sind sie,
ähnlich wie die Sachsen und schon vor diesen, in der ersten ungarischen
Königszeit als Grenzwächter angesiedelt worden. Die neuerdings
geäußerte Vermutung, daß sie ursprünglich identisch mit
dem germanischen Volk der Gepiden und später madjarisiert seien, ist
schwerlich richtig. Das Szeklervolk ist tapfer und hat im alten Ungarn
verschiedene Vorrechte. Jeder Szekler, auch wenn er Bauer war, galt z. B.
als adlig. Nennenswerte Städte gibt es im Szeklerland keine.
[340a]
Siebenbügisch-sächsische Familie
in Festtracht.
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[340a]
"Bokelung"
(Anlegen des Kopfputzes). |
Das eigentliche ethnographische Problem Siebenbürgens sind aber nicht die
Sachsen, auch nicht die Szekler, sondern die Rumänen. Der
wissenschaftliche Streit über die Herkunft des rumänischen Volkes
ist schon seit vielen Jahrzehnten im Gange, und er ist noch keineswegs
entschieden. Seit der Eingliederung Siebenbürgens an das
rumänische Königreich hat er eine gewisse
aktuell-politische Bedeutung dadurch gewonnen, daß die Rumänen
ihre Ansprüche auch auf den nichtrumänischen Volksboden in
Siebenbürgen damit begründen, daß sie die
ursprünglichen Bewohner des ganzen Landes gewesen seien. Wenn sie das
waren - wir werden von der Frage noch zu reden
haben - so vermochten sie jedenfalls nicht, ihr Land und das Abendland vor
den Einbrüchen der nomadischen Räuber, die jenseits der
Karpathenmauer hausten, zu verteidigen. Um das zu leisten, mußte die
Sachsensiedelung erfolgen. Hermannstadt, die stärkste der
sächsischen Festungen, wurde noch von Papst Eugen IV. in der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts "nicht nur des ungarischen
Reiches, sondern auch der gesamten Christenheit schirmendes Bollwerk und
Schild gegen die Ungläubigen" genannt.
[332b]
Heltau bei Hermannstadt.
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[324b]
Töpferturm in
Hermannstadt. |
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