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Die Siebenbürger Sachsen
Fritz Heinz Reimesch

Die gewaltige Flut der großen deutschen Ostbewegung im Anbeginn unseres Jahrtausends trieb zwei Wellen weitab - die Balten nach dem Nordosten, die rheinfränkischen Siedler nach dem Südosten in das an anmutigen wie heroischen Landschaftsbildern überreiche Siebenbürgen. Dies geschieht um die Mitte des 12. Jahrhunderts. Auf welchem Wege die Kolonisten nach dem kaum bewohnten, urwaldbedeckten Karpathenlande zogen, das einst Goten und Gepiden Heimat war, ist ungewiß, doch wir kennen die Motive, aus denen heraus die Menschen von Mosel und Saar, vom Hunsrück und aus den luxemburgischen Wäldern, wohl auch vom Niederrhein in die Ferne getrieben wurden - Sehnsucht nach Freiheit und eigener Scholle, denn die Heimat war übervölkert, das altgermanische Recht der freien Nutzung von Wald, Wasser und Weide, der unantastbaren Allmende, wich dem römischen Rechtsbegriff, nach dem der Boden zu einer Handelsware entwürdigt wurde. Das Kolonistenrecht, das vom Ungarnkönige Geisa II. und öfters von seinen Nachfolgern feierlichst beschworen und auch verbessert wird, ist uns in dem Original, das König Andreas II. aus dem Anbeginn des 13. Jahrhunderts beschworen hat, erhalten, und wer die Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen liest, wie sie von den beiden Bischöfen Georg Daniel und Friedrich Teutsch geschrieben wurde, der kann durch die abgelaufenen acht Jahrhunderte stets den Willen der Kolonisten erkennen, das alte Recht nicht schmälern zu lassen. Aus dem codifizierten Recht der Deutschen in Siebenbürgen spricht der Wille der Siedler, ihr Leben und ihre Arbeit einer großen Idee unterzuordnen, nämlich der Gemeinschaft oder wie es in der Mundart lautet: "de Gemin".

Es ist gerade für unsere Zeit, die so stark nach Siedlung schreit, in der sich kollektivistische Gedankengänge stark in den Vordergrund drängen, von Wichtigkeit zu sehen, wie sich in früheren Jahrhunderten deutsche Auslandssiedlungen gebildet haben und welche Kräfte mithalfen, sich selbst in größten äußeren Kämpfen gegen hundertfache Übermacht durchzusetzen. Die Gemeinschaft war für die ersten Jahrzehnte der Landnahme und der Rodung selbstverständlich, denn der Einzelsiedler hätte in der wilden Umgebung, die von Anfang erfüllt war von Kampf gegen Mensch und Tier, nichts ausrichten können; nicht einmal eine Sippensiedlung hätte das vermocht. Nur "de Gemin" konnte den Urwald bewältigen, nur die Gemeinschaft vermochte gleichzeitig zu kämpfen und Kulturgüter zu errichten. Der bewegliche Franke entwickelt im Waldrand sehr bald ein starkes Gleichheitsgefühl, das jedoch nicht mit der heutigen Demokratie zu verwechseln ist. Er beseitigt nach langwierigen harten inneren Kämpfen alle Versuche reich und mächtig gewordener Volksgenossen, die einen Adel innerhalb des deutschen Kolonisationsgebietes, des sogenannten [330] Königsbodens, aufrichten wollten. Selbst das Privateigentum an Grund und Boden, mit Ausnahme der Hofstelle, wird Jahrhunderte hindurch nicht geduldet, die zugewiesene Ackerscholle wird von Zeit zu Zeit gleichmäßig neu verteilt. Wald, Weide und Wasser bleiben Gemeinschaftsbesitz bis auf den heutigen Tag. Die nur auf sich selbst gestellten deutschen Grenzwächter, die sich dem Könige gegenüber zu ganz bestimmten, das Deutschtum ehrenden militärischen Diensten verpflichteten - sie stellten 500 Reiter als Vortrab des königlichen Heeres und führten eine blaurote Fahne mit der Aufschrift "ad retinendam coronam" - hatten die Aufgabe, einen Kulturwall gegen den nomadischen Osten zu errichten. Sie konnten also nicht den Herrengelüsten ehrgeiziger Volksgenossen die Zügel schießen lassen, wenn sie auch Führertum gerne anerkannten, denn sie mußten die Stoßkraft der Gesamtheit ihrer Sendung unterordnen. Das Beispiel der Dithmarschen liegt nah, die im gemeinsamen Abwehrkampf gegen das Nordermeer ähnliche Gedanken entwickelten wie die deutschen Kolonisten in Siebenbürgen, die von ihren Nachbarn Sachsen genannt werden. Freilich die Dithmarschen unterlagen, und die Sachsen blieben Sieger insofern, als sie innerhalb des alten, den Türken tributären siebenbürgischen Fürstentums aus dem Kolonistenrecht ein Eigenlandrecht entwickelten, das fast bis in unsere Tage Gültigkeit besaß, und erst durch die demokratische Gesetzgebung Ungarns aus dem Jahre 1868 zunichte gemacht wurde.

Krieg und Kampf ist den Siebenbürger Sachsen als schweres Schicksal aufgebürdet, aber sie haben nie einen Krieg begonnen, sie haben sich immer nur gegen Mongolen, Türken, Tataren, Walachen, gegen die eigenen, das Recht beugenden Könige und die späteren Landesfürsten, gegen Magyaren und Rumänen wehren müssen, auch gegen die habsburgischen deutschen Kaiser, deren beste Stützen sie im Kampf gegen die Türken waren und die ihnen zum Dank ihr Geld abknöpften und sie mit der Gegenreformation, freilich ohne jeden Erfolg, drangsalierten. Noch bevor der Türke das Land bedrohte, waren die Städte, Hermannstadt als Mittelpunkt des Königsbodens - Kronstadt, eine Gründung der Ordensritter, die, bevor sie ins Kulmer Land zogen bis 1225 den äußersten Osten Siebenbürgens, das herrlich schöne Burzenland kolonisierten - aber auch das romantisch aufgebaute Schäßburg im obst- und weinreichen Kokeltal und das nördlichste Städtchen Bistritz in lieblichem Hügelland zu Knotenpunkten des Handels, zu gewerbefleißigen, wohlhabenden Gemeinwesen ausgebaut worden, in denen Künste und Handwerk blühten. Die Bürger erbauten gewaltige gotische Hallenkirchen und herrliche Rathäuser mit hochragenden Türmen. Ihre Kaufherren waren bedeutsame Mittler zwischen Orient und Okzident. Die

Inneres der größten sächsischen Kirchenburg.
[331]      Inneres der größten sächsischen Kirchenburg
in Tartlau bei Kronstadt.
Städte waren stark befestigt. Auch auf strategisch wichtigen Bergen und in den Pässen standen wehrhafte Festungen ähnlich denen des Mutterlandes, aber das Symbol der abwehrbereiten Gemeinschaft ist die Kirchenburg. Nach der Schlacht von Nikopolis im Jahre 1395 forderten die Türkenkriege die ganze Kraft des Volkes in die Schranken - nun sind die Sachsen nicht mehr Kolonisten, sie mögen in den 250 Jahren ihrer Anwesenheit im Lande erkannt haben, daß sie eine gottgewollte Sendung zu erfüllen haben, nämlich ein "Schutzschild der Christenheit" zu sein, wie ein Papst sie im 15. Jahrhundert nennt. - In jedem Dorf steht das Gottes- [331] haus inmitten der Straßen auf freiem Platz oder auf einer nahen Anhöhe, umgürtet von Mauern und Türmen, Wällen und tiefen Gräben, hinter denen jeder Volksgenosse eine eigene Kammer besitzt, in der er wohnt und seine Kostbarkeiten zu bergen vermag, aber auch einen eigenen Standplatz am Wehrgang hat, woher er mit Armbrust oder Hakenbüchse auf die Angreifer schoß, und seine Frau den Feind mit heißem Wasser oder siedendem Pech, nicht selten auch mit scharfer Axt bewillkommnete. Das Gotteshaus selbst ist für den letzten Fall zur Verteidigung eingerichtet gewesen. Die Kämpfe sind grimmig und ungeheuer verlustreich. Hunderttausende sind im Lauf der Geschichte im Kampfe gefallen oder von den Türken verschleppt worden, aber die Sachsen sind nie kleinmütig geworden, denn auch in ihren Herzen war die Kirchenburg errichtet.

Der tief in die Seele dieses Völkchens eingegrabene allgemeine Wesenszug christlich nationaler Opferbereitschaft geht auf die unzähligen gemeinsam überstandenen Kämpfe innerhalb der Kirchenburgen zurück, ist auch heute noch so stark, daß selbst in unseren Tagen der Umwälzungen gerade in glaubensmäßiger Beziehung eher eine Vertiefung dieser Charaktereigenschaft zu sehen ist. Das gesamte Volk ging gemeinsam zum Luthertum über [332] und hat nie Religionskämpfe gekannt. Aus den alten Gedanken der Rodungs- und Arbeitsgemeinschaft der Kolonistenzeit, noch mehr aber aus dem oft engen und drückenden Neben- und Übereinander in der belagerten Kirchenburg ist der starke soziale Sinn der Sachsen erwachsen, der heute wieder eine entschiedene Stärkung erfährt. Es hat keinen deutschen Stamm gegeben, in dem der Genossenschaftsgedanke so schnelle Erfolge aufweist, wie bei den Siebenbürger Sachsen, deren gesamtes Wirtschaftsleben ganz auf der Gemeinschaftsarbeit aufgebaut ist. Man könnte meinen, Luther habe gedanklich sein "Ein feste Burg" dem siebenbürgisch-sächsischen Kampfe entlehnt, und Hitler seine Gedanken der Volksgenossenschaft dem Gemeinschaftsleben der Sachsen.

Aber auch das geistige und gesellschaftliche Leben der Sachsen ist durchaus auf die Gemeinschaft, auf althergebrachte Formen und Sitten aufgebaut. Die Nachbarschaften, Bruder- und Schwesterschaften umfingen und umfangen alle Glieder der Gemeinde, geben ihnen nach außen eine würdige Stütze, helfen in Not, führen zu gemeinsamem Vergnügen, wie sie den Toten gemeinsam zu Grabe tragen. Alte Vorschriften regeln das gesamte gesellschaftliche Leben, schreiben dem Hochzeitsbitter die Form der Einladungen vor, wie sie dem Brautvater gebieten, mit welchen Wendungen er beim Geistlichen, beim "wohlachtbar-würdigen Herrn Vater" um das Aufgebot bittlich wird. Die alten, weisen Bräuche schützen die Gemeinschaft vor den Einbrüchen fremden Volkstums, schädigender Sitten, gefährlicher Laster, schirmen den Einzelnen auch in wirtschaftlichen Dingen.

Trotz dieser so ausgeprägten kollektivistischen Lebensformen behält der Einzelmensch aber doch viel mehr persönliche Freiheit als etwa der Mensch, der in kommunistisch geführten Gemeinschaften lebt. Innerhalb des Hofes ist der Sachse unbedingter Herr, hier kann er ganz nach eigener Verantwortung schalten. Sowie er aber nach außen auftritt, muß er sich den Regeln, die die Gemeinschaft aufgestellt hat, fügen, nicht nur in den allgemeinen selbstverständlichen Bürgerpflichten, - am gleichen Tage mußte mit der Saat begonnen werden, wie auch am selben Tage jedermann zur Ernte des Korns aufs Feld hinaus mußte -, sondern auch in Fragen der Tracht, in Fragen öffentlicher Vergnügungen, in seiner Stellung gegenüber den andern im Lande lebenden Völkerschaften. Es ist ungeschriebenes aber desto strenger durchgeführtes Gesetz, daß jeder Jugendliche nach der Einsegnung der Bruder- oder Schwesterschaft beitritt, der er bis zur Verehelichung oder bis zum 24. Jahre angehört, ebenso wie es Vorschrift ist, die mit Stolz eingehalten wird, daß beim Kirchgang und allen feierlichen Anlässen die uralte farbenprächtige Volkstracht getragen wird. Die Gemeinschaft ächtet national jeden, der eine Ehe mit einem Fremdnationalen eingeht - nicht aus Überheblichkeit - die Ächtung ist auch nicht eine persönliche, jedoch in allen Fragen, die die deutsche Gemeinschaft angehen, schaltet der, der eine Mischehe eingeht, aus, es sei denn, daß sein Ehegenoß freiwillig dem Deutschtum und dem evangelischen Glauben beitritt. So sind denn Mischehen selten. Nur durch diese oft starren Gesetze war es möglich, daß sich Sprache und Rasse weitgehend rein erhalten haben, so rein, daß der Siebenbürger Sachse heute nach 800 Jahren ohne weiteres in seinem Dialekt mit seinem Luxemburger Vetter sprechen kann und dieser höchstens feststellt, daß der Sachse "wohl schon lange von daheim fort sei", womit er aber nicht die Jahrhunderte meint.

[333=Foto] [334] National - christlich - sozial also sind die drei Hauptwesenszüge dieses kleinen Volkssplitters, der nicht mehr als eine Viertel Million Seelen zählt, aber nicht nur einem großen Teile Siebenbürgens den Stempel des christlichen Abendlandes unverwischbar aufgedrückt hat, sondern auch noch weit in die jenseits der Karpathen liegenden Räume des rumänischen Volkes hinübergewirkt hat. Zäher Fleiß und ein oft kühner Wagemut eignet den Sachsen in geschäftlichen Dingen, doch sein gesunder Konservatismus schützt ihn vor Übereilungen. Er ist jedoch durchaus nicht rückständig, nur prüft er Neuerungen genau, bevor er sie einführt. Er ist ein sorgsamer Rechner und er wurde in der Vorkriegszeit sehr wohlhabend, doch ist sein Reichtum völlig zerschlagen worden durch Krieg, Inflation und Wirtschaftskrise. Man sagt ihm Neid und Geiz nach, doch ist letzterer mehr auf seine Person beschränkt, während er seinem Vieh die schönsten Ställe baut, selbst aber in seinem alten Hause wohnen bleibt. Sprichwörtlich ist seine unbedingte Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit. Fremden gegenüber ist er zunächst sehr zurückhaltend, da er immer wieder schlechte Erfahrungen macht. Der Magyare wird wegen seines überschäumenden Temperaments nicht als vollwertig angesehen; den Rumänen, dessen Sprache er fast immer versteht, anerkennt er heute als Herrn des Landes nicht eben mit Freude, da er ihn als wenig arbeitsam und in vielen Dingen unzuverlässig empfindet; doch der Sachse kennt keinen nationalen Haß. Der Zigeuner wird als nichtvollwertig angesehen und den Juden gegenüber hat er eine starke Abneigung, so daß sie in den meisten sächsischen Gemeinden nicht ansässig werden können. Die Umwohnenden nennen die Sachsen kalt, berechnend und stolz. Verglichen mit den südöstlichen Völkerschaften wirkt er unbedingt kalt und temperamentlos - besonders die Frauen -, doch stolz im überheblichen Sinne ist er nicht, nur selbstbewußt, da er weiß, daß er der Lehrer der andern Völker ist. Der Sinn für heiteres Genießen, den seine Vettern im Rhein- und Mosellande haben, ist bei ihm durch die leidvollen Jahrhunderte verloren gegangen; sein höchster Genuß ist: Schaffen und Vorwärtskommen. Wohl gibt es auch unter den Sachsen unverbesserliche Trinker und Schlemmer, Kartenspieler und sonstige Tunichtgute, dumme Protzen und maulaufreißerische Prahlhänse, der Gesamteindruck ist aber doch in überragender Weise der einer gefestigten Persönlichkeit, die ihre Pflichten kennt und befolgt, was sich wohl am besten dadurch ausdrückt, daß die Sachsen die pünktlichsten Steuerzahler waren und sind.

Nur in einer Beziehung ist er schwärmerisch, in seiner Heimatliebe, in seiner unentwegten Deutschheit und in der Verehrung, die er dem Mutterlande entgegen bringt, was sich besonders in seinem Schrifttum zeigt. Ganz gewiß gibt es keinen auslanddeutschen Stamm, der so ganz und gar geistig nur auf das Deutsche eingestellt ist. Was der Siebenbürger Sachse für die Erhaltung seiner Schulen zu opfern in der Lage ist, kann nur als großartig, ja für den Binnendeutschen als beschämend bezeichnet werden. Er hat in den guten Tagen soviel in seine Kulturrüstung hineingebaut, daß er es heute in schwerer Notzeit kaum zu tragen vermag, aber da er von seiner Sendung überzeugt ist, so kämpft er einen geradezu heroischen Kampf um die Erhaltung seiner geistigen Höhenlage. Alles was uns im Reich innerlich bewegt, macht auch der Siebenbürger Sachse durch; in politischer, in wirtschaftlicher, noch mehr aber in künstlerischer wie in allgemein geistiger und [335] seelischer Beziehung; und er versteht all das zur Stärkung seines Deutschtums trefflich zu benützen. Daher ist er dem Binnendeutschtum in einer Beziehung wenigstens voraus - er ist unbedingt Volk geworden, er stellt einen 100%igen Typus des Deutschen dar, so wie ihn unsere großen Denker und Politiker oft und oft gefordert haben, er ist, geistig betrachtet, eine innige Verschmelzung von allen deutschen Stämmen, da er bemüht gewesen ist, all das zu erobern, was er im Mutterland als gut, schön und erstrebenswert erschaut hat. So hat denn seine idealistische Deutschheit stets die großen Männer des Mutterlandes begeistert und der Ausspruch Opitz' "Germanissimi Germanorum" erscheint in verschiedener Fassung immer wieder und wird mit Freude zur Kenntnis genommen, und der Jugend wird immer gepredigt, sich dieser Werturteile würdig zu erweisen.

Siebenbürgen ist eine gewaltige Bastion, die aus den sie umgebenden Tiefebenen und Steppen bis auf 2600 Meter hinausragt, ein Land, das seine Bewohner zu harten und kühnen Menschen formt. Der siebenbürgische Rumäne ebenso wie der Magyare, der Szekler, sie sind charakterlich stark von ihren in den Tiefebenen lebenden Volksgenossen verschieden. Überall dort, wo der Sachse die deutsche Pflugschar in die Erde gedrückt hat, trägt das Land vielfache Frucht; aber Klima und Boden lassen den Segen nicht mehr üppig gedeihen, sie fordern ständige schwere Arbeit, aber sie lohnen auch mit Segen den [336] Fleißigen. Hügel an Hügel begleiten die Flußläufe, die als brausende Wildwässer von den Schneefeldern der Karpathen zu Tal strömen. An der Kokel - inmitten des Landes, moselähnlich und auch ihr Name mahnt an den Kokelberg bei Trier - und ihren Nebenflüssen, reifen süße Trauben, und der Wein, der aus ihnen gekeltert wird, ist dem der alten Heimat ähnlich an lieblich duftender Würze, nur heißer und feuriger. Weizen und Roggen, Kraut, Kartoffel und Rüben stehen auf den Äckern, auf denen tellergroße Sonnenblumen ihre Gesichter drehen und wenden und große Kürbisse sich wohlig auf der Scholle lümmeln. Aber auch Hanf und Flachs werden gebaut und überall baut man das türkische Korn, den Kukuruz, den Mais, doch ist sein Mehl nicht wie bei den Rumänen ständige Nahrung. Der Sachse ißt den Mais lieber im veredelten Zustande - er füttert seine Schweine mit den goldenen Körnern. Brot und Speck, Wurst und Sauerkraut sind die Hauptnahrungsmittel der Sachsen, und wenn sie Feste feiern, dann wissen sie die langen Tafeln mit der Menge üppiger Speisen zu füllen, mit derber und feiner Kost und köstlichen Weinen, denn die von den Magyaren so sehr gerühmte Schlemmerfreude hat auch auf den Sachsen abgefärbt, nur daß sie nicht zu seinem Lebensinhalt erhoben wurde.

Schnurgerade ziehen sich die breiten Dorfstraßen dahin, Giebel steht an Giebel, ein Haus gleicht fast dem andern. Nach der Straße zwei bis drei Fenster der guten Stube. Ein großes Tor schließt die Einfahrt auf den rechteckigen Hof; neben der Toreinfahrt ein kleineres Wohnhaus, das Altenteil, neben dem meist der Backofen und die Sommerküche stehen. Ein paar Stufen führen in die Wohnräume hinauf und hinab in den Keller, in dem Obst, die Krautfässer und Kartoffeln und im Weinland natürlich auch der Rebensaft eingelagert wird. Unter dem selben Dach der Geräteschuppen, auch Platz für einen Federwagen, dann die geräumigen Stallungen mit steineren Fliesen, luftige Räume, in denen edles alpenländisches Milchvieh, die für Siebenbürgen so typischen Büffel und zumeist erstklassige Pferde zu finden sind. Der stark mit Federvieh bevölkerte Hof beherbergt noch den Misthaufen und eine Jauchengrube, Schweinekoben, manchmal auch einen kleinen Suppengewürzgarten, und quer über die ganze Hofbreite ist die große Scheune gestellt, deren hartgetretene Tenne freilich nicht mehr zum Dreschen benützt wird - die Zeit der hölzernen Flegel ist längst vorbei, überall brummen in der Erntezeit die Maschinen. Hinter der Scheune ein geräumiger Grasgarten mit Obstbäumen, mit Gemüsebeeten, die von leuchtenden Bauernblumen bestanden sind, um die fleißige Honigträgerinnen schwirren.

Das fränkische Gehöft in reiner Form.

Dort, wo die in der Planung der Siedlung vorgezeichneten Straßen zusammentreffen, ein weiter Platz, auf dem sich einst die Wagenburg erhob, als man das Land der Wildnis abrang; heute steht das alte Gemäuer der Kirchenburg hier, verwittert und romantisch. Zumeist sind die einstigen Wassergräben zugeschüttet, eine kleine Promenade ist entstanden, oder ein Pfarrgarten, doch die Türme zeigen noch trotzig ihre Pechnasen, die wehrhaften Mauerumgänge scheinen erst gestern verlassen zu sein. In den Kammern steht auch heute noch die Frucht in großen Bütten, die Speckseiten hängen von der Decke, doch nur selten sind die Kammern verschlossen...

Siebenbürgische Frauen.
[333]      Siebenbürgische Frauen.
[337=Foto] [338] Und wenn dann am Sonntag die Glocken zusammenklingen, dann treten die Bauern aus ihren freundlichen Häusern. Die Schaftstiefel glänzen, schwarze Hosen aus solidem Tuch stecken in den Schäften und der stolze blaue oder in andern Gegenden weiße Mantel bedeckt den Körper; ritterliche Gestalten, aufrecht und ihres Wertes bewußt, Herren besonders wenn sie hoch zu Roß durchs Land reiten, um einen hohen Gast einzuholen. Die Frauen in ihren altertümlichen Trachten, in ihren faltigen Schauben mit weißgeschleierten Köpfen oder in dunkeln, spitzenbesetzten Hauben, wie einem mittelalterlichen Gemälde entstiegen. Nur der weiblichen Jugend ziemt die Fröhlichkeit farbenfreudiger Gewänder, feingestickter Bänder, die von dem krempenlosen Samtzylinder, dem "Borten" flattern, der die Flechten krönt. Die Sonne glitzert auf altem Geschmeide, blühweiß leuchtet das bauschige Hemd aus dem Mieder - es ist eine Pracht!

O, man könnte noch viel erzählen, von den guten alten Sitten, von der lustigen Spinnstube in kalter Wintersnacht, wenn gewaltige Schneemassen die Dörfer verschüttet haben, von den Osterbräuchen und Maienspielen, von tagelangen Hochzeiten, wenn die Braut verstohlen wird, könnte berichten von den ranken Turnergestalten der Jungmänner, von ihren Wettrennen, vom Tanz der Jugend unter der Dorflinde, von den althergebrachten Liedern, die sie am Abend auf den Dorfstraßen singen, von dem harten Ringen gegen die neuen Gewalten, die aufgestiegen sind, und dem schweren Kampf um die Erhaltung des Deutschtums in Schule und Kirche.

Die Sachsen kommen!
[335]      "Die Sachsen kommen!"
Festzug am Reformationstag in einem siebenbürgischen Städtchen.

Doch wir müssen eilen. Auch die Städte haben ein Anrecht darauf geschildert zu werden, und dann ihr, ihr mächtig ragenden Riesen, ihr schneegekrönten Häupter der Karpathen, ihr tiefen Wälder, in denen Bär und Luchs hausen, ihr einsamen, hochgelegenen Triften und Almen.

Hermannstadt ist das Haupt des Sachsenlandes. Hier residiert der Bischof, das Oberhaupt des Deutschtums, der geistliche und geistige Vater, die höchste Instanz aller Volkstumsangelegenheiten. Noch stehen die alten Befestigungswerke, noch erzählen uns die kühn gewölbten gotischen Kirchen von der Zeit, da Hermannstadt eine Macht darstellte, um die die Landesfürsten buhlten. Auf dem Großen Ring jenes prächtige Palais des bedeutendsten Siebenbürgers, des Gubernators Samuel Brukenthal, des Freundes der Maria Theresia, des größten Staatsmannes aus sächsischem Stamm, eines Kunstmäzens, der seinem Volk ein einzigartiges Museum hinterließ von staunenswerter Großartigkeit. Die Straßen mit ihren gediegenen Bürgerhäusern, die schönen Plätze der sich dehnenden neuen Stadt zwischen Parks und Gärten...

Die Törzburg.
[337]      Die Törzburg. Deutsche Ordensburg aus dem 13. Jahrhundert.

Kronstadt, die Gründung der Ritter am Fuß der Zinne, bietet uns das schönste Städtebild des Südostens. Vor seinen Toren breitet sich die weite, tellerflache fruchtbare Ebene des Burzenlandes mit ihren volkreichen großen deutschen Gemeinden. Hoch auf dem Berge das alte Schloß, ungeheuerlich die klobigen Festungstürme der Stadtmauern, formenschön das Rathaus und ehrfurchtgebietend die größte der gotischen Kirchen, die östlich von Wien errichtet wurde, selbst den berühmten Stefansdom an Größe überragend. Kronstadt war und ist die bedeutendste Industrie- und Handelsstadt des Landes an dem wichtigen Paß nach Rumänien, nach dem Balkan gelegen. Vor den Toren werken die Fabriken, rauchen die Schlote, hämmern die Werke, surren die Spindeln, die Stadt aber [339] klettert immer höher hinein in die Täler, umgürtet von Gärten und wonnesamen Wäldern, durch die die Wege hinausführen in den schönsten Teil der Karpathen...

Und in diesen Städten, nicht minder aber auch in dem romantischen Schäßburg und dem gemütlichen Weinstädtchen Mediasch am Kokelflusse, im obstreichen Bistritz im Norden des Landes, blüht deutsches geistiges Leben im Bezirk der alten Lateinschulen, hier klingen die Männerchöre und Orchester von den großen Werken, die deutsche Meister schufen, hier erbrausen die Orgeln von Fugen des großen Thomaskantors...

Ein Stück Deutschland des Geistes und der Gesinnung, wenn auch politisch nie zum Reiche gehörend, so doch eine Provinz jenes großen Reichs deutscher Geistigkeit, das lebt, allen Gewalten zu Trotz!

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Deutschtum in Not! Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches,
      besonders die Kapitel "Siebenbürger Land und Volk",
      "Siebenbürgisch-sächsische Geschichte" und "Das Deutschtum in Rumänien".

Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat
Unter Mitarbeit von Schriftstellern aller deutschen Stämme
herausgegeben von Dr. Eugen Schmahl.
Mit einem Geleitwort von Dr. Hans Steinacher,
Reichsführer des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland,
und mit einem Geleitschreiben von Hans Grimm.