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Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil 9)

Das Deutschtum im früheren und im jetzigen Ungarn (Teil 6)

Die Donauschwaben

Temesvar, Domkirche

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      Temesvar, Domkirche.
Im Jahre 1389 vernichteten die Türken in der Schlacht auf dem Amselfelde das großserbische Reich. Von da an war es ihr Ziel, nicht nur vorübergehend in Ungarn einzubrechen, sondern es dauernd zu beherrschen. Ungarn hat lange und tapfer den Türken widerstanden. 1526 aber fiel König Ludwig II. bei Mohács gegen den türkischen Sultan Suleiman. Fünfzehn Jahre später war die ungarische Hauptstadt Ofen in türkischem Besitz, und 1552 eroberten die Türken auch den beherrschenden Platz in Südungarn, Temesvar. Dem Habsburger Ferdinand blieb nur ein Teil von Westungarn mit Preßburg, und in Siebenbürgen versuchten einheimische Fürsten sich mit wechselndem Erfolge gegen die Türken zu behaupten. Alles übrige, der ganze Süden, das Donau- und das Theiß-Tiefland, wurden von türkischen Paschas regiert.

Das türkische Regiment war vor allen Dingen Unterdrückung und Ausbeutung. Am verhaßtesten waren den Türken wegen ihrer Tapferkeit die Madjaren. Darum wurden diese aus dem türkisch gewordenen Ungarn so gut wie ganz hinausgedrängt. In die ebenen Gebiete auf dem linken Donauufer schoben sich von jenseits des Stromes Serben hinein, und in das Vorhügelland, das Siebenbürgen auf seiner Außenseite umgibt, Rumänen. Diese wie jene aber befanden sich in der äußersten Knechtschaft der Türken und daher auf der niedersten Kulturstufe.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war es ein festes Stück der französischen Politik unter Ludwig XIV., das Haus Habsburg durch ein Zusammenwirken der französischen und der türkischen Waffen zu bedrängen. Die anti-habsburgische Politik richtete sich zugleich auch gegen das Reich. 1681 nahm Ludwig XIV. Straßburg und 1683 standen die Türken vor Wien. Wien aber wurde gerettet, Wilhelm von Oranien bändigte Frankreich durch den Frieden von Ryswyk im Westen und Prinz Eugen von Savoyen die Türkei durch den Frieden von Karlowitz im Osten. 1697 nach dem Siege bei Zenta a. d. Theiß wurde Ofen von den Kaiserlichen genommen und im Passarowitzer Frieden 1718 mußten die Türken nicht nur das Banat, sondern vorübergehend sogar Belgrad und einen Teil Serbiens herausgeben. Prinz Eugen selbst nahm nach einer Belagerung von sieben Wochen Temesvar, vor dem der Kurfürst Friedrich August von Sachsen zwanzig Jahre zuvor lange und vergeblich gelegen hatte.

Der Zustand, in dem die Türken Südungarn verlassen hatten, war der einer halbentvölkerten Einöde. Weite Striche waren so gut wie menschenleer, durch die [313] jährlichen Überschwemmungen der Flüsse versumpft. In primitiven Hütten oder in schmutzigen Erdlöchern, die hier und da zusammenlagen und kaum den Namen von Dörfern verdienten, hausten serbische und rumänische Hirten oder ärmliche Bauern. Solch ein Zustand herrschte sowohl im Banat (der Name bedeutet etwa dasselbe wie Markgrafschaft), einer von vielen Flußläufen durchzogenen Landschaft, die von der Donau, der Theiß, ihrem Nebenfluß Máros und dem siebenbürgischen Grenzgebirge eingeschlossen wird, als auch in der westlich davon gelegenen Batschka und Baranya. Die Regierung in Wien hatte, was die Hebung und Verwaltung des zurückeroberten ungarischen Bodens anging, als Hauptberater den Prinzen Eugen. Dieser stellte den Plan einer Kolonisation Südungarns in großem Stil mit Ansiedlern aus dem Reiche auf. Er selbst berief viele auf den großen Besitz, den ihm der Kaiser in der Baranya geschenkt hatte. Für das Banat, wo die Hauptsiedelung erfolgen sollte, veranlaßte Eugen die Ernennung des Grafen Mercy, eines Lothringers, zum Gouverneur und Leiter der Ansiedelung. Mercy war dazu eine sehr geeignete Persönlichkeit; das Werk, das auf den von ihm gelegten Grundlagen beruhte, hat Erfolg und Dauer gehabt. Zunächst allerdings bemühten sich verschiedene ungarische Große darum, eine Ausstattung mit einem Stück des eroberten Landes zu erhalten. Die Regierung in Wien lehnte das aber ab, behandelte Banat, Batschka und Baranya als freies Staatseigentum und nahm sich nach dem Rat des Prinzen Eugen vor, Südungarn zu einer unmittelbaren Domäne der kaiserlichen Gewalt zu machen. Dieser Gedanke wurde in den ersten vierzig Jahren auch wirklich durchgeführt; 1773 erfolgte dann die Rückgabe des gesamten Kolonisationsgebiets an Ungarn.

Villanyer Weinbaugebiet
[288c]      Villanyer Weinbaugebiet.
Kellerhäuser in Villany
[288d]      Kellerhäuser in Villany.

Das denkwürdige habsburgische Kolonisationswerk in Ungarn hat über ein halbes Jahrhundert gedauert. Es beschränkte sich keineswegs auf das Banat, sondern umfaßte auch die Batschka und Baranya, das Donaugebiet südlich von Budapest, die Ofener Berge, anschließend daran das sogenannte Schildgebirge und in seinen letzten Ausläufern sogar den Bakonywald, der als ein halbversunkener Überrest der Ostalpen zwischen der ober- und der niederungarischen Tiefebene aufsteigt. Zu der kaiserlichen Siedelungspolitik traten zum Teil auch noch sehr ausgedehnte Bemühungen der neudotierten Großgrundbesitzerschaft, sich auf eigene Hand die wertvollen und bewährten Kolonisten aus dem Reiche zu verschaffen. Zweihundert Jahre nach dem Beginn der Kolonisation hatte sich die Zahl der deutschen Bauern in Ungarn, ohne die Siebenbürger Sachsen, insgesamt auf beinahe zwei Millionen vermehrt. Von diesen war die Banater Gruppe die zahlreichste und wohlhabendste; die im Bakonywald die ärmste und am wenigsten entwickelte. Für das ganze ungarländische Deutschtum, wiederum mit Ausnahme von Siebenbürgen, war die einheitliche Bezeichnung als Schwaben in Gebrauch.

Ungarländische Schwaben nach dem Gottesdienst

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      Ungarländische Schwaben nach dem Gottesdienst.
Die Schwabensiedlung in Ungarn begann unter Kaiser Karl VI. und dauerte fort während der ganzen Regierung Maria Theresias und Josefs II. Die [314] der Ansiedler geschah hauptsächlich im Südwesten des damaligen deutschen Reiches: in der Pfalz, in Elsaß, Lothringen, Hessen, Baden und Württemberg und in den zahllosen kleinen und Zwergstaaten, die damals noch außerdem bestanden. Hauptgrund für die Bereitschaft zum Auswandern war für Bauern und Handwerker der Steuerdruck, die Unfreiheit und Enge unter der fürstlichen Kleinherrschaft, ganz besonders aber auch die häufige Kriegsverwüstung jener Gebiete durch die Franzoseneinfälle. In furchtbarer Erinnerung war noch das Schicksal der Rheinpfalz durch Mélac, den General Ludwigs XIV. Noch heute nach 250 Jahren wird bei den Schwaben im Banat ein besonders böser und bissiger Hund Melak genannt, ohne daß freilich eine Erinnerung an den Grund dieser Benennung existiert.

Die Weisung, daß nur katholische Auswanderungslustige zugelassen werden sollten, wurde im ganzen streng befolgt; trotzdem sind gelegentlich auch protestantische Familien mitgezogen und haben ihr Bekenntnis, zunächst wohl in der Stille, erhalten. Die Organisation des Siedelungswerkes durch die kaiserlichen Behörden war gut, für jene Zeit vortrefflich. Die Auswandererzüge wurden zunächst nach Passau geleitet. Wer Pferde, Vieh und fahrende Habe besaß, nahm sie mit; wer besitzlos war, wanderte zu Fuß. In Passau wurden die Transporte in große, flache Donaufahrzeuge verladen, die sogenannten Plätten, die Hütten und Zelte, Betten, Kochherde, Vieh, Menschen und Wagen den Strom hinabtrugen. In Ungarn angekommen, verteilten sich die Kolonisten. Die beiden ältesten Siedlungsgebiete waren das Banat und der große Landkomplex, den Prinz Eugen im Gebiet von Fünfkirchen erhalten hatte. Für die Vorstellungen, wie sie damals begreiflicherweise in Deutschland existierten, waren diese ungarischen Gegenden schon soviel wie die Türkei selbst. Daher auch der Name "Schwäbische Türkei", der sich bis heute erhalten hat.

Es fehlte nicht an Rückschlägen. Zweimal im 18. Jahrhundert gab es noch gefährliche Türkeneinfälle, vor denen die Kolonisten flüchten mußten und die große Zerstörungen anrichteten. Der gefährlichste Feind blieb jahrzehntelang das Sumpffieber, die Malaria, von deren Natur und Bekämpfung man damals nach keine Vorstellung hatte. Halbe Dorfschaften sind von ihr hinweggerafft worden; aber ein Stamm hielt aus, vermehrte sich kräftig und bezwang schließlich das Fieber durch große Entwässerungsarbeiten, Damm- und Kanalbauten, zu denen auch die Regierung half. Im ganzen genommen war die schwäbische Kolonisation in Ungarn eine der bedeutendsten Kulturtaten, die der Habsburgischen Regierung je gelungen sind. Viel trug dazu bei, daß der erste Leiter der Siedelungsarbeiten im Banat, Graf Mercy, als Mensch und Organisator gleich hervorragend war. Prinz Eugen, der eigentliche Vater des Werkes, hatte freilich noch größere Gedanken. Dieser kleine französische Prinz, der in seinem ganzen Leben nicht richtig deutsch sprechen lernte und selbst unvermählt blieb, ist nicht nur der Vater eines millionenstarken Deutschtums geworden, sondern schätzte auch die deutsche Natur so hoch, daß er am liebsten ganz Südungarn als einen Wall gegen die Türken zu deutschem Land gemacht hätte. [315] Er hat damit gerechnet, daß die deutschen Ansiedler allmählich die Überbleibsel von rumänischer und serbischer Bevölkerung aufsaugen würden, die es noch im Lande gab. Das ist allerdings nicht geschehen. Die deutschen Bauern hielten sich abseits; der Kulturunterschied war gar zu groß. Vermischungen blieben äußerst selten.

Eine Familie erhielt an Feldbesitz, je nachdem wie zahlreich sie war, eine ganze, eine halbe oder eine viertel "Session", in der Regel eine ganze. Eine Session (der Ausdruck ist noch heute üblich) hat 32 Katastraljoche Feld und Wiese und vier Joch Anteil an der gemeinsamen Hutweide. Ein Joch ist 0,57 Hektar oder rund zwei Morgen groß. Handwerker erhielten nur den Hausplatz und eventuell einige Joch Feld. Der Feldbesitz der Kolonisten verteilte sich auf mehrere Fluren. Wohnung und Wirtschaft standen nicht auf dem zu bearbeitenden Boden selbst, sondern waren alle im Dorfe vereinigt. Das gebot sich schon durch die anfängliche Unsicherheit des Landes. Die Verteilung der Felder auf mehrere Fluren war in der anfänglichen Ungleichheit des Bodens begründet, namentlich in dem teilweisen Sumpfcharakter. Jeder sollte sowohl ein Stück vom besten, als auch vom schlechtesten bekommen. In manchen Gemeinden wurden nachher die Felder der leichteren Bewirtschaftung wegen zusammengelegt, kommassiert; meist aber besteht noch immer die alte Flurenwirtschaft, wonach auf der einen Flur nur Weizen, auf der anderen nur Mais gebaut wird usw., natürlich jährlich abwechselnd. So ist man auch bei der Feldarbeit in größeren Gruppen beisammen, was heute der Geselligkeit dient, während es früher durch die Sicherheit geboten war. Die Felder wurden nicht freies Eigentum der Bauern, sondern eine Art von Rentbesitz, der sich vererbte, aber nicht verkauft und ohne Erlaubnis auch nicht vertauscht werden durfte.

Schwabenfamilie in Ungarn
[288d]      Schwabenfamilie in Ungarn.
Bauernhaus in de Batschka
[288d]      Bauernhaus in de Batschka.

Das Banat ist mit über 28 000 Quadratkilometern fast doppelt so groß wie Sachsen und hat heute, ohne Rücksicht auf die Zerschneidung durch die Nachkriegsgrenzen, etwa anderthalb Millionen Einwohner. Als es nach der 164jährigen Türkenherrschaft von den Kaiserlichen zurückerobert war, schätzte man die Bevölkerung auf 85 000 Seelen. Nominell waren 663 Dörfer vorhanden, von denen aber viele nur noch in den früheren geistlichen Zehntverzeichnissen existierten oder aus ein paar armseligen Hütten bestanden. Im Jahre 1792, als die Kolonisation annähernd durchgeführt war, zählte man in den deutschen Dörfern rund 80 000 Seelen. Für diese reichte damals der zugewiesene Landanteil gut aus. Im 19. Jahrhundert aber setzte dann die starke Vermehrung ein, so daß Landmangel eintrat. Die Einheimischen hatten später den Vorteil, daß man ihnen ursprünglich, weil sie nur Hirten waren und höchstens beim Haus ein kleines Maisfeld besaßen, große Flächen zur Weide beließ. Daher haben heute die rumänischen und serbischen Gemeinden des Banats im vergleich zu ihrer Seelenzahl meist drei- bis fünfmal soviel Feldbesitz als die deutschen Kolonistengemeinden, denen ihr Feldbesitz genau vorgemessen wurde.

Die Kolonisten brachten aus Deutschland die damaligen, im Vergleich zu den Türkenländern sehr vorgeschrittenen praktischen Kenntnisse in Ackerbau, Viehwirt- [316] schaft und Weinkultur mit. Da sie gleichzeitig Häuser bauen, den Boden urbar machen, ihren Lebensunterhalt erzeugen und ständig den Krankendienst zu versehen hatten, so war ihre Arbeit äußerst schwer. Die Banater Gemeinde Billed z. B. wurde im Jahre 1765 unter Maria Theresia angesiedelt. Ihr Anfangsbestand betrug 900 bis 1000 Seelen. Im Jahre 1766 starben davon 96, im Jahre darauf 166, im Jahre 1770 sogar 258 und ein Jahr später 214. In wenigen Jahren waren also drei Viertel der Einwanderer tot und begraben. Es mußte demnach fast immer ein Kranker in jedem Hause sein und das Totenglöcklein ohne Unterlaß läuten. Um so mehr zu bewundern ist die seelische Kraft und Ausdauer, die unter solchen Verhältnissen die Siedelung und das ganze Land festgehalten und in die Höhe gebracht haben. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts betrug die Zahl der Deutschen im Banat nahezu 500 000, hatte sich also seit der Zählung von 1792, und zwar allein auf dem Wege natürlicher Vermehrung, versechsfacht. Heute herrscht durchweg bäuerlicher Wohlstand.

Der deutsche Charakter, darunter auch die Neigung zur Vereinsbildung, ist durch das Zusammenwohnen in geschlossenen Gemeinden erhalten und gefördert worden. In keinem deutschen Dorf fehlt der Schützen-, Feuerwehr-, Gesangverein, Kasino und so weiter. Alle diese haben nur lokalen Charakter. Dagegen bildete sich am 10. Dezember 1898 ein wichtiger, viel weiter ausgreifender, wirtschaftlicher Verband, der Bauernverein, jetzt "schwäbischer Landwirtschaftsverein" benannt. Dieser erstrebte und erreichte als erste deutsche Organisation die Zusammenfassung des ganzen bäuerlichen Schwabentums im früheren Südungarn, nicht nur im Banat, sondern auch in der Batschka. Der Zusammenschluß hob auch etwas die Geltung des Schwabenvolkes in der politischen Verwaltung. Wenn die schwäbische Bauernwirtschaft neben der siebenbürgisch-sächsischen im heutigen Rumänien (und nicht minder in Jugoslawien) weit obenan steht, so ist das zum großen Teil der Tätigkeit des schwäbischen Bauernvereins zu danken. Durch die neuen politischen Grenzen wurde der Verein in zwei Teile zerrissen. Der jugoslawische ist durch den Mangel einer Verbindung mit der Zentralleitung in Temesvar verkümmert; im rumänischen Teil des Banats aber hat sich der schwäbische Landwirtschaftsverein weiter entwickelt, hat im Banater Landblatt ein eigenes Fachblatt und entfaltet heute eine größere Tätigkeit als wie zuvor.

Die deutsche Banater Landwirtschaft ist Bauernwirtschaft. Deutschen Großgrundbesitz hat es hier nie gegeben, höchstens einzelne Bauerngüter bis zu mehreren hundert Hektar an Größe. Nach den Enteignungen durch die Agrarreform können gegenwärtig 100 Hektar als das Höchstmaß gelten. Der bei der Enteignung gezahlte Preis, wie zum Spott "Entschädigung" genannt, betrug etwa 2% des wirklichen Wertes, also kaum die Hälfte vom Wert einer Jahresernte. Es versteht sich von selbst, daß von den enteigneten Feldern Deutsche nur sehr wenig erhielten. Die Besitzverteilung ist heute nicht günstig. Durch das geltende gleiche Erbrecht der Kinder, durch die verschiedene Tüchtigkeit der Einzelnen und durch den Abfluß höher ge- [317] schulter Elemente in die Städte sind große Verschiebungen gegenüber dem ursprünglichen Besitzstand eingetreten. Bei der Ansiedelung bekam niemand mehr als eine Session; heute gibt es Bauern mit drei bis fünf Sessionen, etwa 10% haben eine ganze Session, 20% sind Halbbauern, 30% Viertelbauern. Die übrigen, die zumeist nur ein Haus und ein oder zwei Joch Feld haben, werden Kleinhäusler genannt. Als es gegen Ende des vorigen Jahrhunderts immer schwieriger wurde, in nichtdeutschen Nachbargemeinden Feld zu kaufen, ergaben sich daraus dreierlei Folgen. Erstens setzte eine starke Produktion von "Intelligenz" ein, um auf diese Weise einen Teil der Kinder zu versorgen; zweitens kam die Einschränkung der Geburten auf bis zu einem Maße, daß heute in den meisten Familien das sogenannte Zwei- oder sogar Einkindersystem herrscht; drittens begann die Auswanderung nach Amerika. Wie überall unter Bauern, so bestehen auch im schwäbischen Dorf ziemlich starke Gegensätze zwischen Arm und Reich, die zu mildern eine der dringendsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der Volksgemeinschaft ist.


In nationaler Hinsicht befand sich das Banater Schwabentum, überhaupt das Deutschtum in Ungarn in der letzten Zeit vor dem Weltkrieg in einer eigentümlichen Krisis. Seine Lage in dieser Beziehung kann am wenigsten verstanden werden, wenn man sie einfach mit der des Sachsenvolkes in Siebenbürgen vergleicht. Die Sachsen hatten von Anbeginn ein starkes städtisches Element, bauten Städte und Burgen, verwalteten sich selbst unter ihrem "Sachsengrafen", und als im 16. und 17. Jahrhundert Siebenbürgen ein selbständiges Fürstentum war, bildeten Sachsen, Madjaren und Szekler die "drei Nationen", in deren Hand Gesetzgebung, Fürstenwahl und Einfluß auf die Landesverwaltung lag. Durch den Übertritt zur Reformation erlangten sie auch den damaligen großen Kirchenbesitz als Volkseigentum. Da sie daheim keine theologische oder sonstige Hochschule hatten, so mußten ihre Studenten, unterstützt durch Stipendien, die Universitäten in Deutschland besuchen. So blieben sie ständig im Zusammenhang mit der allgemeinen deutschen Kultur, und von einer Madjarisierung konnte keine Rede sein.

Ganz anders war die Entwicklung der Schwaben im Banat und im übrigen Ungarn. Von Anfang an gab es bei den Kolonisten weder Privilegien noch Selbstverwaltung. Sie waren wohl alle Deutsche; aber wo gab es in jener Zeit der französischen Einbrüche und Brandschatzungen und des deutschen Kurfürstentums ein deutsches einheitliches Volksbewußtsein im damaligen Reiche! Deutschen Nationalstolz konnten sie nicht mitbringen. Bis 1778 standen sie auch unmittelbar unter dem Szepter des deutschen Kaisers und unter deutscher Verwaltung. Auch als in jenem Jahre das Banat wieder Ungarn einverleibt und die ungarische Komitatsverwaltung hergestellt wurde, war diese mehr lateinisch und madjarisch, und die Kolonisten hatten wenig mit dem Komitat, um so mehr aber mit der deutschen Kameralverwaltung zu tun. Dann kam das Jahr 1849, in dem der österreichische [318] Absolutismus mit seinem deutschen Beamtentum wieder die Herrschaft übernahm.

Die Verbindung der Schwabensiedler mit der deutschen Heimat hatte bald gänzlich aufgehört. Sie waren beschäftigt, ihren neuen Besitz urbar zu machen und einzurichten, und an Intelligenz besaßen sie lange Zeit nichts als ihre geistlichen, wenig gebildeten Lehrer und höchstens einige kleinere Beamte. Die Ereignisse der ungarischen Revolution 1848 - 1849 hinterließen bei den Deutschen in Ungarn einen tief ungarnfreundlichen Eindruck, der für die geistige und seelische politische Orientierung des Schwabenvolkes nachhaltige Wirkung hatte. Die Regierung in Wien stützte sich damals auf den Gegensatz, ja den Haß der Kroaten und noch mehr der Serben in Slawonien, in der Batschka und im südlichen Banat gegen Ungarn. Mit den Ungarn wurden aber auch die Deutschen in einen Topf geworfen. Die schönen deutschen Gemeinden hatten schon längst den Neid der Serben erregt. Gegenüber der serbischen Bedrohung beratschlagten die Schwaben über Selbstverteidigung, bildeten Bürgerwehren, bauten Schanzen, baten um militärische Hilfe von Temesvar; aber es geschah wenig, um ihnen zu helfen. Plünderung, Brandstiftung, Angst, Aufregung und Fluchtbereitschaft waren bei den Deutschen an der Tagesordnung. Aus dieser Not wurden sie schließlich durch ungarische Honvedtruppen gerettet. Aus dieser Erfahrung von Freundschaft und Schutz entsprang in den Herzen der Schwaben das Gefühl einer politischen Seelenverwandtschaft mit dem Ungartum, ein Gefühl, das später dazu führte, daß man die Beeinträchtigung eigener nationaler Interessen schonungsvoll beurteilte und einer längeren Zeit bedurfte, um sich offen gegen solche aufzulehnen. Auch der staatsrechtliche Ausgleich von 1867 zwischen Ungarn und Österreich, der zugleich den Schwaben die politische Gleichberechtigung sicherte, wurde mit Freuden begrüßt, und das schrittweise Vordringen der madjarischen Staatssprache nach 1867 wurde zuerst als berechtigt empfunden. Als es zu Beginn dieses Jahrhunderts schärfer hervortrat, regte sich schon ein gewisser Widerwille.

Aus dem Verlust der Verbindung mit dem Heimatland, aus der Einwanderung zu einer Zeit, da es noch kein deutsches Nationalgefühl gab, und aus der gefühlsmäßigen Sympathie mit dem Ungartum erklärte es sich, daß vor dreißig bis vierzig Jahren die Schwaben es geschehen ließen, daß viele konfessionelle und Gemeindeschulen verstaatlicht wurden, obwohl die Staatsschulen nur madjarischen Unterricht hatten. Man mußte weniger Schulsteuern zahlen und sagte sich: deutsch lernt mein Kind daheim; lernt es in der Schule auch noch madjarisch, so kann es zwei Sprachen und kommt leichter in der Welt durch. Unwille äußerte sich erst, als die Erfahrung zeigte, daß die Kinder in der ungarischen Schule das Madjarische doch nicht erlernten, deutsch aber nicht anständig lesen und schreiben konnten. Dahin war es also durch eine Verirrung, nicht durch staatlichen Zwang gekommen.

Es ist Tatsache, daß vor dem Kriege die aus dem ungarischen Schwaben- [319] tum stammende sogenannte Intelligenz zum größten Teil madjarisiert war. Um der Verkleinerung des Grundbesitzes zu entgehen, begann der Schwabe immer stärker "Intelligenz" zu produzieren. Für diese aber gab es, da weder eine schwäbische Industrie noch ein schwäbischer Großhandel existierte, fast nur eine Zukunft, den Staatsdienst. In ihm war der Schwabe in Ungarn gern gesehen; aber natürlich mußte er die Staatssprache beherrschen. Deutsche "Mittelschulen", d. h. Gymnasien und ähnliche Anstalten, gab es bei den Schwaben überhaupt nicht. Für solche Zwecke existierte ja bei ihnen kein gemeinsamer Besitz, kein Nationalfonds, wie die Sachsen ihn besaßen. Nach den Mittelschulen kamen die madjarischen Universitäten, dann der Staatsdienst. Die Beziehungen zu den madjarischen Kollegen und deren Familien machten allmählich auch den Privatverkehr madjarisch; die Staatssprache wurde der schwäbischen Intelligenz geläufiger als die anfängliche Muttersprache, namentlich als die deutsche Schriftsprache. Auch die madjarische Umgangssprache wurde schließlich nicht nur zur Gewöhnung, sondern diente auch zur Dokumentierung höherer Schulbildung gegenüber dem Volke, das nicht madjarisch konnte. Schrittweis führte das so zu einer teilweisen Absonderung der Intelligenz vom Volkstum. Es war fast nur noch die Kirche geblieben, die an deutscher Predigt, deutschem Gesang und deutschem Religionsunterricht festhielt, dazu die kleinen lokalen deutschen Vereine. Eine weitergehende Ausnahme machte nur der durch den späteren Prälaten und Domherrn Franz Blaskovics gegründete Bauernverein, der jetzige schwäbische Landwirtschaftsverein, der das ganze schwäbische Bauernvolk des damaligen Südungarn in einer Organisation mit deutscher Amts- und Verkehrssprache zusammenfaßte.


Diese Skizze der Entwicklung gilt in den wesentlichen Punkten für das gesamte ungarländische Deutschtum, mit Ausnahme Siebenbürgens und der Zips. Auch die Zipser Deutschen werden ja, gleich den Siebenbürgern, nicht Schwaben genannt, sondern Sachsen, was hier wie dort auf die Zeit der Einwanderung und auf die anders geartete Entwicklung des Volkstums hinweist. Am unmittelbarsten verwandt waren die Verhältnisse in den drei schon mehrfach genannten Gebieten an der unteren Donau, wo auf die deutsche Bevölkerung die Bezeichnung als "Donauschwaben" im
Schwabendorf Szanor im Schildgebirge

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      Schwabendorf Szanor im Schildgebirge.
eigentlichen Sinne paßt. Einen etwas anderen Charakter als im Donautiefland und in dem fruchtbaren Hügelgebiet um Fünfkirchen hat das Schwabentum in der Gegend von Ofen, im Schildgebirge und im Bakonywald. Die Siedlungsgruppe in den sogenannten Ofener Bergen stammt aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Auch Ofen selbst war damals (und noch ein Jahrhundert später!) im wesentlichen eine deutsche Stadt. Dieses ganze Deutschtum war von Anfang an eingeengt zwischen den großen Besitzungen ungarischer Magnaten und geistlicher Stifter, die sich in Westungarn, das der Türkenherrschaft nicht erlegen war, behauptet [320] hatte. Auch wurde die Ofener Gegend nach der Vertreibung der Türken nicht, gleich den südungarischen Gebieten, unter kaiserliche Verwaltung genommen, sondern unter "königlich ungarische". Das bedeutete von vornherein eine merkliche Beschränkung der Entwicklungsfreiheit für die Kolonisten. Die Folge war, daß sich von dem Ofener Gebiet aus allmählich eine große Zahl von Ansiedlungen, die aber von vornherein bescheiden, ja ärmlich angelegt waren, den ganzen Gebirgszug des Bakonywaldes entlang bildete. Der Ungar liebte nicht diesen mageren Gebirgsboden, der großen Fleiß forderte und schmale Erträge gab. Die Adligen und die geistlichen Stifter, denen das Land gehörte, waren es zufrieden, wenn sich fleißige und arme Deutsche fanden, aus dem Nachwuchs der Dörfer bei Ofen und hier und da auch ein paar Zuwanderer aus dem Reich, die sich damit begnügten, eine mehr oder weniger kärgliche Flur zur Dorfanlage zugewiesen zu bekommen und dafür auf dem herrschaftlichen Grund und in den herrschaftlichen Wäldern zu arbeiten. Das Deutschtum selbst entwickelte sich auf diese Weise zwar wenig gestört, aber von vornherein ärmlich, ungeachtet alles Fleißes und aller Tüchtigkeit. Später, mit dem Einsetzen der Madjarisierung nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich, leisteten die Bergschwaben, wie wir diesen Teil des Donauschwabentums nennen wollen, den Dekreten und Zählungslisten, durch die man sich bemühte, so viele wie möglich von ihnen zu Madjaren zu stempeln, wenig Widerstand. Hier und da an den Rändern ihres Siedlungsgebiets ist auch ein Teil von ihrem Bestande abgebröckelt und madjarisiert, namentlich durch Heirat; aber ihr Kern ist durchaus erhalten und fängt an, gleich den Donauschwaben, sich langsam auf sein Deutschtum zu besinnen. In der Ofener Gegend ist das sogar schon recht stark der Fall; in den entfernten Bergdörfern weniger, doch ist kein Zweifel, daß die Bewegung auch hier in Gang kommen wird.

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Das Versailler Diktat.
Vorgeschichte, Vollständiger Vertragstext, Gegenvorschläge der deutschen Regierung


Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat, Kapitel "Die Donauschwaben."

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Deutschtum in Not!
Die Schicksale der Deutschen in Europa außerhalb des Reiches.
Paul Rohrbach