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Die echten deutschen Minderheitsgebiete (Teil
12)
Das Deutschtum in Rumänien (Teil 1)
In Rumänien gab es vor dem Weltkriege überhaupt kein
bodenständiges Deutschtum, außer etwa 8000 deutschen
Bauernkolonisten in der Dobrudscha, von denen die übrige Welt so gut wie
nichts wußte. Durch den Diktatfrieden wurden noch fünf deutsche
Bevölkerungsgruppen zu rumänischen Staatsangehörigen
gemacht, und zwar folgende:
1. |
die Siebenbürger Sachsen |
etwa |
230 000 |
Seelen |
2. |
der größere Teil der Banater (mit den Arader) Schwaben |
" |
300 000 |
" |
3. |
die Sathmarer Schwaben |
" |
50 000 |
" |
4. |
die deutschen Bauern in Bessarabien |
" |
100 000 |
" |
5. |
die Deutschen in der Bukowina |
" |
75 000 |
" |
6. |
in der Dobrudscha |
" |
10 000 |
" |
|
|
|
|
zusammen |
765 000 |
Seelen. |
Das macht beinahe 800 000 Deutsche innerhalb des heutigen
Großrumänien, dessen Einwohnerzahl auf 16,7 Millionen
angenommen wird.
[388b]
Siebenbürgisch-sächsische
Bauernfamilie.
|
|
[372a]
Bistritzer Kinder. |
Das ganze rumänische Deutschtum ist heute organisatorisch zu einem
"Verband der Deutschen in Großrumänien" zusammengeschlossen.
Die großen Entfernungen und noch mehr die große Mangelhaftigkeit
der Verbindung machen den Zusammenhalt der zum Teil in weitgetrennten
Gruppen wohnenden Deutschen in Rumänien nicht leicht. Die anfangs
fehlende Fühlung verstärkt sich aber von Jahr zu Jahr, und sie wird
dadurch unterstützt, daß es im rumänischen Parlament eine
deutsche Fraktion gibt. Bei der Darstellung der Lage des Deutschtums in
Rumänien beginnen wir nunmehr mit den Sachsen in
Siebenbürgen.
Die heutige Lage des
Sachsenvolkes
Nachdem im Spätherbst 1918 mit dem Zusammenbruch der
Mittelmächte entschieden war, daß die von Rumänen
bewohnten Teile der alten österreichisch-ungarischen Monarchie an das
Königreich Rumänien kommen würden, versammelten sich
am 1. Dezember 1918 einige Tausend Siebenbürger Rumänen in
Karlsburg - die Stadt wurde alsbald offiziell von den Rumänen in
Alba Julia umbenannt -, um feierlich den Anschluß
Siebenbürgens an Rumänien zu erklären. In dieser
Er- [359] klärung sprach
das Siebenbürger Rumänentum auch die Grundsätze aus, nach
denen, seinem Wunsche gemäß, das neue Reich regiert und verwaltet
werden sollte. Zwei Punkte in dem Programm der Karlsburger Beschlüsse
beziehen sich auf die nichtrumänische Bevölkerung
Siebenbürgens. Im ersten wird gesagt, daß die mitwohnenden
Völker volle nationale Freiheit haben sollten, so daß jedes von ihnen
sich in seiner eigenen Sprache und durch Söhne aus seiner eigenen Mitte
unterrichten, verwalten und regieren sollte. Das bedeutete
soviel wie Autonomie in den drei wichtigsten Beziehungen des Volkslebens, und
dementsprechend wurde auch eine dem Zahlenverhältnis entsprechende
Vertretung der nichtrumänischen Bevölkerung in den
gesetzgebenden Körperschaften und in der Regierung verlangt. Die zweite
Forderung lautete auf Gleichberechtigung für alle
religiösen Bekenntnisse und auf volle konfessionelle
Autonomie.
Wenige Wochen darauf, am 27. Dezember 1918, wurde die
Anschlußerklärung von Karlsburg durch den König Ferdinand
von Rumänien und den damaligen Premierminister Ionel Bratianu
unterschrieben, bestätigt und dem corpus juris Rumäniens
einverleibt. Damit erlangten nach sächsischer Auffassung auch die auf
nationale Minderheitsfragen bezüglichen Punkte der Karlsburger
Beschlüsse die Geltung von Verfassungsgrundsätzen, und wenn
diese schönen Grundsätze durch entsprechende Spezialgesetze, vor
allem aber durch die Praxis in der Regierung und Verwaltung, verwirklicht
würden, so gäbe es in Rumänien keine Minderheitenfrage und
keinen Minderheitenstreit.
Auf sächsischer Seite glaubte man zuerst an die Verwirklichung der
Karlsburger Beschlüsse, und auf dieser Voraussetzung fußte ein
Schritt, zu dem sich die Sachsen bald nach der rumänischen Versammlung
in Karlsburg entschlossen. Am 8. Januar 1919 hielten sie in der Stadt Mediasch
eine von zahlreichen Vertretern aller sächsischen Gaue besuchte
Versammlung ab, in der sie auch ihrerseits den Anschluß an das neue Reich
Großrumänien erklärten. Eine Abordnung, die diesen
Beschluß dem Könige nach Bukarest überbrachte, wurde dort
mit großen Ehren empfangen, und der König versicherte ihr,
daß die nationale Individualität des Sachsenvolkes und seine
Entwicklungsfreiheit geachtet werden würden. Den Rumänen sowohl
in Siebenbürgen als auch im Altreich war viel daran gelegen, daß die
Sachsen freiwillig ihre Anschlußerklärung gaben, denn wenn auch
kaum anzunehmen ist, daß Siebenbürgen ohne die Erklärung
der Sachsen durch die Friedenskonferenz den Rumänen nicht zugesprochen
worden wäre, so wünschten die Rumänen aus begreiflichen
Gründen doch sehr, daß auch ein nichtrumänischer
siebenbürgischer Volksstamm sich freiwillig für den Anschluß
erklärte.
Den Sachsen wurde ihr Schritt dadurch erleichtert, daß er, wie gesagt, die
Karlsburger Beschlüsse mit ihren großzügig freiheitlichen
Verfügungen zur Voraussetzung hatte. Sie waren zu der Annahme
berechtigt, daß nun eine neue Zeit hereinbreche, die bestrebt sein werde,
durch eine gerechte Nationalitätenpolitik haltbare Zustände [360] herbeizuführen.
Es gab allerdings in den Reihen der Sachsen viele Zweifler, die die
Rechtszustände in Altrumänien kannten. Ihr Pessimismus erhielt
Nahrung schon durch das Verhalten des aus den Führern der
Siebenbürgischen Rumänen gebildeten sogenannten "leitenden
Regierungsrates" (consiliu dirigent) für Siebenbürgen.
Verabredet war, daß mit den Sachsen über ein von diesen
auszuarbeitendes, auf den oben angeführten Karlsburger
Beschlußpunkten fußendes Einzelprogramm ihrer Wünsche
verhandelt werden sollte. Dies Programm wurde in wochenlangen Beratungen
ausgearbeitet und sodann dem Regierungsrat überreicht, um in dessen
Archiv sang- und klanglos zu verschwinden; es ist niemals darüber auch
nur eine Stunde lang beraten worden.
Neben den Karlsburger Beschlüssen sehen die Sachsen und die
übrigen nationalen Minderheiten in Rumänien den am 9. Dezember
1919 zwischen den Entente-Großmächten und Rumänien
abgeschlossenen Zusatzvertrag über die nationalen Minderheiten als
Rechtsgrundlage ihres Bestandes an. Inhaltlich bleibt dieser Vertrag weit hinter
den Karlsburger Beschlüssen zurück. Nur hinsichtlich des
Kirchen- und Schulwesens ist darin von Autonomie die Rede; eigens
hervorgehoben sind dabei die Sachsen und die Szekler. Hinsichtlich der
Verwaltung und der Rechtsprechung jedoch beschränkt sich der
Minderheitenvertrag darauf, "vernünftige Erleichterungen"
(facilités raisonnables) im mündlichen und schriftlichen
Gebrauch der Minderheitssprachen vor Gericht zu fordern.
Das Verhalten der rumänischen Regierung und der überwiegenden
Mehrheit der rumänischen Politiker gegenüber den beiden
Rechtsgrundlagen der nationalen Minderheiten ist in theoretischer Hinsicht
folgendes: Die Karlsburger Beschlüsse werden für einen "formellen
historischen Akt" erklärt, dem keine praktische Bedeutung und keine
Rechtsverbindlichkeit zukomme! Was den Friedensvertrag anbelangt, so wird
dessen Rechtsverbindlichkeit zwar nicht offen bestritten, aber auch niemals
ausdrücklich zugegeben, und außerdem die Einwendung erhoben,
daß er die Souveränität Rumäniens verletze. Die
Berufung der Minderheiten auf den Friedensvertrag wird daher für eine
"unpatriotische Handlung" erklärt. Als im Frühjahr 1925
siebenbürgische Ungarn beim Völkerbund eine Beschwerde gegen
die rumänische Regierung einreichten, forderte der Vertreter
Rumäniens beim Völkerbund, Herr
Petrescu-Comnen, in einem Interview die Bestrafung der Beschwerdeführer
mit der Begründung, in der Beschwerdeschrift seien scharfe Ausfälle
gegen den rumänischen Staat enthalten. Diese Auffassung der
Rumänen ist ohne Zweifel irrig. Der Zusatzvertrag über den
Minderheitenschutz ist von Rumänien unterzeichnet, und in der Einleitung
dazu erklärt Rumänien ausdrücklich, daß es "aus
eigenem Antrieb den Wunsch hegt, sichere Bürgschaften der Freiheit und
Gerechtigkeit zu gewähren ebensowohl allen Bewohnern des alten
Königreiches, wie auch denen der neuübertragenen Gebiete,
welchem Volkstum, welcher Sprache und welcher Religion immer sie
angehören". Auch darf Rumänien niemals vergessen, was ebenfalls
in der Ein- [361] leitung zum Vertrag
ausdrücklich festgehalten ist: daß es die auf die gerechte Behandlung
der Minderheiten bezüglichen internationalen Verpflichtungen
übernommen hat "in Anbetracht dessen, daß kraft der
Verträge, unter die die alliierten und associierten Mächte ihre
Unterschrift gesetzt haben, ein großer Gebietszuwachs durch das
Königreich Rumänien erworben wurde." Mit anderen Worten, der
Minderheitenvertrag ist eine Gegenleistung dafür, daß
Rumänien sein Gebiet hat vergrößern dürfen, was ihm,
wie die
Ereignisse der Jahre 1916 und 1917 beweisen, aus eigener Kraft
niemals gelungen wäre. Es geht nicht an, große Vorteile aus einem
Bündnis zu ernten, sobald aber von einer im Verhältnis
geringfügigen Gegenleistung die Rede ist, über Einschränkung
der Souveränität zu klagen.
Die rein negative Auffassung der Rumänen hinsichtlich der
Minderheitenrechte kommt in charakteristischer Weise darin zum Ausdruck,
daß die im Jahre 1923 geschaffene neue Verfassung Rumäniens
dieser Rechte mit keiner Silbe Erwähnung tut, vielmehr sich mit der
allgemeinen Floskel begnügt, daß "alle Rumänen ohne
Unterschied der Sprache, Abstammung und Religion gleichberechtigt" seien. Die
deutschen Parlamentarier traten bei der Beratung der Verfassung mit
großem Nachdruck und wiederholt dafür ein, daß das Prinzip
des Minderheitenschutzes als ein grundlegender und auch international
sanktionierter Gedanke des rumänischen Staatslebens in die Verfassung
aufgenommen werde; sie wurden jedoch mit diesem Begehren abgewiesen,
indem man ihnen zugleich versprach, es werde in Spezialgesetzen ihren
Wünschen Rechnung getragen werden. Dies ist bis jetzt in keiner
Weise geschehen.
Trotz der verfehlten theoretischen Auffassung der Verpflichtungen, die der
rumänische Staat seinen nationalen Minderheiten gegenüber hat,
wäre es denkbar, daß die Praxis der rumänischen
Minderheitenpolitik befriedigend wäre. Leider aber hat bisher der negativen
Theorie vollkommen eine negative Praxis entsprochen. Mit anderen Worten: Die
Rechte der Minderheiten sind bisher auf der ganzen Linie des staatlichen Lebens
mißachtet und verletzt worden. Allerdings hat die im Frühjahr 1926
ans Ruder gekommene Regierung Averescu größere
Rücksichten in der Minderheitenfrage zugesagt. Es bleibt abzuwarten, ob
ihr die Einlösung ihres Versprechens - möglich sein wird.
Die Siebenbürger Sachsen sind objektiv genug, zuzugeben, daß sich
der rumänische Staat ihnen gegenüber
verhältnismäßig schonend verhält. Das hat
seine Gründe darin, daß fürs erste keine Revanchelust ihnen
gegenüber besteht, wie gegen die Ungarn, und daß die Höhe
und Geschlossenheit ihrer Kultur und ihrer Organisation den Rumänen
Altrumäniens, die sie jetzt erst kennen lernen, halbwegs Respekt
einflößt. Aber da in Rumänien nichts systematisch und unter
einheitlichem Gesichtspunkt geschieht und der Staat viel zu sehr von den privaten
Interessen Einzelner beherrscht wird, so ist der Kampf gegen die
Gesetzesverletzungen und Ungerechtigkeiten auch für die Sachsen eine
Sisyphusarbeit, und als Gesamteindruck [362] bleibt im Empfinden
des sächsischen Volkes die berechtigte Vorstellung zurück,
daß es nationaler Verfolgung ausgesetzt sei.
Allerdings ist der gegenüber einem Minderheitenvolk begangene
Rechtsbruch oft nur ein Spezialfall allgemeiner Rechtsunsicherheit und
Beamtenwillkür. Alle rumänischen Bürger leiden darunter,
soweit sie nicht der herrschenden Partei angehören, ohne wesentlichen
Unterschied der Nationalität. Der Bewohner in Altrumänien ist daran
von jeher gewöhnt; derjenige der neuen Gebiete jedoch fühlt sich,
wenn er einem Minderheitenvolk angehört, nicht nur individuell davon
betroffen, sondern auch national. Ohne Zweifel legt sich auch der Beamte oder
Offizier in den neuen Gebieten dem Nichtrumänen gegenüber noch
viel weniger Schranken auf, als im alten Rumänien; er weiß,
daß diesen neuen Objekten der Willkür und Habgier in der Regel die
Verbindung mit einflußreichen Kreisen fehlt, und er läßt sich
daher ihnen gegenüber freier gehen, als er es dem Altrumänen
gegenüber wagen darf. Auch wird ihm natürlich ein Verstoß
gegen die Rechte oder die Person des Nichtrumänen eher nachgesehen,
zumal da als Vorwand dafür gern die angebliche Staatsfeindlichkeit des
letzteren gebraucht oder sonst ein nationalistisches Schlagwort ausgespielt wird.
Vielleicht kann man sagen, daß als Grundmotiv seltener ein bewußter
und ausgesprochener Haß gegen die Minderheiten wirksam ist, als der
allgemeine, für den Rumänen typische Mangel an
Rechtssinn, gepaart mit dem Bestreben, auf jede Weise Macht und Reichtum
zu gewinnen. Auch eine gewisse balkanische, durch Kultur nicht gemilderte
Brutalität hat einen großen Anteil an den Motiven des Vorgehens
rumänischer Amtsorgane. Damit nicht der Vorwurf erhoben werden kann,
daß hier eine gefärbte Darstellung gegeben wird, so seien zum Beleg
die folgenden Stellen aus der Schrift eines Rumänen angeführt:
Dr. Ludwig Ciato, Das Minoritätenproblem in
Großrumänien, Cluj (Clausenburg) 1925. Darin heißt es
(S. 6 u. ff.):
"Wir haben seinerzeit viel geklagt
über die Roheit der madjarischen Gendarmen. Hören und lesen wir
heute aber nicht täglich, wie die rumänischen Gendarmen und die
rumänische Polizei die »freien« Bürger
Rumäniens schonungslos mit Prügeln traktieren? Zwar finden sich
unter den Bedauernswerten, denen von den Gewehrkolben und Fäusten
dieser Helden die Knochen zerschlagen werden, auch
Rumänen - vorwiegend
Landleute -, in der Mehrheit sind es aber »Fremde«: Ungarn,
Juden, Russen (Bolschewisten) oder andere.
Es gibt nichts Ungerechteres, nichts Unverzeihlicheres,
nichts Aufreizenderes als Schläge. Nichts erniedrigt den Menschen mehr in
seiner Würde als Schläge. Wenn sich jemand einer strafbaren
Handlung schuldig gemacht hat - mag es sich selbst um einen
Mörder handeln -, so übergebe man ihn den Gerichten, man
arretiere den Betreffenden, aber unter keinen Umständen hat jemand das
Recht, ihn zu verprügeln. Und wie ich dies Wort niederschreibe, kommt
mir unwillkürlich ein anderes in den Sinn: Balkanismus. Ich
finde, daß besonders zwei große und schwere Fehler, die das
Gewissen Rumäniens belasten, den Begriff Balkanismus charakterisieren:
das Prügeln und das Bakschischwesen. Fehler, die uns die
Füße binden, so daß wir auf dem Wege der Kultur, auf dem
Wege dem Westen zu, nur im Schneckentempo vorwärts kommen
können, Fehler, die uns unsere Freunde entfremden und uns Feinde
schaffen, im [363] Innern des Landes
ebenso wie auswärts, Fehler, die unvereinbar sind mit dem
Rechtsgefühl, dem Adel und der Kultur des lateinischen Geistes.
Dies häßliche Geschwür hat aber seine
vergifteten Klauen tief in den Körper des rumänischen Volkes
eingeschlagen und müßte mit glühendem Eisen ausgebrannt
werden, ehe es zu spät ist..."
Zu dem, was hier von einem gerecht und aufgeklärt denkenden
Rumänen selbst "Balkanismus" genannt wird, kommt noch eine andere
rumänische Volkseigenschaft hinzu, durch deren Auswirkungen die
Minderheiten in Rumänien tatsächlich in einen Zustand versetzt
werden, der von Rechtlosigkeit nicht sehr verschieden ist. Diese Eigenschaft ist
die außerordentliche Parteilichkeit des Rumänen für die
eigenen Volksgenossen. Sie findet sich nicht nur in der Verwaltung, wo der
rumänische Beamte selten Bedenken trägt, über gesetzliche
Verfügungen hinwegzugehen, wenn er damit einem Volksgenossen unter
Benachteiligung eines Nichtrumänen nützen kann, sondern sie findet
sich auch bei den Gerichten. Für die Bewohner Siebenbürgens
bedeutet das einen starken Rückschritt im Rechtsleben, denn die
ungarischen Gerichte waren Muster der
Unparteilichkeit - ausgenommen bei den
verhältnismäßig seltenen politischen Prozessen. In diesen
vermochten sie sich meist nicht auf die Höhe vollkommener Sachlichkeit
und Unbefangenheit zu erheben, aber im sonstigen strafrechtlichen oder gar
zivilrechtlichen Verfahren gab es kein Ansehen der Person und der
Nationalität.
Es gibt noch einen zweiten Zug im Charakter der Rumänen, der sich in
Siebenbürgen heute freier auswirken kann als früher, und auch er
bewirkt schwere Angriffe auf die Minderheiten, wobei die Sachsen nicht weniger
zu leiden haben als die Ungarn. Dieser Zug ist die
gefühlsmäßige Geringschätzung des
Eigentumsrechtes. Boner charakterisierte seinerzeit (S. 66) das
politische (d. h. soziale) Glaubensbekenntnis des Rumänen als
einfach kommunistisch, und nachdem er davon gesprochen hat, wie die
Rumänen in vergangenen Jahrhunderten als "ein wildes und unkultiviertes
Volk ohne Vorstellung von Gesetz oder Eigentum" nur durch Strenge in
Schranken gehalten werden konnten, fährt er fort:
"Ein rumänischer Bauer von
heute wird die Frucht aus dem Garten oder vom Gemüseland eines andern
nehmen, wenn er selbst keine hat und zu indolent ist, um etwas anzubauen; macht
man ihm Vorhaltungen, so wird er nicht zugeben, daß es Diebstahl ist, denn
was Gott hat wachsen lassen, muß ihm so gut gehören wie einem
anderen. Alles was wächst, betrachtet er als Gemeingut. Er stiehlt heute mit
derselben Begründung, wie er es vor dreihundert Jahren tat, das Holz aus
seiner Nachbarn Wald und treibt seine Herden auf ihre sorgsam gepflegten
Wiesen."
Diese beiden bedauerlichen Charakterzüge des rumänischen Volkes,
der Mangel an Gesetzlichkeit und an Achtung vor fremdem Eigentum, haben vor
allem bei der sogenannten Agrarreform zum Nachteil der Sachsen
zusammengewirkt und haben aus einer sozialen Reform eine willkürliche
Beraubung gemacht. Die Agrarreform ist sowohl in Altrumänien als auch in
den neuen Provinzen durchgeführt worden. [364] Sie geschah aber hier
und dort auf ganz verschiedene Art - was gegenüber dem sonst bei
jeder Gelegenheit betonten Grundsatz von der Vereinheitlichung des alten und des
neuen Gebietes doppelt zu verwundern ist. Nicht nur, daß die
Entschädigung für enteignete Besitzungen in Altrumänien
beträchtlich größer ist, als in den neuen
Provinzen - auch der Umfang, in welchem dem einzelnen Besitzer Boden
enteignet werden kann, ist ganz verschieden. Während für den
Grundbesitzer z. B. in Siebenbürgen das Höchstmaß
dessen, was jemand behalten darf, für seinen Gesamtbesitz festgestellt wird,
wird es in Altrumänien für jedes einzelne seiner Güter
festgestellt. Wenn also ein Grundbesitzer in Altrumänien seinen Besitz,
sagen wir 5000 Hektar, in drei Güter geteilt innehat, so kann er
dreimal das Minimum behalten, während der Grundbesitzer in den
annektierten Provinzen es nur einmal behält. Zur Erklärung dieser
Verschiedenheit der Behandlung wird auf die Tatsache hingewiesen, daß die
Großgrundbesitzer in Altrumänien durchwegs Rumänen, in
den neuen Provinzen dagegen fast ausnahmslos Nichtrumänen sind. Die
Sachsen haben gar keinen Großgrundbesitz; trotzdem haben sie unter der
Agrarreform schwer zu leiden, weil diese durchaus unter nationalistischem
Gesichtspunkt durchgeführt worden ist.
|
Dreifach sind die Sachsen geschädigt worden. Einmal, indem selbst solchen
Besitzern, die das zu belassende Mindestmaß an Boden nicht besaßen,
also gar nicht mehr unter die Bestimmungen des Agrarreformgesetzes fielen, Teile
ihres Besitzes enteignet wurden, d. h. es wurde Sachsen Boden
genommen, um ihn den Rumänen zu geben. Zweitens wurde in vielen
Fällen Gemeinden mit überwiegend sächsischer
Bevölkerung Weide oder Wald - die Gemeindebesitz
bildeten - weggenommen, um benachbarten rumänischen Gemeinden
ins Eigentum übertragen zu werden, wobei auf die Zahl der Bewohner und
ihre Bedürfnisse nicht Rücksicht genommen, sondern
ausschließlich die Nationalität in Betracht gezogen wurde. Es ist
wiederholt vorgekommen, daß der sächsischen Gemeinde Wald
weggenommen wurde, um in Weide für die rumänische
Nachbargemeinde verwandelt zu werden, während die letztere im
Verhältnis zu ihrer Bewohnerzahl mehr eigenen Wald besaß als die
erstere! Die dritte Schädigung bestand darin, daß auch den
sächsischen Kirchengemeinden (bisher war von politischen Gemeinden die
Rede) ein großer Teil ihres Bodenbesitzes weggenommen wurde, um fast
ausnahmslos Rumänen übergeben zu werden. Es ist zu bemerken,
daß dieser Besitz nicht mit den Reichtümern der in katholischen
Ländern sogenannten "Toten Hand" zu vergleichen ist. Die recht
mäßigen Besitzungen der Kirchengemeinden gingen zum
großen Teil auf Schenkungen der eigenen Gemeindeglieder zurück,
die nach Aufhebung der alten Zehntabgaben die Bezüge der Pfarrer und
Lehrer dadurch sicherstellen wollten. Durch die Enteignung ist somit die Funktion
der sächsischen Kirchen und Schulen geschwächt worden. Und zwar
ist dies dadurch geschehen, daß die Entschädigung vollkommen
unzulänglich ist, indem ungefähr nur ein Zehntel des heutigen
Wertes der enteigneten Ländereien [365] vergütet wird,
aber auch dieser lächerliche Preis nicht in barem Geld, sondern in
staatlichen Wertpapieren von zweifelhafter Güte.
Bezeichnend für die rumänische Art, insbesondere für das,
was Ciato den in Rumänien herrschenden Balkanismus nennt, ist
bei der Enteignung des sächsischen Schul- und Kirchenvermögens
noch folgender Vorfall. Als die Gesetze über die Bodenreform erschienen,
handelte es sich um die Auslegung gewisser Bestimmungen und
Ausdrücke, nach denen es zweifelhaft erscheinen konnte, ob der
sächsische Volksbesitz unter das Gesetz über die Bodenreform,
d. h. unter die Enteignung, fiel oder nicht. Auf eine Vorstellung von
sächsischer Seite im Ministerium nahm man zunächst eine
Rückfrage an der höchsten Stelle vor und gab dann in
unmißverstehlichen Ausdrücken den Bescheid, es sei keine
Enteignung des Bodens beabsichtigt, dessen Ertrag dem Unterhalt von Kirchen
und Schulen diene. Kurz darauf wurde von deutscher Seite in einer
Parlamentssitzung noch eine öffentliche Anfrage an den Minister gerichtet
und von diesem öffentlich in demselben Sinne beantwortet, wie der
vorhergegangene persönliche Bescheid gelautet hatte. Jedermann war
überzeugt, daß damit die Erhaltung des, wie gesagt, nur
Kulturzwecken gewidmeten Besitzes gesichert sei. Als aber das Gesetz erschienen
war, wurde trotzdem auch die Enteignung des sächsischen
"Universitäts"-Bodens verfügt. Erstaunt und entrüstet wollten
sich die Sachsen auf die in der Parlamentssitzung erfolgte Zusage des Ministers
berufen, aber siehe da - im stenographischen Protokoll der betreffenden
Sitzung fehlten die Anfrage und ihre Beantwortung durch den Minister
völlig, und als dieser persönlich gestellt wurde, erklärte er,
sich an nichts zu erinnern. Damit war also die Sache nach balkanischer Art
erledigt.
Spricht man mit Rumänen über die Enteignung, so bekommt man
gewöhnlich zu hören, alles dies sei, wenn auch eine Härte
gegen die von solchem Verfahren betroffenen Personen, so doch gerechtfertigt
unter einem "höheren" geschichtlichen Gesichtspunkt; es bedeute nur "die
Wiedergutmachung eines vor Jahrhunderten geschehenen Unrechts". Wieso? Weil
vor einem Jahrtausend die Ungarn die Rumänen aus ihrem Besitz in
Transsylvanien verdrängt haben und einige Jahrhunderte später die
Sachsen einen Teil dieses unrechtmäßig erworbenen Bodens von den
Ungarn zum Geschenk bekommen haben sollen! Wie bedenklich es ist, solche,
auf einer mehr als schwankenden geschichtlichen Theorie aufgebauten,
vermeintlichen Rechtsansprüche zum Ausgangspunkt für die
Konfiskation von Privateigentum zu machen, darauf bedarf es keines Hinweises.
Wollte man die gegenwärtigen privatbesitzlichen Verhältnisse in
Europa auf der Grundlage einer Nationalitäten-Karte vom Jahre
900 n. Chr. revidieren, so gäbe es überhaupt keinen
modernen Eigentumsbegriff mehr. Nichts anderes aber bedeutet jener
rumänische Anspruch, auf den nationalen Besitzstand zur Zeit des
Erscheinens der Ungarn in Europa unter der Führung
Árpáds im Jahre 885 zurückgreifen zu dürfen.
Zu alledem ist es weder erwiesen noch wahrscheinlich, daß dort, wo von
den ungarischen Königen die Sachsen [366] angesiedelt wurden, in
jener Zeit überhaupt Rumänen gewohnt haben. In den Urkunden, die
den Kolonisten aus Deutschland über ihren Besitz gegeben wurden, werden
vielmehr die Wohnsitze der Rumänen (Walachen) eigens zur Bezeichnung
der Grenzen des Gebietes angeführt, das an die Sachsen verliehen
wurde.
Der wissenschaftliche Streit über die Herkunft der Rumänen und
über die Frage, wo ihre Wohnsitze zur Zeit der Einnahme Ungarns durch
die Madjaren gelegen haben, ist schon seit Jahrzehnten im Gange, und er ist noch
keineswegs entschieden. Bei den Rumänen selbst ist die Annahme
eingewurzelt, sie stammten von den römischen Kolonisten, die nach der
Eroberung Dakiens, das die heutige Walachei und Transsylvanien umfaßte,
dorthin gelangt seien. Diese Vorstellung ist sicher falsch, denn Dakien, ein Land,
das nur anderthalb Jahrhundert im römischen Besitz war, wurde schon im
3. Jahrhundert n. Chr. aufgegeben und hat nie eine nennenswerte
Zivilbevölkerung lateinischen Stammes gehabt, sondern nur
römische Garnisonen, einige Handels- und Verwaltungsplätze und
Bergwerke. Als die Provinz von dem römischen Kaiser Aurelian unter dem
Andrang der Goten geräumt wurde, nahm man die römischen
Ansiedler, wie ausdrücklich berichtet wird, auf das rechte Donauufer
zurück und nannte das Gebiet dort, damit von der verlorenen Provinz
wenigstens der Name erhalten bliebe, "Dacia Ripensis". Rumänen,
d. h. rumänisch sprechende Stämme und Stammessplitter, gibt
es auch an verschiedenen Stellen der eigentlichen Balkanhalbinsel, z. B. in
Nordgriechenland und in Bosnien. Dorthin sind sie sicher nicht vom heutigen
Rumänien ausgewandert, sondern sie bewohnen ihre ursprünglichen
Wohnsitze. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, daß die Vorfahren der
heutigen Rumänen gar nicht auf dem linken, sondern auf dem rechten
Donauufer gewohnt haben, wo sich unter der dort bis ins 5. Jahrhundert
fortdauernden intensiven Wirkung der römischen Herrschaft ein
romanisierter Typ der Balkanbevölkerung gebildet hat. Ein Teil von dieser
scheint sich vor den unausgesetzten Kriegen und Eroberungszügen, die seit
dem 6. Jahrhundert die Balkanhalbinsel durchtobten, über die Donau
und weiter nordwärts in das karpathische Waldgebirge
zurückgezogen zu haben. In dessen Schutz hätte sich demnach das
rumänische oder, wie es ursprünglich genannt wurde, das
walachische Volkstum entwickelt und von dort aus später eine Ausbreitung
gewonnen, während auf der Balkanhalbinsel unter Albanern, Slawen und
Türken sich nur in wenigen und kleinen Bezirken versprengte Reste
erhielten. Daß die Rumänen, die im 9. und in den folgenden
Jahrhunderten in Transsylvanien unter die Herrschaft der Ungarn kamen, dort
schon die Ebenen besaßen, jene Gebiete, die in den ungarischen
Königsurkunden ausdrücklich als "deserta",
[364b]
Schäferhütte in Siebenbürgen.
|
Wüsteneien, bezeichnet werden, ist sehr unwahrscheinlich. Viel
wahrscheinlicher ist es, daß sie erst im Laufe der Jahrhunderte, als die
Zeiten sicherer wurden, aus den Gebirgen, wo sie als Schafhirten lebten und wo
die als Weiden brauchbaren Täler und Berghänge noch heute in
ihrem Besitz sind, allmählich in die Ebene herabsiedelten. In den
sächsischen Dörfern erscheinen sie ursprünglich [367] nur als zugezogene
Dienstboten, und sie durften sich später nur mit Erlaubnis der Sachsen
ansiedeln. Angesichts so starker Zweifel und Unsicherheiten in bezug auf die
Priorität der Rumänen auf dem sächsischen Boden in
Siebenbürgen ist es absurd, hierauf ein Rechtssystem aufbauen zu
wollen, durch das alle heute in Europa noch herrschenden Eigentumsbegriffe
über den Haufen geworfen werden.
Auch die rumänische Behauptung, daß in der ungarischen Zeit die
Rumänen als Nation sozial unterdrückt gewesen seien, ist nicht
richtig. Richtig ist, daß rumänische Schulen
gemaßregelt wurden; der rumänische Bauer aber war seit der
Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1848 rechtlich den ungarischen und
sächsischen Bauern vollkommen gleichgestellt und hatte dieselben
Erwerbsmöglichkeiten. Wenn trotzdem die Rumänen in
Siebenbürgen die ärmere Volksschicht bildeten und heute noch
bilden, so kann als Grund hierfür kaum etwas anderes angenommen
werden, als ihre geringere Kulturfähigkeit. Das Gebiet, wo in der Tat von
einer früheren sozialen Unterdrückung die Rede sein muß, ist
nicht Siebenbürgen, sondern vielmehr Altrumänien. Dort waren bis
zum Kriege die Bauern, wenn nicht rechtlich so doch tatsächlich leibeigen
und besitzlos, während die Bojaren, d. h. die Adligen, über
riesige Besitztümer an Ländereien verfügten. Darum ist es
erstaunlich, wenn in Siebenbürgen Auffassungen verkündet und
verwirklicht werden, deren Begründung ausgesprochen kommunistisch ist,
während in Altrumänien die Bauernpartei, die sogenannten
Zaranisten, die dort ähnliche Anschauungen vertritt, als
umstürzlerisch verurteilt wird. Die Verschiedenheit hier und dort kommt
daher, daß für Siebenbürgen die das Eigentumsrecht der
Nichtrumänen verneinende These von Grund auf national
beeinflußt ist.
Für die rumänische Auffassung des Eigentumsrechtes, sobald
nichtrumänische Nationen in Frage kommen, ist es auch bezeichnend, wie
die Rumänen über rechtsgültige und jahrhundertealte
Schenkungen denken, die in der Vergangenheit von den ungarischen
Königen an private oder Körperschaften gemacht wurden. Diese
werden in Bausch und Bogen für das Eigentum des rumänischen
Staates als des Rechtsnachfolgers des ungarischen Staates erklärt. Nicht
immer wird die praktische Schlußfolgerung aus dieser seltsamen und der
natürlichen Logik widersprechenden Theorie gezogen. Aber den Sachsen
muß doch immer bange sein um mancherlei Besitz, der auf
königliche Schenkungen zurückgeht. Es wird dabei übersehen,
daß solche Schenkungen stets Gegenleistungen für positive
Leistungen der Sachsen waren. Man ist auf rumänischer Seite auch gern
geneigt, Besitzungen, die man gern haben möchte, kurzerhand für
Schenkungen zu erklären. So z. B. trachten die rumänischen
Bewohner von Freck, einem Dorf bei Hermannstadt, schon seit einiger Zeit nach
einem Schloß mit Park, das der evangelischen Kirchengemeinde von
Hermannstadt
gehört und von dieser als Erholungsheim verwendet wird.
Dabei wird behauptet, das Schloß sei von der Kaiserin Maria Theresia dem
damaligen Gouverneur von Siebenbürgen Brukenthal, einem Sachsen,
geschenkt worden. Tatsächlich aber hat [368] Brukenthal, wie
urkundlich nachweisbar ist, den Grund von drei Bauern gekauft und das
Schloß auf eigene Kosten bauen lassen. Obendrein hat die Kirchgemeinde
das Gut vor zwanzig Jahren vom damaligen Eigentümer gekauft. All das
aber, so fürchtet man, wird den Besitz nicht schützen können,
wenn einmal der Wunsch der Rumänen allzu lebhaft werden wird. Ein
zweites Besitztum der evangelischen Kirchengemeinde von Hermannstadt in
Freck, ein Wohnhaus, ist im Jahre 1924 kurzerhand von einem Haufen
rumänischer Bauern besetzt worden und das Gericht hat bis zur Stunde den
Rechtsstand noch nicht hergestellt.
In die Kategorie der Mißachtung des Eigentumsrechtes gehören auch
die berüchtigten Wohnungsrequirierungen, die der Ministerrat im Oktober
1923 ausdrücklich nur für die neuen Provinzen beschlossen hat und
die so gut wie ausschließlich gegen die Minderheiten, Sachsen und
Madjaren, angewendet werden. Nicht nur Wohnungen, sondern auch Möbel
können kurzerhand zugunsten jedes in die neue Provinz versetzten Beamten
und jeder Militärperson, einschließlich ihrer Familien, in beliebigem
Ausmaß und gegen eine minimale, bisweilen überhaupt nicht
erhältliche Entschädigung requiriert werden. Das rumänische
Gesetz gibt dagegen ein Rekursrecht, aber das wird nicht eingehalten. Kann man
sich da wundern, wenn die derart der Gewalt ausgelieferten Minderheiten sich
mitunter tatsächlich wie im fremden Lande fühlen? Soll dies
Gefühl verschwinden, so wäre eine der Grundbedingungen die
Wiederherstellung normaler rechtlicher Zustände, und zunächst die
Achtung vor dem Eigentumsrecht und die Wiedergutmachung des durch die
verübten Eingriffe in das Eigentum verursachten Besitzschadens und der
Störungen.
Das innere Hauptmotiv, das die Rumänen zu einem solchen Vorgehen
gegen ihre anderssprachigen neuen Mitbürger veranlaßt, ist nicht
zuerst nationaler Haß im eigentlichen Sinne, auch weniger die
planmäßige Absicht, alle Nichtrumänen zu romanisieren
(obwohl auch diese Tendenz besteht, zumal in der Schule), sondern es ist das aus
dem rumänischen Charakter folgende Bestreben, den eigenen Besitz auf
Kosten Anderer, Wehrloser, zu vergrößern. Man kommt immer
wieder auf den Vergleich Boners von den Früchten aus des Nachbars
Garten zurück. Der geistige Besitz kann freilich nicht so einfach
weggenommen werden. Aber auch auf diesem Gebiete offenbart sich die
eigentümliche Sinnesart der Rumänen in derselben Richtung. Wofern
mit dem geistigen Besitz auch materieller verbunden ist, also
Schulgebäude usw., da wird auch nur einfach "requiriert". Der
kulturellen Überlegenheit der Nichtrumänen wird unmittelbar in der
Art zuleibe gerückt, daß deren Kulturarbeit mit allen Mitteln
erschwert wird. Die ganze Schulpolitik des Unterrichtsministers Anghelescu
ließ diese Tendenz deutlich erkennen. Einerseits wird von den
nichtrumänischen Mitbürgern gefordert, daß sie die zu
errichtenden staatlichen Schulen (mit rumänischer Unterrichtssprache) so
weit unterstützen, daß ihnen nicht mehr viel Leistungsfähigkeit
zur Erhaltung eigener, in ihrer Muttersprache unterrichtender Schulen bleibt.
Andererseits wird durch Verordnungen, die tief in das [369] Leben der Schulen
eingreifen, deren Tätigkeit unterbunden und gelähmt, vor allem
durch maßlose Forderungen in bezug auf die rumänische Sprache.
Geflissentlich und grundsätzlich wird keine billige Rücksicht darauf
genommen, daß die rumänische Sprache erst seit 1919, also seit
wenigen Jahren, den Rang einer Amtssprache erlangt hat, sowie auch darauf,
daß der Lehrplan der nichtrumänischen Schulen erst in der
allerletzten Zeit sich dem der rumänischen Schulen (zu seinem Nachteil!)
angepaßt hat. Das Verfahren der Rumänen gegen die Beamten und
Lehrer der neuerworbenen Provinzen ist insofern höchst unbillig, als gar
keine Rücksicht darauf genommen wird, daß diese als Männer,
die zum Teil in vorgerücktem Lebensalter stehen, eine fremde Sprache nur
in sehr langer Zeit oder niemals vollkommen erlernen können. Wenn man
demgegenüber das Verfahren der Ungarn in der Zeit nach
1867 - wo Ungarn wieder seine eigene Staatlichkeit
zurückerhielt - vergleicht, so kann man daran den Grad von
Unduldsamkeit ermessen, der den Rumänen eignet. In Ungarn ist erst
zwölf volle Jahre nach 1867 verlangt worden, daß in der Volksschule
die ungarische Sprache gelehrt wurde, und erst sechzehn Jahre später,
daß sie Unterrichtsgegenstand der Mittelschule wurde. Nur von
neuangestellten Beamten wurde die Kenntnis der Amtssprache gefordert;
Sprachprüfungen für Beamte und Lehrer, die schon im Dienste
waren, sind eine ausschließlich rumänische Erfindung. Ein wirkliches
Staatsinteresse erfordert ein derartiges Vorgehen gegen Beamte und Schulen
nicht. Daher läßt sich der Verdacht nicht abweisen, daß der
eigentliche Zweck dieser schikanösen Maßnahmen der ist, in dem
ersten Fall die Schulbildung der Minderheiten zu schädigen, im zweiten die
früheren Beamten von ihren Posten zu entfernen, um Rumänen an
ihre Stelle setzen zu können. Es ist daher kein Wunder, daß sie als
Akte der Feindseligkeit empfunden werden und dementsprechende Gefühle
im Herzen der Minderheiten hervorrufen.
Nimmt man zu all diesem die allgemeinen Erscheinungen einer unerhörten
Beamtenkorruption, einer parteiischen Rechtsprechung, einer unordentlichen,
dilettantischen Verwaltung und einer doktrinären, in allen Punkten
verfehlten Wirtschaftspolitik hinzu, alles Erscheinungen, die den Bewohner der
neuen Provinzen umso schwerer bedrücken, als er an Besseres
gewöhnt war - so wird man verstehen, daß insbesondere die
Sachsen die bittere Empfindung haben, in ihrer Entwicklung
zurückgeschleudert zu sein und in der Gegenwart die schwerste Periode
ihrer ganzen, an Kämpfen so reichen Geschichte zu erleben. Das ganze
Volk bis in seine untersten Schichten hinab sieht sich feindseligen Mächten
gegenübergestellt, und es muß ihm wie ein Hohn erscheinen, wenn
dann zeitweilig von rumänischer Seite von "gegenseitigem,
brüderlichem Verstehen" oder gar von "Pflichten der Minderheiten"
gesprochen wird.
Um ein Beispiel zu geben, mit welchen Methoden von rumänischer Seite
gearbeitet wird, sei aus einer großen Anzahl aktenmäßig
beglaubigter Vorgänge der folgende ausführlicher erzählt.
[370] "In der
siebenbürgisch-sächsischen Gemeinde Birk (Petelea) sollte
eine Staatsschule gebaut werden. Vor Ostern 1925 wurde in einer
Gemeinderatssitzung beschlossen, das Baukapital von etwa
500 000 Lei vom Staat als Gemeindedarlehen aufzunehmen. Dem
Oberstuhlrichter (Landrat) war dieser Beschluß nicht recht; er ignorierte ihn
einfach, indem er das Sitzungsprotokoll nicht vollzog. Eines Tages, als der
evangelische Pfarrer amtlich vom Orte abwesend war, wurden
»zufällig« auch sieben sächsische
Gemeinderatsmitglieder unter nichtigen Vorwänden nach
Sächsisch-Regen vor das Stuhlrichteramt geladen. Gleichzeitig aber hielt
der Oberstuhlrichter unter eigenem Vorsitz eine Gemeinderatssitzung in Birk ab,
wo die Mehrheit nun den rumänischen Vertretern in die Hände
gespielt war, und ließ beschließen, das erforderliche Baukapital durch
eine hohe Gemeindeumlage aufzubringen. Nachdem das geschehen war, erschien
eines Tages in Birk ein Baumeister und begann mit dem Schulbau. Die
Überraschung in der Gemeinde war nicht gering, denn nach dem Gesetz
müssen Bauten für öffentliche Zwecke auch öffentlich
ausgeschrieben und vergeben werden. Der Ortsvorsteher wurde durch eine
Eingabe mit der formell erforderlichen Zahl von Unterschriften von
Gemeinderatsmitgliedern aufgefordert, eine Sitzung anzuberaumen. Das geschah
am 11. Juli. Der Ortsvorsteher wurde interpelliert, wer den Schulbau
ungesetzlicherweise aus freier Hand vergeben hätte. Der Vorsteher
antwortete: Ich und der Notar (Gemeindeschreiber, der vom Staate ernannt ist,
während der Gemeindevorsteher, Richter genannt, in
[Rumänisch]-Ungarn von den Gemeindegliedern gewählt
wird).
Nun fuhr ein Mitglied des Gemeindevorstands nach
Sächsisch-Regen und ließ durch einen Advokaten die Klage wegen
ungesetzlicher Vergebung des Schulbaues beim Oberstuhlrichteramt vorbringen,
mit der Forderung, den Bau sogleich einstellen zu lassen. Die Antwort war:
»Was, Baueinstellung? Der Gemeinderat hat ja in seiner Sitzung am 13.
April unter dem Vorsitz des Oberstuhlrichters die Vergebung des Baues an den
Baumeister selber beschlossen! So steht es zu lesen im Protokoll über die
Sitzung!« Hierüber große Bestürzung, denn keiner von
den sächsischen oder rumänischen Gemeinderatsmitgliedern, die an
jener Sitzung teilgenommen hatten, wußte etwas von der
beschlußweisen Vergebung des Baues. Es lag also eine Fälschung des
Protokolls vor. Als vom Notar in Birk eine Abschrift des Protokolls verlangt
wurde, antwortete dieser, ohne Erlaubnis des Oberstuhlrichters könne er die
Abschrift nicht geben, und der Oberstuhlrichter sei
verreist!"
Man kann sich denken, wie einer Bevölkerung zumute ist, die vorher in
einem Rechtsstaat gelebt hat und nun die Einführung dieses
Balkanismus erlebt. Für den rumänischen Beamten ist
derartiges selbstverständlich. In Altrumänien weiß man so
wenig von der kulturellen Höhe, auf der die Gesetzgebung und Verwaltung
in Siebenbürgen früher standen, daß man sogar glaubt, die
Ausdehnung der altrumänischen Einrichtungen auf die neuen Gebiete
bedeute einen Fortschritt. Daß es in Wahrheit ein Fortschritt vom
Europäischen zum Balkanischen ist, haben wir zur Genüge gesehen.
Außerdem aber besteht der Rückschritt darin, daß statt der
früheren demokratisch-autonomen Verwaltung ein bürokratischer
Zentralismus eingeführt ist. Früher konnten die meisten
Angelegenheiten an Ort und Stelle mit Hilfe der Selbstverwaltung erledigt
werden; jetzt muß man mit jeder Kleinigkeit bis nach Bukarest ins
Ministerium gehen. Dazu kommen noch alle die Übel, die aus dem Mangel
an brauchbaren Verwaltungsbeamten und Richtern und aus ihrer geradezu elenden
Bezahlung entstehen. Ein studierter Richter erster Instanz
be- [371] kommt monatlich
5000 Lei, das sind noch nicht 100 Mark, Gehalt; ein Prätor
(Stuhlrichter, Landrat), d. h. ein Verwaltungsbeamter vom selben Range
wie der Richter erster Instanz, erhält, bei fünfzehn Dienstjahren,
einschließlich aller Nebenbezüge, monatlich 3000 Lei oder
50 Mark. Wie soll er dabei existieren und ehrlich bleiben, selbst wenn die
Pflicht der Unbestechlichkeit, des Zurückweisen von "Backschisch", um
mit Ciato zu reden, ursprünglich in seinem moralischen Vorstellungskreis
einen Platz hatte! Wer einige Jahre Präfekt, d. h. Vorsteher eines
höheren Verwaltungsbezirks gewesen ist, besitzt, außer einer
vollständigen Wohnungseinrichtung mit Möbeln, Service,
Teppichen, gefülltem Weinkeller usw., mindestens eine Villa und
ein Automobil. Für die Dinge hat er aus seinem minimalen Gehalt nicht
einen Pfennig zu bezahlen gehabt, hätte es natürlich auch nicht
gekonnt. Welche Vorstellung von Ehrlichkeit bei den Rumänen selbst,
sogar gegenüber dem Richterstande, der als
verhältnismäßig wenig demoralisiert gilt, herrscht, geht aus der
Bestimmung hervor, daß die anhängigen Gerichtssachen am Tage der
Verhandlung zwischen den einzelnen Richtern verlost werden! Wird die
Verhandlung vertagt, so erfolgt die Verlosung immer von neuem, so daß,
wenn fünfmal verhandelt wird, fünf verschiedene Richter dieselbe
Sache erhalten.
Unter den Karlsburger Beschlüssen befand sich, wie wir sahen, auch das
Versprechen, es solle "Gleichberechtigung und volle
autonom-konfessionelle Freiheit für alle Konfessionen im Staate" gesichert
werden. Dieser Punkt wurde, trotz der Bestätigung durch die
königliche Proklamation, schon in der großrumänischen
Verfassung von 1924 verletzt, denn die Verfassung wies dem
orthodox-griechischen Bekenntnis eine Stellung als "dominante" Kirche zu.
Angehörige anderer Konfessionen werden nicht nur "gesetzlich" zu
Steuerleistungen für die orthodoxe Kirche gezwungen, sondern es werden
auch von katholischen und protestantischen Gemeinden durch scharfen
behördlichen Druck "freiwillige" Beiträge für den Bau
orthodoxer Kirchen erpreßt. Auch in Gemeinden, wo es außer einigen
speziell dorthin versetzten Beamten und Polizisten gar keine Orthodoxen gibt,
werden rücksichtslos Enteignungen und andere Leistungen für den
Bau orthodoxer Kirchen verfügt.
Im Juni 1924 traf in Bukarest eine englisch-amerikanische Kommission zum
Studium der Lage der religiösen Minderheiten in Siebenbürgen ein.
Es waren Klagen über die Bedrückung dieser Minderheiten ins
Ausland gelangt, und die rumänische Regierung hatte eingewilligt,
daß eine freie, von amerikanischen und englischen Kirchengemeinschaften
eingesetzte Kommission die Lage in Siebenbürgen studiere. Die
Kommission wurde von verschiedenen Ministern und vom Könige
empfangen, erhielt die üblichen Diners in Anwesenheit des
Königspaares, und der König selbst äußerte, daß
in der Minderheitenfrage die Regierung nur auf zwei Bedingungen beharre,
nämlich, daß die Minderheiten loyale Untertanen des
ru- [372] mänischen
Staates würden und daß sie sich die rumänische Sprache
aneigneten; niemand erwarte, daß die Minderheiten ihre eigenen Sprachen
jemals aufgeben sollten! Der Minister des Äußern,
J. G. Duca, erklärte der Kommission, daß die
rumänische Regierung die Grundsätze des Minderheitsrechtes, wie
sie durch den Völkerbundsvertrag festgelegt sind, völlig annehme.
Seine Überzeugung sei, daß die künftige Stabilität
Rumäniens von der guten Gesinnung und Zufriedenheit der
Minderheitsgruppen abhänge, und daß er "alles zu tun
wünsche, um sie zu willigen und loyalen rumänischen
Staatsbürgern zu machen".
Die Kommission nahm ihre Aufgabe in Siebenbürgen gewissenhaft,
bereiste das ganze Land, suchte auch entlegenere Ortschaften auf und gewann so
ein treues Bild von den Klagen der sächsischen, ungarischen und sonstigen
Minderheitsangehörigen, die größtenteils dem katholischen,
reformierten und augsburgischen Bekenntnis angehören. Nach Bukarest
zurückgekehrt, unterbreiteten sie ihr Material der Regierung, die genaue
Beantwortung aller Fragen und Beschwerden versprochen hatte. Da diese aber auf
sich warten ließ, so kehrten die Kommissionsmitglieder nach England und
Amerika zurück, mit dem Versprechen, die Antwort solle ihnen
nachgesandt werden. Das geschah erst im Frühjahr 1925. Die
Veröffentlichung ist bald danach unter dem Titel The Religious
Minorities in Transsylvania (Boston, The Beacon Press, 1925) erfolgt,
in der Weise, daß die Beschwerdepunkte der Kommission und die Antwort
der rumänischen Regierung zu jedem einzelnen Punkt nebeneinander
abgedruckt sind. Ihren eigenen Standpunkt hierzu hat die Kommission in einem
besonderen Bericht niedergelegt, der schon vor der Herausgabe des Buches im
Boston Christian Register erschien. Darin heißt es, die Antwort der
rumänischen Regierung sei nicht befriedigend, vielmehr seien die
Mitglieder der Kommission überzeugt, daß die rumänische
Regierung es gar nicht ernsthaft versucht habe, die ihr mitgeteilten
Verletzungen des Minderheitenrechts zu überprüfen, und noch
viel weniger sei eine Absicht zu erkennen, die Verletzungen wieder
gutzumachen.
Erkundigt sich nun jemand bei einem Minderheitsangehörigen in
Siebenbürgen, wie es denn möglich sei, daß die feierliche und
bindende Proklamierung der Karlsburger Beschlüsse so vollständig
verleugnet wird, so bekommt er eine merkwürdige Antwort: die
Karlsburger Beschlüsse seien von der rumänischen Regierung nur
deshalb "verbürgt" worden, weil damals die definitive Zuteilung von
Siebenbürgen und dem Banat an Rumänien durch die Entente noch
nicht erfolgt war. Um den Bedenken zu begegnen, die sich möglicherweise
auf amerikanischer und englischer Seite bei den Versailler Verhandlungen
hätten regen können, ob im Falle der Zuteilung so großer
Gebiete mit nichtrumänischer Bevölkerung auch eine loyale
Behandlung der Minderheiten stattfinden würde, habe man sich in Bukarest
zu den Beschlüssen bekannt. Sie zu halten habe man aber gar nicht
beabsichtigt!
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