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Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil 7)

Das Deutschtum im früheren und im jetzigen Ungarn (Teil 4)

Siebenbürgisch-sächsische Geschichte

Seit Jahrhunderten sind die Sachsen in Siebenbürgen eine geschlossene Volkseinheit, die politisch und kulturell so scharf durchgebildet und zugleich von einem so lebhaften Gefühl der Zusammengehörigkeit durchdrungen ist, daß in der ungarischen Zeit den Sachsen öfter der Vorwurf gemacht wurde, sie sonderten sich von der übrigen Bevölkerung ab und seien bestrebt, einen Staat im Staate zu bilden. Nicht nur ihre Sprache, sondern auch alle ihre sonstigen Eigenheiten sind deutsch. Ein rumänischer Gelehrter und Politiker, Nikolaus Jorga, der lebhafte Sympathien für das Sachsenvolk hegt, aber ein entschiedener Gegner Deutschlands ist, hat behauptet, die Sachsen seien gar keine Deutschen, sondern eher "deutschsprechende Franzosen". Er begründet diese Behauptung damit, daß die Sachsen bei Anwendung von Blutreaktionsversuchen moderner Art nahezu denselben Index zeigen wie die Franzosen. Das mag richtig sein, aber wenn es richtig ist, so rührt es nur daher, daß die Sachsen, trotz ihres Namens, ursprünglich Franken aus dem Moselgebiet sind und ihre nächsten Stammverwandten im heutigen Luxemburg haben, also in der Nachbarschaft von Nordfrankreich, wohin gleichfalls viele germanische Franken eingewandert sind. Ihre geistige Kultur ist ebenso deutsch wie ihr deutsches Bewußtsein, und gerade auf Grund ihres Selbstgefühls als Deutsche heben sie sich scharf von den anderen Nationalitäten ab, deren Nachbarn sie sind.

Die Sachsen, an Zahl etwa 230 000 Seelen, wohnen zum größeren Teil im Süden von Siebenbürgen, in den Verwaltungsbezirken (Komitaten) Hermannstadt (rumänisch: Sibiiu), Großkokeln (Târnava mare), Kleinkokeln (Târnava mica) und Kronstadt (Brasov). Kleinere Bruchteile wohnen auch im Norden Siebenbürgens, bei Bistritz (Bistritia) und Sächsisch-Regen (Reghinul sasesc). Der sozialen Gliederung nach sind sie zu etwa 80% Bauern und zu 20% Bürger in den von ihnen gegründeten acht Städten Hermannstadt (Sibiiu), Kronstadt (Brasov), Schäßburg (Sighisoara), Mediasch (Medias), Mühlbach (Sebesul sasesc), Broos (Orastie), Bistritz (Bistritia) und Sächsisch-Regen (Reghinul sasesc). Einen Adel und Großgrundbesitz haben sie nicht. Ihre führende Schicht ist gebildeter Mittelstand: Pfarrer, Lehrer, Rechtsanwälte, größere Kaufleute und Fabrikanten, Ingenieure und Bankbeamten. Sie bilden eine durchaus demokratische Gemeinschaft und rühren sich in einer kräftigen demokratischen Gesinnung, die jederzeit für das Volk und durch das Volk tätig ist.

Siebenbürgisch-sächsischer Bauer beim Pflügen
[348b]      Siebenbürgisch-sächsischer Bauer
beim Pflügen.
Andacht in einer siebenbürgischen Dorfkirche
[364a]      Andacht in einer
siebenbürgischen Dorfkirche.

Sächsisches Bauernhaus in Klein-Scheuern

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      Sächsisches Bauernhaus in Klein-Scheuern.


Siebenbürgisch-sächsische Bauernstube

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      Siebenbürgisch-sächsische Bauernstube.
[303] Um die Sachsen in ihrer Individualität zu verstehen und zugleich die rätselhafte Erscheinung zu begreifen, wie sie sich als ein so kleines Volk, getrennt von ihren Stammesgenossen und von zahlreicheren fremden Völkern (Rumänen und Ungarn) rings umgeben, in ihrer Eigenart erhalten konnten, ist es notwendig, einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen.

Die Sachsen haben sich von jeher mit Stolz darauf berufen, daß sie nicht als zufällige Einwanderer ins Land gekommen sind, sondern in Verfolg einer planmäßigen Ansiedlungspolitik der altungarischen Könige im 12. und 13. Jahrhundert. Es ist fraglich, ob es zur Zeit der Einwanderung der Sachsen eine nennenswerte Anzahl Rumänen in Siebenbürgen gegeben hat, und wenn es der Fall war, ob sie irgendwie national und kulturell organisiert waren. Selbst wenn die geschichtliche Behauptung der Rumänen richtig ist, daß die Madjaren bei der Besetzung des nachher von ihnen beherrschten Gebietes in Siebenbürgen ein rumänisches Fürstentum zerstört haben, so scheint doch festzustehen, daß im 12. Jahrhundert im Süden Siebenbürgens keinerlei staatliche oder staatsähnliche Gestaltung bestand. Darauf deutet der in den damaligen Urkunden gebrauchte Ausdruck "desertum" hin, der, wenngleich nicht geradezu als Wüste, so doch als schwach besiedeltes Land ohne staatliche Einrichtungen zu verstehen ist. Die Aufgabe der moselfränkischen Ansiedler war es, diese verlassenen Landstriche zu zivilisieren, ihre organische Angliederung an das ungarische Reich zu ermöglichen und sie zu einem Schutz für dieses zu machen. Wenn Deutsche hierzu gewählt wurden, so geschah es, weil das ungarische Volk dazu an Zahl zu schwach war und die etwaigen Ureinwohner Siebenbürgens keine Kulturfähigkeit besaßen, die Deutschen aber gerade damals das Kolonistenvolk par excellence waren. Die moselfränkischen Ansiedler in Siebenbürgen dienten somit dem Prinzip des Landerwerbs durch Kultur. Wenn diesem gegenüber von rumänischer Seite das Prinzip der Priorität, des Früher-Dagewesenseins, betont wird, so widerspricht dies der Entwicklung der Zivilisation. Danach müßten sich auch die Engländer auf ihre Insel zurückziehen, auch da nur geduldet von den direkteren Nachkommen der Kelten, und müßten das durch ihre Kulturkraft geschaffene Weltreich Halbwilden, rückständigen oder rückentwickelten Völkern überlassen.

Die Ansiedler sind von allem Anfang an auf Grund genau festgesetzter Vereinbarungen nach Siebenbürgen gekommen. Auch dies wird heute noch von ihren Nachkommen besonders hervorgehoben. Dieser Umstand hat in der Tat ihre Erhaltung ermöglicht. Sie wurden im Besitz ihres an der Person haftenden Landesrechtes ausdrücklich bestätigt, d. h. sie behielten ihre Freiheit und wurden von selbstgewählten Richtern nach dem Recht ihrer Heimat verwaltet und gerichtet. Hierdurch erhielten sie eine Sonderstellung im fremden Lande, die man mit der diplomatischen Exterritorialität vergleichen könnte. Die ganze Geschichte der Sachsen in Siebenbürgen ist von dem Kampf um das vertragsmäßig gesicherte alte Recht erfüllt. Diese Kämpfe waren für sie eine politische Schule, deren Früchte sie heute noch genießen. Zugleich [304] sind die Sachsen, indem sie vertragsmäßig ihre eigenen Angelegenheiten selbst verwalteten, die überzeugtesten Anhänger der Selbstverwaltung geworden. Ein Engländer, der vor sechzig Jahren Siebenbürgen bereist und ein Buch darüber geschrieben hat, Charles Boner (Transylvania, its products and its people, London 1865) bemerkt hierüber (S. 202):

      "Ein Studium des sächsischen Charakters und der Sitten ist nicht das am wenigsten Interessante, dem der Reisende in Siebenbürgen seine Beachtung schenken kann. Wenn er das tut, wird er einen Fonds von gesundem Gemeinsinn, von praktischen Fähigkeiten, ein Talent für Selbstverwaltung und einen gesunden moralischen Sinn entdecken, der das ganze System des politischen und sozialen Lebens durchdringt. Er wird darüber sicherlich überrascht sein und ihm seine Bewunderung nicht versagen können."

Kirchenkastell in Probsdorf

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      Kirchenkastell in Probsdorf.


Dorfkirche in Durlos in Siebenbürgen

[356b]      Dorfkirche in Durlos in Siebenbürgen.

Ein anderer glücklicher Umstand für die Sachsen war, daß ihr Interesse mit dem der ungarischen Könige insoweit zusammenfiel, als den letzteren daran lag, daß die Sachsen eine geschlossene kräftige Einheit bildeten. Bekanntlich hat sich im 13. Jahrhundert das Verhältnis zwischen dem Königtum und dem Adel in Ungarn ähnlich gestaltet wie in England; der Magna Charta von 1215 entspricht die ungarische Bulla Aurea von 1222. Die Sachsen in Siebenbürgen, sowie auch andere Ansiedler auf dem Gebiet des ungarischen Reichs, standen in einem persönlichen Verhältnis zum König; ihr Siedlungsgebiet trug den Namen "Königsboden" (fundus regius); sie waren nicht der Gerichtsbarkeit der hohen Reichsbeamten unterworfen, sondern standen mit ihren eigenen Beamten unmittelbar unter dem König, dem sie auch ihre Steuern abzuführen und ihre Kriegsdienstleistungen zu erstatten hatten. Sie waren somit eine Stütze des Königtums, was in dem ihnen verliehenen Wahlspruch "ad retinendam coronam" zum Ausdruck gebracht wurde. Um diese Stütze kräftig zu erhalten, sprach König Andreas II. in einer Urkunde vom Jahre 1224, die eine zusammenfassende Neubestätigung der Rechte der Sachsen enthielt, die Vereinheitlichung des Rechtszustandes sämtlicher deutscher Ansiedlergruppen in Siebenbürgen und ihre Vereinigung zu einem einzigen Volke aus: Unus sit populus! So kam das Interesse des Königs dem Einheitsstreben der Sachsen selbst in glücklichster Weise entgegen. Wenn die den Sachsen gewährten Rechtsverleihungen eine politische Tendenz hatten, so war diese nur gegen den ungarischen Adel gerichtet, auf keinen Fall aber gegen die im Lande vorhandenen Rumänen, die als politischer Faktor damals und noch lange nachher nicht in Betracht kamen.

Kirchenburg Birthälm in Siebenbürgen

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      Kirchenburg Birthälm in Siebenbürgen.

Auf kirchlichem Gebiete erhielten die Ansiedler eine ähnliche Unabhängigkeit wie auf politischem, was darin zum Ausdruck kam, daß sie sich ihre Pfarrer selbst wählten und ihnen, nicht dem Bischof, - der seinen Sitz in Weißenburg (Alba Julia) hatte und in der Regel ein Ungar war - den Zehnten entrichteten. Volle Selbständigkeit errangen die Sachsen in kirchlicher Beziehung jedoch erst, als sie in ihrer Gesamtheit im 16. Jahrhundert die Reformation annahmen und eine eigene kirchliche Gemeinschaft unter einem selbstgewählten geistlichen Oberhaupt bildeten.

Kronstadt-Brasso, evangelische Stadtpfarrkirche

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      Kronstadt-Brasso, evangelische Stadtpfarrkirche.

[305] Die fortgesetzten politischen und militärischen Kämpfe, die die Sachsen von der ersten Zeit an durch alle Jahrhunderte hindurch zu bestehen hatten, dienten dazu, ihre Gemeinschaft zu kräftigen. Zunächst, schon im 14. Jahrhundert, mußten sie in inneren Kämpfen einer gefährlichen Bestrebung aus der eigenen Mitte Herr werden, die dahin ging, daß einzelne, zu größerem Reichtum gelangte Männer darnach trachteten, Adelsrechte zu erwerben und die Volksgenossen in den Stand der Hörigkeit hinabzudrücken. Diese Bestrebung scheiterte nach
Kirchenburg Grossau

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      Kirchenburg Grossau.


Tartlauer Kirchenkastell (Inneres)

[364b]      Tartlauer Kirchenkastell (Inneres).

langem Kampfe an der freiheitlichen und demokratischen Gesinnung der Sachsen, die jene Ehrgeizigen aus ihrer Mitte hinausdrängten. Diese siedelten auf ihre außerhalb des Königsbodens erworbenen Güter über und verschmolzen im Laufe der Zeit mit dem ungarischen Adel. Die Volksgemeinschaft aber wurde durch ihren Sieg über die Adelsbestrebung in ihrer Freiheit und Unabhängigkeit und zugleich in ihrer Nationalität gerettet.

Kriegerisch waren die Sachsen zwar dem furchtbaren Ansturm der Mongolen nicht gewachsen, der um die Mitte des 13. Jahrhunderts über Osteuropa brauste und auch für Siebenbürgen ein schwerer Schlag wurde; aber mit großem Erfolg verteidigten sie vom Beginn des 15. Jahrhunderts an sich selbst und Siebenbürgen gegen zahlreiche Einfälle der Türken. Sie umgaben ihre Städte mit festen Ringmauern, deren einzelne Bastionen den verschiedenen Zünften zur Verteidigung übergeben wurden. Auf den Dörfern wurden die Kirchen mit Mauern umringt, in deren schützendes Bereich sich die Dorfbewohner beim Herannahen von türkischen Truppen flüchteten; diese Befestigungen, Kirchenkastelle genannt, sind noch vielfach in gutem Stand erhalten und rufen die Bewunderung der Beschauer hervor. Auch an offenen Feldschlachten beteiligten sich die sächsischen Kontingente wiederholt, so in der berühmten Türkenschlacht auf dem Brotfelde im westlichen Siebenbürgen im Jahre 1479.

Kirchenburg Buszd
[380b]      Kirchenburg Buszd.
Eingang zur Bauernburg Rosenau
[380a]      Eingang zur Bauernburg Rosenau.

Durch ihre friedliche Kulturarbeit rechtfertigten die Sachsen ebenfalls die Erwartungen, die die ungarischen Könige auf sie gesetzt hatten. In ihren Städten - in denen ein Nichtdeutscher sich nicht ansiedeln durfte - blühte das Gewerbe schon im 14. Jahrhundert so reich auf, daß sie sich mit Augsburg und Nürnberg messen konnten. Ihr Handel erstreckte sich auf die ganze Balkanhalbinsel und sogar bis nach Kleinasien hinein. Das Schulwesen der Sachsen ist ebenso alt, wie das der Deutschen in Deutschland; zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es schon so kräftig, daß jedes Dorf eine Schule hatte. In den Städten entstanden zu derselben Zeit die Lateinschulen, aus denen sich die zahlreichen, heute noch bestehenden Gymnasien entwickelt haben. In der Landwirtschaft wurden die Sachsen die Lehrmeister der Völker, mit denen sie zusammenwohnten.

In seinem schon erwähnten Buche faßt Boner nach einer eingehenden Darstellung der Geschichte der Sachsen sein Urteil über deren Verdienste um die Kultur in ihrem Vaterland in folgenden Sätzen zusammen (S. 119):

      "Wie groß die Lebenskraft dieses kleinen Häufleins Menschen, die gleichsam von einer Welle an einen fremden Strand gespült waren, sein muß, das haben die von uns verfolgten [306] Ereignisse genügend gezeigt. Es ist nur überraschend, daß sie nicht ganz zugrunde gegangen sind. Und so wie sie den Boden pflügten und eine Wüste fruchtbar machten, so haben sie dicht an der Grenze des zivilisierten Europa freie Einrichtungen gepflanzt und sie gepflegt, bis sie stark wurden. Das Volk, unter das ihr Schicksal sie gesetzt hat, verdankt ihnen mehr, als es bezahlen kann, denn sie waren es, die den Grund zu jener Freiheit und jenen Vorteilen gelegt haben, an denen heute alle miteinander teil haben. Seite an Seite mit der Freiheit haben sie aber stets die Autorität des Gesetzes aufrechterhalten und sich seinen Geboten unterworfen."

Boner hat bei dem Satz über die Dankespflicht des Volkes, unter dem die Sachsen wohnten, die Ungarn im Auge. Aber was er sagt, gilt in mindestens demselben Maße auch für die Rumänen. Diesen sind die Sachsen auf allen Gebieten der Kultur Lehrmeister geworden. Nirgends auf dem ganzen rumänischen Sprachgebiet steht der rumänische Bauer auf so hoher Kulturstufe, wie dort, wo er mit dem Sachsen auf dem ehemaligen Königsboden zusammenwohnt. Die sächsischen Vereine und Organisationen dienten den siebenbürgischen Rumänen als gern nachgeahmtes Vorbild. Auf Kosten eines sächsischen Gönners, des Barons Samuel von Brukenthal, wurde zu Ende des 18. Jahrhunderts George Lazar, der Mann, den das gesamte rumänische Volk als den Begründer seines Volksschulwesens, nach sächsischem Vorbild, feiert, erzogen und herangebildet. Ein Sachse, Jakob Rannicher, hat in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Kirchenverfassung der siebenbürgischen rumänisch-orthodoxen erzbischöflichen Diözese ausgearbeitet. Den größten Verlag für rumänische Volksbücher hat bis 1918 ein sächsischer Verleger, Wilhelm Krafft in Hermannstadt, geführt. Auch auf die Rumänen beziehen sich die Worte Boners: "Das Volk..... verdankt ihnen mehr, als es bezahlen kann". Und sie vergelten es leider sehr schlecht, wie wir noch sehen werden!

Die Türken haben bekanntlich anderthalb Jahrhunderte lang, von 1541 bis 1683, den mittleren Teil Ungarns besetzt gehalten. In dieser Zeit bildete Siebenbürgen ein eigenes Fürstentum unter türkischer Oberhoheit. In diesem hatten die Sachsen als "dritter Landstand" eine wichtige staatsrechtliche Stellung inne, die sie auch nach der Unterwerfung ganz Ungarns unter die Herrschaft der Habsburger bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein behielten. Diese Stellung wurde vom ungarischen Adel oft angefochten. Als dann von den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts an das nationale Bewußtsein der Ungarn sich kraftvoll erhob, begann für die Sachsen der Kampf um ihre Sprache als eine neue Form ihres alten Daseinskampfes. Er erreichte seinen Höhepunkt, als sich nach Wiedererlangung der selbständigen Staatlichkeit das neue Ungarn seit 1867 von dem Bestreben leiten ließ, die fremdnationalen Völker auf seinem Gebiet zu madjarisieren. Schon 1876 fiel die alte Sonderverfassung der Sachsen der modernen Staatsidee zum Opfer; der Königsboden wurde in ungarische Komitate (Verwaltungsbezirke) eingeteilt und die alte Verwaltungsbehörde der Sachsen, die "Sächsische Universität" (die keine Hochschule, sondern eine Verwaltungs- und gerichtliche Einheit bedeutet) wurde zu [307] einer Körperschaft herabgedrückt, die keine andere Aufgabe hatte, als das uralte, auf Schenkungen der ungarischen Könige bestehende Nationalvermögen in solcher Art zu verwalten, daß fortan auch die Ungarn und die Rumänen daran teil hatten. Dann machte der ungarische Staat Eingriffe in das Schulwesen der Sachsen, die zwar nur darin bestanden, daß die Schulen der Sachsen unter staatliche Kontrolle kamen und die Erlernung der ungarischen Sprache gefordert wurde, von den Sachsen aber doch als Einschränkung ihrer früheren Kulturfreiheit schwer empfunden wurden. Nach jahrelangen heftigen parlamentarischen Kämpfen, in denen die Sachsen auch die Vorkämpfer der Rumänen wurden, schlossen sie im Jahre 1890 ihren Frieden mit der ungarischen Regierung, die ihrerseits zur Erkenntnis kam, daß die Sachsen nicht madjarisiert werden könnten, aber auch als Fremdvolk ohne alle irredentistischen Bestrebungen wertvolle Glieder des ungarischen Staates seien. Es ist richtig, daß die Sachsen von dieser Zeit an schonungsvoll behandelt wurden, hauptsächlich weil die Ungarn in ihnen Stützpunkte gegen die großrumänische Bewegung sahen. Aber es ist festzustellen, daß die Sachsen ihre Vorzugsstellung niemals dazu ausnützten, Angeber und Scharfmacher gegen die Rumänen zu sein. Sie lehnten es zwar ab, mit den Rumänen ein politisches Bündnis gegen die Ungarn einzugehen, aber bei jeder Gelegenheit, wo von Budapest her gegen die kulturelle Entwicklungsfreiheit der Nationalitäten Angriffe unternommen wurden, haben sie auch nach dem Jahre 1890 ihr Recht mit aller Entschiedenheit verteidigt und sind dabei auch ohne formelle Abmachungen die Bundesgenossen der Rumänen gewesen, so zuletzt noch im Jahre 1907, als der damalige Unterrichtsminister Graf Albert Apponyi eine wesentliche Verschärfung des seit 1879 bestehenden Gesetzes über den madjarischen Sprachunterricht in den konfessionellen Volksschulen im Parlament durchsetzte.

Die Sachsen haben in den letzten Jahrzehnten vor 1918 mancherlei Beschwerden gegen die ungarische Politik erhoben. Aber vom Standpunkt der Gegenwart aus gesehen, erscheint vieles von den Übeln, über die sie sich ehedem beklagten, belanglos und geringfügig im Vergleich zu der Behandlung, der die Sachsen mit den übrigen nationalen Minderheiten heute ausgesetzt sind. Es ist bezeichnend hierfür, daß ein sächsisches Blatt vor kurzem bei einem Vergleich zwischen früher und heute die Worte des Königs Rehabeam zitierte: "Mein Vater hat euch mit Peitschen gezüchtigt, ich aber will euch mit Skorpionen züchtigen."

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Das Versailler Diktat.
Vorgeschichte, Vollständiger Vertragstext, Gegenvorschläge der deutschen Regierung


Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, Kapitel "Die Siebenbürger Sachsen."

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Deutschtum in Not!
Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches.
Paul Rohrbach