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Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil 8)

Das Deutschtum im früheren und im jetzigen Ungarn (Teil 5)

Das Zipser Sachsenvolk

Dem Zuge der Westkarpathen ist auf der südlichen ungarischen Seite ein mächtiges Gebirgsmassiv vorgelagert, das seinen Namen, die Hohe Tatra, nicht umsonst führt, denn sie hat in der Tat mehr den Charakter eines Hoch- als eines Mittelgebirges. Unmittelbar nördlich von der Tatra befindet sich im Zuge der eigentlichen Karpathen eine schmale, von Norden nach Süden quer hindurchreichende Einsenkung. Westlich davon heißt das Gebirge die Beskiden; östlich beginnt der Karpathenname. Durch die
Die Hohe Tatra

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      Die Hohe Tatra.
Talsenke fließt der Poprad, ein Nebenfluß des im Weltkriege bekanntgewordenen Dunajec, der im karpathischen Vorgelände in die Weichsel mündet. Der Poprad hat sein Tal so weit nach rückwärts eingegraben, daß seine Quelle am Südabhang der Hohen Tatra entspringt, in unmittelbarer Nachbarschaft des Quellgebiets der Waag, der Gran und der nördlichen Zuflüsse der Theiß. Die Täler aller dieser Flüsse bilden ebenso viele konzentrisch gerichtete natürliche Verbindungslinien, die sich alle von Süden her am Fuß der Hohen Tatra gerade an der Stelle vereinigen, wo der Poprad-Durchbruch durch die Karpathen beginnt. Dies war der Grund, weswegen die ungarischen Könige, wie oben bereits bemerkt, den Wunsch haben mußten, den Paß und die ganze ihm südlich vorgelagerte Gegend auf besondere Weise zu sichern. Zur Sicherung gehörten erstens feste Plätze, zweitens aber Menschen, um sie zu besetzen und zu verteidigen. Kein Madjare liebt es, im Gebirge zu wohnen, mageren Boden zu bebauen und von Mauern aus zu fechten. Auch mit Garnisonen allein war es nicht getan. Nichts war daher natürlicher, als daß Deutsche herbeigerufen wurden, um hier ebenso wie in Siebenbürgen feste Ortschaften und Burgen zu bauen, vor allen Dingen aber das Land zu besiedeln und durch sich selber eine feste Grenzwehr zu bilden. Woher der Name Zips für die aus verschiedenen Talgebieten zusammengesetzte Landschaft am Oberlauf des Popradflusses stammt, ist nicht bekannt. Das Zipser Sachsenvolk aber ist ebenso alt wie das Siebenbürger, denn wahrscheinlich hat die deutsche Besiedelung der Landschaft gleichfalls schon unter König Geisa II. (1142 - 1162) begonnen.

König Geisa hatte ein Bündnis mit Heinrich dem Löwen, dem welfischen Herzog von Sachsen. Von dort kam ihm ein Zuzug niederdeutscher Ansiedler, die sich am rechten Ufer des Poprad-Flusses - deutsch Popper genannt - niederließen. Unter König Béla III. (1173 - 1196) wanderten Mitteldeutsche, besonders Schlesier, in die Zips ein. Unter König Emerich (1196 - 1204) schlossen sich schon zwölf [309] Zipser Städte zu einem Bunde zusammen. Auch tirolische Adlige, die mit der Gemahlin des Königs Andreas II., Gertrud von Meran, nach Ungarn kamen, erhielten Schenkungen in der Zips. Unter ihnen war Rüdiger von
Leutschau, Rathaus und Dom, moderne Ansicht

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      Leutschau, Rathaus und Dom:
moderne Ansicht.
Deutsch-Matrei, der Ahnherr der späteren ungarischen Magnatenfamilie Berzeviczy. Der Hauptstrom deutscher Kolonisten kam aber wohl erst nach dem Mongolensturm von 1241, und zwar überwiegend aus Schlesien und Thüringen, wie die Oberzipser Mundart und die Ortsnamen bezeugen. Im Jahre 1245 wurde Leutschau im Hernadtal als Vorort der Zipser Städte erbaut. Gerade dieser Teil des ursprünglichen Groß-Zipser Gebiets ist aber später dem Deutschtum verloren gegangen und fast ganz von Slawen bevölkert worden. Drei Jahre später hören wir, daß die Bruderschaft (Fraternität) der Pfarrer in den vierundzwanzig königlichen Städten der Zips erneuert wird. Aus dem Jahre 1271 stammt der Freiheitsbrief König Stephans V., in dem den Zipsern außergewöhnliche Rechte zugestanden werden. Wie stark die Zipser Sachsen waren, das beweist die Schlacht bei Rozgony im Jahre 1312. Dort schlug der König Karl Robert von Ungarn aus dem Hause Anjou den übermütigen Gewaltherrn Mathias Csák von Trentschin dank der tapferen Unterstützung des Zipser Heerbannes, den Stephan, der Sohn des Sachsengrafen Elias, führte.
Göllnitz: moderne Ansicht

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      Göllnitz: moderne Ansicht.


Blick auf Schmöllnitz: moderne Ansicht

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Moderne Ansicht: Blick auf Einsiedel an der Göllnitz

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Blick auf Einsiedel an der Göllnitz.

Zum Dank dafür bestätigte ihnen der König durch eine in deutscher Sprache geschriebene Urkunde ihr "Freytumb auf ewige Zeiten" und versprach ihnen, daß kein "gesetzter", d. h. ernannter Graf sie richten dürfe, sondern nur ihr selbst gewählter Graf und Burggraf, samt dem Untergrafen und Landgrafen nach ihrem eigenen Rechte. In dieser Urkunde werden 43 bewohnte deutsche Orte in der Zips genannt. Der Landgraf, der ihr Oberrichter war, hatte seinen Sitz in Leutschau. Um ihn versammelten sich die Richter, Geschworenen und Ältesten des Zipser Landes, um für alle seine Orte gültige Beschlüsse zu fassen, so z. B. die Zipser "Willkür" von 1370.

Das 14. Jahrhundert war die Blütezeit der Zips, in der es außer den erwähnten 43 Orten noch königliche und herrschaftliche "Freidörfer" gab. Einzelne Orte erhielten Privilegien als königliche Freistädte. Kaiser Sigismund, König von Ungarn, verpfändete in seiner Geldverlegenheit 13 Zipser Städte sowie 3 königliche Burgen an das Königreich Polen, eine Tat, die dem Zipser Deutschtum den schwersten Schlag versetzte. Das deutsche Bürgertum konnte nun dem Adel keinen Widerstand mehr leisten, die meisten Städte wurden zu Dörfern, nur wenige wie Leutschau und Kesmark konnten sich als freie Städte behaupten; viele Orte wurden slawisch, und vor allen Dingen wurde durch die Slawisierung des Hernadtales das Gründnergebiet oder die Unterzips mit den Städten Göllnitz, Schmöllnitz, Einsiedel und anderen von der Oberzips oder eigentlichen Zips getrennt. Seit dem 17. Jahrhundert kam ein arger Verfall über die deutsche Zips. Daß sich dort das Deutschtum trotzdem erhalten hat, durch Fleiß und Sparsamkeit sich heraufgearbeitet hat, beweist die unverwüstliche Kraft des deutschen Volkstums. Es ist aber bezeichnend für die [310] damaligen Verhältnisse, daß sich in den an Polen verpfändet gewesenen Teilen das Deutschtum besser gehalten hat als in den ungarisch gebliebenen. Eine Besserung brachte der Rückfall der verpfändeten Städte an Ungarn bei der ersten Teilung Polens im Jahre 1772. Maria Theresia bestätigte ihnen ihre Freiheit, und unter Josef II. kam mit der religiösen Toleranz ein neuer Aufschwung.

Ansichtskarte: Kesmark, Hauptplatz

[Bildarchiv Scriptorium]      Ansichtskarte: Kesmark, Hauptplatz.


Kesmark, Stammschloß der Tökölys

[Bildarchiv Scriptorium]      Kesmark, Stammschloß der Tökölys.

Der heutige Hauptort der Zips ist das Städtchen Kesmark. Das Kesmarker Gebiet wurde von der Verpfändung an Polen nicht mit betroffen, und der bei Ungarn verbliebene Teil des Zipser Sachsenvolkes hat an den Wirrnissen der ungarischen Geschichte während der beiden türkischen Jahrhunderte, dem 16. und 17., einen sehr lebhaften Anteil genommen. Oberungarn, von dem die Zips geographisch ein Stück ausmacht, lag nicht direkt unter der Türkenherrschaft, wurde aber von den Türken und den Kaiserlichen unter Teilnahme eingeborener Magnaten umkämpft. Eine solche Magnatenfamilie waren die Tökölys, deren Stammschloß noch heute dicht bei der Stadt Kesmark erhalten ist. Der berühmteste von ihnen war Graf Emerich Tököly, geboren 1657 in Schloß Kesmark, zu dem auch die Stadt treu gehalten und um derentwillen sie viel Ungemach ausgestanden hat. Emerich Tököly war Protestant und kämpfte mit den Türken gegen den Kaiser, nicht nur aus Ehrgeiz, sondern auch um seinen Glaubensgenossen in Oberungarn religiöse Erleichterungen vom Hause Habsburg zu verschaffen. Vorübergehend wurde er sogar als türkischer Vasallenfürst Titularkönig von Ungarn, dann Großfürst von Siebenbürgen unter türkischer Oberhoheit. Nach den großen Niederlagen der Türken in Ungarn mußte er ins Exil fliehen und starb 1705 auf einem Besitz, den ihm der Sultan geschenkt hatte, bei Ismid (Nikomedien) in Kleinasien. Zweihundert Jahre nach seinem Tode wurden seine Gebeine in die Heimat gebracht und in der protestantischen Kirche in Kesmark bestattet. Nach der Niederlage Tökölys und der Vertreibung der Ungarn kamen für die protestantischen Zipser die schlechtesten Tage, doch hielt sich das kleine Volk tapfer bei seinem Bekenntnis. In Kesmark durften die Evangelischen sich nur vor der Stadtmauer eine hölzerne Kirche bauen, ohne Fundament, ohne Turm und ohne Glocke. Diese Kesmarker Holzkirche besteht bis heute.

Dorfkirche, Schwedler in der Zips: moderne Ansicht

[Wikipedia]
      Dorfkirche, Schwedler in der Zips: moderne Ansicht.
Das Zipser Sachsenvolk zählt jetzt noch etwa 45 000 Seelen. Es hat mit den Siebenbürger Sachsen gemein, daß es trotz seiner Kleinheit ein wirkliches Volk ist, mit einer vollständigen beruflich-ständischen Schichtung vom Bauerntum über das städtische Bürgertum bis zu den freien und gelehrten Berufen. So hat es sich - eine erstaunliche Leistung bei seiner Kleinheit und seinen Schicksalen - durch mehr als siebenhundert Jahre erhalten; und nicht nur das, sondern es hat außerdem noch eine so große Fülle von Begabungen hervorgebracht, daß im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein unverhältnismäßig großer Teil der führenden Schicht in Ungarn von Zipser Herkunft war und es vielfach heute noch ist. Da das Stammesgebiet der Zipser noch viel kleiner und enger war als das siebenbürgisch-sächsische, so blieb den Zipsern, die es zu etwas bringen wollten, nichts anderes [311] übrig, als nach Ungarn auszuwandern. Damit war ihr Schicksal der Madjarisierung gegeben, und diese griff schließlich durch Einführung des madjarischen Unterrichts in den Zipser Schulen auch auf das Zipser Land selbst zurück. Man erstaunt, wenn man in Ungarn erfährt, wieviele Angehörige der heutigen ungarischen "Intelligenz" Zipser sind. Das Zipser Deutschtum als
Die Zipser Burg

Die Zipser Burg

[Wikipedia]

Blick von der Burg in die Zipser Landschaft

Blick von der Burg in die Zipser Landschaft
solches aber schien dem Verschwinden geweiht, denn schon war das Madjarische bei der deutschen Oberschicht in den Ortschaften der Zips im Begriff, die Umgangssprache zu werden. Da wurde diese Entwicklung durch die Lostrennung Oberungarns vom ungarischen Staate und die Vereinigung mit der Tschechoslowakei unterbrochen. Die tschechoslowakische Politik, die hier im Osten des Staates das ungarische Element für gefährlicher ansieht als das deutsche, unterdrückt soviel wie möglich das madjarische Schulwesen und hat auch die Schulen der Zips, voran das alte und berühmte Kesmarker Gymnasium, zurückgermanisiert. Wenn auch diese Vorgänge sicher nicht der tschechischen Liebe für das Deutschtum entsprangen, so sind sie doch in der Zips früh genug gekommen, um das Deutschtum dieses kleinen und in seiner Isolierung merkwürdig begabten und tapferen deutschen Volkes vom Untergang zu retten.

Über die Herkunft der Zipser Sachsen ist viel gestritten worden. Nach den neuesten Untersuchungen von Dr. Julius Gréb sind zwei verschiedene Siedlerzüge in die Zips gekommen, einer aus der westlichen Erzgebirgsgegend und einer aus Schlesien, die in verschiedenen Mundarten noch heute erkennbar sind. Die Zipser unterscheiden sich von den übrigen Resten des Deutschtums im alten Oberungarn dadurch, daß sich hier im Augenblick des Umsturzes, durch den Ungarn seiner Randgebiete beraubt wurde, noch ein deutsches Volkstum, wenn auch in geschwächtem Zustande, erhalten hatte. Die Schwächung war nicht nur durch die zunehmende Madjarisierung der städtischen Oberschicht erfolgt, sondern es hatte auch auf dem Lande, in den Dorfgemeinden, das Slowakentum Fortschritte gegenüber dem alten deutschen Bestande gemacht. Teils war es den Slowaken gelungen, Zipser Sachsenboden von fortziehenden Deutschen aufzukaufen, teils war es sogar vorgekommen, daß durch Heirat die Nachkommenschaft des deutschen Teils sich slowakisierte. Heute ist auch in der Zips das deutsche Selbstgefühl kräftig genug erwacht, um dergleichen nicht mehr geschehen zu lassen. Man sieht aber hier und da Gestalten, namentlich Männer, in der alten Zipser Tracht, die nicht deutsch, sondern slowakisch sprechen. Das sind Nachkommen von Deutschen, die slowakisch geheiratet und ihren Kindern oder Enkeln den alten deutschen Kirchenrock vererbt haben.

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Deutschtum in Not!
Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches.
Paul Rohrbach