[302]
Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil
7)
Das Deutschtum im früheren und im jetzigen Ungarn (Teil
4)
Siebenbürgisch-sächsische
Geschichte
Seit Jahrhunderten sind die Sachsen in Siebenbürgen eine geschlossene
Volkseinheit, die politisch und kulturell so scharf durchgebildet und zugleich von
einem so lebhaften Gefühl der Zusammengehörigkeit durchdrungen
ist, daß in der ungarischen Zeit den Sachsen öfter der Vorwurf
gemacht wurde, sie sonderten sich von der übrigen Bevölkerung ab
und seien bestrebt, einen Staat im Staate zu bilden. Nicht nur ihre Sprache,
sondern auch alle ihre sonstigen Eigenheiten sind deutsch. Ein rumänischer
Gelehrter und Politiker, Nikolaus Jorga, der lebhafte Sympathien für das
Sachsenvolk hegt, aber ein entschiedener Gegner Deutschlands ist, hat behauptet,
die Sachsen seien gar keine Deutschen, sondern eher "deutschsprechende
Franzosen". Er begründet diese Behauptung damit, daß die Sachsen
bei Anwendung von Blutreaktionsversuchen moderner Art nahezu denselben
Index zeigen wie die Franzosen. Das mag richtig sein, aber wenn es richtig ist, so
rührt es nur daher, daß die Sachsen, trotz ihres Namens,
ursprünglich Franken aus dem Moselgebiet sind und ihre nächsten
Stammverwandten im heutigen Luxemburg haben, also in der Nachbarschaft von
Nordfrankreich, wohin gleichfalls viele germanische Franken eingewandert sind.
Ihre geistige Kultur ist ebenso deutsch wie ihr deutsches Bewußtsein, und
gerade auf Grund ihres Selbstgefühls als Deutsche heben sie sich scharf von
den anderen Nationalitäten ab, deren Nachbarn sie sind.
Die Sachsen, an Zahl etwa 230 000 Seelen, wohnen zum größeren
Teil im Süden von Siebenbürgen, in den Verwaltungsbezirken
(Komitaten) Hermannstadt (rumänisch: Sibiiu), Großkokeln
(Târnava mare), Kleinkokeln (Târnava mica) und
Kronstadt (Brasov). Kleinere Bruchteile wohnen auch im Norden
Siebenbürgens, bei Bistritz (Bistritia) und
Sächsisch-Regen (Reghinul sasesc). Der sozialen Gliederung nach
sind sie zu etwa 80% Bauern und zu 20% Bürger in den von ihnen
gegründeten acht Städten Hermannstadt (Sibiiu), Kronstadt
(Brasov), Schäßburg (Sighisoara), Mediasch
(Medias), Mühlbach (Sebesul sasesc), Broos
(Orastie), Bistritz (Bistritia) und
Sächsisch-Regen (Reghinul sasesc). Einen Adel und
Großgrundbesitz haben sie nicht. Ihre führende Schicht ist gebildeter
Mittelstand: Pfarrer, Lehrer, Rechtsanwälte, größere Kaufleute
und Fabrikanten, Ingenieure und Bankbeamten. Sie bilden eine durchaus
demokratische Gemeinschaft und rühren sich in einer kräftigen
demokratischen Gesinnung, die jederzeit für das Volk und durch das Volk
tätig ist.
[348b]
Siebenbürgisch-sächsischer Bauer
beim Pflügen.
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[364a]
Andacht in einer
siebenbürgischen Dorfkirche. |
[356a]
Sächsisches Bauernhaus in Klein-Scheuern.
[372a]
Siebenbürgisch-sächsische Bauernstube.
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[303] Um die Sachsen in
ihrer Individualität zu verstehen und zugleich die rätselhafte
Erscheinung zu begreifen, wie sie sich als ein so kleines Volk, getrennt von ihren
Stammesgenossen und von zahlreicheren fremden Völkern
(Rumänen und Ungarn) rings umgeben, in ihrer Eigenart erhalten konnten,
ist es notwendig, einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen.
Die Sachsen haben sich von jeher mit Stolz darauf berufen, daß sie nicht als
zufällige Einwanderer ins Land gekommen sind, sondern in Verfolg einer
planmäßigen Ansiedlungspolitik der altungarischen Könige im
12. und 13. Jahrhundert. Es ist fraglich, ob es zur Zeit der Einwanderung
der Sachsen eine nennenswerte Anzahl Rumänen in Siebenbürgen
gegeben hat, und wenn es der Fall war, ob sie irgendwie national und kulturell
organisiert waren. Selbst wenn die geschichtliche Behauptung der Rumänen
richtig ist, daß die Madjaren bei der Besetzung des nachher von ihnen
beherrschten Gebietes in Siebenbürgen ein rumänisches
Fürstentum zerstört haben, so scheint doch festzustehen, daß
im 12. Jahrhundert im Süden Siebenbürgens keinerlei
staatliche oder staatsähnliche Gestaltung bestand. Darauf deutet der in den
damaligen Urkunden gebrauchte Ausdruck "desertum" hin, der,
wenngleich nicht geradezu als Wüste, so doch als schwach besiedeltes Land
ohne staatliche Einrichtungen zu verstehen ist. Die Aufgabe der
moselfränkischen Ansiedler war es, diese verlassenen Landstriche zu
zivilisieren, ihre organische Angliederung an das ungarische Reich zu
ermöglichen und sie zu einem Schutz für dieses zu machen. Wenn
Deutsche hierzu gewählt wurden, so geschah es, weil das ungarische Volk
dazu an Zahl zu schwach war und die etwaigen Ureinwohner
Siebenbürgens keine Kulturfähigkeit besaßen, die Deutschen
aber gerade damals das Kolonistenvolk par excellence waren. Die
moselfränkischen Ansiedler in Siebenbürgen dienten somit dem
Prinzip des Landerwerbs durch Kultur. Wenn diesem gegenüber von
rumänischer Seite das Prinzip der Priorität, des
Früher-Dagewesenseins, betont wird, so widerspricht dies der Entwicklung
der Zivilisation. Danach müßten sich auch die Engländer auf
ihre Insel zurückziehen, auch da nur geduldet von den direkteren
Nachkommen der Kelten, und müßten das durch ihre Kulturkraft
geschaffene Weltreich Halbwilden, rückständigen oder
rückentwickelten Völkern überlassen.
Die Ansiedler sind von allem Anfang an auf Grund genau festgesetzter
Vereinbarungen nach Siebenbürgen gekommen. Auch dies wird heute noch
von ihren Nachkommen besonders hervorgehoben. Dieser Umstand hat in der Tat
ihre Erhaltung ermöglicht. Sie wurden im Besitz ihres an der Person
haftenden Landesrechtes ausdrücklich bestätigt, d. h. sie
behielten ihre Freiheit und wurden von selbstgewählten Richtern nach dem
Recht ihrer Heimat verwaltet und gerichtet. Hierdurch erhielten sie eine
Sonderstellung im fremden Lande, die man mit der diplomatischen
Exterritorialität vergleichen könnte. Die ganze Geschichte der
Sachsen in Siebenbürgen ist von dem Kampf um das
vertragsmäßig gesicherte alte Recht erfüllt. Diese
Kämpfe waren für sie eine politische Schule, deren Früchte sie
heute noch genießen. Zugleich [304] sind die Sachsen,
indem sie vertragsmäßig ihre eigenen Angelegenheiten selbst
verwalteten, die überzeugtesten Anhänger der Selbstverwaltung
geworden. Ein Engländer, der vor sechzig Jahren Siebenbürgen
bereist und ein Buch darüber geschrieben hat, Charles Boner
(Transylvania, its products and its people, London 1865) bemerkt
hierüber (S. 202):
"Ein Studium des sächsischen
Charakters und der Sitten ist nicht das am wenigsten Interessante, dem der
Reisende in Siebenbürgen seine Beachtung schenken kann. Wenn er das
tut, wird er einen Fonds von gesundem Gemeinsinn, von praktischen
Fähigkeiten, ein Talent für Selbstverwaltung und einen gesunden
moralischen Sinn entdecken, der das ganze System des politischen und sozialen
Lebens durchdringt. Er wird darüber sicherlich überrascht sein und
ihm seine Bewunderung nicht versagen können."
[356b]
Kirchenkastell in Probsdorf.
[356b]
Dorfkirche in Durlos in Siebenbürgen.
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Ein anderer glücklicher Umstand für die Sachsen war, daß ihr
Interesse mit dem der ungarischen Könige insoweit zusammenfiel, als den
letzteren daran lag, daß die Sachsen eine geschlossene kräftige
Einheit bildeten. Bekanntlich hat sich im 13. Jahrhundert das
Verhältnis zwischen dem Königtum und dem Adel in Ungarn
ähnlich gestaltet wie in England; der Magna Charta von 1215
entspricht die ungarische Bulla Aurea von 1222. Die Sachsen in
Siebenbürgen, sowie auch andere Ansiedler auf dem Gebiet des
ungarischen Reichs, standen in einem persönlichen Verhältnis zum
König; ihr Siedlungsgebiet trug den Namen "Königsboden"
(fundus regius); sie waren nicht der Gerichtsbarkeit der hohen
Reichsbeamten unterworfen, sondern standen mit ihren eigenen Beamten
unmittelbar unter dem König, dem sie auch ihre Steuern abzuführen
und ihre Kriegsdienstleistungen zu erstatten hatten. Sie waren somit eine
Stütze des Königtums, was in dem ihnen verliehenen Wahlspruch
"ad retinendam coronam" zum Ausdruck gebracht wurde. Um diese
Stütze kräftig zu erhalten, sprach König Andreas II. in
einer Urkunde vom Jahre 1224, die eine zusammenfassende
Neubestätigung der Rechte der Sachsen enthielt, die Vereinheitlichung des
Rechtszustandes sämtlicher deutscher Ansiedlergruppen in
Siebenbürgen und ihre Vereinigung zu einem einzigen Volke aus: Unus
sit populus! So kam das Interesse des Königs dem Einheitsstreben der
Sachsen selbst in glücklichster Weise entgegen. Wenn die den Sachsen
gewährten Rechtsverleihungen eine politische Tendenz hatten, so war diese
nur gegen den ungarischen Adel gerichtet, auf keinen Fall aber gegen die im
Lande vorhandenen Rumänen, die als politischer Faktor damals und noch
lange nachher nicht in Betracht kamen.
[332a]
Kirchenburg Birthälm in Siebenbürgen.
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Auf kirchlichem Gebiete erhielten die Ansiedler eine ähnliche
Unabhängigkeit wie auf politischem, was darin zum Ausdruck kam,
daß sie sich ihre Pfarrer selbst wählten und ihnen, nicht dem
Bischof, - der seinen Sitz in Weißenburg (Alba Julia) hatte
und in der Regel ein Ungar war - den Zehnten entrichteten. Volle
Selbständigkeit errangen die Sachsen in kirchlicher Beziehung jedoch erst,
als sie in ihrer Gesamtheit im 16. Jahrhundert die Reformation annahmen
und eine eigene kirchliche Gemeinschaft unter einem selbstgewählten
geistlichen Oberhaupt bildeten.
[388a]
Kronstadt-Brasso, evangelische Stadtpfarrkirche.
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[305] Die fortgesetzten
politischen und militärischen Kämpfe, die die Sachsen von der ersten
Zeit an durch alle Jahrhunderte hindurch zu bestehen hatten, dienten dazu, ihre
Gemeinschaft zu kräftigen. Zunächst, schon im
14. Jahrhundert, mußten sie in inneren Kämpfen einer
gefährlichen Bestrebung aus der eigenen Mitte Herr werden, die dahin ging,
daß einzelne, zu größerem Reichtum gelangte Männer
darnach trachteten, Adelsrechte zu erwerben und die Volksgenossen in den Stand
der Hörigkeit hinabzudrücken. Diese Bestrebung scheiterte nach
[380b]
Kirchenburg Grossau.
[364b]
Tartlauer Kirchenkastell (Inneres).
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langem Kampfe an der freiheitlichen und demokratischen Gesinnung der Sachsen,
die jene Ehrgeizigen aus ihrer Mitte hinausdrängten. Diese siedelten auf
ihre außerhalb des Königsbodens erworbenen Güter
über und verschmolzen im Laufe der Zeit mit dem ungarischen Adel. Die
Volksgemeinschaft aber wurde durch ihren Sieg über die Adelsbestrebung
in ihrer Freiheit und Unabhängigkeit und zugleich in ihrer
Nationalität gerettet.
Kriegerisch waren die Sachsen zwar dem furchtbaren Ansturm der Mongolen
nicht gewachsen, der um die Mitte des 13. Jahrhunderts über
Osteuropa brauste und auch für Siebenbürgen ein schwerer Schlag
wurde; aber mit großem Erfolg verteidigten sie vom Beginn des
15. Jahrhunderts an sich selbst und Siebenbürgen gegen zahlreiche
Einfälle der Türken. Sie umgaben ihre Städte mit festen
Ringmauern, deren einzelne Bastionen den verschiedenen Zünften zur
Verteidigung übergeben wurden. Auf den Dörfern wurden die
Kirchen mit Mauern umringt, in deren schützendes Bereich sich die
Dorfbewohner beim Herannahen von türkischen Truppen flüchteten;
diese Befestigungen, Kirchenkastelle genannt, sind noch vielfach in gutem Stand
erhalten und rufen die Bewunderung der Beschauer hervor. Auch an offenen
Feldschlachten beteiligten sich die sächsischen Kontingente wiederholt, so
in der berühmten Türkenschlacht auf dem Brotfelde im westlichen
Siebenbürgen im Jahre 1479.
[380b]
Kirchenburg Buszd.
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[380a]
Eingang zur Bauernburg Rosenau. |
Durch ihre friedliche Kulturarbeit rechtfertigten die Sachsen ebenfalls die
Erwartungen, die die ungarischen Könige auf sie gesetzt hatten. In ihren
Städten - in denen ein Nichtdeutscher sich nicht ansiedeln
durfte - blühte das Gewerbe schon im 14. Jahrhundert so reich
auf, daß sie sich mit Augsburg und Nürnberg messen konnten. Ihr
Handel erstreckte sich auf die ganze Balkanhalbinsel und sogar bis nach
Kleinasien hinein. Das Schulwesen der Sachsen ist ebenso alt, wie das der
Deutschen in Deutschland; zu Beginn des 16. Jahrhunderts war es schon so
kräftig, daß jedes Dorf eine Schule hatte. In den Städten
entstanden zu derselben Zeit die Lateinschulen, aus denen sich die zahlreichen,
heute noch bestehenden Gymnasien entwickelt haben. In der Landwirtschaft
wurden die Sachsen die Lehrmeister der Völker, mit denen sie
zusammenwohnten.
In seinem schon erwähnten Buche faßt Boner nach einer eingehenden
Darstellung der Geschichte der Sachsen sein Urteil über deren Verdienste
um die Kultur in ihrem Vaterland in folgenden Sätzen zusammen
(S. 119):
"Wie groß die Lebenskraft
dieses kleinen Häufleins Menschen, die gleichsam von einer Welle an einen
fremden Strand gespült waren, sein muß, das haben die von uns
verfolgten [306] Ereignisse
genügend gezeigt. Es ist nur überraschend, daß sie nicht ganz
zugrunde gegangen sind. Und so wie sie den Boden pflügten und eine
Wüste fruchtbar machten, so haben sie dicht an der Grenze des zivilisierten
Europa freie Einrichtungen gepflanzt und sie gepflegt, bis sie stark wurden. Das
Volk, unter das ihr Schicksal sie gesetzt hat, verdankt ihnen mehr, als es bezahlen
kann, denn sie waren es, die den Grund zu jener Freiheit und jenen Vorteilen
gelegt haben, an denen heute alle miteinander teil haben. Seite an Seite mit der
Freiheit haben sie aber stets die Autorität des Gesetzes aufrechterhalten und
sich seinen Geboten unterworfen."
Boner hat bei dem Satz über die Dankespflicht des Volkes, unter dem die
Sachsen wohnten, die Ungarn im Auge. Aber was er sagt, gilt in mindestens
demselben Maße auch für die Rumänen. Diesen sind die
Sachsen auf allen Gebieten der Kultur Lehrmeister geworden. Nirgends auf dem
ganzen rumänischen Sprachgebiet steht der rumänische Bauer auf so
hoher Kulturstufe, wie dort, wo er mit dem Sachsen auf dem ehemaligen
Königsboden zusammenwohnt. Die sächsischen Vereine und
Organisationen dienten den siebenbürgischen Rumänen als gern
nachgeahmtes Vorbild. Auf Kosten eines sächsischen Gönners, des
Barons Samuel
von Brukenthal, wurde zu Ende des 18. Jahrhunderts
George Lazar, der Mann, den das gesamte rumänische Volk als den
Begründer seines Volksschulwesens, nach sächsischem Vorbild,
feiert, erzogen und herangebildet. Ein Sachse, Jakob Rannicher, hat in den
sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Kirchenverfassung der
siebenbürgischen rumänisch-orthodoxen erzbischöflichen
Diözese ausgearbeitet. Den größten Verlag für
rumänische Volksbücher hat bis 1918 ein sächsischer
Verleger, Wilhelm Krafft in Hermannstadt, geführt. Auch auf die
Rumänen beziehen sich die Worte Boners: "Das Volk..... verdankt ihnen
mehr, als es bezahlen kann". Und sie vergelten es leider sehr schlecht, wie wir
noch sehen werden!
Die Türken haben bekanntlich anderthalb Jahrhunderte lang, von 1541 bis
1683, den mittleren Teil Ungarns besetzt gehalten. In dieser Zeit bildete
Siebenbürgen ein eigenes Fürstentum unter türkischer
Oberhoheit. In diesem hatten die Sachsen als "dritter Landstand" eine wichtige
staatsrechtliche Stellung inne, die sie auch nach der Unterwerfung ganz Ungarns
unter die Herrschaft der Habsburger bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts
hinein behielten. Diese Stellung wurde vom ungarischen Adel oft angefochten.
Als dann von den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts an das nationale
Bewußtsein der Ungarn sich kraftvoll erhob, begann für die Sachsen
der Kampf um ihre Sprache als eine neue Form ihres alten Daseinskampfes. Er
erreichte seinen Höhepunkt, als sich nach Wiedererlangung der
selbständigen Staatlichkeit das neue Ungarn seit 1867 von dem Bestreben
leiten ließ, die fremdnationalen Völker auf seinem Gebiet zu
madjarisieren. Schon 1876 fiel die alte Sonderverfassung der Sachsen der
modernen Staatsidee zum Opfer; der Königsboden wurde in ungarische
Komitate (Verwaltungsbezirke) eingeteilt und die alte Verwaltungsbehörde
der Sachsen, die "Sächsische Universität" (die keine Hochschule,
sondern eine
Verwaltungs- und gerichtliche Einheit bedeutet) wurde zu [307] einer
Körperschaft herabgedrückt, die keine andere Aufgabe hatte, als das
uralte, auf Schenkungen der ungarischen Könige bestehende
Nationalvermögen in solcher Art zu verwalten, daß fortan auch die
Ungarn und die Rumänen daran teil hatten. Dann machte der ungarische
Staat Eingriffe in das Schulwesen der Sachsen, die zwar nur darin bestanden,
daß die Schulen der Sachsen unter staatliche Kontrolle kamen und die
Erlernung der ungarischen Sprache gefordert wurde, von den Sachsen aber doch
als Einschränkung ihrer früheren Kulturfreiheit schwer empfunden
wurden. Nach jahrelangen heftigen parlamentarischen Kämpfen, in denen
die Sachsen auch die Vorkämpfer der Rumänen wurden, schlossen
sie im Jahre 1890 ihren Frieden mit der ungarischen Regierung, die ihrerseits zur
Erkenntnis kam, daß die Sachsen nicht madjarisiert werden könnten,
aber auch als Fremdvolk ohne alle irredentistischen Bestrebungen wertvolle
Glieder des ungarischen Staates seien. Es ist richtig, daß die Sachsen von
dieser Zeit an schonungsvoll behandelt wurden, hauptsächlich weil die
Ungarn in ihnen Stützpunkte gegen die großrumänische
Bewegung sahen. Aber es ist festzustellen, daß die Sachsen ihre
Vorzugsstellung niemals dazu ausnützten, Angeber und Scharfmacher
gegen die Rumänen zu sein. Sie lehnten es zwar ab, mit den
Rumänen ein politisches Bündnis gegen die Ungarn einzugehen, aber
bei jeder Gelegenheit, wo von Budapest her gegen die kulturelle
Entwicklungsfreiheit der Nationalitäten Angriffe unternommen wurden,
haben sie auch nach dem Jahre 1890 ihr Recht mit aller Entschiedenheit verteidigt
und sind dabei auch ohne formelle Abmachungen die Bundesgenossen der
Rumänen gewesen, so zuletzt noch im Jahre 1907, als der damalige
Unterrichtsminister Graf Albert Apponyi eine wesentliche Verschärfung
des seit 1879 bestehenden Gesetzes über den madjarischen Sprachunterricht
in den konfessionellen Volksschulen im Parlament durchsetzte.
Die Sachsen haben in den letzten Jahrzehnten vor 1918 mancherlei Beschwerden
gegen die ungarische Politik erhoben. Aber vom Standpunkt der Gegenwart aus
gesehen, erscheint vieles von den Übeln, über die sie sich ehedem
beklagten, belanglos und geringfügig im Vergleich zu der Behandlung, der
die Sachsen mit den übrigen nationalen Minderheiten heute ausgesetzt sind.
Es ist bezeichnend hierfür, daß ein sächsisches Blatt vor
kurzem bei einem Vergleich zwischen früher und heute die Worte des
Königs Rehabeam zitierte: "Mein Vater hat euch mit Peitschen
gezüchtigt, ich aber will euch mit Skorpionen züchtigen."
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